L 3 SB 3087/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SB 2648/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 3087/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 11. Juni 2007 wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob dem Kläger ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 zusteht.

Bei dem 1930 geborenen Kläger stellte der Beklagte zuletzt mit Bescheid vom 19.06.1991 in Ausführung des Urteils des Sozialgericht Ulm (SG) vom 18.04.1991 einen GdB von 50 fest und ging dabei von folgenden Behinderungen aus:

Rekurvation und leichte Valgusstellung im linken Unterschenkel, leichte Instabilität in den Kniegelenken, Kniearthrose links, Gang- und Standbehinderung.

Degenerative Veränderungen an der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule mit Band-scheibenschaden L5/S1.

Narbenbildung am linken Handgelenk und in der linken Hohlhand bei endgradiger Bewegungseinschränkung im linken Handgelenk.

Fußdeformitäten beidseits mit arthrotischen Veränderungen im Gelenk zwischen zweitem und drittem Mittelfußknochen links und Fußwurzelknochen links.

Großzehengrundgelenksarthrose beidseits mit Wackelsteifigkeit.

Bewegungseinschränkung der Schultergelenke und des rechten Ellenbogengelenks infolge Arthrose, Bewegungseinschränkung des Hüftgelenks infolge Arthrosen, auch des Beckenkreuzbeingelenkes.

In Ausführung des Urteils des Sozialgerichts U. vom 19.07.1995 stellte der Beklagte mit Be-scheid vom 30.08.1995 zusätzlich auch den Nachteilsausgleich "G" fest.

Mehrere Neufeststellungsanträge des Klägers in der Folgezeit blieben erfolglos.

Am 19.09.2005 beantragte er erneut die Erhöhung des GdB und die Feststellung des Nachteils-ausgleiches "aG". Dabei gab er an, unter deutlichen degenerativen Veränderungen der gesamten Wirbelsäule mit Bandscheibenschaden L5/S1, Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule, Arthrose des Beckenkreuzbeingelenkes beidseits und Verschleißerscheinungen beider Hüft-gelenke sowie arbeitsunfallbedingten Verletzungen im linken Kniegelenk, posttraumatisch de-generativ bedingter Bandinstabilität, hinterer positiver Schublade, schwerer Arthrose des linken Handgelenkes, schwere Fußwurzelarthrose beidseits und schwerster Großzehengrundge-lenksarthrose, Schultergelenksarthrosen beidseits, Muskelverschmächtigung am rechten Arm, erheblicher Arthrose des Ellenbogengelenkes und Verschleißerscheinungen im rechten Knie und anderem zu leiden.

Zur Begründung des Antrags legte er ein Gutachten von Dr. D., Chefarzt der Abteilung für Un-fallchirurgie des M. S., vom 18.01.1991, ein Gutachten von Prof. Dr. W., Ärztlicher Direktor der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie der R. Klinik T., vom 15.08.2002, den Be-scheid der Großhandels- und Lagereiberufsgenossenschaft vom 13.01.2003 und zwei Röntgen-aufnahmen seines linken Knies vor.

Prof. Dr. W. stellte in seinem Gutachten fest, dass für die Funktionsbeeinträchtigungen des lin-ken Kniegelenks eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v. H. festzusetzen sei.

Der Bescheid der Großhandels- und Lagereiberufsgenossenschaft stellte ab 01.04.2001 für die Funktionsbeeinträchtigung des linken Kniegelenks eine MdE um 30 v. H. fest.

Der Beklagte zog daraufhin einen Befundbericht von Dr. B., Facharzt für Chirurgie und Unfall-chirurgie, vom 23.09.2005 bei.

Dieser teilte mit, der Kläger leide unter fortgeschrittener posttraumatischer Gonarthrose links, die Beweglichkeit sei nur endgradig mit 0-10-120 Grad eingeschränkt. Bezüglich der Wirbel-säule sei er nicht bei ihm, möglicherweise aber bei den ortsansässigen Orthopäden in Behand-lung.

