L 6 U 4278/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 4026/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 4278/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 12.08.2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe und die Dauer einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung streitig.

Der 1967 geborene Kläger stürzte während seiner beruflichen Tätigkeit als Zimmermann am 22.01.2005 von einer Leiter und erlitt dabei distale Radiusfrakturen beidseits, eine Orbitabodenfraktur links, eine Kieferhöhlenfraktur an der vorderen und medialen Wand links, eine Jochbeinfraktur links und eine Ethmoidalzellfranktur dorsal links. Der Kläger wurde stationär vom 22.01.2005 bis zum 30.01.2005 in der Chirurgie des Klinikums der J.-W.-v.-G.-Universität F. am M. (Berichte vom 24.01.2005 und 01.02.2005), im weiteren Verlauf ambulant durch den Chirurgen Dr. A. (Berichte vom 01.02.2005, 02.03.2005 und 29.03.2005), in der Chirurgie des Klinikums O. (Bericht vom 08.02.2005), durch den Augenarzt Dr. H. (Bericht vom 11.03.2005) sowie in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik L. (Bericht vom 01.04.2005) und ferner stationär vom 11.04.2005 bis zum 20.05.2005 sowie vom 06.06.2005 bis zum 21.07.2005 in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik L. (Berichte vom 14.07.2005 und 25.07.2005) behandelt.

Sodann ließ die Beklagte den Kläger untersuchen und begutachten. Dr. K., Chefarzt der Chirurgie des Klinikums L.-E., beschrieb in seinem Gutachten vom 02.03.2006 eine Bewegungseinschränkung beider Handgelenke mit belastungsabhängigen Schmerzen und eine initiale posttraumatische Arthrose beider distaler Radio-Karpal-Gelenke als wesentliche Unfallfolgen und schätzte die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit 10 vom Hundert (v. H.) ein. Der Beratungsarzt der Beklagten Dr. J. empfahl am 22.03.2006 die Gewährung einer Gesamtvergütung nach einer MdE um 20 v. H. für die Dauer von sechs Monaten und begründete dies mit der Schwere der erlittenen Verletzungen und der vorübergehenden Schonungsbedürftigkeit.

Mit Bescheid vom 04.04.2006 stellte die Beklagte nach knöchern fest verheilten Brüchen der linken und rechten Speiche mit Gelenkbeteiligung und knöchern fest verheilten Brüchen der linken Augenhöhle, der linken Kieferhöhlenwand, des linken Jochbeins sowie der linken Siebbeinzellen eine Bewegungseinschränkung in beiden Handgelenken und bei der Unterarmdrehung, eine Herabsetzung der Gebrauchs- und Belastungsfähigkeit der Handgelenke, eine Knochenkalksalzminderung, röntgenologisch nachweisbare Veränderungen im ehemaligen Bruchbereich beider Handgelenke sowie einliegendes Fremdmaterial im Bereich des rechten Handgelenks als Unfallfolgen fest und bewilligte für die Zeit vom 20.02.2006 bis zum 31.08.2006 Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 20 v. H.

Den dagegen am 18.04.2006 eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.07.2006 zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 14.08.2006 zum Sozialgericht Freiburg die auf die Gewährung von Rente ab 20.02.2006 nach einer MdE um mindestens 40 v. H. gerichtete Klage.

Ferner beantragte der Kläger am 21.08.2006 bei der Beklagten, ihm Rente über den 31.08.2006 hinaus zu gewähren. Prof. Dr. W., Ärztlicher Direktor an der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik L., gelangte in seinem für die Beklagte erstellten Gutachten vom 11.12.2006 zu der Einschätzung, die MdE betrage 10 v. H. seit 01.09.2006. Mit Bescheid vom 04.01.2007 lehnte die Beklagte die Gewährung von Rente über den 31.08.2006 hinaus ab.

Das Sozialgericht hörte zunächst Dr. A. unter dem 16.01.2007 schriftlich als sachverständigen Zeugen und holte sodann von Amts wegen das Gutachten des Chirurgen Dr. L. vom 19.03.2007 ein. Der Sachverständige gelangte zu der Einschätzung, die MdE betrage 20 v. H. bis zum 31.08.2006 und 15 v. H. ab 01.09.2006.

