Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 8 U 43/05
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 64/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 17. April 2007 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung eines Zeckenbisses vom 24. August 2003 als Arbeitsunfall.
Der 1948 geborene Kläger war bei der Deutschen Bahn Regio AG als Lokrangierführer beschäftigt und übte diese Tätigkeit am 24. August 2003 zwischen 6.00 Uhr und 18 Uhr aus. Laut Unfallanzeige des Arbeitgebers vom 29. September 2003 habe er sich am 24. August 2003 während seiner Tätigkeit, begünstigt durch Unkrautbewuchs im Gleisbereich, einen Zeckenbiss am Rücken zugezogen. Der Kläger suchte am 1. September 2003 den Durchgangsarzt Privatdozent (PD) Dr. D. auf. Dieser berichtete unter dem 27. Oktober 2003, der Kläger habe erklärt, am 24. August 2003 sei abends beim Ausziehen eine Zecke vom Rücken gefallen. Er habe am darauf folgenden Tag geringe, am nächsten Tag starke Rückenschmerzen gehabt und den Hausarzt aufgesucht. Dieser habe ihn wegen einer Nervenentzündung ab dem 29. August 2003 arbeitsunfähig geschrieben. Am 30. August 2003 sei er mit einer Nervenlähmung in das Krankenhaus S. eingeliefert worden. PD Dr. D. diagnostizierte eine periphere Facialisparese (Gesichtslähmung) rechts bei Neuroborreliose.
Der Kläger hielt sich anschließend vom 1. September 2003 bis 25. September 2003 stationär in der Klinik für Neurologie des Krankenhauses O (Städtisches Klinikum M.) auf. Unter dem 30. September 2003 berichtete der Chefarzt der Klinik Dr. K., im Blutserum des Klägers seien keine IgG-Antikörper gegen Borreliose vorhanden. Im cerebralen Magnetresonanztomogramm (MRT) zeige sich eine Neuritis nervi facialis (Entzündung der Gesichtsnerven) rechts. Bei der klinischen Untersuchung sei am Rücken ein Erythema chronicum migrans (eine Wanderröte) aufgefallen.
Die Beklagte holte Befundberichte ein: Der Allgemeinarzt Dr. P. berichtete unter dem 26. November 2003, der Kläger habe ihn am 26. August 2003 mit seit dem Vortag zunehmenden gürtelförmigen Thoraxschmerzen aufgesucht. Bis zum 29. August 2003 habe sich die Interkostalneuralgie (Nervenschmerzen der Zwischenrippen) verschlimmert. Aufgrund des zeitlichen Verlaufs der Erkrankung sei eine Borrelieninfektion kurz vor dem 26. August 2003 als wahrscheinlich anzusehen. Der Ärztliche Direktor und Chefarzt der Median Klinik N. M. Prof. Dr. Dr. S. führte in dem Entlassungsbericht vom 22. Dezember 2003 über den stationären Aufenthalt des Klägers vom 6. Oktober 2003 bis 27. Oktober 2003 aus, der Kläger habe sich an einen Zeckenbiss nicht erinnern können. Die neurologische Untersuchung habe eine periphere Fazialisparese rechts mit Lagophthalmus (unvollständiger Lidschluss) rechts gezeigt. Der Arzt für Neurologie Dr. M. berichtete unter dem 25. November 2003, es bestehe der Verdacht auf eine meningeale (die Hirnhaut betreffende) Reizung sowie hohe zervikale Wurzelreizung.
Unter dem 1. April 2004 führte die Ärztin des Städtischen Klinikums Dr. B. aus, im Blutserum des Klägers seien Mumps IgG- und IgM-Antikörper nachzuweisen. Dr. P. überließ der Beklagten das Ergebnis der Laboruntersuchung vom 23. April 2004, wonach Borreliose IgG- und IgM-Antikörper bei dem Kläger nicht, Mumps IgG Antikörper hingegen nachzuweisen waren. Darauf hin äußerte Dr. K. unter dem 6. Mai 2004 den Verdacht auf eine Mumps-Erkrankung.
Unter dem 2. Juli 2004 teilte der Kläger der Beklagten mit, in seinem Arbeitsbereich habe das Unkraut dicht und hoch gestanden. Er wohne in der Stadt, bewirtschafte keinen Garten und sei auch nicht woanders in Wald und Wiese gewesen.
Mit Bescheid vom 21. Juli 2004 lehnte es die Beklagte ab, aufgrund des Ereignisses vom 24. August 2003 Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen. Es sei nicht nachgewiesen, dass der Kläger während der Arbeit von einer Zecke gebissen worden sei bzw. diese Zecke den Borreliose-Erreger in sich getragen habe. Aus medizinischer Sicht sei jedoch die Einleitung eines Feststellungsverfahrens bezüglich einer Berufskrankheit erforderlich.
Hiergegen erhob der Kläger am 6. August 2004 Widerspruch und führte aus, ein Zeckenbiss sei ein plötzlich von außen auf den Körper wirkendes Ereignis und daher ein Unfall.
Die Beklagte erreichte das Einsatzprotokoll des RTW vom 30. September 2003 und der Bericht des Johanniter-Krankenhauses vom 3. September 2003 über den stationären Aufenthalt des Klägers vom 30. August bis 1. September 2003. Danach sei die Einlieferung des Klägers mit Verdacht auf einen Schlaganfall erfolgt. Er habe am Aufnahmetag bei hängendem rechtem Mundwinkel verwaschen gesprochen. Im Schädel-Computertomogramm sei ein cerebraler Herdbefund nicht nachgewiesen.
