Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 SO 40/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rücknahme der Entscheidung über die Bewilligung von Sozialhilfe für die Zeit vom 01.10.2004 bis 30.06.2009 und die Erstattung von 1.350,00 EUR.
Der am 00.00.0000 geborene Kläger steht seit 2002 unter gerichtlich angeordneter Betreuung des Herrn T ... Dieser beantragte erstmals am 20.01.2003 für den Kläger Leistungen der Grundsicherung (GSi) bei Erwerbsminderung. Der Kläger erhält diese Leistung seit Februar 2004 bis heute, zunächst nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG), ab 01.01.2005 nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Von Oktober 2004 bis Juli 2009 wurde die GSi bewilligt durch - Bescheid vom 21.12.2004 von Februar 2004 bis Dezember 2004, - Bescheid vom 28.12.2004 von Januar 2005 bis Dezember 2005, - Bescheid vom 28.12.2005 von Januar 2006 bis Juni 2006, - Bescheid vom 26.06.2006 von Juli 2006 bis Juni 2007, - Änderungsbescheid vom 20.12.2006 ab Juli 2007, - Bescheid vom 27.06.2007 von Juli 2007 bis Juni 2008, - Bescheid vom 23.06.2008 von Juli 2008 bis Juni 2009, - Änderungsbescheid vom 14.07.2008 ab Juli 2008, - Änderungsbescheid vom 26.09.2008 ab Oktober 2008 und - Änderungsbescheid vom 16.12.2008 ab Januar 2009. Sämtliche - auch früheren - Bescheide waren an den Betreuer des Klägers gerichtet. Die Leistungen wurden auf der Grundlage der Angaben des Klägers (bzw. seines Betreuers) zunächst ohne Einkommensanrechnung, ab Juli 2006 unter Anrechnung von in den Rurtalwerkstätten bezogenem Einkommen bewilligt. Jeder Bescheid enthielt folgende "Allgemeine Hinweise: Nach den für die bewilligten Leistungen maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen sind Sie verpflichtet, alle Änderungen von Tatsachen, die für die Hilfegewährung maßgebend sind, mir unverzüglich mitzuteilen. Hierzu gehören vor allem jede Änderung in den Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnissen, die Aufnahme in ein Krankenhaus bzw. Heim, jeden Wohnungswechsel und auch jede nur vorübergehende Abwesenheit von Ihrem Wohnungsort (z. B. Urlaubsreise)."
Erstmals im Mai 2009 wurde dem Beklagten bekannt, dass der Kläger im April 2009 Taschengeld von 50,00 EUR von seiner Mutter überwiesen bekommen hatte. Auf Anfrage des Beklagten legte der Betreuer eine Liste der erstmals im Oktober 2004 bis April 2009 erfolgten 36 Zahlungen der Mutter wegen Taschengeld, Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld oder Geburtstagsgeld, insgesamt in Höhe von 2.000,00 EUR sowie die Gehaltsabrechnungen der Rurtalwerkstätten ab Dezember 2008 vor.
Nach Anhörung des Klägers nahm der Beklagte durch Bescheid vom 19.06.2006 teilweise die zehn Bewilligungsbescheide für die Zeit vom 01.10.2004 bis 30.06.2009 zurück und forderte die Erstattung überzahlter 2.002,58 EUR. Zur Begründung führte er aus, der Kläger habe die Zahlungen der Mutter und die Gehaltserhöhung nicht mitgeteilt, obwohl er darüber belehrt worden sei, dass er Einkommen und Änderungen hätte angeben müssen; Vertrauensschutz bestehe nicht. Der Beklagte legte die seiner Entscheidung zugrunde gelegten Ermessenserwägungen dar.
