S 4 U 119/06

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 4 U 119/06
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 U 159/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Berufskrankheit nach Nr. 4301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung erfasst im Gegensatz zu derjenigen nach Nr. 4302 auch Erkrankungen der oberen Atemwege.

2. Wird im Einzelfall einer hohen beruflichen Tonerstaubbelastung (hier: bei täglich 5.000 bis 10.000 Kopieraufträgen) durch den Sachverständigen bei einer Provokationstestung mit Tonerstaub eine unmittelbare Reaktionslage der oberen Atemwege in Form einer teilweisen Verlegung der Nasenatmung sowie des Abfalls des nasalen Flows von 30 % festgestellt, führt dies zur Anerkennung einer Rhinopathie als Berufskrankheit nach Nr. 4301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung. In diesem Fall braucht nicht entschieden zu werden, ob Tonerstaub im Allgemeinen zu Erkrankungen insbesondere der unteren Atemwege führt.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 16.08.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2005 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verpflichtet, bei dem Kläger das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 4301 der Anlage 1 zur BKVO anzuerkennen und dem Kläger eine Rente nach einer MdE von 20 % zu zahlen.

3. Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung einer Berufskrankheit des Klägers.

Der Kläger begann im Jahr 1970 mit einer beruflichen Tätigkeit als Koch bei der Bundeswehr, in deren Rahmen er bis zum Jahr 1987 in Küchenbetrieb tätig war. Anschließend arbeitete er ebenfalls als Koch bei dem Bundesgrenzschutz in A-Stadt. Aus organisatorischen Gründen wurde ihm 1999 eine andere Tätigkeit beim Bundesgrenzschutz, nämlich als Vervielfältiger im Kopierraum, übertragen. Nachdem der Kläger im Mai 2003 arbeitsunfähig erkrankte, nahm er seine Tätigkeit am Kopierarbeitsplatz nicht mehr auf.

Mit Schreiben vom 7. April 2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Anerkennung einer Berufskrankheit, die infolge seiner Tätigkeit als Vervielfältiger entstanden sei. Zur Begründung trug er vor, dass er in einem Raum von einer Größe von ca. 30 m², der mit zwei Kopieren und einem Hochleistungsdrucker ausgestattet sei, täglich 5000 bis 10.000 Kopienaufträge ausgeführt habe. Etwa zweieinhalb Jahre zuvor habe er Atmungsprobleme bekommen, sein Gesundheitszustand habe sich zunehmend verschlechtert.

Nachdem er sich daraufhin einer lungenfachärztlichen Untersuchung unterzogen hatte, kam der behandelnde Arzt zu dem Ergebnis, dass der Kläger an seinem Arbeitsplatz als Vervielfältiger nicht verbleiben könne. Diese Einschätzung bestätigt im Ergebnis auch der Arbeitsmedizinische Dienst des Grenzschutzpräsidiums Mitte in seiner Stellungnahme vom 20. April 2004 (Bl. 218 ff. der Beklagtenakte).

In einem von der Beklagten im Verwaltungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten des Prof. Dr. GS. vom 27. November 2004 kam dieser zu dem Ergebnis, dass eine Berufskrankheit bei dem Kläger nicht vorliege. Zwar hatte der Sachverständige im Rahmen eines offenen Expositionstests an einem klinikeigenen Kopierer bei dem Kläger Hustenreiz, Fließschnupfen und Augentränen sowie einen Abfall der gemessen maximalen Atemstromstärken um 23,7 % bei fehlender bronchospastischer Sofortreaktionen festgestellt. Gleichwohl gelangte er zu der Einschätzung, dass zwar eine Verschlimmerung der Asthmaerkrankung des Klägers während seiner beruflichen Tätigkeit als Vervielfältiger durchaus glaubhaft, eine Berufskrankheit gemäß Nr. 4301/4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung aber gleichwohl weder im Sinne einer Entstehung noch einer Verschlimmerung einer vorbestehenden Erkrankung anzunehmen sei. Ursächlich für die Verschlimmerung der Asthmaerkrankung sei in erster Linie eine unspezifische Reizwirkung von feinen und ultrafeinen Staubartikeln auf die infolge der seit Jahren abgelaufenen allergischen Krankheitsvorgänge chronisch-entzündliche veränderten Schleimhäute der oberen und unteren Atemwege. Hierbei handele es sich aber nach bisherigem Kenntnisstand nicht um eine chemisch-irritative oder toxische Wirkung, sondern um einen rein partikulären Effekt der Feinstäube. Eine solche Erkrankung finde sich in der Liste der Berufskrankheiten jedoch nicht.

