L 3 R 347/09 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 5 R 707/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 3 R 347/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
einstw. Rechtsschutz, Aufrechnung, Insolvenzverfahren, Sozialhilfebedürftigkeit
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt im einstweiligen Rechtsschutz die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 4. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2009.

Der am ... 1935 geborene Kläger war Inhaber einer Elektroeinzelfirma. Mit Beschluss des Amtsgerichts M. vom 7. Juni 2001 wurde über das Vermögen des Klägers das Insolvenzverfahren eröffnet (351 IN 303/00). Die Beigeladene meldete eine Insolvenzforderung in Höhe von 26.358,13 EUR zum Insolvenzverfahren an, die von der Insolvenzverwalterin anerkannt wurde. Am 25. Juli 2001 stellte der Kläger einen Antrag auf Erteilung einer Restschuldbefreiung gemäß § 287 Insolvenzordnung (InsO).

Der Kläger bezieht von der Beklagten – vormals Landesversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt – seit dem 1. Februar 2000 Regelaltersrente (Zahlbetrag ab 1. August 2009 886,60 EUR); zudem erhält er Witwerrente in Höhe von 404,60 EUR.

Mit Schreiben vom 21. Juli 2008 ermächtigte die Beigeladene die Beklagte zur Verrechnung gegen die Rente des Klägers mit einer bestandskräftig festgestellten und nicht verjährten Forderung gegen den Kläger in Höhe von 37.495,13 EUR Gesamtsozialversicherungsbeiträgen gemäß § 28d Viertes Buch Sozialgesetzbuch (Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – SGB IV). Dieser Betrag setzt sich zusammen aus einer ausstehenden Beitragsforderung in Höhe von 23.030,71 EUR sowie aus Umlagebeträgen in Höhe von 1.018,63 EUR für die Zeit vom 22. August 2000 bis zum 6. Juni 2001, des Weiteren aus Säumniszuschlägen in Höhe von 13.313,57 EUR, Mahngebühren in Höhe von 57,57 EUR und Kosten sowie Gebühren in Höhe von 74,65 EUR, jeweils für die Zeit vom 22. August 2000 bis zum 21. Juli 2008. Mit Schreiben vom 28. Juli 2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie beabsichtigte, die Forderung der Beigeladenen in Höhe von 37.495,13 EUR zuzüglich weiterer Säumniszuschläge und Zinsen mit dem Anspruch auf laufende Rentenzahlungen in Höhe der Hälfte des monatlichen Zahlbetrages, d.h. 431,54 EUR zu verrechnen. Dem Kläger werde Gelegenheit zur Äußerung und Vorlage einer Bedarfsbescheinigung des Sozialhilfeträgers oder der Agentur für Arbeit als Nachweis für die durch die Verrechnung eintretende Hilfebedürftigkeit im Sinne der Vorschriften des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitssuchende – SGB II) oder Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe – SGB XII) gegeben. Mit Schreiben vom 13. August und 26. August 2008 teilte der Kläger mit, die beabsichtigte Verrechnung erachte er – unter Bezugnahme auf den Beschluss des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 29. Mai 2008 (IX ZB 51/07) – als nicht zulässig. Ausweislich der InsO würden nur solche Aufrechnungslagen geschützt, die zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bestanden hätten (§ 94 InsO). Eine nach Insolvenzeröffnung erteilte Ermächtigung sei indessen anfechtbar, eine Verrechnung mithin nicht möglich. Im Übrigen ergebe sich eine fehlende Verrechnungsmöglichkeit auch aus dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003, B 5 RJ 80/03 R – es hätte B 5 RJ 18/03 R heißen müssen), wonach eine Verrechnung bei laufenden Bezügen nur in einem Zeitraum von zwei Jahren nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zulässig sei (§ 114 Abs. 2 InsO); dieser Zeitraum sei jedoch abgelaufen. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass alle pfändbaren Beträge bereits von der Insolvenzverwalterin eingezogen worden seien.