Dagegen legte der Kläger am 30.06.2009 Widerspruch ein. Er teilte mit, seit Mai 2009 erfolgten keine Zahlungen der Mutter mehr. Er vertrat die Auffassung, der Vorwurf grob fahrlässigen Handelns sei ihm gegenüber zu Unrecht erhoben worden; er stehe unter dem Einfluss von Psychopharmaka und sei nicht in der Lage, seine Sorgfaltspflichten zu realisieren, geschweige denn, solche zu erfüllen. Er habe nicht nur alle zwei Monate Taschengeld, sondern auch Geldbeträge zu Weihnachten oder zum Geburtstag erhalten, um sich selbst ein Geschenk zu kaufen, oder zweckgebunden für Urlaub. Seine Mutter habe aus verschiedensten Gründen den Kontakt zu ihm nicht gewünscht; weil er sich daran gehalten habe, habe sie aus Dankbarkeit dafür mit den Zuwendungen begonnen.
Durch Widerspruchsbescheid vom 25.02.2010 half der Beklagte dem Widerspruch teilweise ab: er reduzierte die Erstattungsforderung auf 1.352,58 EUR mit der Begründung, die zu besonderen Anlässen überwiesenen Beträge (für Weihnachten, Geburtstag, Urlaub) seien in Höhe von 650,00 EUR unter Härtegesichtspunkten nicht anzurechnen; entsprechend reduziere sich die Überzahlung und die Erstattungsforderung. Im Übrigen wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück: bei den Taschengeldzahlungen handele es sich nicht um zweckgebundene Leistungen; wenn schon keine Unterhaltspflicht, so habe doch eine sittliche Verpflichtung der Mutter bestanden; unabhängig davon stelle die Anrechnung dieses Einkommens keine Härte dar.
Dagegen hat der Kläger am 08.04.2010 Klage erhoben. Er ist der Auffassung, die Taschengeldzahlung beruhe nicht auf einer sittlichen Pflicht; seine Mutter habe die Überweisung letztlich aus Dankbarkeit dafür, dass er zu ihr keinen unmittelbaren Kontakt mehr pflegte, getätigt. Problematische Kindheits- und Jugenderlebnisse mit Prügeleien, Desorientierung und anderem mehr hätten mehrfach in Haus- und Kontaktverboten zur Mutter geendet. Nunmehr seien die Zahlungen der Mutter eingestellt worden.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 19.06.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.02.2010 aufzuheben, soweit dadurch die Entscheidung über die Bewilligung von Sozialhilfe im Umfang von mehr als 2,58 EUR zurückgenommen und die Erstattung eines höheren als dieses Betrages gefordert worden ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er sieht in den Zuwendungen der Mutter an den Kläger eine rechtliche oder jedenfalls sittliche Verpflichtung. Selbst wenn eine solche Verpflichtung der Mutter nicht bestanden habe, stelle die Anrechnung der streitigen Taschengeldzahlungen von 1.350,00 EUR jedenfalls keine Härte dar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten und der Gerichtsakte S 20 SO 64/09 ER und S 20 SO 65/09 ER - SG Aachen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Der Beklagte hat zurecht die Entscheidungen über die Bewilligung von Sozialhilfe für die Zeit vom 01.10.2004 bis 30.06.2009 - gestützt auf § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) - zurückgenommen und die in dieser Zeit zu Unrecht bezogenen Leistungen auch in Höhe der zuletzt allein noch streitbefangenen 1.350,00 EUR gemäß § 50 SGB X zurückgefordert. Denn die Bewilligung und der Bezug der Sozialhilfe waren in diesem Umfang rechtswidrig und von dem Kläger bzw. seinem Betreuer verschuldet, sodass der Kläger keinen Vertrauensschutz für sich in Anspruch nehmen kann, die überzahlten Leistungen behalten zu dürfen.
