Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 482/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 3217/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist der Grad der Behinderung (GdB) der Klägerin.
Bei der 1950 geborenen Klägerin stellte der Beklagte in Ausführung seines - unter Berücksichtigung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. A. vom 19.04.2002 (Bl. 59 d. dort. SG-Akt.) im Rechtsstreit S 3 SB 833/01 vor dem Sozialgericht Konstanz (SG) abgegebenen - Anerkenntnisses vom 13.05.2002 einen GdB von 60 seit 02.05.2000 fest (Bescheid vom 28.06.2002, Bl. 170 d. Bekl.-Akt.). Als Funktionsbeeinträchtigungen bezeichnete er Fibro-myalgie-Syndrom, seelische Störung, funktionelle Organbeschwerden (Teil-GdB 40), Trigeminusneuralgie rechts (Teil-GdB 20), Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks (Teil-GdB 20), Verlust der Gebärmutter, Verlust des rechten Eierstocks (Teil-GdB 10), Sehminderung rechts (Teil-GdB 10) und Schwerhörigkeit rechts (Teil-GdB 10).
Am 28.07.2003 beantragte die Klägerin die Erhöhung des GdB und machte geltend, einen Schlaganfall erlitten zu haben (Bl. 178 d. Bekl.-Akt.). Der Beklagte zog hierauf weitere Befundberichte bei und lehnte anschließend nach Auswertung dieser Unterlagen durch OMedR B. vom Versorgungsärztlichen Dienst eine Neufeststellung ab (Bescheid vom 11.02.2004, Bl. 197 d. Bekl.-Akt.). Den von der Klägerin eingelegten Widerspruch, den sie vor allem auf ihre Beeinträchtigungen aufgrund Fibromyalgie-Syndroms und linksseitiger Coxarthrose stützte, wies der Beklagte nach Einholung zweier versorgungsärztlicher Stellungnahmen von Dr. Engelhard mit Widerspruchsbescheid vom 20.01.2005 (Bl. 217 d. Bekl.-Akt.) zurück und bezeichnete als Funktionsbeeinträchtigung - im Vergleich zum Bescheid vom 28.06.2002 - statt der dort noch bezeichneten Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks nunmehr Hüftarthrose links (ebenfalls Teil-GdB 20).
Hiergegen hat die Klägerin am 28.02.2005 Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt, die jetzige Einstufung entspreche nicht ihren Erkrankungen. Der Gesamt-GdB belaufe sich auf mindestens 80. Sie leide an erheblichen, mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewertenden Schmerzattacken. Das bei ihr vorliegende Fibromyalgie-Syndrom, der Bandscheibenschaden, die seelische Störung sowie die funktionellen Organbeschwerden seien jeweils gesondert mit einem Teil-GdB zu bewerten. Der Zustand nach Schlaganfall könne wohl kaum mit einem Einzel-GdB von lediglich 10 abgetan werden. Die Trigeminus-Neuralgie sei mit einem Einzel-GdB von 20 deutlich zu niedrig bewertet worden.
Das SG hat den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. C., den Augenarzt Dr. D., den Arzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde Dr. Pfister sowie den Arzt für Allgemeinmedizin Dr. E. als sachverständige Zeugen gehört.
Dr. C. hat unter dem 13.04.2005 (Bl. 20 d. SG-Akt.) mitgeteilt, die Klägerin habe bereits anlässlich der Erstuntersuchung im September 2003 über einen Gesichtsschmerz des Nervus trigeminus rechts geklagt. Auf seinem Fachgebiet liege ein chronifizierender fluktuierender Schmerzzustand vor, der mit einem GdB von 20 zu bewerten sei.
Dr. D. hat unter dem 15.04.2005 (Bl. 28 d. SG-Akt.) mitgeteilt, die Klägerin habe über Gesichts- und Augenschmerzen sowie über eine Verschlechterung beim Sehen in der Nähe berichtet. Die Sehschärfe am rechten Auge sei wegen wiederholter Hornhautreizungen und -entzün¬dungen auf 0,3 bis 0,7 reduziert; insoweit liege ein GdB von 10 vor.
Dr. Pfister hat unter dem 18.04.2005 (Bl. 30 d. SG-Akt.) über eine seitendifferente Innenohrschwerhörigkeit mit Betonung des Hochtonbereiches bei fehlendem Hinweis auf peripher verstibulären Schwindel berichtet. Auf HNO-ärztlichem Bereich schätze er den GdB mit 10 ein.
Vom 09.08. bis 06.09.2005 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung in der Rheumaklinik Bad Säckingen. Ausweislich des Entlassberichts vom 28.09.2005 (Bl. 61 d. SG-Akt.) wurden bei der Klägerin 1. chronisch generalisiertes Schmerzsyndrom vom Typ der Fibromyalgie, 2. rezidivierendes Lumbalsyndrom mit intermittierenden Ischialgien bei computertomographisch nachgewiesenem BS-Vorfall L3/4, L4/5 und L5/S1, 3. chronisch rezidivierendes Zervikal-Syndrom mit Cephalgien, 4. chronische Trigeminus-Neuralgie, Z.n. Implantation eines Stimulationsgerätes 2004, 5. Hypercholesterinämie sowie 6. leichtes Übergewicht BMI 29 kg/m² diagnostiziert. Bei der Abschlussuntersuchung habe die Klägerin über geringer ausgeprägte Rückenschmerzen sowie über nachgelassene generalisierte Schmerzen berichtet. Die Schmerzintensität habe deutlich reduziert, die Belastbarkeit entsprechend verbessert werden können.