Mit Bescheid vom 07.11.2005 lehnte der Beklagte die Erhöhung des GdB und die Feststellung des Nachteilsausgleichs "aG" ab, wobei er von folgenden Funktionsbeeinträchtigungen ausging:

Funktionsbehinderung beider Kniegelenke, Arthrose, Unfallfolgen GdB 40

Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule GdB 20

Funktionsbehinderung beider Sprunggelenke, Versteifung der Großzehengrundgelenke beidseitig GdB 20

Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke GdB 10

Funktionsbehinderung des linken Handgelenks GdB 10

Funktionsbehinderung beider Schultergelenke GdB 10

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, der GdB von 50 sei bereits im Jahr 1993 festgestellt worden, die Befunde aus dem Jahr 2000 könnten daher keinesfalls berück-sichtigt worden sein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.06.2006 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 13.07.2006 Klage zum Sozialgericht U. (SG) mit der Begründung erhoben, bei ihm bestehe nun auch am rechten Knie eine Chondromalazie mit Innenmeniskopathie bis Grad III. Dabei hat der Kläger die Klage auf die Gewährung eines höhe-ren GdB beschränkt. Zur weiteren Begründung hat er einen Zwischenbericht der Klinik für Un-fall- und Wiederherstellungschirurgie der R. Unfallklinik T. vom 09.06.2006 vorgelegt.

Dieser bescheinigte dem Kläger ein ausgeprägtes muskuläres Defizit nach KTP links am 03.11.2005 bei schwerer degenerativer posttraumatischer Gonarthrose links sowie eine medial betonte Gonarthrose rechts (Chondromalazie mit Innenmeniskopathie bis Grad III). Die Bewe-gungsmaße links waren mit 0-5-110 Grad leicht eingeschränkt.

Das SG hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung von Dr. B., Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie, vom 06.12.2006.

Dr. B. hat mitgeteilt, der Kläger sei seit 2003 wegen Beschwerden der unteren Extremitäten in Gestalt von Polyneuropathie und Kniegelenksbeschwerden bei ihm in Behandlung, seit 2006 auch wegen Rückenbeschwerden. Die rechte Schulter sei aktiv nur noch bis 70 Grad zu heben. Die Abduktion/Adduktion beider Hüftgelenke sei jeweils um 50 % reduziert. Die Beweglichkeit des linken Kniegelenks liege bei 0-0-95 Grad, die des rechten bei 0-0-85 Grad. Aus seiner Sicht bestehe ein GdB von 70, die Funktionsbeeinträchtigungen der rechten oberen Extremität sei mit 20 zu bewerten ebenso wie die Bewegungseinschränkung der Hüfte.

Mit Urteil vom 24.04.2007 hat das SG unter Aufhebung des Bescheides vom 07.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.06.2006 den Beklagten verurteilt, ab Antragstellung einen GdB von 60 festzustellen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Dabei ist es von einem GdB von 40 für die Funktionsbeeinträchtigungen des Knies und von 20 je für die Funktions-beeinträchtigungen der Wirbelsäule, der Sprunggelenke, der Schultergelenke sowie von einem GdB von je 10 für die Funktionsbeeinträchtigungen der Hüftgelenke und des linken Handgelenks ausgegangen.

Mit Bescheid vom 11.06.2007 hat der Beklagte das Urteil des SG ausgeführt und beim Kläger ab Antragstellung einen GdB von 60 festgestellt.

Gegen das ihm am 21.05.2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 21.06.2007 Berufung ein-gelegt. Zur Begründung hat er vorgebracht, aus den vorhandenen Einzel-GdB müsste ein höherer Gesamt-GdB - nämlich 70 - gebildet werden. Auch sei eine erhebliche Verschlechterung des linken Handgelenks eingetreten.

