Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 8 KR 1457/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 2414/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 10.4.2007 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Versorgung mit einem Rollstuhlzuggerät – einer fahrradgleichen mechanischen Zugvorrichtung (Rollstuhl-Bike) - sowie Schadensersatz wegen der Kosten für die gleichzeitige Anmietung zweier Wohnungen.
Der 1956 geborene (Grundsicherungsleistungen bei Erwerbsminderung beziehende) Kläger leidet unter Friedreich-Ataxie, einer degenerativen Erkrankung des zentralen Nervensystems. Deswegen ist ihm die Pflegestufe 1 zuerkannt; der Kläger ist rollstuhlpflichtig.
Unter dem 13.6.2005 verordnete der Internist Dr. H. dem Kläger ein elektrisches Rollstuhlzuggerät zur Sicherung der Mobilität. In der Bescheinigung vom 4.10.2005 führte er ergänzend aus, der Kläger leide an einem fortgeschrittenen Stadium der Friedreich-Ataxie mit erheblichen Bewegungs- und Gleichgewichtsstörungen. Von Seiten der Hirnleistung sei eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben durchaus möglich. Deswegen sei ein Rollstuhlzuggerät (mögliche Geschwindigkeit 14 km/h) medizinisch indiziert. Mit einem behindertengerecht ausgestatteten Kraftfahrzeug könne der Kläger mittlerweile nicht mehr fahren.
Der Kläger reichte die Verordnung des Dr. H. zusammen mit einem Kostenvoranschlag der Fa. St. bei der Beklagten ein (Geschwindigkeit 6 km; Reichweite ca. 35 km; Gesamtkosten 4.453,88 EUR).
Die Beklagte erhob das (Akten-)Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) vom 14.10.2005. Dr. St. führte aus, der unter Friedreich-Ataxie leidende Kläger benötige bereits seit vielen Jahren einen Rollstuhl, zumindest für längere Strecken. Früher habe er sich in der Wohnung teilweise noch ohne Rollstuhl bewegen können. Rollstuhlzuggeräte (Produktgruppe 18.99.04.0 des Hilfsmittelverzeichnisses) würden vor einen handelsüblichen Rollstuhl angekoppelt und über zwei in Armhöhe angebrachte Griffe bedient. Die Versorgung mit einem Gerät dieser Art setze nach dem Hilfsmittelverzeichnis voraus, dass dem Versicherten normalerweise ein handbetriebener Rollstuhl ausreichen würde, die Restkräfte aber für die selbständige Fortbewegung im näheren Wohnumfeld durch Greifreifenantrieb nicht genügten. Der Kläger, der in der Vergangenheit für längere Strecken einen behindertengerecht ausgestatteten PKW benutzt habe, benötige das Rollstuhlzuggerät offensichtlich als Ersatz für den PKW, den er nicht mehr bedienen könne. Nach der einschlägigen Rechtsprechung sei die gesetzliche Krankenversicherung aber nur für einen Basisausgleich hinsichtlich des Grundbedürfnisses "Gehen" zuständig. Dabei komme es auf Besonderheiten des Wohnorts des Versicherten nicht an. Man müsse zunächst klären, welche Wegstrecken der Kläger noch mit einem Greifreifenrollstuhl bewältigen könne. Sollte er einen Greifreifenrollstuhl im Nahbereich der Wohnung nicht mehr benutzen können, müsse bedacht werden, dass ein Rollstuhl mit angekoppeltem Zuggerät wegen der Gesamtlänge im Nahbereich der Wohnung oft nicht ohne Weiteres eingesetzt werden könne. Außerdem werde das begehrte Gerät über Griffe in Armhöhe bedient. Da der Kläger unter einer progredienten Erkrankung leide, die im weiteren Verlauf auch die Arme betreffen könne, wäre für den Fall, dass die Armkraft für einen Greifreifenrollstuhl nicht mehr ausreiche, die Anschaffung eines Elektrorollstuhls zu bevorzugen.
Der Kläger legte die Bescheinigung des Dr. H. vom 5.12.2005 vor. Darin ist ausgeführt, entgegen seinen Angaben in der Bescheinigung vom 4.10.2005 sei nach Untersuchung des Klägers und Besprechung festzuhalten, dass der Kläger noch nie ein behindertengerecht ausgestattetes Kraftfahrzeug benutzt habe und dass er jetzt durchaus zur Nutzung eines solchen Fahrzeugs in der Lage wäre.
Der Kläger führte ergänzend in Schreiben vom 15. und 29.12.2005 aus, er habe sein Auto aus finanziellen Gründen verkaufen müssen; über eine behindertengerechte Ausstattung habe es nicht verfügt. Aus dem Attest des Dr. H. sei nicht abzuleiten, dass ein Rollstuhlzuggerät medizinisch indiziert sei. Er habe das Gerät ausprobiert und es für seine Zwecke als geeignet befunden. Es habe ein Mobilitätsdefizit ausgleichen sollen, was für die Nutzung der (behindertengerecht ausgestatteten) Wohnung, in die er habe umziehen wollen, absolute Voraussetzung sei.
Die Beklagte erhob das weitere (Akten-)Gutachten des MDK vom 8.2.2006. Dr. B. führte aus, es seien keine derart weitgehenden Behinderungen der oberen Extremitäten erkennbar, die die Benutzung eines Greifreifenrollstuhls im ebenerdigen Nahbereich nicht erlauben würden. Über einen solchen Rollstuhl verfüge der Kläger; mit diesem suche er etwa die Arztpraxis auf. Die hauswirtschaftliche Versorgung sei mit der seit knapp 10 Jahren zuerkannten Pflegestufe 1 abgedeckt. Es gebe keine neuen Gesichtspunkte für die Indikation eines Rollstuhlzuggeräts als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Der Kläger trug unter dem 9.2.2006 abschließend vor, an seinem bisherigen Wohnsitz in der Konstanzer Altstadt habe er nur geringe Versorgungswege zurücklegen müssen. Allerdings habe sich die Wohnung im 2. OG eines Hauses ohne Fahrstuhl befunden. Da ihm das Erreichen der Wohnung zunehmend Schwierigkeiten bereitet habe, habe er sich nach einer anderen Wohnung umgesehen. Nunmehr habe er eine Zusage für eine (behindertengerecht ausgestattete) Wohnung im 3. OG eines Gebäudes mit Fahrstuhl erhalten. Die Versorgungswege im Umfeld der neuen Wohnung stellten für einen Rollstuhlfahrer wegen Steigungen allerdings eine erhebliche Belastung dar. Er wolle das Rollstuhl-Bike nicht wie ein Fahrrad nutzen, sondern damit seine Grundbedürfnisse nach Fortbewegung befriedigen. Ein Elektrorollstuhl sei keine Alternative, da ihm die Erschließung von Gebäuden ohne Aufzug erschwert wäre. Den Fahrradteil des Rollstuhl-Bikes könnte er vor solchen Gebäuden nämlich abstellen und sodann die Treppen mit dem Greifreifenrollstuhl bewältigen.
Mit Bescheid vom 17.2.2006 lehnte die Beklagte die Gewährung eines Rollstuhlzuggeräts ab. Zur Begründung führte sie aus, nach dem Hilfsmittelverzeichnis seien Rollstuhlzuggeräte/Elektrorollstühle als elektrische Restkraftverstärker, die durch den Rollstuhlbenutzer selbst bedient würden, angezeigt, wenn an sich ein handbetriebener Rollstuhl ausreichen würde, die Restkräfte des Versicherten aber für eine selbständige Fortbewegung im näheren Wohnumfeld mittels Greifreifenantriebs nicht ausreichten. Der Kläger sei im September 2005 mit einem neuen Aktivrollstuhl versorgt worden. Nach den Feststellungen des MDK sei die Benutzung eines Greifreifenrollstuhls im ebenerdigen Nahbereich möglich.
Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, er benötige das Rollstuhlzuggerät, um die Infrastruktur im Umfeld der neuen, nicht mehr in der Innenstadt gelegenen Wohnung nutzen zu können.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.4.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück; das Rollstuhlzuggerät diene zur Überwindung größerer Strecken und nicht dem von der Krankenkasse zu gewährenden Basisausgleich. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 29.4.2006 zugestellt.
Am 29.5.2006 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Konstanz. Er trug vor, wegen seiner Erkrankung bestünden auch Leistungseinschränkungen an den oberen Gliedmaßen. Deswegen bereite die Bedienung eines Greifreifenrollstuhls zunehmend Schwierigkeiten.
Der Kläger weigerte sich (zunächst), die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Auch ein weiteres Sachverständigengutachten solle nicht eingeholt werden. Ggf. möge das Sozialgericht Akten des Klageverfahrens S 8 P 942/05 beiziehen.
Der Kläger legte eine Bescheinigung des Prof. Dr. D. (Universitätsklinik Tübingen) vom 16.12.2003 vor. Darin ist (u.a.) ausgeführt, der Kläger (der Architektur studiert habe) sei seit ca. 1997 an den Rollstuhl gebunden. Er könne sich von diesem und in diesen umsetzen, unter Festhalten mit den Händen stehen und sich allein lebend selbst versorgen. Die zunehmende manuelle Behinderung bedinge eine Verlangsamung des Schreibens und des Hantierens mit einem zeichnenden Computer. Der Kläger sei in der Lage, Planungs- und Beratungstätigkeiten auszuüben.
Nachdem das Sozialgericht den Kläger mit Verfügung vom 25.7.2006 erfolglos auf seine prozessuale Mitwirkungspflicht und die Folgen der verweigerten Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung (Nichtabgabe der Schweigepflichtentbindungserklärung) hingewiesen hatte, wies es die Klage mit Gerichtsbescheid vom 10.4.2007 ab. Die Voraussetzungen für die Versorgung mit einem Rollstuhlzuggerät könnten nicht festgestellt werden, da der Kläger sich weigere, behandelnde Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, und auch die Erhebung eines Gutachtens ablehne. Aus den vorliegenden Arztunterlagen sei eine beachtliche Einschränkung der Arme nicht zu entnehmen. Vielmehr gebe Prof. Dr. D. im Gegenteil an, der Kläger könne einen Rollstuhl benutzen. Damit sei das Rollstuhlzuggerät zur Befriedigung des Grundbedürfnisses nach Erschließung eine gewissen körperlichen Freiraums im Hinblick auf die hierfür geltenden Maßgaben der Rechtsprechung (etwa: BSG, Urt. v. 26.3.2003, - B 3 KR 23/02 R -) nicht erforderlich.
Vor Erlass des Gerichtsbescheids hatte das Sozialgericht einen Prozesskostenhilfeantrag des Klägers mit Beschluss vom 11.9.2006 aus den gleichen Gründen abgelehnt. Die dagegen eingelegte Beschwerde des Klägers wies das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Beschluss vom 12.2.2007 (L 4 KR 5631/06 PKH-B) unter Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses zurück.
Auf den ihm am 12.4.2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 11.5.2007 Berufung eingelegt. Die Gutachten des MDK seien unrichtig. Die Beklagte hätte die Lage vor Ort ermitteln sollen. Mittlerweile werde das Rollstuhlzuggerät für den Basisausgleich nicht mehr benötigt, da er die neue (behindertengerechte) Wohnung wegen der Ablehnungsentscheidung der Beklagten nicht habe beziehen können. Um die Wohnung vorzuhalten, habe er für die Miete einen Kredit aufnehmen müssen. Er begehre den Ausgleich des Schadens, der ihm durch die Verzögerung entstanden sei. Dies betreffe vor allem die Miete der vorgehaltenen Wohnung seit April 2006 bis mindestens August 2007. Das Sozialamt sei nur zur Übernahme beider Mieten für einen Monat bereit.
Der Kläger legte das Schreiben der Stadt Konstanz (Sozialamt) vom 4.7.2006 vor. Darin ist ausgeführt, der Kläger habe die neue Wohnung zum 1.5.2006 angemietet, die bisherige Wohnung jedoch nicht gekündigt, da er diese nach eigenen Angaben noch bis zur Bewilligung des Rollstuhlzuggeräts benötige. Man sei ausnahmsweise bereit, die Miete beider Wohnungen für den Umzugsmonat zu übernehmen. Der Kläger habe das Wohnumfeld der neuen Wohnung vor Anmietung besichtigt. Ihm habe daher bewusst sein müssen, dass er mit den dort vorhandenen Steigungen Schwierigkeiten haben werde.
Mit Verfügung vom 23.10.2007 ist der Kläger darauf hingewiesen worden, dass Gegenstand des Berufungsverfahrens nur die Versorgung mit dem Rollstuhlzuggerät, nicht jedoch die Gewährung von Schadensersatz wegen der Anmietung zweier Wohnungen sein könne.
Der Kläger hat darauf vorgetragen, das Begehren nach Versorgung mit dem Rollstuhlzuggerät habe sich nicht erledigt; insoweit sei die Berufungsbegründung missverständlich gewesen. Er habe auch die ihm bewilligte (neue) Wohnung noch nicht gekündigt.
Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Die Ausstattung des Klägers mit einem Greifreifenrollstuhl sei ausreichend.
Am 10.12.2008 fand eine erste mündliche Verhandlung vor dem Senat statt, die zur weiteren Sachaufklärung vertagt wurde. Zunächst sind weitere Arztberichte erhoben worden.