Mit dem Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2005 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Es sei nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststellbar, dass sich der Kläger im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit einen Zeckenbiss zugezogen habe.
Mit Schreiben vom 2. März 2005 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, ein Berufskrankheitenverfahren sei nicht angezeigt, weil der Kläger nicht dem gefährdeten Personenkreis der Nr. 3102 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) zuzurechnen sei. Auf Aufforderung werde ihm hierüber ein Bescheid erteilt.
Mit der am 24. März 2005 vor dem Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren, den Zeckenbiss vom 24. August 2003 als Arbeitsunfall anzuerkennen, weiterverfolgt und seinen bisherigen Vortrag vertieft. Er könne nicht den Vollbeweis antreten, dass die Erkrankung durch eine ganz bestimmte Zecke hervorgerufen worden sei. Es genüge vielmehr, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststehe, dass die Erkrankung ausschließlich auf ein Ereignis während der Ausübung seiner versicherten Tätigkeit zurück zu führen sei. Zecken würden sich auf ihre Wirte fallen lassen. Er sei sowohl am Tage, als er die Zecke beim abendlichen Entkleiden bemerkt habe, als auch in den Wochen zuvor jeweils lediglich von seiner Wohnung zur Arbeit und zurück gefahren.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht hat der Kläger ausgeführt, er habe am 24. August 2003 zwischen 14 Uhr und 15 Uhr das Gefühl gehabt, als wenn er am Rücken geschwitzt habe. Daraufhin habe er sich am Rücken gerieben. Am Abend sei dann beim Entkleiden etwas "Schwarzes" heruntergefallen. In der Nacht habe er gegen 3.30 Uhr erhebliche Rückenschmerzen bekommen, die er zunächst mit einer Salbe behandelt habe. Am nächsten Tag sei er zur Spätschicht gegangen. Nachts habe er wieder Rückenschmerzen bekommen und am darauffolgenden Tag Dr. P. aufgesucht.
Mit Urteil vom 17. April 2007 hat das Sozialgericht Magdeburg antragsgemäß den Bescheid der Beklagten vom 21. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2005 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Zeckenbiss vom 24. August 2003 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Zur Begründung hat es ausgeführt, den Kläger habe am 24. August 2003 zwischen 14 Uhr und 15 Uhr eine Zecke am Rücken gebissen. Der Kläger habe zuvor keine entsprechende Erkrankung erlitten, besitze keine Haustiere, keinen Garten und lebe in der Großstadt. Den Weg zur und von der Arbeit lege er mit dem Pkw zurück. Dagegen arbeite er berufsbedingt in hohem Unkraut und Gebüsch. Aufgrund der Krankheitssymptome sei davon auszugehen, dass er kurz vor dem 26. August 2003 eine Borrelioseerkrankung erlitten habe. Eine Erythema migrans trete üblicherweise im ersten Stadium der Erkrankung Tage bis etwa 10 Wochen nach dem Zeckenbiss auf. Dies sei zeitlich mit dem 24. August 2003 und dem späteren Krankheitsverlauf vereinbar.
Gegen das am 11. Mai 2007 zugegangene Urteil hat die Beklagte am 29. Mai 2007 Berufung eingelegt und im Wesentlichen auf das vom Landessozialgericht eingeholte Sachverständigengutachten von Dr. P. gestützt. Sie hat ferner ausgeführt, ein Zeckenbiss während der Ausübung versicherter Tätigkeit sei nicht nachgewiesen. Zu dem Ereignis lägen lediglich die Angaben des Klägers vor. Er habe gegenüber seinem Hausarzt am 26. August 2003 keinen Zeckenbiss erwähnt; erst am 1. September 2003 habe er hierüber berichtet. Offensichtlich seien auch keine Anzeichen eines frischen Zeckenbisses gefunden worden, denn die aufgesuchten Ärzte hätten den Kläger zunächst mit Verdacht auf Gürtelrose bzw. Intercostalneuralgie behandelt. Der dokumentierte Krankheitsverlauf sei untypisch für eine Infektion am 24. August 2003. Die Borreliose-Erreger befänden sich im Mitteldarm und gelangten erst mit den Ausscheidungen der Zecke in den menschlichen Körper. Eine Übertragung der Erreger in den ersten 24 Stunden nach dem Zeckenbiss sei nicht möglich. Je früher die Zecke nach Saugbeginn entfernt würde, um so geringer sei die Wahrscheinlichkeit der Übertragung von Borrelien. Auch seien bei dem Kläger keine IgG-Antikörper gegen Borrelien nachgewiesen. Eine Infektion durch Borrelien sei daher nicht gesichert. Zudem sei ein Zeckenbiss nicht zu spüren. Die "Blutmahlzeit" dauere wesentlich länger als einen Nachmittag und Abend.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 17. April 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor, aus den Befundberichten ergebe sich zweifelsfrei die Diagnose einer Borrelieninfektion nach Zeckenbiss. Die erstmals im März 2004 festgestellte positive Mumpsserologie stehe dieser Diagnose nicht entgegen. Das Sozialgericht habe sowohl die Umstände der versicherten Tätigkeit als auch die konkreten Risikofaktoren in seinen Lebensumständen zutreffend bewertet. Er sei während der Ausübung seiner Tätigkeit über das normale Maß hinaus dem Risiko eines Zeckenbisses ausgesetzt. Demgegenüber bestehe im privaten Bereich kein nur annähernd gleich hohes Risiko. Das Gutachten von Dr. P. stehe dem nicht entgegen. Er gehe davon aus, dass er die Zecke am 24. August 2003 eingefangen habe. Bei einem Biss zu Schichtbeginn lägen bis zum Abfallen der Zecke 12 Stunden, innerhalb der die Bakterien hätten übertragen werden können. Zwischen Schichtbeginn und Auftreten der Rückenschmerzen hätten mehr als 20 Stunden gelegen. Ob es sich bei diesen Schmerzen um Muskelschmerzen oder eine Nervenwurzelentzündung gehandelt habe, sei nicht festzustellen. Muskelschmerzen seien aber Symptome des Stadiums I der Borreliose und könnten bereits nach 20 Stunden auftreten. Im Übrigen handle es sich bei den Angaben der Sachverständigen Dr. P. nur um ca.-Angaben. Es sei auch zu berücksichtigen, dass durch das Reiben am Rücken zwischen 14 Uhr und 15 Uhr die Zecke möglicherweise bei ihrer Blutmahlzeit gestört worden und es zu abweichenden Übertragungen gekommen sei. Es sei aber nicht wahrscheinlich, dass der Zeckenbiss ausgerechnet zwischen 14 Uhr und 15 Uhr am 24. August 2003 erfolgt sei. Der Zeckenstich könne auch einen Tag zuvor erfolgt sein. Dr. P. habe in ihrem Gutachten schließlich nicht näher erklärt, dass eine Übertragung der tierexperimentellen Ergebnisse auf den Menschen im Verhältnis von 1:1 möglich sei.
