L 7 SB 9/05

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 5 SB 109/03
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 SB 9/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
GdB auch bei Schlaganfall nur nach verbliebenen Einschränkungen
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Behinderungsgrades.

Die 1953 geborene Klägerin beantragte nach einem Schlaganfall am 16. Juli 2002 bei dem Beklagten die Feststellung von Behinderungen sowie die Feststellung des Merkzeichens "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Gehfähigkeit im Straßenverkehr) und "aG" (außergewöhnlich gehbehindert).

Der Beklagte holte den Entlassungsbericht des Reha-Zentrums B.- D. vom 12. Juli 2002 über den stationären Aufenthalt der Klägerin vom 4. Juni 2002 bis 2. Juli 2002 ein. Chefarzt Dr. S. diagnostizierte danach einen Hirninfarkt links am 1. Mai 2002 bei hochgradiger ACI–Stenose (Verengung) links, eine arterielle Hypertonie (Bluthochdruck) und eine Hypercholesterinämie (erhöhte Blutfettwerte). Die Klägerin sei am 4. Mai 2002 in die Neurologische Klinik des Städtischen Klinikums D. wegen einer seit ca. drei Tagen bestehenden Sprachstörung und einer Rechtsseitensymptomatik aufgenommen worden. Dabei habe sie Missempfindungen sowie Taubheitsgefühle, eine leichte Kraftminderung, gelegentliche Schwindelgefühle und bei depressiv ängstlicher Stimmungslage eine deutliche psychophysische Leistungsbeeinträchtigung angegeben. Hinweise für eine Merkfähigkeits-, Auffassungs- oder Konzentrationsstörung hätten nicht bestanden. Zum Entlassungszeitpunkt habe sich die Stimmungslage der Klägerin aufgehellt. Auch das Gangbild sowie die Fingerfeinmotorik seien besser geworden. Dabei habe die Klägerin noch über Sprachprobleme sowie die diskret rechtsseitige beinbetonte Halbseitensymptomatik geklagt.

Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. H. berichtete im Februar 2003 über einen guten Allgemein- und Ernährungszustand der Klägerin (174 cm/78,5 kg). Die Kopfdrehung nach rechts sei mit 30 Grad stark eingeschränkt, die Extremitäten seien jedoch frei beweglich. Nach kurzem Sitzen seien ihre ersten Schritte "sehr wackelig", unsicher und tapsig. Es träten ungewollt Wortfindungsstörungen beim Sprechen und beim Schreiben auf. Der psychische Befund sei dagegen weitgehend stabilisiert.

In einem Arztbrief der Chirurgischen Klinik des Städtischen Klinikums D. berichtete Oberarzt D. unter dem 3. August 2002 über eine Operation vom 29. Juli 2002 an der linken Halsschlagader. Der Versorgungsarzt Dr. W. hielt nach Auswertung dieser Befunde einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 für angemessen. Der Beklagte folgte mit Bescheid vom 5. März 2003 dieser Einschätzung und stellte ab dem 16. Juli 2002 einen GdB von 30 fest, da als Funktionsbeeinträchtigungen Wortfindungsstörungen bestünden sowie Ge-fühlsstörungen der rechten Körperseite nach einem Schlaganfall.

Dagegen erhob die Klägerin am 25. März 2003 Widerspruch. Der Beklagte holte weitere Befundberichte ein. Die Fachärztin für Neurologie/Psychiatrie Dr. L. berichtete über eine leichte Hemiparese rechts und legte einen MRT-Befund des Kopfes vom 8. Mai 2003 der Radiologischen Praxis Dr. Sch. u. a. vom 19. Mai 2003 vor. Der Internist Dr. O. gab u. a. eine Borderline-Hypertonie sowie eine mittelgradige Stenose an. Der Versorgungsarzt des Beklagten OMR Dr. J. hielt nach Auswertung der Befunde am 15. Oktober 2003 den festgestellten GdB-Wert von 30 für weiterhin zutreffend. Es sei von einem guten Rehabilitationsergebnis mit nur geringfügigen Funktionsstörungen auszugehen. Die Operation der Halsschlagader sei ohne nachteilige Folgen geblieben. Neurologische Defizite seien nicht erkennbar. Lediglich die grobe Kraft rechts sei vermindert sowie am Kinn eine mäßige Taubheit verblieben und eine leichte beinbetonte Spastik festzustellen. Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Dezember 2003 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Am 29. Dezember 2003 hat die Klägerin beim Sozialgericht Dessau Klage mit dem Ziel der Feststellung eines GdB von mehr als 50 erhoben und zur Begründung vorgetragen: Sie ziehe das rechte Bein nach, habe dort ständige Schmerzen, die in den Hüftbereich ausstrahlten. Sie habe auch Gleichgewichtsstörungen und beim Laufen einen "Linksdrall". Wegen der damit verbundenen Unfallgefahr trage sie im Haushalt keine Hausschuhe mehr, sondern müsse "Stopper-Socken" benutzen. Auch könne sie wegen der Erkrankung den Haushalt nicht mehr allein versorgen. Zudem habe sie in der rechten tauben Hand keinerlei Wärme- und Kältegefühl mehr und die gesamte Feinmotorik verloren. Sie sei in zunehmendem Maße auch stark vergesslich und habe keine Ausdauer mehr.

