L 15 SB 19/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 SB 4/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SB 19/07
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
In Feststellungsverfahren nach § 69 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) sind die Träger der Unfallversicherung gemäß § 75 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht beizuladen, wenn der Kläger sowohl die Folgen von Arbeitsunfällen als auch sonstige Funktionsstörungen und -beeinträchtigungen festgestellt wissen will.
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 28. Dezember 2006 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Dem 1945 geborenen Kläger geht es um Rentenleistungen auf unbestimmte Zeit nach einem am 01.02.2000 erlittenen Arbeitsunfall. Zu diesem Zweck begehrt er die Verurteilung des Beklagten zu einer "besonderen Feststellung" von unfallbedingten Gesundheitsstörungen einschließlich Merkzeichen RF (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht), die für die zuständige Berufsgenossenschaft Bindungswirkung entfalten soll, und außerdem die Verurteilung der Berufsgenossenschaft als Beigeladene zu Rentenleistungen.

Der Rechtsstreit des Klägers mit der Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution (bis 2007: Berufsgenossenschaft für den Einzelhandel) ist rechtskräftig beendet, nachdem das Bundessozialgericht die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21.02.2006 (L 3 U 407/02) mit Beschluss vom 07.06.2006 (B 2 U 129/06) als unzulässig verworfen hat. Der Kläger hat sein Ziel, eine Verletztenrente über den November 2002 hinaus und eine höhere Verletztenrente für die Zeit von März 2001 bis November 2002 zu erhalten, nicht erreicht. Es blieb bei der Entscheidung der Berufsgenossenschaft, die eine vorläufige Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 für die Zeit von 29.03.2001 bis 30.11.2002 gewährt hatte (Bescheide vom 06.09.2001 und 26.11.2002).

Die Landesversicherungsanstalt Schwaben bewilligte dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit (Bescheid vom 07.06.2001, Leistungsfall im Februar 2000, Rentenbeginn 29.03.2001).

Auf Antrag des Klägers vom 26.07.2000 ("Tinnitus, Wirbelsäulenschaden mit Bandscheibe") hatte der Beklagte einen Grad der Behinderung (GdB) von 20 festgestellt (Bescheid vom 14.09.2000, Abhilfe-Bescheid vom 10.01.2001, Widerspruchsbescheid vom 19.07.2001). Dabei waren die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 20 und die Schwerhörigkeit beidseits mit Ohrgeräuschen mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet worden.

Mit Schriftsätzen vom 09.08.2002 (Eingang 12.08.2002), vom 16.08.2002 (Eingang 19.08.2002) und vom 21.09.2002 (Eingang 23.09.2002) stellte der Kläger "Antrag auf besondere Feststellung einer Behinderung und des Grades der Behinderung für Rente auf unbestimmte Zeit" (so Betreff des Schreibens vom 21.09.2002, vgl. auch Schreiben vom 28.09.2002) und damit verbunden Antrag auf Eintragung des Merkzeichens RF. Zur Begründung erläuterte er mit Hinweis auf § 4 Abs. 2 SchwbG, dass mit dem vorläufigen Bescheid der Berufsgenossenschaft "eine viel zu geringe und nicht den Tatsachen entsprechende MdE-Feststellung getroffen worden (sei), die nicht mit den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit nach dem Schwerbehinderten-Gesetz und BVG-Gesetz in Einklang (stehe)." Er legte seine medizinische und sozialmedizinische Sicht dar, verlangte eine Begutachtung mit körperlicher Untersuchung durch die Versorgungsverwaltung und widerrief seine Einwilligung, ärztliche Unterlagen der Berufsgenossenschaft und der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. beizuziehen; es dürften "auf keinen Fall die gefälschten Röntgenbilder und gefälschten Befundberichte verwendet" werden (Schreiben vom 28.09.2002). Außerdem legte er die Erste Verordnung zur Durchführung des Schwerbeschädigtengesetzes vom 18.03.1954 vor, deren § 2 er als Grundlage für seinen Antrag auf "besondere Feststellung" sieht:

"Ist für Personen im Sinne des § 1 Abs. 1 Buchstaben a und c des Gesetzes sowie für die durch Arbeitsunfall oder Berufskrankheit beschädigten Personen im Sinne des § 1 Abs. 1 Buchstabe d des Gesetzes ein Rentenverfahren eingeleitet, eine unanfechtbar gewordene Entscheidung jedoch noch nicht getroffen, so genügt bis zu dieser Entscheidung als Voraussetzung für die Anerkennung der Schwerbeschädigteneigenschaft eine Bescheinigung der für die Rentenfestsetzung zuständigen Dienststelle, dass die gesundheitliche Schädigung auf die Ereignisse und Umstände des § 1 Abs. 1 Buchstaben a, c oder d des Gesetzes zurückzuführen und mit der Anerkennung einer nicht nur vorübergehenden Minderung der Erwerbsfähigkeit um wenigstens 50 vom Hundert zu rechnen ist." (Hervorhebungen des Klägers).

Veranlasst durch das Vorbringen des Klägers klärte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 24.09.2002 darüber auf, dass die Kausalitätsfrage im Bereich des Schwerbehindertenrechts keine Rolle spiele. Es komme nur auf die gegenwärtig vorliegenden Funktionseinschränkungen unabhängig von der Ursache an. Ermittlungen zur Kausalitätsfrage würden nicht durchgeführt. Eine weitere Aufklärung zu seinem Gesundheitszustand vor dem Arbeitsunfall sei daher nicht veranlasst.

Mit der dagegen zum Sozialgericht erhobenen Untätigkeitsklage (S 11 SB 859/02) machte der Kläger geltend, dass die Feststellungen durch den Beklagten Bindungswirkung für die Berufsgenossenschaft entfalten würden und deshalb Interesse auf eine besondere Feststellung wie beantragt bestünde. In der Gerichtsverhandlung am 30.10.2003 nahm der Kläger die Untätigkeitsklage zurück und erklärte, dass er im Verfahren S 11 SB 523/03 lediglich seine Unfallfolgen festgestellt wissen wolle und an der Feststellung anderer Gesundheitsstörungen nicht interessiert sei.

Gegen die Feststellung eines GdB von 30 mit Bescheid vom 13.12.2002, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 25.07.2003, erhob der Kläger am 26.08.2003 Klage zum Sozialgericht Augsburg (S 11 SB 523/03). In der mündlichen Verhandlung am 17.11.2004 erklärte er, dass er mit dem Schreiben vom 21.09.2002 nicht einen Verschlimmerungsantrag habe stellen wollen, sondern lediglich einen Antrag auf Feststellung von Unfallfolgen. Er habe erwartet, dass in dem Bescheid vom 13.12.2002 die besondere Feststellung von Unfallfolgen getroffen werde und sonst nichts. Nachdem der Beklagte ihm eine versorgungsärztliche Untersuchung und die Überprüfung der bisherigen Bescheide zugesichert hatte, erklärte er am 17.11.2002, dass er die Klage nicht weiterverfolge.

Nach versorgungsärztlicher Untersuchung durch den Chirurgen und Unfallchirurgen R. am 22.12.2004 erfolgte der Bescheid am 07.01.2005. Bei Berücksichtigung des Verzichts auf die Feststellung der Schwerhörigkeit ergebe sich ein GdB von 30. Dabei wurden die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und die Lungenfunktionseinschränkung samt Bluthochdruck jeweils mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet, die Funktionsbehinderung beider Schultergelenke mit einem Einzel-GdB von 10. Die Bescheide vom 10.01.2001 und 13.12.2002 seien rechtmäßig ergangen, wobei bei Erlass des Bescheids vom 10.01.2001 nur die Behinderung Nr. 1 (Wirbelsäule) vorgelegen habe. Eine Aufhebung der Bescheide nach § 44 SGB X komme daher nicht in Betracht. Am 23.07.2007 wurde - auf Anregung des Berufungsgerichts im Erörterungstermin am 03.07.2007 - ein Widerspruchsbescheid erteilt. Nachdem der Kläger zwischenzeitlich beim Beklagten die Hinzuziehung der Berufsgenossenschaft für den Einzelhandel nach § 12 Abs. 2 Satz 2 SGB X beantragt hatte (Schreiben vom 01.02.2005), stellte der Beklagte im Widerspruchsbescheid fest, dass die Berufsgenossenschaft nicht beizuladen sei, weil der Ausgang des Verfahrens keine rechtsgestaltende Wirkung für die Berufsgenossenschaft habe und diese an Feststellungen der Versorgungsverwaltung nicht gebunden sei.

