L 8 SB 6453/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 16 SB 5891/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 6453/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23. November 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch - IX. Buch - (SGB IX) streitig.

Die Klägerin stellte am 25.04.2005 einen Erstantrag nach dem SGB IX und gab an, sie leide seit 1989 an Fibromyalgie und von Geburt an Favismus (sog. Bohnenkrankheit). Im September 2002 habe sie einen Bandscheibenvorfall erlitten. Ferner leide sie unter depressiven Störungen wegen jahrelanger therapieresistenter Schmerzen und einem Wirbelsäulenleiden in allen Abschnitten sowie an einer Erkrankung im Bereich des Ellenbogens. Sie legte verschiedene, aus den neunziger Jahren stammende ärztliche Unterlagen sowie den Untersuchungsbericht des Schmerztherapeuten Dr. de P. vom 09.02.2000 vor. Darin wurde aufgrund der am 04.02.2000 erfolgten Untersuchung eine generalisierte vertebrale Fehlhaltung und Dysfunktion, eine cervikale Migräne, eine symptomatische Myoarthropathie und ein hormonelles Konversionssyndrom diagnostiziert. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. L. gab in ihrem Attest vom 14.05.2004 an, die Klägerin stehe seit 1989 in ihrer hausärztlichen Betreuung. Sie habe in all diesen Jahren an schweren Schmerzzuständen in wechselnden Körperregionen gelitten, die trotz Vorstellung bei sämtlichen denkbaren Fachärzten nicht beherrschbar gewesen seien, so dass sie vor zwei Jahren sogar ihren Beruf habe aufgeben müssen. Die am 30.01.2004 durchgeführte Operation habe bereits zu einer spürbaren Besserung geführt. Eine weitere Operation stehe an. Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme, wonach bei der Klägerin ein Fibromyalgiesyndrom, ein chronisches Schmerzsyndrom und eine seelische Störung (GdB 30) sowie eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und Wurzelreizerscheinungen (GdB 10) vorlägen, die insgesamt einen GdB von 30 bedingten - der Favismus bedinge keinen GdB von wenigstens 10 - stellte das Landratsamt Böblingen mit Bescheid vom 24.06.2005 unter Berücksichtigung der genannten Funktionsstörungen einen GdB von 30 seit 01.01.2000 einschließlich einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit fest.

Dagegen legte die Klägerin am 14.07.2005 unter Vorlage weiterer ärztlicher Unterlagen, insbesondere der Bescheinigung von Prof. B., München, vom 26.02.2003 über die Notwendigkeit der am 30.01.2004 durchgeführten Operation im Bereich der oberen Extremität (Quadrantenintervention) und der Stellungnahme von Dr. L. vom 13.07.2005, Widerspruch ein und machte geltend, nach Einschätzung der Ärzte müsste der GdB bei ihr deutlich über 50 liegen. Dr. L. schilderte am 13.07.2005 nochmals den Krankheits- und Therapieverlauf und vertrat die Auffassung, der festgestellte GdB sei eindeutig zu niedrig. Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme hierzu wies das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 25.08.2005 zurück.

Am 14.09.2005 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG), mit der sie einen GdB von 50 geltend machte. Sie legte weitere ärztliche Unterlagen vor und brachte vor, die bei ihr vorliegenden Funktionsstörungen seien mit einem GdB von 30 zu gering bewertet. Auch seien nicht alle ihre funktionellen Beeinträchtigungen berücksichtigt worden. Ihre Wirbelsäulenbeschwerden seien mit einem GdB von mehr als 10 zu bewerten. Hinzu komme das außergewöhnliche Schmerzsyndrom, das auch ohne nachweisbare neurologische Ausfallerscheinungen nach den zu berücksichtigenden Bewertungskriterien mit einem GdB von über 30 bewertet werden könne. Durch das Fibromyalgiesyndrom mit der daraus folgenden reaktiven Depression sei sie erheblich beeinträchtigt. Ferner leide sie unter mehrere Tage anhaltender Migräne mit Helligkeitsempfindlichkeit, Übelkeit, Flimmerskotome und Schmerzen im Trigeminusbereich, die zusätzlich zu berücksichtigen seien. Wegen der erheblichen langjährigen Schmerzen bestehe eine ausgeprägte Therapieresistenz und im Hinblick auf die Beeinträchtigungen im körperlichen, seelischen und geistigen Bereich sei ein GdB von 50 anzunehmen. Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 02.03.2006 entgegen.

