L 12 AL 247/99

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 35 AL 162/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AL 247/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 05. November 1999 wird als unzulässig verworfen. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind von der Klägerin in beiden Instanzen zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten ist noch, ob die Beklagte verpflichtet war, das wohlverstandene Interesse des Beigeladenen an einer Abtretung seiner Arbeitslosenhilfe in Höhe der Miete zugunsten der Klägerin festzustellen. Vorab ist aber fraglich, ob die Berufung zulässig ist.

Der am 1972 geborene Beigeladene ist verheiratet, türkischer Staatsangehöriger und Vater eines Kindes. Seit dem 17.03.1997 bezog er Arbeitslosenhilfe von 34,50 DM täglich (847,00 DM monatlich) aufgrund des Bewilligungsbescheides vom 06.03.1997. Diese Leistungsbewilligung wurde mit Bescheid vom 23.07.1997 für die Zeit ab 07.07.1997 aufgehoben. Aufgrund einer neuen Antragstellung vom 24.07.1997 wurde dem Beigeladenen mit Bescheid vom 11.08.1997 erneut Arbeitslosenhilfe ab 24.07.1997 zuerkannt. Diese Leistung bezog er bis zum 19.08.1999. Für die Zeit ab 20.08.1999 wurde die Bewilligung erneut aufgehoben, ab 14.11.1999 erneut bewilligt und ab 15.02.2000 wieder aufgehoben wegen des Eintrittes einer Sperrzeit.

Im Jahr 1997 war der Beigeladene Mieter der Klägerin. In der Vergangenheit war wegen Mietrückständen wiederholt die Kündigung aus gesprochen worden. Dem Beigeladenen drohte Obdachlosigkeit. Am 24.04.1997 unterzeichnete der Beigeladene folgende Erklärung:

"Abtretung von Ansprüchen aus Leistungen gemäß SGB I nach § 53 Abs. 2 Nr. 2.

Hiermit trete ich zur Begleichung meiner künftigen Mieten meinen Anspruch aus Leistungen auf Alhi in Höhe von monatlich DM 345,00 ab."

Die Klägerin teilte der Beklagten den Sachverhalt mit und bat, das wohlverstandene Interesse des Beigeladenen an der Abtretung festzustellen. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30.04.1997, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 09.06.1997, ab. Zur Begründung führte sie aus: Ein wohlverstandenes Interesse an der Abtretung von laufenden Geldleistungen könne nur in Ausnahmefällen angenommen werden. Ein solcher Ausnahmefall liege nur dann vor, wenn dem Berechtigten durch die Abtretung schutzwürdige Vorteile verschafft würden, die er ohne die Abtretung nicht erreichen könne und die höher einzuschätzen seien als die Innehabung des Zahlungsanspruches. Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt, da der Beigeladene die Zahlung der Miete auf andere Art und Weise sicher stellen könne, nämlich durch Bankeinzugsverfahren.

Hiergegen hat die Klägerin am 10.07.1997 Klage beim Sozialgericht in Dortmund erhoben und die Auffassung vertreten: Die Beklagte habe das wohlverstandene Interesse des Beigeladenen an der Abtretung festzustellen. Hierzu reiche das drohende Abgleiten des Beigeladenen in die Obdachlosigkeit aus.

Während des sozialgerichtlichen Verfahrens ist der Beigeladene in eine andere Wohnung der Klägerin verzogen. Er hat am 08.05.1998 eine im übrigen gleichlautende Abtretung in Höhe von monatlich über einen Mietzins von 678,00 DM unterzeichnet. Über die Bitte der Klägerin, bezüglich dieser Abtretung das wohlverstandene Interesse festzustellen, hat die Beklagte bisher nicht entschieden.

Vor dem Sozialgericht hat die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.04.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.06.1997 zu verurteilen, das wohlverstandene Interesse an der Abtretung der Arbeitslosenhilfe in Höhe der Miete für die von den Beigeladenen bezogene und bewohnte Wohnung festzustellen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hatte darauf hingewiesen, das die Ausführung der Abtretungserklärung dazu führen würde, dass der Beigeladene vermehrt sozialhilfebedürftig werde, mit der Folge, dass zusätzliche Sozialhilfe gewährt werden müsse. Schon aus diesem Grunde könne ein wohlverstandenes Interesse nicht festgestellt werden.

Der Beigeladene hat sich nicht geäußert.

