L 1 R 261/07

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 1 R 92/06
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 261/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 RS 54/10 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
AAÜG, fiktive Einbeziehung, betriebliche Voraussetzung, VEB Bau (K) Jessen
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 29. Mai 2007 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten, Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Alternsversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) festzustellen.

Der 1940 geborene Kläger hat nach dem Zeugnis der Ingenieurschule für Bauwesen C. vom Juli 1972 die Abschlussprüfung als Ingenieurökonom bestanden. Zu diesem Zeitpunkt war er nach den Eintragungen im Sozialversicherungsausweis (SVA) als Zimmerermeister im VEB Hochbau Jessen beschäftigt. Ab Januar 1974 war er Bereichsleiter Hochbau im VEB (K) Hoch- und Tiefbau Jessen, ab Januar 1977 Technischer Direktor im VEB Bau (K) Jessen, ab Januar 1979 im gleichen Betrieb Produktionsleiter und ab Januar 1986 Produktionsdirektor. Diese Tätigkeit übte er auch noch im Juni 1990 aus. Der freiwilligen Zusatzrentenversicherung ist der Kläger mit Wirkung zum 1. Februar 1980 beigetreten. Eine Zusatzversorgungszusage erhielt er nicht.

Am 1. November 2005 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften wegen der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG). Mit Bescheid vom 14. November 2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da der Kläger am 30. Juni 1990 nicht in einem Produktionsbetrieb oder einem gleichgestellten Betrieb beschäftigt gewesen sei. Am 24. November 2005 erhob der Kläger Widerspruch. Bei seinem Beschäftigungsbetrieb habe es sich um ein Bauunternehmen mit ca. 280 Mitarbeitern gehandelt. Es sei ein reiner Produktionsbetrieb gewesen mit ca. 150 Bauarbeitern auf Baustellen, ca. 20 Arbeitern in der Ziegeldeckenproduktion, ca. 30 Mitarbeitern in der Projekterstellung für die Bauvorhaben und ca. 80 Mitarbeitern in der Verwaltung, im Fuhrpark und in der Instandhaltung. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der VEB Bau (K) Jessen sei innerhalb der Systematik der Volkswirtschaftszweige der DDR der Wirtschaftsgruppe 20270 zugeordnet gewesen. Diese sei wie folgt beschrieben worden: Rekonstruktionsbaumaßnahmen und Baureparaturen an Bauwerken der Industrie und Lagerwirtschaft, der Wasserwirtschaft und des Meliorationswesens, der Landwirtschaft, Binnenfischerei und Forstwirtschaft, des Verkehrs-, des Post- und Fernmeldewesens, für Wohn- und gesellschaftliche Zwecke. Danach habe dem Beschäftigungsbetrieb des Klägers weder die industrielle Fertigung (Fabrikation, Herstellung oder Produktion) von Sachgütern das Gepräge gegeben, noch sei sein Hauptzweck die Massenproduktion von Bauwerken gewesen.

Am 27. Februar 2006 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Dessau erhoben. Er hat erklärt, sein Beschäftigungsbetrieb sei auf die industrielle Fertigung und Herstellung von Sachgütern ausgerichtet gewesen. So habe der Betrieb Bauhauptleistungen überwiegend im Neubau erbracht, Spannkeramikdecken und industrielle Holzbinder produziert, Sanitär- und Heizungsinstallationen durchgeführt und Projektierungsleistungen angeboten. 1989 sei z. B. an folgenden Baustellen gearbeitet worden: Neubau Trafostationen und Kabeltrasse in Berlin-Friedrichshain, Neubau ZSW Berlin-Rahnsdorf, Neubau Gaststätte Berlin-Hellersdorf, Neubau Verkaufsstelle in Jessen, Neubau Poliklinik Jessen, Neubau Zweifamilienhaus in Fölkertshausen, Neubau Wasserbehälter Jessen, Neubau Kinderkombination in Annaburg, Neubau Wohneinheiten in Jessen, Energieversorgung Cottbus, Ringschlussleitungen in Jessen, Neubau Wohngebietstraße in Schweinitz und Neubau Wasserwerk Großnaundorf. Bei den Bauvorhaben sei der VEB Bau (K) Jessen überwiegend als Generalunternehmer eingesetzt gewesen. Die Projektierung der Bauleistung sei im eigenen Betrieb erfolgt. Insgesamt seien in dem Jahr für 6,5 Mill. Mark Neubauleistungen erbracht worden. Die Baureparaturen hätten nur einen Umfang von 25 bis 30% ausgemacht. Die Spannkeramikdecken und Nagelbinder seien industriell hergestellt und an andere Betriebe verkauft worden. Somit habe der Anteil der Neubauleistungen 79% der Gesamtproduktion betragen. Keinesfalls habe das Haupttätigkeitsfeld des VEB Bau (K) Jessen in der Reparatur und Modernisierung von Bauwerken gelegen. Zur Bekräftigung hat der Kläger betriebliche Unterlagen vorgelegt.