Das SG hörte zunächst Dr. H., den Internisten und Rheumatologen Tran-Viet und Dr. L. schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. H. gab am 12.10.2005 an, er könne den derzeitigen Gesundheitszustand der Klägerin nicht beurteilen, da er sie seit dem 07.05.2003 nicht mehr gesehen habe. Im Behandlungszeitraum von 2002 bis 2004 habe er ein mäßiggradiges degeneratives Wirbelsäulensyndrom, das nach den radiologischen Befunden als gering- bis mittelgradig anzusehen sei, und eine Fibromyalgie diagnostiziert. Aus seiner Sicht sei die Einstufung des Ärztlichen Dienstes des Beklagten korrekt. Der Internist und Rheumatologe Tran-Viet berichtete am 18.11.2005 über die Behandlung der Klägerin vom 04.03.2002 bis 18.04.2002 und teilte mit, bei der körperlichen Untersuchung der Klägerin habe sich internistisch keine Auffälligkeit ergeben. Die rheumatologische Untersuchung habe eine typische Druckschmerzhaftigkeit an - von ihm im einzelnen bezeichneten - empfindlichen Stellen gezeigt. Er teile die Auffassung des Ärztlichen Dienstes des Beklagten auf seinem Fachgebiet. Es liege zwar bei der Klägerin eine Fibromyalgie vor, wesentliche Funktionseinschränkungen seien damit jedoch nicht verbunden. Dr. L. teilte unter Hinweis auf den beigefügten radiologischen Befundbericht von Dr. H. vom 16.09.2005 die von ihr gestellten Diagnosen mit und führte aus, die Bewegungsbehinderungen und Schmerzen, die der 56-jährigen Klägerin weder eine regelmäßige Berufstätigkeit noch eine regelmäßige Haushaltsführung erlaubten, müssten seines Erachtens mit einem GdB von mindestens 60 bewertet werden (Aussage vom 31.12.2005). Danach holte das SG von Dr. M., Chefarzt der Abteilung Innere Medizin/Rheumatologie der Federseeklinik B. B., ein fachärztliches Gutachten ein. Der Sachverständige gelangte nach ambulanter Untersuchung der Klägerin in seinem schmerz- und internistisch-rheumatologischen Gutachten vom 06.04.2006 zu der Beurteilung, bei der Klägerin liege eine chronische Schmerzerkrankung im Sinne einer somatisch betonten Form einer Fibromyalgie mit entsprechender Begleitsymptomatik vor. Unter Berücksichtigung der daraus resultierenden körperlichen Beeinträchtigungen, die zumindest mittelgradige Auswirkungen hätten und nur schwer beeinflussbar seien, und der daraus folgenden seelischen und geistigen Beeinträchtigungen, die er als leicht bewerte, halte er einen GdB von insgesamt 50 für gerechtfertigt, wobei die Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule und die Nervenwurzelreizerscheinungen sowie die leichte depressive Symptomatik mit berücksichtigt sei. Daraufhin unterbreitete der Beklagte der Klägerin unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 17.07.2006 ein Vergleichsangebot (GdB 40 ab 01.01.2000), das die Klägerin unter Hinweis auf die Beurteilung von Dr. M. nicht annahm.

Mit Urteil vom 23.11.2006 änderte das SG die angegriffenen Bescheide ab und verurteilte den Beklagten, den GdB ab 01.01.2000 mit 40 festzustellen. Im übrigen wies es die Klage ab. Das bei der Klägerin vorliegende Fibromyalgiesyndrom, das entgegen der Auffassung des Sachverständigen Dr. M. nicht wie entzündlich-rheumatische Krankheiten der Gelenke und/oder der Wirbelsäule, sondern nach den für Neurosen, Persönlichkeitsstörungen und Folgen psychischer Traumen geltenden Beurteilungskriterien zu bewerten sei, bedinge einen GdB von 40. Ein GdB von 30 bis 40 sei bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit anzusetzen. Ein GdB von 50 könne erst bei schweren psychischen Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten angenommen werden. Eine Beeinträchtigung in solchem Ausmaß liege nach den Angaben der Klägerin gegenüber dem Sachverständigen und ihren in der mündlichen Verhandlung geschilderten Alltagsaktivitäten nicht vor. Hinzu komme die Wirbelsäulenerkrankung, die einen GdB von 10 bedinge und nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB führe.