Mit Bescheid vom 4. Dezember 2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, ab 1. März 2009 werde der bestandskräftig festgestellte Anspruch der Beigeladenen in Höhe von 37.495,13 EUR (Stand: 21. Juli 2008) zuzüglich weiterer Säumniszuschläge/Zinsen mit der Altersrente des Klägers in Höhe der Hälfte der monatlichen Leistung bis zur Tilgung der Forderung verrechnet. Die Forderung betreffe die Zeiträume vom 22. August 2000 bis zum 6. Juni 2001 (Gesamtsozialversicherungsbeiträge und Umlagebeiträge) und vom 22. August 2000 bis zum 21. Juli 2008 (Säumniszuschläge, Mahngebühren und weitere Kosten). Sie sei nach den Angaben der Beigeladenen fällig gewesen und bestands- bzw. rechtskräftig festgestellt worden. Ein Nachweis über eintretende Hilfebedürftigkeit im Sinne der Vorschriften des SGB II oder SGB XII sei vom Kläger nicht erbracht worden. Die Verrechnung sei damit bis zur Hälfte seiner Altersrente zulässig. Ausgehend von einer Altersrente in Höhe von 855,00 EUR ergebe sich ein verrechnungsfähiger Betrag in Höhe von 427,50 EUR.

Die Beigeladene setzte die Beklagte unter dem 9. April 2009 telefonisch davon in Kenntnis, die Forderung habe sich auf einen Betrag in Höhe von 26.358,13 EUR wegen der Neuberechnung der Säumniszuschläge und Nebenkosten verringert unter Übersendung einer Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren vom 20. November 2002 in Höhe von 26.358,13 EUR.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 2009 wies die Beklagte den gegen den Bescheid vom 4. Dezember 2008 erhobenen Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Ergänzend führte sie aus, der InsO unterlägen nur die Beträge, die nach § 36 InsO zur Masse gehörten. Dies seien jedoch jeweils nur die (Renten-)Beträge, die von der Zwangsvollstreckung nach der Tabelle zu § 850 c der Zivilprozessordnung (ZPO) erfasst würden. Die darüber hinaus nach § 51 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (Allgemeiner Teil – SGB I) aufrechenbare Beträge gehörten nicht zur Insolvenzmasse. Mithin könne mit diesen Beträgen auch neben einem laufenden Insolvenzverfahren bzw. neben der Wohlverhaltensperiode ohne Beachtung der Zwei-Jahresfrist nach § 114 Abs. 2 InsO aufgerechnet werden. In Ausübung des Ermessens werde keine Möglichkeit gesehen, ganz oder teilweise auf die Verrechnung zu verzichten.

Mit Bescheid vom 4. Juni 2009 hat die Beklagte die angekündigte Verrechnung in Höhe von 427,50 EUR ab dem 1. Juli 2009 vorgenommen und zahlt an den Kläger eine Versichertenrente in Höhe von 459,40 EUR monatlich aus. Von seinen Einkünften wird ab 1. August 2009 ein Betrag in Höhe von 213,00 EUR monatlich als pfändbarer Betrag an die Insolvenzverwalterin abgeführt (Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 16. Juni 2009).

Am 30. Juni 2009 hat der Kläger beim Sozialgericht Magdeburg Klage erhoben sowie gleichzeitig einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mit dem Begehren gestellt, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Verrechnungsbescheid der Beklagten vom 4. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2009 anzuordnen. Er hat insbesondere geltend gemacht, zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hätten weder eine Aufrechnungs- noch eine Verrechnungslage zugunsten der Beklagten vorgelegen. Wegen der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides sei die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage anzuordnen. Rein vorsorglich werde die zur Verrechnung gestellte Forderung auch der Höhe nach in Abrede gestellt, soweit sie den durch die Insolvenzverwalterin anerkannten Betrag von 26.358,13 EUR übersteige.

Ferner hat der Kläger einen Bescheid der Landeshauptstadt M. vom 18. September 2008 vorgelegt, wonach sein Antrag vom 15. September 2008 auf Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach den Bestimmungen des SGB XII abgelehnt worden ist. Ausgehend von einem zu berücksichtigenden Einkommen in Höhe von 1.237,10 EUR und einem Grundsicherungsbedarf in Höhe von 403,25 EUR ergebe sich ein diesen Bedarf übersteigendes Einkommen in Höhe von 833,85 EUR.