Das Sozialgericht hat die Registerakte des VEB Bau (K) Jessen und einen Handelsregisterauszug, den Gründungsbericht, den Gesellschaftsvertrag und einen Anhang zur Eröffnungsbilanz des Rechtsnachfolgers des VEB Bau (K) Jessen, der J. Bau GmbH, beigezogen und Hartmut Schellenberg, den ehemaligen Betriebsdirektor des VEB Bau (K) Jessen, schriftlich zu den Verhältnissen des Betriebes im Juni 1990 befragt.

Mit Urteil vom 29. Mai 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger sei zwar berechtigt gewesen, den Titel eines Ingenieurs zu führen und sei bis zum 30. Juni 1990 auch entsprechend seiner beruflichen Qualifikation beschäftigt gewesen. Am Stichtag des 30. Juni 1990 habe jedoch die betriebliche Voraussetzung für die Einbeziehung in die Zusatzversorgung nicht vorgelegen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei ein Betrieb nur dann als Produktionsbetrieb des Bauwesens anzusehen, wenn sein tatsächlich verfolgter Hauptzweck die Massenproduktion von Bauwerken gewesen sei. Nicht ausreichend sei die Erbringung von Bauleistungen jeglicher Art. Ebenso wenig reiche es zur Erfüllung der betrieblichen Voraussetzung, wenn der Hauptzweck des Betriebes das Erarbeiten und Unterbreiten von Vorschlägen zur Rationalisierung und damit die Erbringung von Dienstleistungen zur Unterstützung von Produktionsbetrieben gewesen sei. Auszugehen sei vom sogenannten fordistischen Produktionsmodell, wonach der Begriff des Produktionsbetriebes nur solche Betriebe erfasse, deren Hauptzweck die massenhafte Produktion standardisierter Produkte bzw. Waren bzw. (für den Bereich des Bauwesens) die komplette Serienfertigung von gleichartigen Bauwerken sei. Im vorliegenden Fall habe sich nicht nachweisen lassen, dass die Massenproduktion von Bauwerken dem VEB Bau (K) Jessen das Gepräge gegeben habe. Dagegen spreche bereits, dass der Betrieb nach der Systematik der Volkswirtschaftszweige der DDR der Wirtschaftsgruppe 20270 (Betriebe für Rekonstruktionsbaumaßnahmen und Modernisierung, Baureparaturbetriebe) zugeordnet gewesen sei. Gegen die Zuordnung des Betriebes zum industriellen Bausektor der ehemaligen DDR spreche darüber hinaus, dass der VEB Bau (K) Jessen nach den beigezogenen Registerunterlagen nicht dem Bauministerium der DDR, sondern dem Rat des Kreises Jessen – Kreisbauamt – als kreisgeleiteter Betrieb unterstellt gewesen sei. Der Betrieb habe zwar im gewissen Umfang auch eigene Bauproduktion erbracht, allerdings sei nach dem Ergebnis der gerichtlichen Ermittlungen nicht bewiesen, dass diese prägend im Vordergrund der Betriebstätigkeit im Sinne einer massenhaften Bauproduktion nach dem fordistischen Produktionsmodell gestanden habe. Aus dem Gründungsbericht der J. Bau GmbH als Rechtsnachfolgerin des VEB Bau (K) Jessen sowie dem Gesellschaftsvertrag gehe hervor, dass neben Hochbau- und Tiefbauarbeiten die Vornahme von Ausbau- und Brunnenarbeiten, die Herstellung und der Handel von bzw. mit Baumaterialien, Projektierungsleistungen und Bauplanungsleistungen zum Gegenstand des Unternehmens gehört hätten. Es sei davon auszugehen, dass die Aufgaben des Rechtsnachfolgers zumindest in der Anfangszeit im Wesentlichen identisch gewesen seien mit denjenigen des VEB Bau (K) Jessen. Dass der Betrieb neben Neubauleistungen auch Planungs-, Konstruktions- und Projektierungsleistungen erbracht habe, werde auch von dem ehemaligen Betriebsdirektor Schellenberg bestätigt. Weiter seien nach dessen Ausführungen von den insgesamt ca. 190 Arbeitnehmern des VEB Bau (K) Jessen zum 30. Juni 1990 lediglich weniger als die Hälfte (ca. 85) als gewerbliche Arbeitnehmer im Bereich Bau beschäftigt gewesen, eine Angabe, die der Kläger in seinem Schriftsatz vom 24. April 2007 bestätigt habe. Zusammenfassend sei davon auszugehen, dass es sich bei dem VEB Bau (K) Jessen nicht um einen produzierenden Baubetrieb im engeren Sinne wie etwa ein Bau- und Montagekombinat gehandelt habe. Im Vordergrund der Betriebstätigkeit habe nicht die massenhafte Errichtung neuer Bauwerke gestanden. Schließlich habe es sich bei dem Beschäftigungsbetrieb auch nicht um einen sogenannten gleichgestellten Betrieb im Sinne der Versorgungsordnung gehandelt, da VEB Bau (kreisgeleitete Baubetriebe) in dem abschließenden Katalog der gleichgestellten Betriebe nicht aufgeführt seien.

