Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 (9) AL 107/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AL 125/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 19. Juni 1998 wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, daß der Tenor wie folgt neu gefaßt wird: Der Bescheid der Beklagten vom 03. Juli 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01. September 1997 wird unter Einbeziehung des Bescheides vom 14.10.1997 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld für 312 Leistungstage bereits ab dem 03. Mai 1997 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Beklagte hat auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Umstritten ist, ob dem Kläger bereits ab dem 03.05.1997 statt ab dem 22.09.1997 Arbeitslosengeld für 312 Leistungstage zu gewähren ist.
Der am ... geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und mit einer Deutschen verheiratet. Vom 03.04.1991 bis zum 30.04.1997 arbeitete er als Textilglasarbeiter bei der Firma V ...-D ... GmbH in H ... Der Wohnsitz des Klägers befand sich zum Zeitpunkt der Kündigung und bis zum 18.09.1997 in L. in den Niederlanden an der Grenze zu Deutschland.
Am 17.04.1997 meldete der Kläger sich arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 03.07.1997 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe seinen Wohnsitz nicht im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuches Erstes Buch (SGB I), weshalb ihm gemäß § 30 Abs. 1 SGB I ein Leistungsanspruch nicht zustehe. Da der Kläger türkischer Staatsangehöriger sei, finde die EWG-Verordnung (EWGV) Nr. 1408/71 auf ihn keine Anwendung.
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, türkische Staatsangehörige seien aufgrund des Assoziierungsabkommens zwischen der EG und der Türkei hinsichtlich der Gewährung von Leistungen für Arbeitslose mit Bürgern der Europäischen Gemeinschaft gleichzustellen. Einem EG-Bürger stehe aufgrund der EWGV Nr. 1408/71 Arbeitslosengeld trotz Wohnsitzes in den Niederlanden zu. Dies müsse auch für ihn gelten. Mit Widerspruchsbescheid vom 01.09.1997 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Eine Gleichstellung des Klägers mit Bürgern der Europäischen Gemeinschaft käme auch unter Berücksichtigung der Assoziierungsabkommens zwischen der EG und der Türkei nicht in Betracht.
Am 22.09.1997 zeigte der Kläger an, daß er seit dem 18.09.1997 im Bundesgebiet wohne. Mit Bescheid vom 14.10.1997 bewilligte die Beklagte dem Kläger daraufhin Arbeitslosengeld für 312 Tage beginnend ab dem 22.09.1997. Die Beklagte zahlte ab diesem Zeitpunkt Arbeitslosengeld in Höhe von 321,60 DM pro Woche an den Kläger. Diesen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat der Kläger bis zum 20.09.1998 ausgeschöpft. Im Anschluß hieran ist ihm vom 21.09.1998 bis zum 01.08.1999 Arbeitslosenhilfe zuerkannt worden. Seit dem 02.08.1999 bis heute bezieht der Kläger Unterhaltsgeld.
Am 02.10.1997 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Aachen Klage gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid vom 01.09.1997 erhoben. Er hat geltend gemacht, ihm stehe Arbeitslosengeld ab Eintritt der Arbeitslosigkeit bis zu seinem Zuzug in die Bundesrepublik zu. Er hat seinen Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und ergänzend vorgetragen, daß er mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet sei. Auch deshalb könne er sich auf die EWGV Nr. 1408/71 stützen.
Vor dem Sozialgericht hat der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 03.07.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.09.1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat an ihrer Auffassung festgehalten, daß der Kläger während der Dauer seines Wohnsitzes in den Niederlanden als türkischer Staatsangehöriger keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld gegenüber dem deutschen Leistungsträger habe.
Mit Urteil vom 19.06.1998 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben, den Bescheid vom 03.07.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.09.1997 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger erfülle alle Voraussetzungen für die Zahlung von Arbeitslosengeld nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Der Wohnsitz in den Niederlanden stehe der Gewährung ungeachtet von § 30 Abs. 1 SGB I nicht entgegen. Der Anspruch sei gemäß Art. 71 Abs. 1 Buchstabe b und i der EWGV Nr. 1408/71 begründet. Der Kläger könne aufgrund von Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates, der auf das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der EWG und der Türkei gestützt sei (ARB 3/80), Gleichbehandlung mit Bürgern der Europäischen Gemeinschaft beanspruchen. Wegen der genauen Begründung wird auf den Inhalt des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Gegen dieses der Beklagten am 16.07.1998 zugestellte Urteil richtet sich deren am 03.08.1998 eingegangenen Berufung. Zur Begründung führt die Beklagte aus: Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld sei nur für Personen gegeben, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des SGB I hätten. Nach § 30 Abs. 2 SGB I blieben Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechtes hiervon unberührt. Die Anwendung der Regelungen der EWGV Nr. 1408/71 setze jedoch voraus, daß der konkrete Einzelfall vom persönlichen Geltungsbereich dieser Vorschriften erfaßt werde. Nach Art. 2 Abs. 1 der Verordnung sei die Vorschrift für Arbeitnehmer und Selbständige, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaates seien, anwendbar. Der Kläger sei nicht Staatsangehöriger eines Mitgliedsstaates der EG, so daß die Regelungen der EWGV Nr. 1408/71 nicht unmittelbar in seinem Fall Anwendung finden könnten.
Zu Unrecht gehe das Sozialgericht davon aus, daß sich aus dem Assoziationsrecht zwischen der EG und der Türkei ein Anspruch auf Gleichbehandlung hinsichtlich der Gewährung von Leistungen an arbeitslose türkische Staatsangehörige ergebe. Das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12.09.1963 enthalte in Art. 12 lediglich die Verpflichtung der Vertragsparteien, schrittweise die Freizügigkeit der Arbeitnehmer im Sinne der Art. 48 bis 50 des EWG-Gründungsvertrages herzustellen. Der Art. 51 des EWG-Gründungsvertrages mit seiner Vorgabe, zur Absicherung der Freizügigkeit ein System zur Herstellung von Leistungen der sozialen Sicherheit für Wanderarbeitnehmer einzuführen, sei im Assoziationsabkommen ausdrücklich nicht erwähnt. Erst das Zusatzprotokoll zum Assoziationsabkommen ermächtige in Art. 39 Abs. 1 den Assoziationsrat, Bestimmungen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für türkische Arbeitnehmer zu erlassen, die von einem Mitgliedsstaat in einen anderen zu oder abwandern. In Art. 39 Abs. 2 des Zusatzprotokolls würden ausdrücklich jedoch keine Vorgaben zu den Leistungen bei Arbeitslosigkeit gemacht. Es könne davon ausgegangen werden, daß die Leistungen bei Arbeitslosigkeit mit Absicht nicht in Art. 39 Abs. 2 des Zusatzprotokolles zum Assoziationsabkommen aufgeführt worden seien, weil die Türkei kein System der Arbeitslosenversicherung kenne und somit für diesen Bereich der sozialen Sicherheit die in internationalen Verträgen üblicherweise angestrebte Gegenseitigkeit nicht erzielt werden könne. Im übrigen sei der Beschluss des Assoziationsrates nie in kraft getreten, weil der Rat der EU den in Art. 2 des Abkommens über die Durchführung des Assoziationsabkommens vorgeschriebenen einstimmigen Beschluss zur Anwendbarkeit der Beschlüsse und Empfehlungen nie gefaßt habe. Aus der Tatsache, daß der Kläger mit einer Deutschen verheiratet sei, könne er selbst keine Rechte herleiten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 19.06.1998 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß ihm Arbeitslosengeld bereits ab 03.05.1997 für 312 Tage gewährt wird.
