Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 1 R 223/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 163/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
SGG § 86 b Abs. 2, SGB 6 § 10 Abs. 1, Minderung der Erwerbsfähigkeit
Der Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 7. Juni 2010 wird abgeändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, bis zum 1. Oktober 2010 erneut über den Antrag der Antragstellerin vom 27. Februar 2009 auf Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.
Die 1959 geborene Antragstellerin war bis Ende März 2009 als Vertriebsassistentin Export, Mitarbeiterin Kundenmanagement, bei der D. & F. Vertriebs GmbH in Z. beschäftigt. Sie arbeitete nach eigenen Angaben in einer 40-Stunden-Woche, wobei überwiegend Bildschirmarbeit angefallen sei, die eine außerordentliche Konzentration erfordert habe. Seit 30. März 2009 war sie arbeitsunfähig. Nach einem Befundbericht ihrer Hausärztin H., Fachärztin für Allgemeinmedizin, vom 13. Mai 2009 litt sie an einer endogenen Depression und einem allgemeinen Erschöpfungszustand. Sie habe Schlafstörungen, sei unruhig, kraftlos, fühle sich ausgebrannt und habe kein Freudempfinden mehr. Da der 29-jährige Sohn an S. erkrankt sei, sei sie ständig angespannt. Nach der Einnahme von Medikamenten sei es bei der Antragstellerin zu einer geringfügigen Besserung gekommen.
Am 18. Mai 2009 beantragte die Antragstellerin Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Mit Bescheid vom 16. Juni 2009 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab, da die persönlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Nach den Leitlinien zur Rehabilitationsbedürftigkeit erfordere eine Depression eine regelmäßige ambulante nervenärztliche Mitbehandlung. Das Ausmaß der Funktions- und Fähigkeitsstörungen bei der Antragstellerin begründe keine Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit. Auch nach den Leistungsgesetzen eines anderen Rehabilitationsträgers sei sie nicht rehabilitationsbedürftig. Deshalb sei der Antrag nicht weiterzuleiten gewesen. Am 6. Juli 2009 erhob die Antragstellerin Widerspruch. Die Antragsgegnerin holte einen Befundbericht von Dr. O., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 4. September 2009 ein. Dieser teilte mit, es liege bei der Antragstellerin eine mittelgradige depressive Episode vor. Im Zusammenhang mit einer erheblichen Belastungssituation (Erkrankung des Sohnes an S., Todesfall in der Familie) habe bei ihr seit 2008 eine Depressivität eingesetzt, welche von Affektlabilität, Zukunftsängsten, Grübeln und Schlaflosigkeit begleitet sei. Es liege eine Leistungsinsuffizienz mit Anhedonie, Minderung an Elan, Antrieb und Spannkraft vor. Eine Psychotherapie werde bislang nicht durchgeführt.
Die Antragsgegnerin beauftragte außerdem Dr. O., Facharzt für Psychiatrie/Psychotherapie und Neurologie, mit der Erstellung eines Gutachtens auf seinem Fachgebiet. Im Gutachten vom 1. Dezember 2009 teilte der Gutachter mit, dass die Antragstellerin an Anpassungsstörungen mit noch vorhandener leicht- bis mittelgradiger depressiver Grundsymptomatik leide. Ende 2008 sei einer ihrer Söhne an S. erkrankt. Im gleichen Zeitraum habe eine Tante einen schweren Schlafanfall erlitten, so dass auch diese von der Antragstellerin habe betreut werden müssen. Zusätzlich habe es an ihrer Arbeitsstelle in der Spirituosenfabrik Z. Probleme gegeben. Bei der Bearbeitung von Ausschreibungen, bei denen die Antragstellerin mit eingesetzt gewesen sei, seien regelmäßig Überstunden angefallen. Sie habe deshalb von morgens 7.00 Uhr bis abends 19.00 Uhr gearbeitet. Ihr Sohn sei krank zu Hause gewesen, was ihr nicht aus dem Kopf gegangen sei. Im Februar und März 2009 habe sie keine Ruhe mehr gefunden, keinen Schlaf mehr gehabt und ihr Gemütszustand sei schlecht gewesen. Sie habe dann von sich aus ihre Arbeitsstelle gekündigt. Ihre Hausärztin habe sie ab 30. März 2009 arbeitsunfähig geschrieben. Auf deren Anraten habe sie den Antrag auf eine Rehabilitationsmaßnahme gestellt. Zurzeit sei sie regelmäßig bei Dr. O. in Behandlung. Sie erhalte von ihm Medikamente. Ihr Gesamtbefinden habe sich bereits erheblich gebessert, sei jedoch noch nicht an dem Punkt angelangt, wo sie sich wieder gesund und leistungsfähig fühle. Sie sei durchaus bereit, eine ambulante Behandlung durchzuführen, habe jedoch festgestellt, dass man bei Psychotherapeuten lange Zeit auf einen Termin warten müsse. Der Gutachter berichtete weiter, die Antragstellerin sei bei der Untersuchung bewusstseinsklar und in allen Qualitäten voll orientiert gewesen. Es hätten sich keine Anzeichen für eine inhaltliche oder formale Denkstörung gezeigt. Gestik, Mimik und Psychomotorik seien adäquat gewesen. Die Grundstimmung habe sich leicht depressiv, affektiv zur Traurigkeit und teilweise weinend verschoben dargestellt. Hinweise für eine hirnorganische Leistungsminderung hätten sich nicht ergeben; die Intelligenz sei ohne Beanstandung. Aus den Berichten der Antragstellerin gingen jedoch ein deutlicher Energieverlust und eine Reduzierung der Spontaneität und Intentionalität hervor. Sie merke selbst, dass ihr eine Beschäftigung fehle. Sie würde gerne wieder arbeiten, spüre aber innerlich noch die deutlichen Grenzen ihrer Belastbarkeit im Vergleich zu früher. In Zusatzuntersuchungen habe sich das Bild einer depressiven Anpassungsstörung mit entsprechend noch vorhandenen funktionellen Störungen ergeben. Der Gutachter schätzte ein, dass eine Psychotherapie nicht entbehrlich sei. Eine fachgerechte ambulante Psychotherapie am Wohnort sei geeignet, die Leistungsfähigkeit wieder herzustellen. Die Therapie müsse umgehend einsetzen, da eine Wartezeit von Monaten oder sogar einem halben bis einem dreiviertel Jahr eine Chronifizierung der nichtbehandelten Störung bedeuten würde. Gleiches gelte für eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme, welche umgehend anlaufen müsse. Eine weitere Ablehnung sei reiner Formalismus und dehne die Leistungsunfähigkeit der Antragstellerin noch lange Zeit aus. In ihrer letzten beruflichen Tätigkeit sei die Klägerin nur noch unter zwei Stunden täglich einsetzbar. Ansonsten könne sie einfache Arbeiten ohne Leistungsdruck von drei bis unter sechs Stunden täglich verrichten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Februar 2010 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück. Für die bei der Antragstellerin festgestellten gesundheitlichen Einschränkungen – Anpassungsstörung mit noch leichter mittelgradiger depressiver Grundsymptomatik – sei eine ambulante Richtlinienpsychotherapie angezeigt.