Am 03.01.2005 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Augsburg (S 8 SB 4/05) und stellte den "Antrag auf Sozialrechtlichen Herstellungs-Anspruch" mit dem Petitum, auf der Grundlage der Anträge vom 12.08.2002 und 19.08.2002 so gestellt zu werden, als ob das Versorgungsamt die "besondere Feststellung wegen der Rente auf unbestimmte Zeit von der Berufsgenossenschaft für den Einzelhandel" richtig getroffen hätte. Er stelle vorsichtshalber Antrag auf sozialrechtlichen Herstellungsanspruch, nachdem im Verfahren
S 11 SB 523/03 ein Urteil nicht ergangen sei. Der gleichzeitig gestellte Antrag auf Eintragung des gesundheitlichen Merkmals RF in den Ausweis sei nur in Verbindung mit dem anderen Antrag auf besondere Feststellung durchzuführen. Einen Bescheid vom 07.01.2005 als Verwaltungsakt gäbe es nicht. Die nur wiederholende Verfügung vom 07.01.2005 sei nicht der entsprechend einem Antrag auf besondere Feststellung zu ergehende Bescheid. Der Beklagte sei nicht in die erforderlichen Sachprüfungen eingetreten und habe somit keinen ersetzenden Verwaltungsakt erlassen. Der Kläger stellte Antrag auf Beiladung der Berufsgenossenschaft für den Einzelhandel nach § 75 Abs. 2 SGG und Verurteilung der Berufsgenossenschaft nach § 75 Abs. 5 SGG.

Das Sozialgericht Augsburg wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28.12.2006 ab, weil sie weder als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage noch als Untätigkeitsklage zulässig sei und für die Klage insgesamt das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Der Gerichtsbescheid wurde dem Kläger am 11.01.2007 zugestellt.

Gegen diese Entscheidung legte der Kläger am 09.02.2007 Berufung ein.

Den in erster Instanz gestellten Antrag konkretisiert er mit dem Antrag, den "ursprünglich objektiv rechtswidrigen Grundlagen-Ablehnungs-Bescheid des Beklagten vom 24.09.2002 ... zu ersetzen" und den Beklagten zu verurteilen, aufgrund der Anträge vom 12.08.2002 und 19.08.2002 die Arbeitsunfallfolgen nach den Anhaltspunkten festzustellen und die Gesamt-MdE auf 90 vom Hundert und den Gesamt-GdB auf 90 festzusetzen. Der Beklagte sei zu einem feststellenden Verwaltungsakt mit Doppelwirkung und Dauerwirkung - mit konkret benannten Verfügungssätzen gerichtet an die Berufsgenossenschaft - zu verurteilen. Die Berufsgenossenschaft sei beizuladen und nach § 75 Abs. 5 SGG zu verurteilen; der Beiladungs-Antrag ist in allen Schriftsätzen hervorgehoben. Er stellt Anträge zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts und rügt, dass das Sozialgericht gegen das Gebot der Sachaufklärung verstoßen habe. Die Entscheidung des Sozialgerichts hält er für rechtsirrig. Er sei "auch dann beschwert, wenn seinem Hauptantrag Besondere Feststellung der Rente auf unbestimmte Zeit durch Anträge vom 12. und 19.8.2002 für besondere Feststellung bei ZBFS und gleichzeitigem Antrag auf Eintragung gesundheitlicher Merkmale in den Ausweis nicht stattgegeben worden" sei. Das Rechtsschutzbedürfnis für die besondere Feststellung ergebe sich aus den Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 06.12.1989 (9 RVs 3/89)und vom 24.04.2008 (B 9/9a SB 8/06 R). Die Revision sei wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Die besondere Feststellung sei noch nicht vom Bundessozialgericht entschieden worden und klärungsbedürftig, da sie sich nicht unmittelbar und ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lasse. Grundlage der besonderen Feststellung von Arbeitsunfallfolgen sei § 2 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Schwerbehindertengesetzes vom 18.03.1954. Als Bescheinigung im Sinn dieser Regelung sieht er den Bescheid der Berufsgenossenschaft über eine Rente als vorläufige Entschädigung.

