L 12 AL 50/00

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 30 AL 118/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AL 50/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 25/00 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 19. Januar 2000 abgeändert und die Klage abgewiesen. Der Kläger hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu erstatten. Weitergehende Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten ist, ob der Kläger einem Schwerbehinderten gem. § 2 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) gleichzustellen ist.

Der Kläger wurde bei dem Beigeladenen ab dem 01.04.1991 als Bauzeichner eingestellt. Diese Tätigkeit übt er auch derzeit noch aus. Er beantragte bei der Beklagten am 12.03.1997 formlos die Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten. Zuvor hatte das Versorgungsamt S ... bei dem am 03.07.1940 geborenen Kläger mit Bescheid vom 05.12.1996 einen Grad der Behinderung (Gdb) von 30 und folgende Behinderungen festgestellt:

Verbildende Veränderungen der Wirbelsäule mit
Nervenwurzelreizerscheinungen,
Bandscheibenschaden, ISG-Sklerose, Fehlstatik;
Funktionseinschränkung der rechten Hand;
Vegetative Fehlsteuerung;
Magenbeschwerden;

Mit Bescheid vom 14.03.1997 lehnte die Beklagten den Antrag des Klägers mit der Begründung ab, aufgrund der Lösung des Arbeitsverhältnisses könne durch eine Gleichstellung der Arbeitsplatz nicht mehr erhalten werden. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus: Das Arbeitsverhältnis sei nicht gelöst. Gegen die am 27.02.1997 zugegangene Kündigung habe er Kündigungsschutzklage erhoben. Nachdem die Beklagte während des Vorverfahrens festgestellt hatte, dass eine Wiedereinstellung des Klägers erfolgte, übersandte sie dem Kläger einen formellen Antrag. In diesem Antrag führt der Kläger aus, durch eine langwierige Krankheit (Bandscheibenvorfall) sei er fast entlassen worden. So sei er vom 19.09.1995 bis 06.01.1997 krank gewesen.

Nachdem der Arbeitgeber zu dem Gleichstellungsantrag des Klägers angehört worden war, erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 14.07.1997 die Gleichstellung unbefristet ab dem 12.03.1997 an.

Gegen diesen Bescheid legte der Beigeladene Widerspruch ein. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, die Beschränkung der Einsatzfähigkeit des Klägers habe allein fachlich-persönliche Gründe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.04.1998 hob die Beklagte den Bescheid vom 14.07.1997 auf und lehnte die Gleichstellung ab.

Dagegen hat der Kläger am 05.05.1998 Klage vor dem Sozialgericht Dortmund erhoben und zur Begründung vorgetragen, die bereits ausgesprochene Kündigung des Arbeitgebers zeige, dass er ihn loswerden wolle. Deshalb sei er auf den Schutz des Schwerbehindertengesetzes angewiesen.

Der Kläger hat vor dem Sozialgericht beantragt,

den Widerspruchsbescheid vom 08.04.1998 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat den Widerspruchsbescheid vom 08.04.1998 für rechtmäßig gehalten und gemeint, dass die Arbeitsplatzgefährdung nicht behinderungsbedingt ist.

Der Beigeladene hat sinngemäß beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat die Auffassung vertreten, dass die ungünstige Konkurrenzsituation allein auf die mangelnde Qualifikaktion des Klägers als Bauzeichner zurückzuführen sei.

Das Sozialgericht hat bezüglich des Klägers von der Techniker Krankenkasse eine Aufstellung vom 15.02.1999 über die Arbeitsunfähigkeitszeiten und die zugrunde liegenden Diagnosen für die Zeit ab 1996 sowie von dem behandelden Arzt ... medizinische Berichte beigezogen.