Am 5. März 2010 hat die Antragstellerin Klage vor dem Sozialgericht Dessau-Roßlau erhoben. Das Gericht hat einen Befundbericht der Hausärztin Hasse vom 16. April 2010 und einen Befundbericht von Dr. O. vom 30. April 2010 eingeholt. Dr. O. hat mitgeteilt, dass keine signifikante Befundänderung feststellbar sei. Die Antragsgegnerin hat darauf hingewiesen, dass nach den medizinischen Feststellungen die Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin weder erheblich gefährdet noch gemindert sei. Eine kontinuierliche ambulante Psychotherapie sei indiziert. Da diese nicht durchgeführt werde, lehne sie auch weiterhin eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme ab.
Am 4. Mai 2010 hat die Antragstellerin bei dem Sozialgericht Dessau-Roßlau die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt. Die Antragsgegnerin verkenne, dass Dr. O. eindeutig Leistungen zur medizinischen Rehabilitation als unverzichtbare Sofortmaßnahme gefordert habe. Die Antragsgegnerin wolle die Verordnung einer ambulanten Psychotherapie als Alternative zu einer stationären Rehabilitationsmaßnahme darstellen, was aber nach dem Gutachten Dr. O. falsch sei. Die Entscheidung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes sei dringlich, um eine Chronifizierung ihrer Beschwerden abzuwenden. Die Antragsgegnerin hat darauf hingewiesen, dass schwere unzumutbare Nachteile für die Antragstellerin nicht ersichtlich seien. Diese habe sich bisher nicht bei einem Psychotherapeuten angemeldet.
Mit Beschluss vom 7. Juni 2010 hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin verpflichtet, der Antragstellerin eine Leistung zur Teilhabe in Form einer stationären medizinischen Rehabilitation zu gewähren. Das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes sei glaubhaft gemacht worden. Die Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin sei wegen Krankheit zumindest erheblich gefährdet (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VI)). Durch die Gewährung einer stationären medizinischen Rehabilitation könne eine Minderung der Erwerbsfähigkeit voraussichtlich abgewendet werden (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) SGB VI). Der behandelnde Nervenarzt Dr. O. habe in seinem Befundbericht vom 30. April 2010 eine durchgreifende Besserung des Beschwerdebildes nicht bestätigt. Dem Erlass der Anordnung stehe auch nicht das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen. Im Hinblick auf das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG)) sei von diesem Grundsatz abzuweichen, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht wieder gutzumachende Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Ein solcher Fall liege hier vor. Ein Abwarten auf eine Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren sei für die Antragstellerin mit der Gefahr einer Chronifizierung ihrer Beschwerden verbunden, was nach dem Gutachten von Dr. O. wahrscheinlich zu einer lang andauernden Einschränkung der Erwerbsfähigkeit führen würde.
Gegen den ihr am 10. Juni 2010 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 21. Juni 2010 Beschwerde bei dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt erhoben. Sie führt u. a. aus, es sei der Antragstellerin zumutbar, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Wesentliche Nachteile, die eine Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen würden, lägen z. B. dann vor, wenn ohne die einstweilige Anordnung eine Gefährdung der Existenz oder eine Vernichtung der Lebensgrundlage drohe. Es fehle an einem Nachweis, dass nur eine sofortige Leistung zur medizinischen Rehabilitation den entsprechenden Erfolg, hier den Erhalt der Erwerbsfähigkeit, bringe. Außerdem berücksichtige das Sozialgericht nicht, dass eine regelmäßige ambulante nervenärztliche Mitbehandlung und Psychotherapie, für deren Erbringung die Krankenversicherung zuständig sei, vorrangig durchzuführen sei. Dies sei der Antragstellerin bereits im Ablehnungsbescheid mitgeteilt worden. Das Gutachten von Dr. O. sei zudem nicht eindeutig. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in Form einer stationären Maßnahme und eine ambulante Psychotherapie könnten nicht gleichzeitig angezeigt sein. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die Antragstellerin trotz festgestellter Verbesserung in ihrer Erwerbsfähigkeit eingeschränkt sein solle. Einem in seinen Aussagen widersprüchlichen Fachgutachten könne nicht gefolgt werden. Hier sei eine weitere Sachaufklärung im Hauptsacheverfahren abzuwarten.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichtes Dessau-Roßlau vom 7. Juni 2010 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin auf die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abzulehnen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückzuweisen.
Sie weist darauf hin, dass die Notwendigkeit einer stationären Rehabilitation durch Dr. O. eindeutig festgestellt worden sei. Es treffe nicht zu, dass sie sich nicht ausreichend um ihre Genesung bemühe.
Die Gerichtsakten L 1 R 163/10 B ER, L 1 R 199/10 B ER und S 1 R 113/10 und die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin haben vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Akten verwiesen.