Mit Schreiben vom 2. September 2009 hat die Beigeladene das Verrechnungsersuchen ausdrücklich auf 26.358,13 EUR korrigiert; die auch für die Laufzeit des Insolvenzverfahrens berechneten Säumniszuschläge seien nicht rechtmäßig und deshalb wieder in Abzug gebracht worden. Der weitere Inhalt des Verrechnungsersuchens vom 21. Juli 2008 sei korrekt und gelte weiterhin. In der beigefügten Berechnung sind Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 23.030,71 EUR sowie Umlagebeiträge in Höhe von 1.018,63 EUR, Säumniszuschläge in Höhe von 2.176,57 EUR sowie Mahngebühren in Höhe von 57,57 EUR und weitere Kosten und Gebühren in Höhe von 76,65 EUR aufgeführt.

Mit Beschluss vom 3. September 2009 hat das Sozialgericht Magdeburg den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Die Kammer habe keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 4. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2009, soweit die Forderung der Beigeladenen auf 26.358,13 EUR begrenzt sei. Die Beklagte sei zur Vornahme der Verrechnung berechtigt gewesen. Die Verrechnung sei nicht nach § 114 Abs. 1 und 2 i.V.m. §§ 95 Abs. 1 Satz 3, 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unwirksam. Der Verrechnung stehe nicht entgegen, dass das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet worden sei. Die verrechneten Beträge gehörten nicht zur Insolvenzmasse, da sie Einkünfte unterhalb der Pfändungsfreigrenzen beträfen. Nach §§ 35, 36 InsO gehöre nur der pfändbare Anteil des Rentenauszahlungsanspruchs des Klägers nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse. Zwar sei eine Verrechnung grundsätzlich nicht unterhalb der Pfändungsfreigrenzen zulässig. Eine Ausnahme hiervon bildeten jedoch Beitragsforderungen und Forderungen aus zu Unrecht erbrachten Sozialleistungen. Insoweit stütze sich die Kammer auf Beschlüsse des LSG B.-B. vom 19. Januar 2009 – L 21 B 1829/08 R ER – und vom 27. Juli 2009 – L 33 R 204/09 B ER –. Ferner habe der Kläger nicht darlegen können, er sei durch die Verrechnung hilfebedürftig im Sinne des SGB XII geworden. Die Beklagte habe das ihr eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Soweit die Verrechnung über 26.358,13 EUR hinaus beschieden sei, sei der Bescheid vom 4. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2009 zwar teilweise rechtswidrig, was auf der fehlerhaften Forderungsaufstellung der Beigeladenen beruhe. Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage sei dennoch nicht anzuordnen, da hinsichtlich der verbliebenen, im Insolvenzverfahren anerkannten und vom Kläger nicht angegriffenen Forderung das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der Verrechnung das private Interesse am Aufschub nach den obigen Ausführungen überwiege. Bis die Tilgung den Bereich von mehr als 26.358,13 EUR mit einer Dauer der Verrechnung von mehr als fünf Jahren erreicht habe, sei eine Entscheidung in der Hauptsache zu erwarten.

Gegen den ihm am 8. September 2009 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 8. Oktober 2009 beim Sozialgericht Magdeburg Beschwerde eingelegt. Das Sozialgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, die Vorschriften über das Insolvenzverfahren fänden keine Anwendung. Der Entscheidung des Landessozialgerichts B.-B. vom 19. Januar 2009 (L 21 B 1829/08 R ER) könne nicht gefolgt werden, da auch dort die Ermächtigung zur Verrechnung bereits Jahre vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erteilt worden sei.

Der Kläger beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 3. September 2009 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Verrechnungsbescheid der Beklagten vom 4. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2009 anzuordnen.

Die Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 3. September 2009 für zutreffend.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Verwaltungsverfahrens und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats waren, Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 3. Dezember 2007 ist zulässig, denn nach § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) findet gegen die Entscheidung des Sozialgerichts die Beschwerde an das Landessozialgericht statt.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen (§ 86b Abs. 1 SGG). Ebenso kann es gemäß § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG, wenn der angegriffene Verwaltungsakt bereits vollzogen ist, die Aufhebung der Vollziehung anordnen.

