L 3 U 297/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 69 U 317/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 297/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 22. April 2008 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten höheres Verletztengeld ab dem 19. Dezember 2001 und die Weitergewährung dieses höheren Verletztengelds über den 21. Mai 2002 hinaus aufgrund einer Wiedererkrankung an den Folgen eines am 14. Juli 1975 erlittenen Arbeitsunfalls.

Der 1944 geborene Kläger war am 14. Juli 1975 in seiner damals versicherten Tätig-keit als Kellner in einem Lokal in L versehentlich von einem Arbeitskollegen gegen 1:20 Uhr im ersten Stock des Gasthauses eingeschlossen worden und aus einer Höhe von 4,50 Metern auf den unter ihm liegenden gepflasterten Fußweg gesprungen, um sich zu befreien. Hierbei erlitt er eine beidseitige Calcaneus (Fersenbein)-Fraktur, die in der Folge zur Versteifung beider unterer Sprunggelenke und zu arthrotischen Ver-änderungen an den Mittelfußgelenken führte.

Die beklagte Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten – Beklagte – er-kannte mit Bescheid vom 26. November 1996 den Unfall als Arbeitsunfall an und ge-währte dem Kläger unter Berücksichtigung eines Gutachtens von Dr. M vom 23. Ok-tober 1996 eine Verletztenteilrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v. H. unter Anerkennung folgender Unfallfolgen: "Nach unter Verformung knö-chern fest verheilten Fersenbeintrümmerbrüchen mit Abflachung der Tubergelenkwin-kel bis auf 20° beidseits, Versteifung der unteren Sprunggelenke, traumatisch beding-te arthrotische Veränderungen an den Mittelfußgelenken und mäßige Bewegungsein-schränkungen in den oberen Sprunggelenken beidseits".

Seit 1992 war der Kläger bis zur Abmeldung des Gewerbes zum 28. März 2002 in dem Gewerbezweig Holz- und Bautenschutz als Unternehmer selbständig tätig und bei der Bau-Berufsgenossenschaft Hannover (Bau-BG) als Unternehmer versichert. Im Rahmen seiner unternehmerischen Tätigkeit erlitt der Kläger immer wieder kleinere Unfälle durch Umknicken/Ausrutschen/Abrutschen, die jeweils zu Distorsionen der oberen Sprunggelenke bzw. der Knöchel führten. Die insoweit zuständige Bau-BG gewährte dem Kläger für Zeiten der hierdurch jeweils bedingten Arbeitsunfähigkeit (AU) Verletztengeld auf der Grundlage einer satzungsgemäßen Versicherungssumme (Jahresarbeitsverdienst). Nach folgenlosem Ausheilen der Bagatellunfälle trat z. T. Behandlungsbedürftigkeit und AU aufgrund der durch den Altunfall vom 14. Juli 1975 entstandenen Veränderungen ein, die als Wiedererkrankung angesehen und durch die insoweit zuständige Beklagte entschädigt wurden.

Der Kläger erlitt am 05. Oktober 2001 als bei der Bau-BG versicherter Unternehmer einen Arbeitsunfall, indem er sich während seiner Arbeit wiederum eine Distorsion des rechten oberen Sprunggelenks zuzog.

Nach den Feststellungen des von der Beklagten beauftragten Facharztes für Chirurgie Dr. G waren die Verletzungen auf Grund des Unfalls vom 05. Oktober 2001 mit Ablauf des 18. Dezember 2001 ausgeheilt (Stellungnahmen vom 18. Dezember 2001 und vom 08. Januar 2002). Im kernspintomographischen Befund vom 21. Dezember 2001 seien keine frischen Unfallfolgen mehr nachweisbar gewesen. Die über den 18. De-zember 2001 hinaus geklagten belastungsabhängigen Schmerzen im Bereich des rechten Fußes seien auf den Arbeitsunfall vom Juli 1975 zurückzuführen.