Dr. E. hat unter dem 20.10.2005 (Bl. 34 d. SG-Akt.) erklärt, die Gesichts- und Kopfschmerzen (Trigeminus-Neuralgie) der Klägerin hätten sich bei weitgehender Therapieresistenz im Laufe des Jahres 2003 zunächst deutlich verschlechtert. Die im November 2004 erfolgte Implantation einer rechtsseitigen Trigeminus-Stimulations-Sonde habe die Schmerzen der Klägerin dann aber deutlich reduziert. Im Mai 2005 seien Bandscheibenvorfälle in Höhe L5/S1, L4/5 und L 3/4 festgestellt worden. Insgesamt bestehe ein GdB von 100. Er fügte u.a. einen Bericht des Klinikums der Universität München-Großhadern vom 18.11.2004 bei, wonach sich nach Implantation einer Stimulationssonde umgehend Schmerzfreiheit mit therapie-induzierter Parästhesie eingestellt habe (Bl. 52 d. SG-Akt.).
Mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 03.01.2006 (Bl. 69 d. SG-Akt.) hat Dr. Götz hierzu ausgeführt, die von Dr. E. vorgeschlagene Höherbewertung sei nicht nachvollziehbar. Bezüglich der Trigeminus-Neuralgie habe die Implantation einer Stimulationssonde nämlich eine deutliche Schmerzreduktion erbracht. Das schmerzhafte Wirbelsäulen-Syndrom bei Bandscheibenvorfällen im LWS-Bereich sei durch den bisherigen GdB von 40 für das Fibromyalgie-Syndrom (generalisiertes Schmerzsyndrom) und die seelischen Begleiterscheinungen vollständig erfasst. Dem Entlassbericht der Rheumaklinik Bad Säckingen sei nur eine geringgradig funktionelle Beeinträchtigung der gesamten Wirbelsäule zu entnehmen; bei der dortigen Abschlussuntersuchung sei die HWS-Beweglichkeit nur endgradig und sowohl die BWS- als auch die LWS-Beweglichkeit nur geringgradig eingeschränkt gewesen. Nach Hinzufügung eines Teil-GdB von 10 für die Refluxkrankheit der Speiseröhre und unter Beibehaltung des GdB für die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen betrage der Gesamt-GdB weiterhin 60.
Die Klägerin hat sodann noch einen Bericht des Radiologen Dr. F. vom 13.05.2005 (Bl. 79 d. SG-Akt.) eingereicht, wonach eine fortgeschrittene Osteochondrose mit Vakuum-Phänomen und Spondylarthrose LWK 5/S1 sowie eine deutliche Osteochondrose mit Spondylose LWK 3/4 bestünden. Darüber hinaus hat sie einen Bericht des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Bernhard vom 26.04.2006 (Bl. 81 d. SG-Akt.) vorgelegt, wonach sie unter chronischen Schmerzen im Sinne einer Fibromyalgie mit panalgetischer Beschwerdesymptomatik und deutlicher depressiver Herabgestimmtheit leide.
Mit Urteil vom 15.06.2007 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, eine Verschlimmerung gegenüber dem Bescheid vom 28.06.2002 sei nicht nachgewiesen. Die Einschätzung von Dr. E., es sei ein GdB von 100 zu veranschlagen, werde nicht durch entsprechende Befunde gestützt. Auf der Grundlage der Aussage von Dr. C. gebe es keinerlei Hinweise darauf, dass die Klägerin tatsächlich nach dem 28.06.2002 - wie von ihr in ihrem Erhöhungsantrag vom 28.07.2003 behauptet - einen Schlaganfall erlitten habe. Nach Einpflanzung der Trigeminus-Stimulations-Sonde mit der Folge einer wesentlichen Schmerzreduktion habe sich die Trigeminus-Neuralgie erheblich gebessert. Wesentliche gesundheitliche Verschlimmerungen hätten sich auch nicht hinsichtlich des Fibromyalgie-Syndroms sowie der Beschwerden auf orthopädischem Gebiet ergeben. Ausweislich des Entlassberichtes der Rheumaklinik Bad Säckingen habe die dortige Behandlung nämlich zu geringer ausgeprägten Rückenschmerzen geführt.
Gegen das am 25.06.2007 (Bl. 97 d. SG-Akt.) zugestellte Urteil hat die Klägerin am 29.06.2007 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie sich im Wesentlichen darauf gestützt, ihr Gesamt-GdB sei mit mindestens 80 zu veranschlagen. Aus dem von ihr übermittelten Arztbrief von Dr. F. vom 13.05.2005 ergäben sich Einschränkungen auf orthopädischem Fachgebiet, insbesondere im Bereich der Lendenwirbelsäule. Das SG habe diese nicht berücksichtigt.
Der Senat hat auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädisch-schmerztherapeutischen Fachgutachtens beim Facharzt für Orthopädie, spezielle Schmerztherapie Dr. F. sowie eines Hals-Nasen-Ohrenärztlichen Gutachtens bei Prof. Dr. E., Leiter des Zentrums für Musikermedizin des Universitätsklinikums Freiburg.