Auf Aufforderung des Senats hat er das Gutachten von Prof. Dr. W., Ärztlicher Direktor der Kli-nik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie der R. Unfallklinik T., vom 15.06.2007 vor-gelegt und angemerkt, dass dieses nicht verwertbar sei, da es inhaltlich falsch sei. So habe er das Untersuchungszimmer entgegen der Angabe des Gutachters mit Krücken betreten, sein Hände-druck sei nicht seitengleich kräftig und das Gutachten sei zudem ohne die Unterlagen über den Unfall vom 08.03.1952 erstellt worden.

Bei der Begutachtung durch Prof. Dr. W. ist der Kläger in der Lage gewesen, die Arme bis 170 Grad zu erheben. Am rechten Ellenbogengelenk hat ein Streckdefizit von 20 Grad vorgelegen. Das Handgelenk links war in der Beweglichkeit eingeschränkt. Die Hüftgelenksbeweglichkeit ist nicht eingeschränkt gewesen, das linke Knie war mit 0-0-100 Grad eingeschränkt, das rechte Knie nicht. Prof. Dr. W. ist zusammenfassend zum Ergebnis gekommen, dass die MdE be-treffend das linke Handgelenks mit 5 v. H. und betreffend das Kniegelenk mit 25 v. H. zu bewer-ten sei.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens von Prof. Dr. K., Chefarzt der Orthopädischen Klinik G., vom 11.08.2008 mit radiologischem Zusatzgutachten vom 21.07.2008.

Bei der Begutachtung hat der Kläger über Schmerzen beider Kniegelenke, Belastungsschmerzen in beiden Füßen und oberen Sprunggelenken sowie über lumbale Rückenbeschwerden nach 10 Minuten Gehen oder Stehen geklagt. Am linken Handgelenk habe er seit dem Unfall 1952 Dau-erschmerzen, die rechte Schulter bereite vor allem nachts Beschwerden. Bei der Untersuchung hat eine eingeschränkte Entfaltbarkeit der Brust- und Lendenwirbelsäule und ein Finger-Bodenabstand von 30 cm bestanden. Die Schulter war passiv bei fixierter Scapula bis 90 Grad zu erheben, aktiv um 150 bzw. 160 Grad. Der Ellenbogen hat ein Streckdefizit rechts von 20 Grad aufgewiesen. Das Handgelenk links ist bei der Flexion/Extension mit 50-0-40 Grad ein-geschränkt gewesen. Der Faustschluss ist komplett möglich gewesen. Die Bewegungsmaße der Hüfte haben rechts 0-5-120 Grad, links 0-5-110 Grad betragen, des Knies links 0-0-120 Grad, die des Knie rechts 0-0-130 Grad. Das obere Sprunggelenk ist rechts mit 20-0-40 Grad und links mit 10-0-30 Grad beweglich gewesen.

Der Gutachter hat folgende Diagnosen gestellt:

1. Zustand nach Implantation einer Knie-TEP links nach Tibiakopffraktur mit post-traumatischer Arthrose mit leichtgradiger schmerzhafter Bewegungseinschränkung.

2. Beginnende mediale und retropatellare Gonarthrose rechts mit mäßig schmerzhafter leichtgradiger Bewegungseinschränkung.

3. Mäßig schmerzhaftes, degeneratives LWS-Syndrom mit ausgeprägter Osteochondrose, Ventrolistesis und Spondylarthrose L5/6 mit mäßiggradiger Bewegungseinschränkung der LWS.

4. Schmerzhafter und mäßig bewegungseingeschränkter Zustand nach distaler ein-gestauchter, in Fehlstellung verheilter Radiusfraktur links mit deutlichem Ulnarvorschub und schwerer posttraumatischer Handgelenks- und Radiocarpalarthrose.

5. Rotatorenmanschettenruptur beidseits, rechts ausgeprägter als links, Omarthrose beidseits und Akromioclaviculararthrose rechts mit beidseits leichtgradigen funktionellen Ein-schränkungen.

6. Kaum schmerzhafte Cubitalarthrose beidseits, rechts deutlich ausgeprägter als links, mit 20 Grad Streckdefizit rechts.