Mit Gerichtsbescheid vom 12.08.2009 wies das Sozialgericht die Klage ab. Es stützte sich dabei auf das Gutachten des Dr. L ... Die vom Sachverständigen aufgeführten Bewegungsmaße entsprächen einer Beweglichkeitseinschränkung gegenüber dem Normbereich um 25 Grad rechts und 10 Grad links. Diese Werte wichen nicht wesentlich von den in den Gutachten von Dr. K. und Prof. Dr. W. dokumentierten Werten ab. Die auf der Grundlage dieser Befunde von Dr. L. geschätzte MdE um 15 v. H. erscheine - ebenso wie die von den Vorgutachtern auf Grund noch geringfügig besserer Befunde angenommene MdE um 10 v. H. - bei einem Vergleich mit den einschlägigen Erfahrungswerten nicht unangemessen. Nach diesen Maßstäben sei für den Folgezustand nach einem einseitigen Speichenbruch erst bei Achsenabknickung und Einschränkung der Handgelenksbewegungen um insgesamt 40 Grad eine MdE um 10 v. H., mithin bei einem Zustand, wie er beim Kläger auf keiner Seite vorliege, vorgesehen. Voraussetzung für eine MdE um 20 v. H. sei eine erhebliche Achsenabknickung sowie Bewegungseinschränkung um insgesamt 80 Grad und für eine MdE um 40 v. H. eine komplette Versteifung eines Handgelenks in Beugung oder Überstreckung von 45 Grad. Auch wenn man berücksichtige, dass die Erfahrungswerte für einseitige Unfallfolgen gälten, während der Kläger an beiden oberen Extremitäten geschädigt sei, erscheine er doch gegenüber den so beschriebenen Unfallfolgezuständen messbar besser gestellt. Eine höhere Bewertung sei auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer besonderen beruflichen Betroffenheit gerechtfertigt, da besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen über das für einen Zimmermannsgesellen mit vergleichbarer Berufserfahrung Übliche hinaus nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen worden seien.

Gegen den seinen Prozessbevollmächtigten am 17.08.2009 zugestellten Gerichtsbescheid des Sozialgerichts hat der Kläger am 17.09.2009 Berufung eingelegt. Unter Zugrundelegung der MdE-Beurteilung mit 15 v. H. durch Dr. L. sei eine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen gegenüber der nach einer MdE um 20 v. H. bewilligten Rente als vorläufige Entschädigung nicht eingetreten. Ferner habe das Sozialgericht nicht berücksichtigt, dass er an beiden oberen Extremitäten geschädigt sei. Die Schädigung an beiden oberen Extremitäten führe nicht lediglich dazu, dass die einseitig geschätzten MdE-Werte zu addieren, sondern zu verdreifachen seien. Während eine einseitige Schädigung durch das gesunde Gliedmaß kompensiert werden könne, sei bei einer Schädigung beider Extremitäten eine solche Kompensation nicht möglich, so dass der Geschädigte wesentlich gravierender beeinträchtigt sei, als bei einer einseitigen Unfallfolge. Ferner sei die Einschätzung der Kraftminderung an beiden Handgelenken nicht zutreffend erfolgt. Die von Dr. L. gemessenen Werte sprächen nicht für eine leichte, sondern für eine grobe Kraftminderung der linken Hand. Im Übrigen habe das Sozialgericht im Rahmen der Prüfung des Vorliegens einer besonderen beruflichen Betroffenheit die inzwischen entstandenen beruflichen Nachteile nicht berücksichtigt. Nach seiner erfolgten Umschulung vom Zimmermann zum Verkäufer sei seine Leistungsfähigkeit weiter beeinträchtigt worden. Im Übrigen sei die Vergütung als Verkäufer geringer, so dass er einen unzumutbaren sozialen Abstieg habe in Kauf nehmen müssen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 12.08.2009 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 04.04.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.07.2006 abzuändern, den Bescheid der Beklagten vom 04.01.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 22.01.2009 Rente ab 20.02.2006 bis auf Weiteres nach einer MdE um mindestens 40 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Vorliegend komme es nicht darauf an, ob eine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers vorliege. Die MdE sei mit unter 20 v. H. adäquat bewertet. Auch liege eine besondere berufliche Betroffenheit beim Kläger nicht vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 04.04.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.07.2006 sowie der in entsprechender Anwendung des § 96 SGG zum Gegenstand des Gerichtsverfahrens gewordene Bescheid der Beklagten vom 04.01.2007 sind rechtmäßig. Der Kläger hat aus Anlass des Unfalls vom 22.01.2005 keinen Anspruch auf die Gewährung höherer Rente vom 20.02.2006 bis zum 31.08.2006 und auch nicht auf Rente über den 31.08.2006 hinaus. Die MdE des Klägers ist vom 20.02.2006 bis zum 31.08.2006 nicht höher als mit 20 v. H. und über den 31.08.2006 hinaus nicht mehr mit mindestens 20 v. H. zu bewerten.