II.
Die gem. § 172 Abs. 1, 3 Nr. 1 i. V. m. § 144 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Beschwerde ist nur insoweit begründet, als die Antragstellerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes einen Anspruch darauf hat, dass die Antragsgegnerin erneut über den Antrag auf Leistungen zur Rehabilitation unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts entscheidet.
Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1); es kann eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Satz 2).
Neben dem Anordnungsgrund (Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet) setzt die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz (z. B. Keller in Meyer-Ladewig u. a., SGG, 9. Auflage, § 86b, Rdnr. 29) einen Anordnungsanspruch voraus. Das ist der materiell-rechtliche Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll.
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System gegenseitiger Wechselbeziehung: Ist etwa das Rechtsschutzbegehren in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist das Begehren in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund (Keller, a. a. O., Rdnr. 29). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind die Gerichte verpflichtet, sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen zu stellen, wenn dessen grundrechtlich geschützten Belange berührt sind (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, Az: 1 BvR 569/05, dokumentiert in juris).
Die Antragstellerin hat sowohl den Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI haben Versicherte für Leistungen zur Teilhabe die persönlichen Voraussetzungen erfüllt, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist und bei denen voraussichtlich nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) SGB VI bei erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation abgewendet werden kann bzw. nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) SGB VI bei geminderter Erwerbsfähigkeit diese durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann.
Bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit ist nur auf die bisherige Tätigkeit abzustellen. Leistungen zur Teilhabe können nicht mit der Begründung verweigert werden, die Erwerbsfähigkeit sei zwar für die bisherige Tätigkeit, nicht aber für Verweisungstätigkeiten i. S. d. § 240 Abs. 2 SGB VI gefährdet oder eingeschränkt (siehe Kater in Kasseler Kommentar, SGB VI, § 10, Rdnr. 3 m. w. N.). Für den Senat steht aufgrund des durch die Antragsgegnerin eingeholten Gutachtens fest, dass die Antragstellerin derzeit ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Vertriebsassistentin Export, Mitarbeiterin Kundenmanagement, nicht mehr ausüben kann. Dr. O. hat die von der Antragstellerin beschriebenen Beschwerden nicht in Zweifel gezogen und mit Standarduntersuchungen objektiv funktionelle Störungen feststellen können. Bei affektiven Störungen (auch depressiven Störungen) können allgemein Schwierigkeiten beim Problemlösen, beim Erfassen von Aufgaben und im Umgang mit Leistungsanforderungen einschließlich Pünktlichkeit, Ordnungsbereitschaft und gehobener Verantwortung als Folge der Erkrankung auftreten (siehe Leitlinien für die sozialmedizinische Beurteilung von Menschen mit psychischen Störungen, DRV-Schriften Band 68, Dezember 2006, S. 36). Auch der von der Antragstellerin beschriebene Antriebs- und Energieverlust, die Unentschiedenheit, die Selbstunsicherheit und die leichte Erregbarkeit lassen sich nicht in Einklang bringen mit den Anforderungen, die an die Antragstellerin nach ihren eigenen Angaben gestellt worden sind. Die Einschätzung von Dr. O. ist daher schlüssig. Es ist insbesondere auch möglich, dass sich die Gesundheit nach der Erstmanifestation der Krankheit bis zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. O. gebessert, jedoch trotzdem noch nicht wieder das Niveau erreicht hat, dass eine Beschäftigung wieder möglich ist.
Unabhängig davon würde es auch ausreichen, wenn die Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin nicht bereits gemindert, sondern erheblich gefährdet wäre. Dies ist aber bei der Gefahr einer Chronifizierung ohnehin anzunehmen. Bei anhaltenden affektiven Störungen muss im Rahmen der sozialmedizinischen Leistungseinschätzung immer die Neigung zur Chronifizierung in Rechnung gestellt werden (siehe Leitlinien für die sozialmedizinische Beurteilung von Menschen mit psychischen Störungen, S. 37). Wenn Dr. O. ausdrücklich darauf hinweist, dass eine Chronifizierung drohe, die dann eine Einschränkung des Leistungsvermögens zur Folge haben kann, ist auch eine Gefährdung i. S. d. § 10 Abs. 1 SGB VI gegeben.
Der Senat zweifelt auch nicht daran, dass durch eine zielgerichtete Rehabilitationsmaßnahme zumindest eine wesentliche Verschlechterung der geminderten Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin abgewendet werden kann, eventuell sogar eine Besserung oder Wiederherstellung erreicht wird. Nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) SGB VI genügt es, dass bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit voraussichtlich deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann, d. h. es muss nach den besonderen Umständen des Einzelfalles unter Berücksichtigung insbesondere der Leiden, der persönlichen Verhältnisse und der Bereitschaft zur Mitwirkung mehr dafür als dagegen sprechen, dass die Ziele der Rehabilitation durch die Maßnahmen erreicht werden können (Kater, a. a. O., Rdnr. 14). Ist hingegen bei vorausschauender Betrachtung der Erfolg der Leistung nicht nur zweifelhaft, sondern kann die Möglichkeit eines Erfolgs nicht erwartet werden, ist die Rehabilitationsleistung abzulehnen (a. a. O).
Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI erbringt die Rentenversicherung Leistungen zur Rehabilitation u. a., um den Auswirkungen einer Krankheit auf die Erwerbsfähigkeit des Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und die Versicherten dadurch dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern. Der Senat ist überzeugt, dass durch eine medizinische Rehabilitation dieses Ziel bei der Antragstellerin erreicht werden kann.