Der Senat hat die Fachärztin für Innere Medizin und Infektiologie der C C V Klinik B. Dr. P. mit der Erstattung des Gutachtens vom 17. August 2009 beauftragt. Dr. P. hat ausgeführt, bei dem Kläger bestehe ein Residualzustand einer Fazialisparese rechts mit leichtgradiger Ptosis und leichter Mundwinkelheberschwäche sowie eine Unfähigkeit zu motorischen Leistungen wie Pfeifen und eine verminderte Sensibilität im Bereich der Segmente V1 und V2 des Nervus trigeminus. Die residuelle Fazialisparese rechts und die sich daraus ergebenden Konsequenzen, wie gehäufte Entzündungen der Bindehaut des Auges rechtsseitig und Beeinträchtigungen motorischer Leistungen im Bereich des rechten Augenlides und des Mundes seien ursächlich durch eine durchgemachte Borrelieninfektion zu erklären, die weder chronisch noch aktiv nachzuweisen sei. Aufgrund des klinischen Nachweises eines Erythema migrans im Bereich des Rückens sowie einer peripheren Fazialisparese rechts seit dem 29. August 2003 bei Nachweis eines entzündlichen Liquorsyndroms sowie Nachweis von borrelienspezifischen Antikörpern vom Typ IgM sowohl im Liquor als auch im Serum sei eine Borrelieninfektion in einem frühen Stadium II zum damaligen Zeitpunkt als hochwahrscheinlich anzusehen. Der Residualzustand des Klägers sei mit einer Borrelieninfektion zu vereinbaren. Die in der Nacht vom 25. August 2003 beginnenden und in den folgenden Nächten an Intensität zunehmenden, als gürtelförmig beschriebenen segmentalen Rückenschmerzen könnten demnach als Garin-Bujadoux-Bannwarth-Syndrom (Meningoradikuloneuritis) interpretiert werden. Bei dieser Erkrankung seien bei über 60 % der Patienten Hirnnervenausfälle und bei über 80 % der Fälle eine Hirnnervenbeteiligung des nervus facialis zu erwarten. Deutlich seltener sei eine Beteiligung des nervus trigeminus. Die Symptome einer Radikulitis entwickelten sich im Mittel 4 bis 6 Wochen, maximal 1 bis 12 Wochen nach Zeckenstich. Der Beschwerdebeginn am 25. August 2003 spreche daher gegen eine Infektion am 24. August 2003. Hinweise auf weitere infektiologische Ursachen für eine Fazialisparese hätten nicht bestanden. Aus tierexperimentellen Untersuchungen sei bekannt, dass eine Blutmahlzeit der Zecke ca. 16 bis 24 Stunden betrage, um Bakterien aus der Gruppe der Spirochäten übertragen zu können. Dies spreche gegen einen kausalen Zusammenhang der Schilderung des "Gefühls eines Zeckenbisses" gegen 14 Uhr bis 15 Uhr am 24. August 2003 und einem Abfallen einer Zecke gegen 18 Uhr. Da der Kläger nach eigenen Angaben zumeist im Rahmen seines Berufes für Rangierarbeiten im Freien eingesetzt sei, sei ein im Rahmen der Arbeitszeit erworbener Zeckenstich zu einem früheren Zeitpunkt wenige Wochen zuvor denkbar. Im Jahr 2003 seien für das Bundesland Sachsen-Anhalt 329 Borrelioseerkrankungen mit einer Inzidenz von 13,4/100.000 Einwohner gemeldet worden. Die Rate infizierter Zecken schwanke in Deutschland regional stark und liege zwischen 10 und mehr als 30 %. Das Risiko, durch einen Zeckenstich mit Borrelia burgdorferi infiziert zu werden, betrage insoweit durchschnittlich 2 bis 4 % und sei entscheidend von der Dauer des Zeckenstichs bzw. der Blutmahlzeit der Zecke abhängig.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung hat in der Sache Erfolg. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, ein Ereignis vom 24. August 2003 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Der Bescheid vom 21. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2005 ist nicht rechtswidrig und beschwert den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 SGG.