Dr. F. hat in einem Gutachten vom 06.04.2008 bei der Klägerin 1. chronifiziertes Schmerzsyndrom mit wiederkehrendem fibromyalgieformem Beschwerdebild, 2. Hüftendoprothese links, 3. degenerative Wirbelsäulenveränderungen der Lendenwirbelsäule bei hyperlordotischer Fehlhaltung und folgender Überlastung der Zwischenwirbelgelenke mit Spondylarthrose ohne Nachweis klinischer Ausfälle, 4. Thorakalsyndrom bei Rundrückenfehlhaltung mit mäßig degenerativen Veränderungen rechtsseitig, 5. Ausschluss einer Hüftarthrose rechts, 6. mäßig beginnende degenerative Veränderungen des rechten Kniegelenkes im Sinne eines chondropathischen Reizzustandes und einer beginnenden innenseitigen Arthrose des Kniegelenkes ohne funktionelle Einschränkungen, 7. wiederkehrende Schulterbeschwerden links ohne pathologische Veränderungen sowie 8. wiederkehrende Handgelenksbeschwerden rechts ohne pathologische Veränderungen festgestellt. Sämtliche Beschwerden seien als chronisch anzusehen. Bei der Klägerin - die sich durchaus in der Lage sehe, mehrmals täglich mit ihrem Hund längere Strecken zurückzulegen (Bl. 49 d. LSG-Akt.) - bestehe ein deutlich unerfüllbares Anspruchsdenken hinsichtlich völliger Schmerzfreiheit. Die Funktionsbeeinträchtigungen durch die Hüftendoprothese links sowie im Bereich des linken Kniegelenkes seien jeweils als leicht einzuordnen. Die Funktionsstörungen der Wirbelsäule bei Fehlhaltung mit degenerativen Veränderungen seien insgesamt altersentsprechend. Die Funktionsbeeinträchtigungen im Schulter- und Handgelenksbereich seien geringfügig. Auch die fibromyalgieformen Beschwerden im Sinne muskulärer Verspannungen und Beschwerden seien als leicht einzustufen. Die computertomographisch nachgewiesenen Bandscheibenvorfälle L3/4, L4/5 und L5/S1 seien ohne neurologische Auffälligkeiten und für das Schmerzgeschehen irrelevant. In Gesamtschau der nicht stark ausgeprägten degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, aber auch unter Würdigung des lang dauernden und wiederkehrenden fibromyalgieformen Schmerzsyndroms sei der Grad der Behinderung für alle Leiden auf orthopädischem und schmerztherapeutischem Fachgebiet (außer Trigeminus-Neuralgie) mit einem GdB von 40 einzustufen. Die Trigeminus-Neuralgie sei durch die Implantation der Sonde deutlich gebessert, aber auch noch sehr beeinträchtigend, so dass er sich der Vorbeurteilung mit einem GdB von 30 durchaus anschließe. Insgesamt erscheine der derzeitige Gesamt-GdB von 60 gerechtfertigt. Die Vermengung der Fibromyalgie mit seelischen Problemen und funktionellen Organbeschwerden resultiere daraus, dass das Fibromyalgie-Syndrom als psychosoziale Erkrankung anzusehen sei. Für die Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks sei kein GdB mehr zu veranschlagen.
Prof. Dr. E. hat in seinem Gutachten vom 07.12.2009 (Bl. 70 d. LSG-Akt.) auf HNO-ärztlichem Fachgebiet eine asymmetrische Innenohrschwerhörigkeit, rechts deutlich ausgeprägter als links, sowie beidseits einen Tinnitus festgestellt. Die Hörminderung und der Tinnitus seien als dauerhafte Funktionsbeeinträchtigungen anzusehen. Auf der Grundlage eines Ton- und Sprachaudiogramms vom 05.05.2009 (Bl. 86/87 d. LSG-Akt.) bestehe links eine annähernde Normalhörigkeit und rechts eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit mit einem Hörverlust von 90 %. Die Hörminderung rechts sei mit einer "MdE" von 15 und der Tinnitus mit einer "MdE" von 10 einzuschätzen. Für alle Leiden der Klägerin auf HNO-ärztlichem Fachgebiet sei ein GdB von 25 zu veranschlagen. Von der Aussage von Dr. Pfister weiche er im Wesentlichen deshalb ab, weil sich das Hörvermögen auf dem rechten Ohr verschlechtert und er zusätzlich den Tinnitus berücksichtigt habe.
Für den Beklagten hat sich hierzu Dr. D. unter dem 23.02. und 10.03.2010 (Bl. 91, 97 d. LSG-Akt.) geäußert und ausgeführt, bei Zugrundelegung des einfachen Gesamtwortverstehens ergebe sich unter Auswertung des Ton- und Sprachaudiogramms vom 05.05.2009 für das rechte Ohr allenfalls ein Hörverlust von 80 %. Bei einer Tendenz in Richtung 10 sei mithin ein voller Zehnergrad für die Schwerhörigkeit rechts festzustellen. Soweit Prof. Dr. E. für den Tinnitus einen Teil-GdB von 10 angebe, richte sich dieser nach den hiermit verbundenen psychovegetativen Begleiterscheinungen. Daher sei der Tinnitus bei der bereits anerkannten seelischen Störung mit funktionellen Organbeschwerden zu subsumieren. Auf der Grundlage des Gutachtens von Dr. F. sei für das Wirbelsäulenleiden für sich allein betrachtet unter Ausschluss psychischer Beschwerden allenfalls ein Teil-GdB von 20 festzustellen. Klammere man diesen Teil-GdB von 20 für die organischen Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule aus, verbleibe für die psychischen Auswirkungen inklusive psychischer Folgeerscheinungen bestehender Schmerzen allenfalls ein Teil-GdB von 30, wobei, wie bereits erwähnt, der Tinnitus in diesem Teil-GdB mit zu berücksichtigen sei. Insgesamt werde dann mit diesem Teil-GdB von 30 für sämtliche psychischen Funktionseinschränkungen eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit berücksichtigt. Die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin seien nunmehr als Fibromyalgie-Syndrom, seelische Störung, funktionelle Organbeschwerden, Ohrgeräusche (Tinnitus) (Teil-GdB 30), Bandscheibenschaden (Teil-GdB 20), Trigeminusneuralgie rechts (Teil-GdB 20), Hüftgelenksendoprothese links (Teil-GdB 20), Verlust der Gebärmutter, Verlust des rechten Eierstocks (Teil-GdB 10), Sehminderung rechts (Teil-GdB 10), Schwerhörigkeit rechts (Teil-GdB 10) und Refluxkrankheit der Speiseröhre (Teil-GdB 10) zu bezeichnen, wobei der bisherige Gesamt-GdB von 60 wie bisher beizubehalten sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 15. Juni 2007 und den Bescheid des Beklagten vom 11. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, einen Grad der Behinderung von mindestens 80 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge, die Verwaltungsakten des Beklagten und die beigezogenen SG-Akten S 3 SB 833/01 bzw. S 3 SB 908/98 verwiesen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid des Beklagten vom 11.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2005 verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Eine wesentliche Änderung seit dem Erlass des Bescheides vom 28.06.2002, mit dem bei der Klägerin ein GdB von 60 festgestellt worden war, ist nicht eingetreten. Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten mithin keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 80.