Im Erörterungstermin am 03.07.2007 hat der Kläger bekräftigt, dass er keine weiteren Funktionsbeeinträchtigungen außer den Unfallfolgen festgestellt haben möchte und für die Unfallfolgen ein höherer GdB und Merkzeichen RF zuzuerkennen seien. Der Änderungsbescheid vom 13.12.2002 sei aus seiner Sicht weder erforderlich noch gewünscht gewesen, so dass er dessen Aufhebung beantrage und gleichzeitig beantrage, diesen Bescheid durch die besondere Feststellung zu ersetzen. Die Feststellung im Bescheid vom 07.01.2005 nach § 48 SGB X habe er am 17.11.2004 in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Augsburg nicht beantragt. Die Klarstellung seitens des Bevollmächtigten des Beklagten, dass es sich bei dem Bescheid vom 07.01.2005 um einen Bescheid nach § 44 SGB X handele und die Nennung des § 48 SGB X in der Überschrift ein offensichtlicher Schreibfehler sei, ließ der Kläger nicht gelten.

Der Kläger beantragt,
1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 28.12.2006 aufzuheben;
2. den Bescheid des Beklagten vom 24.09.2002 und den Änderungsbescheid vom 13.12.2002 aufzuheben und durch die besondere Feststellung zu ersetzen,
3. den Beklagten zu verurteilen, aufgrund der Anträge vom 12.08.2002 und 19.08.2002 den Gesamt-GdB und die Gesamt-MdE auf 90 festzusetzen;
4. den Beklagten zu verurteilen,
a) den Gesamtgrad der Behinderung mit Angabe der Funktionsbeeinträchtigungen durch feststellenden und hinlänglich bestimmten Verwaltungsakt mit Außenwirkung auszusprechen;
b) den Bescheid für die besondere Feststellung der Arbeitsunfallfolgen mit der Gesamt-MdE als gebundenen, begünstigenden und feststellenden Verwaltungsakt mit Doppelwirkung und Dauerwirkung und mit Verfügungssätzen zur Bindung der Berufsgenossenschaft für den Einzelhandel an die Gesamt-MdE-Festsetzung auszusprechen;
c) das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs RF festzustellen.

Außerdem legt er großen Wert auf folgende, zu Protokoll gegebene Anträge:
1. Geltendmachung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs, bisher trotz Geltendmachung mit Berufungsbegründungsschrift Bayer. LSG L 15 SB 19/07 noch gar nicht berücksichtigt.
2. Antrag auf (wieder) Beiladung der Berufsgenossenschaft nach § 75 Abs. 5 SGG, nach willkürlicher Aufhebung mit Beschluss vom 29.04.2009, trotz gegebener Gesetzeslage für Beiladung.
3. Antrag nach § 86a SGG Aufschiebende Wirkung und nach § 86b SGG Einstweiliger Rechtsschutz i.V.m. Sozialrechtlichen Herstellungsanspruch und nicht berücksichtigter fehlerhafter Besetzung mit Verstoß gegen gesetzlichen Richter beim Beschluss vom 03.04.2009 im eigenen Antragsverfahren LSG L 15 SB 51/09 ER.
4. unbedingt gestellter Beweisantrag (ohne Einschränkung).

Hilfsweise beantragt er, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Berufung für unzulässig und nimmt auf den angefochtenen Gerichtsbescheid Bezug.