In einer Stellungnahme des Instituts für Arbeit- und Sozialmedizinische Allergiediagnostik vom 1. Februar 2005 (Bl. 296 ff. der Beklagtenakte) kommt der Sachverständige Prof. YF. zu dem Ergebnis, dass die Schlussfolgerungen des Sachverständigen GS. nicht ausreichend valide seien. Die Schlussfolgerung, es handele sich nicht um eine Berufskrankheit im Sinne der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung, sei nicht ausreichend belegt. Dem Gutachten hafteten methodische und Interpretationsschwächen an, deren Behebung im weiteren Ablauf des Verfahrens wichtig sei.

Im Rahmen einer sich auf Veranlassung der Beklagten anschließenden stationären Begutachtung des Klägers durch den Sachverständigen YF. konnte dieser jedoch ebenfalls keinen Beleg einer Berufskrankheit im Sinne der Nr. 4301/4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung feststellen. Letztlich bestünden lediglich Hinweise auf ein eher leichtgradiges Asthma bronchiale mit deutlicher psychischer Überlagerung in Kombination mit einer ausgeprägten unspezifischen bronchialen Reizbarkeitssteigerung. Es handele sich primär um ein anlagebedingtes Grundleiden, welches gelegentlich im Verlauf der beruflichen Tätigkeit akzentuiert aufgetreten sei. Es liege eine Atemwegserkrankungen vor, diese lasse sich jedoch nicht der Nr. 4302 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung zuordnen.

Da der Kläger jedoch im Rahmen der Untersuchung eine Expositionstestung mit den angeschuldigten Tonerstäuben verweigert habe, könne insofern aktuell nicht mit genügender Sicherheit eine entsprechende Überempfindlichkeit festgestellt werden.

Sodann lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16. August 2005 die Feststellung einer entschädigungspflichtigen Berufskrankheit bei dem Kläger ab. Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, dass aufgrund der eingeholten sachverständigen Stellungnahmen ein Kausalzusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit des Klägers und der diagnostizierten Atemwegserkrankungen nicht belegt werden könne. Die Anerkennung einer Berufskrankheit im Sinne der Nr. 4302 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung scheide daher aus.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 10. Oktober 2006, dem Bevollmächtigten des Klägers zugestellt am 20. Oktober 2006, zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass trotz Durchführung mehrerer Untersuchungen keine ausgeprägte obstruktive Atemwegserkrankung habe diagnostiziert werden können. Dies gelte insbesondere für eine Berufskrankheit im Sinne der Nr. 4302 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung, da hauptsächlich außerberufliche Faktoren für die Entstehung der Atemwegserkrankungen des Klägers verantwortlich zu machen seien. Zudem bestehe bei ihm eine relativ gute Lungenfunktion, so dass eine richtunggebende Verschlimmerung einer Atemwegserkrankung durch Tonerstäube ebenfalls nicht habe festgestellt werden können. Zwar fehlten aufgrund der Zustimmung des Klägers beweiskräftige Ergebnisse eines bronchialen Expositionstests mit Tonerstaub. Die bloße Möglichkeit einer sensibilisierenden Wirkung reiche für die Anerkennung einer Krankheit jedoch nicht aus. Bei dem Kläger liege vielmehr ein anlagebedingtes Grundleiden in Gestalt eines hyperreagiblen Bronchialsystems gegenüber alltäglich und aller Orts vorkommenden Stoffen vor.

