S 39 KA 1248/10 ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
39
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 39 KA 1248/10 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 KA 2/11 B ER
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Der Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung vom 23. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller und die Beigeladene tragen je zur Hälfte die Kosten des Antragsverfahrens, einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin.

Gründe:

I. In Streit steht die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung des Vertrages zur hausarztzentrierten Versorgung gem § 73 b SGB V in der Fassung vom 3. September 2009 (nachfolgend "HzV-Vertrag") der Antragsgegnerin vom 16. Dezember 2010. Der Antragsteller will im Wege des Einstweiligen Rechtsschutzes eine sofortige Regelungsanordnung gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Sicherung seiner Rechte und zur Abwendung wesentlicher Nachteile für die Sicherstellung und Funktionsfähigkeit der ambulanten hausärztlichen Versorgung im Freistaat Bayern erreichen, weil er diese Kündigung für formell und materiell unwirksam hält. Die Antragsgegnerin führte im Schreiben vom 3. Dezember 2010 an den Antragsteller un-ter Betreff "Kündigung des HzV-Vertrages aus wichtigem Grund" zusammengefasst aus, dass angesichts des Aufrufs des Antragstellers zum "Systemausstieg" sowie der Ankündigung, die Krankenkassen, mithin auch die Antragsgegnerin, nach dem Systemausstieg durch Praxisschließungen zum Abschluss neuer Selektivverträge zwingen zu wollen, die Fortsetzung des HzV-Vertrages für die Antragsgegnerin unzumutbar sei. Der Antragsteller verletze seine vertragliche Loyalitätspflicht gemäß § 23 Abs. 1 a HzV-Vertrag und drohe damit, die Antragsgegnerin bei einem erfolgreichen "Systemausstieg" zu einem rechtswidrigen Verhalten zu zwingen: Der Antragsgegnerin sei es gesetzlich untersagt, zur Erfüllung ihres Sicherstellungsauftrages Verträge mit Ärzten zu schließen, die auf ihre Zulassung verzichtet hätten. Gleichwohl wolle der Antragsteller den Abschluss entsprechender Verträge durch Praxisschließungen erzwingen. Das Vorhaben des Antragstellers erweise sich damit nicht nur für sich genommen als rechtswidrig, sondern setze auch auf ein gesetzwidriges Verhalten seines Vertragspartners. Diesem Vorhaben müsse sich die Antragsgegnerin als auf die Einhaltung von Recht und Gesetz verpflichtete Körperschaft des öffentlichen Rechts von vornherein bedingungslos widersetzen. Die Antragsgegnerin sehe sich daher gezwungen, den HzV-Vertrag aus wichtigem Grund nach § 18 Abs. 6 HzV-Vertrag zu kündigen. Der Antragsteller könne die Kündigung nur abwenden, wenn er bis spätestens zum 14. Januar 2010 schriftlich nachweise, dass er den Aufruf zum System-ausstieg durch Erklärung sowie Rundschreiben an alle seine Mitglieder zurückgenommen habe und er keinen kollektiven Zulassungsverzicht mehr betreiben oder unterstützen wer-de. Mit Schreiben vom 6. Dezember 2010 entgegnete der Antragsteller dem insbesondere damit, dass er den teilnehmenden Hausärzten empfehlen würde, die Systemausstiegs-Diskussion zu beenden, wenn die Antragsgegnerin bereit wäre, eine Verlängerung des Hausarztvertrages bis zum 31.Dezember 2015 (ursprüngliche Laufzeit bis 31. Dezember 2011) zuzustimmen. Des Weiteren sei der Antragsteller bereit, die Forderung nach einer Absenkung der Fallwertobergrenze auf Euro 76,00 ab dem 1. Quartal 2011 zu akzeptieren. Aufgrund der Laufzeit und des in absehbarer Zeit