Der Kläger hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend führt er aus: Der Beschluss ARB 3/80 vom 19.09.1980 finde entgegen der Ansicht der Beklagten sehr wohl auf ihn Anwendung, selbst wenn der Rat der EU den in Art. 2 des Abkommens über die Durchführung des Assoziationsabkommens vorgeschriebenen einstimmigen Beschluss zur Anwendbarkeit der Beschlüsse und Empfehlungen nicht gefaßt habe. Ein solcher Beschluss sei nämlich nicht erforderlich. Art. 2 Nr. 1 des Durchführungsabkommens laute: "Die Anwendbarkeit der Beschlüsse und Empfehlungen des Assoziationsrates, die nach dem Vertrag zur Gründung der Gemeinschaft zu deren Zuständigkeit gehören, wird durch einstimmig gefaßte Beschlüsse des Rates nach Stellungnahme der Kommission ausgesprochen." Ziffer 2 des Art. 2 laute:
"Betreffen die Beschlüsse und Empfehlungen des Assoziationsrates ein Gebiet, das nach dem Vertrag zur Gründung der Gemeinschaft nicht zu deren Zuständigkeit gehört, so treffen die Mitgliedsstaaten die für die Anwendung erforderlichen Maßnahmen". Da der im vorliegenden Fall anwendbare Inhalt des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 3/80 nicht zur Zuständigkeit der Gemeinschaft, sondern zur Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten gehöre, sei ein einstimmig gefaßter Beschluss des EU-Rates nicht erforderlich.
Nach Art. 12 des Assoziationsabkommens EG-Türkei ließen sich die Vertragsparteien von Art. 48 bis 50 EWG-Vertrag leiten, untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen. Das Zusatzprotokoll aus dem Jahre 1972 nenne in Art. 36 konkrete Daten: Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer werde zwischen dem Ende des 12. und dem Ende des 22. Jahres nach dem Inkrafttreten des Assoziationsabkommens schrittweise hergestellt. Das 22. Jahr sei mit dem 10.12.1986 abgelaufen. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zum Assoziationsratsbeschluß Nr. 1/80 sei davon auszugehen, daß sich türkische Staatsangehörige, die ihren Wohnsitz in einem EG-Mitgliedsstaat hätten, unmittelbar auf den Assoziationsratsbeschluß (ARB) 3/80 berufen könnten.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten mit der Stamm-Nr ... und der Akte des Arbeitsgerichtes Aachen mit dem Az.: 4 Sa 1844/97 Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Das Rechtschutzinteresse an der Durchführung des Verfahrens ist weder für die Beklagte noch für den Kläger etwa deshalb entfallen, weil der Kläger seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld in Höhe von 312 Tagen ausgeschöpft hat. Zwischen den Beteiligten besteht Einigkeit darin, daß sich der Anspruch auch bei einem Obsiegen nicht verlängert, sondern nur verschiebt. Für den Zeitraum der Verschiebung nach vorne stellt sich aber die Frage, ob für die Zeit, für die der Arbeitslosengeldleistungszeit raum nach vorne rückt, hinten also wegfällt (Zeit vom 02.05.1998 bis 20.09.1998), nunmehr die Zahlung von Arbeitslosenhilfe in Betracht kommt.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß der Kläger durch den Bescheid vom 03.07.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.09.1997 insoweit beschwert ist, als ihm Arbeitslosengeld nicht bereits ab dem 03.05.1997 zuerkannt worden ist. Einzubeziehen war der Bescheid vom 14.10.1997, mit dem Arbeitslosengeld dann zu Unrecht erst ab dem 22.09.1997 für 312 Tage zuerkannt worden ist.
Der Klarheit halber hat der Senat den Tenor entsprechend neu formuliert. Inhaltlich ergibt sich jedoch keine Änderung zur Entscheidung des Sozialgerichtes.
Der Kläger hat Anspruch auf Arbeitslosengeld für 312 Tage ab dem 03.05.1997 in Höhe von 321,60 DM pro Woche (Bemessungsentgelt 910,-- Leistungsverordnung 1997, Leistungsgruppe A/0). Der Kläger war ab 01.05.1997 arbeitslos, hatte sich arbeitslos gemeldet und stand der Arbeitsverwaltung zur Verfügung. Aufgrund seines Alters und der vorangegangenen Berufstätigkeit von mehr als 720 Tagen bei der Firma V. stand ihm nach § 106 Abs. 1 AFG ein Arbeitslosengeldanspruch für 312 Tage zu. Wegen der gezahlten Urlaubsabgeltung, die nach der Arbeitgeberbescheinigung vom 09.05.1997 Urlaub bis zum 02.05.1997 abgegolten hat, kam Arbeitslosengeld gemäß § 117 Abs. 1 a AFG erst ab dem 03.05.1997 in Betracht.
Der Wohnsitz des Klägers stand in der Zeit vom 03.05. bis 21.09.1997 der Gewährung von Arbeitslosengeld nicht entgegen. Gemäß § 30 Abs. 1 SGB I gelten die Vorschriften des SGB - als dessen besonderer Teil gemäß Art. II § 1 Nr. 2 SGB I auch das hier noch anwendbare AFG galt - für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben. Der Kläger hat anfangs außerhalb des Geltungsbereichs des SGB in den Niederlanden gewohnt. Allerdings bleiben gemäß § 30 Abs. 2 SGB I Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechtes unberührt. Mit dem Sozialgericht ist der Senat der Auffassung, daß der Kläger sich als türkischer Staatsangehöriger auf überstaatliches Recht berufen kann und Anspruch auf Arbeitslosengeld trotz seines Wohnsitzes in den Niederlanden hat.