Wegen der für die GdB-Feststellung erforderlichen Voraussetzungen und der hierfür maßgebenden Rechtsvorschriften nimmt der Senat auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug und sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die Funktionsbehinderungen Fibromyalgie-Syndrom, seelische Störung, funktionelle Organbeschwerden und Ohrgeräusche (Tinnitus) mit einem Teil-GdB von 30, der Bandscheibenschaden, die Trigeminus-Neuralgie rechts und die Hüftgelenksendoprothese links jeweils mit einem Teil-GdB von 20, der Verlust der Gebärmutter bzw. der Verlust des rechten Eierstocks, die Sehminderung rechts, die Schwerhörigkeit rechts und die Refluxkrankheit der Speiseröhre jeweils mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten, mithin bei der Klägerin ein Gesamt-GdB von 60 anzunehmen, wie von Dr. D. in seinen Stellungnahmen vom 23.02. und 10.03.2010 überzeugend dargelegt.
Ein höherer GdB ergibt sich auch nicht aus der im Berufungsverfahren auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG betriebenen Sachaufklärung. Wie Dr. F. zutreffend ausgeführt hat, kann für das Wirbelsäulenleiden der Klägerin für sich allein betrachtet unter Ausschluss psychischer Beschwerden allenfalls ein Teil-GdB von 20 veranschlagt werden. Hinsichtlich der Gesundheitsstörungen auf HNO-ärztlichem Fachgebiet richtet sich der GdB bei Ohrgeräuschen (Tinnitus) gemäß Teil B Nr. 5.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG), S. 54, nach den hiermit verbundenen psychovegetativen Begleiterscheinungen, weshalb dieser bei der bereits anerkannten seelischen Störung, dem Fibromyalgie-Syndrom und den funktionellen Organbeschwerden mit zu bewerten ist. Insoweit ist hier gemäß Teil B Nr. 3.7 der VMG, S. 42, eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, mithin ein Teil-GdB von 30, zu berücksichtigen.
Entgegen der Einschätzung von Prof. Dr. E. ist die Schwerhörigkeit rechts lediglich mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten. Laut Teil B Nr. 5.2.1, S. 51 der VMG ist bei der Ermittlung der Schwerhörigkeit nämlich allenfalls bis zu einem Hörverlust von 40 % das gewichtete Gesamtwortverstehen anzuwenden, bei Hörverlusten über 40 % nur das einfache Gesamtwortverstehen. Bei Zugrundelegung des einfachen Gesamtwortverstehens mit einem Wert von 60 und einem Hörverlust für Zahlen in Höhe von 30 dB, wie aus dem Ton- und Sprachaudiogramm vom 05.05.2009 ersichtlich, lässt sich für das rechte Ohr aber allenfalls ein Hörverlust von 80 % und nicht, wie Prof. Dr. E. meint, von 90 % ableiten. Auch bei Anwendung der Dreifrequenz-Tabelle nach Röser (Teil B Nr. 5.2.3, S. 52 der VMG) ergibt sich für das rechte Ohr (nur) ein Hörverlust von 80 %; je nachdem, ob bei Anwendung derselben die Tabellenspalte "60 - 80" oder "80 - 95" zugrundelegt wird, lässt sich hieraus - bei Hörverlust von rechts 80 % und links 0 % - ein GdB von 10 bzw. 15 feststellen. Insoweit macht sich der Senat die versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. D. vom 23.02. und 10.03.2010 zu eigen. Vor dem Hintergrund, dass der GdB stets in vollen Zehnergraden anzugeben ist, ist hier bei einer Tendenz in Richtung 10 (nur) ein voller Zehnergrad für die Schwerhörigkeit rechts festzulegen (vgl. Teil A Nr. 2, S. 20 der VMG).
Aus den Einzel-GdB-Werten von 30 zusammen für das Fibromyalgie-Syndrom, die seelische Störung, für funktionelle Organbeschwerden und die bei der Klägerin bestehenden Ohrgeräusche (Tinnitus), jeweils 20 für den Bandscheibenschaden, die Trigeminus-Neuralgie rechts und die Hüftgelenksendoprothese links sowie jeweils 10 für den Verlust der Gebärmutter/Verlust des rechten Eierstocks, die Sehminderung rechts, die Schwerhörigkeit rechts und die Refluxkrankheit der Speiseröhre resultiert unter Berücksichtigung von Teil A Nr. 3, S. 22 der VMG ein Gesamt-GdB von (weiterhin) 60. Insoweit ist nämlich zu berücksichtigen, dass sich insbesondere die fibromyalgieformen Beschwerden der Klägerin durch muskuläre Verspannungen äußern und insoweit mit den durch den Bandscheibenschaden und die Hüftgelenksendoprothese links hervorgerufenen Beschwerden, insbesondere einer insoweit bestehenden Fehl- bzw. Schonhaltung, überschneiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist der Grad der Behinderung (GdB) der Klägerin.