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Anerkennung eines Ereignisses vom 24. August 2003 als Arbeitsunfall. Eine Entscheidung über die Anerkennung einer Berufskrankheit der Nr. 3102 der Anlage 1 zur BKV hat die Beklagte ausdrücklich von der Entscheidung mit Bescheid vom 21. Juli 2004 ausgenommen. Mit Schreiben vom 2. März 2005 hat die Beklagte den Kläger auf die Möglichkeit hingewiesen, eine Entscheidung über die Anerkennung einer Berufskrankheit abzufordern.
Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod des Versicherten führen. Für einen Arbeitsunfall ist in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat. (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 4. September 2007 - B 2 U 28/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 24).
Die versicherte Tätigkeit, das Unfallereignis und der Gesundheitserstschaden müssen im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen sein. Dies bedeutet, dass das erkennende Gericht zu der vollen Überzeugung hinsichtlich dieser behaupteten anspruchsbegründenden Tatsache gelangen muss. Erforderlich ist, dass der Senat die Tatsache mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, also in einem so hohen Grade für wahrscheinlich hält, dass keine vernünftigen Zweifel mehr bestehen.
Unter Anwendung dieser Grundsätze liegt ein Arbeitsunfall nicht vor. Denn es ist nicht vollbeweislich gesichert, dass der Kläger am 24. August 2003 von einer Zecke gebissen wurde. Die Angabe des Klägers, am 24. August 2003 zwischen 14 und 15 Uhr am Rücken geschwitzt zu haben, ist kein Nachweis für einen in diesem Zeitraum erlittenen Zeckenbiss. In aller Regel wird, worauf Dr. P. hingewiesen hat, ein Zeckenbiss nicht wahrgenommen. Dass der Kläger an diesem Tag zwischen 14 und 15 Uhr am Rücken geschwitzt hat, lässt sich auch ohne Weiteres mit seiner Rangiertätigkeit erklären und ist bei der Ausübung dieser Tätigkeit in den Sommermonaten nicht ungewöhnlich. Dem Kläger ist auch keine Zecke an seinem Rücken aufgefallen. So hat er beim abendlichen Auskleiden lediglich etwas Schwarzes herunterfallen sehen, ohne dies näher begutachtet zu haben. Er kann daher nicht einmal selbst bestätigen, dass es sich bei dem "Schwarzen" um eine Zecke gehandelt hat.
Es ist auch nicht vollbeweislich gesichert, dass der Kläger zu einem anderen Zeitpunkt am 24. August 2003 von einer Zecke gebissen wurde. Der Kläger hat über keinen weiteren Vorfall am 24. August 2003 berichtet, der auf ein solches Ereignis schließen lässt. Damit steht für den Senat nicht mit dem erforderlichen Grad der Überzeugung fest, dass der Kläger am 24. August 2003 einen Unfall erlitten hat.
Zu Gunsten des Klägers kann auch nicht verwertet werden, dass ein Lokrangierführer während der Ausübung versicherter Tätigkeit einem erhöhten Risiko gegenüber anderen Personen ausgesetzt seinmag, einen Zeckenbiss zu erleiden. Eine Beweiserleichterung, wie sie in den technischen Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 3101 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung geregelt ist (Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war), ist beim Arbeitsunfall in Ermangelung einer entsprechenden Regelung nicht anzuwenden. Der Vollbeweis eines Bisses bei versicherter Tätigkeit folgt auch aus einem erhöhten Risiko nicht.
Nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. P. ist es auch nicht hinreichend wahrscheinlich, dass die Erkrankung des Klägers, die mit Rückenschmerzen am 25. August 2003 gegen 3.30 Uhr begonnen und sich in den folgenden Tagen verstärkt hat, auf einen Zeckenbiss am 24. August 2003 ursächlich zurück zu führen ist. Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände, insbesondere unter Berücksichtigung der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung, mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Dr. P. hat überzeugend dargelegt, dass die Symptome einer Borrelieninfektion im Mittel zwischen 4 und 6 Wochen nach dem Zeckenbiss auftreten, maximal aber zwischen einer und 12 Wochen. Die Erreger würden zudem erst nach einer Blutmahlzeit zwischen 16 und 24 Stunden übertragen. Bei einem Zeckenbiss am 24. August 2003 bei Schichtbeginn um 6.30 Uhr wären daher frühestens ab dem 2. September 2003 Symptome einer Borrelieninfektion zu erwarten gewesen. Auch wenn man davon ausginge, dass bei einem atypischen Verlauf vor Ablauf von 16 Stunden eine Übertragung von Erregern stattgefunden hat, wären Krankheitssymptome nicht vor dem 1. September 2003 zu erwarten gewesen. Es ist daher unwahrscheinlich, dass der Kläger einen Zeckenbiss am 24. August 2003 erlitten hat.
Ein früherer Zeckenbiss vor dem 24. August 2003 ist demgegenüber nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 21. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ausdrücklich über ein Ereignis vom 24. August 2003 entschieden. Dem entsprechend hat der Kläger auch vor dem Sozialgericht die Anerkennung eines Zeckenbisses vom 24. August 2003 als Arbeitsunfall beantragt und diesen Antrag im Berufungsverfahren nicht erweitert. Über einen Arbeitsunfall vor dem 24. August 2003 hatte der Senat daher nicht zu entscheiden. Dies gilt jedenfalls, wenn - wie hier - konkret erinnerte Ereignisse, die auch tatsächlich am 24. August 2003 stattgefunden haben, als Teil des Unfallereignisses oder als dessen Beleg geltend gemacht werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Voraussetzungen des § 160 SGG, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung eines Zeckenbisses vom 24. August 2003 als Arbeitsunfall.
