L 1 KR 146/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 3 KR 209/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 146/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit steht die Versorgung mit Anti Dekubitus-Fellauflagen, sogenannten Polyfellen, wie sie sich der Kläger alle sechs Monate beschafft.

Der 1954 geborene Kläger ist Versicherter der Beklagten. Er ist seit einem Sturz vom Balkon des vierten Stockes im Jahre 1988 ab dem achten Brustwirbel querschnittsgelähmt (spastische Paraplegie = komplette spastische Querschnittslähmung SubTH 8 nach BWK 8 Luxationsfraktur) und leidet unter neurogener Harnblasenentleerungsstörung, Harn- und Stuhlinkontinenz, einer spinalen Spastik quergestreifter Muskulatur und Dekubitus. Sein damaliger Hausarzt B verordnete ihm am 2. April 2007 ein "Anti Dekubitus Polyfell". Ein Kostenvoranschlag über eine solche Fellauflage des Sanitätshauses R GmbH über 42,28 EUR ging am 11. Mai 2007 bei der Beklagten ein.

Diese lehnte den Antrag mit Bescheid vom 14. Mai 2007 ab. Die Wirksamkeit der Fellauflage sei nicht bewiesen. Vielmehr werde die Anwendung eher als kontraindiziert eingestuft. Sie empfehle handelsübliche Lagerungsrollen.

Der Kläger erhob am 18. Mai 2007 Widerspruch. Er verwies auf seine Leiden. Er benutze seit zwölf Jahren das Polyfell mit optimalem Ergebnis bei geringen Kosten. Es gebe keine andere geeignete Therapie und Dekubitusprophylaxe, da er keine Fett- und Muskelmasse am Sitzbein habe und der Oberschenkelhals rechts nach Luxation und links nach Oberschenkelhalsbruch mit Fixierung durch eine Hüftschraube besonders eingeschränkt sei. Auch benötige er die Unterlage, um nicht aufgrund der Inkontinenz im Nassen zu liegen. Er legte eine Bescheinigung seines behandelnden Hautarztes Dr. I vom 1. August 2007 bei, wonach es bei ihm aufgrund der bestehenden Hautdisposition (atopische Disposition) häufiger als üblich zu Dekubitusgeschwüren komme. Im individuellen Behandlungsplan seien für ihn neben Hautpflege- und Schutzmaßnahmen mit dermatologischen Externa eine Anti Dekubitus Unterlage aus Polyester sowie ein Toilettensitzpolster mit Weichschaum von Dr. als geeignet und notwendig zur Vorbeugung und Therapie festgelegt.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. August 2007 zurück. Ergänzend zum Bescheid führte sie zur Begründung aus, dass es im Hilfsmittelverzeichnis zu Fellauflagen heiße, dass Felle nicht zur Verminderung des Auflagedruckes dienten, sondern zur Verminderung der Scherkräfte.

Hiergegen richtet sich die am 11. September 2007 beim Sozialgericht Potsdam (SG) eingereichte Klage. Der Kläger hat vorgetragen, die begehrte Fellauflage sei das in seinem Fall erforderliche, ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittel.

Die Beklagte hat vorgebracht, dass Dekubitusfelle im Jahre 2007 aus dem Hilfsmittelverzeichnis herausgenommen worden seien. Dies bedeute nach § 139 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), dass nach Prüfung durch die Spitzenverbände der Krankenkassen ein therapeutischer Nutzen nicht nachgewiesen worden sei.