7. Ausgeprägter Hallux rigidus beidseits, links Zustand nach Keller/Brandes-OP mit hoch-gradiger Bewegungseinschränkung.

8. Initiale OSG- und Mittelfußarthrose beidseits, links ausgeprägter als rechts, mit beidseits leichtgradigen funktionellen Einschränkungen.

9. Gering- bis mittelgradige Coxarthrose links ausgeprägter als rechts mit beidseits leicht-gradigen funktionellen Einschränkungen.

Zusammenfassend hat der Gutachter die Funktionsbehinderungen am Knie, den Sprunggelenken, der Hüfte und den Großzehengrundgelenken mit einem GdB von 40 bewertet, die Funktions-beeinträchtigungen des Schultergelenkes, des rechten Ellenbogens und des linken Handgelenkes mit einem GdB von 20, ebenso die Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule mit einem GdB von 20. Insgesamt resultiere hieraus ein Gesamt-GdB von 60.

Der Kläger hat hierauf erwidert, dass die vom Gutachter angesetzten GdB-Werte zu niedrig sei-en. Für das linke Handgelenk sei mindestens ein GdB von 20 bis 30 anzusetzen, für die Schul-tergelenke ein GdB von mindestens 50. Auch seien seine Rückenbeschwerden höher zu be-werten. Das SG habe bei Dr. Ü., Bundeswehrkrankenhaus U. ein Gutachten eingeholt, welches einen GdB von 20 für das Handgelenk bestätige. Auch habe er eine Carotis-TEA-Operation ge-habt, seine Schwindelsymptomatik habe sich verschlechtert, Heiserkeit und Sprachstörungen hätten sich bei ihm verschlimmert. Ergänzend hat er verschiedene Befundberichte, unter ande-rem auch den Entlassbericht der Gefäßchirurgie des Krankenhauses U. vom 18.07.2008 vorgelegt. Nach diesem hat beim Kläger eine hochgradige ACI Stenose rechts Stadium I bestan-den, die mit einer Karotis TEA mit Patchplastik am 25.06.2008 operiert worden ist. Als weitere Diagnosen sind neben Arthrosen des Handgelenkes und des Kniegelenkes eine bekannte Polyneuropathie der Beine, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus Typ II, Adipositas per magna und Schwellung des Aryknorpel nach Intubationsnarkose genannt.

Der Nachfolger von Prof. Dr. K., Dr. A., hat auf Anfrage des Senats mit ergänzender Stellung-nahme vom 03.12.2008 mitgeteilt, dass es trotz der Einwände des Klägers angesichts der Unter-suchung und der Bewegungsmaße bei den genannten Einzel-GdB und dem Gesamt-GdB von 60 verbleibe.

Im Hinblick auf die nichtorthopädischen Erkrankungen des Klägers hat der Senat weiteren Be-weis erhoben durch Einholung sachverständiger Zeugenaussagen von Dr. C., Arzt für All-gemeinmedizin, vom 11.05.2009, Dr. E., Chirurg und Gefäßchirurg, vom 14.05.2009 und Dr. Ö., Facharzt für Neurologie, vom 12.05.2009.

Dr. C. hat mitgeteilt, der Kläger leide unter arterieller Hypertonie, Diabetes mellitus, cerebro-vaskulärer Insuffizienz, Polyneuropathie, Hyperlipidämie und Hyperuricämie, Adipositas per magna und rezidivierenden Gastritiden. Er sei diesbezüglich medikamentös gut eingestellt. Der HBA 1 betrage 6.2. Ergänzend hat er einen Rehaentlassungsbericht der O. Klinik C. vom 17.12.2008 vorgelegt, in welchem bestätigt wird, dass der Diabetes mellitus oral mit Metvormin/Avandamet morgens und abends behandelt werde. Die Gangunsicherheit mit Schwindelsymptomatik sei nach Durchführung der Reha in den Hintergrund getreten.