Bei der 1950 geborenen Klägerin stellte der Beklagte in Ausführung seines - unter Berücksichtigung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. A. vom 19.04.2002 (Bl. 59 d. dort. SG-Akt.) im Rechtsstreit S 3 SB 833/01 vor dem Sozialgericht Konstanz (SG) abgegebenen - Anerkenntnisses vom 13.05.2002 einen GdB von 60 seit 02.05.2000 fest (Bescheid vom 28.06.2002, Bl. 170 d. Bekl.-Akt.). Als Funktionsbeeinträchtigungen bezeichnete er Fibro-myalgie-Syndrom, seelische Störung, funktionelle Organbeschwerden (Teil-GdB 40), Trigeminusneuralgie rechts (Teil-GdB 20), Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks (Teil-GdB 20), Verlust der Gebärmutter, Verlust des rechten Eierstocks (Teil-GdB 10), Sehminderung rechts (Teil-GdB 10) und Schwerhörigkeit rechts (Teil-GdB 10).
Am 28.07.2003 beantragte die Klägerin die Erhöhung des GdB und machte geltend, einen Schlaganfall erlitten zu haben (Bl. 178 d. Bekl.-Akt.). Der Beklagte zog hierauf weitere Befundberichte bei und lehnte anschließend nach Auswertung dieser Unterlagen durch OMedR B. vom Versorgungsärztlichen Dienst eine Neufeststellung ab (Bescheid vom 11.02.2004, Bl. 197 d. Bekl.-Akt.). Den von der Klägerin eingelegten Widerspruch, den sie vor allem auf ihre Beeinträchtigungen aufgrund Fibromyalgie-Syndroms und linksseitiger Coxarthrose stützte, wies der Beklagte nach Einholung zweier versorgungsärztlicher Stellungnahmen von Dr. Engelhard mit Widerspruchsbescheid vom 20.01.2005 (Bl. 217 d. Bekl.-Akt.) zurück und bezeichnete als Funktionsbeeinträchtigung - im Vergleich zum Bescheid vom 28.06.2002 - statt der dort noch bezeichneten Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks nunmehr Hüftarthrose links (ebenfalls Teil-GdB 20).
Hiergegen hat die Klägerin am 28.02.2005 Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt, die jetzige Einstufung entspreche nicht ihren Erkrankungen. Der Gesamt-GdB belaufe sich auf mindestens 80. Sie leide an erheblichen, mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewertenden Schmerzattacken. Das bei ihr vorliegende Fibromyalgie-Syndrom, der Bandscheibenschaden, die seelische Störung sowie die funktionellen Organbeschwerden seien jeweils gesondert mit einem Teil-GdB zu bewerten. Der Zustand nach Schlaganfall könne wohl kaum mit einem Einzel-GdB von lediglich 10 abgetan werden. Die Trigeminus-Neuralgie sei mit einem Einzel-GdB von 20 deutlich zu niedrig bewertet worden.
Das SG hat den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. C., den Augenarzt Dr. D., den Arzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde Dr. Pfister sowie den Arzt für Allgemeinmedizin Dr. E. als sachverständige Zeugen gehört.
Dr. C. hat unter dem 13.04.2005 (Bl. 20 d. SG-Akt.) mitgeteilt, die Klägerin habe bereits anlässlich der Erstuntersuchung im September 2003 über einen Gesichtsschmerz des Nervus trigeminus rechts geklagt. Auf seinem Fachgebiet liege ein chronifizierender fluktuierender Schmerzzustand vor, der mit einem GdB von 20 zu bewerten sei.
Dr. D. hat unter dem 15.04.2005 (Bl. 28 d. SG-Akt.) mitgeteilt, die Klägerin habe über Gesichts- und Augenschmerzen sowie über eine Verschlechterung beim Sehen in der Nähe berichtet. Die Sehschärfe am rechten Auge sei wegen wiederholter Hornhautreizungen und -entzün¬dungen auf 0,3 bis 0,7 reduziert; insoweit liege ein GdB von 10 vor.
Dr. Pfister hat unter dem 18.04.2005 (Bl. 30 d. SG-Akt.) über eine seitendifferente Innenohrschwerhörigkeit mit Betonung des Hochtonbereiches bei fehlendem Hinweis auf peripher verstibulären Schwindel berichtet. Auf HNO-ärztlichem Bereich schätze er den GdB mit 10 ein.
Vom 09.08. bis 06.09.2005 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung in der Rheumaklinik Bad Säckingen. Ausweislich des Entlassberichts vom 28.09.2005 (Bl. 61 d. SG-Akt.) wurden bei der Klägerin 1. chronisch generalisiertes Schmerzsyndrom vom Typ der Fibromyalgie, 2. rezidivierendes Lumbalsyndrom mit intermittierenden Ischialgien bei computertomographisch nachgewiesenem BS-Vorfall L3/4, L4/5 und L5/S1, 3. chronisch rezidivierendes Zervikal-Syndrom mit Cephalgien, 4. chronische Trigeminus-Neuralgie, Z.n. Implantation eines Stimulationsgerätes 2004, 5. Hypercholesterinämie sowie 6. leichtes Übergewicht BMI 29 kg/m² diagnostiziert. Bei der Abschlussuntersuchung habe die Klägerin über geringer ausgeprägte Rückenschmerzen sowie über nachgelassene generalisierte Schmerzen berichtet. Die Schmerzintensität habe deutlich reduziert, die Belastbarkeit entsprechend verbessert werden können.