Der Internist Dr. H. (Hausarzt des Klägers) führte im Bericht vom 19.1.2009 aus, er kenne den Kläger seit ca. 20 Jahren als Patienten. Anfangs habe er noch an 2 Stöcken gehen können. Seit 10 Jahren sei er auf einen Rollstuhl angewiesen. Ein Umsetzen sei nur mit besonderen Schwierigkeiten, aber noch selbständig machbar. Er treffe ihn immer wieder auf der Straße, wo er den (handbetriebenen) Rollstuhl nur mit großer Mühe mit den Händen schieben könne und sich sehr langsam fortbewege. Die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl sei medizinisch indiziert. Die mit dem handbetriebenen Rollstuhl möglichen Wegstrecken würden auf unter 500 m eingeschätzt, wobei die Fortbewegung nur "im Schneckentempo" stattfinde. Das Rollstuhlzuggerät bezwecke, dass der Kläger aus seiner sozialen Isolation herauskomme.
Die Beklagte hat hierzu geltend gemacht, der Kläger könne sich in der näheren Umgebung (Spaziergangsentfernung) mit einem normalen Rollstuhl zwar langsam, aber doch noch fortbewegen; hierfür (zum Basisausgleich) habe man ihm im September 2005 einen Aktivrollstuhl zur Verfügung gestellt, den der Kläger nach den Angaben des Dr. H. für Wegstrecken bis 500 m nutzen könne. Ein Elektrorollstuhl für den häuslichen Bereich und die nähere Umgebung sei damit weiterhin nicht notwendig. Ein vom Kläger begehrtes Rollstuhl-Bike gehöre nicht zum Leistungskatalog der Krankenkassen (BSG, Urt. v. 16.9.1999, - B 3 KR 8/98 -). Die von Dr. H. angesprochene soziale Rehabilitation sei nicht Aufgabe der Krankenversicherung.
Der Kläger hat eingewandt, aus dem Bericht des Dr. H. sei erkennbar, dass das Vorankommen mit dem handbetriebenen Rollstuhl nur unter unzumutbarer Belastung möglich sei. Die Rollstuhlnutzung sei daher auch im näheren Umfeld sehr eingeschränkt; auch viele Grundbedürfnisse könne er mit dem handbetriebenen Rollstuhl nicht befriedigen. Er benötige ein Zuggerät oder einen normalen Elektrorollstuhl, möglichst mit Aufrechtverstellbarkeit.
Am 2.7.2009 haben Mitarbeiter der Beklagten beim Kläger einen Hausbesuch in der Wohnung C. 13, Konstanz, durchgeführt. In dem darüber angefertigten Aktenvermerk vom 14.7.2009 ist ausgeführt, der Kläger habe während der Besprechung in einem vorhandenen Rollstuhl gesessen. Die Wohnung habe er seit 2 Jahren angemietet, wohne derzeit aber nicht dort, da der Zustand der Wohnräume seiner Auffassung nach nicht hinreichend behindertengerecht sei. Nach seinen Angaben wohne der Kläger derzeit bei verschiedenen Bekannten. Den zweiten Wohnsitz (H. 1, Konstanz) habe der Kläger nicht beschreiben wollen. Er halte sich für wohnsitzlos, da er bei den Behörden nicht ordnungsgemäß gemeldet sei. Die Hilfsmittelempfehlung beschränke sich auf die häusliche Umgebung des Wohnsitzes in der C. 13. Außer dem Aktivrollstuhl stünden dem Kläger keine weiteren Hilfsmittel zum Ausgleich der Gehbehinderung zur Verfügung. Ein Auto habe er nicht. Die Restgehfähigkeit zum Verlassen und Erreichen des Hilfsmittels sei vorhanden (ca. 2%). Auch sei die Rumpfstabilität für längeres, sicheres Sitzen gegeben. Der sichere Einsatz der oberen Extremitäten zum Betreiben eines mechanischen Aktivrollstuhls sei ausreichend. Die mit dem vorhandenen Rollstuhl täglich zurückgelegte Strecke werde mit mindestens 4 km angegeben; das stehe freilich in Widerspruch zum Zustand des Rollstuhls, der nach 4 Jahren technisch und optisch noch in gutem Zustand sei. Nach eigener Einschätzung könnte der Kläger einen Elektrorollstuhl im öffentlichen Verkehr sicher bedienen. Im Innenbereich benötige er einen elektrischen Antrieb nicht. Er sei Selbstversorger, kaufe insbesondere selbst ein; ihm sei die Pflegestufe 1 zuerkannt. Bei Verwendung eines elektrischen Zuggeräts sei ein Zugewinn im Hinblick auf größere Mobilität nicht erkennbar. Durch die Adaption am vorhandenen Rollstuhl sei eine Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel, die der Kläger bevorzugt in Anspruch nehme, nicht möglich. Eine definitive Aussage zum gegenwärtigen Aufenthalt des Klägers oder zum Bezug der Wohnung in der C. und zur Frage, welche Mobilitätshilfen der Kläger tatsächlich benötige, könne nicht getroffen werden. In einer Gesprächsnotiz ist zusätzlich festgehalten, die Idee zur Beantragung eines Elektro-Bike (Rollstuhl-Bike) sei dem Kläger durch die Teilnahme an Freizeitgruppen gekommen, die auch Fahrradausflüge unternähmen. Er hoffe, mit dem Elektro-Bike trotz seiner geringen Kräfte auch künftig an den Ausflügen teilnehmen zu können.
In einem Schreiben der Stadt Konstanz (Sozial- und Jugendamt) vom 3.11.2008 ist ausgeführt, der Kläger habe eine behindertengerechte Wohnung in der C. 13 angemietet, halte sich dort allerdings selten auf, weil er mit dem Rollstuhl die Bushaltestelle wegen mehrerer Steigungen nicht ohne Hilfe erreichen könne.
Am 21.10.2009 fand eine weitere mündliche Verhandlung vor dem Senat statt; es wurde beschlossen ein Sachverständigengutachten auf orthopädischem und neurologischem Fachgebiet zu erheben.
Der Senat hat daraufhin das Gutachten des Prof. Dr. L. (Chefarzt der V. Klinik, Konstanz) vom 25.3.2010 mit ergänzender Stellungnahme vom 29.6.2010 eingeholt.
Der Gutachter hat ausgeführt, der Kläger, der seit ca. 1971/72 an der Friedreich-Ataxie erkrankt sei, sei seit ca. 15 Jahren auf einen Rollstuhl angewiesen. Die Erkrankung verlaufe nach Angaben des Klägers seit ca. 10 Jahren nur noch langsam progredient. Er bewohne derzeit abwechselnd 2 Wohnungen. Anfangs habe sich der Kläger im häuslichen Umfeld noch mit 2 Gehstöcken fortbewegen können; das sei inzwischen nicht mehr möglich. Die mit dem Aktivrollstuhl mögliche Wegstrecke habe nicht eruiert werden können. Die Fortbewegung solle jedoch sehr langsam erfolgen, wobei der Kläger für eine Strecke von etwa 200 m 30 Minuten benötige. Bei Steigungen müsse er die doppelte Zeit aufwenden.
Der Kläger sei mit dem Rollstuhl zur Untersuchung gekommen und habe wegen Steigungen schon beim Betreten der Klinik Hilfe gebraucht. Der Allgemeinzustand und der Ernährungszustand seien reduziert (eigene Angaben: Größe 178 cm, Gewicht 67 kg). Auch beim extrem langsamen Entkleiden habe der Kläger (ohne Hilfe: glaubhaft 1 Stunde notwendig) Hilfe benötigt. Der Umstieg vom Rollstuhl auf die Untersuchungsliege sei selbständig praktisch nicht möglich. Im Sitzen könne sich der Kläger kaum halten, eine Stabilisierung des Rumpfes sei nicht möglich
Beim Kläger liege eine Friedreich-Ataxie mit Paraparese beider unteren Extremitäten und starker Reduktion der Feinmotorik der oberen Extremität mit grobschlägigem Tremor vor. An der Wirbelsäule bestehe unterhalb der HWS ein deutliches muskuläres Defizit mit fehlender Stabilisierungsmöglichkeit im Sitzen. Außerdem leide der Kläger an einer Spitzfußstellung beider Füße.
Die Mobilität des Klägers sei extrem eingeschränkt. Der Kläger sei auf einen Rollstuhl angewiesen. Stehen könne er ohne Hilfestellung nicht. Auch das aufrechte Sitzen sei nur unter Zuhilfenahme der oberen Extremität gerade noch möglich. Eine Stabilisierung im Bereich der Wirbelsäule sei nicht möglich. Nach eigenen Beobachtungen könne sich der Kläger mit dem Aktivrollstuhl nur unter extremen Mühen und nur sehr langsam fortbewegen. Eine kleine Steigung an der Parkplatzausfahrt des Krankenhauses habe er nicht selbstständig überwinden können. In der näheren häuslichen Umgebung sei der Kläger nur unter größten Mühen in der Lage, sich mit einem Greifreifenrollstuhl zu bewegen. Die extrem niedrige Geschwindigkeit schließe eine sichere Fortbewegung aus. Alleine schon das Überqueren von Straßen bedeute bei dieser Geschwindigkeit eine erhebliche Verkehrsgefährdung. Im Hinblick auf Pausen sei die maximal bewältigbare Wegstrecke relativ. Der Kläger bewege sich mit dem Rollstuhl extrem langsam. Eine maximale Strecke habe er selbst nicht angeben können. Diese könne aber auf wenige 100 Meter geschätzt werden.
Nach der klinischen Untersuchung sei es medizinisch absolut notwendig, den Kläger mit einer elektrischen Fahrhilfe zu versorgen. Er benötige dringend einen Elektrorollstuhl mit zusätzlicher Aufrichthilfe. Eine Aussage zum Elektro-Drive-Vorsatz sei aus orthopädischer Sicht etwas schwieriger. Für die Pflege des sozialen Umfeldes sei dies sicherlich sinnvoll. Allerdings könne nicht mit absoluter Sicherheit angegeben werden, in welchem Umfang und wie lange der Kläger diese Hilfe noch benutzen könne. Er berichte zwar, dass seine Erkrankung seit 10 Jahren nicht mehr bzw. nur noch langsam progredient sei. Allerdings habe die Motorik der oberen Extremität im Vergleich zu den Vorbefunden wohl doch abgenommen. Zusammengefasst könne festgestellt werden, dass die Verordnung eines Elektrorollstuhls mit Aufrichthilfe dringend notwendig sei. Die Verordnung eines Elektro-Drive-Vorsatzes sei aus sozialmedizinischer Sicht sinnvoll, aus medizinischer Sicht jedoch nicht zwingend notwendig. Ein neurologisches Gutachten brauche nicht erhoben zu werden, da die Sachlage eindeutig sei.
Die Beklagte hat hierzu vorgetragen, Gegenstand des Verfahrens sei die Versorgung mit einem Rollstuhlzuggerät; dies sei im Verwaltungsverfahren abgelehnt worden. Hierzu habe der Gutachter festgestellt, dass dies zwar sozialmedizinisch sinnvoll, aus medizinischer Sicht aber nicht zwingend notwendig sei. Damit sei die medizinische Notwendigkeit nicht nachgewiesen. Auch die sozialmedizinische Komponente habe der Gutachter nicht im Sinne der Hilfsmittelrichtlinien überprüft. Er habe sich allein auf die Aussagen des Klägers verlassen und sich kein eigenes Bild über dessen Lebensumstände gemacht. Nach wie vor sei ungeklärt, in welcher Wohnung sich der Kläger aufhalte. Auch habe der Gutachter nicht hinreichend eruiert, wie der Kläger seinen Tagesablauf gestalte und inwieweit Hilfebedarf bestehe. Fraglich sei, wie der Kläger mit dem beschriebenen Aktionsradius ohne Hilfe überhaupt termingerecht zu Untersuchung bzw. zu den mündlichen Verhandlungen des Senats habe kommen können. Auch die zuerkannte Pflegestufe 1 sei nicht hinreichend berücksichtigt worden. Dadurch werde der von der Krankenkasse zu finanzierende Basisausgleich im Bereich der Mobilität deutlich beeinflusst. Da die Organisation der hauswirtschaftlichen Versorgung für den Kläger entfalle, müsse man ihm nur noch ein Hilfsmittel zur Verfügung stellen, das für kurze Spaziergänge an der frischen Luft benötigt werde. Dafür genüge der vorhandene Rollstuhl. Der Gutachter habe auch nicht festgestellt, ob der Kläger eine elektrische Zughilfe im Außenbereich bei wesentlich höherer Fortbewegungsgeschwindigkeit und angesichts einer Vielzahl anderer Verkehrsteilnehmer sicher bedienen könne. Dem Kläger stehe es frei, für den vom Gutachter vorgeschlagenen Elektrorollstuhl mit Aufrichthilfe einen neuen Leistungsantrag zu stellen. Auch hierbei seien allerdings die Hilfsmittelrichtlinien und das Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten.