Gemäß Art. 71 Abs. 1 b) i) der EWGV Nr. 1408/71 erhalten Arbeitnehmer, die nicht Grenzgänger sind und weiterhin ihrem Arbeitgeber oder der Arbeitsverwaltung des zuständigen Staates zur Verfügung stehen bei Vollarbeitslosigkeit Leistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Staates, als ob sie in diesem Staate wohnten, diese Leistungen gewährt dann der zuständige Träger. Der Kläger kann sich auf diese Vorschrift berufen, denn er unterfällt dem persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung.
Die Verordnung gilt gem. ihrem Art. 2 Abs. 1 u.a. für Arbeitnehmer, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates sind. Dies ist beim Kläger zwar nicht der Fall. Er kann jedoch aufgrund von Art. 3 Abs. 1 des ARB 3/80, der auf das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der EWG und der Türkei gestützt ist, Gleichbehandlung mit EG-Bürgern beanspruchen.
Gem. Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 haben die Personen, die im Gebiet eines EWG-Mitgliedstaates wohnen, und für die der ARB 3/80 gilt, grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates wie die Staatsangehörigen dieses Staates.
Der Kläger unterfällt dem persönlichen Geltungsbereich des ARB 3/80, denn dieser Beschluss gilt gemäß Art. 2 ARB 3/80 für Arbeitnehmer, für die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer EG-Mitgliedsstaaten gelten und die türkische Staatsangehörige sind. Die Tatsache, daß der Kläger im streitbefangenen Zeitraum arbeitslos war, ändert an der persönlichen Anwendbarkeit nichts, denn er hat den Anspruch auf Arbeitslosengeld als Arbeitnehmer erworben.
Auch der sachliche Anwendungsbereich des ARB 3/80 ist eröffnet, weil dieser Beschluss nach seinem Art. 4 Abs. 1 g) für Leistungen der sozialen Sicherheit bei Arbeitslosigkeit gilt. Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 enthält ein Gleichbehandlungsgebot auch hinsichtlich von Rechten, die aufgrund einer EWG-Verordnung eingeräumt werden. Zwar bezieht sich diese Regelung ihrem Wortlaut nach nur auf "Rechtsvorschrifen eines Mitgliedsstaates". Hierunter fallen jedoch auch Rechtsnormen des primären oder sekundären Gemeinschaftsrechts, denn auch diese Normen sind Bestandteil der innerstaatlichen Rechtsordnung.
Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 ist eine geltende Rechtsnorm, auf die der Kläger sich unmittelbar stützen kann. Den diesbezüglichen Ausführungen des Sozialgerichtes, die der Senat vorstehend übernommen hat, ist vorbehaltlos zuzustimmen. Der Senat sieht sich hierin bestätigt durch die Urteile des EuGH vom 30.09.1997 (SozR 3 6935 Nr. 3; und vom 04.05.1999 - RsC 262/96 Sürül - in Inf. AuslR. 1999 324 ff.). Insbesondere im Urteil vom 04.05.1999 (Sürül) hat der EuGH ausgeführt, daß der Beschluss 3/80 auch ohne Durchführungsbestimmungen anwendbar sei. Dies gelte insbesondere für Personen, die gegen Arbeitslosigkeit pflichtversichert seien (Nr. 74, 78 und 79 des EuGH-Urteils). Unter Nr. 97 heißt es wörtlich:
"Zunächst bedeutet das in Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 aufgestellte Verbot jeder Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Geltungsbereich des Beschlusses, daß ein türkischer Staatsangehöriger, für den der Beschluss gilt, ebenso behandelt werden muß wie die Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedsstaates, so daß die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedsstaats die Gewährung eines Anspruchs an einen solchen türkischen Staatsangehörigen nicht von zusätzlichen oder strengeren Voraussetzungen abhängig machen dürfen, als sie für die Staatsangehörigen dieses Mitgliedsstaates gelten (vgl. auch Urteil vom 02. Februar 1989 in der Rechtssache 186/87, Cowan, Slg. 1989, 195 Rdnr. 10, und die vorgenannten Urteile Kziber, Rdnr. 28, und Halluzi-Choho, Rdnrn. 35 und 36)."
Der Senat folgert aus den vorstehend zitierten Ausführungen des EuGH, daß ARB 3/80 unmittelbar geltendes Recht ist und ein türkischer Arbeitnehmer, der in Deutschland versicherungspflichtig gegen Arbeitslosigkeit versichert war, hier seine Bindungen hat, nach Arbeit sucht und für die deutsche Arbeitsverwaltung verfügbar ist, trotz seines Wohnsitzes in den Niederlanden Anspruch auf Leistungen wie ein vergleichbarer deutscher Arbeitsuchender hat. Zwar verkennt der Senat nicht, daß das Urteil des EuGH zum Kindergeldrecht ergangen ist. Es werden jedoch keine gravierenden Unterschiede gesehen, die hier eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten.
Die gegenteilige Rechtsauffassung der Beklagten vermag der Senat mit der vom Sozialgericht gegebenen Begründung nicht zu teilen. Die Beklagte vertritt die Auffassung, bei Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 handele es sich nicht um eine Rechtsnorm. Zum einen fehle hierfür die Grundlage. Art. 12 des Assoziationsabkommens spare die Vorschrift des Art. 51 EWG-Vertrages, der ein System zur Sicherstellung sozialrechtlicher Ansprüche und Leistungen für Wanderarbeitnehmer vorsieht, ausdrücklich aus dem Assoziationsabkommen aus. Erst das Zusatzprotokoll zum Assoziationsabkommen ermächtige in Art. 39 den Assoziationsrat, Bestimmungen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für türkische Wanderarbeitnehmer zu treffen. In Art. 39 Abs. 2 würden ausdrücklich jedoch keine Vorgaben für Leistungen bei Arbeitslosigkeit gemacht. Es könne daher davon ausgegangen werden, daß der Assoziationsrat jedenfalls auf dem Gebiet der Arbeitslosenversicherung nicht rechtssetzungsbefugt sei. Dies sei auch sinnvoll, weil die Türkei kein System der Arbeitslosenversicherung kenne und somit die in internationalen Verträgen sonst übliche Gegenseitigkeit nicht verbürgt sei. Im übrigen sei der Beschluss des Assoziationsrates nie in Kraft getreten, weil der Rat der EU den in Art. 2 des Abkommens über die Durchführung des Assoziierungsabkommens vorgeschriebenen einstimmigen Beschluss zur Anwendbarkeit der Beschlüsse und Empfehlungen des Assoziationsrates nie gefaßt habe.