Widerspruch und Klage haben grundsätzlich aufschiebende Wirkung (§ 86a Abs. 1 SGG). Diese aufschiebende Wirkung entfällt allerdings bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung herabsetzen oder entziehen (§ 86a Abs. 2 Nr. 3 SGG). In diesen Fällen kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage ganz oder teilweise anordnen (§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG). Da es sich bei der Verrechnung um die teilweise Entziehung einer laufenden Leistung handelt, hat die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 4. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2009 gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 3 SGG keine aufschiebende Wirkung.

Ob die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anzuordnen ist oder nicht, entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen auf der Grundlage einer Abwägung, bei der das private Interesse des Bescheidadressaten an der Aufschiebung der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes abzuwägen ist. Dabei gilt der Grundsatz, dass, je größer die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens sind, umso geringer die Anforderungen an das Aussetzungsinteresse des Antragstellers zu stellen sind (Keller in Meyer-Ladewig/Leitherer, SGG, 9. Aufl., 2008, § 86b Rdnr. 12). Denn an der Vollziehung eines offenbar rechtswidrigen Verwaltungsaktes besteht kein öffentliches Interesse. Andererseits ist die aufschiebende Wirkung bei einer aussichtslosen Klage nicht anzuordnen.

Um eine Entscheidung zugunsten des Bescheidadressaten zu treffen, ist deshalb jedenfalls zunächst erforderlich, dass bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitigen Bescheides (vgl. Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Auflage 2008, Rdnr. 193 ff.) und ein Aussetzungsinteresse, mithin zumindest ein gewisses Maß an Eilbedürftigkeit, bestehen, dem Betroffenen also das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann, (Beschluss des LSG B.-B. vom 6. März 2007 – L 28 B 290/07 AS ER – ZFSH/SGB 2007, 549 – 551)

An diesen Grundsätzen gemessen war die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage des Klägers gegen den Bescheid der Beklagten vom 4. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2009 nicht anzuordnen. Denn nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand ist die Erfolgsaussicht der Klage des Klägers gering. Die Beklagte dürfte die Verrechnung zu Recht vorgenommen haben.

Nach § 52 SGB I kann der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche gegen den Berechtigten mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen, soweit nach § 51 SGB I die Aufrechnung zulässig ist. Nach § 51 Abs. 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf Geldleistungen mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs. 2 und 4 pfändbar sind. Unter anderem mit Beitragsansprüchen kann der zuständige Leistungsträger nach § 51 Abs. 2 SGB I gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des SGB XII über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II wird.

Diese Voraussetzungen sind nach summarischer Prüfung erfüllt. Die Verrechnungserklärung der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Diese konnte die Verrechnung gegenüber dem Kläger durch Bescheid im Sinne des § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X) vornehmen. Ob sie diese Rechtsform wählen musste, kann offen bleiben. Der Senat folgt der Auffassung des 13. Senats, nach der eine Verrechnung in Form eines Verwaltungsakts vorgenommen werden kann (vgl. BSG, Beschluss vom 5. Februar 2009 - B 13 R 31/08 R - juris). Dem steht nach Auffassung des Senats auch nicht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) oder des Bundesfinanzhofs (BFH) entgegen. Das BVerwG hat sich zur Anwendbarkeit der Vorschriften des §§ 387 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) im öffentlichen Recht dahin gehend geäußert, dass einer solchen Anwendbarkeit nichts entgegen stehe und damit im Wesentlichen die Behörde so gestellt wird wie ein Privatrechtssubjekt (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 1982 - 3 C 6/82 - BVerwGE 66, 218, 220). Die Vorschrift in § 226 Abs. 1 Abgabenordnung 1977, zu welcher das Urteil des BFH vom 2. April 1987 (- VII R 148/83 - BFHE 149, 482 ff., zitiert nach juris) ergangen ist, verweist ausdrücklich auf die Regelungen des bürgerlichen Rechts. Demgegenüber hat der Gesetzgeber in den §§ 51, 52 SGB I von einer solchen Verweisung abgesehen und eine eigenständige Regelung – mit weitergehenden Einschränkungen, als sie in den §§ 387 ff. BGB vorgesehen sind – getroffen. Insoweit obliegt der Behörde bei der Vorgehensweise nach den §§ 51, 52 SGB I die Prüfung der wirtschaftlichen Belange des Schuldners. Sie muss im Rahmen einer pflichtgemäßen Ermessensausübung feststellen, ob bzw. in welchem Umfang eine Verrechnung/Aufrechnung vorzunehmen ist. Bezüglich der Rollenverteilung bei der Geltendmachung des zur Verrechnung gestellten Anspruchs ist ferner zu berücksichtigen, dass nach diesen Vorschriften nur mit Forderungen von Leistungsträgern auf- bzw. verrechnet werden kann. In der Praxis liegen zum Zeitpunkt der Verrechnung bestandskräftige Bescheide des zur Verrechnung ermächtigenden Leistungsträgers vor, aus denen dieser selbst vollstrecken könnte und im Regelfall bei Beitragsforderungen bereits zu vollstrecken versucht hat. Auch soweit man der hier vertretenen Auffassung nicht folgt, ergibt sich aus der formellen Einkleidung in die Form eines Bescheides nicht, dass die in dem Verwaltungsakt enthaltene Willenserklärung keine Wirksamkeit entfaltet (vgl. BSG, Beschluss vom 22. September 2009 – B 4 SF 1/09 S – juris).

