L 5 KR 1494/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 9 KR 2644/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 1494/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 30. Januar 2007 aufgehoben und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten steht die Kostenübernahme und Kostenerstattung für das nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel Intal Inhalationslösung 1 % im Streit.

Die 1962 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Bei ihr ist aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung seit den 70er Jahren ein GdB (Grad der Behinderung) von 100 sowie das Merkzeichen "G" festgestellt.

Am 26. April 2004 legte die Klägerin ein Kassenrezept des Internisten Dr. N. vom 19. April 2004 über Intal Brechampullen 1 % mit dem Vermerk "Standardtherapie bei schwerem allergischem Asthma bei allergischer Vasculitis" vor und bat um Überprüfung und gegebenenfalls Vorlage an den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK). Sie bat insbesondere darum, dies schnellstmöglich zu klären, da ihr DNCG-Präparat (Anm.: DNCG = Dinatriumcromoglycat = Cromoglicinsäure) nur noch eine Woche reiche. Mit Schreiben vom 29. April 2004 teilte die Beklagte der Klägerin diesbezüglich mit, sofern Medikamente vom Arzt durch einen vertraglichen Vordruck verordnet würden, bringe er damit zum Ausdruck, dass dieses Medikament für die Therapie medizinisch notwendig sei. Eine Bewilligung durch die Krankenkasse dürfe dabei nicht erfolgen. Aufgrund dessen sei auch eine Abstimmung mit dem MDK nicht möglich. Mit einem weiteren Schreiben vom 10. Mai 2004 wies die Beklagte die Klägerin auch nochmals darauf hin, dass aufgrund des zur Zeit geltenden Arzneimittellieferungsvertrages aufgrund der Verordnung zu Kassenlasten (Muster 16) die Abgabe des Präparates durch die Apotheke erfolge und bei Abrechnung durch die Apotheke die Beklagte den Betrag für das Mittel nicht von der Rechnung absetzen werde. Verantwortlich für eine Verordnung zu Kassenlasten sei einzig und allein der verordnende Vertragsarzt. Sofern ein Antrag auf Prüfung eines sonstigen Schadens zu stellen wäre, werde dieser gegenüber dem verordnenden Arzt geltend gemacht.

Am 25. April 2005 beantragte die Klägerin die Kostenübernahme bzw. -erstattung des vom Lungenfacharzt Dr. B. auf Privatrezept verordneten Arzneimittels Intal Inhalationslösung 1 % 50 Brechampullen N1. Als Diagnose sind schwerstes Asthma und Vasculitis genannt, handschriftlich ist ferner auf der Verordnung der Zusatz "necesse est" vermerkt.

Mit Bescheid vom 26. April 2005/4. Mai 2005 (Bl. 9/11 Verwaltungsakte - VA -; jeweils ohne Rechtsbehelfsbelehrung) teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass das von Dr. B. verordnete Medikament nicht verschreibungspflichtig sei. Diese Medikamente seien in der Apotheke frei verkäuflich und könnten nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen abgegeben werden. Es sei weder eine Bewilligung der Krankenkasse im Voraus zulässig, noch eine nachträgliche Erstattung möglich.

Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch mit der Begründung, dass die Gabe von DNCG (Anm.: dies enthält wie Intal Inhalationslösung den gleichartigen Wirkstoff Cromoglycinsäure) eine notwendige Therapie bei schwerem Asthma bronchiale als Teil einer allergisch generalisierten Vaskulitis sei. Sie leide seit 1977 an schwerstem Asthma und sei ununterbrochen corticoidpflichtig. Sie inhaliere DNCG viermal täglich nach Erweiterung der Bronchien; dies sei Teil einer Gesamttherapie. Zu dieser DNCG-Therapie gebe es keine Alternativen, lediglich die Erhöhung der Gabe von Steroiden.

Mit Bescheid vom 3. Juni 2005 (Bl. 14 VA) lehnte die Beklagte weiterhin die Übernahme der Kosten der Arzneimittelversorgung ab und führte u. a. aus, dass der Gesetzgeber mit dem Modernisierungsgesetz der Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz) zum 1. Januar 2004 nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung durch die gesetzliche Krankenversicherung ausgeschlossen habe. Nach einer Übergangsfrist sei seit dem 1. April 2004 eine kassenärztliche Verordnung zu Lasten der Krankenkassen nicht mehr möglich. Der behandelnde Arzt Dr. B. habe das Arzneimittel Intal Inhalationslösung dementsprechend auch auf Privatrezept verordnet. Da es sich bei Intal Inhalationslösung 1 % um ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel handele, sei eine Kostenerstattung nicht möglich.