Zum einen hält der Gutachter Dr. O. eine medizinische Rehabilitation für angezeigt, um eine Einsatzfähigkeit der Antragstellerin wieder zu erreichen. Dies impliziert, dass er einer Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation eine entsprechende Erfolgsprognose zubilligt. Allgemein wird davon ausgegangen, dass die Prognose umso günstiger ist, je höher der Leidensdruck und die Motivation zur Behandlung und je kürzer bzw. je geringer die Beeinträchtigungen im beruflichen Leistungsvermögen und die Fähigkeit zur selbständigen Lebensführung sind (Arbeitshilfe für die Rehabilitation und Teilhabe psychisch kranker und behinderter Menschen, Schriftenreihe der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, Heft 9, S. 25). Die Antragstellerin ist ausweislich ihrer Schilderungen bei Dr. O. motiviert, eine Besserung ihres Zustandes zu erreichen. Außerdem offenbart ihre Unzufriedenheit mit ihrer aktuellen Lebenssituation und dem Wunsch, wieder arbeiten zu können, einen bei ihr bestehenden Leidensdruck. Zwar ist sie schon deutlich über ein Jahr aus dem Berufsleben ausgeschieden, jedoch dürfte es günstig sein, dass sie bis zum Beginn ihrer Erkrankung voll ins Berufsleben integriert war. Nach den Feststellungen Dr. O. hat sich ihr Zustand auch inzwischen soweit stabilisiert, dass sie ihren Alltag bewältigt. Zusammengenommen weisen diese Tatsachen auf eine günstige Prognose hin.
Die damit dem Grunde nach bestehende Leistungsverpflichtung der Antragsgegnerin entfällt auch nicht deshalb, weil es angezeigt sein könnte, dass die Antragstellerin eine Psychotherapie durchführt.
Nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB VI erbringt die Antragsgegnerin keine Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in der Phase akuter Behandlungsbedürftigkeit einer Krankheit und anstelle einer sonst erforderlichen Krankenhausbehandlung. Diese Fälle liegen hier nicht vor. Dr. O. hat das Erfordernis einer Krankenhausbehandlung der Antragstellerin an keiner Stelle seines Gutachtens erwähnt. Sie ist auch nicht akut behandlungsbedürftig. Die Erstversorgung ihrer Erkrankung hat stattgefunden. Sie erhält entsprechende Medikamente und befindet sich in ständiger Behandlung bei Dr. O ... Die herkömmliche und bei Erkrankungen mit Ereignischarakter (z. B. Herzinfarkt) übliche Abfolge von Prävention – Akutbehandlung – Rehabilitation – Nachsorge ist bei psychisch Kranken und Behinderten ohnehin nur bedingt anwendbar, da sich psychische Erkrankungen nicht linear und kontinuierlich entwickeln (Arbeitshilfe für die Rehabilitation und Teilhabe psychisch kranker und behinderter Menschen, Schriftenreihe der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, Heft 9, S. 11). Vielmehr sind die aufeinanderfolgenden Phasen miteinander verbunden; präventive, kurative und rehabilitative Maßnahmen sind nicht zu trennen (Huber, Psychiatrie, Lehrbuch für Studium und Weiterbildung, 7. Aufl., S. 702). Außerdem ist bei einer medizinischen Rehabilitation psychisch Kranker auch die Psychotherapie durch ärztliche und/oder psychologische Psychotherapeuten ein wesentliches Behandlungselement (RPK-Empfehlungsvereinbarung vom 29. September 2005 über die Zusammenarbeit der Krankenversicherungsträger und der Rentenversicherungsträger sowie der Bundesagentur für Arbeit bei der Gewährung von Leistungen zur Teilhabe in Rehabilitationseinrichtung für psychisch kranke und behinderte Menschen, S. 23). Die von dem Gutachter Dr. O. für erforderlich gehaltene Psychotherapie ist also gerade auch eine Leistung, die von der Antragsgegnerin im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme zu erbringen wäre. Dies ergibt sich aus den Regelungen des § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB VI i. V. m. § 26 Abs. 2 Nr. 5 des Neunten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB IX), wonach eine von der Antragsgegnerin zu erbringende Leistung zur medizinischen Rehabilitation insbesondere auch eine Psychotherapie als ärztliche oder psychotherapeutische Behandlung umfasst.
Die Antragstellerin hat jedoch nur einen Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin erneut über den Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts entscheidet. Dabei ist die Antragsgegnerin an die Feststellung des Gerichts gebunden, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die beantragte Leistung zur medizinischen Rehabilitation vorliegen. Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 SGB VI bestimmt jedoch die Antragsgegnerin im Einzelfall unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung dieser Leistungen sowie die Rehabilitationseinrichtung nach pflichtgemäßem Ermessen. Der Ermessensspielraum der Antragsgegnerin ist hier nicht soweit verdichtet, dass nur eine bestimmte Maßnahme in Betracht käme. Insbesondere kann das Gericht nicht einschätzen, ob eine Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation im stationären Bereich angezeigt ist oder ob eine Rehabilitation auch ambulant erfolgen könnte. In der schon erwähnten RPK-Empfehlungsvereinbarung vom 29. September 2005 werden umfangreiche Entscheidungskriterien aufgezeigt (a. a. O., S. 14), die die Antragsgegnerin bei ihrer Ermessensentscheidung berücksichtigen muss. Ein entscheidendes Kriterium ist, ob für die Antragstellerin zeitnah eine geeignete ambulante Einrichtung in einer maximalen Entfernung von 60 Minuten von ihrer Wohnung überhaupt zur Verfügung steht (a. a. O., S. 15).
Wegen der von dem Gutachter Dr. O. festgestellten Gefahr einer Chronifizierung der Erkrankung liegt auch ein Anordnungsgrund vor. Die gesetzliche Rentenversicherung als Rehabilitationsträger ist allgemein verpflichtet, erforderliche Leistungen zur Rehabilitation zügig zu erbringen (§ 17 Abs. 1 Nr. 1 des Ersten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB I), § 12 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX), zumal ein frühzeitiges Greifen einer Rehabilitationsmaßnahme deren Erfolgsprognose mit beeinflusst. Die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes verlangt auch bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfG, Beschluss vom 22. November 2002, Az: 1 BvR 1586/02, 1. Orientierungssatz, dokumentiert in juris). Die Antragstellerin muss die drohende Chronifizierung ihrer Erkrankung nicht hinnehmen, zumal ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verfassungsrechtlich geschützt ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Im Übrigen wird die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.