Der Senat schließt sich mit dem Sozialgericht diesen Bedenken nicht an. Nach Art. 6 des Assoziierungsabkommens treten die Vertragsparteien in einem Assoziationsrat zusammen und wird der Assoziationsrat im Rahmen der Befugnisse tätig, die ihm in dem Abkommen zugewiesen sind. Eine solche Zuweisungsnorm ist Art. 39 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen. Art. 39 Abs. 1 ermächtigt den Assoziationsrat generell, Bestimmungen für türkische Wanderarbeitnehmer auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit zu treffen. Art. 39 Abs. 2 bis 5 enthalten Mindestanforderungen für den Inhalt dieser Bestimmungen, nicht aber - wie die Beklagte meint - abschließende Regelungen.
Die Anwendung des ARB 3/80 scheitert auch nicht daran, daß die Organe der EU bislang keine Bestimmungen zu seiner Anwendbarkeit erlassen haben. Zwar enthält Art. 2 Nr. 1 des Durchführungsabkommens (BGBl. II 1964 S. 558) die Vorschrift, daß die Anwendbarkeit der Beschlüsse des Assoziationsrates durch einstimmig gefaßte Beschlüsse des Rates nach Stellungnahme der Kommission ausgesprochen wird. Bei dem Durchführungsabkommen handelt es sich indes um eine Vereinbarung, die von den im Rat vereinigten Vertretern der Regierungen der Mitgliedsstaaten der EG abgeschlossen wurde, ohne daß der andere Vertragspartner, die Türkei, hieran beteiligt war. Die Mitgliedsstaaten haben kein Mandat, wodurch sie einen völkerrechtlichen Beschluss des Assoziationsrates von weiteren Zustimmungen abhängig machen können (vgl. zu alledem zusammenfassend Sieveking, NZS 1994, 213 f).
Für diese Auffassung spricht auch die Rechtsprechung des EuGH, der hinsichtlich verschiedener anderer Beschlüsse des Assoziationsrates die unmittelbare Anwendbarkeit bejaht hat (EuGH v. 04.05.1999, a.a.O., m.w.N.).
Der Senat sah sich angesichts dieser durchgreifenden Argumente nicht veranlaßt, die Streitsache gem. Art. 177 S. 2 EWG-Vertrag dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Er war hierzu gem. Art. 177 S. 3 EWG-Vertrag nicht verpflichtet, denn den Beteiligten steht gegen die Entscheidung die vom Senat zugelassene Revision zu.
Art. 71 Abs. 1 b) i) der EWGV 1408/71 ist einschlägig. Der Kläger ist "nicht Grenzgänger" i. S. dieser Vorschrift. Der Kläger ist - wie sich aus dem in der Verwaltungsakte enthaltenen Kündigungsschreiben der Fa. V. vom 17.02.1997 ergibt - bereits während des anwartschaftsbegründenden Beschäftigungsverhältnisses in die Niederlande gezogen (zu dieser Voraussetzung vgl. EuGH in SozR 6050 Art. 71 Nr. 7, 10).
Das europäische Gemeinschaftsrecht knüpft zwar grundsätzlich für die Gewährung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit für die Gewährung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit an den Wohnsitz an. Grenzgänger i. S. d. Art. 1 b EWGV 1408/71 erhalten bei Vollarbeitslosigkeit gem. Art. 71 Abs. 1 a ii EWGV 1408/71 Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedsstaates, in dessen Gebiet sie wohnen. Jedoch ist ein vollarbeitsloser Arbeitnehmer, der im Mitgliedsstaat der letzten Beschäftigung persönliche und berufliche Bindungen solcher Art aufrechterhält, daß er dort die besten Aussichten auf berufliche Wiedereingliederung hat, als ein unter Art. 71 Abs. 1 b) fallender "Arbeitnehmer, der nicht Grenzgänger ist", anzusehen. Dies hat zur Folge, daß (jedenfalls bei Ablehnung des Anspruchs durch den für den Wohnort zuständigen Leistungsträger) das Territorialitätsprinzip des § 30 Abs. 1 SGB I dem Leistungsanspruch nicht entgegengehalten werden kann (EuGH v. 12.06.1986 Rs 1/85 "Miethe"). Dem liegt die Erwägung zugrunde, daß ein echter Grenzgänger im Wohnstaat grundsätzlich auch die günstigsten Voraussetzungen für die Arbeitssuche vorfindet. Dies gilt jedoch nicht bei bestimmten Arbeitnehmern, die weitaus engere Kontakte zum Staat der letzten Beschäftigung als zum Wohnstaat haben und bei denen es sich in Wirklichkeit um untypische Grenzgänger handelt.
Der Kläger ist nicht Grenzgänger i. S. dieser Ausführungen. Sein Lebensmittelpunkt befand sich auch im streitbefangenen Zeitraum in Deutschland. Er hat dort vor seinem Umzug in die Niederlande gewohnt und wohnt auch jetzt dort wieder. Er ist mit einer Deutschen verheiratet, war jahrelang bei einem deutschen Arbeitgeber beschäftigt, spricht deutsch, nicht aber niederländisch. Sein Wohnort war nur 7 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Der niederländische Leistungsträger hat den Leistungsantrag abgelehnt. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger echter Grenzgänger i.S. d. Art. 71 Abs. 1 a EWGV 1408/71 war.
Die Berufung der Beklagten konnte somit im Ergebnis keinen Erfolg haben. Lediglich der Tenor war unter Einbeziehung des Bescheides vom 14.10.1997 neu zu fassen, um nicht den Eindruck entstehen zu lassen, der Kläger habe nunmehr Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Zeit vom 03.05.1997 bis zum 20.09.1998. Dies wird vom Kläger auch nicht angestrebt. Die Beteiligten waren sich darin einig, daß die Beklagte mit dem Ausführungsbescheid zu diesem Urteil die Zahlung von Arbeitslosengeld für 312 Tage neu festlegen und gegebenenfalls Verrechnungen vornehmen kann. Ein eventuell noch zu erteilender Bescheid über die Gewährung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 02.05.1998 bis zum 20.09.1998 kann nicht Gegenstand dieses Verfahrens sein.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil die Frage, ob § 30 Abs. 1 SGB I den Anspruch des in den Niederlanden wohnenden türkischen Klägers ausschließt, bisher vom BSG nicht entschieden worden ist. Da zudem das Urteil des EuGH vom 04.05.1999 zum Kindergeldrecht ergangen ist, behält die Frage grundsätzliche Bedeutung, ob der Anspruch des Klägers über § 30 Abs. 2 SGB I durch die zitierten Vorschriften des Europäischen Rechtes begründet werden kann.