Die Klägerin hielt ihren Widerspruch weiterhin aufrecht, der sodann von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 2005 zurückgewiesen wurde. Darin führte die Beklagte nochmals ausführlich aus, dass die Krankenbehandlung nach § 27 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) insbesondere auch ärztliche und zahnärztliche Behandlung sowie die Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln (§ 31 SGB V) umfasse, soweit diese nicht nach § 34 SGB V oder den Arzneimittel-Richtlinien (AMR) ausgeschlossen seien. Gemäß § 34 Abs. 1 SGB V in der Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes seien ab dem 1. Januar 2004 nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen. Die Verordnung dieser Arzneimittel sei nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V ausnahmsweise nur dann zulässig, wenn die Arzneimittel bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten würden. Der Gemeinsame Bundesausschuss habe entsprechend der Ermächtigung in § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V eine Änderung der AMR nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V in seiner Sitzung am 16. März 2004 beschlossen. Den Nummern 16.2 und 16.3 der geänderten AMR, die zugleich Bestandteil des Arzt-Ersatzkassen-Vertrages (EKV-Ä) seien, sei zu entnehmen, wann eine Krankheit schwerwiegend und wann ein Arzneimittel als Therapiestandard im Sinne der gesetzlichen Neuregelung anzusehen sei. Nr. 16.4 enthalte eine abschließende Auflistung der schwerwiegenden Erkrankungen und der der Behandlung dienenden Standardtherapeutika. Darüber hinaus könnten keine weiteren nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel zu Kassenlasten verordnet werden. Das Präparat Intal Inhalationslösung sei apotheken-, aber nicht verschreibungspflichtig. Es enthalte den Wirkstoff Cromoglycin und zähle zur pharmakologischen Gruppe der Antihistaminika. Antihistaminika seien unter Nr. 16.4.5 der AMR aufgelistet, jedoch nur zur Behandlung schwerer Urtikarien bzw. bei schwerwiegendem, anhaltendem Pruritus sowie in Notfallsets zur Behandlung bei Bienen-, Wespen-, Hornissengiftallergien. Das Präparat Intal Inhalationslösung werde bei der Klägerin aber nicht aufgrund der vorgenannten Diagnosen benötigt. Eine Kostenübernahme durch die beklagte Krankenkasse scheide damit aus. Ein Ermessensspielraum sei der gesetzlichen Krankenkasse aufgrund der zwingenden Regelung nicht eingeräumt. Individuelle Ausnahmeregelungen könnten nicht getroffen werden.

Dagegen hat die Klägerin am 24. August 2005 Klage vor dem Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie u. a. darauf verwiesen, dass DNCG kein direktes Antihistaminikum sei. Das bei ihr vorliegende Churg-Strauss-Syndrom sei eine äußerst seltene Krankheit, weshalb dies in den AMR als Ausnahmeindikation wohl "übersehen" worden sei. Sie hätte keine Alternative zur Intal Inhalationslösung, deren Anwendung neben massiven anderen krankheitsbedingten Kosten beträchtliche weitere jährliche Kosten verursache. In dieser Berechnung ist die Klägerin von Zusatzkosten für das hier streitige Arzneimittel in Höhe von ca. 600 EUR jährlich ausgegangen. Die Klägerin hat im Klageverfahren noch Rezeptkopien über das Arzneimittel Intal Inhalationslösung vom 7. April 2005 bis 29. Januar 2007 vorgelegt, ausweislich derer insgesamt tatsächlich Kosten in Höhe von 498,69 EUR für das hier streitige Arzneimittel angefallen sind.

Die Klägerin hat ferner ein Kurzgutachten des Lungenfacharztes Dr. B. vom 22. Juni 2006 vorgelegt (Bl. 60 SG-Akte). Dr. B. hat darin erläutert, dass die Klägerin wegen eines Asthma bronchiale seit ca. 20 Jahren in seiner ambulanten Behandlung stehe. Das Krankheitsbild der Klägerin sei durch einen besonders komplikationsträchtigen, problematischen Verlauf gekennzeichnet, der über Jahre hinweg eine maximale medikamentöse Therapie unter Einschluss oraler und inhalativer Cortisonpräparate sowie von weiteren entzündungshemmenden Medikamenten erforderlich mache. Als ein wesentlicher Teil der medikamentösen Therapie sei hierbei die regelmäßige (mehrfach tägliche) Inhalation von DNCG-haltigen Medikamenten (Intal Inhalat) zu sehen. Der Einsatz dieses Medikaments sei auch weiterhin unter medizinischen Gesichtspunkten erforderlich und indiziert, allerdings werde seitens der Krankenkasse die Übernahme dieser Therapie unter Verweis auf eine Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses abgelehnt. Dieser habe bei einer Novellierung der Verordnungsrichtlinien für den Einsatz von DNCG-haltigen Medikamenten unter dem Gesichtspunkt, dass leichte Erkrankungen kostenmäßig allein auf den Versicherten übergehen sollten, DNCG in inhalativer Form aus dem Katalog der verordnungsfähigen Medikamente herausgenommen. Dabei seien Kostengesichtspunkte führend gewesen, da hier das Bild einer leichten, jahreszeitlich beschränkten oberflächlichen Symptomatik (so genannter Heuschnupfen) als Regel-Indikationsgebiet zugrunde gelegen habe. Im vorliegenden Fall werde dies aber der besonderen Ausprägung des Einzelfalles nicht gerecht. Für die Klägerin stelle die Inhalation mit DNCG einen unverzichtbaren Therapiebestandteil bei einem schweren, ausgeprägten und mit erheblichen Einschränkungen einhergehenden Asthma bronchiale dar. Auf die Substanz verzichten zu müssen, würde ein nicht akzeptables Risiko für das Leben der Klägerin darstellen. Von daher halte er es auch nicht für angemessen, das Kostenrisiko der weiteren regelmäßigen Inhalation allein auf die Klägerin zu übertragen.