Dr. E. hat unter dem 20.10.2005 (Bl. 34 d. SG-Akt.) erklärt, die Gesichts- und Kopfschmerzen (Trigeminus-Neuralgie) der Klägerin hätten sich bei weitgehender Therapieresistenz im Laufe des Jahres 2003 zunächst deutlich verschlechtert. Die im November 2004 erfolgte Implantation einer rechtsseitigen Trigeminus-Stimulations-Sonde habe die Schmerzen der Klägerin dann aber deutlich reduziert. Im Mai 2005 seien Bandscheibenvorfälle in Höhe L5/S1, L4/5 und L 3/4 festgestellt worden. Insgesamt bestehe ein GdB von 100. Er fügte u.a. einen Bericht des Klinikums der Universität München-Großhadern vom 18.11.2004 bei, wonach sich nach Implantation einer Stimulationssonde umgehend Schmerzfreiheit mit therapie-induzierter Parästhesie eingestellt habe (Bl. 52 d. SG-Akt.).
Mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 03.01.2006 (Bl. 69 d. SG-Akt.) hat Dr. Götz hierzu ausgeführt, die von Dr. E. vorgeschlagene Höherbewertung sei nicht nachvollziehbar. Bezüglich der Trigeminus-Neuralgie habe die Implantation einer Stimulationssonde nämlich eine deutliche Schmerzreduktion erbracht. Das schmerzhafte Wirbelsäulen-Syndrom bei Bandscheibenvorfällen im LWS-Bereich sei durch den bisherigen GdB von 40 für das Fibromyalgie-Syndrom (generalisiertes Schmerzsyndrom) und die seelischen Begleiterscheinungen vollständig erfasst. Dem Entlassbericht der Rheumaklinik Bad Säckingen sei nur eine geringgradig funktionelle Beeinträchtigung der gesamten Wirbelsäule zu entnehmen; bei der dortigen Abschlussuntersuchung sei die HWS-Beweglichkeit nur endgradig und sowohl die BWS- als auch die LWS-Beweglichkeit nur geringgradig eingeschränkt gewesen. Nach Hinzufügung eines Teil-GdB von 10 für die Refluxkrankheit der Speiseröhre und unter Beibehaltung des GdB für die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen betrage der Gesamt-GdB weiterhin 60.
Die Klägerin hat sodann noch einen Bericht des Radiologen Dr. F. vom 13.05.2005 (Bl. 79 d. SG-Akt.) eingereicht, wonach eine fortgeschrittene Osteochondrose mit Vakuum-Phänomen und Spondylarthrose LWK 5/S1 sowie eine deutliche Osteochondrose mit Spondylose LWK 3/4 bestünden. Darüber hinaus hat sie einen Bericht des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Bernhard vom 26.04.2006 (Bl. 81 d. SG-Akt.) vorgelegt, wonach sie unter chronischen Schmerzen im Sinne einer Fibromyalgie mit panalgetischer Beschwerdesymptomatik und deutlicher depressiver Herabgestimmtheit leide.
Mit Urteil vom 15.06.2007 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, eine Verschlimmerung gegenüber dem Bescheid vom 28.06.2002 sei nicht nachgewiesen. Die Einschätzung von Dr. E., es sei ein GdB von 100 zu veranschlagen, werde nicht durch entsprechende Befunde gestützt. Auf der Grundlage der Aussage von Dr. C. gebe es keinerlei Hinweise darauf, dass die Klägerin tatsächlich nach dem 28.06.2002 - wie von ihr in ihrem Erhöhungsantrag vom 28.07.2003 behauptet - einen Schlaganfall erlitten habe. Nach Einpflanzung der Trigeminus-Stimulations-Sonde mit der Folge einer wesentlichen Schmerzreduktion habe sich die Trigeminus-Neuralgie erheblich gebessert. Wesentliche gesundheitliche Verschlimmerungen hätten sich auch nicht hinsichtlich des Fibromyalgie-Syndroms sowie der Beschwerden auf orthopädischem Gebiet ergeben. Ausweislich des Entlassberichtes der Rheumaklinik Bad Säckingen habe die dortige Behandlung nämlich zu geringer ausgeprägten Rückenschmerzen geführt.
Gegen das am 25.06.2007 (Bl. 97 d. SG-Akt.) zugestellte Urteil hat die Klägerin am 29.06.2007 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie sich im Wesentlichen darauf gestützt, ihr Gesamt-GdB sei mit mindestens 80 zu veranschlagen. Aus dem von ihr übermittelten Arztbrief von Dr. F. vom 13.05.2005 ergäben sich Einschränkungen auf orthopädischem Fachgebiet, insbesondere im Bereich der Lendenwirbelsäule. Das SG habe diese nicht berücksichtigt.
Der Senat hat auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädisch-schmerztherapeutischen Fachgutachtens beim Facharzt für Orthopädie, spezielle Schmerztherapie Dr. F. sowie eines Hals-Nasen-Ohrenärztlichen Gutachtens bei Prof. Dr. E., Leiter des Zentrums für Musikermedizin des Universitätsklinikums Freiburg.