Eine Aufrechnungslage ist hier ebenfalls gegeben. Die Forderung der Beigeladenen auf Sozialversicherungsbeiträge nebst Säumniszuschlägen war fällig, nach den Mitteilungen der Beigeladenen im Verrechnungsersuchen vom 21. Juli 2008 und den Ausführungen der Beklagten im Bescheid vom 4. Dezember 2008 bestandskräftig festgestellt und nach Aktenlage nicht verjährt. Die Zahlungsansprüche der Beigeladenen gehen auf Beitragsforderungen aus dem Zeitraum vom 22. August 2001 bis zum 20. November 2002 zurück, die nach Maßgabe des § 28f SGB IV abgerechnet werden. Gemäß § 28f Abs. 3 Satz 5 SGB IV gilt der vom Arbeitgeber verpflichtend zu führende Beitragsnachweis (§ 28f Abs. 3 Satz 1 SGB IV) für die Vollstreckung als Leistungsbescheid der Einzugsstelle, hier der Beigeladenen. Für unanfechtbar gewordene Verwaltungsakte (Leistungsbescheide) gilt gemäß § 52 Abs. 2 SGB X eine Verjährungsfrist von 30 Jahren.

Bei dieser Forderung der Beigeladenen in Form von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen einschließlich Gebühren und Nebenkosten handelt es sich um Beitragsansprüche im Sinne des § 51 Abs. 2 SGB I. Das Gesetz beschränkt die Aufrechnung nicht auf Beitragsansprüche, die aus einer Versicherung des Leistungsberechtigten entstanden sind. Zahlungspflichtiger und Beitragsschuldner des Gesamtsozialversicherungsbeitrags ist ausschließlich der Arbeitgeber (vgl. Werner in Juris PraxisKommentar SGB IV, § 28 e Rn. 16), d.h. im vorliegenden Fall der Kläger. Maßgebend kann nur sein, ob der Leistungsberechtigte durch eine Verrechnung von einer Beitragszahlungsverpflichtung entlastet wird. Diese Voraussetzungen liegen auch bei Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für den diese schuldenden Arbeitgeber vor.

Ferner lag eine wirksame Ermächtigungserklärung der Beklagten vor. Es handelt sich dabei um eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die zu der Befugnis des ermächtigten Leistungserbringers führt, im eigenen Namen dessen Forderung zu verrechnen (Seewald in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 52 SGB I, Rdnr. 8, 9). Als empfangsbedürftige Willenserklärung muss die Ermächtigungserklärung hinreichend substantiiert sein. Sie muss Art und Umfang der Forderung so genau bezeichnen, dass der Ermächtigte, also hier die Beklagte, als Empfänger der Willenserklärung ohne weiteres eine substantiierte Verrechnungserklärung abgeben konnte (BSG, Urteil vom 24. Juli 2003 – B 4 RA 60/02 R –, SozR 4-1200 § 52 Nr. 1).