Die Beklagte ist dem entgegen getreten und hat darauf verwiesen, dass sie zwar nicht in Abrede stelle, dass vorliegend die Behandlung mit dem Präparat Intal Inhalationslösung medizinisch notwendig, erforderlich sowie wirtschaftlich sinnvoll sei. Es bleibe allerdings nach wie vor als erheblich herauszustellen, dass es sich nicht um ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel handele, demzufolge müsse es bei ihrer Ablehnung verbleiben. Die verbindlichen AMR ließen keine Ausnahmeregelung zu.

Mit Urteil vom 30. Januar 2007 hat das SG der Klage stattgegeben, die Bescheide der Beklagten vom 4. Mai 2005 und 3. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2005 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Kosten für die Behandlung mit Intal Inhalationslösung 1 % nach ärztlicher Verordnung in gesetzlicher Höhe zu übernehmen und die Kosten in Höhe von 498,69 EUR abzüglich der gemäß § 31 Abs. 3 SGB V zu leistenden Zuzahlung zu erstatten. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass zwar das Arzneimittel Intal Inhalationslösung mit dem Wirkstoff Cromoglycinsäure von der kassenärztlichen Versorgung ausgeschlossen sei, da es sich um ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel handele. Ein "Ausschluss vom Ausschluss" werde vorliegend auch nicht über Nr. 16.4.5 (Antihistaminika) der AMR begründet, da die dort genannten Indikationen bei der Klägerin nicht vorliegen würden. Allerdings sei an die Ausnahmevorschrift der Nr. 16.6 zu denken, wonach nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, die begleitend zu einer medikamentösen Haupttherapie mit zugelassenen, im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung verordnungsfähigen Arzneimitteln eingesetzt würden (Begleitmedikation), verordnungsfähig seien, wenn das nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel als Begleitmedikation in der Fachinformation des Hauptarzneimittels vorgeschrieben sei. Vorliegend leide die Klägerin an einem lungenfachärztlich bestätigten schweren Asthma bronchiale, sodass das eigentlich als "Vorfeldmedikament" verwendete Arzneimittel Intal Inhalationslösung im Rahmen einer Gesamttherapie als Begleitmedikation zu sehen sei. Es gehe vorliegend nicht um die Behandlung saisonal bedingter Indikationen (Heuschnupfen), im Fall der Klägerin sei die Versorgung mit Intal Inhalationslösung einer von mehreren Bausteinen einer Gesamttherapie zur Behandlung ihrer schweren Lungenerkrankung. Es müsse jedoch mangels entsprechender Ermittlungen ausdrücklich offen gelassen werden, ob hier die Ausnahmevorschrift nach Nr. 16.6 AMR zur Anwendung komme, nachdem nicht festgestellt sei, ob Intal Inhalationslösung als Begleitmedikation des bzw. der Hauptmittel zwingend vorgeschrieben sei. Allerdings könne diese Frage auch offen bleiben, da die Klägerin jedenfalls zu Recht auf die anspruchsbegründende Vorschrift des § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V hingewiesen habe, wonach ein Vertragsarzt Arzneimittel, die aufgrund der Richtlinie nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V (Arzneimittelrichtlinie - AMR -) von der Versorgung ausgeschlossen seien, ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung verordnen könne. Diese Vorschrift sei Ausprägung eines gesetzlich normierten Systemversagens, wonach ausnahmsweise auch grundsätzlich ausgeschlossene nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zu Lasten der Beklagten als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden könnten, wenn der Verordnungsausschluss nicht in Übereinstimmung mit der Intention des Gesetzes stehe. Der Versorgungsausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel des § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V sei von der Grundidee getragen, die Eigenverantwortlichkeit des Versicherten im Bereich von so genannten Bagatellarzneimitteln zu stärken. Im vorliegenden Fall sei ein Ausnahmefall gegeben. Denn die Verabreichung des Arzneimittels Intal Inhalationslösung diene vorliegend gerade nicht zur Behandlung einer leichteren Erkrankung, welche in Eigenverantwortlichkeit der Versicherten auf Kosten der Versicherten verabreicht würden. Wie vielmehr auch durch das Kurzgutachten des Lungenarztes Dr. B. bestätigt worden sei, sei das Arzneimittel Intal Inhalationslösung lediglich ein kleiner, aber notwendiger Teil eines Gesamtbehandlungskonzeptes zur Behandlung der schweren Erkrankung der Klägerin, sodass der grundsätzliche Leistungsausschluss des § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V wegen der entgegenstehenden und hier anspruchsbegründenden Vorschrift des § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V nicht eingreife. Dies habe Dr. B. bereits in seiner Verordnung vom 7. April 2005 zum Ausdruck gebracht, indem er die medizinische Notwendigkeit mit dem Zusatz "necesse est" unterstrichen habe. Im Hinblick darauf habe die Klägerin Anspruch auf künftige Kostenübernahme der Behandlung mit dem Arzneimittel Intal Inhalationslösung sowie auf Erstattung der Kosten in Höhe von 498,69 EUR, wobei hiervon die gemäß § 31 Abs. 3 SGB V zu leistenden Zuzahlungen abzuziehen seien.