Während der entsprechend den Stellungnahmen des Dr. G anerkannten Zeit der un-fallbedingten AU vom 05. Oktober 2001 bis zum 18. Dezember 2001 bezog der Kläger von der Bau-BG auf Grund des dort versicherten Mindest-Jahresarbeitverdiensts Ver-letztengeld in Höhe von 49,08 EUR kalendertäglich.

Die Beklagte holte wegen der weiterhin geklagten Beschwerden ein Zusammen-hangsgutachten von Prof. Dr. E vom 21. Mai 2002 ein, auf das wegen der Einzelhei-ten Bezug genommen wird. Der Gutachter kam nach körperlicher Untersuchung des Klägers zu den Diagnosen einer Fehlstellung beider Calcanei, einer annähernden Versteifung der unteren Sprunggelenke beidseits aufgrund des erlittenen Trümmer-bruchs, einer Arthrose im oberen Sprunggelenk mit Bewegungseinschränkung auf-grund der Fehlstellung beidseits und einer beginnenden Arthrose im talonavikulären Gelenk beidseits. Die geschilderten chronischen Beschwerden seien glaubhaft, es bestehe die Notwendigkeit, orthopädisches Schuhwerk mit Einlagen zu tragen. Trotz dieser Gesundheitsstörungen sei nach dem 21. Mai 2002 eine weitere AU aufgrund des Arbeitsunfalls vom Juli 1975 nicht festzustellen. Vielmehr habe der Kläger ab die-sem Zeitpunkt weiter unter den Gesundheitsstörungen gelitten, die auch vor dem Ar-beitsunfall vom 05. Oktober 2001 bestanden und die auch damals einer Erwerbstätig-keit nicht entgegengestanden hätten.

Mit Bescheid vom 13. Februar 2002, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 17. April 2002, bewilligte die Beklagte Verletztengeld als Vorschuss auf der Grundlage eines Mindest-Jahresarbeitsverdiensts von 16.422,23 EUR i. H. v. kalendertäglich 36,65 EUR. Zur Gewährung als Vorschuss führte sie sinngemäß aus, dass der Kläger einen Steuerbescheid über den Verdienst im Jahr 2000 noch nicht vorgelegt habe.

Mit seiner hiergegen zum Sozialgericht (SG) Berlin erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, dass der Verletztengeldberechnung für die Wiedererkrankung derselbe Jahresarbeitsverdienst zugrunde gelegt werden müsse, den auch die Bau-BG der Verletztengeldzahlung bis zum 18. Dezember 2001 zugrunde gelegt habe, nämlich 43.200,00 DM (für 2001) und 28.140,00 EUR (für 2002). Er beziehe sich auf die Vorschrift des § 47 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII). Das Verletztengeld sei zudem über den 21. Mai 2002 hinaus zu gewähren, da seine behandelnden Ärzte K und S ihn auch über diesen Zeitraum als arbeitsunfähig beurteilt hätten. Auf das Zu-sammenhangsgutachten des Prof. Dr. E komme es nicht an.

Während des laufenden Klageverfahrens hat die Beklagte mit Bescheid vom 28. No-vember 2002, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2003, das Ver-letztengeld entsprechend der dem Vorschuss zugrunde liegenden Berechnung mit 35,65 EUR kalendertäglich endgültig festgesetzt. Zur Begründung hat sie ergänzend aus-geführt, dass auch nach Vorlage des Einkommensteuerbescheids für das Jahr 2000 keine andere Entscheidung möglich sei. In diesem Jahr habe der Kläger ein steuer-pflichtiges Einkommen von 21.200,00 DM (= 10.839,38 EUR) erzielt, so dass die Berück-sichtigung des Mindest-Jahresarbeitsverdiensts nicht zu beanstanden sei.

In seiner, von der Beklagten auf Anforderung des SG vorgelegten ergänzenden Stel-lungnahme vom 17. Oktober 2007 zum Ende der AU des Klägers am 21. Mai 2002 ist Prof. Dr. E bei seiner im Gutachten vom 21. Mai 2002 vertretenen Auffassung verblie-ben.