Dr. E. hat mitgeteilt, den Kläger nach der stationären Behandlung nur noch am 10.07.2008 ein-mal ambulant behandelt zu haben. Von gefäßchirurgischer Seite lägen keine Gesundheits-störungen und daher auch kein GdB mehr vor. Die bestehende leichte Schwindelsymptomatik habe sich bereits in dem kurzen Nachuntersuchungszeitraum gebessert. Die Intubationsnarkose habe zu Schleimhautschwellung und Heiserkeit geführt. Hier könne von einer vorübergehenden Gesundheitsstörung ausgegangen werden.

Dr. Ö. hat berichtet, der Kläger habe ihn im Jahr 2003, 2004 und 2009 je einmal, im Jahr 2008 zwei Mal aufgesucht. Beim Kläger liege eine Polyneuropathie der Beine vor. Eine komplette Funktionsstörung im Sinne der Läsion des Nervus peronaeus liege nicht vor, die Reizer-scheinungen und Schmerzen der linken Hand seien jedoch mit in den GdB einzubeziehen, wes-wegen ein GdB von 30 hierfür festzusetzen sei.

Dr. W. vom Ärztlichen Dienst der Beklagten hat erwidert, dass zu den bereits bestehenden Funk-tionsbeeinträchtigungen von 40, 20 und 20 der Diabetes mit einem GdB von 20 und die Poly-neuropathie mit einem GdB von 10 hinzuträten. Eine Erhöhung des Gesamt-GdB ergebe sich hieraus jedoch nicht.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 24. April 2007 abzuändern, den Bescheid des Be-klagten vom 07. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2006 aufzuheben sowie den Bescheid vom 11. Juni 2007 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ab 19. September 2005 einen GdB von 70 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 11. Juni 2007 ab-zuweisen.

Er erachtet einen GdB von 60 für die beim Kläger vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen für ausreichend.

Die Verfahrensakten beider Instanzen und die Verwaltungsakte des Beklagten haben dem Senat vorgelegen. Auf deren Inhalt wird zur Darstellung der näheren Einzelheiten des Sachverhalts Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, jedoch un-begründet.

Das Urteil des SG ist zutreffend. Der Ausführungsbescheid des Beklagten, über den der Senat gemäß § 96 SGG auf Klage entscheidet, ist rechtmäßig. Das SG hat die entscheidungserheb-lichen Rechtsgrundlagen zutreffend benannt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird dies-bezüglich auf die Entscheidungsgründe des Urteils Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Zunächst weist der Senat daraufhin, dass ab 01.01.2009 anstelle der "Anhaltspunkte für die ärzt-liche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehinderten-recht" (AHP zuletzt Stand 2008) nach § 69 Abs. 1 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) die Versorgungsmedizinverordnung vom 10.12.2008 und die dazugehörige Anlage "Ver-sorgungsmedizinische Grundsätze" (VMG) Anwendung finden.

Beim Kläger liegt lediglich ein GdB von 60 vor.

Auf orthopädischem Gebiet leidet der Kläger unter Funktionsbehinderungen der Kniegelenke, wobei sich die Beweglichkeit des linken Kniegelenks mit dem Einsatz der TEP erheblich ver-bessert hat.