Aus denselben Gründen liege auch eine Berufskrankheit nach Nr. 4301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung nicht vor, denn diesbezüglich handele es sich um das gleiche medizinische Bild. Lediglich die verursachenden Stoffe seien andere. Entsprechend den Feststellungen der Sachverständigen seien aber auch die entsprechenden organischen Stoffe nicht als ursächlich für die Atemwegserkrankungen des Klägers anzusehen. Im Übrigen liege auch keine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII vor.

Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten 20. November 2006, der am selben Tag bei dem Sozialgericht Fulda eingegangen ist, hat der Kläger gegen die zuvor zitierten Bescheide Klage erhoben. Zur Begründung führte der Kläger aus, dass die enorme Belastung durch Tonerstäube aufgrund der täglichen Exposition im Umfang von 8,5 Stunden und ca. 8000 bis 15.000 Druckaufträgen geeignet seien, Berufskrankheiten nach Nr. 4301 bzw. 4302 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung auszulösen. Diese Einwirkungen des Tonerstaubs, die der Kläger während seiner versicherten Tätigkeit erlitten habe, hätten zudem die bei ihm festgestellten Erkrankungen ausgelöst.

Der Kläger beantragt,
den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 16. August 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Oktober 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger sozialrechtliche Leistungen nach den gesetzlichen Vorgaben, insbesondere Rentenleistungen wegen Berufsunfähigkeit aufgrund des Vorliegens einer Berufskrankheit nach Nr. 4301/4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung bzw. nach § 9 Abs. 2 SGB VII mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 % zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich im Wesentlichen auf ihre Feststellungen im Verwaltungsverfahren sowie die in den angegriffenen Bescheiden niedergelegten Gründe.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines internistisch-pneumologischen Gutachtens des Prof. Dr. D., dass dieser unter dem 5. Juni 2007 mit Ergänzung vom 3. September 2007 vorgelegt hat. Weiterhin wurde Beweis erhoben durch Einholung eines internistisch-umweltmedizinischen Gutachtens des Prof. Dr. I. vom 25. März 2009 mit ergänzender Stellungnahme vom 21. September 2009, das im Wesentlichen auf dem HNO-ätzlichen/allergologischen Zusatzgutachten des Dr. H. vom 17. Dezember 2008 beruht. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die vorbezeichneten Gutachten, wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den übrigen Inhalt der Verfahrensakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet. Der Kläger leidet infolge der im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit erfolgten Exposition gegenüber Tonerstäuben an einer obstruktiven Atemwegserkrankung in Form der Rhinopathie, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen hat, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das wieder aufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Dies steht zur Überzeugung der Kammer fest aufgrund der Gutachten der Sachverständigen Prof. I. und Dr. H., die ohne Zweifel und Widersprüche festgestellt haben, dass bei dem Kläger eine ausgeprägte Reaktionslage der oberen Atemwege und damit eine allergische Atemwegserkrankung bei dem Kläger besteht. Aufgrund der von dem Sachverständigen H. durchgeführten Testung mit Tonerstaub in Form dessen Aufbringung auf die Nasenschleimhaut konnte festgestellt werden, dass diese zu einem signifikanten Anstieg des nasalen Widerstandes mit Normalisierung der Werte in den darauf folgenden Tagen führte. Dies ist nach sachverständiger Einschätzung als eine erhebliche Sensibilisierung gegenüber dem getesteten Stoffgemisch zu werden. Die durch die Expositionstestung ausgelösten Reaktionen in Form von Hustenreiz, Halsschmerzen, Hautjucken, Stimmlähmung und Tränenfluss sind durch psychogene Ursachen nicht erklärbar. Gleichzeitig fehlt es an Hinweisen dafür, dass diese ausgeprägte Sensibilität der Schleimhäute des oberen Atemwegssystems bereits vor Aufnahme der beruflichen Tätigkeit als Vervielfältiger bestanden haben könnte. Der Sachverständige H. weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich daraufhin, dass im Gutachten des von der Beklagten herangezogenen Sachverständigen Prof. YF. vom 9. Juni 2005 zahlreiche organspezifische Provokationstests sämtlich im Sinne einer Negativreaktion bewertet wurden. Daher kann ausgeschlossen werden, dass die Reaktion der Schleimhäute der Atemwege auf deren unspezifisch-hyperreagiblen Sensibilität beruht, denn andernfalls wäre bei den Provokationstestungen des Sachverständigen YF. eine positive Reaktion zu erwarten gewesen. Daher ist nach überzeugender Schlussfolgerungen des Sachverständigen H. die ausgeprägte Positivreaktion im Rahmen der nasalen Testung des Klägers als spezifisch gegenüber Tonerstaub gerichtet zu bewerten. Nach den eindeutigen Feststellungen des Sachverständigen I. (S. 35 des Gutachtens vom 25. März 2009) stellt sich die Erkrankung des Klägers auch als allergische dar.