Das Sozialgericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin eingeholt. Der Facharzt für Orthopädie Dr. V. hat nach seinem Bericht vom 30. Januar 2004 ein chronisch wiederkehrendes Halswirbel- und Brustwirbelsäulensyndrom bei muskulärer Dysbalance diagnostiziert, eine Spreizfußdeformation, Kniebeschwerden sowie die bereits bekannten Erkrankungen, die mit einer sekundären Gangstörung bei leichter Spastik des rechten Beins verbunden seien. Dr. L. berichtete unter dem 30. Januar 2004 über Beschwerden der Klägerin am rechten Arm, die sich ähnlich wie bei einem Karpaltunnelsyndrom äußerten. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. Hi. führt am 8. Februar 2004 u. a. aus: Die Blutdruckwerte hätten zwischen dem 30. Mai 2002 und dem 3. Februar 2004 bei 120/75 mmHg bis 130/90 mmHg gelegen. Seit 4. Mai 2002 sei die Klägerin arbeitsunfähig. Nach eigener Wahrnehmung habe die Klägerin eine allmähliche Verschlechterung der Beweglichkeit und eine Zunahme der Spasmen gerade in Zeiten ohne Physiotherapie beobachtet. Seit Mai 2003 nehme die Taubheit der rechten Hand unter Schwellneigung zu.

Der Versorgungsarzt Dr. K. hat am 2. März 2004 nach Auswertung der Befunde an der Bewertung eines Einzel-GdB von 30 festgehalten. Für die Funktionsminderung der Wirbelsäule könne mangels neurologischer Ausfälle oder außergewöhnlicher Schmerzen kein weiterer Einzel-GdB vergeben werden. Auch die röntgenologische Auswertung habe keine über das Altersmaß hinausgehende Veränderung ergeben. Die Fußdeformität könne allenfalls einen Einzel-GdB von 10 rechtfertigen, der sich jedoch nicht auf den Gesamt-GdB auswirke.

Das Sozialgericht hat ein neurologisches Gutachten vom Privatdozent Dr. Sche. (amt. Chefarzt der Neurologischen Klinik des Städtischen Klinikums D.) vom 13. September 2004 nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 25. Mai 2004 erstatten lassen. Er hat folgende Diagnosen erhoben:

• Zustand nach linkshirnigem parietalem Hirninfarkt mit diskreter rechts- und armbetonter spastischer Hemiparese • arterielle Hypertonie • Hypercholesterinämie • chronisches funktionelles Wirbelsäulensyndrom.

Zur Untersuchung hat er mitgeteilt: Als Beschwerden habe die Klägerin Anlaufprobleme mit Schmerzen in der Hüfte und im rechten Bein angegeben. Wenn sie sich "eingelaufen habe" könne sie Gehstrecken ohne Hilfe bis zu 800 Metern bewältigen. Weiter habe sie starke Empfindungsstörungen vor allem im rechten Bein. Auch bestehe eine Unsicherheit und Sturzgefahr vor allem bei Dunkelheit. Beim Sprechen sei die anfänglich deutliche Aphasie zurückgegangen und nur noch eine geringe Wortfindungsstörung verblieben. Wegen einer Mattigkeit und leichten Erschöpfbarkeit könne sie leichte Hausarbeit nur noch zwei bis drei Stunden hintereinander bewältigen.

Nach Ansicht des Sachverständigen seien die arterielle Hypertonie sowie die Hypercholesterinämie ärztlich zufriedenstellend eingestellt. Klinisch-neurologisch sei eine etwas distal- und armbetonte Restspastik mit geringer Störung der Feinmotorik verblieben. Das Gangbild sei nach kurzer Einlaufzeit flüssig und die Wendebewegung mit 3 bis 4 Schritten um eine eigene Körperachse allenfalls gering eingeschränkt. Die Auswirkung auf längere Strecken habe nicht überprüft werden können. Die Sensibilität sei leicht eingeschränkt. Im Vergleich zu den Vorbefunden sei eine Besserungs- und Stabilisierungstendenz erkennbar.

Die Klägerin hat gegen das Sachverständigengutachten eingewandt: Die Missempfindungen gerade bei unterschiedlichen Temperaturen schränkten sie deutlich mehr ein, als dies der Sachverständige eingeschätzt habe. Die im März 2004 von Dr. D. vorgenommene Untersuchung, die zu ihrer Berentung geführt habe, müsse beigezogen werden.

Mit Urteil vom 11. Januar 2005 hat das Sozialgericht Dessau die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Nach den Anhaltspunkten (AHP) 2004 Nr. 26.3 (Seite 42) sei eine zerebral bedingte Teillähmung mit leichten Restlähmungen und Tonusschwierigkeiten der Gliedmaßen mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei nur eine geringe Koordinations- und Gleichgewichtsstörung verblieben.

Gegen das ihr am 19. Januar 2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 15. Februar 2005 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und ihr Begehren weiter verfolgt. Sie hat über ihren bisherigen Vortrag hinaus ergänzend vorgetragen: Der gerichtliche Sachverständige habe ihren tatsächlichen Gesundheitszustand beschönigt. Insgesamt habe sie beim Gesundheitszustand den Eindruck einer deutlichen Verschlechterung. Die Fehlstellung im linken Fuß gehe mit Schwellungen und starken Schmerzen einher. Dies dehne sich jetzt auch auf das rechte Bein aus. Durch die gesundheitlichen Schäden an der Wirbelsäule sei ihr ein normaler Gang nicht mehr möglich. Auch habe sie eine Instabilität ihres Knies bemerkt und deswegen eine Bandage erhalten. Sie habe gerade außerhalb ihres Wohnumfeldes Schwierigkeiten, ihre Gleichgewichtsstörungen auszugleichen. Auch verwechsle sie beim Verfassen von kurzen Schreiben teilweise die Buchstaben. Wegen der besonderen Sturzgefahren aufgrund der Gleichgewichtsstörungen könne sie nicht mehr allein baden oder eine Sauna aufsuchen. Die Untersuchung des Sachverständigen habe die Besonderheiten von Unebenheiten und unvorhergesehenen Situationen im Alltag nicht hinreichend beachtet.