Der Beklagte durfte die zehn (im Tatbestand aufgelisteten) Sozialhilfebewilligungsbescheide, auch nachdem sie unanfechtbar geworden sind, teilweise zurücknehmen, weil sie insoweit rechtswidrig waren (§ 45 Abs. 1 SGB X). Der Kläger hatte von Oktober 2004 bis Juli 2009 einen um 1.350,00 EUR geringeren Anspruch auf Sozialhilfe (GSi bei Erwerbsminderung) nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Denn die in dieser Höhe von seiner Mutter erhaltenen Taschengeldzahlungen sind Einkommen, die auf den Sozialhilfeanspruch anzurechnen sind (vgl. §§ 43 Abs. 1, 19 Abs.2, 82 ff. SGB XII). Zum Einkommen gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme bestimmter im Gesetz näher bezeichneter Leistungen. Taschengeldzahlungen, wie sie der Kläger von seiner Mutter erhalten hat, sind von der Einkommensanrechnung nicht ausgenommen. Dies gilt auch im Hinblick auf die Vorschrift des § 84 Abs. 2 SGB XII. Danach sollen Zuwendungen, die ein anderer erbringt, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben, als Einkommen außer Betracht bleiben, soweit ihre Berücksichtigung für den Leistungsberechtigten eine besondere Härte bedeuten würde. Die Vorschrift des § 84 Abs. 2 SGB XII bezieht sich auf freiwillige Zuwendungen eines Dritten. Beruht eine Zuwendung auf einer rechtlichen (gesetzlichen oder vertraglichen) oder einer sittlichen Verpflichtung, ist sie stets sozialhilferechtlich anrechenbar. Lediglich dann, wenn die Zuwendung ohne rechtliche oder sittliche Verpflichtung - mithin freiwillig - erfolgt, soll sie als Einkommen unberücksichtigt bleiben, wenn ihre Berücksichtigung für den Leistungsberechtigten eine besondere Härte bedeuten würde. Die Zahlungen der Mutter, unabhängig davon, ob sie zweckgebunden für Weihnachten, Urlaub oder zum Geburtstag oder ob sie lediglich als "Taschengeld" erfolgten, dienten nicht der Erfüllung einer Unterhaltspflicht; unter den vom Kläger glaubhaft geschilderten Umständen ist auch nicht erkennbar, dass sie aus einer sonstigen rechtlichen oder sittlichen Verpflichtung der Mutter heraus geleistet wurden. Die Mutter hat ihrem Sohn das Geld - mehr oder weniger "freiwillig" - deshalb gegeben, weil und damit er keinen Kontakt mehr mit ihr aufnahm. In der Vergangenheit waren Besuche des Klägers bei seiner Mutter oftmals eskaliert und hatten zu Hausverboten geführt; solche "Besuche" hatten die Mutter nervlich stark belastet. Letztlich aus "Dankbarkeit" dafür, dass er ihrer Bitte nach kam, zu ihr keinen unmittelbaren Kontakt mehr zu pflegen, überwies sie dem Kläger das Geld. Dieses Geld bei seinem Sozialhilfeanspruch als Einkommen zu berücksichtigen, bedeutet jedoch für den Kläger als Leistungsberechtigten keine Härte. Die Zahlungen hatten ihren Grund in dem unsozialen belästigenden Verhalten des Klägers seiner Mutter gegenüber. Würde man die als "Gegenleistung" für "Nichtkontakt" überwiesenen Taschengeldbeträge als Einkommen unberücksichtigt lassen mit der Begründung, die dadurch bedingte Minderung der Sozialhilfe würde eine Härte für den Kläger darstellen, so hieße dies, sein Verhalten gegenüber der Mutter, das diese zu den Zahlungen bewogen hat, nachträglich noch zu honorieren. Dies wäre absurd. Wenn er letztlich durch sein negatives Verhalten gegenüber der Mutter zu diesen Geldbeträgen gelangt ist, stellt es jedenfalls für ihn keine Härte dar, die aus Steuermitteln finanzierte Sozialhilfe um diese Beträge zu mindern.
