Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
42
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 42 SO 41/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit ab Antragstellung bei Gericht (Januar 2011) bis November 2011, längstens jedoch bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 10.12.2010, vorläufig den Regelsatz eines Haushaltsvorstandes in Höhe von derzeit 359,00 Euro monatlich und auf dieser Grundlage auch den Mehrbedarf in Höhe von 17 vom Hundert nach § 30 Abs. 1 SGB XII zu gewähren. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers. Dem Antragsteller wird für dieses Verfahren für die Zeit ab Antragstellung Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin R beigeordnet.
Gründe:
I.
Der Antragsteller ist am 00.00.1982 geboren. Er lebt zusammen mit seiner Mutter und seinen zwei Brüdern in einer Wohnung. Der Grad der Behinderung des Antragstellers beträgt 80; außerdem sind die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" nachgewiesen. Bis November 2010 bezog er zunächst Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II). Zum 17.11.2010 nahm er eine Beschäftigung in einer Werkstatt für angepasste Arbeit auf. Mit Bescheid vom 17.11.2010 hob die ARGE Düsseldorf daraufhin die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes mit Wirkung vom 01.12.2010 auf. Mit Bescheid vom 19.11.2010 bewilligte sodann die Antragsgegnerin dem Antragsteller - aufgrund fehlender Nachweise (Kopie des Personalausweises, Nachweis über die genaue Miethöhe) zunächst nur für den Monat Dezember 2010 - Leistungen nach dem 4. Kapitel des Sozialgesetzbuches, Zwölftes Buch (SGB XII). Dabei wurde der Regelsatz eines Haushaltsangehörigen in Höhe von 278,00 Euro und darauf aufbauend ein Mehrbedarf in Höhe von 48,79 Euro (17 v.H. des maßgeblichen Regelsatzes) zugrunde gelegt. Mit Bescheid vom 10.12.2010 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller sodann Leistungen für den Bewilligungszeitraum Januar 2011 bis November 2011. Dabei berücksichtigte sie erneut einen Regelsatz in Höhe von 287,00 Euro und einen Mehrbedarf in Höhe 48,79 Euro.
Gegen den Bescheid vom 19.11.2010 erhob die Mutter des Antragstellers mit Schreiben vom 29.11.2010 für den Antragsteller Widerspruch. Der Regelsatz sei einfach von 359,00 Euro auf 287,00 Euro gesenkt worden. Der Antragsteller sei jedoch aufgrund seines Alters von der ARGE Düsseldorf immer als eigene Bedarfsgemeinschaft geführt worden; jetzt bekomme er trotz seiner Werkstatttätigkeit weniger als vorher. Nachfolgend erhob die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit Fax vom 17.12.2010 gegen die Bescheide vom 19.11.2010 und 16.12.2010 Widerspruch. Der Antragsteller habe Anspruch auf Leistungen für einen Haushaltsvorstand. Da aufgrund des Alters der Haushaltsmitglieder eine Bedarfsgemeinschaft ausgeschlossen sei, könne nicht von einer Haushaltsersparnis ausgegangen werden.
Am 26.01.2009 hat der Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Er begehrt die Gewährung des Regelsatz eines Haushaltsvorstandes - und nicht nur eines Haushaltsangehörigen. Er habe derzeit 72,00 Euro monatlich zu wenig und lebe daher unter seinem Existenzminimum.