Dagegen hat die Klägerin am 22.12.2006 Berufung eingelegt, mit der sie an ihrem Ziel festhält. Sie bringt vor, das SG habe die bei ihr vorliegenden Funktionsstörungen zu niedrig bewertet. Der Sachverständige Dr. M. habe einen GdB von 50 angenommen und seine Beurteilung überzeugend mit der bestehenden ausgeprägten Therapieresistenz der Fibromyalgie, ihrem hohen Leidensdruck und dem zu beobachtenden sozialen Rückzug begründet. Wenn auch der Sachverständige die geistige und seelische Beeinträchtigung nicht so hoch einschätze wie die körperliche Beeinträchtigung, ergebe sich aus dem Gutachten, dass zumindest mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten bestünden. Im Verhandlungstermin vor dem SG habe sie angegeben, dass sie letztmals im Jahre 2000 ein Restaurant besucht und sich von ihrem Freundeskreis zurückgezogen habe. Ferner habe sie erklärt, dass sie während der leichten Hausarbeit stets Pausen einlegen müsse und ihr Ehemann ihr im Haushalt helfe. Auch seien die Wirbelsäulenbeschwerden mit einem GdB von 10 zu gering bewertet. Nach dem Bericht von Dr. H. vom 25.09.2005 lägen Protrusionen bzw. Spondylosen und Arthrosen vor. Zudem seien auch in der rechten Schulter Beeinträchtigungen festgestellt worden. Die Migräne mit Helligkeitsempfindlichkeit sei ebenfalls nicht berücksichtigt worden. Dr. M. gehe zu Recht von einer schweren Fibromyalgie aus. Dem im Berufungsverfahren von Dr. Z. eingeholten Gutachten, der die Fibromyalgie nicht speziell untersucht und zu Unrecht lediglich ein mittelschweres Fibromyalgiesyndrom angenommen habe und in dem eine ausführliche Anamnese fehle, sei hingegen nicht zu folgen. Die Klägerin legt das Attest von Dr. L. vom 28.01.2007 vor.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23. November 2006 und den Bescheid des Beklagten vom 24. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. August 2005 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hat das angefochtene Urteil mit Bescheid vom 08.12.2006 ausgeführt. Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und macht unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. G. vom 02.07.2007 und 08.01.2008 geltend, die bei der Klägerin vorliegenden Funktionsstörungen (Fibromyalgiesyndrom und degeneratives Wirbelsäulensyndrom) seien mit einem GdB von insgesamt 40 weiter angemessen bewertet.

Der Senat hat zunächst Dr. L. schriftlich als sachverständige Zeugin gehört. Diese hat unter Vorlage der Untersuchungsberichte des Orthopäden Dr. G. vom 11.04.2006 und des Radiologen Dr. H. vom 16.09.2005 am 21.03.2007 den Krankheits- und Behandlungsverlauf geschildert. Die Klägerin klage nach wie vor über massive Dauerschmerzen, die ständige Schmerzmitteleinnahmen notwendig machten. Für die im gesamten Bewegungsapparat angegebenen Schmerzen gebe es - wie der beiliegende Röntgenbefundbericht zeige - genügend röntgenologisch nachweisbare Substrate. Im Jahre 2006 habe der Orthopäde Dr. G. noch zusätzlich eine Osteoporose diagnostiziert. Ferner sei bei der Klägerin außer den schmerzverursachenden nachweisbaren krankhaften Veränderungen im gesamten Wirbelsäulen- und rechten Schulterbereich von mehreren Rheumatologen eine Fibromyalgie diagnostiziert worden. Da es insbesondere für die Fibromyalgie keine kausale Therapie gebe, sei die Klägerin auf die regelmäßige Einnahme von Schmerzmitteln angewiesen, die jedoch nicht so wirkten, dass sie ein "normales" Leben führen könnte (Aussage vom 21.03.2007).