Mit Beschluss vom 07.01.2009 wurde die Berufsgenossenschaft für den Einzelhandel, Bezirksverwaltung München, gemäß § 75 Abs. 2 SGG zum Verfahren beigeladen. Nach Ankündigung im Beschluss vom 03.04.2009 (L 15 SB 51/09 ER) wurde der Beiladungs-Beschluss durch Beschluss vom 29.04.2009 aufgehoben. Dagegen protestierte der Kläger heftig. Unter Bezugnahme auf das Verfahren S 9 U 67/02 "als eigentlich zu schützendes ursprüngliches Hauptsacheverfahren" macht er vielfältige Rechts- und Verfassungsverstöße geltend.

Die Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz hat der Senat mit Beschlüssen vom 03.04.2009 (L 15 SB 51/09 ER) und vom 12.04.2010 (L 15 SB 173/09 ER) abgelehnt.

Mit Beschluss vom 29.06.2009 (L 15 SB 81/09 ER RG) ist die gegen den Beschluss vom 03.04.2009 gerichtete Anhörungsrüge zurückgewiesen und die Ablehnung der Richterin Pröller für unbegründet erklärt worden.

Mit Beschluss vom 23.12.2009 (L 15 SB 174/09 RG) sind die Anträge auf Ablehnung der Richter Hoffmeister, Spiegl, Wenwieser-Weber und Dr. Vießmann als unzulässig verworfen und die gegen den Beschluss vom 29.06.2009 gerichtete Anhörungsrüge zurückgewiesen worden.

Mit Beschluss vom 05.02.2010 (L 15 SB 10/10 RG) ist der Antrag auf Ablehnung der Richterin Dr. Alexander als unzulässig verworfen und die Anhörungsrügen gegen den Beschluss vom 23.12.2009 als unzulässig verworfen worden.

Mit Beschluss vom 12.04.2010 (L 15 SB 35/10 RG) hat der Senat die Anhörungsrüge gegen den Beschluss vom 05.02.2010 als unzulässig verworfen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz (L 15 SB 19/07, S 8 SB 4/05) und der Behindertenakten des Beklagten sowie der weiteren beigezogenen Akten Bezug genommen. Neben den Akten des Senats L 15 SB 35/10 RG, L 15 SB 10/10 RG, L 15 SB 174/09 RG, L 15 SB 173/09 ER, L 15 SB 81/09 ER RG, L 15 SB 51/09 ER sind dies folgende Akten: die Akten des Sozialgerichts Augsburg
S 8 SB 630/01, S 11 SB 859/02, S 11 SB 862/02 ER, S 11 SB 522/03 ER, S 11 SB 523/03, S 8 SB 77/05 ER, außerdem die Akten in der Unfallstreitsache S 9 U 67/02 (Sozialgericht Augsburg) und L 3 U 407/02 (Bayer. Landessozialgericht).



Entscheidungsgründe:


Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht Augsburg die Klage abgewiesen, weil sie nicht zulässig ist.

Für die Klage besteht kein Rechtsschutzbedürfnis. Der Kläger missbraucht die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit, indem er ein gesetzlich vorgesehenes Verfahren zur Verfolgung zweckwidriger und insofern nicht schutzwürdiger Ziele durchführt (vgl. Mayer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 9. Auflage, Vor § 51 Rn. 16; BGH vom 18.06.1970, X ZB 2/70, Rn. 13, zitiert nach iuris). Die Rechtsordnung sieht für sein Rechtsschutzbegehren einen anderen Weg vor, nämlich die Geltendmachung von Ansprüchen gegen die zuständige Berufsgenossenschaft und den entsprechenden Rechtsweg, den der Kläger auch beschritten und ausgeschöpft hat. Wenn er sein Begehren außerdem auf einem weiteren, von vornherein ungeeigneten Weg verfolgt, bedeutet dies einen nicht schutzwürdigen Missbrauch der Gerichte.

Ziel des Klägers ist es, dass die zuständige Berufsgenossenschaft eine Verletztenrente wegen des Arbeitsunfalls im Februar 2000 leisten soll. Für dieses an sich legitime und schutzwürdige Ziel hat er ein Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren gegen die zuständige Berufsgenossenschaft angestrengt und anschließend ein Klage- und Berufungsverfahren durchgeführt, das zwischenzeitlich rechtskräftig abgeschlossen ist, ohne dass der Kläger sein Ziel ganz oder teilweise erreicht hätte (Bescheide der Berufsgenossenschaft vom 06.09.2001 und 26.11.2002, Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 27.11.2002, Az. S 9 U 67/02, Urteil des BayLSG vom 21.02.2006, Az. L 3 U 407/02, Beschluss des BSG vom 07.06.2006, Az. B 2 U 129/06 B).