Gegen das ihm am 4. Juni 2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28. Juni 2007 Berufung bei dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Er trägt vor, das Sozialgericht habe die von ihm vorgelegten Beweise, dass es sich bei seinem Beschäftigungsbetrieb um einen Betrieb der Industrie oder des Bauwesens oder einen gleichgestellten Betrieb gehandelt habe, nicht richtig gewürdigt. Weitere Personen, wie zuvor angeregt, müssten jedoch nicht mehr gehört werden. Herr Schellenberg habe das, was er wisse, bereits in der schriftlichen Befragung des Sozialgerichtes erklärt. Die Anregung, den ehemaligen Kreisbaudirektor des Kreises Jessen zu hören, sollte beweisen, dass er, der Kläger, für die Einbeziehung in die Zusatzversorgung vorgesehen gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 29. Mai 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 14. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Beschäftigungszeit vom 20. Juli 1972 bis 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz (Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG) sowie die in dieser Zeit erzielten Entgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.

Der Rechtsstreit ist mit den Beteiligten erörtert worden. Diese haben in dem Erörterungstermin am 11. Februar 2010 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den gesamten Senat erklärt. Die Gerichtsakten und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt dieser Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist unbegründet, weil der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 14. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2006 rechtmäßig ist und den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert.

Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass gem. § 8 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 und § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG Zugehörigkeitszeiten zu einem Zusatzversorgungssystem festgestellt werden. Er unterfällt nicht dem Geltungsbereich des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG, weil er weder tatsächlich noch im Wege der Unterstellung der AVItech (Zusatzvorsorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG) angehörte.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt das Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. Der Kreis der potentiell vom AAÜG erfassten Personen umfasst diejenigen Personen, die entweder (1.) durch einen nach Art. 19 Einigungsvertrag (EVertr) bindend gebliebenen Verwaltungsakt der DDR oder einer ihrer Untergliederungen oder (2.) später durch eine Rehabilitierungsentscheidung oder (3.) nach Art. 19 Satz 2 oder 3 EVertr (wieder) in ein Versorgungssystem einbezogen waren (BSG, Urteil vom 9. April 2002, Az: B 4 RA 31/01 R, SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 2, S. 11).