Das Verrechnungsersuchen der Beigeladenen vom 21. Juli 2008 enthält – unter Angabe des Grundes und der Zusammensetzung mit Benennung des einbezogenen Zeitraums sowie der Berechnungsgrundlagen wie Säumniszuschläge, Umlagebeiträge, Gebühren und Zinsen – eine bestandskräftig festgestellte und nicht verjährte Forderung in Höhe von 37.495,13 EUR. Damit lag ein hinreichend bestimmtes Verrechnungsersuchen vor. Die Tatsache, dass die Beigeladene diese bestandskräftig festgestellte Forderung mit Schreiben vom 2. September 2009 – entsprechend der telefonischen Mitteilung vom 9. April 2009 – zugunsten des Klägers auf einen Betrag von 26.358,13 EUR wegen der Neuberechnung der Säumniszuschläge und Nebenkosten begrenzt hat, ist jedenfalls im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht zu beanstanden. Denn an der Höhe der geschuldeten Gesamtsozialversicherungsbeiträge gemäß § 28d SGB IV hat sich nichts geändert; lediglich die Berechnung der Säumniszuschläge und Nebenkosten ist nachträglich vermindert worden.

Lässt man bei der Verrechnung unter Verzicht auf die Gegenseitigkeit den Zugriff auf die Forderung des Leistungsberechtigten durch einen anderen Leistungsträger zu dessen Gunsten zur Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens zu, so darf dessen materielle und verfahrensrechtliche Position gegenüber dem die Verrechnung anstrebenden Träger nicht verschlechtert werden. Bei der Beurteilung des Aussetzungsinteresses des Klägers berücksichtigt der Senat insbesondere, dass eine solche Verschlechterung der Position des Klägers durch die auf 26.358,13 EUR korrigierte Forderungshöhe gerade nicht erkennbar. Schließlich hat sich an der Höhe der Grundforderung nichts geändert, sondern lediglich die Höhe der Nebenkosten ist nachträglich geringer geworden. Ferner bezieht der Senat in die Interessenabwägung die Tatsache mit ein, dass letztendlich nach der Korrektur der Forderungshöhe durch die Beigeladene zwischen den Beteiligten der Betrag der Gesamtforderung in Höhe von insgesamt 26.358,13 EUR nicht im Streit steht.

Die Pfändungsfreigrenzen nach § 54 Abs. 3 bis 5 SGB I müssen bei der Verrechnung gemäß § 51 Abs. 2 nicht beachtet werden. Damit ist der Gesetzgeber von der im bürgerlichen Recht bestehenden Verknüpfung von Aufrechenbarkeit und der Pfändbarkeit (§ 394 BGB) aus sozialpolitischen und verwaltungstechnischen Gründen abgewichen. Die Leistungsträger werden gegenüber anderen Gläubigern, die § 394 BGB zu beachten haben, privilegiert (Häusler/Hauck/Noftz, SGB I, § 51 Rdnr. 22).

Die Aufrechnung der Beklagten ist nicht nach §§ 114 Abs. 1, Abs. 2, 95 Abs. 1 Satz 3, 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unwirksam. Diese Vorschriften sind im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da sie nur den pfändbaren Teil der Dienstbezüge (hier der Altersrente) betreffen. Nur pfändbare Forderungen des Schuldners sind Vermögensbestandteil der Insolvenzmasse (RWS-Kommentar Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 35 Rdnr. 81). Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO gehören die Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, nicht zur Insolvenzmasse. Nach § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO gilt u.a. § 850c ZPO entsprechend. Die von der Beklagten verrechneten Teile der Altersrente sind jedoch nicht pfändbar, da sie unter der Pfändungsfreigrenze des § 850c ZPO in Höhe von 930 EUR liegen. Die Beklagte rechnet also Forderungsgegenstände auf, die von vornherein nicht dem Insolvenzbeschlag unterliegen und somit dem Zugriff der Gläubiger entzogen sind. Damit finden die Vorschriften über die Einschränkung einer während des Insolvenzverfahrens erfolgten Aufrechnung (§§ 95, 96 InsO) keine Anwendung. Insbesondere ist die die Vorschrift des § 114 Abs. 1 InsO, die eine zeitliche Beschränkung der Aufrechnung mit laufenden Bezügen beinhaltet, nicht einschlägig. Insoweit liegt auch den vom Kläger angeführten Entscheidungen des BSG vom 10. Dezember 2003 (B 5 RJ 18/03 R) und des BGH vom 29. Mai 2008 (IX ZB 51/07) ein anderer Sachverhalt zugrunde. Das BSG hatte die Frage zu entscheiden, ob die Beklagte im Fall der Insolvenz des Versicherten berechtigt war, den pfändbaren Anteil von dessen Altersrente mit Beitragforderungen der beigeladenen Ersatzkasse zu verrechnen. Der BGH hatte über die Anwendbarkeit der Vorschriften der InsO, insbesondere der §§ 114 Abs. 2 und 94 InsO, in dem Fall der Verrechnung durch den Sozialleistungsträger mit dem des pfändbaren Betrag des Einkommens des Schuldners zu entscheiden. Hingegen ist vorliegend Verfahrensgegenstand die Verrechnung mit dem unpfändbaren Teil der Altersrente.