In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 29.6.2010 hat Prof. Dr. L. ausgeführt, unstreitig sei, dass der Elektro-Drive-Vorsatz aus medizinischer Sicht nicht zwingend erforderlich sei. Grundlage des Gutachtens seien die Anamnese, die körperliche Untersuchung sowie die Aktenlage gewesen. Eine persönliche Besichtigung der Umgebung des Klägers sei bei der Eindeutigkeit des klinischen Bildes nicht notwendig. Dies hätte hinsichtlich der Erforderlichkeit des Hilfsmittels auch keine wesentliche Rolle gespielt. Aus medizinischer Sicht sei auch nicht relevant, in welcher Wohnung der Kläger derzeit lebe. Entscheidend sei die klinische Untersuchung. Der Kläger sei nach eigenen Angaben zumeist selbst im Stande, sich im häuslichen Umfeld zu versorgen, wobei allerdings schon das Anziehen am Morgen etwa eine Stunde dauern solle. Wenn er im häuslichen Umfeld Hilfe brauche, stünden ihm Freunde und Bekannte zur Seite. Das Problem bestehe in der Mobilität außerhalb des häuslichen Umfelds. Die Geschwindigkeit, mit der sich der Kläger mit seinem Aktivrollstuhl fortbewege, sei sehr langsam. Die Angaben des Klägers zum Aktionsradius und zur Geschwindigkeit seien glaubhaft, da man ihn bei der Ankunft und beim Verlassen des Krankenhauses beobachtet habe; zumindest die Beobachtung bei der Ankunft sei ohne sein Wissen erfolgt. Der Kläger könne in einem Omnibus mitfahren, benötige für das Ein- und Aussteigen aber fremde Hilfe. Wenn er Treppen überwinden müsse, halte er nach hilfsbereiten Passanten Ausschau. Im Hinblick auf das pünktliche Erscheinen zu Terminen gehe man davon aus, dass der mental nicht eingeschränkte Kläger seine Geschwindigkeit einschätzen könne und er deshalb einfach früher aufbreche. Zur Bedienung eines Elektro-Drive-Aufsatzes und eines Elektrorollstuhls sei der Kläger im Stande; allein die Montage des Elektro-Drive-Aufsatzes könnte Probleme bereiten. Eine Prognose sei schwierig. Man könne jedoch davon ausgehen, dass die Motorik weiter abnehmen werde. Aufgrund der Prognose sei im Gutachten ein Elektrorollstuhl favorisiert worden. Insgesamt sei festzuhalten, dass der Kläger auf eine elektrische Fahrhilfe angewiesen sei. Favorisiert werde die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl mit Aufrichthilfe, da prognostisch eine Nutzung deutlich länger möglich sein sollte.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 10.4.2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 17.2.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.4.2006 zu verurteilen, ihm ein elektrisches Rollstuhlzuggerät (Rollstuhl-Bike), hilfsweise einen Elektrorollstuhl mit zusätzlicher Aufrichthilfe zu gewähren und die ihm für die Anmietung zweier Wohnungen für die Zeit von April 2006 bis August 2007 entstandenen (Mehr-)Kosten zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hat zunächst auf ihrem Standpunkt beharrt und abschließend eingewandt, Gegenstand des Verfahrens sei die Versorgung mit einem Rollstuhlzuggerät. Ein Elektro-Drive-Vorsatz sei aber aus medizinischer Sicht nicht zwingend erforderlich. Für den vom Gutachter vorgeschlagenen Elektrorollstuhl mit Aufrichthilfe sei ein neuer Antrag zu stellen. Dabei handele es sich um ein anderes Hilfsmittel, das nicht Streitgegenstand sei. Auch dieses Hilfsmittel sei aber kritisch zu betrachten, da der von der Krankenkasse zu finanzierende Basisausgleich wegen der dem Kläger zuerkannten Pflegestufe 1 im Bereich der Mobilität deutlich eingegrenzt werden müsse. Nach der Beschreibung des Gutachters sei es dem Kläger momentan zwar verlangsamt, aber immer noch möglich, mit dem vorhandenen Rollstuhl für kurze Spazierfahrten an die frische Luft zu kommen.
In der mündlichen Verhandlung des Senats hat der Vertreter der Beklagten erklärt, dass aus seiner Sicht die medizinischen Voraussetzungen für einen Elektrorollstuhl vorliegen. Vor der Entscheidung über die Ausstattung des Elektrorollstuhls mir einer Aufrichthilfe halte er eine gutachterliche Beurteilung durch den MDK hinsichtlich der medizinischen Notwendigkeit der Aufrichthilfe für erforderlich.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I. Die Berufung des Klägers ist gem. §§ 143, 144, 151 SGG statthaft und auch sonst zulässig. Sie richtet sich zum einen auf die Versorgung mit Hilfsmitteln (§ 33 SGB V), zum andern auf Ersatz der Mehraufwendungen für die Anmietung zweier Wohnungen. Insoweit ist die Einführung des neuen Streitgegenstands in das Berufungsverfahren im Wege der Klageänderung (Klageerweiterung) nach § 99 SGG (vgl. dazu BGH, Urt. v. 11.10.2000, - VIII ZR 321/99 -) zulässig, scheitert insbesondere nicht am Erfordernis der Einwilligung der Beklagten, da sich diese, ohne der Klageänderung zu widersprechen, schriftsätzlich auf die abgeänderte Klage eingelassen hat (§ 99 Abs. 2 SGG).
II. Die Berufung ist aber nicht begründet.
1. Für die Erstattung von Mietkosten durch die Beklagte gibt es keine Rechtsgrundlage, für die der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet wäre. Etwaige Amtshaftungsansprüche (Art 34 GG, § 839 BGB) wären ggf. im ordentlichen Rechtsweg geltend zu machen (vgl. § 71 Abs. 1 Nr. 2 GVG).
2. Rechtsgrundlage des vom Kläger in erster Linie geltend gemachten Anspruchs auf Hilfsmittelversorgung ist § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung (zum Behinderungsbegriff die auch hier maßgebliche Definition in § 2 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch, SGB IX) vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.
Nach der Rechtsprechung des BSG bemisst sich der von den Krankenkassen geschuldete Behinderungsausgleich (§ 33 Abs. 1 Satz 1 3. Fall) entscheidend danach, ob eine Leistung des unmittelbaren oder des mittelbaren Behinderungsausgleichs beansprucht wird:
Im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs ist die Hilfsmittelversorgung grundsätzlich von dem Ziel eines vollständigen funktionellen Ausgleichs geleitet. Insoweit hat der in § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V als dritte Variante genannte Zweck (vgl. auch § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX) für die im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung gebotene Hilfsmittelversorgung zwei Ebenen. Im Vordergrund steht dabei der unmittelbare Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion. Davon ist auszugehen, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion selbst ermöglicht, ersetzt oder erleichtert. Für diesen unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Dies dient in aller Regel ohne gesonderte weitere Prüfung der Befriedigung eines Grundbedürfnisses des täglichen Lebens i. S. des § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX, weil die Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer Körperfunktionen als solche schon ein Grundbedürfnis in diesem Sinne ist. Deshalb kann auch die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem gesunden Menschen erreicht ist.
Beschränkter sind die Leistungspflichten der Krankenkassen, wenn die Erhaltung bzw. Wiederherstellung der beeinträchtigten Körperfunktion nicht oder nicht ausreichend möglich ist, und deshalb Hilfsmittel zum Ausgleich von direkten und indirekten Folgen der Behinderung benötigt werden (mittelbarer Behinderungsausgleich). Dann sind die Krankenkassen nur für einen Basisausgleich von Behinderungsfolgen eintrittspflichtig. Es geht hier nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztendlich unbegrenzten Möglichkeiten eines gesunden Menschen. Denn Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist in allen Fällen allein die medizinische Rehabilitation (vgl. § 1 SGB V sowie § 6 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 5 Nr. 1 und 3 SGB IX), also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist von den Krankenkassen deshalb nur dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Zu diesen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens im hier maßgeblichen Sinn gehören das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrung aufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Für den Ausgleich darüber hinausreichender Behinderungsfolgen haben beim mittelbaren Behinderungsausgleich hingegen ggf. andere Sozialleistungssysteme Sorge zu tragen. Das gilt (nunmehr) auch (entgegen der ausdrücklich aufgegebenen bisherigen Rechtsprechung des 13. Senats des BSG, vgl. Urt. v. 21.8.2008 -, BSGE 101,207) für Gebrauchsvorteile im Beruf; nur für die Berufsausübung erforderliche Hilfsmittel muss die Krankenkasse nicht gewähren. Ist der Versicherte für die Anforderungen des allgemeinen Alltagslebens ausreichend versorgt, kommt es auf etwaige zusätzliche Nutzungsvorteile im Erwerbsleben ohnehin nicht an. Umgekehrt kann ein Hilfsmittelanspruch gegen die Krankenkasse nicht auf ausschließlich berufliche Nutzungsvorteile gestützt werden, wenn das Hilfsmittel ansonsten keine allgemeinen Grundbedürfnisse betrifft und seine Nutzung die Auswirkungen der Behinderung nicht im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert (so BSG, Urt. v. 17.12.2009, - B 3 KR 20/08 R -).
Zum Grundbedürfnis der Erschließung eines geistigen Freiraums gehört u. a die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen Menschen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens bzw. eines Schulwissens (vgl. BSG, Urt. v. 12.8.2009, - B 3 KR 11/08 R -). Das Grundbedürfnis nach Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraums hat die Rechtsprechung des BSG immer nur im Sinne eines Basisausgleichs der Behinderung selbst und nicht i. S. des vollständigen Gleichziehens mit den Möglichkeiten eines Gesunden verstanden. Die Bewegungsfreiheit stellt zwar ein allgemeines Grundbedürfnis dar. Hierfür ist im Ausgangspunkt allerdings nur auf diejenigen Entfernungen abzustellen, die ein Gesunder üblicherweise noch zu Fuß zurücklegt (BSG, Urt. v. 8.6.1994, - 3/1 RK 13/93 -). In der Folgezeit hat das BSG (Urt. v. 16.9.1999, - B 3 KR 8/98 R -) dies auf die Fähigkeit präzisiert, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen", oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (z.B. Supermarkt, Arzt, Apotheke, Geldinstitut, Post). Standen Wegstrecken in Rede, die über das von Gesunden zu Fuß Erreichbare hinausgingen, hat das BSG zusätzliche qualitative Momente verlangt (Urt. v. 16.9.2004, - B 3 KR 19/03 R -: Erreichbarkeit ambulanter medizinischer Versorgung für zu Hause gepflegte Wachkomapatientin; Urt. v. 16.4.1998, - B 3 KR 9/97 R -: Rollstuhl-Bike für Jugendliche im Hinblick auf die Integration des behinderten Kindes während der jugendlichen Entwicklungsphase; Urt. v. 2.8.1979, - 11 RK 7/78 -: Faltrollstuhl für Schulkind zur Ermöglichung des Schulbesuchs; vgl. auch zusammenfassend BSG, Urt. v. 12.8.2009, - B 3 KR 11/08 R -). Speziell die Fortbewegung per (Fahr-)Rad ist nicht als Grundbedürfnis anerkannt (BSG, Urt. v. 29.1.2009, - B 3 KR 39/08 R -). Die Gewährung fahrradgleicher mechanischer Zugvorrichtungen für Rollstühle (Rollstuhlzuggerät oder Rollfiet), auch als Rollstuhl-Bike (oder Elektro-Bike) bezeichnet, hat das BSG für Erwachsene regelmäßig abgelehnt (vgl. etwa Urt. v. 12.8.2009, - B 3 KR 11/08 R -; Beschl. v. 22.4.2009, - B 3 KR 54/08 B -; Urt. v. 29.1.2009, - B 3 KR 39/08 B -).
Dem Gegenstand nach besteht für den so gezogenen räumlichen Bewegungsradius ein Anspruch auf die im Einzelfall für den gebotenen Behinderungsausgleich ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung, nicht jedoch auf eine Optimalversorgung. Deswegen kann der Versicherte ein teureres Hilfsmittel nicht beanspruchen, wenn die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell ebenfalls geeignet ist; andernfalls muss er die Mehrkosten gem. § 33 Abs. 1 Satz 6 SGB V (ebenso § 31 Abs. 3 SGB IX) selbst tragen (BSG, Urt. v. 12.8.2009, - B 3 KR 11/08 R -). Ist der Versicherte aber außer Stande, den Nahbereich der Wohnung mit einem (handbetriebenen) Aktivrollstuhl (Greifreifenrollstuhl) ohne übermäßige Anstrengung, schmerzfrei und aus eigener Kraft ohne Schiebehilfe Dritter in normalem Rollstuhltempo zu bewältigen, ist er (die Möglichkeit zu dessen verkehrssicherer Führung vorausgesetzt) mit einem Elektrorollstuhl zu versorgen (BSG Urt. v. 12.8.2009-B 3 KR 8/08 R).
Weiterreichende Rechte können Versicherte aus dem grundrechtlichen Verbot der Benachteiligung behinderter Menschen in Art. 3 Abs. 2 Satz 2 nicht herleiten. Vielmehr folgt aus der genannten Grundrechtsbestimmung ein Auftrag an den Staat, auf die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen hinzuwirken. Diesem Auftrag zur Umsetzung und Konkretisierung hat der Gesetzgeber mit dem SGB IX Rechnung getragen, ohne dass damit der Auftrag als erledigt anzusehen wäre. Der fortbestehende Auftrag zur Ausgestaltung des Sozialstaatsgebots begründet aber keine konkreten Leistungsansprüche. Die Vorschriften des SGB IX zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen gewähren den Versicherten im Bereich der Hilfsmittelversorgung ebenfalls keine über die Leistungspflichten nach § 33 SGB V hinausgehenden Leistungsansprüche (BSG, Urt. v. 12.8.2009, - B 3 KR 11/08 R -; Urt. v.26.3.2003, - B 3 KR 23/02 R -).