absehbaren Anstiegs der Lebenshaltungskosten knüpfe der Antragsteller dies an die Zusage der Antragsgegnerin, die Fallwertobergrenze ab dem 01. Januar 2014 auf Euro 78,00 zu erhöhen. Der Antragsteller bitte um Verständnis, dass er aus organisatorischen Gründen um Rücksendung eines unterschriebenen Exemplars des Vertrages in der Fassung der beiliegenden 3. Änderungsvereinbarung bis Freitag, den 10.Dezember 2010, bitten müsse. Am 11. Dezember 2010 finde eine bereits vor einiger Zeit anberaumte Delegiertenversammlung des BHÄV statt. Den Mitgliedern des Antragstellers wurde im Fortgang in Vorbereitung auf die auf den 22. Dezember 2010 vorverlegte Vollversammlung Nürnberg "Formblätter" zum Zulassungsverzicht übermittelt. Mit Schreiben vom 16. Dezember 2010 teilte dann die Antragsgegnerin dem Antragsteller unter Betreff "Kündigung des HzV-Vertrags aus wichtigem Grund" mit, dass die erneuten Aufrufe des Antragstellers zu einem rechtswidrigen Systemausstieg bereits für sich genommen die Antragsgegnerin zur Kündigung des bestehenden HzV-Vertrages aus wichtigen Grund berechtigen würden. Hinzu komme nunmehr, dass der Antragsteller in sachwidriger Weise versuche, die AOK Bayern unter Drohungen zum Abschluss eines für die AOK Bayern nicht akzeptablen HzV-Vertrages zu zwingen. Weiter werde in dem Rund-schreiben des Antragstellers die Antragsgegnerin verunglimpft, indem von einem "Unrechtsgeschehen" und einem "Unterdrückungssystem" die Rede sei, die Hausärzte wür-den zudem als "Sklaven der Kassen" bezeichnet. Eine solche öffentliche Diffamierung durch ihren Vertragspartner sei für die Antragsgegnerin nicht akzeptabel. Die Reaktion des Antragstellers auf das Schreiben der Antragsgegnerin vom 3. Dezember 2010 stelle vor diesem Hintergrund in der Gesamtschau einen neuen, eigenständigen Kündigungsgrund dar. Der Antragsgegnerin sei die Fortsetzung des bestehenden HzV-Vertrages unter Berücksichtigung aller Umstände ersichtlich nicht mehr zumutbar. Die Antragsgegnerin erkläre daher hiermit die fristlose Kündigung des bestehenden HzV-Vertrages aus wichtigem Grund. Die Kündigung sei fristlos. Gleichwohl gewähre die Antragsgegnerin eine zweiwöchige Auslauffrist zum 31. Dezember 2010 zur technischen Umstellung der Versorgung. Mit Ablauf des 31. Dezember 2010 ende somit der bestehende HzV-Vertrag. Die im Schreiben vom 3. Dezember 2010 gesetzte Frist, binnen sechs Wochen den Aufruf zum Systemausschuss zurückzunehmen und somit die Vertragsverletzung zu beseitigen, stelle keine Bedingung dar. Es handle sich vielmehr um eine in § 18 Abs. 6 HzV-Vertrag (analog § 314 Abs. 2 BGB) vorgesehene Abhilfefrist. Diese sei infolge der mit diesem Schreiben erklärten Kündigung gegenstandslos geworden. Die Kündigung erfolge auch formgerecht. Die Gründe für die Kündigungsandrohung habe die Antragsgegnerin im Schreiben vom 3. Dezember 2010 ausführlich und konkret dargelegt. Inzwischen würden neue Gründe für die Kündigung des HzV-Vertrages bestehen. Die für arbeitsrechtliche Kündigung vorgesehene Frist des § 626 Abs. 2 BGB finde auf die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen wie den HzV-Vertrag im Übrigen keine Anwendung. Der Kündigung könne auch nicht entgegen gehalten werden, der Antragsgegnerin sei die "politische Dis-kussion" des Systemausstiegs "seit längerem bekannt". Die Kündigungsandrohung wäre für den Antragsteller erkennbar nicht auf eine politische Diskussion gestützt, sondern auf konkrete rechtswidrige Aufrufe des BHÄV zum Systemausstieg in immer neuen Rund-schreiben und Veröffentlichungen.