Der 1948 geborene Kläger war bei der Deutschen Bahn Regio AG als Lokrangierführer beschäftigt und übte diese Tätigkeit am 24. August 2003 zwischen 6.00 Uhr und 18 Uhr aus. Laut Unfallanzeige des Arbeitgebers vom 29. September 2003 habe er sich am 24. August 2003 während seiner Tätigkeit, begünstigt durch Unkrautbewuchs im Gleisbereich, einen Zeckenbiss am Rücken zugezogen. Der Kläger suchte am 1. September 2003 den Durchgangsarzt Privatdozent (PD) Dr. D. auf. Dieser berichtete unter dem 27. Oktober 2003, der Kläger habe erklärt, am 24. August 2003 sei abends beim Ausziehen eine Zecke vom Rücken gefallen. Er habe am darauf folgenden Tag geringe, am nächsten Tag starke Rückenschmerzen gehabt und den Hausarzt aufgesucht. Dieser habe ihn wegen einer Nervenentzündung ab dem 29. August 2003 arbeitsunfähig geschrieben. Am 30. August 2003 sei er mit einer Nervenlähmung in das Krankenhaus S. eingeliefert worden. PD Dr. D. diagnostizierte eine periphere Facialisparese (Gesichtslähmung) rechts bei Neuroborreliose.
Der Kläger hielt sich anschließend vom 1. September 2003 bis 25. September 2003 stationär in der Klinik für Neurologie des Krankenhauses O (Städtisches Klinikum M.) auf. Unter dem 30. September 2003 berichtete der Chefarzt der Klinik Dr. K., im Blutserum des Klägers seien keine IgG-Antikörper gegen Borreliose vorhanden. Im cerebralen Magnetresonanztomogramm (MRT) zeige sich eine Neuritis nervi facialis (Entzündung der Gesichtsnerven) rechts. Bei der klinischen Untersuchung sei am Rücken ein Erythema chronicum migrans (eine Wanderröte) aufgefallen.
Die Beklagte holte Befundberichte ein: Der Allgemeinarzt Dr. P. berichtete unter dem 26. November 2003, der Kläger habe ihn am 26. August 2003 mit seit dem Vortag zunehmenden gürtelförmigen Thoraxschmerzen aufgesucht. Bis zum 29. August 2003 habe sich die Interkostalneuralgie (Nervenschmerzen der Zwischenrippen) verschlimmert. Aufgrund des zeitlichen Verlaufs der Erkrankung sei eine Borrelieninfektion kurz vor dem 26. August 2003 als wahrscheinlich anzusehen. Der Ärztliche Direktor und Chefarzt der Median Klinik N. M. Prof. Dr. Dr. S. führte in dem Entlassungsbericht vom 22. Dezember 2003 über den stationären Aufenthalt des Klägers vom 6. Oktober 2003 bis 27. Oktober 2003 aus, der Kläger habe sich an einen Zeckenbiss nicht erinnern können. Die neurologische Untersuchung habe eine periphere Fazialisparese rechts mit Lagophthalmus (unvollständiger Lidschluss) rechts gezeigt. Der Arzt für Neurologie Dr. M. berichtete unter dem 25. November 2003, es bestehe der Verdacht auf eine meningeale (die Hirnhaut betreffende) Reizung sowie hohe zervikale Wurzelreizung.
Unter dem 1. April 2004 führte die Ärztin des Städtischen Klinikums Dr. B. aus, im Blutserum des Klägers seien Mumps IgG- und IgM-Antikörper nachzuweisen. Dr. P. überließ der Beklagten das Ergebnis der Laboruntersuchung vom 23. April 2004, wonach Borreliose IgG- und IgM-Antikörper bei dem Kläger nicht, Mumps IgG Antikörper hingegen nachzuweisen waren. Darauf hin äußerte Dr. K. unter dem 6. Mai 2004 den Verdacht auf eine Mumps-Erkrankung.
Unter dem 2. Juli 2004 teilte der Kläger der Beklagten mit, in seinem Arbeitsbereich habe das Unkraut dicht und hoch gestanden. Er wohne in der Stadt, bewirtschafte keinen Garten und sei auch nicht woanders in Wald und Wiese gewesen.
Mit Bescheid vom 21. Juli 2004 lehnte es die Beklagte ab, aufgrund des Ereignisses vom 24. August 2003 Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen. Es sei nicht nachgewiesen, dass der Kläger während der Arbeit von einer Zecke gebissen worden sei bzw. diese Zecke den Borreliose-Erreger in sich getragen habe. Aus medizinischer Sicht sei jedoch die Einleitung eines Feststellungsverfahrens bezüglich einer Berufskrankheit erforderlich.
Hiergegen erhob der Kläger am 6. August 2004 Widerspruch und führte aus, ein Zeckenbiss sei ein plötzlich von außen auf den Körper wirkendes Ereignis und daher ein Unfall.
Die Beklagte erreichte das Einsatzprotokoll des RTW vom 30. September 2003 und der Bericht des Johanniter-Krankenhauses vom 3. September 2003 über den stationären Aufenthalt des Klägers vom 30. August bis 1. September 2003. Danach sei die Einlieferung des Klägers mit Verdacht auf einen Schlaganfall erfolgt. Er habe am Aufnahmetag bei hängendem rechtem Mundwinkel verwaschen gesprochen. Im Schädel-Computertomogramm sei ein cerebraler Herdbefund nicht nachgewiesen.