Diese Erkrankung der oberen Atemwege ist als Berufskrankheit im Sinne der Nr. 4301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung anzusehen. Da seit Inkrafttreten der Verordnung zur Änderung der Berufskrankheitenverordnung vom 22. März 1988 (BGBl. I, S. 400) der Begriff der Berufskrankheit nach dieser Vorschrift um die Rhinopathie erweitert wurde, werden seit dem auch Erkrankungen der oberen Atemwege erfasst, während das Verständnis der Vorschrift, ohne dass sich dies aus dem Wortlaut ergeben hätte, zuvor ausschließlich auf Erkrankungen der unteren Atemwege beschränkt war (vgl. BSG, NZS 2008, 604 [605]). Da Krankheitssymptome durch sensibilisierenden Stoffe

sowohl die oberen als auch die tieferen Atemwege betreffen, hat der Verordnungsgeber die Beschränkung auf die unteren Atemwege ausdrücklich aufgegeben (s. BR-Drs. 33/88, S. 9).

Die bei dem Kläger vorliegende Rhinopathie erweist sich auch als obstruktiv. Wie der Sachverständige H. festgestellt hat, kam es zu einer teilweisen Verlegung der Nasenatmung, womit die Obstruktion (Verstopfung) belegt ist. Auch der Abfall des nasalen Flows von 30 % gegenüber dem Ausgangswert ohne Provokation belegt, dass der Tonerstaub bei dem Kläger obstruktiv wirkt.

Die Rhinopathie des Klägers hat diesen auch zur Aufgabe der ausgeübten sowie vergleichbarer Tätigkeiten gezwungen. Er ist seit dem Jahr 2003 nicht mehr beruflich tätig gewesen. Dies entspricht auch der Einschätzung des Arbeitsmedizinischen Dienstes des Grenzschutzpräsidiums Mitte vom 20. April 2004, der eine weitere Beschäftigung als Vervielfältiger und in Arbeitsumgebungen mit gleichen Einwirkungen ausgeschlossen hat.

Die gutachterlichen Ausführungen des Sachverständigen Dr. D. können ebenso wenig wie das Vorbringen der Beklagten dieses Ergebnis in Fragen stellen.

Die Feststellungen des Sachverständigen D. betreffen nämlich allein die unteren Atemwege. So führte er etwa aus, dass durch die versicherten Tätigkeit als Vervielfältiger und Kopierer beim Bundesgrenzschutz keine rechtlich wesentliche Verschlimmerung des anlagebedingten Vorschadens "exogen-allergisches Asthma bronchiale mit Infektexazerbation und chronisch-obstruktiver Bronchitis" herbeigeführt worden sei. Die gemessenen statischen und dynamischen Lungenvolumina seien keineswegs besonders eingeschränkt (S. 28 des Gutachtens vom 5. Juni 2007). Weiter führt der Sachverständige aus, dass das Ausmaß der Tonerstaub-Emissionen, denen der Kläger während der versicherten Tätigkeit ausgesetzt gewesen sei, keinesfalls ausgereicht haben könne, Gesundheitsschäden, wie sie seitens des Klägers vorgetragen werden, zu verursachen. Auch diese Feststellung bezieht sich auf Erkrankungen der tieferen Atemwege.