Nicht mehr legitim und schutzwürdig ist es, wenn er dasselbe Ziel in einem Verfahren nach § 69 SGB IX zur Feststellung von Behinderungen und des Grads der Behinderung verfolgt. Auch hier geht es ihm nur um die Feststellung unfallbedingter Gesundheitsstörungen zwecks Begründung von Rentenansprüchen zu Lasten der Berufsgenossenschaft. Dies war von Anfang an Ziel seines Antrags vom 12.08.2002 "auf besondere Feststellung einer Behinderung und des Grades der Behinderung ..." Den Betreff im Schreiben vom 21.09.2002 formulierte er folgendermaßen: "Antrag auf besondere Feststellung einer Behinderung und des Grades der Behinderung für Rente auf unbestimmte Zeit AVF". Mit Schreiben vom 09.02.2005 informierte er den Beklagten über den Streitgegenstand im Berufungsverfahren: " ...ist rechtshängig mit Streitgegenstand Besondere Feststellung der Rente auf unbestimmte Zeit von der BG und Antrag bei AVF besondere Feststellung vom 12.8. und 19.8.02 und durch Antrag auf Eintragung des Merkzeichens RF in den Ausweis". Wiederholt und unmissverständlich hat der Kläger bekundet, dass er nur die Unfallfolgen und nicht auch andere Gesundheitsstörungen als Behinderungen festgestellt wissen will, mehrfach auch zu Protokoll (vgl. Niederschrift über den Erörterungstermin am 03.07.2007; Niederschrift über die Gerichtsverhandlungen am 30.11.2003 und am 17.11.2004, S 11 SB 859/02 und S 11 SB 523/03). Da er Rentenleistungen von der Berufsgenossenschaft anstrebt, ist für ihn deren Beiladung von zentraler Bedeutung, weswegen er mit großem Nachdruck die Beiladung der Berufsgenossenschaft fordert. Klargestellt hat er auch, dass "der gleichzeitig gestellte Antrag auf Eintragung des gesundheitlichen Merkzeichens RF in den Ausweis ... nur in Verbindung mit dem anderen Antrag Besondere Feststellung durchzuführen" sei (Schriftsatz vom 14.12.2006, S 8 SB 4/05).

Jüngst erläuterte der Kläger, dass er das Schwerbehindertenverfahren führt, weil die Unfallstreitsache irreparabel sei. Es sei deshalb "weiterer Umsonstdurchlauf von sozialgerichtlichen Verfahren mit irreparablem Hauptverfahren angesagt und verdrehtes Ankommen als Schwerbehinderten-Verfahren im Bayer. LSG L 15 SB 19/07 gegeben. Auch wegen dem verdreht ankommenden Verfahren als ein Schwerbehinderten-Verfahren anstatt wie ursprünglich ein Gesetzliches Unfallversicherungsverfahren" und wegen irreparabelen Zustands des Verfahrens habe er den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch geltend gemacht (Schriftsatz vom 14.01.2010, L 15 SB 10/10 RG).

Die Entscheidung des BSG vom 24.04.2008 (B 9/9a SB 8/06 R), auf die sich der Kläger zur Begründung seines Rechtsschutzbedürfnisses beruft, missversteht er grundlegend. In dieser Entscheidung stellte das BSG klar, dass Behinderte unabhängig davon, ob sich ihre rechtliche und/ oder wirtschaftliche Situation verbessert, Anspruch auf Feststellung des Grads der Behinderung haben, also stets ein Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellung des GdB besteht. In diesem Zusammenhang geht das BSG auf die Unterschiede von GdB-Feststellungen im Schwerbehindertenrecht einerseits und der verwandten MdE-Feststellung (Minderung der Erwerbsfähigkeit) im Unfallversicherungs- und im Versorgungsrecht andererseits ein, ohne auch nur den geringsten Anhaltspunkt für die Vertretbarkeit des Anliegens des Klägers in diesem Rechtsstreit zu liefern.