Tatbestand:
Umstritten ist, ob dem Kläger bereits ab dem 03.05.1997 statt ab dem 22.09.1997 Arbeitslosengeld für 312 Leistungstage zu gewähren ist.
Der am ... geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und mit einer Deutschen verheiratet. Vom 03.04.1991 bis zum 30.04.1997 arbeitete er als Textilglasarbeiter bei der Firma V ...-D ... GmbH in H ... Der Wohnsitz des Klägers befand sich zum Zeitpunkt der Kündigung und bis zum 18.09.1997 in L. in den Niederlanden an der Grenze zu Deutschland.
Am 17.04.1997 meldete der Kläger sich arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 03.07.1997 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe seinen Wohnsitz nicht im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuches Erstes Buch (SGB I), weshalb ihm gemäß § 30 Abs. 1 SGB I ein Leistungsanspruch nicht zustehe. Da der Kläger türkischer Staatsangehöriger sei, finde die EWG-Verordnung (EWGV) Nr. 1408/71 auf ihn keine Anwendung.
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, türkische Staatsangehörige seien aufgrund des Assoziierungsabkommens zwischen der EG und der Türkei hinsichtlich der Gewährung von Leistungen für Arbeitslose mit Bürgern der Europäischen Gemeinschaft gleichzustellen. Einem EG-Bürger stehe aufgrund der EWGV Nr. 1408/71 Arbeitslosengeld trotz Wohnsitzes in den Niederlanden zu. Dies müsse auch für ihn gelten. Mit Widerspruchsbescheid vom 01.09.1997 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Eine Gleichstellung des Klägers mit Bürgern der Europäischen Gemeinschaft käme auch unter Berücksichtigung der Assoziierungsabkommens zwischen der EG und der Türkei nicht in Betracht.
Am 22.09.1997 zeigte der Kläger an, daß er seit dem 18.09.1997 im Bundesgebiet wohne. Mit Bescheid vom 14.10.1997 bewilligte die Beklagte dem Kläger daraufhin Arbeitslosengeld für 312 Tage beginnend ab dem 22.09.1997. Die Beklagte zahlte ab diesem Zeitpunkt Arbeitslosengeld in Höhe von 321,60 DM pro Woche an den Kläger. Diesen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat der Kläger bis zum 20.09.1998 ausgeschöpft. Im Anschluß hieran ist ihm vom 21.09.1998 bis zum 01.08.1999 Arbeitslosenhilfe zuerkannt worden. Seit dem 02.08.1999 bis heute bezieht der Kläger Unterhaltsgeld.
Am 02.10.1997 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Aachen Klage gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid vom 01.09.1997 erhoben. Er hat geltend gemacht, ihm stehe Arbeitslosengeld ab Eintritt der Arbeitslosigkeit bis zu seinem Zuzug in die Bundesrepublik zu. Er hat seinen Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und ergänzend vorgetragen, daß er mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet sei. Auch deshalb könne er sich auf die EWGV Nr. 1408/71 stützen.
Vor dem Sozialgericht hat der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 03.07.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.09.1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat an ihrer Auffassung festgehalten, daß der Kläger während der Dauer seines Wohnsitzes in den Niederlanden als türkischer Staatsangehöriger keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld gegenüber dem deutschen Leistungsträger habe.
Mit Urteil vom 19.06.1998 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben, den Bescheid vom 03.07.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.09.1997 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger erfülle alle Voraussetzungen für die Zahlung von Arbeitslosengeld nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Der Wohnsitz in den Niederlanden stehe der Gewährung ungeachtet von § 30 Abs. 1 SGB I nicht entgegen. Der Anspruch sei gemäß Art. 71 Abs. 1 Buchstabe b und i der EWGV Nr. 1408/71 begründet. Der Kläger könne aufgrund von Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates, der auf das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der EWG und der Türkei gestützt sei (ARB 3/80), Gleichbehandlung mit Bürgern der Europäischen Gemeinschaft beanspruchen. Wegen der genauen Begründung wird auf den Inhalt des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Gegen dieses der Beklagten am 16.07.1998 zugestellte Urteil richtet sich deren am 03.08.1998 eingegangenen Berufung. Zur Begründung führt die Beklagte aus: Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld sei nur für Personen gegeben, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des SGB I hätten. Nach § 30 Abs. 2 SGB I blieben Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechtes hiervon unberührt. Die Anwendung der Regelungen der EWGV Nr. 1408/71 setze jedoch voraus, daß der konkrete Einzelfall vom persönlichen Geltungsbereich dieser Vorschriften erfaßt werde. Nach Art. 2 Abs. 1 der Verordnung sei die Vorschrift für Arbeitnehmer und Selbständige, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaates seien, anwendbar. Der Kläger sei nicht Staatsangehöriger eines Mitgliedsstaates der EG, so daß die Regelungen der EWGV Nr. 1408/71 nicht unmittelbar in seinem Fall Anwendung finden könnten.
Zu Unrecht gehe das Sozialgericht davon aus, daß sich aus dem Assoziationsrecht zwischen der EG und der Türkei ein Anspruch auf Gleichbehandlung hinsichtlich der Gewährung von Leistungen an arbeitslose türkische Staatsangehörige ergebe. Das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12.09.1963 enthalte in Art. 12 lediglich die Verpflichtung der Vertragsparteien, schrittweise die Freizügigkeit der Arbeitnehmer im Sinne der Art. 48 bis 50 des EWG-Gründungsvertrages herzustellen. Der Art. 51 des EWG-Gründungsvertrages mit seiner Vorgabe, zur Absicherung der Freizügigkeit ein System zur Herstellung von Leistungen der sozialen Sicherheit für Wanderarbeitnehmer einzuführen, sei im Assoziationsabkommen ausdrücklich nicht erwähnt. Erst das Zusatzprotokoll zum Assoziationsabkommen ermächtige in Art. 39 Abs. 1 den Assoziationsrat, Bestimmungen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für türkische Arbeitnehmer zu erlassen, die von einem Mitgliedsstaat in einen anderen zu oder abwandern. In Art. 39 Abs. 2 des Zusatzprotokolls würden ausdrücklich jedoch keine Vorgaben zu den Leistungen bei Arbeitslosigkeit gemacht. Es könne davon ausgegangen werden, daß die Leistungen bei Arbeitslosigkeit mit Absicht nicht in Art. 39 Abs. 2 des Zusatzprotokolles zum Assoziationsabkommen aufgeführt worden seien, weil die Türkei kein System der Arbeitslosenversicherung kenne und somit für diesen Bereich der sozialen Sicherheit die in internationalen Verträgen üblicherweise angestrebte Gegenseitigkeit nicht erzielt werden könne. Im übrigen sei der Beschluss des Assoziationsrates nie in kraft getreten, weil der Rat der EU den in Art. 2 des Abkommens über die Durchführung des Assoziationsabkommens vorgeschriebenen einstimmigen Beschluss zur Anwendbarkeit der Beschlüsse und Empfehlungen nie gefaßt habe. Aus der Tatsache, daß der Kläger mit einer Deutschen verheiratet sei, könne er selbst keine Rechte herleiten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 19.06.1998 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß ihm Arbeitslosengeld bereits ab 03.05.1997 für 312 Tage gewährt wird.