Untergesetzliche Einzelbestimmungen zur Hilfsmittelversorgung hat der Gemeinsame Bundesausschuss gestützt auf § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V mit den Hilfsmittelrichtlinien (Neufassung vom 16.10.2008, BAnz 2009, Nr. 61 S. 462) erlassen. Außerdem haben die Spitzenverbände der Krankenkassen (jetzt Spitzenverband Bund der Krankenkassen) ein Hilfsmittelverzeichnis erstellt, in dem die von der Leistungspflicht umfassten Hilfsmittel aufzuführen sind (§ 139 Abs. 1 SGB V). Das Hilfsmittelverzeichnis stellt (wie das Pflegehilfsmittelverzeichnis nach § 78 Abs. 2 SGB IX) indessen keine abschließende, die Leistungspflicht der Krankenkassen im Sinne einer "Positivliste" beschränkende Regelung, sondern nur eine Auslegungs- und Orientierungshilfe für die medizinische Praxis dar. Auch für die Gerichte hat es nur die Rechtsqualität einer unverbindlichen Auslegungshilfe (vgl. BSG, Urt. v. 25.6.2009, - B 3 KR 4/08 R -).
In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist grundsätzlich notwendig, dass ein Vertragsarzt das Hilfsmittel (im Wege der ärztlichen Leistungsvermittlung) gem. § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V verordnet. Die vertragsärztliche Verordnung stellt eine formale Leistungsvoraussetzung dar. Sie konkretisiert das Rahmenrecht des Versicherten (vgl. zur Verordnung von Krankenhausbehandlung LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 12.11.2009, - L 9 KR 11/08 -). Eine fehlende oder unzureichende Verordnung kann aber ggf. noch im Gerichtsverfahren nachgeholt werden (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 19.12.2007, - L 9 KR 150/03 -). Da die Krankenkasse das vertragsärztlich verordnete Hilfsmittel vor der Leistungserbringung aber genehmigen muss (vgl. § 19 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch, SGB IV; dazu näher auch BSG, Urt. v. 24.9.2002, - B 3 KR 2/02 R -; Urt. v. 17.4.1996, - 3 RK 19/95 -), muss der Versicherte die Hilfsmittelverordnung des Vertragsarztes vorbehaltlich anderweitiger Regelungen jedoch zunächst der Krankenkasse vorlegen. Diese entscheidet sodann – ggf. nach Befragung des MDK (§ 275 Abs. 3 Nr. 1 SGB V) – über die Bewilligung des Hilfsmittels. Erst nach der Bewilligungsentscheidung darf der Versicherte die (etwa mit einem Genehmigungsvermerk versehene) Verordnung bei einem zur Hilfsmittelabgabe berechtigten Hersteller bzw. Lieferanten (Leistungserbringer) einreichen.
III. Von diesen Rechtsgrundsätzen ausgehend hat die Beklagte die Gewährung des dem Kläger von Dr. H. verordneten Rollstuhlzuggeräts zu Recht abgelehnt. Dabei handelt es sich ersichtlich um eine fahrradgleiche mechanische Zugvorrichtung, die auch als Rollstuhl-Bike (oder Elektro-Bike) bezeichnet wird (vgl. zum Begriff BSG, Beschl. v. 22.4.2009, - B 3 KR 54/08 B -; auch Nr. 18.99.04.0000-0999 des Hilfsmittelverzeichnisses). Dieses Hilfsmittel kann der Kläger gem. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht beanspruchen (unten 1). Allerdings hat er der Sache nach Anspruch auf die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl. Das folgt aus dem überzeugenden Gutachten des Prof. Dr. L. vom 25.3.2010 bzw. dessen ergänzender Stellungnahme vom 29.6.2010. Einer entsprechenden Verurteilung der Beklagten stehen nur verfahrensrechtliche Gründe entgegen. Zwar ist die vertragsärztliche Verordnung eines Elektrorollstuhls bis zur mündlichen Verhandlung des Senats am 25.8.2010 noch nachgeholt worden; Dr. H. hat eine solche Verordnung unter dem 27.7.2010 ausgestellt. Allerdings muss die Beklagte über die Gewährung dieses Hilfsmittels noch eine (Genehmigungs-)Entscheidung treffen (§ 19 Satz 1 SGB IV). Dieser kann der Senat nicht vorgreifen; Gegenstand des durchgeführten Verwaltungsverfahrens war allein die Gewährung eines Rollstuhlzuggeräts. Die (offenbar im September 2005 erfolgte) Verordnung bzw. Genehmigung eines Aktivrollstuhls kann die Verordnung und Genehmigung eines Elektrorollstuhls nicht ersetzen, da es sich bei einem Elektrorollstuhl wegen seiner andersartigen Konstruktion und Betriebsform um ein "aliud" zu einem Aktivrollstuhl handelt (BSG, Urt. v. 12.8.2009, - B 3 KR 8/08 R -). Der Senat weist aber darauf hin, dass im Hinblick auf die Erkenntnisse des Gutachters Prof. Dr. L. eine Ablehnungsentscheidung nicht haltbar erscheinen würde (unten 2).
1. Vorliegend steht nicht ein unmittelbarer, sondern (unstreitig) ein mittelbarer Behinderungsausgleich in Rede, da mit einem Rollstuhl bzw. einem Rollstuhlzuggerät (im Unterschied etwa zu elektronisch steuerbaren Beinprothesen/Kniegelenkssystemen – C-Leg) die beeinträchtigte Körperfunktion, das Gehen bzw. sich Fortbewegen, nicht bzw. nicht ausreichend ausgeglichen werden kann. Das Hilfsmittel wird daher zum Ausgleich von direkten und indirekten Folgen der Behinderung benötigt. Hier schuldet die Beklagte nach dem Gesagten indessen nur einen Basisausgleich. Sie muss dem Kläger ein vollständiges Gleichziehen mit den letztendlich unbegrenzten (Fortbewegungs-)Möglichkeiten eines gesunden Menschen nicht ermöglichen. Anspruch hat er nur auf solche Hilfsmittel, die ihn in die Lage versetzen, Wegstrecken, die ein Gesunder üblicherweise noch zu Fuß zurücklegt, (zumutbar) zu bewältigen. Damit kann der Kläger grundsätzlich (unbeschadet der ihm zuerkannten Pflegestufe 1) aber nur eine Rollstuhlversorgung beanspruchen, die ihm die Bewegung in der eigenen Wohnung sowie kurze Spaziergänge bzw. -fahrten "an die frische Luft" und das Erreichen im Nahbereich der Wohnung liegender Stellen zur Erledigung von Alltagsgeschäften (z.B. Supermarkt, Arzt, Apotheke, Geldinstitut, Post) ermöglicht. Hilfsmittel zur Bewältigung darüber hinausgehender Wegstrecken, insbesondere zu Ausflugsfahrten, muss ihm die Beklagte nicht gewähren. Besondere qualitative Gesichtspunkte, die weiterreichende Ansprüche begründen könnten, liegen nicht vor. Sie können auch aus den Besonderheiten der Erkrankung des Klägers nicht hergeleitet werden. Prof. Dr. L. hat die Gewährung eines Elektro-Drive-Vorsatzes (elektrisches Rollstuhlzuggerät bzw. Rollstuhl-Bike) demzufolge auch nur zur Pflege des sozialen Umfeldes für sinnvoll erachtet; eine zwingende medizinische Notwendigkeit hat er jedoch verneint. Dass im Hilfsmittelverzeichnis in der einschlägigen Untergruppe (Nr. 18.99.04.0) ein spezieller Anwendungsort für Rollstuhl-Zuggeräte nicht aufgeführt ist, ändert daran nichts.
2. Der Kläger hat jedoch materiell-rechtlich einen Anspruch auf Versorgung mit einem Elektrorollstuhl, da er den Nahbereich seiner Wohnung nicht mehr zumutbar mit einem (handbetriebenen) Aktivrollstuhl (Greifreifenrollstuhl) erschließen kann. Das geht aus dem überzeugenden Gutachten des Prof. Dr. L. hervor. Dabei kommt es auf die konkreten topographischen Verhältnisse der Wohnumgebung nicht an (vgl. BSG, Urt. v. 12.8.2009, - B 3 KR 8/08 R -), weshalb dahin stehen mag, wo der Kläger (überwiegend) wohnt (in der C. oder der H.) oder sich aufhält.
Nach den Erkenntnissen des Gutachters ist der Kläger, der seit ca. 1971/72 an der Friedreich-Ataxie mit Paraparese beider unteren Extremitäten erkrankt ist, auf einen Rollstuhl angewiesen; hierüber wird nicht gestritten. Seine Mobilität ist extrem eingeschränkt. Er kann ohne Hilfestellung nicht Stehen; aufrechtes Sitzen ist nur unter Zuhilfenahme der oberen Extremität gerade noch möglich. Nach eigener Beobachtung des Gutachters kann sich der Kläger mit dem Aktivrollstuhl nur unter extremen Mühen und nur sehr langsam fortbewegen. Schon eine kleine Steigung, die auch ohne auf die konkreten topographischen Umgebungsverhältnisse einer bestimmten Wohnung abzustellen, nirgends völlig ausgeschlossen werden kann, kann der Kläger selbstständig nicht überwinden. In der näheren häuslichen Umgebung kann er sich insgesamt nur unter größten Mühen mit dem Aktivrollstuhl bewegen, wobei die extrem niedrige Geschwindigkeit zudem eine sichere Fortbewegung ausschließt; unter diesen Bedingungen kann der Kläger nur wenige 100 m bewältigen. Im Hinblick auf die Ergebnisse der Begutachtung ist die Einschätzung des Prof. Dr. L., wonach die Versorgung mit einer elektrischen Fahrhilfe medizinisch absolut notwendig ist, schlüssig und überzeugend. In der ergänzenden Stellungnahme vom 29.6.2010 hat der Gutachter an seiner Auffassung auch im Hinblick auf die Einwendungen der Beklagten zu Recht festgehalten. Sie deckt sich im Übrigen mit der Ansicht und den Beobachtungen des Dr. H ... Dieser hat im Bericht vom 19.1.2009 mitgeteilt, der Kläger könne sich mit dem Aktivrollstuhl nur mit großer Mühe "im Schneckentempo" fortbewegen.
Die gegen das Gutachten erhobenen Einwendungen der Beklagten überzeugen nicht. Der Gutachter brauchte nicht zu klären, wo der Kläger wohnt, da es auf die topographischen Verhältnisse des konkreten Wohnumfeldes nicht ankommt. Er hat den Kläger eingehend klinisch untersucht, sein Fortbewegungsverhalten bzw. seine Fortbewegungsmöglichkeiten außerhalb der Klinik (vor und nach der Begutachtung) beobachtet und eine Anamnese erhoben. Er hat seine insgesamt nachvollziehbaren und überzeugenden Schlussfolgerungen damit auf eine ausreichende Tatsachengrundlage gestützt.
Danach steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger Wegstrecken im Wohnungsnahbereich im normalen Rollstuhltempo, wenn überhaupt, nur mit übermäßiger und nicht zumutbarer Anstrengung bzw. nur mit Schiebehilfe Dritter bewältigen kann. Er hat deswegen Anspruch auf die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl (vgl. auch BSG, Urt. v. 12.8.2009, - B 3 KR 8/08 R -). Dem wird sich die Beklagte auch nicht unter Hinweis auf das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs. 1 SGB V) entziehen können. Im Hinblick darauf kann sie nach pflichtgemäßem Ermessen (lediglich) darüber entscheiden, ob sie dem Kläger einen Elektrorollstuhl übereignen oder leihweise überlassen will (§ 33 Abs. 5 Satz 1 SGB V; auch dazu BSG, Urt. v. 12.8.2009, - B 3 KR 8/08 R -). Dass dem Kläger die Pflegestufe 1 zuerkannt worden ist, ändert nichts. Er benötigt danach bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Sozialgesetzbuch Elftes Buch, SGB XI). Auch bei entsprechender Hilfeleistung bleibt es dabei, dass der Kläger ohne Versorgung mit einem Elektrorollstuhl sein Grundbedürfnis nach Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraums (außerhalb seiner Wohnung) auch hinsichtlich einer kleinen Spazierfahrt "an die frische Luft" zumutbar nicht befriedigen kann.
Der Senat kann eine abschließende Sachentscheidung – nämlich die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung eines Elektrorollstuhls – indessen nicht treffen. Ungeachtet der nunmehr vorliegenden vertragsärztlichen Verordnung dieses Hilfsmittels muss die Beklagte über dessen Gewährung noch ein Verwaltungsverfahren durchführen und dabei auch etwa nach Ermessen darüber entscheiden, ob der Elektrorollstuhl dem Kläger übereignet oder leihweise überlassen werden soll. Eine – gem. § 275 Abs. 3 Nr. 2 (nur) in geeigneten Fällen vorgesehene - Konsultierung des MDK ist angesichts des Gutachtens des Prof. Dr. L. entbehrlich und lediglich hinsichtlich der ebenfalls verlangten zusätzlichen Aufrichthilfe vertretbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Versorgung mit einem Rollstuhlzuggerät – einer fahrradgleichen mechanischen Zugvorrichtung (Rollstuhl-Bike) - sowie Schadensersatz wegen der Kosten für die gleichzeitige Anmietung zweier Wohnungen.