Das Sozialgericht hat in der angefochtenen Entscheidung die für den Rechtsstreit maßgeblichen Rechtsvorschriften (§§ 56, 62 und 75 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VII]) und unfallversicherungsrechtlichen Erfahrungswerte (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, Nr. 8.7.7.2.3, S. 544) zutreffend und umfassend dargestellt und ausgeführt, weshalb im vorliegenden Verfahren eine höhere als die oben angeführte MdE nicht gegeben ist. Der Senat schließt sich gemäß § 153 Abs. 2 SGG diesen Ausführungen nach eigener Prüfung unter Verweis auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheides zur Vermeidung von Wiederholungen an.

Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren ist gegenüber der angefochtenen Entscheidung eine andere Beurteilung nicht gerechtfertigt. Auch der Senat folgt der überzeugenden MdE-Einschätzung durch Dr. L ... Er hat in seinem Gutachten nicht nur die Bewegungseinschränkungen in den Handgelenken, sondern auch die vorhandene Kraftminderung beschrieben und dennoch keine höhere MdE angenommen. Anhaltspunkte dafür, dass die von Dr. L. gemessenen Werte nicht für eine leichte, sondern für eine grobe Kraftminderung der linken Hand und mithin für eine rentenberechtigende MdE sprechen, hat der Senat nicht. Auch führt der Umstand, dass beim Kläger unfallbedingt ein Gesundheitsschaden an beiden oberen Extremitäten vorliegt, nicht zu einer rentenberechtigenden MdE. Zwar kann nach den Erfahrungswerten bei geschädigten paarigen Gliedmaßen eine funktionelle Wechselwirkung bei der MdE-Beurteilung berücksichtigt werden (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, Nr. 3.6.4, S. 104). Vorliegend erreichen jedoch - worauf das Sozialgericht zu Recht hingewiesen hat - die Funktionseinschränkungen an den beiden Handgelenken des Klägers wegen fehlender Achsenabknickung jeweils noch keine Teil-MdE-Werte um mindestens 10 v. H., so dass selbst bei einer additiven Berücksichtigung beider Teil-MdE-Werte die Gesamt-MdE nicht mindestens 20 v. H. erreichen würde. Für die vom Kläger vorgebrachte Erwägung, die Teil-MdE-Werte müssten vorliegend verdreifacht werden, gibt es keine unfallmedizinisch nachvollziehbare Begründung. Ferner hat das Sozialgericht mit zutreffender Argumentation dargelegt, warum die MdE des Klägers nicht wegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit heraufzusetzen ist. Diesen Ausführungen hat der Senat nichts hinzuzufügen. Im Übrigen setzt vorliegend entgegen der Ansicht des Klägers die Ablehnung von Rente über den 31.08.2006 hinaus auch keine wesentliche Änderung in den Verhältnissen voraus. Denn vorliegend handelt es sich nicht um einen Fall des § 73 Abs. 3 SGB VII in Verbindung mit § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), sondern um einen solchen des § 62 Abs. 2 Satz 2 SGB VII und zudem um eine von vornherein befristet erfolgte Leistungsbewilligung, so dass ein Absinken der MdE um mehr als 5 v. H. nicht erforderlich ist.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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