Nähere Darlegungen zu einer Erkrankung der oberen Atemwege finden sich nicht. Zwar weist der Sachverständige D. in anderem Zusammenhang auf eine festgestellte polypöse Sinusitis hin, auf die vom Kläger beschriebene Verschlimmerungen seiner Infekte auch nach dem Ende der Tätigkeit als Vervielfältiger zu beziehen seien (S. 33 des Gutachtens vom 5. Juni 2007). Eine nähere Darlegung in Bezug die Reaktionslage der oberen Atemwege infolge des Kontaktes mit Tonerstaub findet sich im Rahmen der gutachterlichen Ausführungen jedoch nicht.

An den gleichen Defiziten im Hinblick auf die Feststellungen der Gutachter I./H. leidet auch die arbeitsmedizinisch-pulmologische Stellungnahme des Dr. X vom 14. September 2009, die die Beklagte zuletzt zur Akte gereicht hat. Dies gilt zunächst insofern, als hierin zunächst allgemeine Ausführungen zum Stand der Wissenschaft betreffend die gesundheitsschädigende Wirkung von Tonerstaub im Hinblick auf die tieferen Atemwege gemacht werden. Es fehlt an konkreten Darlegungen im Hinblick auf die unter der Nr. 4301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung zu berücksichtigende Rhinopathie. Insofern gehen sämtliche Ausführungen vor dem hier zu diskutierenden Hintergrund fehl, die sich auf die Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung beziehen. Nur ergänzend sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass auch die Beklagte im Widerspruchsverfahren insoweit die Besonderheit der Erweiterung der Berufskrankheit nach Nr. 4301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung um die Rhinopathie nicht ausreichend berücksichtigt hat. Denn sie führt im Widerspruchsbescheid auf den Einwand einer unzureichenden Prüfung dieser Krankheit aus, dass es sich insoweit um das gleiche medizinische Bild, missachtet also die durch die Verordnung vom 22. März 1988 (BGBl. I, S. 400) erfolgte Erweiterung des Krankheitsbildes in Nr. 4301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung.

Soweit dann unter Nr. 6 (S. 8 der Stellungnahme vom 14. September 2009) eine Beurteilung des konkreten Falles des Klägers vorgenommen wird, nimmt Dr. X auf seine allgemeinen Ausführungen zur Schädlichkeit von Tonerstaub Bezug und vertritt sodann die Auffassung, dass sich die Belastungen der Luft, sowohl Staubpartikel als auch flüchtige organische Substanzen betreffend, um mehrere Größenordnungen unterhalb etablierter arbeitshygienischen Grenzwerte bewegten, wie sie bei der Frage einer berufsbedingten Schädigung zu fordern sein. Inwiefern feine und feinste Partikel des Toners zu definierten Krankheitsbildern am Atmungsorgan führten, sei derzeitig nicht zu beantworten. Es fehlt an einer Auseinandersetzung, wie denn die seitens des Sachverständigen H. festgestellten akuten Reaktionen der Nasenschleimhaut des Klägers, die in ihrem Grundsatz auch schon durch den von der Beklagten herangezogenen Sachverständigen YF. als solche festgestellt worden waren, zu erklären sein könnten, wenn nicht durch die Einwirkung des als Substanz des Provokationstests benutzten Toner.

Abschließend führt Dr. X aus, es fehle derzeit an leistungsfähigen Aussagen zur Staubwirkung im Bereich kleinster Partikelgrößen auf das Atmungsorgan und an jeglichen epidemiologischen Untersuchungen bei Beschäftigten an Laser-Kopieren und Druckern. Darüber hinaus sei der konkrete Fall des Klägers besonders ungeeignet, um eine kausale Diskussion über die Wirkung von Tonerstäuben oder weiteren Bestandteilen dieses komplexen Stoffgemisches zu führen. Denn unzweifelhaft sei der Kläger schon seit seiner Jugendzeit im Bereich der Atmungsorgane vorbelastet.