Die Klägerin hat aus einem Rentenverfahren ein Gutachten vom Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. D. vom 12. April 2004 zur Gerichtsakte gereicht und sich dessen Ausführungen und Bewertungen zu eigen gemacht. Zur Sozialanamnese hatte der Gutachter im Rentenverfahren angegeben: Die Klägerin habe den Führerschein seit 1980 und gehe sozialen Kontakten zu Freunden und Bekannten nach. Sie sei in einer Selbsthilfegruppe für Schlaganfallerkrankte organisiert und habe als sportliche Aktivitäten Schwimmen und Fahrradfahren angegeben. An Beschwerden bestünden dauernde Schmerzen und ein unangenehmes "Krisseln" im rechten Bein. Auch lägen Koordinationsprobleme im rechten Bein vor. Im rechten Arm habe sie keinerlei Temperaturempfindungen mehr und sei in der Feinmotorik gestört. Bei Aufregung rede sie durcheinander. Sie habe auch Gleichgewichtsstörungen. Nach dem Schlaganfall sei sie im Antrieb verlangsamt und nicht mehr so interessiert wie vorher. Auch die Gedächtnisleistung habe nachgelassen. Sie sei schnell erschöpft und müsse sich mittags für ein bis zwei Stunden hinlegen. Die Lähmungen und Sprachstörungen seien nach der Reha-Maßnahme jedoch insgesamt besser geworden.

Die Untersuchung habe keine Einschränkung der Wirbelsäule gezeigt. Beim Gehen schwinge der rechte Arm minimal vermindert mit. Die Kraftentfaltung im rechten Arm sei diskret und die Feinmotorik leicht herabgesetzt. Beim Gehen sei eine Spastik des rechten Beins erkennbar. Den Beinhalteversuch habe sie rechts nur kurz vorführen können. An der rechten Hand und dem rechten Bein seien Empfindungsstörungen für Temperaturen und Oberflächen vorhanden. In psychischer Hinsicht habe die Klägerin bei ausgeglichener Stimmungslage in den Affekten voll schwingungsfähig gewirkt. Während des eingehenden Gesprächs habe sich auch kein Hinweis auf eine wesentliche sprachliche Behinderung oder eine Konzentrationsstörung ergeben. Ein EEG (Elektroenzephalogramm) habe eine stabile Grundaktivität ohne Herdbefund und ohne allgemeine Veränderungen ergeben. Ein MWT (Mehrfach-Wortschatz-Intelligenz-Test) habe eine relativ niedrige Intelligenz ergeben und stehe im Gegensatz zum klinischen Eindruck sowie zur Sozialanamnese der Klägerin. Dies könne Ausdruck einer mangelnden Testmotivation sein und als eine hirnorganische Leistungsbeeinträchtigung gewertet werden. Im mitgereichten nervenärztlichen Befund vom 19. März 2004 sei ein erneuter stummer Herzinfarkt beschrieben worden.

Als Diagnosen seien zu benennen: eine beinbetonte, spastische Halbseitenstörung, ein leichtes hirnorganisches Psychosyndrom bei allgemeiner Arteriosklerose (Arterienverkalkung) sowie multiple vaskuläre Demyelinisation (Schwund der Markscheiden). Nach Einschätzung des Gutachters sei die Klägerin nicht mehr in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 11. Januar 2005 aufzuheben, den Bescheid vom 5. März 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Dezember 2003 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, bei ihr mit Wirkung ab 16. Juli 2002 einen Grad der Behinderung von mindestens 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält seine Bescheide und das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Der Senat hat Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin eingeholt. Der Facharzt für HNO-Heilkunde Dr. P. hat unter dem 14. Mai 2005 über eine Behandlung der Klägerin bis zum 16. Oktober 2002 berichtet. Danach habe sie über Missempfindungen im Gesichtsbereich, Sprachstörungen und HWS-Beschwerden geklagt. Das Hörvermögen sei altersentsprechend. Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. hat unter dem 20. Mai 2005 eine leichte Hemiparese rechts angegeben. Die Klägerin könne ohne Hilfsmittel laufen, schwimmen und habe eine ausreichende Koordination. Der neurologische Befund sei unverändert. Der Internist Dr. O. hat unter dem 4. Juni 2005 einen stabilen Befund berichtet. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. Hi. hat unter dem 19. Juni 2005 (Behandlungszeitraum 10. Februar 2004 bis 13. Juni 2004) berichtet: Die Klägerin beklage eine spürbare Zunahme der Spastik des rechten Beins und sei wegen eines zwischenzeitlich unbemerkt aufgetretenen "stummen" Herzinfarktes deprimiert. Bei einem Sturz im Juni 2004 sei es zu einer Distorsion des linken Fußes mit Schwellung gekommen.

Am 11. Januar 2006 hat die Klägerin angegeben, die Gangunsicherheiten hätten sich seit November 2005 verstärkt. Auch ihre geistige Leistungsfähigkeit habe sich extrem verschlechtert.

Der Senat hat einen Arztbrief der Klinik für Innere Medizin (Städtisches Krankenhaus D.) vom 19. Dezember 2005 über einen stationären Aufenthalt der Klägerin vom 9. November 2005 bis 12. November 2005 eingeholt. Prof. Dr. Pl. hat darin angegeben: Eine duplexsonografisch als hochgradig eingeschätzte Abgangsstenose habe sich nach weiteren Untersuchungen als nur mittelgradig erwiesen und rechtfertige noch keine klinische Intervention. Ein EKG habe einen normgemäßen Sinusrhythmus ergeben. Es sei eine halbjährliche Verlaufskontrolle zu empfehlen.

Nach Auswertung dieses Befundes hat die Versorgungsärztin Dr. Wi. am 8. März 2006 an der bisherigen Bewertung eines GdB von 30 festgehalten.