Dr. F. hat in einem Gutachten vom 06.04.2008 bei der Klägerin 1. chronifiziertes Schmerzsyndrom mit wiederkehrendem fibromyalgieformem Beschwerdebild, 2. Hüftendoprothese links, 3. degenerative Wirbelsäulenveränderungen der Lendenwirbelsäule bei hyperlordotischer Fehlhaltung und folgender Überlastung der Zwischenwirbelgelenke mit Spondylarthrose ohne Nachweis klinischer Ausfälle, 4. Thorakalsyndrom bei Rundrückenfehlhaltung mit mäßig degenerativen Veränderungen rechtsseitig, 5. Ausschluss einer Hüftarthrose rechts, 6. mäßig beginnende degenerative Veränderungen des rechten Kniegelenkes im Sinne eines chondropathischen Reizzustandes und einer beginnenden innenseitigen Arthrose des Kniegelenkes ohne funktionelle Einschränkungen, 7. wiederkehrende Schulterbeschwerden links ohne pathologische Veränderungen sowie 8. wiederkehrende Handgelenksbeschwerden rechts ohne pathologische Veränderungen festgestellt. Sämtliche Beschwerden seien als chronisch anzusehen. Bei der Klägerin - die sich durchaus in der Lage sehe, mehrmals täglich mit ihrem Hund längere Strecken zurückzulegen (Bl. 49 d. LSG-Akt.) - bestehe ein deutlich unerfüllbares Anspruchsdenken hinsichtlich völliger Schmerzfreiheit. Die Funktionsbeeinträchtigungen durch die Hüftendoprothese links sowie im Bereich des linken Kniegelenkes seien jeweils als leicht einzuordnen. Die Funktionsstörungen der Wirbelsäule bei Fehlhaltung mit degenerativen Veränderungen seien insgesamt altersentsprechend. Die Funktionsbeeinträchtigungen im Schulter- und Handgelenksbereich seien geringfügig. Auch die fibromyalgieformen Beschwerden im Sinne muskulärer Verspannungen und Beschwerden seien als leicht einzustufen. Die computertomographisch nachgewiesenen Bandscheibenvorfälle L3/4, L4/5 und L5/S1 seien ohne neurologische Auffälligkeiten und für das Schmerzgeschehen irrelevant. In Gesamtschau der nicht stark ausgeprägten degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, aber auch unter Würdigung des lang dauernden und wiederkehrenden fibromyalgieformen Schmerzsyndroms sei der Grad der Behinderung für alle Leiden auf orthopädischem und schmerztherapeutischem Fachgebiet (außer Trigeminus-Neuralgie) mit einem GdB von 40 einzustufen. Die Trigeminus-Neuralgie sei durch die Implantation der Sonde deutlich gebessert, aber auch noch sehr beeinträchtigend, so dass er sich der Vorbeurteilung mit einem GdB von 30 durchaus anschließe. Insgesamt erscheine der derzeitige Gesamt-GdB von 60 gerechtfertigt. Die Vermengung der Fibromyalgie mit seelischen Problemen und funktionellen Organbeschwerden resultiere daraus, dass das Fibromyalgie-Syndrom als psychosoziale Erkrankung anzusehen sei. Für die Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks sei kein GdB mehr zu veranschlagen.
Prof. Dr. E. hat in seinem Gutachten vom 07.12.2009 (Bl. 70 d. LSG-Akt.) auf HNO-ärztlichem Fachgebiet eine asymmetrische Innenohrschwerhörigkeit, rechts deutlich ausgeprägter als links, sowie beidseits einen Tinnitus festgestellt. Die Hörminderung und der Tinnitus seien als dauerhafte Funktionsbeeinträchtigungen anzusehen. Auf der Grundlage eines Ton- und Sprachaudiogramms vom 05.05.2009 (Bl. 86/87 d. LSG-Akt.) bestehe links eine annähernde Normalhörigkeit und rechts eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit mit einem Hörverlust von 90 %. Die Hörminderung rechts sei mit einer "MdE" von 15 und der Tinnitus mit einer "MdE" von 10 einzuschätzen. Für alle Leiden der Klägerin auf HNO-ärztlichem Fachgebiet sei ein GdB von 25 zu veranschlagen. Von der Aussage von Dr. Pfister weiche er im Wesentlichen deshalb ab, weil sich das Hörvermögen auf dem rechten Ohr verschlechtert und er zusätzlich den Tinnitus berücksichtigt habe.
Für den Beklagten hat sich hierzu Dr. D. unter dem 23.02. und 10.03.2010 (Bl. 91, 97 d. LSG-Akt.) geäußert und ausgeführt, bei Zugrundelegung des einfachen Gesamtwortverstehens ergebe sich unter Auswertung des Ton- und Sprachaudiogramms vom 05.05.2009 für das rechte Ohr allenfalls ein Hörverlust von 80 %. Bei einer Tendenz in Richtung 10 sei mithin ein voller Zehnergrad für die Schwerhörigkeit rechts festzustellen. Soweit Prof. Dr. E. für den Tinnitus einen Teil-GdB von 10 angebe, richte sich dieser nach den hiermit verbundenen psychovegetativen Begleiterscheinungen. Daher sei der Tinnitus bei der bereits anerkannten seelischen Störung mit funktionellen Organbeschwerden zu subsumieren. Auf der Grundlage des Gutachtens von Dr. F. sei für das Wirbelsäulenleiden für sich allein betrachtet unter Ausschluss psychischer Beschwerden allenfalls ein Teil-GdB von 20 festzustellen. Klammere man diesen Teil-GdB von 20 für die organischen Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule aus, verbleibe für die psychischen Auswirkungen inklusive psychischer Folgeerscheinungen bestehender Schmerzen allenfalls ein Teil-GdB von 30, wobei, wie bereits erwähnt, der Tinnitus in diesem Teil-GdB mit zu berücksichtigen sei. Insgesamt werde dann mit diesem Teil-GdB von 30 für sämtliche psychischen Funktionseinschränkungen eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit berücksichtigt. Die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin seien nunmehr als Fibromyalgie-Syndrom, seelische Störung, funktionelle Organbeschwerden, Ohrgeräusche (Tinnitus) (Teil-GdB 30), Bandscheibenschaden (Teil-GdB 20), Trigeminusneuralgie rechts (Teil-GdB 20), Hüftgelenksendoprothese links (Teil-GdB 20), Verlust der Gebärmutter, Verlust des rechten Eierstocks (Teil-GdB 10), Sehminderung rechts (Teil-GdB 10), Schwerhörigkeit rechts (Teil-GdB 10) und Refluxkrankheit der Speiseröhre (Teil-GdB 10) zu bezeichnen, wobei der bisherige Gesamt-GdB von 60 wie bisher beizubehalten sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 15. Juni 2007 und den Bescheid des Beklagten vom 11. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, einen Grad der Behinderung von mindestens 80 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge, die Verwaltungsakten des Beklagten und die beigezogenen SG-Akten S 3 SB 833/01 bzw. S 3 SB 908/98 verwiesen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid des Beklagten vom 11.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2005 verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Eine wesentliche Änderung seit dem Erlass des Bescheides vom 28.06.2002, mit dem bei der Klägerin ein GdB von 60 festgestellt worden war, ist nicht eingetreten. Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten mithin keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 80.