Mit Urteil vom 05.11.1999 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Ein wohlverstandenes Interesse an der Abtretung könne nur dann bejaht werden, wenn die Abtretung dem Betreffenden einen Vorteil bringe. Dieser Vorteil könne auch in der Sicherung der Wohnung bestehen. Das wohlverstandene Interesse könne aber dann nicht mehr festgestellt werden, wenn durch die Abtretung Sozialhilfebedürftigkeit herbeigeführt oder verstärkt werde. Dies sei hier der Fall. Darüber hinaus sei festzustellen, dass nach den eigenen Angaben der Klägerin ein dem Beigeladenen zustehendes Wohngeld, das gerade zur Deckung der Mietkosten bewilligt werde, nicht abgetreten worden sei.

Gegen dieses ihr am 22.11.1999 zugestellte Urteil richtet sich die am 10.12.1999 eingegangene Berufung der Klägerin. Sie vertritt die Auffassung: Die Abtretung diene der Vermeidung drohender Obdachlosigkeit des Beigeladenen. Ein zusätzlicher Sozialhilfebedarf könne durch die eine oder andere Art der Zahlungsweise nicht eintreten. Der Abtretung sei Folge zu leisten, weil das wohlverstandene Interesse festzustellen sei.

Während des Berufungsverfahrens sind die Beteiligten auf das Urteil des Bundessozialgerichtes (BSG) vom 06.04.2000 - B 11 AL 47/99 R - hingewiesen worden. Außerdem hat der Senat darauf aufmerksam gemacht, dass Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung bestehen, weil die Abtretung vom 24.04.1997 nur die Zeit bis zur Aufhebung der Arbeitslosenhilfe Bewilligung ab 07.07.1997 umfassen könne und in der Zeit vom 24.04.1997 bis 07.07.1997 selbst bei Zugrundelegung der Meinung der Klägerin ihr nur ein Betrag von 892,80 DM hätte abgeführt werden können. Auf das Anschreiben vom 18.10.2000 wird Bezug genommen.

Die Klägerin teilte diese Auffassung nicht. Sie meint vielmehr: Durch die Abtretung vom 24.04.1997 werde jeglicher Anspruch auf Arbeitslosenhilfe, der in Zukunft einmal entstehe, mit erfasst. Im übrigen sei am 08.05.1998 eine weitere Abtretung erfolgt, die nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ins Verfahren einzubeziehen sei.

In Kenntnis des zitierten BSG-Urteils hat die Klägerin ihren ursprünglichen Antrag umgestellt. Sie beantragt nunmehr,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 05.11.1999 zu ändern und festzustellen, dass die mit dem Bescheid vom 30.04.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.06.1997 erfolgte Ablehnung des wohlverstandenen Interesses des Beigeladenen an der Abtretung vom 24.04.1997 rechtswidrig war.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Im übrigen hat sich die Beklagte dem Hinweis des Senates vom 18.10.2000 zur Unzulässigkeit der Berufung angeschlossen.

Der Beigeladene hat sich zum Verfahren nicht geäußert.

Der Senat hat eine Auskunft des Sozialamtes der Stadt H vom 31.10.2000 eingeholt. Hiernach hatte der Beigeladene ab 01.04.1997 einen Anspruch auf pauschaliertes Wohngeld in Höhe von 167,00 DM monatlich.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der den Beigeladenen betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten (2 Bände) Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht zulässig. Dies folgt aus § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Hiernach bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 1.000 Deutsche Mark nicht übersteigt. Dies ist hier der Fall.

Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens war die Abtretung vom 24.04.1997. Hätte die Beklagte diese Abtretung durch Bejahung des wohlverstandenen Interesses des Beigeladenen befolgt, hätte das wirtschaftliche Interesse der Klägerin bei 345,00 DM pro Monat ab der nächstfälligen Mietzahlung im Mai 1997 betragen. Die Abtretung umfasst von ihrem Wortlaut her nur den zur Zeit der Abtretung bestehenden Arbeitslosenhilfeanspruch. Zukünftige Ansprüche sind dagegen nicht erfasst. Dies bedeutet, dass der Klägerin nur der mit Bewilligungsbescheid vom 06.03.1997 dem Beigeladenen zuerkannte Arbeitslosenhilfeanspruch in Höhe von maximal 345,00 DM pro Monat abgetreten worden sein kann. Ob die Klägerin der Auffassung war, von der gewählten Formulierung würden alle etwa in der Zukunft entstehenden neuen Ansprüche auf Arbeitslosenhilfe mit umfasst, mag dahinstehen. Diese Auffassung ist jedenfalls unzutreffend. Es mag schon zweifelhaft sein, ob eine solche Abtretung global für alle Zeit, ggfs. bis zum Rentenalter zulässig wäre, jedenfalls aber müsste eine solche Abtretung, die auch zukünftig entstehende Ansprüche auf Arbeitslosenhilfe umfassen soll, klar formuliert werden. Dies ist hier nicht der Fall. Zur Überzeugung des Senates umfasste die Abtretung vom 24.04.1997 dem Wortlaut nach nur den laufenden Anspruch auf Arbeitslosenhilfe. Endet dieser Anspruch, aus welchem Grunde auch immer, sei es durch Arbeitsaufnahme, sei es durch Wegfall der Verfügbarkeit oder Bedürftigkeit, findet die Wirkung der Abtretung ihr Ende. So hat es auch das BSG in seiner Entscheidung vom 06.04.2000 - B 11 AL 47/99 R - gesehen, wo die Wirkung der dortigen Abtretung mit Arbeitsaufnahme als beendet an gesehen worden ist (vgl. Ziffer 1.3 des Urteils, 1. Absatz). Hier ist im Falle des Beigeladenen die Bewilligung von Arbeitslosen hilfe mit Wirkung vom 07.07.1997 durch Bescheid vom 23.07.1997 bestandskräftig aufgehoben worden. Die in erster Instanz streitbefangene Abtretung vom 24.04.1997 umfasst somit nur den Zeitraum vom 01.05.1997 bis 06.07.1997. Hätte die Beklagte die Abtretung befolgt oder befolgen müssen, hätten an die Klägerin höchstens 345,00 DM im Mai, 345,00 DM im Juni und 202,80 DM im Juli (= maximale Arbeitslosenhilfeanspruch für die Zeit vom 01.01. bis 06.07.1997) überwiesen werden können, also ein Betrag von 892,80 DM. Damit liegt das wirtschaftliche Interesse der Klägerin unter 1.000 DM, so dass die Berufung nicht zulässig ist.