Der Kläger erfüllt keine dieser Voraussetzungen. Weder ist ihm von Organen der DDR eine Versorgung zugesagt worden noch ist er aufgrund einer Rehabilitierungsentscheidung in ein Versorgungssystem einbezogen worden. Auch ein rechtsstaatswidriger Entzug einer Versorgungsanwartschaft hat in seinem Falle nicht stattgefunden.

Im Ergebnis kommt es nicht darauf an, dass der Senat nicht der Rechtsprechung des früheren 4. Senats des BSG folgt, wonach die Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG auch im Wege der Unterstellung vorliegen kann (siehe unter I.), da auch die dafür vom BSG aufgestellten Voraussetzungen nicht vorliegen (II.).

I.

Der Senat ist zum Einen nicht der Auffassung, dass das AAÜG den Kreis der "potenziell vom AAÜG ab 1. August 1991 erfassten" Personen erweitert und das Neueinbeziehungsverbot modifiziert hat (so aber BSG, Urteil vom 9. April 2002, Az: B 4 RA 31/01 R, SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 2, S. 12). Erst diese Annahme führt jedoch zu einer vom BSG behaupteten Ungleichbehandlung ("Wertungswiderspruch"), die durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG zu korrigieren sei. Zum Anderen ist der Senat der Ansicht, dass, wenn die Annahme des BSG tatsächlich zutreffen sollte und mit dem AAÜG der einbezogene Personenkreis erweitert worden ist, zumindest keine verfassungskonforme Auslegung erforderlich ist, da die behauptete Ungleichbehandlung zu rechtfertigen wäre. Im Übrigen hätte das Bundessozialgericht wegen des von ihm unterstellten "Wertungswiderspruchs" keine erweiternde Auslegung vornehmen dürfen, sondern eine konkrete Normenkontrolle an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) veranlassen müssen. Denn die vom Bundessozialgericht vorgenommene Rechtsfortbildung überschreitet nach Auffassung des erkennenden Senats die sich aus Art. 20 Abs. 2 und 3 GG ergebenden Grenzen der richterlichen Entscheidungsbefugnis, weil der eindeutige Wortlaut des § 1 Abs. 1 AAÜG die vom BSG vorgenommene Interpretation nicht hergibt. Es ist deshalb schon nicht möglich, die bei einem unklaren oder nicht eindeutigen Wortlaut heranzuziehenden einschlägigen Auslegungskriterien anzuwenden (BSG, Urteil vom 19. Februar 2009, Az: B 10 EG 1/08 R, dokumentiert in juris, Rdnr. 19).

In den Gesetzesmaterialien findet sich kein Hinweis dafür, dass durch das AAÜG außer den Personen, die durch einen nach Art. 19 EVertr bindend gebliebenen Verwaltungsakt der DDR oder einer ihrer Untergliederungen oder später durch eine Rehabilitierungsentscheidung oder nach Art. 19 Satz 2 oder 3 EVertr (wieder) in ein Versorgungssystem einbezogen worden waren (BSG, Urteil vom 9. April 2002, Az: B 4 RA 31/01 R, a. a. O., S. 11), weitere Personen einbezogen werden sollten (siehe BTDrs. 12/405, S. 113, 146; BTDrs. 12/786, S. 139; II A, IV A; BTDrs. 12/826, S. 4, 5, 10, 11, 21). Vielmehr wird in den Gesetzesmaterialien immer auf den EVertr Bezug genommen. Zwar wird dann ausgeführt, dass die Einhaltung der Vorgaben des EVertr zu nicht sachgerechten und zu nicht nur sozialpolitisch unvertretbaren Ergebnissen führen müsste und sich deshalb die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung ergebe (BTDrs. 12/405, S. 113). Aus der weiteren Gesetzesbegründung ist jedoch ohne Schwierigkeiten ablesbar, dass sich diese Regelungen auf die Bereiche der Rentenberechnung, Leistungsbegrenzung, Abschmelzung laufender Leistungen, des Besitzschutzes bei der Neufeststellung von Leistungen, der Auszahlungen von Leistungen, eines Vorbehaltes der Einzelüberprüfung und der Kostenerstattung durch den Bund beziehen (a. a. O., S. 113, 114). Nicht angesprochen ist hingegen eine Ausweitung des erfassten Personenkreises. Auch bei der Begründung des § 1 AAÜG wird ausgeführt, dass diese Vorschrift den Geltungsbereich der nach dem EVertr vorgeschriebenen Überführung (und gerade keine darüber hinausgehende) festlegt (BTDrs. 12/405, S. 146).