Mit dem Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2005 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Es sei nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststellbar, dass sich der Kläger im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit einen Zeckenbiss zugezogen habe.
Mit Schreiben vom 2. März 2005 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, ein Berufskrankheitenverfahren sei nicht angezeigt, weil der Kläger nicht dem gefährdeten Personenkreis der Nr. 3102 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) zuzurechnen sei. Auf Aufforderung werde ihm hierüber ein Bescheid erteilt.
Mit der am 24. März 2005 vor dem Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren, den Zeckenbiss vom 24. August 2003 als Arbeitsunfall anzuerkennen, weiterverfolgt und seinen bisherigen Vortrag vertieft. Er könne nicht den Vollbeweis antreten, dass die Erkrankung durch eine ganz bestimmte Zecke hervorgerufen worden sei. Es genüge vielmehr, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststehe, dass die Erkrankung ausschließlich auf ein Ereignis während der Ausübung seiner versicherten Tätigkeit zurück zu führen sei. Zecken würden sich auf ihre Wirte fallen lassen. Er sei sowohl am Tage, als er die Zecke beim abendlichen Entkleiden bemerkt habe, als auch in den Wochen zuvor jeweils lediglich von seiner Wohnung zur Arbeit und zurück gefahren.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht hat der Kläger ausgeführt, er habe am 24. August 2003 zwischen 14 Uhr und 15 Uhr das Gefühl gehabt, als wenn er am Rücken geschwitzt habe. Daraufhin habe er sich am Rücken gerieben. Am Abend sei dann beim Entkleiden etwas "Schwarzes" heruntergefallen. In der Nacht habe er gegen 3.30 Uhr erhebliche Rückenschmerzen bekommen, die er zunächst mit einer Salbe behandelt habe. Am nächsten Tag sei er zur Spätschicht gegangen. Nachts habe er wieder Rückenschmerzen bekommen und am darauffolgenden Tag Dr. P. aufgesucht.
Mit Urteil vom 17. April 2007 hat das Sozialgericht Magdeburg antragsgemäß den Bescheid der Beklagten vom 21. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2005 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Zeckenbiss vom 24. August 2003 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Zur Begründung hat es ausgeführt, den Kläger habe am 24. August 2003 zwischen 14 Uhr und 15 Uhr eine Zecke am Rücken gebissen. Der Kläger habe zuvor keine entsprechende Erkrankung erlitten, besitze keine Haustiere, keinen Garten und lebe in der Großstadt. Den Weg zur und von der Arbeit lege er mit dem Pkw zurück. Dagegen arbeite er berufsbedingt in hohem Unkraut und Gebüsch. Aufgrund der Krankheitssymptome sei davon auszugehen, dass er kurz vor dem 26. August 2003 eine Borrelioseerkrankung erlitten habe. Eine Erythema migrans trete üblicherweise im ersten Stadium der Erkrankung Tage bis etwa 10 Wochen nach dem Zeckenbiss auf. Dies sei zeitlich mit dem 24. August 2003 und dem späteren Krankheitsverlauf vereinbar.
Gegen das am 11. Mai 2007 zugegangene Urteil hat die Beklagte am 29. Mai 2007 Berufung eingelegt und im Wesentlichen auf das vom Landessozialgericht eingeholte Sachverständigengutachten von Dr. P. gestützt. Sie hat ferner ausgeführt, ein Zeckenbiss während der Ausübung versicherter Tätigkeit sei nicht nachgewiesen. Zu dem Ereignis lägen lediglich die Angaben des Klägers vor. Er habe gegenüber seinem Hausarzt am 26. August 2003 keinen Zeckenbiss erwähnt; erst am 1. September 2003 habe er hierüber berichtet. Offensichtlich seien auch keine Anzeichen eines frischen Zeckenbisses gefunden worden, denn die aufgesuchten Ärzte hätten den Kläger zunächst mit Verdacht auf Gürtelrose bzw. Intercostalneuralgie behandelt. Der dokumentierte Krankheitsverlauf sei untypisch für eine Infektion am 24. August 2003. Die Borreliose-Erreger befänden sich im Mitteldarm und gelangten erst mit den Ausscheidungen der Zecke in den menschlichen Körper. Eine Übertragung der Erreger in den ersten 24 Stunden nach dem Zeckenbiss sei nicht möglich. Je früher die Zecke nach Saugbeginn entfernt würde, um so geringer sei die Wahrscheinlichkeit der Übertragung von Borrelien. Auch seien bei dem Kläger keine IgG-Antikörper gegen Borrelien nachgewiesen. Eine Infektion durch Borrelien sei daher nicht gesichert. Zudem sei ein Zeckenbiss nicht zu spüren. Die "Blutmahlzeit" dauere wesentlich länger als einen Nachmittag und Abend.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 17. April 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor, aus den Befundberichten ergebe sich zweifelsfrei die Diagnose einer Borrelieninfektion nach Zeckenbiss. Die erstmals im März 2004 festgestellte positive Mumpsserologie stehe dieser Diagnose nicht entgegen. Das Sozialgericht habe sowohl die Umstände der versicherten Tätigkeit als auch die konkreten Risikofaktoren in seinen Lebensumständen zutreffend bewertet. Er sei während der Ausübung seiner Tätigkeit über das normale Maß hinaus dem Risiko eines Zeckenbisses ausgesetzt. Demgegenüber bestehe im privaten Bereich kein nur annähernd gleich hohes Risiko. Das Gutachten von Dr. P. stehe dem nicht entgegen. Er gehe davon aus, dass er die Zecke am 24. August 2003 eingefangen habe. Bei einem Biss zu Schichtbeginn lägen bis zum Abfallen der Zecke 12 Stunden, innerhalb der die Bakterien hätten übertragen werden können. Zwischen Schichtbeginn und Auftreten der Rückenschmerzen hätten mehr als 20 Stunden gelegen. Ob es sich bei diesen Schmerzen um Muskelschmerzen oder eine Nervenwurzelentzündung gehandelt habe, sei nicht festzustellen. Muskelschmerzen seien aber Symptome des Stadiums I der Borreliose und könnten bereits nach 20 Stunden auftreten. Im Übrigen handle es sich bei den Angaben der Sachverständigen Dr. P. nur um ca.-Angaben. Es sei auch zu berücksichtigen, dass durch das Reiben am Rücken zwischen 14 Uhr und 15 Uhr die Zecke möglicherweise bei ihrer Blutmahlzeit gestört worden und es zu abweichenden Übertragungen gekommen sei. Es sei aber nicht wahrscheinlich, dass der Zeckenbiss ausgerechnet zwischen 14 Uhr und 15 Uhr am 24. August 2003 erfolgt sei. Der Zeckenstich könne auch einen Tag zuvor erfolgt sein. Dr. P. habe in ihrem Gutachten schließlich nicht näher erklärt, dass eine Übertragung der tierexperimentellen Ergebnisse auf den Menschen im Verhältnis von 1:1 möglich sei.