Der 1956 geborene (Grundsicherungsleistungen bei Erwerbsminderung beziehende) Kläger leidet unter Friedreich-Ataxie, einer degenerativen Erkrankung des zentralen Nervensystems. Deswegen ist ihm die Pflegestufe 1 zuerkannt; der Kläger ist rollstuhlpflichtig.
Unter dem 13.6.2005 verordnete der Internist Dr. H. dem Kläger ein elektrisches Rollstuhlzuggerät zur Sicherung der Mobilität. In der Bescheinigung vom 4.10.2005 führte er ergänzend aus, der Kläger leide an einem fortgeschrittenen Stadium der Friedreich-Ataxie mit erheblichen Bewegungs- und Gleichgewichtsstörungen. Von Seiten der Hirnleistung sei eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben durchaus möglich. Deswegen sei ein Rollstuhlzuggerät (mögliche Geschwindigkeit 14 km/h) medizinisch indiziert. Mit einem behindertengerecht ausgestatteten Kraftfahrzeug könne der Kläger mittlerweile nicht mehr fahren.
Der Kläger reichte die Verordnung des Dr. H. zusammen mit einem Kostenvoranschlag der Fa. St. bei der Beklagten ein (Geschwindigkeit 6 km; Reichweite ca. 35 km; Gesamtkosten 4.453,88 EUR).
Die Beklagte erhob das (Akten-)Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) vom 14.10.2005. Dr. St. führte aus, der unter Friedreich-Ataxie leidende Kläger benötige bereits seit vielen Jahren einen Rollstuhl, zumindest für längere Strecken. Früher habe er sich in der Wohnung teilweise noch ohne Rollstuhl bewegen können. Rollstuhlzuggeräte (Produktgruppe 18.99.04.0 des Hilfsmittelverzeichnisses) würden vor einen handelsüblichen Rollstuhl angekoppelt und über zwei in Armhöhe angebrachte Griffe bedient. Die Versorgung mit einem Gerät dieser Art setze nach dem Hilfsmittelverzeichnis voraus, dass dem Versicherten normalerweise ein handbetriebener Rollstuhl ausreichen würde, die Restkräfte aber für die selbständige Fortbewegung im näheren Wohnumfeld durch Greifreifenantrieb nicht genügten. Der Kläger, der in der Vergangenheit für längere Strecken einen behindertengerecht ausgestatteten PKW benutzt habe, benötige das Rollstuhlzuggerät offensichtlich als Ersatz für den PKW, den er nicht mehr bedienen könne. Nach der einschlägigen Rechtsprechung sei die gesetzliche Krankenversicherung aber nur für einen Basisausgleich hinsichtlich des Grundbedürfnisses "Gehen" zuständig. Dabei komme es auf Besonderheiten des Wohnorts des Versicherten nicht an. Man müsse zunächst klären, welche Wegstrecken der Kläger noch mit einem Greifreifenrollstuhl bewältigen könne. Sollte er einen Greifreifenrollstuhl im Nahbereich der Wohnung nicht mehr benutzen können, müsse bedacht werden, dass ein Rollstuhl mit angekoppeltem Zuggerät wegen der Gesamtlänge im Nahbereich der Wohnung oft nicht ohne Weiteres eingesetzt werden könne. Außerdem werde das begehrte Gerät über Griffe in Armhöhe bedient. Da der Kläger unter einer progredienten Erkrankung leide, die im weiteren Verlauf auch die Arme betreffen könne, wäre für den Fall, dass die Armkraft für einen Greifreifenrollstuhl nicht mehr ausreiche, die Anschaffung eines Elektrorollstuhls zu bevorzugen.
Der Kläger legte die Bescheinigung des Dr. H. vom 5.12.2005 vor. Darin ist ausgeführt, entgegen seinen Angaben in der Bescheinigung vom 4.10.2005 sei nach Untersuchung des Klägers und Besprechung festzuhalten, dass der Kläger noch nie ein behindertengerecht ausgestattetes Kraftfahrzeug benutzt habe und dass er jetzt durchaus zur Nutzung eines solchen Fahrzeugs in der Lage wäre.
Der Kläger führte ergänzend in Schreiben vom 15. und 29.12.2005 aus, er habe sein Auto aus finanziellen Gründen verkaufen müssen; über eine behindertengerechte Ausstattung habe es nicht verfügt. Aus dem Attest des Dr. H. sei nicht abzuleiten, dass ein Rollstuhlzuggerät medizinisch indiziert sei. Er habe das Gerät ausprobiert und es für seine Zwecke als geeignet befunden. Es habe ein Mobilitätsdefizit ausgleichen sollen, was für die Nutzung der (behindertengerecht ausgestatteten) Wohnung, in die er habe umziehen wollen, absolute Voraussetzung sei.
Die Beklagte erhob das weitere (Akten-)Gutachten des MDK vom 8.2.2006. Dr. B. führte aus, es seien keine derart weitgehenden Behinderungen der oberen Extremitäten erkennbar, die die Benutzung eines Greifreifenrollstuhls im ebenerdigen Nahbereich nicht erlauben würden. Über einen solchen Rollstuhl verfüge der Kläger; mit diesem suche er etwa die Arztpraxis auf. Die hauswirtschaftliche Versorgung sei mit der seit knapp 10 Jahren zuerkannten Pflegestufe 1 abgedeckt. Es gebe keine neuen Gesichtspunkte für die Indikation eines Rollstuhlzuggeräts als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Der Kläger trug unter dem 9.2.2006 abschließend vor, an seinem bisherigen Wohnsitz in der Konstanzer Altstadt habe er nur geringe Versorgungswege zurücklegen müssen. Allerdings habe sich die Wohnung im 2. OG eines Hauses ohne Fahrstuhl befunden. Da ihm das Erreichen der Wohnung zunehmend Schwierigkeiten bereitet habe, habe er sich nach einer anderen Wohnung umgesehen. Nunmehr habe er eine Zusage für eine (behindertengerecht ausgestattete) Wohnung im 3. OG eines Gebäudes mit Fahrstuhl erhalten. Die Versorgungswege im Umfeld der neuen Wohnung stellten für einen Rollstuhlfahrer wegen Steigungen allerdings eine erhebliche Belastung dar. Er wolle das Rollstuhl-Bike nicht wie ein Fahrrad nutzen, sondern damit seine Grundbedürfnisse nach Fortbewegung befriedigen. Ein Elektrorollstuhl sei keine Alternative, da ihm die Erschließung von Gebäuden ohne Aufzug erschwert wäre. Den Fahrradteil des Rollstuhl-Bikes könnte er vor solchen Gebäuden nämlich abstellen und sodann die Treppen mit dem Greifreifenrollstuhl bewältigen.
Mit Bescheid vom 17.2.2006 lehnte die Beklagte die Gewährung eines Rollstuhlzuggeräts ab. Zur Begründung führte sie aus, nach dem Hilfsmittelverzeichnis seien Rollstuhlzuggeräte/Elektrorollstühle als elektrische Restkraftverstärker, die durch den Rollstuhlbenutzer selbst bedient würden, angezeigt, wenn an sich ein handbetriebener Rollstuhl ausreichen würde, die Restkräfte des Versicherten aber für eine selbständige Fortbewegung im näheren Wohnumfeld mittels Greifreifenantriebs nicht ausreichten. Der Kläger sei im September 2005 mit einem neuen Aktivrollstuhl versorgt worden. Nach den Feststellungen des MDK sei die Benutzung eines Greifreifenrollstuhls im ebenerdigen Nahbereich möglich.
Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, er benötige das Rollstuhlzuggerät, um die Infrastruktur im Umfeld der neuen, nicht mehr in der Innenstadt gelegenen Wohnung nutzen zu können.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.4.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück; das Rollstuhlzuggerät diene zur Überwindung größerer Strecken und nicht dem von der Krankenkasse zu gewährenden Basisausgleich. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 29.4.2006 zugestellt.
Am 29.5.2006 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Konstanz. Er trug vor, wegen seiner Erkrankung bestünden auch Leistungseinschränkungen an den oberen Gliedmaßen. Deswegen bereite die Bedienung eines Greifreifenrollstuhls zunehmend Schwierigkeiten.
Der Kläger weigerte sich (zunächst), die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Auch ein weiteres Sachverständigengutachten solle nicht eingeholt werden. Ggf. möge das Sozialgericht Akten des Klageverfahrens S 8 P 942/05 beiziehen.
Der Kläger legte eine Bescheinigung des Prof. Dr. D. (Universitätsklinik Tübingen) vom 16.12.2003 vor. Darin ist (u.a.) ausgeführt, der Kläger (der Architektur studiert habe) sei seit ca. 1997 an den Rollstuhl gebunden. Er könne sich von diesem und in diesen umsetzen, unter Festhalten mit den Händen stehen und sich allein lebend selbst versorgen. Die zunehmende manuelle Behinderung bedinge eine Verlangsamung des Schreibens und des Hantierens mit einem zeichnenden Computer. Der Kläger sei in der Lage, Planungs- und Beratungstätigkeiten auszuüben.
Nachdem das Sozialgericht den Kläger mit Verfügung vom 25.7.2006 erfolglos auf seine prozessuale Mitwirkungspflicht und die Folgen der verweigerten Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung (Nichtabgabe der Schweigepflichtentbindungserklärung) hingewiesen hatte, wies es die Klage mit Gerichtsbescheid vom 10.4.2007 ab. Die Voraussetzungen für die Versorgung mit einem Rollstuhlzuggerät könnten nicht festgestellt werden, da der Kläger sich weigere, behandelnde Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, und auch die Erhebung eines Gutachtens ablehne. Aus den vorliegenden Arztunterlagen sei eine beachtliche Einschränkung der Arme nicht zu entnehmen. Vielmehr gebe Prof. Dr. D. im Gegenteil an, der Kläger könne einen Rollstuhl benutzen. Damit sei das Rollstuhlzuggerät zur Befriedigung des Grundbedürfnisses nach Erschließung eine gewissen körperlichen Freiraums im Hinblick auf die hierfür geltenden Maßgaben der Rechtsprechung (etwa: BSG, Urt. v. 26.3.2003, - B 3 KR 23/02 R -) nicht erforderlich.
Vor Erlass des Gerichtsbescheids hatte das Sozialgericht einen Prozesskostenhilfeantrag des Klägers mit Beschluss vom 11.9.2006 aus den gleichen Gründen abgelehnt. Die dagegen eingelegte Beschwerde des Klägers wies das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Beschluss vom 12.2.2007 (L 4 KR 5631/06 PKH-B) unter Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses zurück.
Auf den ihm am 12.4.2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 11.5.2007 Berufung eingelegt. Die Gutachten des MDK seien unrichtig. Die Beklagte hätte die Lage vor Ort ermitteln sollen. Mittlerweile werde das Rollstuhlzuggerät für den Basisausgleich nicht mehr benötigt, da er die neue (behindertengerechte) Wohnung wegen der Ablehnungsentscheidung der Beklagten nicht habe beziehen können. Um die Wohnung vorzuhalten, habe er für die Miete einen Kredit aufnehmen müssen. Er begehre den Ausgleich des Schadens, der ihm durch die Verzögerung entstanden sei. Dies betreffe vor allem die Miete der vorgehaltenen Wohnung seit April 2006 bis mindestens August 2007. Das Sozialamt sei nur zur Übernahme beider Mieten für einen Monat bereit.
Der Kläger legte das Schreiben der Stadt Konstanz (Sozialamt) vom 4.7.2006 vor. Darin ist ausgeführt, der Kläger habe die neue Wohnung zum 1.5.2006 angemietet, die bisherige Wohnung jedoch nicht gekündigt, da er diese nach eigenen Angaben noch bis zur Bewilligung des Rollstuhlzuggeräts benötige. Man sei ausnahmsweise bereit, die Miete beider Wohnungen für den Umzugsmonat zu übernehmen. Der Kläger habe das Wohnumfeld der neuen Wohnung vor Anmietung besichtigt. Ihm habe daher bewusst sein müssen, dass er mit den dort vorhandenen Steigungen Schwierigkeiten haben werde.
Mit Verfügung vom 23.10.2007 ist der Kläger darauf hingewiesen worden, dass Gegenstand des Berufungsverfahrens nur die Versorgung mit dem Rollstuhlzuggerät, nicht jedoch die Gewährung von Schadensersatz wegen der Anmietung zweier Wohnungen sein könne.
Der Kläger hat darauf vorgetragen, das Begehren nach Versorgung mit dem Rollstuhlzuggerät habe sich nicht erledigt; insoweit sei die Berufungsbegründung missverständlich gewesen. Er habe auch die ihm bewilligte (neue) Wohnung noch nicht gekündigt.
Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Die Ausstattung des Klägers mit einem Greifreifenrollstuhl sei ausreichend.
Am 10.12.2008 fand eine erste mündliche Verhandlung vor dem Senat statt, die zur weiteren Sachaufklärung vertagt wurde. Zunächst sind weitere Arztberichte erhoben worden.