Das SG hat Befundberichte durch die behandelnden Ärzte eingeholt, auf die ergänzend verwiesen wird. Die begehrte Fellauflage wird von den behandelnden Ärzten (Haus- und Hautarzt) für erforderlich gehalten. Dr. N vom Unfallkrankenhaus B, Behandlungszentrum für Rückenmarkverletzte, hat im Befundbericht vom 11. Juli 2008 ausgeführt, die Fellauflage sei medizinisch nicht angezeigt, vielmehr die Verwendung eines Sitzkissens für den Rollstuhl mit einer Höhe von 5 cm. Die rezidivierend auftretenden Dekubitalulcerationen an den Sitzbeinen seien ausschließlich durch die Fehlbelastung des Beckens in sitzender Position entstanden. Die Dekubitalulcerationen über den Trochanteren (Rollhügeln) könnten darüber hinaus auch in liegender Position entstehen. Zu deren Vermeidung sei die Versorgung mit einer Würfelmatratze oder einem ähnlichen Matratzensystem angezeigt.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 26. Februar 2009 hat die den Kläger behandelnde Physiotherapeutin S erklärt, beim Kläger träten immer wieder Dekubitusse auf. Seit er seit 1992 mit dem Polyfell versorgt werde, reduziere sich deren Zahl. Sie hat auf entsprechenden Vorhalt die Auffassung des Dr. N geteilt, die Dekubitusse seien vom falschen Sitzen entstanden. Die Versorgung mit dem Polyfell sei aber bisher "OK" gewesen. Mit anderen Hilfsmitteln, z. B. Gel Kissen mit Aussparungen, sei der Kläger nicht zu Recht gekommen.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides zu verurteilen, ihm die Kosten für die drei Polyfelle nach den Quittungen vom 6. September 2007, 13. März 2008 und 9. Dezember 2008 zu erstatten und ihn in der Zukunft mit Polyfellen entsprechend der Verordnung von Dipl. Med. B vom 2. April 2007 zu versorgen.

Zum Termin hat der Kläger unter anderem eine Stellungnahme des behandelnden Hautarztes Dr. I vom 25. Februar 2009 eingereicht. Danach liege bei ihm nach der Norton Skala zur Einschätzung und Objektivierung des Dekubitusrisikos ein sehr hohes Risiko vor. Der Kläger benötige im Rollstuhl ein Anti Dekubitus-Sitzkissen, auf der Toilette ein Weichschaumsitzpolster und im Bett eine Anti Dekubitus-Matratze und zusätzlich die Anti Dekubitus-Unterlage Polyfell.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 26. Februar 2009 abgewiesen. Zur Überzeugung der Kammer stehe fest, dass der Kläger das Polyfell nicht benötige, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Der Facharzt für Neurochirurgie Dr. N habe dargelegt, dass eine Versorgung mit dem Polyfell medizinisch nicht notwendig sei, vielmehr die Verordnung eines Sitzkissens für den Rollstuhl. Der Kläger wolle das Polyfell aber ausschließlich im Bett benutzen. Die Dekubitusse an den Sitzbeinen seien ausschließlich durch eine Fehlbelastung des Beckens in sitzender Position entstanden und könnten durch ein Polyfell nicht ausgeglichen werden, falls dies durch derartige Fellauflagen überhaupt möglich sein sollte. Dr. N habe auch nachvollziehbar dargelegt, dass in den Jahren 2001 und 2002 ein Dekubitus über den Trochanteren bestanden habe, der eine Versorgung mit einem Würfel- oder ähnlichem Matratzensystem angezeigt sein lasse. Auch das neu eingereichte Foto (nach dem Arztbrief von Dipl. Med. F vom 23. Februar 2009) zeige wiederum eine Dekubitalulceration über dem Sitzbein, also verursacht ebenfalls durch eine Fehlbelastung beim Sitzen. Die Stellungnahme der behandelnden Physiotherapeutin führe zu keinem anderen Ergebnis, da es die aufgezeigten Alternativen gäbe. Unabhängig vom Einzelfall sei auch der generelle Nutzen des Hilfsmittels nicht nachgewiesen, wie dies für Hilfsmittel erforderlich sei (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 28.09.2006 - B 3 KR 28/05 R -). Das Anti Dekubitus Fell sei aus dem Hilfsmittelverzeichnis gestrichen worden. Dies bedeute gemäß § 139 Abs. 1 bis 4 SGB V, dass nach eingehender Prüfung durch die Spitzenverbände der Krankenkassen ein therapeutischer Nutzen seitens der Hersteller nicht habe nachgewiesen werden können.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 5. Mai 2009. Er hat sein bisheriges Vorbringen wiederholt und führt ergänzend aus, das SG habe die Gutachten seiner Fachärzte nur unzureichend beachtet. Es habe ohne Schweigepflichtentbindung seinen Hausarzt befragt. Die Öffnungsklausel und die Ausnahmen der Versorgung mit Dekubitusschutzmitteln seien ignoriert worden.