Die 1959 geborene Antragstellerin war bis Ende März 2009 als Vertriebsassistentin Export, Mitarbeiterin Kundenmanagement, bei der D. & F. Vertriebs GmbH in Z. beschäftigt. Sie arbeitete nach eigenen Angaben in einer 40-Stunden-Woche, wobei überwiegend Bildschirmarbeit angefallen sei, die eine außerordentliche Konzentration erfordert habe. Seit 30. März 2009 war sie arbeitsunfähig. Nach einem Befundbericht ihrer Hausärztin H., Fachärztin für Allgemeinmedizin, vom 13. Mai 2009 litt sie an einer endogenen Depression und einem allgemeinen Erschöpfungszustand. Sie habe Schlafstörungen, sei unruhig, kraftlos, fühle sich ausgebrannt und habe kein Freudempfinden mehr. Da der 29-jährige Sohn an S. erkrankt sei, sei sie ständig angespannt. Nach der Einnahme von Medikamenten sei es bei der Antragstellerin zu einer geringfügigen Besserung gekommen.
Am 18. Mai 2009 beantragte die Antragstellerin Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Mit Bescheid vom 16. Juni 2009 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab, da die persönlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Nach den Leitlinien zur Rehabilitationsbedürftigkeit erfordere eine Depression eine regelmäßige ambulante nervenärztliche Mitbehandlung. Das Ausmaß der Funktions- und Fähigkeitsstörungen bei der Antragstellerin begründe keine Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit. Auch nach den Leistungsgesetzen eines anderen Rehabilitationsträgers sei sie nicht rehabilitationsbedürftig. Deshalb sei der Antrag nicht weiterzuleiten gewesen. Am 6. Juli 2009 erhob die Antragstellerin Widerspruch. Die Antragsgegnerin holte einen Befundbericht von Dr. O., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 4. September 2009 ein. Dieser teilte mit, es liege bei der Antragstellerin eine mittelgradige depressive Episode vor. Im Zusammenhang mit einer erheblichen Belastungssituation (Erkrankung des Sohnes an S., Todesfall in der Familie) habe bei ihr seit 2008 eine Depressivität eingesetzt, welche von Affektlabilität, Zukunftsängsten, Grübeln und Schlaflosigkeit begleitet sei. Es liege eine Leistungsinsuffizienz mit Anhedonie, Minderung an Elan, Antrieb und Spannkraft vor. Eine Psychotherapie werde bislang nicht durchgeführt.
Die Antragsgegnerin beauftragte außerdem Dr. O., Facharzt für Psychiatrie/Psychotherapie und Neurologie, mit der Erstellung eines Gutachtens auf seinem Fachgebiet. Im Gutachten vom 1. Dezember 2009 teilte der Gutachter mit, dass die Antragstellerin an Anpassungsstörungen mit noch vorhandener leicht- bis mittelgradiger depressiver Grundsymptomatik leide. Ende 2008 sei einer ihrer Söhne an S. erkrankt. Im gleichen Zeitraum habe eine Tante einen schweren Schlafanfall erlitten, so dass auch diese von der Antragstellerin habe betreut werden müssen. Zusätzlich habe es an ihrer Arbeitsstelle in der Spirituosenfabrik Z. Probleme gegeben. Bei der Bearbeitung von Ausschreibungen, bei denen die Antragstellerin mit eingesetzt gewesen sei, seien regelmäßig Überstunden angefallen. Sie habe deshalb von morgens 7.00 Uhr bis abends 19.00 Uhr gearbeitet. Ihr Sohn sei krank zu Hause gewesen, was ihr nicht aus dem Kopf gegangen sei. Im Februar und März 2009 habe sie keine Ruhe mehr gefunden, keinen Schlaf mehr gehabt und ihr Gemütszustand sei schlecht gewesen. Sie habe dann von sich aus ihre Arbeitsstelle gekündigt. Ihre Hausärztin habe sie ab 30. März 2009 arbeitsunfähig geschrieben. Auf deren Anraten habe sie den Antrag auf eine Rehabilitationsmaßnahme gestellt. Zurzeit sei sie regelmäßig bei Dr. O. in Behandlung. Sie erhalte von ihm Medikamente. Ihr Gesamtbefinden habe sich bereits erheblich gebessert, sei jedoch noch nicht an dem Punkt angelangt, wo sie sich wieder gesund und leistungsfähig fühle. Sie sei durchaus bereit, eine ambulante Behandlung durchzuführen, habe jedoch festgestellt, dass man bei Psychotherapeuten lange Zeit auf einen Termin warten müsse. Der Gutachter berichtete weiter, die Antragstellerin sei bei der Untersuchung bewusstseinsklar und in allen Qualitäten voll orientiert gewesen. Es hätten sich keine Anzeichen für eine inhaltliche oder formale Denkstörung gezeigt. Gestik, Mimik und Psychomotorik seien adäquat gewesen. Die Grundstimmung habe sich leicht depressiv, affektiv zur Traurigkeit und teilweise weinend verschoben dargestellt. Hinweise für eine hirnorganische Leistungsminderung hätten sich nicht ergeben; die Intelligenz sei ohne Beanstandung. Aus den Berichten der Antragstellerin gingen jedoch ein deutlicher Energieverlust und eine Reduzierung der Spontaneität und Intentionalität hervor. Sie merke selbst, dass ihr eine Beschäftigung fehle. Sie würde gerne wieder arbeiten, spüre aber innerlich noch die deutlichen Grenzen ihrer Belastbarkeit im Vergleich zu früher. In Zusatzuntersuchungen habe sich das Bild einer depressiven Anpassungsstörung mit entsprechend noch vorhandenen funktionellen Störungen ergeben. Der Gutachter schätzte ein, dass eine Psychotherapie nicht entbehrlich sei. Eine fachgerechte ambulante Psychotherapie am Wohnort sei geeignet, die Leistungsfähigkeit wieder herzustellen. Die Therapie müsse umgehend einsetzen, da eine Wartezeit von Monaten oder sogar einem halben bis einem dreiviertel Jahr eine Chronifizierung der nichtbehandelten Störung bedeuten würde. Gleiches gelte für eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme, welche umgehend anlaufen müsse. Eine weitere Ablehnung sei reiner Formalismus und dehne die Leistungsunfähigkeit der Antragstellerin noch lange Zeit aus. In ihrer letzten beruflichen Tätigkeit sei die Klägerin nur noch unter zwei Stunden täglich einsetzbar. Ansonsten könne sie einfache Arbeiten ohne Leistungsdruck von drei bis unter sechs Stunden täglich verrichten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Februar 2010 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück. Für die bei der Antragstellerin festgestellten gesundheitlichen Einschränkungen – Anpassungsstörung mit noch leichter mittelgradiger depressiver Grundsymptomatik – sei eine ambulante Richtlinienpsychotherapie angezeigt.