Anschließend hat der Senat von dem Orthopäden und Rheumatologen Dr. Z., St., ein fachärztliches Gutachten eingeholt. Nach ambulanter Untersuchung der Klägerin hat der Sachverständige in seinem Gutachten vom 07.09.2007 eine Fibromyalgie mittelschweren Ausmaßes, die mit einem GdB von 40 bewertet werden könne, diagnostiziert. Die Veränderungen der Brust- und Lendenwirbelsäule bedingten allerhöchstens einen GdB von 10. Insgesamt sei ein GdB von 40 anzunehmen. In seiner vom Senat eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 23.10.2008 hat Dr. Z. ausgeführt, er bleibe bei seiner Beurteilung, wonach ein GdB von 40 vorliege. Seine von dem Sachverständigen Dr. M. abweichende Einschätzung beruhe darauf, dass er eine Einschränkung der körperlichen Funktionen bei seiner Untersuchung nicht habe feststellen können. Er könne sich daher der Einschätzung, dass ein schweres Fibromyalgiesyndrom bestehe, nicht vorbehaltlos anschließen. Zum Zeitpunkt seiner Untersuchung sei die Situation nicht so schwerwiegend gewesen wie offensichtlich zum Zeitpunkt der Untersuchung von Dr. M ... Schmerzen seien nicht immer gleich und variierten. Wenn aber überhaupt keine nennenswerte Funktionseinschränkung messbar sei, könne eine Schmerzproblematik nicht so massiv sein.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die Akten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den § 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung der Klägerin über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig (§ 151 SGG), aber nicht begründet.

Das SG hat den Beklagten zu Recht nur zur Feststellung eines GdB von 40 verurteilt und im übrigen die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50.

Streitgegenstand ist der Bescheid vom 24.06.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.08.2005 und des Bescheides vom 08.12.2006, mit dem der Beklagte bei der Klägerin - in Ausführung des angefochtenen Urteils - einen GdB von 40 seit 01.01.2000 festgestellt hat. Die Klägerin macht demgegenüber geltend, dass ihre Funktionsbeeinträchtigungen, insbesondere die Auswirkungen der bei ihr vorliegenden Schmerzerkrankung, einen GdB von insgesamt 50 rechtfertigen.

Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung, nach Zehnergraden abgestuft, festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX). Die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen und am 01.01.2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 gelten entsprechend (§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX), so dass die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2008, (AHP) nun als "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (Anlage zu § 2 VersMedV - VG-) weiter heranzuziehen sind.

Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet (vgl. Teil A Nr. 3 der VG). In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (VG a.a.O.). Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung dieser Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (vgl. BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5, jeweils zu den AHP).

Das SG ist unter Heranziehung der genannten gesetzlichen Vorschriften und der Beurteilungsgrundsätze der AHP zu dem Ergebnis gekommen, dass die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin mit einem GdB von 40 zutreffend bewertet sind. Der Senat kommt unter zusätzlicher Berücksichtigung der Ergebnisse der im Berufungsverfahren erfolgten weiteren medizinischen Sachaufklärung zum selben Ergebnis. Die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin rechtfertigen keinen höheren GdB als 40. Diese Beurteilung des Senats begründet sich im wesentlichen auf die Angaben der vom SG gehörten behandelnden Ärzte der Klägerin, das vom SG eingeholte Gutachten von Dr. M., das im Berufungsverfahren eingeholte fachorthopädisch-rheumatologische Gutachten von Dr. Z., die Angaben von Dr. L. im Berufungsverfahren sowie auf die aktenkundigen Klinik- und Arztberichte.

Eine Würdigung der genannten Gutachten und der weiteren ärztlichen Unterlagen ergibt, dass die Klägerin hauptsächlich durch die bei ihr vorliegende Schmerzerkrankung, die einer klassisch somatisch betonten Fibromyalgie entspricht, so Dr. M., beeinträchtigt ist. Hinzu kommen noch Beeinträchtigungen im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule, die eher leichtgradiger Natur sind und keinen höheren GdB als 10 bedingen.

Bei der Klägerin liegt eine Fibromyalgie vor, die mit einem GdB von 40 nicht zu niedrig bewertet ist. Dass die Klägerin an dieser Erkrankung leidet, steht für den Senat außer Zweifel. Alle sich zu diesem Krankheitsbild äußernden Ärzte, insbesondere die vom SG und vom Senat gehörten Sachverständigen und behandelnden Ärzte der Klägerin, aber auch die Ärzte des Beklagten haben diese Diagnose gestellt. Streitig ist jedoch das Ausmaß der durch die Fibromyalgie bei der Klägerin hervorgerufenen Beeinträchtigungen.