Der Aufforderung des SG, den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2001 vorzu-legen, ist der Kläger nicht gefolgt. Bereits vor dem Unfall am 05. Oktober 2001 habe er keinen Gewinn mehr erzielt.

Mit Gerichtsbescheid vom 22. April 2008 hat das SG die Klage abgewiesen und aus-geführt, das nach der Vorschrift des § 47 Abs. 1 SGB VII zu berechnende Verletzten-geld sei grundsätzlich nach der Höhe des Arbeitsentgelts oder Einkommens ggfs. in Verbindung mit einem in der Satzung festgelegten Mindest-Jahresarbeitverdienst zu gewähren. Der Kläger berufe sich zu Unrecht auf die Vorschrift des § 47 Abs. 4 SGB VII, da diese nur die Fallgestaltungen betreffe, bei denen der Versicherte vor dem Ein-tritt des Versicherungsfalls kein Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen, sondern Kran-kengeld oder eine ähnliche Leistung bezogen habe. In diesen Fällen brauche der Un-fallversicherungsträger keine eigene Berechnung seiner Leistung durchzuführen, son-dern könne im Hinblick auf das Regelentgelt auf die Berechnung des davor zuständi-gen Trägers zurückgreifen. Diese Vorschrift sei vorliegend nicht einschlägig, da der Kläger weder vor dem Versicherungsfall vom Juli 1975, noch vor dem Versicherungs-fall vom 05. Oktober 2001 Krankengeld, Verletztengeld oder Ähnliches bezogen habe. Der Bezug von Verletztengeld habe hier erst nach dem Arbeitsunfall vom 05. Oktober 2001 eingesetzt. Damit sei auf die Vorschrift des § 48 SGB VII zurückzugreifen. Hiernach gälten im Fall der Wiedererkrankung an den Folgen eines Versicherungsfalls die §§ 45 bis 47 SGB VII mit der Maßgabe, dass anstelle des Zeitpunkts der ersten AU auf den Zeitpunkt der Wiedererkrankung abzustellen sei. Nach den überzeugenden Ausführungen des Dr. G stehe fest, dass die Distorsion, die der Kläger sich am 05. Oktober 2001 zuge-zogen habe, am 18. Dezember 2001 ausgeheilt gewesen sei. Ab dem 19. Dezember 2001 seien die Folgen des Arbeitsunfalls vom 14. Juli 1975 in den Vordergrund getre-ten und hätten weiter AU verursacht, die die hiesige Beklagte zu entschädigen habe. Dafür sei auf die für sie geltenden Vorschriften und nicht auf die bei der Bau-BG gel-tenden Mindest-Jahresarbeitsverdienste abzustellen. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf die Gewährung von Verletztengeld über den 21. Mai 2002 hinaus, wie sich aus dem überzeugenden Gutachten des Prof. Dr. E, welches auf einer Untersuchung des Klägers am 21. Mai 2002 beruhe, ergebe. Nach dem Gutachten sei eine weitere AU nicht festzustellen. Die Distorsion vom 05. Oktober 2001 sei ausgeheilt und eine Verschlimmerung der Folgen des Unfalls vom Juli 1975 ab dem 21. Mai 2002 nicht erkennbar gewesen, so dass beim Kläger jeden-falls ab diesem Zeitpunkt wieder Arbeitsfähigkeit bestanden habe. Es bestehe daher kein Anlass, Verletztengeld über diesen Zeitpunkt hinaus zu erbringen. Soweit die be-handelnden Ärzte darüber hinaus AU attestiert hätten, sei diese Feststellung auf Grund des Gutachtens des Prof. Dr. E vom 21. Mai 2002 und seiner ergänzenden Stellungnahme im SG-Verfahren widerlegt.