Er hat am 30. April 2009 einen Antrag auf ein trägerübergreifendes persönliches Budget nach § 17 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) gestellt und dabei explizit nach der möglichen Kostenübernahme für das Polyfell gefragt.

Nach einem Herzinfarkt sind ihm im Herbst 2009 sechs Stents eingesetzt worden. Der Kläger muss deshalb blutverdünnende Medikamente einnehmen. Im Falle von Dekubitus droht deshalb Verblutungsgefahr.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Potsdam vom 26. Februar 2009 und des Bescheides der Beklagten vom 14. Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2007 zu verurteilen, ihm Kosten in Höhe von 126,84 EUR zu erstatten und ihn in Zukunft nach ärztlicher Verordnung mit Polyfellen zu versorgen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Sie hat eine gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung e. V. (MDK) zur Notwendigkeit des beantragten Polyfelles in Auftrag gegeben. Die Dipl. Med. R gelangt in ihrem sozialmedizinischen Gutachten vom 11. September 2009 zu dem Ergebnis, dass die Bewilligung nicht zu befürworten sei. Dem Kläger sei am 22. Mai 2009 eine Anti Dekubitus Therapie Matratze bewilligt worden. Ihm stehe aus der Produktgruppe 11 des Hilfsmittelverzeichnisses Hilfsmittel gegen Dekubitus in Form eines Anti Dekubitus-Sitzkissens für den Rollstuhl, eines Weichschaumsitzpolsterringes auf Toilette und einer aks Theraplot-Weichlagerungsmatratze im Bett zu. Deren Wirkung beruhe auf dem Prinzip der Weichlagerung. Durch das Einsinken des Körpers in die Matratze mindere sich der Druck auf die belasteten Hautareale. Die zusätzliche Nutzung eines Polyfelles über dieser Matratze hebe diesen medizinisch wirksamen und notwendigen Effekt weitgehend auf. Auch seien derzeit keine randomisierten klinischen Studien ermittelbar, welche die therapeutische Wirksamkeit von Polyfell zur Therapie eines manifesten Dekubitus oder zur Dekubitusprophylaxe nachweisen könnten. Sinnvoll sei es, die Anti Dekubitus Matratze mit einer Matratzenhülle nachzurüsten. Ferner sollte ein geeignetes Anti Dekubitus-Sitzkissen Anwendung finden.

Der Kläger ist mit Verfügung vom 8./9. September 2009 darauf hingewiesen worden, dass Klagegegenstand nur ein etwaiger Anspruch auf das Polyfell als Hilfsmittel im Rahmen des SGB V sein dürfte. Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Kläger hatte und hat keinen Anspruch auf die begehrten Fellauflagen:

Ein Anspruch auf ein Hilfsmittel besteht nach § 33 SGB V, wenn es erforderlich ist, um entweder nach § 33 Abs. 1 Satz 1, 1. Alternative SGB V den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, oder einer drohenden Behinderung vorbeugen (2. Alternative) oder die Behinderung ausgleichen (§ 33 Abs. 1 Satz 1, 3. Alternative 3 SGB V). In Betracht kommt hier nur die erste Alternative. Die Fellauflage soll den Erfolg der dermatologischen Behandlung der Dekubitusse sichern helfen und ein Wundliegen der Haut verhindern.

Erforderlich ist ein Hilfsmittel, wenn es im Einzelfall geeignet, notwendig und wirtschaftlich ist (BSG, Urteil vom 28.06.2001 - B 3 KR 3/00 R - BSGE 88, 204 juris Rdnr. 15). Die Fellauflagen sind nicht erforderlich in diesem Sinne. Der Senat verweist hierzu auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Urteil nach § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Diese sind durch die gutachterliche Stellungnahme des MDK bestätigt worden. Die Fellauflagen sind danach als Matratzenauflagen kontraindiziert.

Dem Kläger steht ein in diesem Verfahren gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auch nicht aus anderweitigen Anspruchsgrundlagen zu. Gegenstand des hiesigen Verfahrens ist vielmehr ausschließlich der an die Beklagte als Krankenkasse gerichtete Antrag vom 16. April 2007 auf Leistungen nach § 33 SGB V, den diese mit dem streitgegenständlichen Bescheid abschlägig beschieden hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe zur Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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