Mit Urteil vom 19.01.2000 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und den Widerspruchsbescheid vom 09.04.1998 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Widerspruchsbescheid sei bereits deshalb rechtswidrig, weil der von dem Beigeladenen eingelegte Widerspruch unzulässig gewesen sei. Dem Beigeladenen stehe ein Widerspruchsrecht gegen die festgestellte Gleichstellung nicht zu. Zum Bereich der Vorschriften über die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft als solcher sei geklärt, dass kein Klagerecht und auch kein Widerspruchsrecht für den Arbeitgeber bestehe (Hinweis auf BSGE 60, 262 ff). Gleiches müsse dann auch für den weniger einschneidenen Eingriff in das Arbeitsverhältnis als Gleichgestellter geltend. Wenn aber der Beigeladene nicht berechtigt gewesen sei, den Bescheid vom 14.07.1997 anfechten, sei die Beklagte auch nicht befugt gewesen, diese Entscheidung wieder aufzuheben. Wegen des genauen Wortlautes der Entscheidungsgründe wird auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Gegen dieses der Beklagten am 07.02.2000 zugestellte Urteil richtet sich die am 03.03.2000 eingegangene Berufung der Beklagten. Die Beklagte hält ein Widerspruchs- und Klagerecht des Arbeitgebers für gegeben. Eine Übertragung der vom Sozialgericht zitierten BSG-Entscheidung, die zur Feststellung der Schwerbehinderten eigenschaft ergangen sei, auf das Gleichstellungsverfahren komme entgegen der Ansicht des Sozialgerichtes nicht in Betracht. Das Gleichstellungsverfahren sei arbeitsplatzbezogen. Der Arbeitgeber sei zu hören und zu beteiligen, da die Gleichstellungsentscheidung nicht nur in die Rechte des Arbeitnehmers, sondern angesichts der zu untersuchenden Gefährdung des Arbeitsplatzes und der weitreichenden Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis auch in die Rechte des Arbeitgebers eingreife. Bei der Entscheidung über die Schwerbehinderteneigenschaft als solcher komme es auf den Arbeitsplatz nicht an. Da die Arbeitsplatzsituation, die bei der Prüfung, ob eine Gleichstellung gem. § 2 SchwbG in Betracht komme, eine entscheidene Rolle spiele, während sie nach § 1 SchwbG unerheblich sei, müsse ein Widerspruchs- und Klagerecht des Arbeitgebers anerkannt werden. Die Entscheidung des BSG vom 22.10.1986 - 9a RVs 3/84 - könne nicht übertragen werden. So habe selbst das BSG in der zitierten Entscheidung zur Frage, ob ein Arbeitgeber ein Klagerecht im Gleichstellungsverfahren habe, eingeräumt, dass eine konstitutive Entscheidung des Arbeitsamtes in Bezug auf ein bestimmtes Arbeitsverhältnis ein Anfechtungsrecht des zu beteiligen den Arbeitgebers haben könne. Da im Übrigen die im Berufungsverfahren eingeholten Auskünfte und die eigenen Erklärungen des Klägers ergeben hätten, dass eine Gefährdung des Arbeitsplatzes nicht bestehe, sei die Entscheidung, den Kläger nicht gleichzustellen, auch sachlich zutreffend.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 19.01.2000 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Vertreter der Beigeladenen schließt sich diesem Antrag an.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hält das anfochtene Urteil für zutreffend und weist ergänzend darauf hin, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung eine Gleichstellung geboten war. Er sei wegen eines Bandscheibenvorfalles lange arbeitsunfähig gewesen. Die Kündigung sei seinerzeit auch wegen seiner Behinderung erfolgt und nicht nur, wie der Beigeladene vortrage, aus fachlichen Gründen.

Auf Befragen des Senates im Verhandlungstermin vom 20.06.2001 hat der Kläger mitgeteilt, dass sich seine Arbeitplatzsituation grundlegend geändert habe. Er sei zwar noch der einzige Bauzeichner im Betrieb, doch stehe er kaum noch am Zeichenbrett. Er könne im Sitzen arbeiten und werde auch auswärtig auf Baustellen eingesetzt. Diese Bewegung tue im gut. Der Arbeitsplatz sei derzeit optimal. Der Beigeladene nehme auf ihn Rücksicht, wenn er einmal schwere Sachen zu bewegen habe. Er bestehe aber auf der Gleichstellung, weil er nicht wisse, was in Zukunft passiere, insbesondere nach Beendigung dieses Prozesses. Der GdB nach dem SchwbG betrage unverändert 30 %.