Der Beklagte war auch berechtigt, die Bewilligungsentscheidungen mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, weil sich der Kläger nicht auf Vertrauensschutz berufen kann. Denn die begünstigenden Verwaltungsakte des Beklagten beruhten auf Angaben, die der Kläger bzw. sein Betreuer grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht haben; soweit sie die Rechtswidrigkeit der Verwaltungsakte nicht kannten, beruht dies jedenfalls auf grober Fahrlässigkeit (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nrn. 2 und 3 SGB X). Die Bewilligung und der Bezug der GSi-Leistung in Höhe der streitbefangenen 1.350,00 EUR beruhten nämlich darauf, dass der Kläger bzw. sein Betreuer die Taschengeldzahlungen nicht dem Beklagten mitgeteilt hat. Dass solche Geldzahlungen anzugeben waren, hätten der Kläger bzw. sein Betreuer jedenfalls aus den allgemeinen Hinweisen, die in jedem Bewilligungsbescheid enthalten waren, erkennen können. Dass die Zahlung der Taschengeldbeträge den Anspruch auf Sozialhilfe beeinflusst bzw. beeinflussen kann, musste zumindest der Betreuer des Klägers wissen. Er hat die GSi-Leistung beantragt; als Betreuer darf man bei ihm die Kenntnis von der Anrechnung von Einkommen auf die Sozialhilfe erwarten. Wenn er diese Kenntnis nicht hatte und ihm deshalb nicht bewusst war, dass die Bewilligung und Zahlung der Sozialhilfe ohne Anrechnung der Taschengeldzahlungen rechtswidrig war, ist dies zumindest grob fahrlässig. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 2. Halbsatz SGB X). Begünstigter war zwar der Kläger, jedoch muss sich dieser ein Verschulden seines Betreuers zurechnen lassen (vgl. dazu ausführlich: SG Aachen, Urteil vom 18.09.2007 - S 20 SO 10/07). Grobe Fahrlässigkeit im Rahmen des Kennenmüssens der Rechtswidrigkeit der Verwaltungsakte liegt dann vor, wenn die in der Personengruppe herrschende Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden ist; der Betreffende muss unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsicht- und Urteilsfähigkeit seine Sorgfaltspflichten in außergewöhnlich hohem Maß verletzt haben (Wiesner in: Schröder/Printzen, SGB X-Kommentar, 3. Auflage 1996, § 45 Rn. 24). In diesem Sinne ist grobe Fahrlässigkeit jedenfalls des Betreuers im Hinblick auf eine Unkenntnis der Rechtswidrigkeit der Verwaltungsakte zu bejahen. Zum einen muss er als Betreuer eines sozialhilfebedürftigen Menschen wie dem Kläger wissen, dass Geldbezüge jeder Art grundsätzlich als Einkommen auf die Sozialhilfe anzurechnen sind. Welcher rechtlichen Qualität ein Geldbezug zukommt und ob er im Einzelfall als Einkommen zu berücksichtigen ist, ist einer rechtlichen Prüfung des Sozialhilfeträgers (und ggf. der Gerichte) vorbehalten. Eine rechtlich fehlerhafte Bewertung des Betreuer hinsichtlich der Berücksichtigungsfähigkeit der Taschengeldzahlungen als Einkommen - wenn sie denn tatsächlich erfolgt wäre - lässt die grobe Fahrlässigkeit in Bezug auf die Kenntnis bzw. Unkenntnis der Rechtswidrigkeit nicht entfallen.
Indem der Betreuer des Klägers den Beklagten nicht zeitnah auf die jeweiligen Taschengeldzahlungen hinwies, hat er die ihm in seiner Funktion als Betreuer obliegenden Mitwirkungspflichten aufs Gröblichste verletzt. Der Beklagte hat daher zurecht in den angefochtenen Bescheiden ausführlich dargelegt und begründet, dass sich der Kläger, der sich das Verhalten seines Betreuers zurechnen lassen muss, nicht auf Vertrauensschutz berufen kann. Auch die vom Beklagten umfassend angestellten Ermessenserwägungen, warum er nicht von der Rücknahme und Rückforderung abgesehen hat, sind nicht zu beanstanden. Sind somit die begünstigenden Verwaltungsakte des Beklagten zurecht - teilweise - aufgehoben worden, sind die erbrachten Leistungen in dem hier allein noch streitbefangenen Umfang von 1.350,00 EUR zu erstatten (§ 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rücknahme der Entscheidung über die Bewilligung von Sozialhilfe für die Zeit vom 01.10.2004 bis 30.06.2009 und die Erstattung von 1.350,00 EUR.