Der Internist Dr. H. (Hausarzt des Klägers) führte im Bericht vom 19.1.2009 aus, er kenne den Kläger seit ca. 20 Jahren als Patienten. Anfangs habe er noch an 2 Stöcken gehen können. Seit 10 Jahren sei er auf einen Rollstuhl angewiesen. Ein Umsetzen sei nur mit besonderen Schwierigkeiten, aber noch selbständig machbar. Er treffe ihn immer wieder auf der Straße, wo er den (handbetriebenen) Rollstuhl nur mit großer Mühe mit den Händen schieben könne und sich sehr langsam fortbewege. Die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl sei medizinisch indiziert. Die mit dem handbetriebenen Rollstuhl möglichen Wegstrecken würden auf unter 500 m eingeschätzt, wobei die Fortbewegung nur "im Schneckentempo" stattfinde. Das Rollstuhlzuggerät bezwecke, dass der Kläger aus seiner sozialen Isolation herauskomme.
Die Beklagte hat hierzu geltend gemacht, der Kläger könne sich in der näheren Umgebung (Spaziergangsentfernung) mit einem normalen Rollstuhl zwar langsam, aber doch noch fortbewegen; hierfür (zum Basisausgleich) habe man ihm im September 2005 einen Aktivrollstuhl zur Verfügung gestellt, den der Kläger nach den Angaben des Dr. H. für Wegstrecken bis 500 m nutzen könne. Ein Elektrorollstuhl für den häuslichen Bereich und die nähere Umgebung sei damit weiterhin nicht notwendig. Ein vom Kläger begehrtes Rollstuhl-Bike gehöre nicht zum Leistungskatalog der Krankenkassen (BSG, Urt. v. 16.9.1999, - B 3 KR 8/98 -). Die von Dr. H. angesprochene soziale Rehabilitation sei nicht Aufgabe der Krankenversicherung.
Der Kläger hat eingewandt, aus dem Bericht des Dr. H. sei erkennbar, dass das Vorankommen mit dem handbetriebenen Rollstuhl nur unter unzumutbarer Belastung möglich sei. Die Rollstuhlnutzung sei daher auch im näheren Umfeld sehr eingeschränkt; auch viele Grundbedürfnisse könne er mit dem handbetriebenen Rollstuhl nicht befriedigen. Er benötige ein Zuggerät oder einen normalen Elektrorollstuhl, möglichst mit Aufrechtverstellbarkeit.
Am 2.7.2009 haben Mitarbeiter der Beklagten beim Kläger einen Hausbesuch in der Wohnung C. 13, Konstanz, durchgeführt. In dem darüber angefertigten Aktenvermerk vom 14.7.2009 ist ausgeführt, der Kläger habe während der Besprechung in einem vorhandenen Rollstuhl gesessen. Die Wohnung habe er seit 2 Jahren angemietet, wohne derzeit aber nicht dort, da der Zustand der Wohnräume seiner Auffassung nach nicht hinreichend behindertengerecht sei. Nach seinen Angaben wohne der Kläger derzeit bei verschiedenen Bekannten. Den zweiten Wohnsitz (H. 1, Konstanz) habe der Kläger nicht beschreiben wollen. Er halte sich für wohnsitzlos, da er bei den Behörden nicht ordnungsgemäß gemeldet sei. Die Hilfsmittelempfehlung beschränke sich auf die häusliche Umgebung des Wohnsitzes in der C. 13. Außer dem Aktivrollstuhl stünden dem Kläger keine weiteren Hilfsmittel zum Ausgleich der Gehbehinderung zur Verfügung. Ein Auto habe er nicht. Die Restgehfähigkeit zum Verlassen und Erreichen des Hilfsmittels sei vorhanden (ca. 2%). Auch sei die Rumpfstabilität für längeres, sicheres Sitzen gegeben. Der sichere Einsatz der oberen Extremitäten zum Betreiben eines mechanischen Aktivrollstuhls sei ausreichend. Die mit dem vorhandenen Rollstuhl täglich zurückgelegte Strecke werde mit mindestens 4 km angegeben; das stehe freilich in Widerspruch zum Zustand des Rollstuhls, der nach 4 Jahren technisch und optisch noch in gutem Zustand sei. Nach eigener Einschätzung könnte der Kläger einen Elektrorollstuhl im öffentlichen Verkehr sicher bedienen. Im Innenbereich benötige er einen elektrischen Antrieb nicht. Er sei Selbstversorger, kaufe insbesondere selbst ein; ihm sei die Pflegestufe 1 zuerkannt. Bei Verwendung eines elektrischen Zuggeräts sei ein Zugewinn im Hinblick auf größere Mobilität nicht erkennbar. Durch die Adaption am vorhandenen Rollstuhl sei eine Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel, die der Kläger bevorzugt in Anspruch nehme, nicht möglich. Eine definitive Aussage zum gegenwärtigen Aufenthalt des Klägers oder zum Bezug der Wohnung in der C. und zur Frage, welche Mobilitätshilfen der Kläger tatsächlich benötige, könne nicht getroffen werden. In einer Gesprächsnotiz ist zusätzlich festgehalten, die Idee zur Beantragung eines Elektro-Bike (Rollstuhl-Bike) sei dem Kläger durch die Teilnahme an Freizeitgruppen gekommen, die auch Fahrradausflüge unternähmen. Er hoffe, mit dem Elektro-Bike trotz seiner geringen Kräfte auch künftig an den Ausflügen teilnehmen zu können.
In einem Schreiben der Stadt Konstanz (Sozial- und Jugendamt) vom 3.11.2008 ist ausgeführt, der Kläger habe eine behindertengerechte Wohnung in der C. 13 angemietet, halte sich dort allerdings selten auf, weil er mit dem Rollstuhl die Bushaltestelle wegen mehrerer Steigungen nicht ohne Hilfe erreichen könne.
Am 21.10.2009 fand eine weitere mündliche Verhandlung vor dem Senat statt; es wurde beschlossen ein Sachverständigengutachten auf orthopädischem und neurologischem Fachgebiet zu erheben.
Der Senat hat daraufhin das Gutachten des Prof. Dr. L. (Chefarzt der V. Klinik, Konstanz) vom 25.3.2010 mit ergänzender Stellungnahme vom 29.6.2010 eingeholt.
Der Gutachter hat ausgeführt, der Kläger, der seit ca. 1971/72 an der Friedreich-Ataxie erkrankt sei, sei seit ca. 15 Jahren auf einen Rollstuhl angewiesen. Die Erkrankung verlaufe nach Angaben des Klägers seit ca. 10 Jahren nur noch langsam progredient. Er bewohne derzeit abwechselnd 2 Wohnungen. Anfangs habe sich der Kläger im häuslichen Umfeld noch mit 2 Gehstöcken fortbewegen können; das sei inzwischen nicht mehr möglich. Die mit dem Aktivrollstuhl mögliche Wegstrecke habe nicht eruiert werden können. Die Fortbewegung solle jedoch sehr langsam erfolgen, wobei der Kläger für eine Strecke von etwa 200 m 30 Minuten benötige. Bei Steigungen müsse er die doppelte Zeit aufwenden.
Der Kläger sei mit dem Rollstuhl zur Untersuchung gekommen und habe wegen Steigungen schon beim Betreten der Klinik Hilfe gebraucht. Der Allgemeinzustand und der Ernährungszustand seien reduziert (eigene Angaben: Größe 178 cm, Gewicht 67 kg). Auch beim extrem langsamen Entkleiden habe der Kläger (ohne Hilfe: glaubhaft 1 Stunde notwendig) Hilfe benötigt. Der Umstieg vom Rollstuhl auf die Untersuchungsliege sei selbständig praktisch nicht möglich. Im Sitzen könne sich der Kläger kaum halten, eine Stabilisierung des Rumpfes sei nicht möglich
Beim Kläger liege eine Friedreich-Ataxie mit Paraparese beider unteren Extremitäten und starker Reduktion der Feinmotorik der oberen Extremität mit grobschlägigem Tremor vor. An der Wirbelsäule bestehe unterhalb der HWS ein deutliches muskuläres Defizit mit fehlender Stabilisierungsmöglichkeit im Sitzen. Außerdem leide der Kläger an einer Spitzfußstellung beider Füße.
Die Mobilität des Klägers sei extrem eingeschränkt. Der Kläger sei auf einen Rollstuhl angewiesen. Stehen könne er ohne Hilfestellung nicht. Auch das aufrechte Sitzen sei nur unter Zuhilfenahme der oberen Extremität gerade noch möglich. Eine Stabilisierung im Bereich der Wirbelsäule sei nicht möglich. Nach eigenen Beobachtungen könne sich der Kläger mit dem Aktivrollstuhl nur unter extremen Mühen und nur sehr langsam fortbewegen. Eine kleine Steigung an der Parkplatzausfahrt des Krankenhauses habe er nicht selbstständig überwinden können. In der näheren häuslichen Umgebung sei der Kläger nur unter größten Mühen in der Lage, sich mit einem Greifreifenrollstuhl zu bewegen. Die extrem niedrige Geschwindigkeit schließe eine sichere Fortbewegung aus. Alleine schon das Überqueren von Straßen bedeute bei dieser Geschwindigkeit eine erhebliche Verkehrsgefährdung. Im Hinblick auf Pausen sei die maximal bewältigbare Wegstrecke relativ. Der Kläger bewege sich mit dem Rollstuhl extrem langsam. Eine maximale Strecke habe er selbst nicht angeben können. Diese könne aber auf wenige 100 Meter geschätzt werden.
Nach der klinischen Untersuchung sei es medizinisch absolut notwendig, den Kläger mit einer elektrischen Fahrhilfe zu versorgen. Er benötige dringend einen Elektrorollstuhl mit zusätzlicher Aufrichthilfe. Eine Aussage zum Elektro-Drive-Vorsatz sei aus orthopädischer Sicht etwas schwieriger. Für die Pflege des sozialen Umfeldes sei dies sicherlich sinnvoll. Allerdings könne nicht mit absoluter Sicherheit angegeben werden, in welchem Umfang und wie lange der Kläger diese Hilfe noch benutzen könne. Er berichte zwar, dass seine Erkrankung seit 10 Jahren nicht mehr bzw. nur noch langsam progredient sei. Allerdings habe die Motorik der oberen Extremität im Vergleich zu den Vorbefunden wohl doch abgenommen. Zusammengefasst könne festgestellt werden, dass die Verordnung eines Elektrorollstuhls mit Aufrichthilfe dringend notwendig sei. Die Verordnung eines Elektro-Drive-Vorsatzes sei aus sozialmedizinischer Sicht sinnvoll, aus medizinischer Sicht jedoch nicht zwingend notwendig. Ein neurologisches Gutachten brauche nicht erhoben zu werden, da die Sachlage eindeutig sei.
Die Beklagte hat hierzu vorgetragen, Gegenstand des Verfahrens sei die Versorgung mit einem Rollstuhlzuggerät; dies sei im Verwaltungsverfahren abgelehnt worden. Hierzu habe der Gutachter festgestellt, dass dies zwar sozialmedizinisch sinnvoll, aus medizinischer Sicht aber nicht zwingend notwendig sei. Damit sei die medizinische Notwendigkeit nicht nachgewiesen. Auch die sozialmedizinische Komponente habe der Gutachter nicht im Sinne der Hilfsmittelrichtlinien überprüft. Er habe sich allein auf die Aussagen des Klägers verlassen und sich kein eigenes Bild über dessen Lebensumstände gemacht. Nach wie vor sei ungeklärt, in welcher Wohnung sich der Kläger aufhalte. Auch habe der Gutachter nicht hinreichend eruiert, wie der Kläger seinen Tagesablauf gestalte und inwieweit Hilfebedarf bestehe. Fraglich sei, wie der Kläger mit dem beschriebenen Aktionsradius ohne Hilfe überhaupt termingerecht zu Untersuchung bzw. zu den mündlichen Verhandlungen des Senats habe kommen können. Auch die zuerkannte Pflegestufe 1 sei nicht hinreichend berücksichtigt worden. Dadurch werde der von der Krankenkasse zu finanzierende Basisausgleich im Bereich der Mobilität deutlich beeinflusst. Da die Organisation der hauswirtschaftlichen Versorgung für den Kläger entfalle, müsse man ihm nur noch ein Hilfsmittel zur Verfügung stellen, das für kurze Spaziergänge an der frischen Luft benötigt werde. Dafür genüge der vorhandene Rollstuhl. Der Gutachter habe auch nicht festgestellt, ob der Kläger eine elektrische Zughilfe im Außenbereich bei wesentlich höherer Fortbewegungsgeschwindigkeit und angesichts einer Vielzahl anderer Verkehrsteilnehmer sicher bedienen könne. Dem Kläger stehe es frei, für den vom Gutachter vorgeschlagenen Elektrorollstuhl mit Aufrichthilfe einen neuen Leistungsantrag zu stellen. Auch hierbei seien allerdings die Hilfsmittelrichtlinien und das Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten.