Dagegen wendet sich der Antrag auf Einstweiligen Rechtsschutz. Zusammengefasst trägt der Antragsteller vor, dass sowohl die Kündigungserklärungen vom 3. Dezember als auch vom 16. Dezember 2010 bereits formell unwirksam, da nicht auch gegenüber der beigeladenen HÄVG, die ebenfalls Vertragspartei des streitgegenständlichen Vertrages sei, er-folgt. Die Kündigung sei darüber hinaus materiell unwirksam, da sich die Antragsgegnerin an der von ihr im Schreiben vom 3. Dezember 2010 gesetzten Abhilfefrist festhalten las-sen müsse. Somit habe die Antragsgegnerin ihr Schreiben offensichtlich selbst nicht als Kündigung verstanden wissen wollen, sondern vielmehr als Abhilfeverlangen gemäß § 18 Abs. 6 des HzV-Vertrages. Der außerordentlichen Kündigung der Antragsgegnerin vom 16. Dezember 2010 sei mithin kein neuer Sachverhalt zugrunde gelegen, aufgrund dessen die Antragsgegnerin zur Abkehr von dieser Fristsetzung berechtigt gewesen wäre. Das von der Antragsgegnerin im Schreiben vom 3. Dezember 2010 in Bezug genommene Rundfax des Antragstellers vom 29.November 2010 habe bereits alle Ankündigungen enthalten, die diesem im Schreiben vom 16. Dezember 2010 erneut aus wichtigem Grund heranzuziehen versuche. Schließlich mangele es zur Wirksamkeit einer Kündigung auch an einem wichtigen Grund gemäß § 18 Abs. 6 HzV-Vertrages. Das Vorgehen des Antragstellers sei verfassungsrechtlich geschützt. Der Antragsteller sei ein Berufsverband und erhalte von seinen Mitgliedern Beiträge, damit er deren Interesse wahrnehme. Ein Anordnungsgrund liege darin, dass dem Antragsteller durch das willkürliche und rechts-widrige Lossagen der Antragsgegnerin von deren vertraglichen Verpflichtungen aus dem HzV-Vertrag schwere irreversible Rechtsverletzungen drohen würden. Ohne Zahlungen der Antragsgegnerin werde der Antragsteller nicht in der Lage sein, seinerseits seine vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den am HzV-Vertrag teilnehmenden Hausärzten zu erfüllen. Die Antragsgegnerin habe es bereits jetzt unterlassen, dem Antragsteller ein Versichertenverzeichnis für das 1. Quartal 2011 zu übersenden. Sie greife damit abrupt und unvorhersehbar in die Rechte des Antragstellers ein, ohne hierzu berechtigt zu sein. Dadurch drohe der Zusammenbruch der ambulanten hausärztlichen Versorgung in Bay-ern. Die Antragsgegnerin erwidert darauf im Wesentlichen, dass weder Anordnungsanspruch noch Anordnungsgrund bestehe. Der Antragsteller habe mit seinen Aufrufen zu einem rechtswidrigen "Systemausstieg" seine Vertragspflichten verletzt, dann auf eine Abmahnung hin sein rechtswidriges Verhalten verstärkt, es sei versucht worden, die Antragsgegnerin unter Drohungen zum Abschluss eines neuen HzV-Vertrages nach den Vorgaben des Antragstellers zu zwingen. Zugleich habe der Antragsteller die Antragsgegnerin wiederholt öffentlich verunglimpft. Ein solches Verhalten würde kein Vertragspartner akzeptieren und sei deshalb der Antragsgegnerin nicht länger zumutbar gewesen. Die in der Antragsschrift behauptete Drohung "Zusammenbruch der ambulanten ärztlichen Versorgung in Bayern" sei ein surreales Konstrukt. Einen solchen Zusammenbruch möge der Antragsteller im Kern seiner berufspolitischen Ambitionen verfolgt haben, er werde aber zu keinem Zeitpunkt eintreten: Rechtsfolge der Kündigung sei lediglich, dass ab dem 1. Januar 2011 die hausärztliche Versorgung vom Kollektivsystem erbracht und vergütet werden werde. Hausärzte, die bislang am HzV-Vertrag teilgenommen hätten, würden also infolge der Kündigung des Vertrages ab dem 1. Januar 2011 durch die KV Bayern die Honorare kollektivvertraglich vom Gesamten erhalten. Eine Gefährdung der Versorgungssicherung als Folge der außerordentlichen Kündigung des HzV-Vertrages gebe es nicht. Es sei allerdings umgekehrt der Antragsteller gewesen, der auf seine Aufrufe zu einem rechtswidrigen Systemausstieg der bayerischen Hausärzte und die Ankündigung von Praxisschließungen durch einen Versorgungsnotfall herbeiführen gewollt hätte, um sich gegen die zum 1. Januar 2011 in Kraft tretenden gesetzlichen Neuregelungen zu wehren und ihm günstigere Vertragsinhalte mit den gesetzlichen Krankenkassen zu erzwingen. Mit Schriftsätzen vom 28. Dezember 