Die Beklagte hat gegen das ihr mit Empfangsbekenntnis am 1. März 2007 zugestellte Urteil am 21. März 2007 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt die Beklagte aus, nach den Regelungen in § 34 SGB V und den AMR, wobei die AMR abschließend seien, sei das nicht verschreibungspflichtige Präparat Intal Inhalationslösung von der kassenärztlichen Versorgung ausgeschlossen. Dennoch habe das SG für Recht erkannt, dass vorliegend ein Anspruch der Klägerin auf das streitige Präparat aufgrund eines "Systemversagens" gegeben sei und dies insbesondere damit begründet, dass ein Vertragsarzt nach § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V ausgeschlossene Arzneimittel ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfälle verordnen dürfe. Daraus habe das SG gefolgert, dass auch die Beklagte verpflichtet sei, entsprechende Präparate zu bewilligen. Die Genehmigung von Arzneimitteln durch die Beklagte würde jedoch gegen geltende Bestimmungen verstoßen, da Verordnungen nach dem Bundesmantelvertrag nur vom behandelnden Arzt möglich seien, bzw. dort ausgeschlossen werde, dass die Verordnung eines Medikaments von der Krankenkasse genehmigt werde. Nach Nr. 16.1 des Abschnitts F der AMR könne ein Arzt bei schwerwiegenden Erkrankungen auch Arzneimittel verordnen, die als Therapiestandard gelten würden. Dies bedeute jedoch, dass als Konsequenz der entsprechenden Regelungen der AMR die Verordnung nur durch den behandelnden Arzt erfolgen könne. Auch nach der Regelung des Bundesmantelvertrags sei es ausgeschlossen, dass die Verordnung eines Medikamentes von der Krankenkasse genehmigt werde. Ebenso sei es nach Auffassung der Beklagten ausgeschlossen, dass ein Gericht eine Krankenkasse zur Übernahme der Kosten eines entsprechenden Medikamentes verurteile, obwohl eine ärztliche Verordnung darüber nicht vorliege. Die Entscheidung, ob ein Medikament verordnungsfähig sei, das heiße, ob die Ausnahmeregelungen nach den gesetzlichen Vorschriften in Verbindung mit den AMR vorliegen würden, habe allein der behandelnde Arzt zu treffen. Würden die Voraussetzungen vorliegen, so könne und müsse der behandelnde Arzt das entsprechende Medikament verordnen, ohne einen Regress fürchten zu müssen. Ob das entsprechende Medikament unter die gesetzlichen Regelungen falle und von ihm ausnahmsweise verordnet werden dürfe, könne ein Arzt in Zweifelsfällen bei den zuständigen beratenden Ärzten der Kassenärztlichen Vereinigung in Erfahrung bringen. Soweit die Verordnung ausgeschlossen sei, liege es im Aufgabenbereich des Arztes, ein Alternativmedikament für die Klägerin zu finden oder eine entsprechende Alternativbehandlung aufzuzeigen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 30. Januar 2007 aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Ergänzend führt der Bevollmächtigte aus, soweit die Beklagte ihre Berufung einzig darauf stütze, dass nur der behandelnde Arzt das streitgegenständliche Arzneimittel hätte verordnen und eine fehlende Verordnung nicht durch die Entscheidung des Gerichts hätte ersetzt werden können, sei festzustellen, dass das streitgegenständliche Präparat unbestritten medizinisch notwendig sei. Der behandelnde Arzt der Klägerin hätte das streitgegenständliche Medikament ohne weiteres zu Lasten der Beklagten verordnen können. Der Umstand, dass er dies nicht getan habe, könne nicht zu Lasten der Klägerin gehen. Vielmehr sei er als Erfüllungsgehilfe der Beklagten zu rechtmäßigem Verhalten verpflichtet. Verschreibe er ein Medikament zu Unrecht nicht, so habe sich die Beklagte dieses Fehlverhalten zurechnen zu lassen. Verschreibe ein Arzt Medikamente zu Unrecht auf Privatrezept, so liege hierin eine Art Systemversagen. Dies könne jedoch nicht zu Lasten der Klägerin gehen. Rein hilfsweise werde der Anspruch der Klägerin auch auf Nr. 16.6 der AMR gestützt. Das streitgegenständliche Präparat sei als Begleitmedikament im Sinne dieser Ausnahmevorschrift zu sehen.