Der Kläger hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend führt er aus: Der Beschluss ARB 3/80 vom 19.09.1980 finde entgegen der Ansicht der Beklagten sehr wohl auf ihn Anwendung, selbst wenn der Rat der EU den in Art. 2 des Abkommens über die Durchführung des Assoziationsabkommens vorgeschriebenen einstimmigen Beschluss zur Anwendbarkeit der Beschlüsse und Empfehlungen nicht gefaßt habe. Ein solcher Beschluss sei nämlich nicht erforderlich. Art. 2 Nr. 1 des Durchführungsabkommens laute: "Die Anwendbarkeit der Beschlüsse und Empfehlungen des Assoziationsrates, die nach dem Vertrag zur Gründung der Gemeinschaft zu deren Zuständigkeit gehören, wird durch einstimmig gefaßte Beschlüsse des Rates nach Stellungnahme der Kommission ausgesprochen." Ziffer 2 des Art. 2 laute:
"Betreffen die Beschlüsse und Empfehlungen des Assoziationsrates ein Gebiet, das nach dem Vertrag zur Gründung der Gemeinschaft nicht zu deren Zuständigkeit gehört, so treffen die Mitgliedsstaaten die für die Anwendung erforderlichen Maßnahmen". Da der im vorliegenden Fall anwendbare Inhalt des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 3/80 nicht zur Zuständigkeit der Gemeinschaft, sondern zur Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten gehöre, sei ein einstimmig gefaßter Beschluss des EU-Rates nicht erforderlich.
Nach Art. 12 des Assoziationsabkommens EG-Türkei ließen sich die Vertragsparteien von Art. 48 bis 50 EWG-Vertrag leiten, untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen. Das Zusatzprotokoll aus dem Jahre 1972 nenne in Art. 36 konkrete Daten: Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer werde zwischen dem Ende des 12. und dem Ende des 22. Jahres nach dem Inkrafttreten des Assoziationsabkommens schrittweise hergestellt. Das 22. Jahr sei mit dem 10.12.1986 abgelaufen. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zum Assoziationsratsbeschluß Nr. 1/80 sei davon auszugehen, daß sich türkische Staatsangehörige, die ihren Wohnsitz in einem EG-Mitgliedsstaat hätten, unmittelbar auf den Assoziationsratsbeschluß (ARB) 3/80 berufen könnten.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten mit der Stamm-Nr ... und der Akte des Arbeitsgerichtes Aachen mit dem Az.: 4 Sa 1844/97 Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Das Rechtschutzinteresse an der Durchführung des Verfahrens ist weder für die Beklagte noch für den Kläger etwa deshalb entfallen, weil der Kläger seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld in Höhe von 312 Tagen ausgeschöpft hat. Zwischen den Beteiligten besteht Einigkeit darin, daß sich der Anspruch auch bei einem Obsiegen nicht verlängert, sondern nur verschiebt. Für den Zeitraum der Verschiebung nach vorne stellt sich aber die Frage, ob für die Zeit, für die der Arbeitslosengeldleistungszeit raum nach vorne rückt, hinten also wegfällt (Zeit vom 02.05.1998 bis 20.09.1998), nunmehr die Zahlung von Arbeitslosenhilfe in Betracht kommt.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß der Kläger durch den Bescheid vom 03.07.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.09.1997 insoweit beschwert ist, als ihm Arbeitslosengeld nicht bereits ab dem 03.05.1997 zuerkannt worden ist. Einzubeziehen war der Bescheid vom 14.10.1997, mit dem Arbeitslosengeld dann zu Unrecht erst ab dem 22.09.1997 für 312 Tage zuerkannt worden ist.
Der Klarheit halber hat der Senat den Tenor entsprechend neu formuliert. Inhaltlich ergibt sich jedoch keine Änderung zur Entscheidung des Sozialgerichtes.
Der Kläger hat Anspruch auf Arbeitslosengeld für 312 Tage ab dem 03.05.1997 in Höhe von 321,60 DM pro Woche (Bemessungsentgelt 910,-- Leistungsverordnung 1997, Leistungsgruppe A/0). Der Kläger war ab 01.05.1997 arbeitslos, hatte sich arbeitslos gemeldet und stand der Arbeitsverwaltung zur Verfügung. Aufgrund seines Alters und der vorangegangenen Berufstätigkeit von mehr als 720 Tagen bei der Firma V. stand ihm nach § 106 Abs. 1 AFG ein Arbeitslosengeldanspruch für 312 Tage zu. Wegen der gezahlten Urlaubsabgeltung, die nach der Arbeitgeberbescheinigung vom 09.05.1997 Urlaub bis zum 02.05.1997 abgegolten hat, kam Arbeitslosengeld gemäß § 117 Abs. 1 a AFG erst ab dem 03.05.1997 in Betracht.
Der Wohnsitz des Klägers stand in der Zeit vom 03.05. bis 21.09.1997 der Gewährung von Arbeitslosengeld nicht entgegen. Gemäß § 30 Abs. 1 SGB I gelten die Vorschriften des SGB - als dessen besonderer Teil gemäß Art. II § 1 Nr. 2 SGB I auch das hier noch anwendbare AFG galt - für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben. Der Kläger hat anfangs außerhalb des Geltungsbereichs des SGB in den Niederlanden gewohnt. Allerdings bleiben gemäß § 30 Abs. 2 SGB I Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechtes unberührt. Mit dem Sozialgericht ist der Senat der Auffassung, daß der Kläger sich als türkischer Staatsangehöriger auf überstaatliches Recht berufen kann und Anspruch auf Arbeitslosengeld trotz seines Wohnsitzes in den Niederlanden hat.