2010 und 7. Januar 2011 weist der Antragsteller noch im Wesentlichen daraufhin, dass er den Weg des Systemausstiegs in Zukunft nicht mehr verfolgen werde. Er habe, wie von der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 3. Dezember 2010 gefordert, nunmehr gegenüber den Hausärzten per Rundschreiben verkündet, dass er vom Systemausstieg Abstand nehme und nicht mehr zu diesem aufrufen werde. Durch den Rücktritt des Vorsitzenden des Antragstellers sei diese Entscheidung auch formal verdeutlicht und somit sogar mehr getan als von der Antragsgegnerin gefordert. Die Antragsgegnerin habe die vertraglichen Rechte des Antragstellers "mit den Füßen getreten". U.a. habe sie rechtswidrig und rückwirkend davon 38 Millionen gekürzt. Der Antragsteller und die Hausärzte hätten sich stets darum bemüht, Ablaufprobleme mit der Antragsgegnerin gemeinsam zu lösen. Der Aufruf zum kollektiven Zulassungsverzicht sei schon Gegenstand des Abhilfeverlangens vom 3. Januar 2011 gewesen und könne nicht die fristlose Kündigung vom 16. Dezember 2010 als eigenständiger Kündigungsgrund rechtfertigen. Die auf der Veranstaltung in Nürnberg am 22. Dezember 2010 beabsichtigte Befragung der Mitglieder zu einem Votum über deren Systemausstieg sei stets angekündigt gewesen, die Antragsgegnerin habe diese berufspolitischen Aktivitäten des Antragstellers schon länger geduldet und es sei nicht ersichtlich, warum ihr die Fortführung des Vertrages aufgrund dieses Verhaltens plötzlich unzumutbar sein soll. § 95 b Abs 1 SGB V normiere im übrigen eine Pflichtwidrigkeit für den kollektiv verzichtenden Haus-arzt, nicht aber für den dazu aufrufenden Berufsverband. Selbst wenn ein eigenständiger, neuer Kündigungsgrund vorliegen würde, hätte die Antragsgegnerin erneut eine Frist zur Abhilfe stellen müssen, dies schreibe § 18 Abs 6 HzV-Vertrag bei Vertragsverletzungen schließlich vor.

Die Beigeladene weist mit Schriftsatz vom14. Januar 2011 zusammengefasst ebenfalls auf die formelle Unwirksamkeit der Kündigung hin, da diese nur gegenüber dem Antragsteller erklärt worden sei. Die Beigeladene berufe sich insofern auf ihre Parteistellung. Die gem. § 18 Abs 6 notwendige Abmahnung hätte ebenfalls nicht nur gegenüber dem Antragsteller, sondern auch gegenüber der Beigeladenen erfolgen müssen. Ergänzend weise die Beigeladene noch daraufhin, dass sie zur Vorhaltung von Personal und Sachmitteln zur Erfüllung der ihr unter dem HzV-Vertrag obliegenden Leistungen verpflichtet sei, die einen erheblichen Aufwand für sie bedeuten. Eine Aufrechterhaltung der dafür notwendigen personellen und sachlichen Kapazitäten bis zum Abschluss eines Hauptsacheverfahrens sei der Beigeladenen wirtschaftlich nicht möglich. Die Zurückweisung des Antrages hätte bei der Beigeladenen einen sofortigen Personalabbau in erheblichem Umfang zur Folge.

Der Antragsteller beantragt: Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den zwischen der Antragsgegnerin, dem Antragsteller und der HÄVG Köln, am 12. Februar 2009 geschlossenen Hausarztvertrag gemäß § 73 b Abs. 4 SGB V i.d.F. vom 3. September 2009 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache über die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung des Vertrages durch die Antragsgegnerin vom 3. Dezember 2010 und vom 16. Dezember 2010 fortzuführen und die entsprechenden Versichertenverzeichnisse gemäß § 11 Abs. 4 des HzV-Vertrages unverzüglich an den Antragsteller zu übermitteln. Der Antragsgegnerin werden die Kosten des Verfahrens auferlegt.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.

Die Beigeladene beantragt: Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den zwischen der Antragsgegnerin, dem An- tragsteller sowie der Beigeladenen am 12. Februar 2009 geschlossenen hausarztzentrierten Versorgungsvertrag gemäß § 73 b Abs 4 SGB V in der Fassung vom 3. September 2009 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache über die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung des Vertrages durch die Antragsgegnerin vom 3. Dezember 2010 und vom 16. Dezember 2010 fortzuführen und die entsprechende Versichertenverzeichnisse gemäß § 11 Abs 4 des HzV-Vertrages unverzüglich an den Antragsteller zu übermitteln.

Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Verfahrensakte S 39 KA 1248/10 ER verwiesen.

II.

Der Antrag auf Einstweilige Anordnung war zurückzuweisen, da jedenfalls ein Anordnungsanspruch nicht vorliegt ... Die durch die Antragsgegnerin am 16.12.2010 Dezember erklärte Kündigung ist sowohl formell als auch materiell wirksam. Was die formelle Wirksamkeit angeht, so ist es zwar richtig, wie der Antragsteller und die Beigeladene ausführen, dass eine solche grundsätzlich allen Vertragspartnern gegenüber zu erklären ist. Hier ist es aber schon mehr als zweifelhaft, ob die Beigeladene ein Vertragspartner der Antragsgegnerin in diesem Sinne ist. Schließlich ist die Beigeladene ein Dachverband, d.h. Mitglied der Beigeladenen können gemäß § 3 Ziffer 1 ihrer Satzung lediglich Körperschaften oder sonstige Zusammenschlüsse von in der hausärztlichen Versorgung tätigen Ärztinnen und Ärzten sein. Fraglich ist damit bereits, ob die Beigeladene eine Gemein-schaft der Leistungserbringer nach § 73 Abs. 1 a SGB V im Sinne von § 73 b Abs. 4 Nr. 2 SGB V ist und damit überhaupt eine im Fünften Buch Sozialgesetzbuch verliehene Abschlusskompetenz besitzt, Partner des streitgegenständlichen Vertrages zu sein (zu der Notwendigkeit des Bestehens einer solchen Abschlusskompetenz bezogen auf den An-tragsteller vgl. Beschluss Bay. LSG vom 4. Juli 2009- L 12 KA 33/09-). Eine vertraglich vereinbarte Abweichung vom oben zitierten Grundsatz, eine Kündigung müsse allen Vertragspartnern gegenüber erklärt werden, liegt hier nicht vor bzw. ist wohl nicht eindeutig vertraglich festgelegt. Im Ausnahmefall kann aber eine Kündigung nur einem Vertragspartner gegenüber auch ohne vertragliche Vereinbarung wirksam sein (Weidenkaff, in: Palandt, 68. Auflage 2009, § 542 Rdnr. 18). Dies ist hier der Fall. In Hinblick auf § 242 BGB kann sich nämlich weder der Antragsteller noch die Beigeladene in zulässiger Weise darauf berufen, die Kündigung der Antragsgegnerin hätte auch gegenüber der Beigeladenen erklärt werden müssen, um wirksam zu sein. Schließlich haben alle Beteiligten in ihrer ersten Änderungsvereinbarung zum Vertrag zur Durchführung einer hausarztzentrierten Versorgung gemäß § 73 b SGB V vom 12. Februar 2009 festgelegt, dass der Antragsteller sämtliche tragende Funktionen des bestehenden HzV-Vertrages übernimmt und die Beigeladene lediglich den Antragstel-ler und die Antragsgegnerin bei der technischen und administrativen Umsetzung des Vertrages als Erfüllungsgehilfin umfassend unterstützt. Damit haben sowohl der Antragsteller als auch die Beigeladene einen Vertrauenstatbestand mit dem Inhalt bei der Antragsgegnerin geschaffen, die Beigeladene sei aus Rechtssicht aller Beteiligten und in ihrer ein-vernehmlichen Vertragspraxis lediglich Erfüllungsgehilfin. Im jetzt ausgefochtenen Rechts-streit sich auf die Eigenschaft der Beigeladenen als gleichberechtigte Vertragspartnerin zu berufen, um in diesem zu obsiegen, stellt ein widersprüchliches Verhalten dar, das rechtsmissbräuchlich und daher unbeachtlich ist (Heinrichs, in Palandt, 68.Auflage, § 242 BGB Rdnr. 55). Nebenbei hat die Beigeladene zuvor bei keiner anderen, dem Gericht zur Kenntnis gelangten Gelegenheit, insbesondere auch nicht bei dem in dieser Kammer vo-rangegangenem Verfahren S 39 KA 672/10 ER, sich auf ihre Rechte als Vertragspartner berufen, z.B. durch Anregung einer notwendigen Beiladung im