Dr. B. hat in einer noch eingeholten sachverständigen Zeugenauskunft vom 11. Juni 2007 auf Nachfrage mitgeteilt, da § 34 Abs. 1 SGB V nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung ausschließe, sei er nicht auf die Idee gekommen, ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel könnte er ausnahmsweise nach § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnen. Dort werde auf die AMR Bezug genommen. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Vorstandsmitglied der früheren Kassenärztlichen Vereinigung Südwürttemberg habe er gelernt, dass es eine so genannte Rechtsnormenhierarchie gebe. An Gesetze sei er daher eher gebunden als an Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschuss. Im Übrigen habe er auch im Hinblick auf das Damokles-Schwert einer möglichen Wirtschaftlichkeitsprüfung hinsichtlich der Verordnungsweise und im Hinblick darauf, dass dies hier gerade ja auch bezüglich dieses Medikamentes im Streit stehe, von einer Verordnung auf Kassenrezept abgesehen.

Auf Anfrage hat der Gemeinsame Bundesausschuss unter dem 13. Januar 2010 u.a. mitgeteilt, er lege in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V fest, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können (Abschnitt F der gültigen Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) § 12/Anlage I). Nach § 12 Abs. 3 der AM-RL gelte eine Krankheit als schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist oder wenn sie aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt. Grundsätzliche Voraussetzung für eine Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung und damit auch für die Aufnahme eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels in Anlage 1 der Arzneimittel-Richtlinie sei eine entsprechende arzneimittelrechtliche Zulassung in Deutschland. Das apothekenpflichtige, nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel Intal Inhalat mit dem Wirkstoff Dinatriumcromoglycat (DNCG) sei zur Prophylaxe asthmatischer Beschwerden bei leichtem persistierendem allergischem und nichtallergischem Asthma (Stufe 2 des Asthmastufenschemas) zugelassen. Aus den zugelassenen Anwendungsgebieten von Intal Inhalat werde deutlich, dass dieses nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung nach § 12 Abs. 3 der AM-RL vorgesehen sei. Deshalb sei keine Aufnahme in Anlage I der AM-RL für den Wirkstoff DNCG in der der Zulassung entsprechenden Indikation erfolgt. Die Tatbestände der schwerwiegenden Erkrankung nach § 12 Abs. 3 AM-RL und des Therapiestandards nach § 12 Abs. 4 AM-RL müssten zur Aufnahme in die Anlage 1 kumulativ erfüllt sein.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft. Ein Berufungsausschlussgrund nach § 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegt nicht vor. Im Streit steht die dauerhafte Übernahme der Kosten für das Arzneimittel Intal Inhalationslösung 1 %.

II.

Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Entgegen der Auffassung des SG hat die Klägerin keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten des hier streitigen Arzneimittels.

1. Die Klägerin hat gemäß § 27 Abs. 1 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wozu nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V (u. a.) die Versorgung mit Arzneimitteln gehört. Hierzu bestimmt § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V, dass Versicherte (nur) apothekenpflichtige Arzneimittel beanspruchen können, soweit diese nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind.

Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V sind nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 ausgeschlossen. Der Gemeinsame Bundesausschuss legt gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V erstmals bis zum 31. März 2004 fest, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können (Satz 2). Dabei ist der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu tragen (Satz 3).

Zutreffend hat das SG zunächst festgestellt, dass das hier streitige nicht verschreibungspflichtige Medikament (Intal Inhalationslösung) nicht zu den in der Ausnahmeliste des Gemeinsamen Bundesausschusses genannten Medikamenten gehört. Die Beklagte hat in Übereinstimmung mit dem Gesetz und den Arzneimittelrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (Arzneimittel-Richtlinien/AMR vom 31. August 1993 in der Fassung der Arzneimittel-Richtlinie/AM-RL vom 18. Dezember 2008/22. Januar 2009 [BAnz. 2009, S. 650], zuletzt geändert am 25. Januar 2010 [BAnz. 2010, S. 1069]) gehandelt, als sie mit den streitigen Bescheiden die Erstattung der Kosten für dieses Arzneimittel abgelehnt hat.