In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 29.6.2010 hat Prof. Dr. L. ausgeführt, unstreitig sei, dass der Elektro-Drive-Vorsatz aus medizinischer Sicht nicht zwingend erforderlich sei. Grundlage des Gutachtens seien die Anamnese, die körperliche Untersuchung sowie die Aktenlage gewesen. Eine persönliche Besichtigung der Umgebung des Klägers sei bei der Eindeutigkeit des klinischen Bildes nicht notwendig. Dies hätte hinsichtlich der Erforderlichkeit des Hilfsmittels auch keine wesentliche Rolle gespielt. Aus medizinischer Sicht sei auch nicht relevant, in welcher Wohnung der Kläger derzeit lebe. Entscheidend sei die klinische Untersuchung. Der Kläger sei nach eigenen Angaben zumeist selbst im Stande, sich im häuslichen Umfeld zu versorgen, wobei allerdings schon das Anziehen am Morgen etwa eine Stunde dauern solle. Wenn er im häuslichen Umfeld Hilfe brauche, stünden ihm Freunde und Bekannte zur Seite. Das Problem bestehe in der Mobilität außerhalb des häuslichen Umfelds. Die Geschwindigkeit, mit der sich der Kläger mit seinem Aktivrollstuhl fortbewege, sei sehr langsam. Die Angaben des Klägers zum Aktionsradius und zur Geschwindigkeit seien glaubhaft, da man ihn bei der Ankunft und beim Verlassen des Krankenhauses beobachtet habe; zumindest die Beobachtung bei der Ankunft sei ohne sein Wissen erfolgt. Der Kläger könne in einem Omnibus mitfahren, benötige für das Ein- und Aussteigen aber fremde Hilfe. Wenn er Treppen überwinden müsse, halte er nach hilfsbereiten Passanten Ausschau. Im Hinblick auf das pünktliche Erscheinen zu Terminen gehe man davon aus, dass der mental nicht eingeschränkte Kläger seine Geschwindigkeit einschätzen könne und er deshalb einfach früher aufbreche. Zur Bedienung eines Elektro-Drive-Aufsatzes und eines Elektrorollstuhls sei der Kläger im Stande; allein die Montage des Elektro-Drive-Aufsatzes könnte Probleme bereiten. Eine Prognose sei schwierig. Man könne jedoch davon ausgehen, dass die Motorik weiter abnehmen werde. Aufgrund der Prognose sei im Gutachten ein Elektrorollstuhl favorisiert worden. Insgesamt sei festzuhalten, dass der Kläger auf eine elektrische Fahrhilfe angewiesen sei. Favorisiert werde die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl mit Aufrichthilfe, da prognostisch eine Nutzung deutlich länger möglich sein sollte.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 10.4.2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 17.2.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.4.2006 zu verurteilen, ihm ein elektrisches Rollstuhlzuggerät (Rollstuhl-Bike), hilfsweise einen Elektrorollstuhl mit zusätzlicher Aufrichthilfe zu gewähren und die ihm für die Anmietung zweier Wohnungen für die Zeit von April 2006 bis August 2007 entstandenen (Mehr-)Kosten zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hat zunächst auf ihrem Standpunkt beharrt und abschließend eingewandt, Gegenstand des Verfahrens sei die Versorgung mit einem Rollstuhlzuggerät. Ein Elektro-Drive-Vorsatz sei aber aus medizinischer Sicht nicht zwingend erforderlich. Für den vom Gutachter vorgeschlagenen Elektrorollstuhl mit Aufrichthilfe sei ein neuer Antrag zu stellen. Dabei handele es sich um ein anderes Hilfsmittel, das nicht Streitgegenstand sei. Auch dieses Hilfsmittel sei aber kritisch zu betrachten, da der von der Krankenkasse zu finanzierende Basisausgleich wegen der dem Kläger zuerkannten Pflegestufe 1 im Bereich der Mobilität deutlich eingegrenzt werden müsse. Nach der Beschreibung des Gutachters sei es dem Kläger momentan zwar verlangsamt, aber immer noch möglich, mit dem vorhandenen Rollstuhl für kurze Spazierfahrten an die frische Luft zu kommen.
In der mündlichen Verhandlung des Senats hat der Vertreter der Beklagten erklärt, dass aus seiner Sicht die medizinischen Voraussetzungen für einen Elektrorollstuhl vorliegen. Vor der Entscheidung über die Ausstattung des Elektrorollstuhls mir einer Aufrichthilfe halte er eine gutachterliche Beurteilung durch den MDK hinsichtlich der medizinischen Notwendigkeit der Aufrichthilfe für erforderlich.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I. Die Berufung des Klägers ist gem. §§ 143, 144, 151 SGG statthaft und auch sonst zulässig. Sie richtet sich zum einen auf die Versorgung mit Hilfsmitteln (§ 33 SGB V), zum andern auf Ersatz der Mehraufwendungen für die Anmietung zweier Wohnungen. Insoweit ist die Einführung des neuen Streitgegenstands in das Berufungsverfahren im Wege der Klageänderung (Klageerweiterung) nach § 99 SGG (vgl. dazu BGH, Urt. v. 11.10.2000, - VIII ZR 321/99 -) zulässig, scheitert insbesondere nicht am Erfordernis der Einwilligung der Beklagten, da sich diese, ohne der Klageänderung zu widersprechen, schriftsätzlich auf die abgeänderte Klage eingelassen hat (§ 99 Abs. 2 SGG).
II. Die Berufung ist aber nicht begründet.
1. Für die Erstattung von Mietkosten durch die Beklagte gibt es keine Rechtsgrundlage, für die der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet wäre. Etwaige Amtshaftungsansprüche (Art 34 GG, § 839 BGB) wären ggf. im ordentlichen Rechtsweg geltend zu machen (vgl. § 71 Abs. 1 Nr. 2 GVG).
2. Rechtsgrundlage des vom Kläger in erster Linie geltend gemachten Anspruchs auf Hilfsmittelversorgung ist § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung (zum Behinderungsbegriff die auch hier maßgebliche Definition in § 2 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch, SGB IX) vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.
Nach der Rechtsprechung des BSG bemisst sich der von den Krankenkassen geschuldete Behinderungsausgleich (§ 33 Abs. 1 Satz 1 3. Fall) entscheidend danach, ob eine Leistung des unmittelbaren oder des mittelbaren Behinderungsausgleichs beansprucht wird:
Im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs ist die Hilfsmittelversorgung grundsätzlich von dem Ziel eines vollständigen funktionellen Ausgleichs geleitet. Insoweit hat der in § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V als dritte Variante genannte Zweck (vgl. auch § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX) für die im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung gebotene Hilfsmittelversorgung zwei Ebenen. Im Vordergrund steht dabei der unmittelbare Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion. Davon ist auszugehen, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion selbst ermöglicht, ersetzt oder erleichtert. Für diesen unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Dies dient in aller Regel ohne gesonderte weitere Prüfung der Befriedigung eines Grundbedürfnisses des täglichen Lebens i. S. des § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX, weil die Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer Körperfunktionen als solche schon ein Grundbedürfnis in diesem Sinne ist. Deshalb kann auch die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem gesunden Menschen erreicht ist.
Beschränkter sind die Leistungspflichten der Krankenkassen, wenn die Erhaltung bzw. Wiederherstellung der beeinträchtigten Körperfunktion nicht oder nicht ausreichend möglich ist, und deshalb Hilfsmittel zum Ausgleich von direkten und indirekten Folgen der Behinderung benötigt werden (mittelbarer Behinderungsausgleich). Dann sind die Krankenkassen nur für einen Basisausgleich von Behinderungsfolgen eintrittspflichtig. Es geht hier nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztendlich unbegrenzten Möglichkeiten eines gesunden Menschen. Denn Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist in allen Fällen allein die medizinische Rehabilitation (vgl. § 1 SGB V sowie § 6 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 5 Nr. 1 und 3 SGB IX), also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist von den Krankenkassen deshalb nur dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Zu diesen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens im hier maßgeblichen Sinn gehören das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrung aufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Für den Ausgleich darüber hinausreichender Behinderungsfolgen haben beim mittelbaren Behinderungsausgleich hingegen ggf. andere Sozialleistungssysteme Sorge zu tragen. Das gilt (nunmehr) auch (entgegen der ausdrücklich aufgegebenen bisherigen Rechtsprechung des 13. Senats des BSG, vgl. Urt. v. 21.8.2008 -, BSGE 101,207) für Gebrauchsvorteile im Beruf; nur für die Berufsausübung erforderliche Hilfsmittel muss die Krankenkasse nicht gewähren. Ist der Versicherte für die Anforderungen des allgemeinen Alltagslebens ausreichend versorgt, kommt es auf etwaige zusätzliche Nutzungsvorteile im Erwerbsleben ohnehin nicht an. Umgekehrt kann ein Hilfsmittelanspruch gegen die Krankenkasse nicht auf ausschließlich berufliche Nutzungsvorteile gestützt werden, wenn das Hilfsmittel ansonsten keine allgemeinen Grundbedürfnisse betrifft und seine Nutzung die Auswirkungen der Behinderung nicht im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert (so BSG, Urt. v. 17.12.2009, - B 3 KR 20/08 R -).
Zum Grundbedürfnis der Erschließung eines geistigen Freiraums gehört u. a die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen Menschen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens bzw. eines Schulwissens (vgl. BSG, Urt. v. 12.8.2009, - B 3 KR 11/08 R -). Das Grundbedürfnis nach Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraums hat die Rechtsprechung des BSG immer nur im Sinne eines Basisausgleichs der Behinderung selbst und nicht i. S. des vollständigen Gleichziehens mit den Möglichkeiten eines Gesunden verstanden. Die Bewegungsfreiheit stellt zwar ein allgemeines Grundbedürfnis dar. Hierfür ist im Ausgangspunkt allerdings nur auf diejenigen Entfernungen abzustellen, die ein Gesunder üblicherweise noch zu Fuß zurücklegt (BSG, Urt. v. 8.6.1994, - 3/1 RK 13/93 -). In der Folgezeit hat das BSG (Urt. v. 16.9.1999, - B 3 KR 8/98 R -) dies auf die Fähigkeit präzisiert, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen", oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (z.B. Supermarkt, Arzt, Apotheke, Geldinstitut, Post). Standen Wegstrecken in Rede, die über das von Gesunden zu Fuß Erreichbare hinausgingen, hat das BSG zusätzliche qualitative Momente verlangt (Urt. v. 16.9.2004, - B 3 KR 19/03 R -: Erreichbarkeit ambulanter medizinischer Versorgung für zu Hause gepflegte Wachkomapatientin; Urt. v. 16.4.1998, - B 3 KR 9/97 R -: Rollstuhl-Bike für Jugendliche im Hinblick auf die Integration des behinderten Kindes während der jugendlichen Entwicklungsphase; Urt. v. 2.8.1979, - 11 RK 7/78 -: Faltrollstuhl für Schulkind zur Ermöglichung des Schulbesuchs; vgl. auch zusammenfassend BSG, Urt. v. 12.8.2009, - B 3 KR 11/08 R -). Speziell die Fortbewegung per (Fahr-)Rad ist nicht als Grundbedürfnis anerkannt (BSG, Urt. v. 29.1.2009, - B 3 KR 39/08 R -). Die Gewährung fahrradgleicher mechanischer Zugvorrichtungen für Rollstühle (Rollstuhlzuggerät oder Rollfiet), auch als Rollstuhl-Bike (oder Elektro-Bike) bezeichnet, hat das BSG für Erwachsene regelmäßig abgelehnt (vgl. etwa Urt. v. 12.8.2009, - B 3 KR 11/08 R -; Beschl. v. 22.4.2009, - B 3 KR 54/08 B -; Urt. v. 29.1.2009, - B 3 KR 39/08 B -).
Dem Gegenstand nach besteht für den so gezogenen räumlichen Bewegungsradius ein Anspruch auf die im Einzelfall für den gebotenen Behinderungsausgleich ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung, nicht jedoch auf eine Optimalversorgung. Deswegen kann der Versicherte ein teureres Hilfsmittel nicht beanspruchen, wenn die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell ebenfalls geeignet ist; andernfalls muss er die Mehrkosten gem. § 33 Abs. 1 Satz 6 SGB V (ebenso § 31 Abs. 3 SGB IX) selbst tragen (BSG, Urt. v. 12.8.2009, - B 3 KR 11/08 R -). Ist der Versicherte aber außer Stande, den Nahbereich der Wohnung mit einem (handbetriebenen) Aktivrollstuhl (Greifreifenrollstuhl) ohne übermäßige Anstrengung, schmerzfrei und aus eigener Kraft ohne Schiebehilfe Dritter in normalem Rollstuhltempo zu bewältigen, ist er (die Möglichkeit zu dessen verkehrssicherer Führung vorausgesetzt) mit einem Elektrorollstuhl zu versorgen (BSG Urt. v. 12.8.2009-B 3 KR 8/08 R).
Weiterreichende Rechte können Versicherte aus dem grundrechtlichen Verbot der Benachteiligung behinderter Menschen in Art. 3 Abs. 2 Satz 2 nicht herleiten. Vielmehr folgt aus der genannten Grundrechtsbestimmung ein Auftrag an den Staat, auf die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen hinzuwirken. Diesem Auftrag zur Umsetzung und Konkretisierung hat der Gesetzgeber mit dem SGB IX Rechnung getragen, ohne dass damit der Auftrag als erledigt anzusehen wäre. Der fortbestehende Auftrag zur Ausgestaltung des Sozialstaatsgebots begründet aber keine konkreten Leistungsansprüche. Die Vorschriften des SGB IX zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen gewähren den Versicherten im Bereich der Hilfsmittelversorgung ebenfalls keine über die Leistungspflichten nach § 33 SGB V hinausgehenden Leistungsansprüche (BSG, Urt. v. 12.8.2009, - B 3 KR 11/08 R -; Urt. v.26.3.2003, - B 3 KR 23/02 R -).