Auch überzeugt den Senat nicht, dass aus dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG auf eine Modifizierung des Verbots der Neueinbeziehung zu schließen sei (BSG, Urteil vom 9. April 2002, Az: B 4 RA 31/01 R, a. a. O., S. 12). In den Gesetzesmaterialien findet sich nämlich kein Anhaltspunkt für die vom BSG vorgenommene Unterscheidung zwischen "Einbeziehung in ein Versorgungssystem" und der "Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem". Der Gesetzgeber benutzt im Gegenteil auch zur Beschreibung des Personenkreises des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG, der auch nach Ansicht des BSG konkret einbezogen war (BSG, a. a. O., S. 12), den Terminus "Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem" (BTDrs. 12/826, S. 21) und nicht etwa "Einbeziehung in ein Versorgungssystem".

Der Gesetzgeber ging auch, soweit erkennbar, nicht davon aus, dass die in § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG angesprochene Personengruppe eine Erweiterung der "potenziell vom AAÜG ab 1. August 1991 erfassten" Personen darstellt. Ursprünglich war Satz 2 in der Gesetzesvorlage nicht enthalten (BTDrs. 12/405, S. 77). Erst in den Ausschussberatungen wurde dann die Anfügung des Satzes 2 empfohlen (BTDrs. 12/786, S. 139). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass diese Anfügung nur eine Klarstellung bedeute (BTDrs. 12/826, S. 21). Der Gesetzgeber nahm also an, dass diese Personengruppe ohnehin von Satz 1 und vom Überführungsauftrag des EVertr umfasst ist.

Auch mit einer verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG (über den Wortlaut hinaus) lässt sich ein Anspruch auf eine fiktive Einbeziehung nicht begründen (so aber BSG, Urteil vom 9. April 2002, Az: B 4 RA 31/01 R, a. a. O., S. 12).

Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist jedoch nicht jede Differenzierung ausgeschlossen. Das Grundrecht wird jedoch verletzt, wenn eine Gruppe von Rechtsanwendungsbetroffenen anders als eine andere behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (z. B. BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2005, Az: 1 BvR 1921/04 u. a., dokumentiert in juris, Rdnr. 36).

Für den Senat ist bereits nicht nachvollziehbar, weshalb das BSG der Personengruppe des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG, also der Personen, die irgendwann vor dem 30. Juni 1990 (aber nicht am 30. Juni 1990) konkret einbezogen waren (BSG, a. a. O.), die Personengruppe gegenüberstellt, die nie konkret einbezogen war, aber zumindest am 30. Juni 1990 nach den Regeln der Versorgungssysteme alle Voraussetzungen für die Einbeziehung an diesem Stichtag erfüllt hatte. Verfassungsrechtlich relevant ist nämlich nur die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem (z. B. BVerfG, Beschluss vom 13. März 2007, Az: 1 BvF 1/05, dokumentiert in juris, Rdnr. 89). Hier unterscheiden sich jedoch die Tatbestände in wesentlichen Gesichtspunkten. § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG knüpft nämlich an ein in der Vergangenheit verliehenes Versorgungsprivileg an, welches ein Bedürfnis nach der im AAÜG vorgesehenen Sonderprüfung der Rentenwirksamkeit erzielter Arbeitsentgelte anzeigt. Bei Personen, die nie in ein Zusatzversorgungssystem einbezogen waren, besteht ein solches Bedürfnis hingegen nicht.

Richtiger wäre es nach Ansicht des Senats ohnehin, der Personengruppe des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG als Vergleichsgruppe die Personen gegenüberzustellen, die nicht konkret einbezogen waren, irgendwann vor dem – aber nicht am – 30. Juni 1990 jedoch alle Voraussetzungen für die Einbeziehung erfüllt hatten.