Der weitgehende Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Medikamente aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ist ausdrücklicher Wille des Gesetzgebers um weitere Kosten in der gesetzlichen Krankenversicherung einzusparen. So hat der Gesetzgeber konkret im Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Modernisierungsgesetz - GMG - vom 8. September 2003 unter anderem ausgeführt, dass die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in diesen Bereichen (gemeint ist die Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln) in den letzten fünf Jahren überproportional angestiegen seien, ohne dass dies allein medizinisch zu begründen wäre. Daher seien steuernde Maßnahmen erforderlich, die die Effizienz der Versorgung in diesen Bereichen erhöhe (s. BT-Drs. 15/1525 Seite 75 Ziff. 5). Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht besteht nicht. Denn der Gesetzgeber hat hier zum einen Verordnungen für Kinder bis zum 12. Lebensjahr sowie für Jugendliche mit Entwicklungsstörungen bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ebenso weiter zugelassen wie bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen, für die nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zum Therapiestandard gehören und insoweit im Übrigen die zu bearbeitenden Ausnahmen in den Arzneimittelrichtlinien dem Gemeinsamen Bundesausschuss übertragen (siehe auch BT-Drs. 15/1525 Seite 75 Ziff. 5). Auch das BSG hat mit Urteil vom 6. November 2008 (B 1 KR 6/08 R) ausdrücklich bestätigt, dass der seit 1. Januar 2004 geltende Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung weder gegen das Grundgesetz noch gegen Europarecht verstößt.

Weiterhin ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber den Gemeinsamen Bundesausschuss beauftragt hat, in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V festzulegen, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können (vgl. BSGE vom 7. November 2006 - B 1 KR 94/06 R - in BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 97 Nr. 12). Der Richtlinienauftrag an den Gemeinsamen Bundesausschuss präzisiert das Wirtschaftlichkeitsgebot im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung (§§ 12, 70 Abs. 1, 72 Abs. 2 SGB V). Er zielt darauf, unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse Grundlagen für eine medizinisch notwendige und wirtschaftliche ärztliche Behandlungs- und Verordnungsweise verbindlich festzulegen. Die Verbindlichkeit wird dadurch begründet, dass die Richtlinien nach § 92 Abs. 8 SGB V Bestandteil der Bundesmantelverträge (BMV-Ä) sind und die Satzungen der Kassenärztlichen Vereinigungen nach § 81 Abs. 3 Nr. 1, 2 SGB V Bestimmungen enthalten müssen, wonach die Verträge und die Richtlinien als solche für ihre Mitglieder (die zugelassenen Vertragsärzte) verbindlich sind. Nach der Rechtsprechung des BSG haben die Richtlinien als gesetzlicher Bestandteil der Bundesmantelverträge (siehe § 92 Abs. 8 SGB V) die gleiche Rechtsnormqualität wie diese (BSG SozR 3 - 2500 § 92 Nr. 6 = BSGE 78, 70; siehe auch BSG SozR 3-2500 § 92 Nr. 7 = BSGE 81, 73, SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 = BSGE 81, 54 zu NUB-Richtlinien). Dabei entfalten die Richtlinien ihre normative Wirkung nicht nur gegenüber den Partnern der Bundesmantelverträge und der Gesamtverträge, sondern auch gegenüber den Versicherten, weil § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V und die leistungsrechtlichen Vorschriften des § 12 Abs. 1 SGB V in einem unmittelbaren sachlogischen Zusammenhang stehen (s. BSG aaO). Die Verbindlichkeit der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses hat der Gesetzgeber im Rahmen des GMG mit Wirkung zum 1. Januar 2004 noch durch die Regelung in § 91 Abs. 9 SGB V unterstrichen. Dort ist gesetzlich angeordnet, dass die Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses für die Versicherten der Krankenkassen, für die an der ambulanten Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer und die zugelassenen Krankenhäuser verbindlich sind. Dagegen bestehen auch sonst keine rechtlichen Bedenken (siehe auch BSG vom 6. November 2008 - B 1 KR 6/08 R -).

Der Gemeinsame Bundesausschuss hat den ihm durch § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V übertragenen Auftrag in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeführt. In formeller Hinsicht sind Verstöße gegen die auf der Grundlage von § 91 Abs. 3 Nr. 1 SGB V ergangene Verfahrensordnung vom 5. September 2005 (BAnz 2005 Nr. 242) nicht ersichtlich und von der Klägerin nicht vorgetragen.

Der Gemeinsame Bundesausschuss hat auch nicht die gesetzlichen Grenzen seiner ihm nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V übertragenen Richtlinienkompetenz verletzt. Voraussetzung für die ausnahmsweise Verordnung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel ist nach dem Gesetzeswortlaut das Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung. Nach Abschnitt F Nr. 16.2 AMR (bzw. jetzt Abschnitts F § 12 Abs. 3 AM-RL) ist eine Erkrankung schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist oder wenn sie aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörungen die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt. Ein Arzneimittel gilt gemäß Nr. 16.3 AMR (jetzt § 12 Abs. 4 AM-RL) als Therapiestandard, wenn der therapeutische Nutzen zur Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Des Weiteren ist dann unter Nr. 16.4 (jetzt Anlage I zu § 12 Abs. 5 AM-RL) eine Liste schwerwiegender Erkrankungen und Standard-Therapeutika zu deren Behandlung unter den Nrn. 16.4.1 bis 16.4.47 AMR bzw. Nrn. 1 bis 46 der Anlage 1 zum Abschnitt F AM-RL aufgeführt (siehe zur Rechtmäßigkeit dieser Regelungen BSG Urteil vom 6. November 2008 - B 1 KR 6/08 R -). Die Erkrankung der Klägerin ist nicht in dieser Liste enthalten.