Untergesetzliche Einzelbestimmungen zur Hilfsmittelversorgung hat der Gemeinsame Bundesausschuss gestützt auf § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V mit den Hilfsmittelrichtlinien (Neufassung vom 16.10.2008, BAnz 2009, Nr. 61 S. 462) erlassen. Außerdem haben die Spitzenverbände der Krankenkassen (jetzt Spitzenverband Bund der Krankenkassen) ein Hilfsmittelverzeichnis erstellt, in dem die von der Leistungspflicht umfassten Hilfsmittel aufzuführen sind (§ 139 Abs. 1 SGB V). Das Hilfsmittelverzeichnis stellt (wie das Pflegehilfsmittelverzeichnis nach § 78 Abs. 2 SGB IX) indessen keine abschließende, die Leistungspflicht der Krankenkassen im Sinne einer "Positivliste" beschränkende Regelung, sondern nur eine Auslegungs- und Orientierungshilfe für die medizinische Praxis dar. Auch für die Gerichte hat es nur die Rechtsqualität einer unverbindlichen Auslegungshilfe (vgl. BSG, Urt. v. 25.6.2009, - B 3 KR 4/08 R -).
In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist grundsätzlich notwendig, dass ein Vertragsarzt das Hilfsmittel (im Wege der ärztlichen Leistungsvermittlung) gem. § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V verordnet. Die vertragsärztliche Verordnung stellt eine formale Leistungsvoraussetzung dar. Sie konkretisiert das Rahmenrecht des Versicherten (vgl. zur Verordnung von Krankenhausbehandlung LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 12.11.2009, - L 9 KR 11/08 -). Eine fehlende oder unzureichende Verordnung kann aber ggf. noch im Gerichtsverfahren nachgeholt werden (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 19.12.2007, - L 9 KR 150/03 -). Da die Krankenkasse das vertragsärztlich verordnete Hilfsmittel vor der Leistungserbringung aber genehmigen muss (vgl. § 19 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch, SGB IV; dazu näher auch BSG, Urt. v. 24.9.2002, - B 3 KR 2/02 R -; Urt. v. 17.4.1996, - 3 RK 19/95 -), muss der Versicherte die Hilfsmittelverordnung des Vertragsarztes vorbehaltlich anderweitiger Regelungen jedoch zunächst der Krankenkasse vorlegen. Diese entscheidet sodann – ggf. nach Befragung des MDK (§ 275 Abs. 3 Nr. 1 SGB V) – über die Bewilligung des Hilfsmittels. Erst nach der Bewilligungsentscheidung darf der Versicherte die (etwa mit einem Genehmigungsvermerk versehene) Verordnung bei einem zur Hilfsmittelabgabe berechtigten Hersteller bzw. Lieferanten (Leistungserbringer) einreichen.
III. Von diesen Rechtsgrundsätzen ausgehend hat die Beklagte die Gewährung des dem Kläger von Dr. H. verordneten Rollstuhlzuggeräts zu Recht abgelehnt. Dabei handelt es sich ersichtlich um eine fahrradgleiche mechanische Zugvorrichtung, die auch als Rollstuhl-Bike (oder Elektro-Bike) bezeichnet wird (vgl. zum Begriff BSG, Beschl. v. 22.4.2009, - B 3 KR 54/08 B -; auch Nr. 18.99.04.0000-0999 des Hilfsmittelverzeichnisses). Dieses Hilfsmittel kann der Kläger gem. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht beanspruchen (unten 1). Allerdings hat er der Sache nach Anspruch auf die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl. Das folgt aus dem überzeugenden Gutachten des Prof. Dr. L. vom 25.3.2010 bzw. dessen ergänzender Stellungnahme vom 29.6.2010. Einer entsprechenden Verurteilung der Beklagten stehen nur verfahrensrechtliche Gründe entgegen. Zwar ist die vertragsärztliche Verordnung eines Elektrorollstuhls bis zur mündlichen Verhandlung des Senats am 25.8.2010 noch nachgeholt worden; Dr. H. hat eine solche Verordnung unter dem 27.7.2010 ausgestellt. Allerdings muss die Beklagte über die Gewährung dieses Hilfsmittels noch eine (Genehmigungs-)Entscheidung treffen (§ 19 Satz 1 SGB IV). Dieser kann der Senat nicht vorgreifen; Gegenstand des durchgeführten Verwaltungsverfahrens war allein die Gewährung eines Rollstuhlzuggeräts. Die (offenbar im September 2005 erfolgte) Verordnung bzw. Genehmigung eines Aktivrollstuhls kann die Verordnung und Genehmigung eines Elektrorollstuhls nicht ersetzen, da es sich bei einem Elektrorollstuhl wegen seiner andersartigen Konstruktion und Betriebsform um ein "aliud" zu einem Aktivrollstuhl handelt (BSG, Urt. v. 12.8.2009, - B 3 KR 8/08 R -). Der Senat weist aber darauf hin, dass im Hinblick auf die Erkenntnisse des Gutachters Prof. Dr. L. eine Ablehnungsentscheidung nicht haltbar erscheinen würde (unten 2).
1. Vorliegend steht nicht ein unmittelbarer, sondern (unstreitig) ein mittelbarer Behinderungsausgleich in Rede, da mit einem Rollstuhl bzw. einem Rollstuhlzuggerät (im Unterschied etwa zu elektronisch steuerbaren Beinprothesen/Kniegelenkssystemen – C-Leg) die beeinträchtigte Körperfunktion, das Gehen bzw. sich Fortbewegen, nicht bzw. nicht ausreichend ausgeglichen werden kann. Das Hilfsmittel wird daher zum Ausgleich von direkten und indirekten Folgen der Behinderung benötigt. Hier schuldet die Beklagte nach dem Gesagten indessen nur einen Basisausgleich. Sie muss dem Kläger ein vollständiges Gleichziehen mit den letztendlich unbegrenzten (Fortbewegungs-)Möglichkeiten eines gesunden Menschen nicht ermöglichen. Anspruch hat er nur auf solche Hilfsmittel, die ihn in die Lage versetzen, Wegstrecken, die ein Gesunder üblicherweise noch zu Fuß zurücklegt, (zumutbar) zu bewältigen. Damit kann der Kläger grundsätzlich (unbeschadet der ihm zuerkannten Pflegestufe 1) aber nur eine Rollstuhlversorgung beanspruchen, die ihm die Bewegung in der eigenen Wohnung sowie kurze Spaziergänge bzw. -fahrten "an die frische Luft" und das Erreichen im Nahbereich der Wohnung liegender Stellen zur Erledigung von Alltagsgeschäften (z.B. Supermarkt, Arzt, Apotheke, Geldinstitut, Post) ermöglicht. Hilfsmittel zur Bewältigung darüber hinausgehender Wegstrecken, insbesondere zu Ausflugsfahrten, muss ihm die Beklagte nicht gewähren. Besondere qualitative Gesichtspunkte, die weiterreichende Ansprüche begründen könnten, liegen nicht vor. Sie können auch aus den Besonderheiten der Erkrankung des Klägers nicht hergeleitet werden. Prof. Dr. L. hat die Gewährung eines Elektro-Drive-Vorsatzes (elektrisches Rollstuhlzuggerät bzw. Rollstuhl-Bike) demzufolge auch nur zur Pflege des sozialen Umfeldes für sinnvoll erachtet; eine zwingende medizinische Notwendigkeit hat er jedoch verneint. Dass im Hilfsmittelverzeichnis in der einschlägigen Untergruppe (Nr. 18.99.04.0) ein spezieller Anwendungsort für Rollstuhl-Zuggeräte nicht aufgeführt ist, ändert daran nichts.
2. Der Kläger hat jedoch materiell-rechtlich einen Anspruch auf Versorgung mit einem Elektrorollstuhl, da er den Nahbereich seiner Wohnung nicht mehr zumutbar mit einem (handbetriebenen) Aktivrollstuhl (Greifreifenrollstuhl) erschließen kann. Das geht aus dem überzeugenden Gutachten des Prof. Dr. L. hervor. Dabei kommt es auf die konkreten topographischen Verhältnisse der Wohnumgebung nicht an (vgl. BSG, Urt. v. 12.8.2009, - B 3 KR 8/08 R -), weshalb dahin stehen mag, wo der Kläger (überwiegend) wohnt (in der C. oder der H.) oder sich aufhält.
Nach den Erkenntnissen des Gutachters ist der Kläger, der seit ca. 1971/72 an der Friedreich-Ataxie mit Paraparese beider unteren Extremitäten erkrankt ist, auf einen Rollstuhl angewiesen; hierüber wird nicht gestritten. Seine Mobilität ist extrem eingeschränkt. Er kann ohne Hilfestellung nicht Stehen; aufrechtes Sitzen ist nur unter Zuhilfenahme der oberen Extremität gerade noch möglich. Nach eigener Beobachtung des Gutachters kann sich der Kläger mit dem Aktivrollstuhl nur unter extremen Mühen und nur sehr langsam fortbewegen. Schon eine kleine Steigung, die auch ohne auf die konkreten topographischen Umgebungsverhältnisse einer bestimmten Wohnung abzustellen, nirgends völlig ausgeschlossen werden kann, kann der Kläger selbstständig nicht überwinden. In der näheren häuslichen Umgebung kann er sich insgesamt nur unter größten Mühen mit dem Aktivrollstuhl bewegen, wobei die extrem niedrige Geschwindigkeit zudem eine sichere Fortbewegung ausschließt; unter diesen Bedingungen kann der Kläger nur wenige 100 m bewältigen. Im Hinblick auf die Ergebnisse der Begutachtung ist die Einschätzung des Prof. Dr. L., wonach die Versorgung mit einer elektrischen Fahrhilfe medizinisch absolut notwendig ist, schlüssig und überzeugend. In der ergänzenden Stellungnahme vom 29.6.2010 hat der Gutachter an seiner Auffassung auch im Hinblick auf die Einwendungen der Beklagten zu Recht festgehalten. Sie deckt sich im Übrigen mit der Ansicht und den Beobachtungen des Dr. H ... Dieser hat im Bericht vom 19.1.2009 mitgeteilt, der Kläger könne sich mit dem Aktivrollstuhl nur mit großer Mühe "im Schneckentempo" fortbewegen.
Die gegen das Gutachten erhobenen Einwendungen der Beklagten überzeugen nicht. Der Gutachter brauchte nicht zu klären, wo der Kläger wohnt, da es auf die topographischen Verhältnisse des konkreten Wohnumfeldes nicht ankommt. Er hat den Kläger eingehend klinisch untersucht, sein Fortbewegungsverhalten bzw. seine Fortbewegungsmöglichkeiten außerhalb der Klinik (vor und nach der Begutachtung) beobachtet und eine Anamnese erhoben. Er hat seine insgesamt nachvollziehbaren und überzeugenden Schlussfolgerungen damit auf eine ausreichende Tatsachengrundlage gestützt.
Danach steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger Wegstrecken im Wohnungsnahbereich im normalen Rollstuhltempo, wenn überhaupt, nur mit übermäßiger und nicht zumutbarer Anstrengung bzw. nur mit Schiebehilfe Dritter bewältigen kann. Er hat deswegen Anspruch auf die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl (vgl. auch BSG, Urt. v. 12.8.2009, - B 3 KR 8/08 R -). Dem wird sich die Beklagte auch nicht unter Hinweis auf das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs. 1 SGB V) entziehen können. Im Hinblick darauf kann sie nach pflichtgemäßem Ermessen (lediglich) darüber entscheiden, ob sie dem Kläger einen Elektrorollstuhl übereignen oder leihweise überlassen will (§ 33 Abs. 5 Satz 1 SGB V; auch dazu BSG, Urt. v. 12.8.2009, - B 3 KR 8/08 R -). Dass dem Kläger die Pflegestufe 1 zuerkannt worden ist, ändert nichts. Er benötigt danach bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Sozialgesetzbuch Elftes Buch, SGB XI). Auch bei entsprechender Hilfeleistung bleibt es dabei, dass der Kläger ohne Versorgung mit einem Elektrorollstuhl sein Grundbedürfnis nach Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraums (außerhalb seiner Wohnung) auch hinsichtlich einer kleinen Spazierfahrt "an die frische Luft" zumutbar nicht befriedigen kann.
Der Senat kann eine abschließende Sachentscheidung – nämlich die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung eines Elektrorollstuhls – indessen nicht treffen. Ungeachtet der nunmehr vorliegenden vertragsärztlichen Verordnung dieses Hilfsmittels muss die Beklagte über dessen Gewährung noch ein Verwaltungsverfahren durchführen und dabei auch etwa nach Ermessen darüber entscheiden, ob der Elektrorollstuhl dem Kläger übereignet oder leihweise überlassen werden soll. Eine – gem. § 275 Abs. 3 Nr. 2 (nur) in geeigneten Fällen vorgesehene - Konsultierung des MDK ist angesichts des Gutachtens des Prof. Dr. L. entbehrlich und lediglich hinsichtlich der ebenfalls verlangten zusätzlichen Aufrichthilfe vertretbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
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