Am 5. März 2010 hat die Antragstellerin Klage vor dem Sozialgericht Dessau-Roßlau erhoben. Das Gericht hat einen Befundbericht der Hausärztin Hasse vom 16. April 2010 und einen Befundbericht von Dr. O. vom 30. April 2010 eingeholt. Dr. O. hat mitgeteilt, dass keine signifikante Befundänderung feststellbar sei. Die Antragsgegnerin hat darauf hingewiesen, dass nach den medizinischen Feststellungen die Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin weder erheblich gefährdet noch gemindert sei. Eine kontinuierliche ambulante Psychotherapie sei indiziert. Da diese nicht durchgeführt werde, lehne sie auch weiterhin eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme ab.
Am 4. Mai 2010 hat die Antragstellerin bei dem Sozialgericht Dessau-Roßlau die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt. Die Antragsgegnerin verkenne, dass Dr. O. eindeutig Leistungen zur medizinischen Rehabilitation als unverzichtbare Sofortmaßnahme gefordert habe. Die Antragsgegnerin wolle die Verordnung einer ambulanten Psychotherapie als Alternative zu einer stationären Rehabilitationsmaßnahme darstellen, was aber nach dem Gutachten Dr. O. falsch sei. Die Entscheidung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes sei dringlich, um eine Chronifizierung ihrer Beschwerden abzuwenden. Die Antragsgegnerin hat darauf hingewiesen, dass schwere unzumutbare Nachteile für die Antragstellerin nicht ersichtlich seien. Diese habe sich bisher nicht bei einem Psychotherapeuten angemeldet.
Mit Beschluss vom 7. Juni 2010 hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin verpflichtet, der Antragstellerin eine Leistung zur Teilhabe in Form einer stationären medizinischen Rehabilitation zu gewähren. Das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes sei glaubhaft gemacht worden. Die Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin sei wegen Krankheit zumindest erheblich gefährdet (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VI)). Durch die Gewährung einer stationären medizinischen Rehabilitation könne eine Minderung der Erwerbsfähigkeit voraussichtlich abgewendet werden (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) SGB VI). Der behandelnde Nervenarzt Dr. O. habe in seinem Befundbericht vom 30. April 2010 eine durchgreifende Besserung des Beschwerdebildes nicht bestätigt. Dem Erlass der Anordnung stehe auch nicht das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen. Im Hinblick auf das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG)) sei von diesem Grundsatz abzuweichen, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht wieder gutzumachende Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Ein solcher Fall liege hier vor. Ein Abwarten auf eine Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren sei für die Antragstellerin mit der Gefahr einer Chronifizierung ihrer Beschwerden verbunden, was nach dem Gutachten von Dr. O. wahrscheinlich zu einer lang andauernden Einschränkung der Erwerbsfähigkeit führen würde.
Gegen den ihr am 10. Juni 2010 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 21. Juni 2010 Beschwerde bei dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt erhoben. Sie führt u. a. aus, es sei der Antragstellerin zumutbar, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Wesentliche Nachteile, die eine Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen würden, lägen z. B. dann vor, wenn ohne die einstweilige Anordnung eine Gefährdung der Existenz oder eine Vernichtung der Lebensgrundlage drohe. Es fehle an einem Nachweis, dass nur eine sofortige Leistung zur medizinischen Rehabilitation den entsprechenden Erfolg, hier den Erhalt der Erwerbsfähigkeit, bringe. Außerdem berücksichtige das Sozialgericht nicht, dass eine regelmäßige ambulante nervenärztliche Mitbehandlung und Psychotherapie, für deren Erbringung die Krankenversicherung zuständig sei, vorrangig durchzuführen sei. Dies sei der Antragstellerin bereits im Ablehnungsbescheid mitgeteilt worden. Das Gutachten von Dr. O. sei zudem nicht eindeutig. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in Form einer stationären Maßnahme und eine ambulante Psychotherapie könnten nicht gleichzeitig angezeigt sein. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die Antragstellerin trotz festgestellter Verbesserung in ihrer Erwerbsfähigkeit eingeschränkt sein solle. Einem in seinen Aussagen widersprüchlichen Fachgutachten könne nicht gefolgt werden. Hier sei eine weitere Sachaufklärung im Hauptsacheverfahren abzuwarten.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichtes Dessau-Roßlau vom 7. Juni 2010 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin auf die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abzulehnen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückzuweisen.
Sie weist darauf hin, dass die Notwendigkeit einer stationären Rehabilitation durch Dr. O. eindeutig festgestellt worden sei. Es treffe nicht zu, dass sie sich nicht ausreichend um ihre Genesung bemühe.
Die Gerichtsakten L 1 R 163/10 B ER, L 1 R 199/10 B ER und S 1 R 113/10 und die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin haben vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Akten verwiesen.
II.