Der am 00.00.0000 geborene Kläger steht seit 2002 unter gerichtlich angeordneter Betreuung des Herrn T ... Dieser beantragte erstmals am 20.01.2003 für den Kläger Leistungen der Grundsicherung (GSi) bei Erwerbsminderung. Der Kläger erhält diese Leistung seit Februar 2004 bis heute, zunächst nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG), ab 01.01.2005 nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Von Oktober 2004 bis Juli 2009 wurde die GSi bewilligt durch - Bescheid vom 21.12.2004 von Februar 2004 bis Dezember 2004, - Bescheid vom 28.12.2004 von Januar 2005 bis Dezember 2005, - Bescheid vom 28.12.2005 von Januar 2006 bis Juni 2006, - Bescheid vom 26.06.2006 von Juli 2006 bis Juni 2007, - Änderungsbescheid vom 20.12.2006 ab Juli 2007, - Bescheid vom 27.06.2007 von Juli 2007 bis Juni 2008, - Bescheid vom 23.06.2008 von Juli 2008 bis Juni 2009, - Änderungsbescheid vom 14.07.2008 ab Juli 2008, - Änderungsbescheid vom 26.09.2008 ab Oktober 2008 und - Änderungsbescheid vom 16.12.2008 ab Januar 2009. Sämtliche - auch früheren - Bescheide waren an den Betreuer des Klägers gerichtet. Die Leistungen wurden auf der Grundlage der Angaben des Klägers (bzw. seines Betreuers) zunächst ohne Einkommensanrechnung, ab Juli 2006 unter Anrechnung von in den Rurtalwerkstätten bezogenem Einkommen bewilligt. Jeder Bescheid enthielt folgende "Allgemeine Hinweise: Nach den für die bewilligten Leistungen maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen sind Sie verpflichtet, alle Änderungen von Tatsachen, die für die Hilfegewährung maßgebend sind, mir unverzüglich mitzuteilen. Hierzu gehören vor allem jede Änderung in den Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnissen, die Aufnahme in ein Krankenhaus bzw. Heim, jeden Wohnungswechsel und auch jede nur vorübergehende Abwesenheit von Ihrem Wohnungsort (z. B. Urlaubsreise)."
Erstmals im Mai 2009 wurde dem Beklagten bekannt, dass der Kläger im April 2009 Taschengeld von 50,00 EUR von seiner Mutter überwiesen bekommen hatte. Auf Anfrage des Beklagten legte der Betreuer eine Liste der erstmals im Oktober 2004 bis April 2009 erfolgten 36 Zahlungen der Mutter wegen Taschengeld, Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld oder Geburtstagsgeld, insgesamt in Höhe von 2.000,00 EUR sowie die Gehaltsabrechnungen der Rurtalwerkstätten ab Dezember 2008 vor.
Nach Anhörung des Klägers nahm der Beklagte durch Bescheid vom 19.06.2006 teilweise die zehn Bewilligungsbescheide für die Zeit vom 01.10.2004 bis 30.06.2009 zurück und forderte die Erstattung überzahlter 2.002,58 EUR. Zur Begründung führte er aus, der Kläger habe die Zahlungen der Mutter und die Gehaltserhöhung nicht mitgeteilt, obwohl er darüber belehrt worden sei, dass er Einkommen und Änderungen hätte angeben müssen; Vertrauensschutz bestehe nicht. Der Beklagte legte die seiner Entscheidung zugrunde gelegten Ermessenserwägungen dar.