Letzteres Argument leuchtet zwar unmittelbar ein und erschwert in der Tat eine objektivierte Zusammenhangsbeurteilung. Dies kann jedoch nicht in Frage stellen, dass der Sachverständige H. eine unmittelbare Reaktionslage der oberen Atemwege des Klägers auf Tonerstaub festgestellt hat, an deren objektivem Vorliegen die Kammer keinerlei Zweifel hat. Daher erübrigen sich nach Einschätzung der Kammer theoretische, vom vorliegenden und hier allein zu beurteilenden Einzelfall abstrahierte Erwägungen zu der Frage, ob eine kausale Beziehung zwischen der Tonerbelastung des Klägers während seiner versicherten Tätigkeit und der festgestellten Rhinopathie nach aktuellem, von großer Unsicherheit, wenn nicht gar Unwissenheit in weiten Bereichen geprägten wissenschaftlichen Kenntnisstand belegt werden kann. Da die Reaktionslage der oberen Atemwege des Klägers auf Tonerstaub feststeht, könnte ein Kausalzusammenhang zur versicherten Tätigkeit des Klägers nur dann verneint werden, wenn der wissenschaftliche Kenntnisstand in einer Weise gesichert wäre, die objektiv die Verursachung durch die Exposition des Klägers während seiner versicherten Tätigkeit ausschließen würde. Hiervon kann aber nach den sachverständigen Äußerungen des Dr. D. und auch nach der Stellungnahme von Dr. X keineswegs ausgegangen werden. Vielmehr zeigen beide auf, dass zwar wissenschaftliche Einschätzungen vorliegen im Hinblick auf die notwendige Staubdosis zur Verursachung einer Krankheit. Doch beziehen sich diese auf die tieferen Atemwege und es bleibt ausdrücklich offen, welche Auswirkungen feine und feinste Partikel des Toners haben können (vgl. S. 9 der Stellungnahme Dr. X vom 14. September 2009).

Nach alledem ist die Beklagte verpflichtet, bei dem Kläger eine Berufskrankheit nach Nr. 4301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen. Im Hinblick auf die in der heutigen Berufswelt allgegenwärtige Nutzung von Laserdruckern muss dabei die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) rentenberechtigendes Ausmaß erreichen. Da es jedoch einer durchaus intensiven Exposition des Klägers zur Auslösung der Reaktionslage der oberen Atemwege, wie sie von dem Sachverständigen H. beschrieben worden ist, bedarf, konnte sich die Kammer der Einschätzung des Sachverständigen I., eine MdE von 30 % festzusetzen, nicht anschließen. Die Kammer schätzt vielmehr deren Höhe auf 20 % ein. Denn auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sind im Übrigen ausreichende Beschäftigungsmöglichkeiten vorhanden, die einen entsprechenden Kontakt des Klägers mit Tonerstaub vermeiden, wie er zur Auslösung der Reaktionslage der oberen Atemwege des Klägers erforderlich ist.

Eine Berufskrankheit im Sinne der Nr. 4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung konnte nicht festgestellt werden. Denn hiervon werden Erkrankungen der oberen Atemwege im Gegensatz zu Nr. 4301 nicht erfasst (s. BSG, NZS 2008, 604 [605]). Die Erkrankungen der tieferen Atemwege des Klägers sind jedoch nach übereinstimmender Einschätzung der Sachverständigen als berufsunabhängig zu bewerten.

Gleichwohl bedurfte es keiner teilweisen Klageabweisung. Denn die Kammer wertet den Antrag des Klägers dahingehend, dass die Feststellung der konkreten Berufskrankheit alternativ begehrt worden ist. Da die Kammer dem Kläger zudem einen Anspruch auf Rentenzahlung zuerkannt hat, hat der Kläger somit vollständig obsiegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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