Die gem. § 172 Abs. 1, 3 Nr. 1 i. V. m. § 144 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Beschwerde ist nur insoweit begründet, als die Antragstellerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes einen Anspruch darauf hat, dass die Antragsgegnerin erneut über den Antrag auf Leistungen zur Rehabilitation unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts entscheidet.
Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1); es kann eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Satz 2).
Neben dem Anordnungsgrund (Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet) setzt die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz (z. B. Keller in Meyer-Ladewig u. a., SGG, 9. Auflage, § 86b, Rdnr. 29) einen Anordnungsanspruch voraus. Das ist der materiell-rechtliche Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll.
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System gegenseitiger Wechselbeziehung: Ist etwa das Rechtsschutzbegehren in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist das Begehren in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund (Keller, a. a. O., Rdnr. 29). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind die Gerichte verpflichtet, sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen zu stellen, wenn dessen grundrechtlich geschützten Belange berührt sind (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, Az: 1 BvR 569/05, dokumentiert in juris).
Die Antragstellerin hat sowohl den Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI haben Versicherte für Leistungen zur Teilhabe die persönlichen Voraussetzungen erfüllt, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist und bei denen voraussichtlich nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) SGB VI bei erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation abgewendet werden kann bzw. nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) SGB VI bei geminderter Erwerbsfähigkeit diese durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann.
Bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit ist nur auf die bisherige Tätigkeit abzustellen. Leistungen zur Teilhabe können nicht mit der Begründung verweigert werden, die Erwerbsfähigkeit sei zwar für die bisherige Tätigkeit, nicht aber für Verweisungstätigkeiten i. S. d. § 240 Abs. 2 SGB VI gefährdet oder eingeschränkt (siehe Kater in Kasseler Kommentar, SGB VI, § 10, Rdnr. 3 m. w. N.). Für den Senat steht aufgrund des durch die Antragsgegnerin eingeholten Gutachtens fest, dass die Antragstellerin derzeit ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Vertriebsassistentin Export, Mitarbeiterin Kundenmanagement, nicht mehr ausüben kann. Dr. O. hat die von der Antragstellerin beschriebenen Beschwerden nicht in Zweifel gezogen und mit Standarduntersuchungen objektiv funktionelle Störungen feststellen können. Bei affektiven Störungen (auch depressiven Störungen) können allgemein Schwierigkeiten beim Problemlösen, beim Erfassen von Aufgaben und im Umgang mit Leistungsanforderungen einschließlich Pünktlichkeit, Ordnungsbereitschaft und gehobener Verantwortung als Folge der Erkrankung auftreten (siehe Leitlinien für die sozialmedizinische Beurteilung von Menschen mit psychischen Störungen, DRV-Schriften Band 68, Dezember 2006, S. 36). Auch der von der Antragstellerin beschriebene Antriebs- und Energieverlust, die Unentschiedenheit, die Selbstunsicherheit und die leichte Erregbarkeit lassen sich nicht in Einklang bringen mit den Anforderungen, die an die Antragstellerin nach ihren eigenen Angaben gestellt worden sind. Die Einschätzung von Dr. O. ist daher schlüssig. Es ist insbesondere auch möglich, dass sich die Gesundheit nach der Erstmanifestation der Krankheit bis zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. O. gebessert, jedoch trotzdem noch nicht wieder das Niveau erreicht hat, dass eine Beschäftigung wieder möglich ist.
Unabhängig davon würde es auch ausreichen, wenn die Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin nicht bereits gemindert, sondern erheblich gefährdet wäre. Dies ist aber bei der Gefahr einer Chronifizierung ohnehin anzunehmen. Bei anhaltenden affektiven Störungen muss im Rahmen der sozialmedizinischen Leistungseinschätzung immer die Neigung zur Chronifizierung in Rechnung gestellt werden (siehe Leitlinien für die sozialmedizinische Beurteilung von Menschen mit psychischen Störungen, S. 37). Wenn Dr. O. ausdrücklich darauf hinweist, dass eine Chronifizierung drohe, die dann eine Einschränkung des Leistungsvermögens zur Folge haben kann, ist auch eine Gefährdung i. S. d. § 10 Abs. 1 SGB VI gegeben.
Der Senat zweifelt auch nicht daran, dass durch eine zielgerichtete Rehabilitationsmaßnahme zumindest eine wesentliche Verschlechterung der geminderten Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin abgewendet werden kann, eventuell sogar eine Besserung oder Wiederherstellung erreicht wird. Nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) SGB VI genügt es, dass bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit voraussichtlich deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann, d. h. es muss nach den besonderen Umständen des Einzelfalles unter Berücksichtigung insbesondere der Leiden, der persönlichen Verhältnisse und der Bereitschaft zur Mitwirkung mehr dafür als dagegen sprechen, dass die Ziele der Rehabilitation durch die Maßnahmen erreicht werden können (Kater, a. a. O., Rdnr. 14). Ist hingegen bei vorausschauender Betrachtung der Erfolg der Leistung nicht nur zweifelhaft, sondern kann die Möglichkeit eines Erfolgs nicht erwartet werden, ist die Rehabilitationsleistung abzulehnen (a. a. O).
Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI erbringt die Rentenversicherung Leistungen zur Rehabilitation u. a., um den Auswirkungen einer Krankheit auf die Erwerbsfähigkeit des Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und die Versicherten dadurch dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern. Der Senat ist überzeugt, dass durch eine medizinische Rehabilitation dieses Ziel bei der Antragstellerin erreicht werden kann.