Die Klägerin hat zum Verfahren eine Heilmittelverordnung wegen Wirbelsäulenbeschwerden vorgelegt und auf einen stationären Aufenthalt im J.-Krankenhaus im F. im Jahr 2006 verwiesen. Der Senat hat daraufhin einen Arztbrief des J.-Krankenhauses (Rheumazentrum des Landes Brandenburg in T.) vom 13. September 2006 über einen stationären Aufenthalt der Klägerin vom 17. bis 29. August 2006 eingeholt. Darin sind als neue Diagnosen eine hoch-titrige, seropositive rheumatoide Arthritis mit hoher Krankheitsaktivität, eine Abnahme des Knochengewebes, eine Fettstoffwechselstörung und eine Hyperurikämie (erhöhte Harnsäurekonzentration im Blut) benannt. Die Klägerin habe über Schmerzen vor zwei Jahren in beiden Vorderfüßen geklagt sowie über Morgensteifigkeit und Schwierigkeiten bei den Aktivitäten des täglichen Lebens. Vor ihrer Aufnahme als Notfall habe der Ehemann sie aus dem Bett heben müssen. Der Aufnahmestatus habe einen reduzierten Allgemein- und einen guten Ernährungszustand gezeigt. Die grobe Kraft sei auf der rechten Seite eingeschränkt. Der internistische und grobneurologische Befund sei unauffällig. Im Verlaufe der Therapie hätten sich die Entzündungsparameter wie auch die Schmerzintensität reduziert.

Der Senat hat nach einem Berichterstatterwechsel weitere Befundberichte eingeholt: Dr. L. hat unter dem 15. Februar 2009 angegeben, eine aktuelle Einschätzung sei nicht möglich, da die Klägerin seit Oktober 2007 nicht mehr zu Kontrolluntersuchungen erschienen sei. Ein MRT-Befund des Kopfes vom 5. September 2007 habe im Vergleich zu den Voraufnahmen eine Zunahme der Stenose gezeigt. Die Rheumatologin Dr. Schw. hat am 19. Februar 2009 eine chronische Arthritis diagnostiziert und den Behandlungsverlauf von Dezember 2007 bis 27. Januar 2009 beschrieben. Am 19. Dezember 2007, 26. März 2008, 9. Juli 2008, 20. Oktober 2008 und 27. Januar 2009 habe nach jeweiligen Untersuchungen keine Arthritis bestanden. Im schubfreien Intervall seien die rheumatologischen Funktionseinschränkungen als eher leicht einzuschätzen. In der Schubsituation dagegen steigere sich dies auf mittelschwere bis schwere Funktionseinschränkungen. Die chronische Arthritis werde prognostisch zu einer zunehmenden Gelenkzerstörung führen. Da sich bei der Klägerin Rheumaknoten gebildet hätten, sei ein eher ungünstiger Verlauf der Erkrankung zu erwarten.

Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. R. hat unter dem 12. Februar 2009 angegeben: Die Klägerin habe als Beschwerden vor allem eine feinmotorische Beeinträchtigung der rechten Hand, Missempfindungen, Koordinationsbeeinträchtigungen, rechtsseitige Gelenkschmerzen und zunehmende Gangstörungen gerade während der Rheumaschübe angegeben. Ihr Allgemeinzustand habe sich seit 2006 wegen der Rheumaschübe verschlechtert. Prognostisch sei von weiteren Verschlechterungen auszugehen. Dr. R. hat weitere Arztbriefe vorgelegt. Chefarzt Prof. Dr. Pl. (Klinik für Innere Medizin des Städtischen Klinikums D.) hat danach über eine vorstationäre Behandlung der Klägerin vom 16. Mai 2008 berichtet. Der klinische Status habe symmetrische Armpulsbefunde und - bis auf das Fehlen einer Temperaturempfindung und einer geringen feinmotorischen Störung am rechten Arm und Bein - keine weiteren Einschränkungen ergeben. Die grobe Kraft und Sensorik sei symmetrisch. Das D.-Krankenhaus D. (Klinik für Chirurgie) hat am 16. Februar 2007 über einen komplikationslos operativ behandelten gutartigen Herdbefund an der rechten Brust der Klägerin berichtet. Prof. Dr. G. (J.- Krankenhaus in T.) hat unter dem 28. August 2007 eine deutliche Remission der Arthritis unter der Therapie von MTX und Arava mitgeteilt. Der Facharzt für Orthopädie Dr. V. hat am 1. Juli 2008 die Nutzung von Bequemschuhen, eine sportliche Konditionierung und die Überprüfung der Knochendichte empfohlen. Schließlich hat der Internist Dr. O. am 6. März 2009 einen stabilen Verlauf der Kontrolluntersuchungen und eine wesentliche Leistungseinschränkung der Klägerin bei mittlerer und schwerer Belastung berichtet.

Der Berichterstatter hat nach Beiziehung und Auswertung der Rentenakte der Klägerin sie mit Hinweis vom 20. April 2009 darauf hingewiesen, es bedürfe für die Annahme eines höheren GdB nach Auswertung der medizinischen Unterlagen einer ergänzenden Berufungsbegründung. Die Klägerin hat daraufhin vorgetragen: Sie habe den Eindruck einer inkonsequenten und oberflächlichen Zuarbeit und Untersuchung durch die behandelnden Ärzte. In letzter Zeit habe es bei ihr weder Röntgen- noch Ultraschalluntersuchungen gegeben.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten sowie ein Auszug aus der Akte des Rentenverfahrens haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte sowie der Beiakten ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte und gemäß § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auch statthafte Berufung der Klägerin, ist nicht begründet.