Nach der Überzeugung des Senats ist hierfür unter Einbindung der geringgradigen Bewegungs-einschränkung der Hüftgelenke, des oberen Sprunggelenks und der Großzehengrundgelenksarth-rose für die unteren Extremitäten ein GdB von 40 angemessen und auch ausreichend. Der Senat stützt sich hierbei auf das Gutachten von Prof. Dr. K., welches nachvollziehbar, überzeugend und schlüssig anhand der beim Kläger erhobenen Bewegungsmaße einen GdB von 40 ver-anschlagt. Dieses Ergebnis entspricht auch den Vorgaben der VMG. Ausweislich der von Prof. Dr. K. wie auch von Prof. Dr. W. erhobenen Bewegungsmaße ist die Kniebeweglichkeit nicht einmal geringgradig (Streckung/Beugung bis 90 Grad) eingeschränkt. Demnach kommt nach Teil B Nr. 18.14 (Seite 100) der VMG ein GdB lediglich wegen der vorliegenden Knorpel-schäden mit anhaltenden Reizerscheinungen in Betracht. Ohne Bewegungseinschränkung, wie hier, liegt der GdB hier einseitig zwischen 10 und 30. Da der Kläger unter beidseitigen Reizer-scheinungen leidet, ist der insoweit angesetzte GdB von 40 nachvollziehbar, aber auch aus-reichend. Eine Erhöhung dieses Wertes wegen der geringgradigen Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke kommt nicht in Betracht, denn nach Teil B Nr. 18.14 (Seite 99) der VMG sehen diese bei Bewegungseinschränkungen des Hüftgelenks geringen Grades beidseits einen GdB von 20 bis 30 vor, eine geringgradige Bewegungseinschränkung liegt aber nach den VMG erst vor, wenn die Streckung/Beugung im Sinne von 0-10-90 Grad eingeschränkt ist. Von diesem Ausmaß ist die Bewegungseinschränkung beim Kläger jedoch nicht (links 0-5-110 und rechts 0-5-120 Grad). Dies gilt auch für die Bewegungseinschränkung der oberen Sprunggelenke. Diese sind mit Messwerten von 0-20-40 Grad und 0-10-30 Grad lediglich gering und nicht mittelgradig ein-geschränkt und damit nach Teil B Nr. 18.14 (Seite 101) der VMG lediglich mit einem GdB von 0 zu bewerten. Auch die Versteifung der Großzehengrundgelenke in günstiger Stellung ist nach Teil B Nr. 18.14 (Seite 102) der VMG lediglich mit einem GdB von 10 zu bewerten. Damit ist ein GdB von 40 für die unteren Extremitäten ausreichend.

Der Kläger leidet ferner unter Wirbelsäulenbeschwerden im LWS-Bereich. Hierfür ist in Über-einstimmung mit den Ausführungen des Gutachters Prof. Dr. K. und Teil B Nr. 18.9 der VMG ein GdB von 20 zu veranschlagen. Schwere funktionelle Auswirkungen mit anhaltender In-stabilität oder Bewegungseinschränkungen liegen beim Kläger auch ausweislich der Auskunft des behandelnden Chirurgen Dr. B. nicht vor.

Für die oberen Extremitäten ergibt sich ein weiterer Teil-GdB von 20, wobei hierin die Funkti-onsbeeinträchtigungen des linken Handgelenks, des rechten Ellenbogens und der Schultern mit aufgehen. Auch insoweit stützt der Senat seine Überzeugung auf das Gutachten von Prof. Dr. K. der hier ebenfalls einen GdB von 20 veranschlagt. Die Schultern können vom Kläger aktiv bis 150 bzw. 160 Grad erhoben werden, passiv unter Fixierung der Scapula bis 90 Grad. Nach Teil B Nr. 18.12 (Seite 93) der VMG ist hierfür maximal ein GdB von 10 festzusetzen, für das Streckdefizit des Ellenbogens (Seite 94 der VMG) ein GdB von 0 bis 10, für die Bewegungsein-schränkung des linken Handgelenks (Seite 94 der VMG) ist ebenfalls lediglich ein GdB von 10 zu veranschlagen. Insgesamt ist daher ein GdB von 20 für alle Funktionsbeeinträchtigungen durchaus großzügig bemessen.

Auf internistischem Gebiet besteht beim Kläger ein Diabetes mellitus Typ II, der mit einem ora-len Antidiabetikum (Metformin-Avandamet), das die Hypoglykämieneigung erhöht, behandelt wird. Hierfür ist nach der Überzeugung des Senats in Übereinstimmung mit Dr. W. vom Ärzt-lichen Dienst des Beklagten ein GdB von 20 anzusetzen.