Das Bundesverfassungsgericht führt zum Vergleich dieser Personengruppen aus (Beschluss vom 26. Oktober 2005, a. a. O., Rdnr. 45):

"Der von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfasste Personenkreis hat seine Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem als Folge eines Ausscheidens vor dem Leistungsfall verloren. Es bestanden also zunächst nach dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik rechtlich gesicherte Anwartschaften. Diese wollte der gesamtdeutsche Gesetzgeber erhalten (vgl. BTDrs. 12/826, S. 21). Der hier in Frage stehende Personenkreis (gemeint ist der Personenkreis, der irgendwann vor dem 30. Juni 1990, aber nicht am 30. Juni 1990 alle Voraussetzungen für die Einbeziehung erfüllt hatte) hatte dagegen solche Rechtspositionen im Recht der Deutschen Demokratischen Republik zu keinem Zeitpunkt inne. Für eine rechtlich gesicherte Verbesserung der Altersversorgung über die Leistungen der Sozialpflichtversicherung hinaus stand dem betroffenen Personenkreis im Rentenrecht der Deutschen Demokratischen Republik der Beitritt zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung offen, war dort allerdings - anders als in vielen Systemen der Zusatzversorgung - mit eigenen Beitragsleistungen verbunden. Es bestand daher keine verfassungsrechtliche Verpflichtung der gesamtdeutschen Gesetzgebung und Rechtsprechung, diesen Personenkreis den durch § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG begünstigten Personen gleichzustellen und insoweit die Grundentscheidung des Gesetzgebers abzuschwächen, eine Einbeziehung von Sozialpflichtversicherten in die Zusatzversorgungssysteme über den 30. Juni 1990 hinaus im Interesse einer schnellen Herbeiführung der rentenrechtlichen Renteneinheit zu untersagen."

Die gleichen Überlegungen gelten für einen Vergleich zwischen den von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG betroffenen Personen und denjenigen, die nach der Rechtsprechung des BSG vom fiktiven Anspruch profitieren sollen. Auch die fiktiv in den Anwendungsbereich des AAÜG Einbezogenen hatten zu Zeiten der DDR keine Rechtsposition inne, die ihnen einen Zugang zu einer zusätzlichen Altersversorgung aus einem Zusatzversorgungssystem ermöglicht hätte. Auch ihnen stand die Möglichkeit offen, der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung beizutreten. Diese Punkte lässt das BVerfG genügen, um eine Ungleichbehandlung mit den von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfassten Personen zu rechtfertigen. Dasselbe muss dann auch bei einem Vergleich der von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfassten Personen und den Personen gelten, die am 30. Juni 1990 die Voraussetzungen für die Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem erfüllt hatten.

Im Übrigen hat auch die Bundesregierung mehrfach betont, dass das AAÜG nach dem ursprünglichen Willen des Gesetzgebers nur anwendbar sein sollte, wenn eine ausdrückliche Versorgungszusage vorliegt (Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BTDrs. 16/11127 vom 28. November 2008; Antwort des Staatssekretärs im Bundesministerium für Arbeit und Soziales Franz-Josef Lersch-Mense auf eine Frage der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, BTDrs. 16/13916 vom 21. August 2009). Sie hat darauf hingewiesen, dass Verdienste oberhalb von 600 Mark für Beschäftigungszeiten ab März 1971 ohne Versorgungszusage wie bei allen übrigen Versicherten, die keinem Zusatz- oder Sonderversorgungssystem angehört haben, nur bei entsprechenden Beitragszahlungen zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung rentenrechtlich hätten berücksichtigt werden können. Dieser Hinweis der Bundesregierung auf die Freiwillige Zusatzrentenversicherung ähnelt der soeben dargestellten Argumentation des Bundesverfassungsgerichts.

II.