Zum einen hält der Gutachter Dr. O. eine medizinische Rehabilitation für angezeigt, um eine Einsatzfähigkeit der Antragstellerin wieder zu erreichen. Dies impliziert, dass er einer Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation eine entsprechende Erfolgsprognose zubilligt. Allgemein wird davon ausgegangen, dass die Prognose umso günstiger ist, je höher der Leidensdruck und die Motivation zur Behandlung und je kürzer bzw. je geringer die Beeinträchtigungen im beruflichen Leistungsvermögen und die Fähigkeit zur selbständigen Lebensführung sind (Arbeitshilfe für die Rehabilitation und Teilhabe psychisch kranker und behinderter Menschen, Schriftenreihe der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, Heft 9, S. 25). Die Antragstellerin ist ausweislich ihrer Schilderungen bei Dr. O. motiviert, eine Besserung ihres Zustandes zu erreichen. Außerdem offenbart ihre Unzufriedenheit mit ihrer aktuellen Lebenssituation und dem Wunsch, wieder arbeiten zu können, einen bei ihr bestehenden Leidensdruck. Zwar ist sie schon deutlich über ein Jahr aus dem Berufsleben ausgeschieden, jedoch dürfte es günstig sein, dass sie bis zum Beginn ihrer Erkrankung voll ins Berufsleben integriert war. Nach den Feststellungen Dr. O. hat sich ihr Zustand auch inzwischen soweit stabilisiert, dass sie ihren Alltag bewältigt. Zusammengenommen weisen diese Tatsachen auf eine günstige Prognose hin.
Die damit dem Grunde nach bestehende Leistungsverpflichtung der Antragsgegnerin entfällt auch nicht deshalb, weil es angezeigt sein könnte, dass die Antragstellerin eine Psychotherapie durchführt.
Nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB VI erbringt die Antragsgegnerin keine Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in der Phase akuter Behandlungsbedürftigkeit einer Krankheit und anstelle einer sonst erforderlichen Krankenhausbehandlung. Diese Fälle liegen hier nicht vor. Dr. O. hat das Erfordernis einer Krankenhausbehandlung der Antragstellerin an keiner Stelle seines Gutachtens erwähnt. Sie ist auch nicht akut behandlungsbedürftig. Die Erstversorgung ihrer Erkrankung hat stattgefunden. Sie erhält entsprechende Medikamente und befindet sich in ständiger Behandlung bei Dr. O ... Die herkömmliche und bei Erkrankungen mit Ereignischarakter (z. B. Herzinfarkt) übliche Abfolge von Prävention – Akutbehandlung – Rehabilitation – Nachsorge ist bei psychisch Kranken und Behinderten ohnehin nur bedingt anwendbar, da sich psychische Erkrankungen nicht linear und kontinuierlich entwickeln (Arbeitshilfe für die Rehabilitation und Teilhabe psychisch kranker und behinderter Menschen, Schriftenreihe der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, Heft 9, S. 11). Vielmehr sind die aufeinanderfolgenden Phasen miteinander verbunden; präventive, kurative und rehabilitative Maßnahmen sind nicht zu trennen (Huber, Psychiatrie, Lehrbuch für Studium und Weiterbildung, 7. Aufl., S. 702). Außerdem ist bei einer medizinischen Rehabilitation psychisch Kranker auch die Psychotherapie durch ärztliche und/oder psychologische Psychotherapeuten ein wesentliches Behandlungselement (RPK-Empfehlungsvereinbarung vom 29. September 2005 über die Zusammenarbeit der Krankenversicherungsträger und der Rentenversicherungsträger sowie der Bundesagentur für Arbeit bei der Gewährung von Leistungen zur Teilhabe in Rehabilitationseinrichtung für psychisch kranke und behinderte Menschen, S. 23). Die von dem Gutachter Dr. O. für erforderlich gehaltene Psychotherapie ist also gerade auch eine Leistung, die von der Antragsgegnerin im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme zu erbringen wäre. Dies ergibt sich aus den Regelungen des § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB VI i. V. m. § 26 Abs. 2 Nr. 5 des Neunten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB IX), wonach eine von der Antragsgegnerin zu erbringende Leistung zur medizinischen Rehabilitation insbesondere auch eine Psychotherapie als ärztliche oder psychotherapeutische Behandlung umfasst.
Die Antragstellerin hat jedoch nur einen Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin erneut über den Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts entscheidet. Dabei ist die Antragsgegnerin an die Feststellung des Gerichts gebunden, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die beantragte Leistung zur medizinischen Rehabilitation vorliegen. Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 SGB VI bestimmt jedoch die Antragsgegnerin im Einzelfall unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung dieser Leistungen sowie die Rehabilitationseinrichtung nach pflichtgemäßem Ermessen. Der Ermessensspielraum der Antragsgegnerin ist hier nicht soweit verdichtet, dass nur eine bestimmte Maßnahme in Betracht käme. Insbesondere kann das Gericht nicht einschätzen, ob eine Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation im stationären Bereich angezeigt ist oder ob eine Rehabilitation auch ambulant erfolgen könnte. In der schon erwähnten RPK-Empfehlungsvereinbarung vom 29. September 2005 werden umfangreiche Entscheidungskriterien aufgezeigt (a. a. O., S. 14), die die Antragsgegnerin bei ihrer Ermessensentscheidung berücksichtigen muss. Ein entscheidendes Kriterium ist, ob für die Antragstellerin zeitnah eine geeignete ambulante Einrichtung in einer maximalen Entfernung von 60 Minuten von ihrer Wohnung überhaupt zur Verfügung steht (a. a. O., S. 15).
Wegen der von dem Gutachter Dr. O. festgestellten Gefahr einer Chronifizierung der Erkrankung liegt auch ein Anordnungsgrund vor. Die gesetzliche Rentenversicherung als Rehabilitationsträger ist allgemein verpflichtet, erforderliche Leistungen zur Rehabilitation zügig zu erbringen (§ 17 Abs. 1 Nr. 1 des Ersten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB I), § 12 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX), zumal ein frühzeitiges Greifen einer Rehabilitationsmaßnahme deren Erfolgsprognose mit beeinflusst. Die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes verlangt auch bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfG, Beschluss vom 22. November 2002, Az: 1 BvR 1586/02, 1. Orientierungssatz, dokumentiert in juris). Die Antragstellerin muss die drohende Chronifizierung ihrer Erkrankung nicht hinnehmen, zumal ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verfassungsrechtlich geschützt ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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