Mit seiner hiergegen bei dem Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg einge-legten Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 22. April 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 28. November 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2003 zu verurteilen, ihm unter Zugrundelegung der für ihn bei der Bau-Berufsgenossenschaft Han-nover für die Jahre 2001 und 2002 geltenden Mindest-Jahresarbeitverdienste Verletztengeld in Höhe von 49,08 EUR kalendertäglich im Jahr 2001und 62,54 EUR kalendertäglich im Jahr 2002 ab dem 19. Dezember 2001 und über den 21. Mai 2002 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung ist der Kläger nicht erschienen und auch nie-mand für ihn.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Be-klagten (insgesamt 14 Bände) und auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Ak-ten des Sozialgerichts Berlin (S 69 U 240/99 = L 2 U 60/99, S 68 U 407/04 [=S 68 U 515/08], S 68 U 64/03), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte entscheiden, obwohl der unvertretene Kläger nicht zum Termin zur mündlichen Verhandlung erschienen ist, denn er ist mit ordnungsgemäß erfolgter La-dung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch unbe-gründet.

Dem Kläger steht, wie das SG mit seinem Gerichtsbescheid vom 22. April 2008 zutref-fend entschieden hat, ein Anspruch auf Gewährung eines höheren Verletztengelds unter Zugrundelegung der für ihn bei der Bau-BG für die Jahre 2001 und 2002 gelten-den Mindest-Jahresarbeitverdienste nicht zu. Er hat auch keinen Anspruch auf Wei-tergewährung des Verletztengelds über den 21. Mai 2002 hinaus.

Gegenstand des Klageverfahrens ist der Bescheid vom 28. November 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 21. Januar 2003, mit welchem die Beklagte die Verletztengeldzahlung endgültig festgesetzt hat und der den vorangegangenen und vom Kläger angegriffenen Bescheid über die vorläufige Bewilligung von Verletz-tengeld vom 13. Februar 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. April 2002 ersetzt hat (§ 96 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Anwendbar sind vorliegend die Regelungen des SGB VII. Dies folgt aus § 214 Abs. 1 Satz 1 SGB VII, wonach die Vorschriften des Ersten und Fünften Abschnitts des Drit-ten Kapitels des SGB VII auch für Versicherungsfälle gelten, die - wie hier - vor dem In-Kraft-Treten des SGB VII am 01. Januar 1997 eingetreten sind. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bilden gemäß § 214 Abs. 1 Satz 2 SGB VII nur Leistungen der Heilbehandlung und zur Teilhabe am Arbeitsleben, die vor dem In-Kraft-Treten des Gesetzes bereits in Anspruch genommen worden sind. Zu diesen Leistungen zählt aber nicht das Verletztengeld (vgl. LSG Berlin, Urteil vom 23. Februar 2004, L 16 U 41/03, in juris, mit Hinweis auf Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 05. März 2002, B 2 U 13/01 R, in SozR 3-2200 § 561 Nr. 1).

Nach § 45 SGB VII wird Verletztengeld u. a. dann erbracht, wenn Versicherte infolge des Versicherungsfalls arbeitsunfähig sind und sie unmittelbar vor Beginn der AU An-spruch auf Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen, Krankengeld, Verletztengeld, Versor-gungskrankengeld, Übergangsgeld, Unterhaltsgeld, Kurzarbeitergeld, Winterausfall-geld, Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Mutterschaftsgeld hatten. Diese Vor-aussetzungen sind hier erfüllt, da der Kläger infolge eines Arbeitsunfalls vom 14. Juli 1975 (Versicherungsfall) arbeitsunfähig gewesen ist und unmittelbar vor Beginn der AU Arbeitseinkommen erzielt hat bzw. Verletztengeld bezogen hat. Dass er dieses als selbständiger Unternehmer erzielt hat und dass es rechtlich einen "Anspruch auf Ar-beitseinkommen" – wie im Gesetz formuliert - nicht gibt, ist unschädlich, weil die Vor-schrift nach ihrem Wortlaut das "Haben eines Anspruchs auf Arbeitsentgelt" dem "Ha-ben von Arbeitseinkommen" gleichstellt.