Gerichtsverfahren. Zutreffend weist die Antragsgegnerin noch darauf hin, dass der Antragsteller etwa bei seinem mit Schreiben vom 6. Dezember 2010 vorgelegten Vertragsänderungsvorschlag die Bei-geladene selbst auch in keiner Weise miteinbezogen hat. Das Berufen auf ihre Rechtspo-sition als Vertragspartner durch die Beigeladene ist im Übrigen auch deshalb unbeachtlich, weil davon auszugehen ist, dass die Kündigung dieser ausreichend zur Kenntnis ge-langt ist. Auf die Nichteinhaltung der Schriftform gem. § 18 Abs 6 HzV-Vertrag kann sich die Beigeladene aus oben ausgeführten Gründen (wohl) nicht berufen. Ein (zeitiges) Nachholung der schriftlichen Kündigung auch gegenüber der Beigeladenen durch die Antragsgegnerin ist nicht vorgetragen, offenbar auch nicht erfolgt ... Vertragsgerecht setzte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 3. Dezember 2010 dem Antragsteller zunächst eine Frist zur Abhilfe, bzw. forderte den Antragsteller zum künftigen Unterlassen des angedrohten Systemausstiegs bis zum 14. Januar 2011 auf. Dieses Verhalten hat die Antragsgegnerin in ihrer ersten Kündigungserklärung unter dem Setzen der Abhilfefrist abgemahnt. An diese Abmahnung bzw. an diese Abhilfefrist war die Antragsgegnerin zunächst auch gebunden und konnte den Vertrag ohne Hinzukommen neuer Kündigungsgründe vor Ablauf dieser Frist nicht wirksam kündigen. Nach Ansicht des Gerichts setzte der Antragsteller aber mit seiner Antwort vom 6. Dezember 2010 bzw. seinem Verhalten folgend auf die erste Kündigungserklärung der Antragsgegnerin vom 3. Dezember 2010 Fakten, die letztlich einen eigenständigen Kündigungsgrund und die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Vertrages für die Antragsgegnerin bedingen. Zunächst liegt mit dem angekündigten kollektiven Systemausstieg der teilnehmenden Ärz-te bzw. dem Aufruf des Antragstellers dazu unfraglich eine schwerwiegende Vertragsverletzung vor. Ein kollektiver Zulassungsverzicht im Rahmen eines abgestimmten Verhaltens bzw. die Aufforderung und aktive Organisation desselben durch den Antragsteller entgegen des in § 95 b SGB V festgelegten Verbots stellt unzweifelhaft das Gegenteil ei-ner Vertragsförderung dar, zu der der Antragsteller verpflichtet ist. Schließlich können die Hausärzte, die diesem Aufruf folgen, nicht weiter Partner eines Selektivvertrages sein (er-neute Zulassung frühestens nach sechs Jahren, § 95 b Abs 2 SGB V, vgl. dazu BSG, Ur-teil vom 17.06.2009-B 6 KA 16/08 R-). Zwar ist der Arzt, der entgegen dem Verbot gem. § 95 b Abs 1 SGB V im Rahmen eines Kollektivverzichts auf seine Zulassung verzichtet, noch verpflichtet, GKV-Patienten zu behandeln, jedenfalls bis die Versorgung anderweitig sichergestellt ist (§ 95 b Abs 3 SGB V, BSG aao). Es ist dennoch fraglich, wie die Versorgung in dieser Übergangsphase tatsächlich sichergestellt hätte werden können. Es ent-steht der Eindruck, die verzichtenden Mitglieder des Antragstellers sollten diesen Verzicht in der Erwartung erklären, die vertragsärztliche Versorgung werde auf Dauer ohne sie nicht auskommen und sie würden in Folge weiterhin von dem System der gesetzlichen Krankenversicherung allerdings zu den vom Antragsteller bzw. seine Mitgliedern ge-wünschten Bedingungen in Anspruch genommen (vgl. etwa Rundschreiben des Vorstands des Antragstellers, Anlage AG 6 und vom 6. Dezember 2011, an die Mitglieder vom 8. November 2011, Anlage AG 8). Diese Linie des