Nach den VG (Teil B Nr. 18.4) sind die Fibromyalgie und ähnliche Somatisierungssyndrome (z.B. CFS/MCS) jeweils im Einzelfall entsprechend der funktionellen Auswirkungen analog zu beurteilen. Dabei hält es der Senat - seiner bisherigen Rechtsprechung folgend (Senatsurteile vom 23.11.2007 - L 8 SB 4995/04, 29.08.2008 - L 8 SB 5525/06, 19.12.2008 - L 8 SB 3720/07 und 03.04.2009 - L 8 SB 1447/06) für sachgerecht, die Auswirkungen eines Fibromyalgiesyndroms entsprechend den Maßstäben für psychovegetative oder psychische Störungen zu bewerten. Aufgrund der Schmerzangaben der Klägerin und den entsprechenden Schilderungen der sich hierzu äußernden Ärzte geht der Senat davon aus, dass die als Schmerzerkrankung zu wertende Fibromyalgie Beeinträchtigungen bei der Klägerin hervorruft, die als stärker behindernde psychische Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit im Sinne von Teil B Nr. 3.7 der VG anzusehen sind. Hierfür ist ein GdB von 30 bis 40 vorgesehen. Dem entspricht die Bewertung im angefochtenen Urteil, in dem ein GdB von 40 angenommen worden ist. Damit ist der vorgegebene Bewertungsrahmen von 30 bis 40 also nach oben voll ausgeschöpft worden.

Einen GdB von 50 - wie von Dr. M. in seinem Gutachten vom 06.04.2006 angenommen - hält der Senat nicht für gerechtfertigt. Dies würde nämlich nach Teil B Nr. 3.7 der VG schwere psychische Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten voraussetzen. Erst solche massive psychische Störungen sind danach mit einem GdB von 50 bis 70 zu bewerten. Ein solches Ausmaß hat die bei der Klägerin vorliegende Fibromyalgie nicht. Dies zeigen ihre Angaben zum Tagesablauf und zu ihrem Freizeitverhalten gegenüber dem Sachverständigen Dr. M. und in der Berufungsbegründung. Die dort geschilderten schmerzbedingten körperlichen Beeinträchtigungen im Alltagsleben, die dazu führten, dass sie bei der leichten Hausarbeit stets Pausen einlegen müsse, sie in (nur) weniger als der Hälfte der Fälle Geschirr mit der Hand waschen, Teppichvorleger absaugen, um einige Häuserblocks gehen, Freunde oder Verwandte besuchen und Autofahren könne, stellen zwar - allerdings überwiegend nur zeitweise - erhebliche Beeinträchtigungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit dar, sind aber nicht mit den genannten schweren Störungen gleichzusetzen. Der Auffassung der Klägerin, das Gutachten von Dr. M. belege, dass bei ihr zumindest mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten (mit der Folge eines GdB von 50) bestünden, kann nicht gefolgt werden. Die Klägerin verneinte bei der Untersuchung durch Dr. M. das Vorliegen innerfamiliärer, psychosozialer Belastungssituationen. Sie pflegt noch Außenkontakte. Die Klägerin geht meistens noch selbst einkaufen, geht gelegentlich spazieren (um einige Häuserblocks) und besucht Freunde oder Verwandte und fährt Auto. Ein deutlicher sozialer Rückzug als Ausdruck relevanter sozialer Anpassungsstörungen ist dem Gutachten von Dr M. somit nicht zu entnehmen worauf in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 17.07.2006 von Dr. W. überzeugend hingewiesen wird. Hinzu kommt, dass Dr. M. nur aufgrund einer zusammenfassenden Berücksichtigung der von ihm als mittelschwer bezeichneten körperlichen Beeinträchtigungen und der von ihm selbst als leicht beurteilten seelischen und geistigen Beeinträchtigungen zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Fibromyalgie hier einen GdB von 50 bedingt. Abgesehen davon, dass es der Senat angesichts der hier anzulegenden Maßstäbe für psychovegetative oder psychische Störungen für fragwürdig hält, die Auswirkungen der Fibromyalgie in körperliche Beeinträchtigungen einerseits und seelische und geistige Beeinträchtigungen andererseits zu "trennen", spricht auch diese Beurteilung dafür, dass die Fibromyalgie bei der Klägerin keine Beeinträchtigungen hervorruft, die - wie erforderlich - als schwere psychische Störungen im Sinne von Teil B Nr. 3.7 der VG anzusehen sind. Berücksichtigt man zusätzlich, dass der Sachverständige Dr. Z. bei der Untersuchung der Klägerin keine körperlichen Symptome festgestellt hat, ergibt sich ein - offensichtlich auch starken Schwankungen unterworfenes - Krankheitsbild, das mit einem GdB von 40 nicht zu niedrig bewertet ist. Daran ändert auch das Vorbringen der Klägerin nichts, dass die äußerst ausgeprägte Therapieresistenz und ihr hoher Leidensdruck und der damit verbundene soziale Rückzug einen GdB von 50 rechtfertige. Entscheidend ist das konkret bestehende Ausmaß der mit einer Erkrankung verbundenen Funktionsbeeinträchtigungen.