Wegen der für die GdB-Feststellung erforderlichen Voraussetzungen und der hierfür maßgebenden Rechtsvorschriften nimmt der Senat auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug und sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die Funktionsbehinderungen Fibromyalgie-Syndrom, seelische Störung, funktionelle Organbeschwerden und Ohrgeräusche (Tinnitus) mit einem Teil-GdB von 30, der Bandscheibenschaden, die Trigeminus-Neuralgie rechts und die Hüftgelenksendoprothese links jeweils mit einem Teil-GdB von 20, der Verlust der Gebärmutter bzw. der Verlust des rechten Eierstocks, die Sehminderung rechts, die Schwerhörigkeit rechts und die Refluxkrankheit der Speiseröhre jeweils mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten, mithin bei der Klägerin ein Gesamt-GdB von 60 anzunehmen, wie von Dr. D. in seinen Stellungnahmen vom 23.02. und 10.03.2010 überzeugend dargelegt.
Ein höherer GdB ergibt sich auch nicht aus der im Berufungsverfahren auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG betriebenen Sachaufklärung. Wie Dr. F. zutreffend ausgeführt hat, kann für das Wirbelsäulenleiden der Klägerin für sich allein betrachtet unter Ausschluss psychischer Beschwerden allenfalls ein Teil-GdB von 20 veranschlagt werden. Hinsichtlich der Gesundheitsstörungen auf HNO-ärztlichem Fachgebiet richtet sich der GdB bei Ohrgeräuschen (Tinnitus) gemäß Teil B Nr. 5.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG), S. 54, nach den hiermit verbundenen psychovegetativen Begleiterscheinungen, weshalb dieser bei der bereits anerkannten seelischen Störung, dem Fibromyalgie-Syndrom und den funktionellen Organbeschwerden mit zu bewerten ist. Insoweit ist hier gemäß Teil B Nr. 3.7 der VMG, S. 42, eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, mithin ein Teil-GdB von 30, zu berücksichtigen.
Entgegen der Einschätzung von Prof. Dr. E. ist die Schwerhörigkeit rechts lediglich mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten. Laut Teil B Nr. 5.2.1, S. 51 der VMG ist bei der Ermittlung der Schwerhörigkeit nämlich allenfalls bis zu einem Hörverlust von 40 % das gewichtete Gesamtwortverstehen anzuwenden, bei Hörverlusten über 40 % nur das einfache Gesamtwortverstehen. Bei Zugrundelegung des einfachen Gesamtwortverstehens mit einem Wert von 60 und einem Hörverlust für Zahlen in Höhe von 30 dB, wie aus dem Ton- und Sprachaudiogramm vom 05.05.2009 ersichtlich, lässt sich für das rechte Ohr aber allenfalls ein Hörverlust von 80 % und nicht, wie Prof. Dr. E. meint, von 90 % ableiten. Auch bei Anwendung der Dreifrequenz-Tabelle nach Röser (Teil B Nr. 5.2.3, S. 52 der VMG) ergibt sich für das rechte Ohr (nur) ein Hörverlust von 80 %; je nachdem, ob bei Anwendung derselben die Tabellenspalte "60 - 80" oder "80 - 95" zugrundelegt wird, lässt sich hieraus - bei Hörverlust von rechts 80 % und links 0 % - ein GdB von 10 bzw. 15 feststellen. Insoweit macht sich der Senat die versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. D. vom 23.02. und 10.03.2010 zu eigen. Vor dem Hintergrund, dass der GdB stets in vollen Zehnergraden anzugeben ist, ist hier bei einer Tendenz in Richtung 10 (nur) ein voller Zehnergrad für die Schwerhörigkeit rechts festzulegen (vgl. Teil A Nr. 2, S. 20 der VMG).
Aus den Einzel-GdB-Werten von 30 zusammen für das Fibromyalgie-Syndrom, die seelische Störung, für funktionelle Organbeschwerden und die bei der Klägerin bestehenden Ohrgeräusche (Tinnitus), jeweils 20 für den Bandscheibenschaden, die Trigeminus-Neuralgie rechts und die Hüftgelenksendoprothese links sowie jeweils 10 für den Verlust der Gebärmutter/Verlust des rechten Eierstocks, die Sehminderung rechts, die Schwerhörigkeit rechts und die Refluxkrankheit der Speiseröhre resultiert unter Berücksichtigung von Teil A Nr. 3, S. 22 der VMG ein Gesamt-GdB von (weiterhin) 60. Insoweit ist nämlich zu berücksichtigen, dass sich insbesondere die fibromyalgieformen Beschwerden der Klägerin durch muskuläre Verspannungen äußern und insoweit mit den durch den Bandscheibenschaden und die Hüftgelenksendoprothese links hervorgerufenen Beschwerden, insbesondere einer insoweit bestehenden Fehl- bzw. Schonhaltung, überschneiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
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