Auch die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 06.12.1989 (9 RVs 3/89) ist nicht ansatzweise als Bestätigung eines Rechtsschutzinteresses des Klägers für das hier betriebene Verfahren geeignet. Der Kläger bezieht sich auf die Aussage des Bundessozialgerichts, dass trotz der Verweisung in § 4 Abs. 2 SchwbG mit der Verpflichtung zur Übernahme anderweitiger Feststellungen die Rechtslage nach dem Schwerbehindertengesetz grundsätzlich anders sei als im Entschädigungsrecht oder in der Unfallversicherung. Damit liefert das Bundessozialgericht nicht etwa ein Argument für, sondern gegen die Sicht des Klägers.

Die Behauptung des Klägers, dass die Feststellungen des Beklagten im Verfahren nach
§ 69 SGB X Bindungswirkung für die Berufsgenossenschaft entfalten, entbehrt jeder Grundlage. Das geltende Recht sieht eine solche Bindungswirkung nicht vor. Die Feststellung eines Grads der Behinderung durch die Versorgungsverwaltung hat für den Unfallversicherungsträger - anders als umgekehrt (vgl. § 69 Abs. 2 SGB IX) - keine bindende Wirkung bei seiner Entscheidung über die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit und sagt nichts darüber aus, ob Gesundheitsstörungen als Unfallfolgen anzusehen sind (so wörtlich BSG vom 10.07.2006, B 9a SB 1/06 BH).

Die Regelung des § 69 Abs. 2 SGB IX (früher § 4 Abs. 2 SchwbG) ist nicht analogiefähig bzw. umkehrbar. Danach sind Feststellungen nach Absatz 1 nicht zu treffen, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden Erwerbsminderung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist, es sei denn der behinderte Mensch ein Interesse an anderweitiger Feststellung nach Absatz 1 glaubhaft macht. Eine Feststellung nach Satz 1 gilt zugleich als Feststellung des Grads der Behinderung (Satz 2). Die umgekehrte Anwendung des § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB IX dergestalt, dass eine Berufsgenossenschaft Feststellungen zum Grad der Behinderung übernimmt, kommt nicht in Betracht und ist nicht einmal im Wege einer Gesetzesänderung vorstellbar. Die Versorgungsverwaltung stellt Behinderungen im Verfahren nach § 69 SGB IX unabhängig von ihrer Ursache fest. Demgegenüber kommt es im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung bei der Ermittlung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) gerade auf Fragen des Ursachenzusammenhangs zwischen Arbeitsunfall und Gesundheitsschaden an. Feststellungen des Beklagten zum Grad der Behinderung sind daher für eine Berufsgenossenschaft typischerweise wertlos.

Auch das frühere Schwerbeschädigtenrecht sah die Möglichkeit einer Feststellung des Grads der Behinderung mit Bindungswirkung für die Berufsgenossenschaft nicht vor. Der Kläger irrt, wenn er meint, § 2 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Schwerbeschädigtengesetzes vom 18.03.1954 sei als Rechtsgrundlage für seinen Antrag auf besondere Feststellung geeignet, ganz abgesehen davon, dass die 1974 aufgehobene Verordnung längst überholt ist (BGBl. I 1974, S. 997, 998). Entsprechend der Struktur des geltenden Rechts konnte nach dieser Verordnung von 1954 gegebenenfalls die Schwerbeschädigteneigenschaft anerkannt werden, wenn die für die Rentenfestsetzung zuständige Stelle bescheinigt hat, dass die gesundheitliche Schädigung auf bestimmte Umstände wie z.B. einen Arbeitsunfall zurückzuführen ist und mit der Anerkennung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von wenigstens 50 zu rechnen ist. Eine Regelung zum umgekehrten Fall, die das Ansinnen des Klägers stützen könnte, enthielt diese Verordnung nicht.