Das Sozialgericht hat die Berufung auch nicht im Urteil zugelassen.

Unerheblich für die Beurteilung der Zulässigkeit der Berufung ist, ob das Sozialgericht dies so erkannt hat. Maßgeblich ist die materielle Rechtslage. Die Beendigung des Arbeitslosenhilfebezuges zum 07.07.1997 ist vom Sozialgericht und den Beteiligten offenbar nicht gesehen worden. Die unzutreffende Rechtsmittelbelehrung stellt keine Zulassung der Berufung dar (vgl. Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 6. Auflage, § 144, Rdnr. 40). Das Sozialgericht hat auch weder erkennbar die späteren Neubewilligungen von Arbeitslosenhilfe noch die spätere Abtretung vom 08.05.1998 in das Verfahren einbezogen. Auch wenn dies rechtsfehlerhaft gewesen wäre, hätte das Sozialgericht dann für den Senat bindend über eine Streitsumme von mehr als 1.000 DM und zudem über eine laufende Leistung für mehr als 1 Jahr entschieden, so dass die Berufung zu lässig gewesen wäre. So war es aber nicht. Es ist erkennbar nur über die Wirkung der Abtretung vom 24.04.1997 entschieden worden, so dass der Senat nicht gehindert war, die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Abtretung selbst auszurechnen.

An der Unzulässigkeit der Berufung ändert sich auch nichts durch, dass die Klägerin durch ihren Antrag im Berufungsverfahren die Verpflichtungsklage in die Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt hat (vgl. zur grundsätzlichen Möglichkeit einer solchen Umstellung das zitierte BSG-Urteil vom 06.04.2000 und die Senatsentscheidung vom heutigen Tag - L 12 AL 246/99 -, welche im Falle eines anderen Beigeladenen zwischen den gleichen Beteiligten des vorliegenden Prozesses ergangen ist). Auch bei einer Feststellungsklage richtet sich die Zulässigkeit nach dem Beschwerdewert (Meyer-Ladewig, § 144 Rdnr. 13). Wird der Beschwerdewert aufgrund des Streitgegenstandes erster Instanz nicht erreicht, kann die Zulässigkeit der Berufung nicht durch Umstellung des Klageantrages, -änderung oder -erweiterung erreicht werden.

Bei der Entscheidung des Senates handelt es sich auch nicht um eine Überraschungsentscheidung. Die Beteiligten sind vom Senat mit Verfügung vom 18.10.2000 darauf hingewiesen worden, dass Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung bestehen. Die Berufung ist am 10.12.1999 eingelegt worden. Zum Zeitpunkt des Hinweises des Senates war aufgrund der unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung (Jahresfrist nach § 151 in Verbindung mit § 66 Abs. 2 SGG) noch die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 145 SGG bis zum 10.12.2000 möglich. Hiervon hatte die anwaltlich vertretene Klägerin jedoch keinen Gebrauch gemacht.

Wird eine Berufung als unzulässig verworfen, findet keine Prüfung in der Sache selbst statt (vgl. hierzu aber die Senatsentscheidung L 12 AL 246/99).

Die Kostenentscheidung beruht auf den § 183, 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die hierfür in § 160 Abs. 2 Ziffern 1 oder 2 SGG genannten Voraussetzungen nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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