In Nr. 16.4.47 AMR (jetzt Nr. 15 der Anlage I zum Abschnitt F AM-RL) ist zwar der hier streitige Wirkstoff (DNCG) ausdrücklich genannt, jedoch nur zugelassen zur (oralen) symptomatischen Behandlung der systemischen Mastozytose (vgl. auch unten zum off-Label-Use). Damit ist die Verordnung von DNCG gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V i.V.m. Nr. 16 bis Nr. 16.4.47 AMR bzw. jetzt § 12 Abs. 5 Anlage 1 AM-RL nur dann ausnahmsweise zugelassen, wenn es (als Standardtherapeutikum) der Behandlung der in Nr. 16.4.47 AMR (jetzt Nr. 15 der Anlage I zum Abschnitt F AM-RL) abschließend aufgeführten, durch die Regelung selbst als schwerwiegend bewerteten (Grund-)Erkrankungen dient. Dies ist vorliegend nicht der Fall, da die Klägerin das streitgegenständliche Medikament nicht zur (oralen) symptomatischen Behandlung einer systemischen Mastozytose anwendet, sondern zur Behandlung von Symptomen des Churg-Strauss-Syndroms inhaliert, unter dem sie leidet.

Soweit man den hier streitigen Wirkstoff auch zu den Antihistaminika zählen würde, schiede auch in diesem Falle eine Verordnungsfähigkeit aus. Denn nach Nr. 16.4.5 AMR (jetzt Nr. 6 der Anlage I zum Abschnitt F AM-RL) können Antihistaminika nur in Notfallsets zur Behandlung bei Bienen-, Wespen-, Hornissengift-Allergien, zur Behandlung schwerer, rezidivierender Urticarien, bei schwerwiegenden, anhaltendem Pruritus und zur Behandlung bei schwerwiegender allergischer Rhinitis, bei der eine topische nasale Behandlung mit Glukokortikoiden nicht ausreichend ist, zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verschrieben werden. Diese Voraussetzungen sind hier jedoch nicht erfüllt.

Auch Nr. 16.5 AMR (jetzt § 12 Abs. 6 AM-RL) führt zu keinem für die Klägerin günstigeren Ergebnis. Dort ist geregelt, dass für die in diesen Richtlinien in Abschnitt F (jetzt Anlage I zum Abschnitt F AM-RL) aufgeführten Indikationsgebiete der Arzt bei schwerwiegenden Erkrankungen auch Arzneimittel der Anthroposophie und Homöopathie verordnen kann, sofern die Anwendung dieser Arzneimittel für diese Indikationsgebiete nach dem Erkenntnisstand als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung angezeigt ist. Bei dem hier streitigen Arzneimittel handelt es sich jedoch bereits um kein Arzneimittel der Anthroposophie bzw. Homöopathie.

Ebenfalls zu keinem für die Klägerin günstigen Ergebnis führt die Regelung in F. Nr. 16.6 (jetzt § 12 Abs. 7 AM-RL), wonach nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, die begleitend zu einer medikamentösen Haupttherapie mit zugelassenen, im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung verordnungsfähigen Arzneimitteln eingesetzt werden (Begleitmedikation), verordnungsfähig sind, wenn das nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel in der Fachinformation des Hauptarzneimittels als Begleitmedikation zwingend vorgeschrieben ist. Auch diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

Gemäß Nr. 16.9 AMR (jetzt § 12 Abs. 10 AM-RL) regeln die Vorschriften in den Nrn. 16.1 bis 16.6 (jetzt § 12 Absätze 1 bis 9 AM-RL) abschließend, unter welchen Voraussetzungen nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig sind.

Schließlich kommt hier auch, entgegen der Auffassung des SG, nicht § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V zugunsten der Klägerin in Betracht. Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V kann der Vertragsarzt Arzneimittel, die aufgrund der Richtlinie nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 (AMR/AM-RL) von der Versorgung ausgeschlossen sind, ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung verordnen. Nach dem klaren Gesetzeswortlaut bezieht sich diese Bestimmung nur auf die durch die Arzneimittelrichtlinien von der Versorgung ausgeschlossenen Arzneimittel (§ 31 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. 2. Alt.). Für die gesetzlich - etwa durch § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V - ausgeschlossenen Arzneimittel (§ 31 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. 1. Alt. SGB V) gilt sie nicht. Dieser Fall liegt hier aber vor, da es sich bei der von der Klägerin begehrten Intal Inhalationslösung um ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V handelt, das damit nicht durch den Gemeinsamen Bundesausschuss im Rahmen der AMR/AM-RL ausgeschlossen worden, sondern vielmehr kraft Gesetzes (§ 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V) ausgeschlossen ist. Bei den durch den Gemeinsamen Bundesausschuss von der Versorgung ausgeschlossenen Medikamenten kann es sich im Hinblick auf die klare gesetzliche Regelung in § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V grds. nur um verschreibungspflichtige Medikamente handeln.