Die Klage gegen den Bescheid vom 5. März 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Dezember 2003 ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG statthaft. Sie ist jedoch unbegründet, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung eines GdB von mehr als 30. Bei der hier erhobenen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich (vgl. BSG, Urteil vom 12. April 2000 - B 9 SB 3/99 R = SozR 3-3870 § 3 Nr. 9 S. 22). Danach liegt bei der Klägerin seit dem 16. Juli 2002 bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats kein GdB von mehr als 30 vor. Für den streitbefangenen Zeitraum gilt das am 1. Juli 2001 in Kraft getretene Neunte Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) über die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1046). Der hier anzuwendende § 69 SGB IX ist durch die Gesetze vom 23. April 2004 (BGBl. I S. 606) und vom 13. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2904) geändert worden. Rechtsgrundlage für den von der Klägerin erhobenen Anspruch auf Feststellung eines GdB von mindestens 50 ist § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX. Infolge der verfahrensrechtlichen Änderungen des § 69 SGB IX durch das Gesetz vom 23. April 2004 (a.a.O.) hat sich im Übrigen nur die Satzzählung geändert. Im Folgenden werden die Vorschriften des § 69 SGB IX nach der neuen Satzzählung zitiert.

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Diese Vorschrift knüpft materiellrechtlich an den in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bestimmten Begriff der Behinderung an. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft vorliegen, wird nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.

§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX ist durch das insoweit am 21. Dezember 2007 in Kraft getretene Gesetz vom 13. Dezember 2007 (a.a.O.) geändert worden. Nach der früheren Fassung der Vorschrift galten für den Grad der Behinderung die im Rahmen des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) festgelegten Maßstäbe entsprechend. Nach dem Wortlaut der früheren Fassung des ebenfalls durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 geänderten § 30 Abs. 1 BVG war für die Beurteilung die körperliche und geistige Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben maßgeblich, wobei seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen waren. Nach der Neufassung des § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten für den Grad der Behinderung die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Nach der damit in Bezug genommenen neuen Fassung des § 30 Abs. 1 BVG richtet sich die Beurteilung des Schweregrades – dort des "Grades der Schädigungsfolgen" (GdS) – nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Die hierfür maßgebenden Grundsätze sind in der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) aufgestellt worden, zu deren Erlass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch den dem § 30 BVG durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 angefügten Absatz 17 ermächtigt worden ist.

Nach § 2 VersMedV sind die auch für die Beurteilung des Schweregrades nach § 30 Abs. 1 BVG maßgebenden Grundsätze in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (Anlageband zu BGBl. I Nr. 57 vom 15. Dezember 2008, G 5702) als deren Bestandteil festgelegt und sind damit nunmehr der Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte mit der rechtlichen Verbindlichkeit einer Rechtsverordnung zugrunde zu legen. Zuvor dienten der Praxis als Beurteilungsgrundlage die jeweils vom zuständigen Bundesministerium herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als vorweggenommene Sachverständigengutachten eine normähnliche Wirkung hatten (vgl. BSG, Urteil vom 18. September 2003 – B 9 SB 3/02 RSozR 4-3800 § 1 Nr. 3 Rdnr. 12, m.w.N.). Die in den Anhaltspunkten (letzte Ausgabe von 2008) enthaltenen Texte und Tabellen, nach denen sich die Bewertung des Grades der Behinderung bzw. der Schädigungsfolge bisher richtete, sind – inhaltlich unverändert – in diese Anlage übernommen worden (vgl. die Begründung BR-Drucks. 767/08, S. 3 f.). Die im vorliegenden Fall heranzuziehenden Abschnitte aus den An¬haltspunkten in den Fassungen von 2004 und 2008 bzw. aus den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen sind nicht geändert worden. Im Folgenden werden die Vorschriften der Versorgungs¬medizinische Grundsätze zitiert. Die Begriffe GdS und GdB werden dabei nach gleichen Grundsätzen bemessen. Sie unterscheiden sich lediglich dadurch, dass sich der GdS kausal auf Schädigungsfolgen und sich der GdB final auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von deren Ursachen auswirkt (vgl. Versorgungsmedizinsche Grundsätze, Teil A: Allgemeine Grundsätze 2 a (S. 8)).

Durch die Neuregelung ist den Einwänden gegen die bisherigen "Anhaltspunkte" jedenfalls für den vorliegenden Fall der Boden entzogen worden. Zum einen ist durch die Neuregelung die auch von der Rechtsprechung geforderte Rechtsgrundlage für die bisherigen "Anhaltspunkte" geschaffen worden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 28. September 2007, BT-Drucks. 16/6541, S. 1, 31). Zum anderen ist durch die Verweisung des neu gefassten § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX auf die Neufassung des § 30 Abs. 1 BVG klargestellt worden, dass auch für die Feststellung des GdB "die allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen" maßgeblich sind. Zudem hatte sich auch schon zu der früheren Fassung des § 69 Abs. 1 SGB IX eine ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gebildet, nach der trotz der Ersetzung des Schwerbehindertengesetzes durch das SGB IX inhaltlich das Beurteilungsgefüge der Anhaltspunkte maßgeblich geblieben war (vgl. BSG, Urt. v. 24. April 2008 – B 9/9a SB 6/06 R – in juris Rn. 15 m.w.N.).

Der hier streitigen Bemessung des GdB ist daher die GdS (Grad der Schädigung)-Tabelle der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Teil A, Seite 17 ff.) zugrunde zu legen. Nach den allgemeinen Hinweisen zu der Tabelle (Teil A, Seite 8 ff.) sind die dort genannten GdS-Sätze Anhaltswerte. In jedem Einzelfall sind alle leistungsmindernden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und in der Regel innerhalb der in Nr. 2 e (Teil A, Seite 8) genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sektion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) zusammenfassend zu beurteilen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (Teil B, Nr. 1 a, Seite 18).