Zwar war der Kläger zunächst arbeitsunfähig aufgrund des Arbeitsunfalls vom 05. Ok-tober 2001, für den nicht die Beklagte, sondern die Bau-BG einstandspflichtig ist. Un-ter Berücksichtigung der medizinischen Ermittlungen (Stellungnahmen des Dr. G vom 18. Dezember 2001 und vom 08. Januar 2002, Feststellungen der Unfallbehandlungs-stelle [Dr. H vom 05. November 2001], kernspintomographische Untersuchung vom 21. Dezember 2001), auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, waren die über den 18. Dezember 2001 hinaus geklagten Beschwerden jedoch nicht mehr als Folgen des Unfalls vom 05. Oktober 2001 anzusehen. Vielmehr beruhten diese auf den nach den ärztlichen Feststellungen bereits vor dem Unfallereignis vom 05. Okto-ber 2001 aufgrund des im Jahre 1975 erlittenen Unfalls bestehenden Veränderungen im Sinne einer Wiedererkrankung und bedingten nunmehr die AU. Für den Unfall vom 14. Juli 1975 ist jedoch die Beklagte eintrittspflichtig, was unter den Beteiligten auch nicht streitig ist.

Nach § 48 SGB VII gelten im Fall einer Wiedererkrankung an Unfallfolgen für das Ver-letztengeld die §§ 45 bis 47 mit der Maßgabe, dass anstelle des Zeitpunkts der ersten AU auf denjenigen der Wiedererkrankung abgestellt wird. Da sich der Versichertensta-tus des Klägers, der zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls (hier: 14. Juli 1975) Arbeit-nehmer, zum Zeitpunkt der Wiedererkrankung (hier: 19. Dezember 2001) dagegen selbständiger Maurer war, geändert hat, berechnet sich hier das Verletztengeld nach § 47 Abs. 1 Satz 2 SGB VII analog (vgl. Lauterbach, Unfallversicherung, § 48 SGB VII Rdnr. 8 ff.; Hauck, SGB VII, § 48 Rdnr. 8). Nicht anwendbar ist § 47 Abs. 5 SGB VII, da die Wiedererkrankung des Klägers durch den Unfall, den er als Kellner erlitten hat, bedingt war und nicht durch seine selbständige Tätigkeit. Ebensowenig anwendbar ist § 47 Abs. 4 SGB VII; insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des SG im Ge-richtsbescheid vom 22. April 2008 (Seiten 4 und 5) Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 SGB VII erhalten Versicherte, die Arbeitsentgelt oder Ar-beitseinkommen erzielt haben, Verletztengeld entsprechend § 47 Abs. 1 und 2 Sozial-gesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) mit der Maßgabe, dass das Regelentgelt aus dem Gesamtbetrag des regelmäßigen Arbeitsentgelts und des Arbeitseinkommens des Versicherten in dem der AU unmittelbar vorangehenden Bemessungszeitraum zu be-rechnen und bis zu einem Betrag in Höhe des 360. Teils des Höchstjahresarbeitsver-dienstes zu berücksichtigen ist (§ 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. §§ 81, 82 SGB VII). Das Verletztengeld beträgt 80 v. H. des Regelentgelts und darf das in Anwendung von § 47 Abs. 2 SGB V berechnete Nettoarbeitsentgelt nicht übersteigen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VII). Nach § 47 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist das Arbeitseinkommen bei der Ermittlung des Regelentgelts mit dem 360. Teil des im Kalenderjahr vor Beginn der AU erzielten Einkommens zugrunde zu legen. § 47 Abs. 1 Satz 2 SGB VII trifft inso-weit eine Sonderregelung zur Bestimmung des für die Berechnung des Regelentgelts maßgeblichen Arbeitseinkommens (vgl. BSG, Urteil vom 05. März 2002, B 2 U 13/01 R, in juris). Einschlägig für die Bestimmung des Begriffs "Arbeitseinkommen" ist - weil nicht im SGB VII definiert - § 15 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV), wonach Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvor-schriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus selbstständiger Tätigkeit ist (vgl. BSG, Urteil vom 10. Mai 2007, B 10 LW 7/05 R, in SozR 4-5868 § 3 Nr. 2). Die "allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts" beziehen sich u. a. auf den Gewinnermittlungszeitraum, das Wirtschaftsjahr. Dieses ist in der Regel mit dem Kalenderjahr identisch, denn nach § 2 Abs. 7 Einkommensteuergesetz (EStG) ist die Einkommensteuer eine Jahressteuer. Die Grundlagen für ihre Festset-zung - also auch für den nach der genannten Vorschrift zu ermittelnden Gewinn - sind jeweils für ein Kalenderjahr, den Veranlagungszeitraum (§ 25 EStG), zu ermitteln, mit dessen Ablauf die Steuerschuld entsteht (§ 36 Abs. 1 EStG).