Nach der Rechtsprechung des früheren 4. Senats des BSG hängt der Anspruch auf eine fiktive Einbeziehung im hier allein in Frage kommenden Fall gemäß § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (GBl. I S. 844, VO-AVItech) i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 der Zweiten Durchführungsbestimmung zur VO-AVItech (GBl. I S. 487, 2. DB) von drei Voraussetzungen ab, die alle zugleich vorliegen müssen. Generell war dieses Versorgungssystem eingerichtet für (1.) Personen, die berechtigt waren, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung) und (2.) die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt haben (sachliche Voraussetzung), und zwar (3.) in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder einem gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung).

Nach der Rechtsprechung des BSG müssen diese drei Voraussetzungen, damit das AAÜG überhaupt anwendbar ist, am 30. Juni 1990 vorgelegen haben.

Es kommt hingegen nicht darauf an, ob der Kläger zu DDR-Zeiten vielleicht als möglicher Kandidat für den Erhalt einer Versorgungsurkunde vorgesehen war. Dies ist nicht mehr der Prüfungsmaßstab einer bundesrechtlichen Feststellung von Zusatzversorgungszeiten. Diese knüpft nämlich nicht – wie möglicherweise ursprünglich die Versorgungsordnungen – unmittelbar an eine herausgehobene Erwerbstätigkeit an. Insoweit brauchte der Senat diese Tatsache auch nicht abschließend klären.

Bei Beachtung dieser Voraussetzungen hatte der Kläger am 1. August 1991 (dem Tag des Inkrafttretens des AAÜG) keinen fiktiven Anspruch auf Einbeziehung in das Versorgungssystem der AVItech, da die betriebliche Voraussetzung nicht erfüllt ist. Der Kläger war nämlich am 30. Juni 1990 nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens beschäftigt. Eine Versorgungsanwartschaft konnte nur bei einer Beschäftigung in einem volkseigenen Produktionsbetrieb in der Industrie oder im Bauwesen (oder in einem gleichgestellten Betrieb) erworben werden (BSG, Urteil vom 10. April 2002, Az: B 4 RA 10/02 R, SozR 3–8570 § 1 Nr. 5, S. 30). Der Begriff des Produktionsbetriebes erfasst nach der Rechtsprechung des BSG nur solche Betriebe, die Sachgüter im Hauptzweck industriell gefertigt haben. Der Betrieb muss auf die industrielle Fertigung, Fabrikation, Herstellung bzw. Produktion von Sachgütern ausgerichtet gewesen sein (BSG, Urteil vom 9. April 2002, Az: B 4 RA 41/01 R, SozR 3–8570 § 1 Nr. 6 S. 47; Urteil vom 27. Juli 2004, Az: B 4 RA 11/04 R, dokumentiert in juris). Im Bereich des Bauwesens erfasst der Begriff des Produktionsbetriebes nur solche Betriebe, deren Hauptzweck in der Massenproduktion von Bauwerken liegt, die dabei standardisierte Produkte massenhaft ausstoßen und eine komplette Serienfertigung von gleichartigen Bauwerken zum Gegenstand haben (BSG, Urteil vom 8. Juni 2004, Az: B 4 RA 57/03 R, SozR 4-8570 § 1 Nr. 3 S. 20 f.).

Ausgehend hiervon gab dem VEB Bau (K) Jessen nicht die Massenproduktion von Bauwerken das Gepräge. Auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts wird verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Hinzuzufügen bleibt, dass bereits die Schilderungen des Klägers zu den Arbeiten des Betriebes 1989 diesen Schluss zulassen. Danach hat der Betrieb verschiedene und nicht nur einen Typ ständig wiederkehrender Bauwerke errichtet. Auch im Juni 1990 hat der Betrieb nicht massenhaft gleichartige Bauwerke errichtet. So wurden Leistungen an einem Wasserwerk erbracht, an einem Flugplatz gearbeitet, Einfamilienhäuser errichtet und Arbeitnehmer des Beschäftigungsbetriebes des Klägers in Berlin eingesetzt. Dies spricht dafür, dass der Betrieb nach seinen Kapazitäten in der Lage war, an verschiedenen Baustellen Bauleistungen unterschiedlichster Art zu erbringen. Eine Massenproduktion von Bauwerken wird damit aber nicht beschrieben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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