Der Senat hat eine Auskunft der Techniker Krankenkasse vom 14.03.2001 über die beim Kläger festgestellten Arbeitsunfähigkeitszeiten eingeholt sowie einen Befundbericht des behandelnden praktischen Arztes ... vom 16.03.2001 beigezogen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Akte des Arbeitsgerichtes Iserlohn 2 Ca 856/97 Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig. Da die Entscheidung über die Gleichstellung mit Schwerbehinderten nach § 2 SchwbG zu den übrigen Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit im Sinne des § 51 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zählt, wie sich insbesondere aus § 33 SchwbG ergibt, ist der Sozialrechtsweg gegeben.

Der Senat hält im Gegensatz zum Sozialgericht ein Widerspruchsrecht und damit auch von einem Klagerecht des Arbeitgebers, des Beigeladenen, für gegeben. Im vorliegenden Fall geht es um die Gleichstellung bezogen auf einen konkreten, auch heute noch existierenden Arbeitsplatz. Die Beurteilung der konkreten Arbeitsplatzsituation ist eine Voraussetzung, um eine Gleichstellung zur Sicherung des Arbeitsplatzes überhaupt vornehmen zu können. Der Arbeitgeber ist im Widerspruchsverfahren nach § 43 Abs. 2 SchwbG anzuhören. Zwar hat das BSG mit Urteil vom 22.10.1986 (SozR 3870 § 3 Nr.23 = BSGE 60, 284) entschieden, dass ein Klagerecht des Arbeitgebers gegen die Feststellung des Schwerbehindertenstatus nicht bestehe. Im 3. Orientierungssatz dieser Entscheidung hat das BSG jedoch ausdrücklich betont, dass ein Klagerecht im Gleichstellungsverfahren nach § 2 SchwbG bestehe. Zur Begründung hat das BSG ausgeführt, dass die Begründung des Schwerbehindertenstatus ohne Interessenabwägung jedem gegenüber festgestellt werde. Im Gleichstellungsverfahren führe aber die Verwaltung einen Interessenausgleich zwischen Antragsteller und Arbeitgeber herbei. Dann müsse systemgerecht demjenigen, der in seinen Rechten beeinträchtigt werde, auch eine Anfechtungsmöglichkeit zugestanden werden. Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an. Er hält sie für zutreffend. Ausdrücklich ist die genannte BSG-Entscheidung zum Anfechtungsrecht gegen die Zuerkennung des Schwerbehindertenstatus ergangen, die Ausführungen zur Gleichstellung erfolgten nur im Rahmen der Begründung dieser Entscheidung. Soweit allerdings das LSG Sachsen (Urteil vom 27.09.1995 - L 3 AL 136/94 -) und das LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 19.09.2000 - L 7 Ar 150/98 -) diese BSG-Entscheidung zur Stützung ihrer eigenen Entscheidung zitieren, im Gleichstellungsverfahren könne nichts anderes gelten als im Feststellungsverfahren der Schwerbehinderteneigenschaften, vermag der Senat diese Auffassung nicht zu teilen. Die vorgenannten Gerichte begründen ihre Entscheidung im Wesentlichen mit Datenschutzgesichtspunkten. Dies vermag nicht zu überzeugen. Der Gesetzgeber verlangt eine Abwägung zwischen konkreten Behinderungen und der Erhaltung eines konkreten Arbeitsplatzes. Jedem Antragsteller mit einem GdB von 30 oder 40 % muss also klar sein, dass seine Behinderungen in Beziehung gesetzt werden müssen, zu den Bedingungen seines konkreten Arbeitsplatzes. Der Senat hält es nicht für eine chancengleiche Verteilung der prozessualen Rechte, wenn der Arbeitgeber einerseits zu beteiligen ist und ihm Mitwirkungspflichten auferlegt werden, er andererseits aber keine Rechte in Bezug auf Widerspruch oder Klage haben soll, weil dies mit dem Datenschutz nicht in Einklang stehen soll. Jeder, der die Gleichstellung beantragt, muss dies wissen und in diesem Umfang die konkrete Prüfung der Auswirkung der tatsächlich bestehenden Behinderung auf den konkreten Arbeitsplatz auch durch den Arbeitgeber zulassen. Gerade weil das Gleichstellungsverfahren gegenüber den Statusverfahren der Schwerbehinderteneigenschaft ein Minus darstellt, hält es der Senat für geboten, auch im Bezug auf die prozessualen Recht zu differenzieren. Der Beigeladene konnte somit gegen die Gleichstellung im Bescheid vom 14.07.1997 wirksam Widerspruch einlegen, über den der Widerspruchsausschuss sachlich zu befinden hatte.