Nach diesen Grundsätzen erfolgt die Berechnung des Verletztengelds für den Kläger, der nicht Arbeitsentgelt (vgl. § 14 SGB IV), sondern Arbeitseinkommen aus selbstän-diger Tätigkeit (vgl. § 15 SGB Abs. 1 Satz 1 SGB IV) erzielt hat, nach § 47 Abs. 1 Satz 2 SGB VII grundsätzlich unter Berücksichtigung des Gewinns, den der Kläger im letz-ten, vor Beginn der AU abgerechneten Entgeltzeitraum, also im Jahr 2000, erzielt hat. Dieser betrug jedoch ausweislich des vorliegenden Einkommensteuerbescheids vom 31. Oktober 2002 lediglich 21.200,00 DM (= 10.839,38 EUR). Ausgehend von einem Jah-reseinkommen von 10.839,38 EUR ergibt sich als Regelentgelt (der 360. Teil) ein Betrag von (aufgerundet) 30,11 EUR und als kalendertägliches Verletztengeld (80 v. H. des Re-gelentgelts) ein Betrag von (aufgerundet) 24,09 EUR. Demzufolge steht dem Kläger ein höheres als das von der Beklagten bewilligte Verletztengeld nicht zu.

Daher brauchte der Senat nicht abschließend zu entscheiden, ob die von der der Be-klagten vorgenommene günstigere Berechnung nach § 47 Abs. 1 Satz 3 SGB VII i. V. m. § 35 Abs. 4 und 5 ihrer zum 01. Oktober 1997 in Kraft getretenen Satzung recht-mäßig war. § 35 Abs. 4 und 5 der Satzung erfasst Fälle der Berechnung des Regel-entgelts bei nicht kontinuierlicher Arbeitsverrichtung und –vergütung, also bei erhebli-chen Unregelmäßigkeiten oder Schwankungen der Arbeitsleistung, ihrer Dauer und der Entgeltzahlungen. In diesen Fällen werden für die Berechnung die Verhältnisse aus den letzten drei vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Entgeltabrech-nungszeiträumen zugrunde gelegt. In § 35 Abs. 5 ist darüber hinaus bestimmt, dass dann, wenn das nach Abs. 4 berechnete Regelentgelt nicht der Ersatzfunktion des Verletztengelds und der Stellung des Verletzten im Erwerbsleben entspricht, es nach billigem Ermessen festzustellen ist, wobei insbesondere die Fähigkeiten, die Ausbil-dung, die Lebensstellung und die Tätigkeit des Versicherten vor und nach dem Zeit-punkt des Versicherungsfalls berücksichtigt werden. Der in § 35 Abs. 4 und 5 der Sat-zung der Beklagten geregelte Fall nicht kontinuierlicher Arbeitsverrichtung und –vergütung liegt indes beim Kläger nicht vor. Vergütungsschwankungen konnten bei seiner selbständigen Tätigkeit allenfalls durch unter dem Jahr unregelmäßig einge-hende Zahlungen seiner Kunden vorkommen, was jedoch – da für die Berechnung des Verletztengelds auf seinen vorangegangenen Jahresgewinn abgestellt wird – in-soweit nicht von Sinn und Zweck des § 47 Abs. 1 Satz 3 SGB VII erfasst wird.