Im Übrigen folgt der Senat auch der Auffassung des Sachverständigen Dr. M. nicht, wonach die körperlichen sowie seelischen und geistigen Auswirkungen der Fibromyalgie aufgrund der "Anhaltspunkte" entsprechend entzündlich-rheumatischen Erkrankungen (hier mit einem GdB von 50) zu bewerten seien. Wie bereits dargelegt, ist die Fibromyalgie entsprechend den Maßstäben für psychovegetative oder psychische Störungen zu bewerten. Die zitierte ständige Rechtsprechung des Senats wird auch durch die Ausführungen von Dr. W. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 17.07.2006 bestätigt. Die Veränderungen der Brust- und Lendenwirbelsäule sind gesondert zu bewerten. Nach dem vom Senat eingeholten orthopädischen Gutachten von Dr. Z. vom 07.09.2007 bestehen insoweit eine geringe seitliche Verbiegung der Brust- und Lendenwirbelsäule und eine degenerative Veränderung im Segment zwischen dem 1. und 2. Lendenwirbel, die nach der überzeugenden Beurteilung des Sachverständigen keine Funktionsbeeinträchtigung bedingt und nach wie vor muskulär kompensierbar ist. Hinweise für Nervenwurzelreizerscheinungen fand der Sachverständige nicht. Hierfür sei nach seiner Auffassung allerhöchstens ein GdB von 10 anzusetzen. Dies entspricht Teil B Nr. 18.9 der VG, wonach bei Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen ein GdB von 10 anzunehmen ist. Mittelgradige funktionelle Auswirkungen bestehen nach diesem Gutachten, dem insoweit nicht zu folgen der Senat keinen Anlass sieht, nicht, so dass ein GdB von 20 überhöht wäre. Die im Bericht von Dr. H. vom 15.09.2005 wiedergegebenen Ergebnisse der durchgeführten radiologischen Untersuchungen stehen dem nicht entgegen, da die daraus erwachsenenen Funktionsbeeinträchtigungen und nicht die bildgebenden Befunde für die Beurteilung maßgebend sind.

Die Migräne mit Helligkeitsempfindlichkeit ist entgegen dem Berufungsvorbringen der Klägerin im Rahmen der Bewertung der Fibromyalgie berücksichtigt.

Insgesamt ergibt sich kein höherer GdB als 40. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist von der schwerwiegendsten Funktionsbeeinträchtigung, hier der Fibromyalgie (GdB 40), auszugehen. Hinzu kommt das Wirbelsäulenleiden, dass einen GdB von 10 bedingt. Im Hinblick auf die Grundsätze zur Bildung des Gesamt-GdB (vgl. Teil A Nr. 3 d) ee) der VG) ergibt sich dadurch kein höherer Gesamt-GdB. Die entsprechende Beurteilungsregel ist vom Bundessozialgericht ausdrücklich bestätigt worden (vgl. BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 28). Ein Ausnahmefall, der mit der in Teil A Nr. 3 d) ee) der VG genannten Art vergleichbar wäre, liegt hier nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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