Nach diesem Maßstab kann für die Funktionseinschränkungen der Klägerin kein höherer GdB als 30 festgestellt werden. Dabei stützt sich der Senat auf die versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Beklagten, die eingeholten Befundberichte und Arztbriefe sowie auf das von der Vorinstanz eingeholte neurologische Gutachten von Privatdozent Dr. Sche. und das Gutachten von Dr. D. aus dem rentenversicherungsrechtlichen Verfahren der Klägerin.

1. Das Hauptleiden der Klägerin ist dem Funktionssystem "Nerven und Psyche" zuzuordnen und wird im Wesentlichen durch die Auswirkungen des im Jahr 2002 erlittenen Hirninfarktes geprägt. Der Senat hält hierfür unter Auswertung aller Befunde einen Einzel-GdB von 30 für angemessen.

Nach der GdS-Tabelle der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ist unter Nr. 3. (Seite 20 ff) bzw. Nr. 26.3 (S.40 ff) (Anhaltspunkte 2004/2008) bei einem Hirnschaden, wie bei dem Hirninfarkt der Klägerin, nach den durch den Hirnschaden verbundenen organisch-psychischen Auswirkungen zu fragen. Für Beurteilung des GdB kommt es dabei entscheidend auf das Ausmaß der verbliebenen Ausfallerscheinungen an. Krankheitsbedingt ergeben sich dabei häufig vielschichtige Einschränkungen im psychischen, kognitiven und im zerebralen Bereich. Wegen dieser hohen Komplexität der Folgezustände von Hirnschäden kommt grundsätzlich ein weiter GdB-Rahmen zwischen 20 und 100 in Betracht.

Bei der Bewertung eines Hirnschadens finden sich in 3.1.1 (S. 21 der GdS-Tabelle) zunächst allgemeine Grundsätze für die Gesamtbewertung.

Hiernach werden Hirnschäden, je nach Leistungsbeeinträchtigung (leicht, mittelschwer und schwer) mit einer GdB-Kategorie von 30-40, 50-60 und 70-100 unterteilt.

Wegen der Vielschichtigkeit des Krankheitsbildes eines Hirnschadens bietet diese Einordnung jedoch nur eine erste Orientierung und ist nach Nr. 3.1.2 (S. 21) bei isoliert vorkommenden oder führenden Syndromen nochmals hinsichtlich der psychischen, kognitiven und zerebralen Auswirkungen nach dem jeweiligen Einzelfall zu differenzieren.

Hiernach ist nach Nr. 3.1.2 von folgenden Bewertungsrahmen auszugehen:

Hirnschäden mit psychischen Störungen

leicht (im Alltag sich gering auswirkend) ... 30 – 40 mittelgradig (im Alltag sich deutlich auswirkend) ... 50 – 60 schwer ... 70 – 100

Hirnschäden mit kognitiven Leistungsstörungen (z. B. Aphasie, Apraxie, Agnosie)

leicht (z. B. Restaphasie) ... 30 – 40 mittelgradig (z. B. Aphasie mit deutlicher bis sehr ausgeprägter Kommunikationsstörung) ... 50 – 80 schwer (z. B. globale Aphasie) ... 90 – 100

Zerebral bedingte Teillähmungen und Lähmungen

leichte Restlähmungen und Tonusstörungen der Gliedmaßen ... 30 bei ausgeprägteren Teillähmungen und vollständigen Lähmungen ist der GdB/MdE-Grad aus Vergleichen mit den nachfolgend aufgeführten Gliedmaßenverlusten, peripheren Lähmungen und anderen Funktionseinbußen der Gliedmaßen abzuleiten vollständige Lähmung von Arm und Bein (Hemiplegie) ... 100

Der Hirninfarkt hat sich bei der Klägerin insbesondere auf der rechten Körperhälfte ausgewirkt und dort eine rechtsseitige Halbseitensymtomatik verursacht. Nach dem Reha-Entlassungsbericht wird diese Folge in ihrer Intensität als "diskret" eingeschätzt. Auch die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. Hi. berichtet nicht über schwere Gangstörungen, sondern – nach kurzem Sitzen – nur über erste Schritte, die deutlichere Unsicherheiten aufweisen. Die Beschreibung eher leichter Auswirkungen des Hirn-infarktes auf zerebralem Gebiet bestätigt der gerichtliche Sachverständige der Vorinstanz PD Dr. Sche. Er diagnostiziert lediglich eine diskrete rechts- und armbetonte spastische Hemiparese. Auch er berichtete über ein Gangbild, das nach kurzer Einlaufzeit flüssig ist und auch bei Wendebewegungen nur eine geringe Einschränkung gezeigt hatte. Eine vergleichbare Einschätzung findet sich auch in der Untersuchung von Dr. D. im rentenversicherungsrechtlichen Gutachten. Auch er bewertete die zerebralen Einschränkungen mit diskret bzw. leicht. Dieser Einschätzung folgt auch Dr. L. in ihrer Einschätzung der zerebralen Auswirkungen der Erkrankung unter dem 20. Mai 2005 und beschreibt eine leichte rechtsseitige Hemiparese. Nach dieser Bewertung könne die Klägerin ohne Hilfsmittel und mit ausreichender Koordination laufen. Die von ihr als besonders belastend geschilderten Empfindungsstörungen beeinträchtigen zwar die Feinmotorik, sind jedoch Lähmungen nicht gleichzusetzen und daher als eher leichte Beeinträchtigung zu bewerten. Diese Einschätzung wird auch durch den Arztbrief der Klinik für Innere Medizin des Städtischen Klinikums D. über eine vorstationäre Behandlung der Klägerin vom 16. Mai 2008 bestätigt, wonach der klinische Status symmetrische Armpulsbefunde und, abgesehen vom Fehlen einer Temperaturempfindung und geringer feinmotorischer Störungen am rechten Arm und am rechten Bein, keine weiteren Einschränkungen ergeben hat.