Dagegen legte der Kläger am 30.06.2009 Widerspruch ein. Er teilte mit, seit Mai 2009 erfolgten keine Zahlungen der Mutter mehr. Er vertrat die Auffassung, der Vorwurf grob fahrlässigen Handelns sei ihm gegenüber zu Unrecht erhoben worden; er stehe unter dem Einfluss von Psychopharmaka und sei nicht in der Lage, seine Sorgfaltspflichten zu realisieren, geschweige denn, solche zu erfüllen. Er habe nicht nur alle zwei Monate Taschengeld, sondern auch Geldbeträge zu Weihnachten oder zum Geburtstag erhalten, um sich selbst ein Geschenk zu kaufen, oder zweckgebunden für Urlaub. Seine Mutter habe aus verschiedensten Gründen den Kontakt zu ihm nicht gewünscht; weil er sich daran gehalten habe, habe sie aus Dankbarkeit dafür mit den Zuwendungen begonnen.
Durch Widerspruchsbescheid vom 25.02.2010 half der Beklagte dem Widerspruch teilweise ab: er reduzierte die Erstattungsforderung auf 1.352,58 EUR mit der Begründung, die zu besonderen Anlässen überwiesenen Beträge (für Weihnachten, Geburtstag, Urlaub) seien in Höhe von 650,00 EUR unter Härtegesichtspunkten nicht anzurechnen; entsprechend reduziere sich die Überzahlung und die Erstattungsforderung. Im Übrigen wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück: bei den Taschengeldzahlungen handele es sich nicht um zweckgebundene Leistungen; wenn schon keine Unterhaltspflicht, so habe doch eine sittliche Verpflichtung der Mutter bestanden; unabhängig davon stelle die Anrechnung dieses Einkommens keine Härte dar.
Dagegen hat der Kläger am 08.04.2010 Klage erhoben. Er ist der Auffassung, die Taschengeldzahlung beruhe nicht auf einer sittlichen Pflicht; seine Mutter habe die Überweisung letztlich aus Dankbarkeit dafür, dass er zu ihr keinen unmittelbaren Kontakt mehr pflegte, getätigt. Problematische Kindheits- und Jugenderlebnisse mit Prügeleien, Desorientierung und anderem mehr hätten mehrfach in Haus- und Kontaktverboten zur Mutter geendet. Nunmehr seien die Zahlungen der Mutter eingestellt worden.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 19.06.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.02.2010 aufzuheben, soweit dadurch die Entscheidung über die Bewilligung von Sozialhilfe im Umfang von mehr als 2,58 EUR zurückgenommen und die Erstattung eines höheren als dieses Betrages gefordert worden ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er sieht in den Zuwendungen der Mutter an den Kläger eine rechtliche oder jedenfalls sittliche Verpflichtung. Selbst wenn eine solche Verpflichtung der Mutter nicht bestanden habe, stelle die Anrechnung der streitigen Taschengeldzahlungen von 1.350,00 EUR jedenfalls keine Härte dar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten und der Gerichtsakte S 20 SO 64/09 ER und S 20 SO 65/09 ER - SG Aachen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Der Beklagte hat zurecht die Entscheidungen über die Bewilligung von Sozialhilfe für die Zeit vom 01.10.2004 bis 30.06.2009 - gestützt auf § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) - zurückgenommen und die in dieser Zeit zu Unrecht bezogenen Leistungen auch in Höhe der zuletzt allein noch streitbefangenen 1.350,00 EUR gemäß § 50 SGB X zurückgefordert. Denn die Bewilligung und der Bezug der Sozialhilfe waren in diesem Umfang rechtswidrig und von dem Kläger bzw. seinem Betreuer verschuldet, sodass der Kläger keinen Vertrauensschutz für sich in Anspruch nehmen kann, die überzahlten Leistungen behalten zu dürfen.