Zwar hat das BSG die VMG, soweit diese GdB-Werte für die Diabeteserkrankung festsetzt, für rechtswidrig und nichtig erklärt (BSG, Urteil vom 23.04.2009 - B 9 SB 3/08 R in juris. de), bis zu einer Neufassung durch den Gesetzgeber ist jedoch nach den Grundsätzen des Urteils des BSG vom 24.04.2008 (B 9/9a SB 10/06 R; ebenfalls in juris.de) zu entscheiden. Maßgeblich sind insoweit die erreichte Stoffwechsellage und der dabei erforderliche Therapieaufwand.

Der Diabetes des Klägers ist nach den Angaben von Dr. C. mit einem HB1A von 6, 2 gut ein-gestellt. Der Kläger nimmt nach dem Bericht der O.-Klinik insoweit morgens und abends eine Tablette ein. Im Rahmen des gesamten Klage- und Berufungsverfahrens hat der Kläger mit kei-nem Wort geschildert, dass ihn die Diabeteserkrankung einschränke; er hat diese Diagnose noch nicht einmal erwähnt. Damit kommt ein höherer GdB als 20 nicht in Betracht.

Der Bluthochdruck des Klägers ist nach Teil B Nr. 9.3 (Seite 51) der VMG nicht mit einem GdB anzusetzen, da er ebenfalls gut eingestellt ist und Organschäden und Funktionsbeein-trächtigungen nicht bestehen. Gleiches gilt für die durch die OP behobene Gefäßerkrankung. Der behandelnde Gefäßchirurg Dr. E. hat insoweit auch bestätigt, dass insoweit keine Erkrankung und kein GdB mehr vorliege.

Auf neurologischem Gebiet leidet der Kläger unter einer Polyneuropathie der Beine und einer leichten Gleichgewichtsstörung, die sich nach der Gefäßoperation weiter gebessert hat.

Hierfür ist nach der Überzeugung des Senats lediglich ein Teil-GdB von 10 anzusetzen. Für Gleichgewichtsstörungen ohne wesentliche Folgen sieht Teil B Nr. 5.3 (Seite 36) der VMG ei-nen GdB von 0-10 vor. Nachdem hier nur leichte Schwindelstörungen und zudem eine Besse-rung dieser Beschwerden nach Dr. E. und der O.-Klinik vorliegt, ist daher kein GdB hierfür an-zusetzen.

Bei Polyneuropathie ergeben sich nach Teil B Nr. 3.11 (Seite 28) der VMG die Funktionsbeein-trächtigungen aufgrund der insoweit bestehenden motorischen Ausfälle oder sensibler Störungen bzw. aus der Kombination dieser beiden Komponenten. Der Kläger hat diesbezüglich im Ver-fahren keine Beschwerden geltend gemacht. Ein kompletter Nervenausfall liegt ausweislich der Auskunft des behandelnden Neurologen Dr. Ö. nicht vor. Motorische Ausfälle sind nicht doku-mentiert, lediglich die Beinreflexe lassen sich in der klinischen Untersuchung nicht auslösen. Der Senat erachtet die Ausführungen von Dr. W. für überzeugend, der insoweit einen GdB von 10 veranschlagt, nicht jedoch die Schlussfolgerungen des behandelnden Neurologen Dr. Ö., der unter Einbeziehung der Funktionsbeeinträchtigungen des linken Handgelenks einen GdB von 30 ansetzen will. Insbesondere die Einbeziehung der Funktionsstörungen des linken Handgelenks erscheint dem Senat - als nicht den VMG entsprechend - verfehlt und daher unrichtig.

Unter Anwendung der unter Teil A Nr. 3 VMG aufgeführten Grundsätze ist ein Gesamt-GdB von 60, nicht jedoch, wie vom Kläger beantragt, von 70 zu bilden. Der höchste Teil-GdB von 40 ist um 20 zu erhöhen, da die Beschwerden der oberen Extremitäten, der Wirbelsäule und der unteren Extremitäten sich nicht überschneiden, sondern nebeneinander bestehen bzw. sich ge-genseitig verstärken (Teil A, Nr. 3 d aa) und bb) der VMG).

Die Berufung ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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