Die von der Klägerin wiederholt beschriebene Zunahme der Gangschwierigkeiten wird durch die vom Senat eingeholten zahlreichen und zum Teil aktuellen medizinischen Unterlagen auf neurologischem Fachgebiet nicht bestätigt. Zwar ist es bei ihr seit 2006 durch die seit etwa August 2006 hinzugetretene Arthritis zeitweise zu einer Verschlechterung der Gehfähigkeit gekommen. Diese Verschlechterung ist aber keine neurologische Folge des Hirninfarkts, sondern ist zeitlich auf akute Schubphasen der hinzugetretenen Arthritis beschränkt. Diese neue Erkrankung hat offenbar zeitweise zu mittelschweren bis schweren Funktionseinschränkungen geführt wie Dr. Schw. im Befundbericht vom 19. Februar 2009 berichtet hat. Allerdings sind diese Auswirkungen nach dem Bericht von Dr. Schw. auf kurze Zeiträume beschränkt. Während der zeitlich weit überwiegenden schubfreien Intervalle der Arthritis sind diese Auswirkungen als eher leicht einzuschätzen. Dies bestätigt auch Chefarzt Prof. Dr. Pl. in seinem Arztbrief vom Mai 2008. Gegen eine schwerwiegende neurologische Gangstörung spricht auch, dass die Klägerin ihre Neurologin Dr. L. seit Oktober 2007 nicht mehr aufgesucht hat. Das deutet darauf hin, dass auf neurologischem Fachgebiet kein nennenswerter Behandlungsbedarf aufgrund der Folgen des Hirninfarktes mehr bestanden hat und stattdessen die seit August 2006 intervallartig auftretende Arthritis dominiert. Letztlich hat auch der Orthopäde Dr. V. im Juli 2008 keine schweren Gangstörungen bestätigt. Es ist daher auf zerebralem Gebiet von dem relativ stabilen Befund einer diskret rechts- und armbetonten spastischen Hemiparese auszugehen.

Auch die kognitiven Auswirkungen des Hirninfarktes von 2002 sind als eher gering einzuschätzen. Mittelschwere oder schwere Kommunikationsstörungen sind von keinem der behandelnden Ärzte berichtet worden. So hat der Sachverständige PD Dr. Sche. einen deutlichen Rückgang der Aphasie beschrieben und lediglich geringe Wortfindungsstörungen angegeben. Das hat auch Dr. D. bestätigt und eine Besserung der Sprachstörungen nach der durchgeführten Reha-Maßnahme bejaht. Auch aus den zahlreichen weiteren Befundberichten und Arztbriefen sind Verschlechterungen in den kognitiven Fähigkeiten der Klägerin nicht erkennbar. Davon ist offenbar auch die Klägerin ausgegangen, die zwar eine zunehmende Vergesslichkeit beklagt, jedoch eine darauf bezogene fachärztliche Behandlung nicht eingeleitet und die regelmäßigen Kontrolluntersuchungen bei Dr. L. seit Oktober 2007 beendet hat.

In psychischer Hinsicht findet sich allein im Gutachten von Dr. D. vom 12. April 2004 die vereinzelte Diagnose einer hirnorganischen Leistungsbeeinträchtigung. Diese Diagnose wird von den zahlreichen weiteren medizinischen Bewertungen aber weder aufgegriffen noch bestätigt und auch nicht als Verdacht geäußert.

Nach Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen PD Dr. Sche. haben sich während des eingehenden Gesprächs mit der Klägerin keine Hinweise auf psychische Defizite ergeben. Es ist daher zu bezweifeln, ob bei ihr überhaupt (noch) solche Defizite in mehr als ganz geringfügigem Umfang vorliegen. Diese Frage war aber nicht weiter aufzuklären. Denn selbst Dr. D. hat nur ein leichtes Psychosyndrom ohne nennenswerte Beeinträchtigung beschrieben. Hinweise für eine deutliche Auswirkung des Hirninfarktes auf psychischem Gebiet finden sich in seinem Gutachten dagegen nicht. So werden von ihm auf der Grundlage der Angaben der Klägerin ausgeprägte soziale Aktivitäten in einer Selbsthilfegruppe sowie bei der Gestaltung des Tagesablaufs ohne Hinweise auf Rückzugstendenzen oder psychische Auffälligkeiten beschrieben. Die von ihr benannten Folgebehandlungen lassen auch keinen weiteren Behandlungsbedarf auf psychiatrischem Gebiet erkennen. So hat sie ihre Neurologin und Psychiaterin Dr. L. nach Oktober 2007 nicht mehr aufgesucht und hat sich auch im Übrigen keiner fachpsychiatrischen Behandlung unterziehen müssen.

Die Auswirkungen des Hirninfarktes der Klägerin sind seit Antragstellung auf zerebralen, kognitiven und psychischen Fachgebiet zusammenfassend als eher leicht einzuschätzen und mit einem Einzel-GdB von 30 zutreffend bewertet worden. Die zuletzt geäußerte Ansicht der Klägerin, ihre behandelnden Ärzte hätten "zur Gesamtproblematik" nur inkonsequent mitgearbeitet und sie in letzter Zeit nur oberflächlich untersucht, ist angesichts der auch aus jüngerer Zeit vorhandenen Fülle der medizinischen Daten und Unterlagen zu pauschal, um dies als Anlass für weitere Sachermittlungen zu nehmen.

2. Als ein weiteres Leiden der Klägerin ist ab August 2006 eine schubweise schmerzhaft auftretende Arthritis hinzugekommen, die dem Funktionssystem der "Haltungs- und Bewegungsorgane" zuzuordnen ist. Hierfür hält der Senat einen Einzel-GdB von nicht mehr als 10 für derzeit noch ausreichend.