Antragstellers stellt ein rechts-missbräuchliches Verhalten nicht nur der an einem solchen kollektiven Zulassungsverzicht teilnehmenden Ärzte, sondern auch des Antragstellers als dieses Verhalten anre-gender, fördernder und organisierender Verband dar. Der Antragsteller baute den Kollektivverzicht als "Drohkulisse" auf, um unter anderem die Antragsgegnerin dazu zu bewe-gen, das Vertragsverhältnis nach seinen Wünschen und Vorstellungen fortzusetzen. Bezüglich eines solchen Verhaltens kann sich der Antragsteller nicht auf seine Rechte als Berufsverband berufen. Dieses Verhalten des Antragstellers stellt vielmehr unzweifelhaft eine schwerwiegende Vertragsverletzung dar ... Insofern der Antragsteller darauf hinweist, die Antragsgegnerin selbst nehme durch ihr Verhalten die Gefahr der Sachleistungsverweigerung der Hausärzte und damit die Gefahr der nicht mehr ausreichenden Versorgung der Versicherten in Kauf, ist mit obigen Ausführungen darauf hinzuweisen, eben dies tat der Antragsteller mit dem angedrohten System-ausstieg selbst. Schließlich war es Kalkül des Antragstellers, durch die Androhung des Systemausstiegs die mögliche Gefährdung der hausärztlichen Versorgung als "Drohkulis-se" aufzubauen und so die Antragsgegnerin als unmittelbare Vertragspartnerin, aber auch andere, mittelbar Beteiligte (die in den Verlautbarungen des Antragstellers oft angesprochene Bundesregierung oder die Bayerische Staatsregierung) zum Eingehen auf die Vergütungsforderungen des Antragstellers zu bewegen. Zu einem solchen Verhalten war der Antragssteller im Übrigen auch nicht vor dem Hintergrund der Vergütungskürzungen der Antragsgegnerin in der Vergangenheit berechtigt, wenn auch die im Verfahren S 39 472/10 ER Streitgegenständlichen aus Sicht dieses Gerichts rechtswidrig waren (vgl. Be-schluss der 39.Kammer vom 3. Dezember 2010, nicht rechtskräftig) und die Antragsgegnerin damit selbst keineswegs durchgehend ein vertragsgerechtes oder gar vertragsför-derndes Verhalten in der Vergangenheit vorweisen kann (vgl. dazu die für alle Beteiligten geltende Loyalitätsklausel in § 23 Abs 1a HzV-Vertrag), so berechtigt dies nicht den Antragsteller zur eigenen erheblichen und fortgesetzten Vertragsuntreue.

Die Antraggegnerin gab mit ihrer ersten Kündigungserklärung vom 3. Dezember 2010 zu erkennen, dass sie die dort genannten Vertragsverletzungen als schwerwiegend ansieht und ihr bei einem Festhalten an diesem Kurs durch den Antragsteller die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unzumutbar erscheint. Gleichzeitig gab die Antragsgegnerin zu er-kennen, dass sie das Vertragsverhältnis als noch nicht so gestört ansieht, als dass sie bei einem endgültigen Verzicht des Antragstellers auf dieses Verhalten es nicht fortsetzen wolle. Insofern hat die Antragsgegnerin zu diesem Zeitpunkt konkludent auf eine sofortige Beendigung des Vertragsverhältnisses verzichtet. Treten aber nun weitere Kündigungsgründe hinzu, so werden sie von einem solchen Verzicht nicht erfasst. Zur Begründung der dann erfolgten und streitgegenständlichen Kündigung vom 16. Dezember 2010 kann die Antragsgegnerin darüber hinaus auch ergänzend auf die am 3. Dezember 2010 ausgesprochene Kündigung mit Abhilfefrist zurückgreifen (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. z.B. Urteil vom 26. November 2009- 2 AZR 751/08-).

Diesen Weg ist die Antragsgegnerin in zulässiger Weise gegangen.