Auch unter Berücksichtigung der Vorschrift des § 54 Abs. 4 SGB I, der die Pfändung von Sozialleistungen nach Maßgabe der entsprechend anwendbaren §§ 850 ff. ZPO ermöglicht, hat der Gesetzgeber grundsätzlich eine von den zivilprozessualen Regeln abweichende Privilegierung von Sozialleistungsträgern bei der Aufrechnung eingeräumt. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll nicht nur dann, wenn die Einzelzwangsvollstreckung und damit die Pfändung ausgeschlossen ist, im Interesse der Versichertengemeinschaft eine Aufrechnung noch möglich sein. Auch in dem Fall, dass neben der Einzel- auch die Gesamtvollstreckung ausgeschlossen ist, wenn nämlich unpfändbare Gegenstände nach § 36 Abs. 1 InsO nicht Gegenstand der Insolvenzmasse werden, soll die Möglichkeit der Aufrechnung weiterhin gegeben sein.

Die von der Beklagten - ausgehend von ihrem Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 2009 - vorgenommene Verrechnung in Höhe von 427,50 EUR monatlich überschreitet ferner nicht die Hälfte der dem Kläger zustehenden Altersrente.

Der Kläger hat schließlich eine durch die Verrechnung eintretende Hilfebedürftigkeit im Sinne der Vorschriften über die Grundsicherung nach dem SGB II oder im Sinne der Vorschriften über die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII nicht nachgewiesen. Nach § 51 Abs. 2 SGB I hat der Leistungsberechtigte selbst den Eintritt der Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II oder des SGB XII nachzuweisen (vgl. z.B. Pflüger in PraxisKommentar SGB I, § 51 Rdnr. 68). Einen solchen Nachweis hat der Kläger nicht erbracht. Vielmehr ergibt sich aus dem Bescheid der Landeshauptstadt M. vom 18. September 2008, dass beim Kläger unter Berücksichtigung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse gerade keine Hilfebedürftigkeit im Sinne der Vorschriften über die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII eintreten würde; vielmehr übersteigt sein Einkommen um 833,85 EUR die für ihn maßgebliche Bemessungsgrenze. Auch unter Berücksichtigung der an die Insolvenzverwalterin seit dem 1. August 2008 monatlich abgeführten 213,40 EUR würde bei Vollzug der streitigen Verrechnung keine Hilfebedürftigkeit vorliegen, da auch dann noch ein den Grundsicherungsbedarf übersteigendes Einkommen in Höhe von 192,95 EUR verbleibt. Die Beklagte ist mithin berechtigt, den unterhalb der Pfändungsfreigrenze des § 850c ZPO, aber oberhalb des Eintritts der Sozialhilfebedürftigkeit liegenden Betrag zu verrechnen.

Die Beklagte hat bezüglich der Durchführung des Verrechnungsersuchens auch eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Ermessensentscheidung getroffen. Da sich aus dem Vortrag des Klägers keine weiterführenden Erkenntnisse zu seinen persönlichen Lebensverhältnissen haben gewinnen lassen, sondern lediglich Argumente gegen die rechtliche Zulässigkeit der Verrechnung bei laufendem Insolvenzverfahren vorgetragen worden sind, konnte die Beklagte in diesem Zusammenhang auf vorrangige Interessen der Versichertengemeinschaft an der Abführung geschuldeter Sozialversicherungsbeiträge abstellen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).

gez. Klamann gez. Müller-Rivinius gez. Frank
Rechtskraft
Aus
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