Nach Nr. 18.1 der GdS-Tabelle (S. 86) kommt es bei endzündlich-rheumatischen Erkrankungen neben den funktionellen Einschränkungen auch auf die Aktivität der Erkrankung und deren Auswirkungen auf den Allgemeinzustand und die Beteiligung weiterer Organe an. Hiernach kann bei der Klägerin seit dem erstmaligen Auftreten der Arthritis allenfalls von nicht wesentlichen Funktionseinschränkungen ausgegangen werden.

Zwar ist dem Arztbrief des Rheumazentrums T. vom 13. September 2006 ein Akutbefund der Arthritis im August 2006 zu entnehmen, der damals auch zu einer stationären Behandlung geführt hatte. Die Klägerin konnte jedoch aus dieser Behandlung nach offenbar erfolgreicher medikamentöser Einstellung mit unauffälligem Gelenkbefund wieder entlassen werden. Aus dem weiteren Arztbrief dieser Rheumaklinik vom 28. August 2007 bestätigt sich die deutliche Remission der Arthritis unter Gabe von MTX, was auf eine deutliche Besserung des Gesundheitszustandes hinweist. Nach dem Befundbericht der Rheumatologin Dr. Schw. vom 19. Februar 2009 sind in den Zeiträumen mit akuten Phasen zwar mittelschwere bis schwere Funktionseinschränkungen anzunehmen. Aus ihrer ausführlichen Dokumentation lassen sich solche akuten Schübe im Zeitraum von Dezember 2007 bis Januar 2009 jedoch nur für die Monate Juli und Oktober 2008, und damit sporadisch, nachweisen. Zu diesen Zeitpunkten kam es jeweils zu Schwellungen im linken Sprunggelenk, die sich nach medikamentöser Behandlung gut zurückgebildet hatten. Nach dem von Dr. Schw. geschilderten Behandlungsintervall ergeben sich folglich für die Untersuchungen vom 19. Dezember 2007, 26. März 2008, 9. Juli 2008, 20. Oktober 2008 und 27. Januar 2009 keine weiteren Hinweise auf eine aktive Arthritis. Dies spricht gegen gehäuft auftretende akute Phasen und für eine derzeit noch erfolgreiche medikamentöse Behandlung dieser Erkrankung. Die von Dr. Schw. am 27. Januar 2009 ferner berichteten Rheumaknoten und die Streckhemmung der PIP-Gelenke deuten zwar prognostisch auf einen zukünftigen ungünstigen Krankheitsverlauf hin, rechtfertigen aber aktuell noch nicht die Annahme einer dauerhaften und erheblichen Funktionseinschränkung aufgrund der Arthritis.

3. Die vom Facharzt für Orthopädie Dr. V. im Befundbericht vom 20. Januar 2004 diagnostizierte Spreizfußdeformation sowie das chronisch wiederkehrende Hals- und Brustwirbelsyndrom mit muskulärer Dysbalance rechtfertigen für das Funktionssystem der Haltungs- und Bewegungsorgane ebenfalls nur einen Einzel-GdB von 10. Beachtliche Funktionsausfälle lassen sich für diesen Funktionsbereich weder aus dem gerichtlichen Sachverständigengutachten noch dem Gutachten des Rentenversicherungsträgers oder den Befundberichten von Dr. V. und Dr. R. erkennen. Noch am 1. Juli 2008 hat Dr. V. aus orthopädischer Sicht lediglich die Nutzung von Bequemschuhen für angezeigt gehalten und die Empfehlung für sportliche Konditionierung und eine Überprüfung der Knochendichte ausgesprochen. Auch der von der Klägerin angegebene "stumme Herzinfarkt" und der Bluthochdruck ergeben nach den Befundberichten des Kardiologen Dr. O. vom 4. Juni 2005 und 6. März 2009 keinen Hinweis auf eine erhebliche Leistungseinschränkung, woraus zu schließen ist, dass diese Erkrankung offenbar weitgehend folgenlos geblieben ist. Dafür spricht auch, dass Dr. O. einen stabilen Verlauf berichtet und nur regelmäßige Kontrolluntersuchungen für erforderlich erklärt hat.

4. Da bei der Klägerin Einzelbehinderungen aus verschiedenen Funktionssystemen mit einem messbaren Grad der Behinderung vorliegen, ist nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Grad der Gesamtbehinderung zu ermitteln. Dafür sind die Grundsätze nach Teil A, Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (S. 8) anzuwenden. Nach Nr. 3c ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad bedingt, und dann zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Zehnergrad ein oder mehr Zehnergrade hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden.

Danach kann kein höherer Gesamtgrad der Behinderung als 30 angenommen werden. Für das Funktionssystem Hirn und Psyche hat der Beklagte seit dem 16. Juli 2002 zutreffend einen GdB von 30 festgestellt. Dieser kann nicht aufgrund der weiteren Erkrankungen, die jeweils allenfalls einen GdB von 10 rechtfertigen, erhöht werden. Denn nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Teil A, Nr. 3 ee, S. 10) führen leichte Gesundheitsstörungen mit einem Behinderungsgrad von 10 grundsätzlich nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes des Gesamtbeeinträchtigung.

Die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft widerspräche hier auch dem nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Teil A Nr. 3b, Seite 10) zu berücksichtigenden Gesamtmaßstab. Im Vergleich mit Gesundheitsschäden, zu denen in der GdS-Tabelle feste Werte angegeben sind, ist bei der Klägerin ein höherer Gesamtgrad als 30 nicht gerechtfertigt. Die Gesamtauswirkung ihrer verschiedenen Funktionsstörungen beeinträchtigen ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft insbesondere nicht so schwer wie etwa die vollständige Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, der Verlust eines Beins im Unterschenkel oder eine Aphasie (Sprachstörung) mit deutlicher Kommunikationsstörung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nach § 160 SGG nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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