Die von der Beklagten offensichtlich zu Gunsten des Klägers herangezogene Härte-fallregelung des § 35 Abs. 5 der Satzung, deren Voraussetzungen an und für sich we-gen der hier nicht möglichen Anwendung von Abs. 4 nicht vorliegen, begünstigt den Kläger jedenfalls. Denn es ist nicht ersichtlich, dass eine Berechnung des Verletzten-gelds nach § 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB VII unter Zugrundelegung des Jahresge-winns 2000, der im Wesentlichen die Lebensverhältnisse des Klägers bestimmt hat, nicht der Ersatzfunktion des Verletztengelds und der Stellung des Klägers im Erwerbs-leben entsprochen hätte, wie dies § 35 Abs. 5 der Satzung sicher stellen will. Die Ent-scheidung der Beklagten, die Härtefall-Regelung des § 35 Abs. 5 der Satzung anzu-wenden, war ersichtlich dem Umstand geschuldet, dass der Kläger zuvor von der Bau-BG ein höheres Verletztengeld bezogen hatte und ein zu radikales Absinken der Verletztengeldzahlungen vermieden werden sollte. Gesetzlich geboten war sie – wie ausgeführt – nicht gewesen. Der Kläger hat auch nicht dargetan, dass mit dem ge-währten Zahlbetrag keine Mindestsicherung seines Lebensstandards mehr gewähr-leistet war. Zur Problematik sehr geringer Arbeitseinkommen aus selbständiger Tätig-keit als Grundlage für die Berechnung des Verletztengelds wird auf die aktuelle Recht-sprechung des BSG (Urteil vom 30. Juni 2009, B 2 U 25/08 R, in juris) hingewiesen, der verfassungsrechtliche Bedenken mit Blick auf die Funktion des Verletztengelds nicht zu entnehmen sind.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Gewährung von Verletztengeld über den 21. Mai 2002 hinaus. Der Senat schließt sich insoweit nach eigener Prüfung der Beur-teilung im Gutachten des Prof. Dr. E an, der nach eingehender Untersuchung des Klägers am 21. Mai 2002 festgestellt hat, dass eine weitere AU über den 21. Mai hin-aus nicht festzustellen sei. Zwar seien die weiterhin geschilderten Beschwerden glaubhaft, jedoch sei der Kläger ausreichend mit orthopädischem Schuhwerk mit Ein-lagen versorgt. Er habe sich zügig entkleidet, den Einbeinstand und Zehenspitzen-gang beidseits demonstrieren können und keine Gehhilfe benutzt. Im Bereich der Sprunggelenke sei kein Druckschmerz auslösbar, es bestünden keine pathologischen Reflexe oder Sensibilitätsstörungen, keine motorischen Schwächen, die Muskulatur der Beine sei beidseits gleichermaßen ausgebildet. Der Kläger habe ab diesem Zeit-punkt weiter unter den Gesundheitsstörungen zu leiden gehabt, die auch vor dem Ar-beitsunfall vom 05. Oktober 2001 bestanden und die auch damals einer Erwerbstätig-keit nicht entgegengestanden hätten. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammen-hang auch, dass der Angabe des Klägers, er traue sich zurzeit (21. Mai 2002) Arbei-ten auf der Baustelle aufgrund der Beschwerden nicht zu, der Umstand entgegen steht, dass er sein Gewerbe bereits zum 28. März 2002 abgemeldet hatte. Soweit die behandelnden Ärzte S und S weiterhin AU attestiert haben, lässt sich der Bescheini-gung vom 30. Mai 2002 außer den bekannten Diagnosen kein neuer Befund entneh-men, der eine fortbestehende AU begründen könnte und der im Gutachten von Prof. Dr. E nicht gewürdigt worden wäre.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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