Außerdem ist die Klage weder als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage im Sinn des § 54 Abs. 1 SGG noch als Untätigkeitsklage im Sinn des § 88 Abs. 1 SGG zulässig.

Die am 03.01.2005 erhobene Klage richtet sich nicht gegen den Bescheid des Beklagten vom 07.01.2005. Aufgrund der Einlassungen des Klägers im erstinstanzlichen Verfahren erübrigt sich die Frage, ob der erst nach Klageerhebung erteilte Bescheid vom 07.01.2005 zulässigerweise Gegenstand der am 03.01.2005 erhobenen Klage - als Anfechtungsklage - werden konnte. Denn der Kläger lehnt eine Anfechtung des Bescheids vom 07.01.2005 mit der Begründung ab, es handele sich nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um eine wiederholende Verfügung, und es sei nicht der entsprechend seinem Antrag auf besondere Feststellung zu ergehende Bescheid.

Die am 03.01.2005 erhobene Klage ist auch nicht als Untätigkeitsklage zulässig. Wie das Sozialgericht Augsburg zutreffend ausgeführt hat, ist und bleibt eine Untätigkeitsklage unzulässig, wenn sie vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist des § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG (Sperrfrist) erhoben und auch der beantragte Verwaltungsakt vor Ablauf der Sperrfrist erteilt wurde, wie dies hier der Fall ist. Der Beklagte entschied über den in der mündlichen Verhandlung am 17.11.2004 gestellten Antrag des Klägers auf Überprüfung der bisherigen Bescheide mit Bescheid vom 07.01.2005.

Eine zulässige Anfechtungs- und Verpflichtungsklage liegt auch nicht insoweit vor, als sich der Kläger gegen den "ursprünglich objektiv rechtswidrigen Grundlagen-Ablehnungs-Bescheid des Beklagten vom 24.09.2002" wendet. Das Schreiben vom 24.09.2002 lässt sich mangels Regelung nicht als Verwaltungsakt (§ 31 SGB X) qualifizieren und kann daher von vornherein nicht Gegenstand einer Anfechtungsklage sein. Der Beklagte hatte mit Schreiben vom 24.09.2002 den Kläger darauf hingewiesen, dass die Kausalitätsfrage im Bereich des Schwerbehindertenrechts keine Rolle spiele und es nur auf die vorliegenden Funktionseinschränkungen unabhängig von der Ursache ankomme. Ermittlungen zur Kausalitätsfrage würden nicht durchgeführt. Diese Hinweise dienten der Information des Klägers über die Rechtslage.

Schließlich liegt eine zulässige Anfechtungs- und Verpflichtungsklage auch nicht bezüglich des Bescheids vom 13.12.2002 vor, mit dem der Beklagte einen Grad der Behinderung von 30 festgestellt hatte. Dieser Bescheid ist bestandskräftig und nicht mehr anfechtbar, nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 17.11.2004 erklärt hat, dass er die Klage gegen diesen Bescheid nicht weiterverfolge (S 11 SB 523/03).

Die vom Kläger beantragte Beiladung der Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution ist nicht veranlasst. Zu Recht wurde der Beiladungsbeschluss vom 07.01.2009 durch Beschluss vom 29.04.2009 aufgehoben. Entgegen der Auffassung des Klägers liegt ein Fall der notwendigen Beiladung im Sinn des § 75 Abs. 2 SGG nicht vor. Die Berufsgenossenschaft ist an dem streitigen Rechtsverhältnis nicht derart beteiligt, dass die Entscheidung auch ihr gegenüber nur einheitlich ergehen könnte. Eine Feststellung des Beklagten im Verfahren nach § 69 SGB IX hat für die Berufsgenossenschaft keine bindende Wirkung bei deren Entscheidung über die Höhe der MdE und sagt nichts darüber aus, ob Gesundheitsstörungen als Unfallfolgen anzusehen sind (siehe oben).

Weiter besteht kein Anlass, den Beweisanträgen des Klägers nachzugehen. Bei Unzulässigkeit der Klage wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses bedarf es keiner Aufklärung des medizinischen Sachverhalts.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen entgegen der Einschätzung des Klägers nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) noch weicht das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab (§ 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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