Die AMR/AM-RL schließen nicht verschreibungspflichtige Medikamente auch nicht mittelbar von der Versorgung aus, indem sie die Verschreibungspflichtigkeit von Medikamenten regeln. Welche Medikamente verschreibungspflichtig sind, bestimmt sich vielmehr nach der Verordnung zur Neuordnung der Verschreibungspflicht von Arzneimitteln des Bundesministeriums für Gesundheit und des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vom 21. Dezember 2005 (BGBl. I 2005, 3632). Dort ist in der Anlage zu § 1 Nr. 1 der VO (auch in der zuletzt geänderten, seit dem 1. Februar 2010 geltenden Fassung) der Wirkstoff des hier streitigen Medikaments (Cromoglycinsäure bzw. Natriumcromoglicat - so Rote Liste 2006 unter Nr. 28 086) nicht als verschreibungspflichtig aufgeführt. Da folglich das streitige Medikament nicht aufgrund der Richtlinie nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen ist, findet auch § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V keine Anwendung.

Die Verordnung des streitigen Arzneimittels zu Lasten der Beklagten scheidet im vorliegenden Fall aber auch deswegen aus, weil es für die Behandlung der Krankheit der Klägerin nicht arzneimittelrechtlich zugelassen ist. Arzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 1, § 12 Abs. 1 SGB V) nicht von der Leistungspflicht der GKV nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3, § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die nach § 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG; Gesetz hier erstmals anwendbar in der ab 6. August 2004 geltenden, zuletzt mit Wirkung vom 1. Januar 2008 geändert durch Gesetz vom 23. November 2007, BGBl. I 2631) erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (vgl. BSG, Urteil vom 30. Juni 2009 - B 1 KR 5/09 R -, m.w.N. veröffentlicht in juris). Eine arzneimittelrechtliche Zulassung in diesem Sinne liegt nur vor, wenn das Arzneimittel die Zulassung gerade für dasjenige Indikationsgebiet besitzt, in dem es im konkreten Fall eingesetzt werden soll (BSG, Urteil vom 30. Juni 2009 a.a.O.).

Das Arzneimittel Intal Inhalat mit dem Wirkstoff Dinatriumcromoglycat (DNCG - Cromoglicinsäure -) ist nach der Auskunft des Gemeinsamen Bundesausschusses nur zur Prophylaxe asthmatischer Beschwerden bei leichtem persistierenden allergischen und nichtallergischen Asthma (Stufe 2 des Asthmastufenschemas) zugelassen. Die Klägerin verwendet es demgegenüber zur symptomatischen Behandlung von schwerem Asthma auf der Grundlage des Churg-Strauss-Syndroms. Sie wendet es damit außerhalb der Zulassung an.

Bei der streitigen Anwendung des Mittels handelt es sich um keinen durch Gesetzesrecht und untergesetzliche Regelungen gedeckten Off-Label-Use. Nach § 92 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 6 SGB V beschließt der GBA die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln. Die AMR enthielten seit 21. Juli 2006 (Beschluss vom 18. April 2006, BAnz S. 5122) in Abschnitt H und Anlage 9 Einzelheiten über die "Verordnungsfähigkeit von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten" (vgl. jetzt Anlage VI zum Abschnitt K Teil A AM-RL). Die Anlage 9 der AMR lässt unter IV. Dinatriumcromoglycat (DNCG)-haltige Arzneimittel (oral) bei systemischer Mastozytose zur symptomatischen Behandlung zu (jetzt Anlage VI zum Abschnitt K Teil A IV. AM-RL), nicht jedoch beim Churg-Strauss-Syndrom.

Nach der Rechtsprechung des BSG müssen für einen Off-Label-Use zu Lasten der GKV folgende Voraussetzungen erfüllt sein: es muss 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung gehen, 2. keine andere Therapie verfügbar sein und 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht bestehen, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (BSG, Urteil vom 30. Juni 2009 m.w.N. a.a.O.). Ob hier insbesondere die Voraussetzungen 2. und 3. vorliegen, kann letztlich offenbleiben, weil auch der zulässige Off-Label-Use eines nicht verschreibungspflichtigen Medikaments nicht zu dessen Verordnungsfähigkeit zu Lasten der Krankenkasse führt.

Rechtlich unerheblich ist im Übrigen, ob der Klägerin das Arzneimittel in der Vergangenheit, insbesondere vor Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes, gewährt worden ist. Denn maßgeblich ist das jeweils geltende Recht Für eine Bedürfnisprüfung oder die von der Klägerin offenbar gewünschte Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse ist nach den geltenden Gesetzesbestimmungen ebenfalls kein Raum.

Aus diesen Gründen ist daher auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG), da die hier entscheidungserheblichen Fragen in der Rechtsprechung des BSG, der der Senat folgt, geklärt sind.
Rechtskraft
Aus
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