Der Beklagte durfte die zehn (im Tatbestand aufgelisteten) Sozialhilfebewilligungsbescheide, auch nachdem sie unanfechtbar geworden sind, teilweise zurücknehmen, weil sie insoweit rechtswidrig waren (§ 45 Abs. 1 SGB X). Der Kläger hatte von Oktober 2004 bis Juli 2009 einen um 1.350,00 EUR geringeren Anspruch auf Sozialhilfe (GSi bei Erwerbsminderung) nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Denn die in dieser Höhe von seiner Mutter erhaltenen Taschengeldzahlungen sind Einkommen, die auf den Sozialhilfeanspruch anzurechnen sind (vgl. §§ 43 Abs. 1, 19 Abs.2, 82 ff. SGB XII). Zum Einkommen gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme bestimmter im Gesetz näher bezeichneter Leistungen. Taschengeldzahlungen, wie sie der Kläger von seiner Mutter erhalten hat, sind von der Einkommensanrechnung nicht ausgenommen. Dies gilt auch im Hinblick auf die Vorschrift des § 84 Abs. 2 SGB XII. Danach sollen Zuwendungen, die ein anderer erbringt, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben, als Einkommen außer Betracht bleiben, soweit ihre Berücksichtigung für den Leistungsberechtigten eine besondere Härte bedeuten würde. Die Vorschrift des § 84 Abs. 2 SGB XII bezieht sich auf freiwillige Zuwendungen eines Dritten. Beruht eine Zuwendung auf einer rechtlichen (gesetzlichen oder vertraglichen) oder einer sittlichen Verpflichtung, ist sie stets sozialhilferechtlich anrechenbar. Lediglich dann, wenn die Zuwendung ohne rechtliche oder sittliche Verpflichtung - mithin freiwillig - erfolgt, soll sie als Einkommen unberücksichtigt bleiben, wenn ihre Berücksichtigung für den Leistungsberechtigten eine besondere Härte bedeuten würde. Die Zahlungen der Mutter, unabhängig davon, ob sie zweckgebunden für Weihnachten, Urlaub oder zum Geburtstag oder ob sie lediglich als "Taschengeld" erfolgten, dienten nicht der Erfüllung einer Unterhaltspflicht; unter den vom Kläger glaubhaft geschilderten Umständen ist auch nicht erkennbar, dass sie aus einer sonstigen rechtlichen oder sittlichen Verpflichtung der Mutter heraus geleistet wurden. Die Mutter hat ihrem Sohn das Geld - mehr oder weniger "freiwillig" - deshalb gegeben, weil und damit er keinen Kontakt mehr mit ihr aufnahm. In der Vergangenheit waren Besuche des Klägers bei seiner Mutter oftmals eskaliert und hatten zu Hausverboten geführt; solche "Besuche" hatten die Mutter nervlich stark belastet. Letztlich aus "Dankbarkeit" dafür, dass er ihrer Bitte nach kam, zu ihr keinen unmittelbaren Kontakt mehr zu pflegen, überwies sie dem Kläger das Geld. Dieses Geld bei seinem Sozialhilfeanspruch als Einkommen zu berücksichtigen, bedeutet jedoch für den Kläger als Leistungsberechtigten keine Härte. Die Zahlungen hatten ihren Grund in dem unsozialen belästigenden Verhalten des Klägers seiner Mutter gegenüber. Würde man die als "Gegenleistung" für "Nichtkontakt" überwiesenen Taschengeldbeträge als Einkommen unberücksichtigt lassen mit der Begründung, die dadurch bedingte Minderung der Sozialhilfe würde eine Härte für den Kläger darstellen, so hieße dies, sein Verhalten gegenüber der Mutter, das diese zu den Zahlungen bewogen hat, nachträglich noch zu honorieren. Dies wäre absurd. Wenn er letztlich durch sein negatives Verhalten gegenüber der Mutter zu diesen Geldbeträgen gelangt ist, stellt es jedenfalls für ihn keine Härte dar, die aus Steuermitteln finanzierte Sozialhilfe um diese Beträge zu mindern.