Gemäß Art. 71 Abs. 1 b) i) der EWGV Nr. 1408/71 erhalten Arbeitnehmer, die nicht Grenzgänger sind und weiterhin ihrem Arbeitgeber oder der Arbeitsverwaltung des zuständigen Staates zur Verfügung stehen bei Vollarbeitslosigkeit Leistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Staates, als ob sie in diesem Staate wohnten, diese Leistungen gewährt dann der zuständige Träger. Der Kläger kann sich auf diese Vorschrift berufen, denn er unterfällt dem persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung.
Die Verordnung gilt gem. ihrem Art. 2 Abs. 1 u.a. für Arbeitnehmer, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates sind. Dies ist beim Kläger zwar nicht der Fall. Er kann jedoch aufgrund von Art. 3 Abs. 1 des ARB 3/80, der auf das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der EWG und der Türkei gestützt ist, Gleichbehandlung mit EG-Bürgern beanspruchen.
Gem. Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 haben die Personen, die im Gebiet eines EWG-Mitgliedstaates wohnen, und für die der ARB 3/80 gilt, grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates wie die Staatsangehörigen dieses Staates.
Der Kläger unterfällt dem persönlichen Geltungsbereich des ARB 3/80, denn dieser Beschluss gilt gemäß Art. 2 ARB 3/80 für Arbeitnehmer, für die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer EG-Mitgliedsstaaten gelten und die türkische Staatsangehörige sind. Die Tatsache, daß der Kläger im streitbefangenen Zeitraum arbeitslos war, ändert an der persönlichen Anwendbarkeit nichts, denn er hat den Anspruch auf Arbeitslosengeld als Arbeitnehmer erworben.
Auch der sachliche Anwendungsbereich des ARB 3/80 ist eröffnet, weil dieser Beschluss nach seinem Art. 4 Abs. 1 g) für Leistungen der sozialen Sicherheit bei Arbeitslosigkeit gilt. Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 enthält ein Gleichbehandlungsgebot auch hinsichtlich von Rechten, die aufgrund einer EWG-Verordnung eingeräumt werden. Zwar bezieht sich diese Regelung ihrem Wortlaut nach nur auf "Rechtsvorschrifen eines Mitgliedsstaates". Hierunter fallen jedoch auch Rechtsnormen des primären oder sekundären Gemeinschaftsrechts, denn auch diese Normen sind Bestandteil der innerstaatlichen Rechtsordnung.
Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 ist eine geltende Rechtsnorm, auf die der Kläger sich unmittelbar stützen kann. Den diesbezüglichen Ausführungen des Sozialgerichtes, die der Senat vorstehend übernommen hat, ist vorbehaltlos zuzustimmen. Der Senat sieht sich hierin bestätigt durch die Urteile des EuGH vom 30.09.1997 (SozR 3 6935 Nr. 3; und vom 04.05.1999 - RsC 262/96 Sürül - in Inf. AuslR. 1999 324 ff.). Insbesondere im Urteil vom 04.05.1999 (Sürül) hat der EuGH ausgeführt, daß der Beschluss 3/80 auch ohne Durchführungsbestimmungen anwendbar sei. Dies gelte insbesondere für Personen, die gegen Arbeitslosigkeit pflichtversichert seien (Nr. 74, 78 und 79 des EuGH-Urteils). Unter Nr. 97 heißt es wörtlich:
"Zunächst bedeutet das in Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 aufgestellte Verbot jeder Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Geltungsbereich des Beschlusses, daß ein türkischer Staatsangehöriger, für den der Beschluss gilt, ebenso behandelt werden muß wie die Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedsstaates, so daß die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedsstaats die Gewährung eines Anspruchs an einen solchen türkischen Staatsangehörigen nicht von zusätzlichen oder strengeren Voraussetzungen abhängig machen dürfen, als sie für die Staatsangehörigen dieses Mitgliedsstaates gelten (vgl. auch Urteil vom 02. Februar 1989 in der Rechtssache 186/87, Cowan, Slg. 1989, 195 Rdnr. 10, und die vorgenannten Urteile Kziber, Rdnr. 28, und Halluzi-Choho, Rdnrn. 35 und 36)."
Der Senat folgert aus den vorstehend zitierten Ausführungen des EuGH, daß ARB 3/80 unmittelbar geltendes Recht ist und ein türkischer Arbeitnehmer, der in Deutschland versicherungspflichtig gegen Arbeitslosigkeit versichert war, hier seine Bindungen hat, nach Arbeit sucht und für die deutsche Arbeitsverwaltung verfügbar ist, trotz seines Wohnsitzes in den Niederlanden Anspruch auf Leistungen wie ein vergleichbarer deutscher Arbeitsuchender hat. Zwar verkennt der Senat nicht, daß das Urteil des EuGH zum Kindergeldrecht ergangen ist. Es werden jedoch keine gravierenden Unterschiede gesehen, die hier eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten.
Die gegenteilige Rechtsauffassung der Beklagten vermag der Senat mit der vom Sozialgericht gegebenen Begründung nicht zu teilen. Die Beklagte vertritt die Auffassung, bei Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 handele es sich nicht um eine Rechtsnorm. Zum einen fehle hierfür die Grundlage. Art. 12 des Assoziationsabkommens spare die Vorschrift des Art. 51 EWG-Vertrages, der ein System zur Sicherstellung sozialrechtlicher Ansprüche und Leistungen für Wanderarbeitnehmer vorsieht, ausdrücklich aus dem Assoziationsabkommen aus. Erst das Zusatzprotokoll zum Assoziationsabkommen ermächtige in Art. 39 den Assoziationsrat, Bestimmungen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für türkische Wanderarbeitnehmer zu treffen. In Art. 39 Abs. 2 würden ausdrücklich jedoch keine Vorgaben für Leistungen bei Arbeitslosigkeit gemacht. Es könne daher davon ausgegangen werden, daß der Assoziationsrat jedenfalls auf dem Gebiet der Arbeitslosenversicherung nicht rechtssetzungsbefugt sei. Dies sei auch sinnvoll, weil die Türkei kein System der Arbeitslosenversicherung kenne und somit die in internationalen Verträgen sonst übliche Gegenseitigkeit nicht verbürgt sei. Im übrigen sei der Beschluss des Assoziationsrates nie in Kraft getreten, weil der Rat der EU den in Art. 2 des Abkommens über die Durchführung des Assoziierungsabkommens vorgeschriebenen einstimmigen Beschluss zur Anwendbarkeit der Beschlüsse und Empfehlungen des Assoziationsrates nie gefaßt habe.