Schließlich hat der Antragsteller in Reaktion auf die erste Kündigung vom 3. Dezember 2010 seine Aufrufe zum Systemausstieg bekräftigt, wie die Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 12. Januar 2011 zutreffend ausführt. In den Rundschreiben an seine Mitglieder vom 12. und 13. Dezember 2010 hat der Antragsteller seine Aufrufe wiederholt und durch Zu-senden von Systemausstiegserklärungen an die teilnehmenden Hausärzte konkretisiert. Abstand genommen wurde davon erst nach dem Scheitern des Ausstiegs mangels Mehr-heit bei den Mitgliedern am 22. Dezember 2010 und dem anschließenden Rücktritt des bisherigen Vorsitzenden des Antragstellers. Vor allem aber hat der Antragsteller in seinem Schreiben vom 6. Dezember 2010 an die Antragsgegnerin dieser mitgeteilt, er werde die abgemahnte Vertragsverletzung, den angedrohten Systemausstieg dann nicht weiterver-folgen, sollte die Antragsgegnerin die in diesem Schreiben geforderte Vertragsverlängerung (bis zum 31. Dezember 2015) bzw. Vertragsänderung bis zum 10. Dezember 2010 zustimmen. Er hat die Antragsgegnerin damit vor die Wahl gestellt, entweder diese von ihm gestellten Bedingungen vollständig und kurzfristig zu akzeptieren oder aber weiter die von ihr gerade abgemahnte schwerwiegende Vertragsverletzung weiter hinzunehmen. Mit dieser Verknüpfung stellte der Antragsteller seinen Unwillen klar, Abhilfe zu schaffen wie gefordert, und bekräftigte seine Entschlossenheit zum rechtsmissbräuchlichen Ausstieg, sollte seinen Bedingungen nicht nachgekommen werden. Vor diesem Hintergrund gelangt das Gericht zur Überzeugung, dass die Antragsgegnerin nicht mehr an die von ihr zuvor gesetzte Abhilfefrist gebunden war und darüber hinaus nunmehr einen eigenständigen Grund zur fristlosen Kündigung des Vertrages hatte. Unter diesen Umständen war ihr die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zuzumu-ten. In diesem Fall überwiegt das Interesse der Antragsgegnerin an der Lösung des Ver-trages klar dem Interesse des Antragstellers, an diesem Vertrag festzuhalten. Dies umso mehr, als der Antragsteller selbst durch sein Verhalten deutlich gemacht hat, er wolle un-ter den bisherigen Konditionen nicht mehr den Vertrag erfüllen. Nichts anderes bedeutet schließlich der für den Fall der Ablehnung der Vertragsänderung geplante Systemaus-stieg.

Die Kündigung der Antragsgegnerin vom 16. Dezember 2010 leidet auch nicht deshalb an einem rechtlichen Mangel, weil sie ohne Setzen einer in § 18 Abs 6 HzV-Vertrag vorgese-henen Abhilfefrist von sechs Wochen, sondern fristlos erfolgte.

Zunächst ist eine Fristsetzung laut der vertraglichen Regelungen zwischen den beteiligten nicht in jedem Falle erforderlich. In § 18 Abs 6 ist ausdrücklich festgelegt, dass durch die Regelungen in Abs 3 und 4 zur ordentlichen Kündigung das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund unberührt bleibt. "Als wichtiger Grund gilt insbesondere der Verstoß ei-nes Vertragpartners gegen eine ihnen nach diesem Vertrag obliegende wesentliche Ver-pflichtung, der nicht innerhalb von sechs Wochen nach schriftlicher Aufforderung durch den jeweils anderen Vertragspartner beseitigt wird" (§18 Abs 6 Satz 2). Einen Ausschluss einer fristlosen Kündigung gem. § 626 BGB nach einer so schwerwiegenden Vertragsver-letzung, durch die das Verhältnis zwischen den Vertragsparteien endgültig zerrüttet ist, kann das Gericht in dieser Regelung nicht sehen. Einer Fristsetzung durch die Antragsgegnerin ist hier auch nach gesetzlichen Bestimmun-gen entbehrlich. Schließlich hat der Antragsteller die Abhilfe verweigert, bzw. deutlich ge-macht, eine solche würde es nur geben, wenn die Antragsgegnerin seine Bedingungen erfülle. Umgekehrt hat er damit bekräftigt, dass er andernfalls entschlossen ist, weiterhin den abgemahnten Aufruf zum Systemausstieg als Druckmittel in den Verhandlungen mit der Antragsgegnerin zu verwenden. In einem solchen Fall ist gem. § 314 Abs 2 Satz 2 iVm § 323 Abs 2 Nr 1 die Fristsetzung entbehrlich. Zugleich ist die Fristsetzung hier auch gem. § 314 Abs 2 Satz 2 iVm § 323 Abs 2 Nr 3 BGB entbehrlich, weil dieses Verhalten des Antragstellers besondere Umstände darstellt, die es rechtfertigen, den Vertrag sofort zu beenden. Im Ergebnis war der Antrag zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung erfolgt entsprechend § 197 a SGG iVm § 154 Abs 1 und § 154 Abs 3 VwGO.
Rechtskraft
Aus
Saved