Der Senat hat die Fachärztin für Innere Medizin und Infektiologie der C C V Klinik B. Dr. P. mit der Erstattung des Gutachtens vom 17. August 2009 beauftragt. Dr. P. hat ausgeführt, bei dem Kläger bestehe ein Residualzustand einer Fazialisparese rechts mit leichtgradiger Ptosis und leichter Mundwinkelheberschwäche sowie eine Unfähigkeit zu motorischen Leistungen wie Pfeifen und eine verminderte Sensibilität im Bereich der Segmente V1 und V2 des Nervus trigeminus. Die residuelle Fazialisparese rechts und die sich daraus ergebenden Konsequenzen, wie gehäufte Entzündungen der Bindehaut des Auges rechtsseitig und Beeinträchtigungen motorischer Leistungen im Bereich des rechten Augenlides und des Mundes seien ursächlich durch eine durchgemachte Borrelieninfektion zu erklären, die weder chronisch noch aktiv nachzuweisen sei. Aufgrund des klinischen Nachweises eines Erythema migrans im Bereich des Rückens sowie einer peripheren Fazialisparese rechts seit dem 29. August 2003 bei Nachweis eines entzündlichen Liquorsyndroms sowie Nachweis von borrelienspezifischen Antikörpern vom Typ IgM sowohl im Liquor als auch im Serum sei eine Borrelieninfektion in einem frühen Stadium II zum damaligen Zeitpunkt als hochwahrscheinlich anzusehen. Der Residualzustand des Klägers sei mit einer Borrelieninfektion zu vereinbaren. Die in der Nacht vom 25. August 2003 beginnenden und in den folgenden Nächten an Intensität zunehmenden, als gürtelförmig beschriebenen segmentalen Rückenschmerzen könnten demnach als Garin-Bujadoux-Bannwarth-Syndrom (Meningoradikuloneuritis) interpretiert werden. Bei dieser Erkrankung seien bei über 60 % der Patienten Hirnnervenausfälle und bei über 80 % der Fälle eine Hirnnervenbeteiligung des nervus facialis zu erwarten. Deutlich seltener sei eine Beteiligung des nervus trigeminus. Die Symptome einer Radikulitis entwickelten sich im Mittel 4 bis 6 Wochen, maximal 1 bis 12 Wochen nach Zeckenstich. Der Beschwerdebeginn am 25. August 2003 spreche daher gegen eine Infektion am 24. August 2003. Hinweise auf weitere infektiologische Ursachen für eine Fazialisparese hätten nicht bestanden. Aus tierexperimentellen Untersuchungen sei bekannt, dass eine Blutmahlzeit der Zecke ca. 16 bis 24 Stunden betrage, um Bakterien aus der Gruppe der Spirochäten übertragen zu können. Dies spreche gegen einen kausalen Zusammenhang der Schilderung des "Gefühls eines Zeckenbisses" gegen 14 Uhr bis 15 Uhr am 24. August 2003 und einem Abfallen einer Zecke gegen 18 Uhr. Da der Kläger nach eigenen Angaben zumeist im Rahmen seines Berufes für Rangierarbeiten im Freien eingesetzt sei, sei ein im Rahmen der Arbeitszeit erworbener Zeckenstich zu einem früheren Zeitpunkt wenige Wochen zuvor denkbar. Im Jahr 2003 seien für das Bundesland Sachsen-Anhalt 329 Borrelioseerkrankungen mit einer Inzidenz von 13,4/100.000 Einwohner gemeldet worden. Die Rate infizierter Zecken schwanke in Deutschland regional stark und liege zwischen 10 und mehr als 30 %. Das Risiko, durch einen Zeckenstich mit Borrelia burgdorferi infiziert zu werden, betrage insoweit durchschnittlich 2 bis 4 % und sei entscheidend von der Dauer des Zeckenstichs bzw. der Blutmahlzeit der Zecke abhängig.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung hat in der Sache Erfolg. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, ein Ereignis vom 24. August 2003 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Der Bescheid vom 21. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2005 ist nicht rechtswidrig und beschwert den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 SGG.