Der Senat schließt sich mit dem Sozialgericht diesen Bedenken nicht an. Nach Art. 6 des Assoziierungsabkommens treten die Vertragsparteien in einem Assoziationsrat zusammen und wird der Assoziationsrat im Rahmen der Befugnisse tätig, die ihm in dem Abkommen zugewiesen sind. Eine solche Zuweisungsnorm ist Art. 39 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen. Art. 39 Abs. 1 ermächtigt den Assoziationsrat generell, Bestimmungen für türkische Wanderarbeitnehmer auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit zu treffen. Art. 39 Abs. 2 bis 5 enthalten Mindestanforderungen für den Inhalt dieser Bestimmungen, nicht aber - wie die Beklagte meint - abschließende Regelungen.
Die Anwendung des ARB 3/80 scheitert auch nicht daran, daß die Organe der EU bislang keine Bestimmungen zu seiner Anwendbarkeit erlassen haben. Zwar enthält Art. 2 Nr. 1 des Durchführungsabkommens (BGBl. II 1964 S. 558) die Vorschrift, daß die Anwendbarkeit der Beschlüsse des Assoziationsrates durch einstimmig gefaßte Beschlüsse des Rates nach Stellungnahme der Kommission ausgesprochen wird. Bei dem Durchführungsabkommen handelt es sich indes um eine Vereinbarung, die von den im Rat vereinigten Vertretern der Regierungen der Mitgliedsstaaten der EG abgeschlossen wurde, ohne daß der andere Vertragspartner, die Türkei, hieran beteiligt war. Die Mitgliedsstaaten haben kein Mandat, wodurch sie einen völkerrechtlichen Beschluss des Assoziationsrates von weiteren Zustimmungen abhängig machen können (vgl. zu alledem zusammenfassend Sieveking, NZS 1994, 213 f).
Für diese Auffassung spricht auch die Rechtsprechung des EuGH, der hinsichtlich verschiedener anderer Beschlüsse des Assoziationsrates die unmittelbare Anwendbarkeit bejaht hat (EuGH v. 04.05.1999, a.a.O., m.w.N.).
Der Senat sah sich angesichts dieser durchgreifenden Argumente nicht veranlaßt, die Streitsache gem. Art. 177 S. 2 EWG-Vertrag dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Er war hierzu gem. Art. 177 S. 3 EWG-Vertrag nicht verpflichtet, denn den Beteiligten steht gegen die Entscheidung die vom Senat zugelassene Revision zu.
Art. 71 Abs. 1 b) i) der EWGV 1408/71 ist einschlägig. Der Kläger ist "nicht Grenzgänger" i. S. dieser Vorschrift. Der Kläger ist - wie sich aus dem in der Verwaltungsakte enthaltenen Kündigungsschreiben der Fa. V. vom 17.02.1997 ergibt - bereits während des anwartschaftsbegründenden Beschäftigungsverhältnisses in die Niederlande gezogen (zu dieser Voraussetzung vgl. EuGH in SozR 6050 Art. 71 Nr. 7, 10).
Das europäische Gemeinschaftsrecht knüpft zwar grundsätzlich für die Gewährung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit für die Gewährung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit an den Wohnsitz an. Grenzgänger i. S. d. Art. 1 b EWGV 1408/71 erhalten bei Vollarbeitslosigkeit gem. Art. 71 Abs. 1 a ii EWGV 1408/71 Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedsstaates, in dessen Gebiet sie wohnen. Jedoch ist ein vollarbeitsloser Arbeitnehmer, der im Mitgliedsstaat der letzten Beschäftigung persönliche und berufliche Bindungen solcher Art aufrechterhält, daß er dort die besten Aussichten auf berufliche Wiedereingliederung hat, als ein unter Art. 71 Abs. 1 b) fallender "Arbeitnehmer, der nicht Grenzgänger ist", anzusehen. Dies hat zur Folge, daß (jedenfalls bei Ablehnung des Anspruchs durch den für den Wohnort zuständigen Leistungsträger) das Territorialitätsprinzip des § 30 Abs. 1 SGB I dem Leistungsanspruch nicht entgegengehalten werden kann (EuGH v. 12.06.1986 Rs 1/85 "Miethe"). Dem liegt die Erwägung zugrunde, daß ein echter Grenzgänger im Wohnstaat grundsätzlich auch die günstigsten Voraussetzungen für die Arbeitssuche vorfindet. Dies gilt jedoch nicht bei bestimmten Arbeitnehmern, die weitaus engere Kontakte zum Staat der letzten Beschäftigung als zum Wohnstaat haben und bei denen es sich in Wirklichkeit um untypische Grenzgänger handelt.
Der Kläger ist nicht Grenzgänger i. S. dieser Ausführungen. Sein Lebensmittelpunkt befand sich auch im streitbefangenen Zeitraum in Deutschland. Er hat dort vor seinem Umzug in die Niederlande gewohnt und wohnt auch jetzt dort wieder. Er ist mit einer Deutschen verheiratet, war jahrelang bei einem deutschen Arbeitgeber beschäftigt, spricht deutsch, nicht aber niederländisch. Sein Wohnort war nur 7 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Der niederländische Leistungsträger hat den Leistungsantrag abgelehnt. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger echter Grenzgänger i.S. d. Art. 71 Abs. 1 a EWGV 1408/71 war.
Die Berufung der Beklagten konnte somit im Ergebnis keinen Erfolg haben. Lediglich der Tenor war unter Einbeziehung des Bescheides vom 14.10.1997 neu zu fassen, um nicht den Eindruck entstehen zu lassen, der Kläger habe nunmehr Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Zeit vom 03.05.1997 bis zum 20.09.1998. Dies wird vom Kläger auch nicht angestrebt. Die Beteiligten waren sich darin einig, daß die Beklagte mit dem Ausführungsbescheid zu diesem Urteil die Zahlung von Arbeitslosengeld für 312 Tage neu festlegen und gegebenenfalls Verrechnungen vornehmen kann. Ein eventuell noch zu erteilender Bescheid über die Gewährung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 02.05.1998 bis zum 20.09.1998 kann nicht Gegenstand dieses Verfahrens sein.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil die Frage, ob § 30 Abs. 1 SGB I den Anspruch des in den Niederlanden wohnenden türkischen Klägers ausschließt, bisher vom BSG nicht entschieden worden ist. Da zudem das Urteil des EuGH vom 04.05.1999 zum Kindergeldrecht ergangen ist, behält die Frage grundsätzliche Bedeutung, ob der Anspruch des Klägers über § 30 Abs. 2 SGB I durch die zitierten Vorschriften des Europäischen Rechtes begründet werden kann.
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