Der Beklagte war auch berechtigt, die Bewilligungsentscheidungen mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, weil sich der Kläger nicht auf Vertrauensschutz berufen kann. Denn die begünstigenden Verwaltungsakte des Beklagten beruhten auf Angaben, die der Kläger bzw. sein Betreuer grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht haben; soweit sie die Rechtswidrigkeit der Verwaltungsakte nicht kannten, beruht dies jedenfalls auf grober Fahrlässigkeit (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nrn. 2 und 3 SGB X). Die Bewilligung und der Bezug der GSi-Leistung in Höhe der streitbefangenen 1.350,00 EUR beruhten nämlich darauf, dass der Kläger bzw. sein Betreuer die Taschengeldzahlungen nicht dem Beklagten mitgeteilt hat. Dass solche Geldzahlungen anzugeben waren, hätten der Kläger bzw. sein Betreuer jedenfalls aus den allgemeinen Hinweisen, die in jedem Bewilligungsbescheid enthalten waren, erkennen können. Dass die Zahlung der Taschengeldbeträge den Anspruch auf Sozialhilfe beeinflusst bzw. beeinflussen kann, musste zumindest der Betreuer des Klägers wissen. Er hat die GSi-Leistung beantragt; als Betreuer darf man bei ihm die Kenntnis von der Anrechnung von Einkommen auf die Sozialhilfe erwarten. Wenn er diese Kenntnis nicht hatte und ihm deshalb nicht bewusst war, dass die Bewilligung und Zahlung der Sozialhilfe ohne Anrechnung der Taschengeldzahlungen rechtswidrig war, ist dies zumindest grob fahrlässig. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 2. Halbsatz SGB X). Begünstigter war zwar der Kläger, jedoch muss sich dieser ein Verschulden seines Betreuers zurechnen lassen (vgl. dazu ausführlich: SG Aachen, Urteil vom 18.09.2007 - S 20 SO 10/07). Grobe Fahrlässigkeit im Rahmen des Kennenmüssens der Rechtswidrigkeit der Verwaltungsakte liegt dann vor, wenn die in der Personengruppe herrschende Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden ist; der Betreffende muss unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsicht- und Urteilsfähigkeit seine Sorgfaltspflichten in außergewöhnlich hohem Maß verletzt haben (Wiesner in: Schröder/Printzen, SGB X-Kommentar, 3. Auflage 1996, § 45 Rn. 24). In diesem Sinne ist grobe Fahrlässigkeit jedenfalls des Betreuers im Hinblick auf eine Unkenntnis der Rechtswidrigkeit der Verwaltungsakte zu bejahen. Zum einen muss er als Betreuer eines sozialhilfebedürftigen Menschen wie dem Kläger wissen, dass Geldbezüge jeder Art grundsätzlich als Einkommen auf die Sozialhilfe anzurechnen sind. Welcher rechtlichen Qualität ein Geldbezug zukommt und ob er im Einzelfall als Einkommen zu berücksichtigen ist, ist einer rechtlichen Prüfung des Sozialhilfeträgers (und ggf. der Gerichte) vorbehalten. Eine rechtlich fehlerhafte Bewertung des Betreuer hinsichtlich der Berücksichtigungsfähigkeit der Taschengeldzahlungen als Einkommen - wenn sie denn tatsächlich erfolgt wäre - lässt die grobe Fahrlässigkeit in Bezug auf die Kenntnis bzw. Unkenntnis der Rechtswidrigkeit nicht entfallen.
Indem der Betreuer des Klägers den Beklagten nicht zeitnah auf die jeweiligen Taschengeldzahlungen hinwies, hat er die ihm in seiner Funktion als Betreuer obliegenden Mitwirkungspflichten aufs Gröblichste verletzt. Der Beklagte hat daher zurecht in den angefochtenen Bescheiden ausführlich dargelegt und begründet, dass sich der Kläger, der sich das Verhalten seines Betreuers zurechnen lassen muss, nicht auf Vertrauensschutz berufen kann. Auch die vom Beklagten umfassend angestellten Ermessenserwägungen, warum er nicht von der Rücknahme und Rückforderung abgesehen hat, sind nicht zu beanstanden. Sind somit die begünstigenden Verwaltungsakte des Beklagten zurecht - teilweise - aufgehoben worden, sind die erbrachten Leistungen in dem hier allein noch streitbefangenen Umfang von 1.350,00 EUR zu erstatten (§ 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Aus
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