Nach § 2 Abs. 1 SchwbG sollen Personen mit einem Gdb von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen im Übrigen die Voraussetzungen des § 1 vorliegen, aufgrund einer Feststellung nach § 4 auf ihren Antrag vom Arbeitsamt Schwerbehinderten gleichgestellt werden, wenn sie in Folge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht behalten können. Die Frage der Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes, die ebenfalls von § 2 Abs. 1 SchwbG erfasst wird, stellt sich hier nicht, da der Kläger seinen Arbeitsplatz als Bauzeichner nach wie vor innehat und zu keinem Zeitpunkt kund getan hat, dass er im Alter von nunmehr 61 Jahren einen anderen Arbeitsplatz anstrebe. Der Kläger erfüllt zwar die Voraussetzungen eines anerkannten GdB von 30 v. H. und des Wohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland, jedoch ist sein konkreter Arbeitsplatz als Bauzeichner in Folge seiner Behinderung ohne die Gleichstellung nicht gefährdet. Diese Feststellungen, die für den Tag der mündlichen Verhandlung nach den eigenen Angaben des Klägers als unstreitig angesehen werden können, gelten auch für die Vergangenheit. Von September 1995 bis Anfang Januar 1997 hatte der Kläger unter den Folgen eines Bandscheibenvorfalles zu leiden. Danach war er nach den Ausführungen seines behandelnen Arztes ... im Befundbericht vom 16.03.2001 als Bauzeichner gegenüber nichtbehinderten Bauzeichnern benachteiligt. Dies kann als zutreffend unterstellt werden. Der Kläger war jedoch seit dem 12.03.1997 wegen des Bandscheibenvorfalles nicht mehr arbeitsunfähig. Im Jahr 1998 war er nach der Bescheinigung der Techniker Krankenkasse lediglich vom 15.12.1999 für 4 Tage wegen eines fieberhaften Infektes, am 25.03.1999 wegen eines chirugischen Eingriffs am Gebiss und vom 17.05. bis 05.06.1999 wegen einer Rippenfraktur arbeitsunfähig. Eigenen Angaben zufolge sind keine weiteren Krankheitszeiten eingetreten. Er hat sich allerdings in seiner freien Zeit Spritzen gehen lassen, seine Arbeitsfähigkeit war jedoch nicht weiter beeinträchtigt. Möglicherweise hängt dies auch damit zusammen, dass der Beigeladene nach der Erkrankung des Klägers ab 1997 den Arbeitsplatz des Klägers leidensgerecht gestaltet hat. Bezogen auf den Zeitpunkt der Antragsstellung am 12.03.1997 (vgl. hierzu BSG vom 02.03.2000 - B 7 AL 46/99 R -) kann somit für keinen Zeitraum - auch nicht befristet - festgestellt werden, dass es der Gleichstellung zur Erhaltung seines Arbeitsplatzes als Bauzeichner bei dem Beigeladenen bedurfte. Dann aber konnte die Klage insgesamt keinen Erfolg haben. Der Berufung gegen das zusprechende Urteil des Sozialgerichts hatte somit Erfolg.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil er der Frage grundsätzliche Bedeutung zumißt, ob der Arbeitgeber ein Widerspruchsrecht und Klagerecht besitzt. Zum einen weicht der Senat mit seiner Entscheidung von gegenteiligen Entscheidungen des LSG Sachsen und des LSG Rheinland-Pfalz ab. Zum anderen hat das BSG diese Frage in seiner vom Senat zitierten Entscheidung vom 22.10.1986 nur inzidenter, aber nicht ausdrücklich entschieden.
Rechtskraft
Aus
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