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Anerkennung eines Ereignisses vom 24. August 2003 als Arbeitsunfall. Eine Entscheidung über die Anerkennung einer Berufskrankheit der Nr. 3102 der Anlage 1 zur BKV hat die Beklagte ausdrücklich von der Entscheidung mit Bescheid vom 21. Juli 2004 ausgenommen. Mit Schreiben vom 2. März 2005 hat die Beklagte den Kläger auf die Möglichkeit hingewiesen, eine Entscheidung über die Anerkennung einer Berufskrankheit abzufordern.
Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod des Versicherten führen. Für einen Arbeitsunfall ist in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat. (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 4. September 2007 - B 2 U 28/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 24).
Die versicherte Tätigkeit, das Unfallereignis und der Gesundheitserstschaden müssen im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen sein. Dies bedeutet, dass das erkennende Gericht zu der vollen Überzeugung hinsichtlich dieser behaupteten anspruchsbegründenden Tatsache gelangen muss. Erforderlich ist, dass der Senat die Tatsache mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, also in einem so hohen Grade für wahrscheinlich hält, dass keine vernünftigen Zweifel mehr bestehen.
Unter Anwendung dieser Grundsätze liegt ein Arbeitsunfall nicht vor. Denn es ist nicht vollbeweislich gesichert, dass der Kläger am 24. August 2003 von einer Zecke gebissen wurde. Die Angabe des Klägers, am 24. August 2003 zwischen 14 und 15 Uhr am Rücken geschwitzt zu haben, ist kein Nachweis für einen in diesem Zeitraum erlittenen Zeckenbiss. In aller Regel wird, worauf Dr. P. hingewiesen hat, ein Zeckenbiss nicht wahrgenommen. Dass der Kläger an diesem Tag zwischen 14 und 15 Uhr am Rücken geschwitzt hat, lässt sich auch ohne Weiteres mit seiner Rangiertätigkeit erklären und ist bei der Ausübung dieser Tätigkeit in den Sommermonaten nicht ungewöhnlich. Dem Kläger ist auch keine Zecke an seinem Rücken aufgefallen. So hat er beim abendlichen Auskleiden lediglich etwas Schwarzes herunterfallen sehen, ohne dies näher begutachtet zu haben. Er kann daher nicht einmal selbst bestätigen, dass es sich bei dem "Schwarzen" um eine Zecke gehandelt hat.
Es ist auch nicht vollbeweislich gesichert, dass der Kläger zu einem anderen Zeitpunkt am 24. August 2003 von einer Zecke gebissen wurde. Der Kläger hat über keinen weiteren Vorfall am 24. August 2003 berichtet, der auf ein solches Ereignis schließen lässt. Damit steht für den Senat nicht mit dem erforderlichen Grad der Überzeugung fest, dass der Kläger am 24. August 2003 einen Unfall erlitten hat.
Zu Gunsten des Klägers kann auch nicht verwertet werden, dass ein Lokrangierführer während der Ausübung versicherter Tätigkeit einem erhöhten Risiko gegenüber anderen Personen ausgesetzt seinmag, einen Zeckenbiss zu erleiden. Eine Beweiserleichterung, wie sie in den technischen Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 3101 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung geregelt ist (Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war), ist beim Arbeitsunfall in Ermangelung einer entsprechenden Regelung nicht anzuwenden. Der Vollbeweis eines Bisses bei versicherter Tätigkeit folgt auch aus einem erhöhten Risiko nicht.
Nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. P. ist es auch nicht hinreichend wahrscheinlich, dass die Erkrankung des Klägers, die mit Rückenschmerzen am 25. August 2003 gegen 3.30 Uhr begonnen und sich in den folgenden Tagen verstärkt hat, auf einen Zeckenbiss am 24. August 2003 ursächlich zurück zu führen ist. Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände, insbesondere unter Berücksichtigung der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung, mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Dr. P. hat überzeugend dargelegt, dass die Symptome einer Borrelieninfektion im Mittel zwischen 4 und 6 Wochen nach dem Zeckenbiss auftreten, maximal aber zwischen einer und 12 Wochen. Die Erreger würden zudem erst nach einer Blutmahlzeit zwischen 16 und 24 Stunden übertragen. Bei einem Zeckenbiss am 24. August 2003 bei Schichtbeginn um 6.30 Uhr wären daher frühestens ab dem 2. September 2003 Symptome einer Borrelieninfektion zu erwarten gewesen. Auch wenn man davon ausginge, dass bei einem atypischen Verlauf vor Ablauf von 16 Stunden eine Übertragung von Erregern stattgefunden hat, wären Krankheitssymptome nicht vor dem 1. September 2003 zu erwarten gewesen. Es ist daher unwahrscheinlich, dass der Kläger einen Zeckenbiss am 24. August 2003 erlitten hat.
Ein früherer Zeckenbiss vor dem 24. August 2003 ist demgegenüber nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 21. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ausdrücklich über ein Ereignis vom 24. August 2003 entschieden. Dem entsprechend hat der Kläger auch vor dem Sozialgericht die Anerkennung eines Zeckenbisses vom 24. August 2003 als Arbeitsunfall beantragt und diesen Antrag im Berufungsverfahren nicht erweitert. Über einen Arbeitsunfall vor dem 24. August 2003 hatte der Senat daher nicht zu entscheiden. Dies gilt jedenfalls, wenn - wie hier - konkret erinnerte Ereignisse, die auch tatsächlich am 24. August 2003 stattgefunden haben, als Teil des Unfallereignisses oder als dessen Beleg geltend gemacht werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Voraussetzungen des § 160 SGG, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
SAN
Saved