Der Antragsteller beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB XII in Höhe von Leistungen eines Haushaltsvorstandes zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie meint, es sei bereits kein Anordnungsgrund gegeben, da keine akute existentielle Notlage gegeben sei. Außerdem habe der Antragsteller auch keinen Anspruch auf Gewährung des Regelsatzes eines Haushaltungsvorstandes. Haushaltsvorstand im Sinne von § 3 Abs. 1 Regelsatzverordnung (RSV) in einem Mehrpersonenhaushalt ohne Ehegatten/Lebenspartner sei in der Regel derjenige, der die allgemeinen Kosten der gemeinsamen Haushaltsführung - die so genannten Generalunkosten - zu tragen habe. Diese Voraussetzungen seien beim Antragsteller nicht erfüllt. Er sei nicht alleinstehend und führe auch keinen eigenen Haushalt, sondern bewohne ein Zimmer in der von seiner Mutter angemieteten Wohnung. Nach Aktenlage bestehe weder eine Trennung der Lebensbereiche, noch finde eine Trennung in wirtschaftlicher Hinsicht statt. Die Mutter des Antragstellers überweise die Miete, die Stromkosten und bestreite sämtliche Ausgaben, wofür sie auch das Geld des Antragstellers - und im Übrigen auch das seiner Brüder - verwende, das von ihr verwaltet werde. Im Übrigen sei auf das Urteil des SG Augsburg vom 16.09.2010 (S 15 SO 40/10) zu verweisen, das gleichfalls entgegen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts den Regelsatz eines Haushaltsangehörigen in einer vergleichbaren Konstellation wieder zugelassen habe. Auch der Gesetzgeber habe in der aktuellen Fassung des Gesetzesentwurfes zur Ermittlung von Regelbedarfen in § 8 des Regelbedarfsbemessungsgesetzes ausdrücklich eine dritte Regelbedarfsstufe für erwachsene Leistungsberechtigte, die keinen eigenen Haushalt führen, weil sie im Haushalt anderer Personen leben, in Höhe von 80 v.H. des Eckregelsatzes wieder eingeführt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
Gemäß § 86 b Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Nach § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes voraus. Ein Anordnungsgrund ist gegeben, wenn es bei Abwägung aller betroffenen Interessen unzumutbar erscheint, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen gemäß § 86 b Abs. 2 S. 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung glaubhaft gemacht sein. Erforderlich ist der Nachweis der überwiegenden Wahrscheinlichkeit; trotz der Möglichkeit des Gegenteils dürfen Zweifel nicht überwiegen. Dies ist grundsätzlich im Rahmen einer summarischen Prüfung zu ermitteln (LSG Nordrhein-Westfalen Beschl. v. 19.07.2006 - L 20 B 146/06 AS ER). Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG Beschl. v. 12.05.2005 - 1 BvR 569/05; LSG Nordrhein-Westfalen Beschl. v. 18.05.2007 - L 9 B 8/07 SO ER).
Der Antragsteller hat nach Ansicht des Gerichts einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der Antragsteller hat - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII. Er hat dabei einen Anspruch auf Berechnung der Leistungen unter Berücksichtigung des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes in Höhe von derzeit 359,00 Euro. Die Berechnung der Leistungen durch die Antragsgegnerin unter Berücksichtigung des Regelsatzes eines Haushaltsangehörigen in Höhe von derzeit 287,00 Euro und eines entsprechenden Mehrbedarfs in Höhe von 17 v.H. mit Bescheid vom 16.12.2010 ist rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten.
Die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung setzen sich gemäß § 42 SGB XII u.a. zusammen aus dem maßgebenden Regelsatz nach § 28 SGB XII, den Aufwendungen für Unterkunft und Heizung - deren Höhe hier jedoch nicht angegriffen wird - und den Mehrbedarfen entsprechend § 30 SGB XII.
Einzelheiten über Inhalt, Bemessung und Aufbau der Regelsätze enthält die auf der Grundlage von § 40 SGB XII erlassenen Regelsatzverordnung (RSV) vom 03.06.2004. Danach sind die Regelsätze für den Haushaltsvorstand und für sonstige Angehörige festzusetzen, wobei der Regelsatz für den Haushaltsvorstand 100 v.H. des Eckregelsatzes beträgt und auch für Alleinstehende gilt (§ 3 Abs. 1 RSV). Die Regelsätze für sonstige Angehörige ab Beginn des 15. Lebensjahres betragen 80 v.H. des Eckregelsatzes.
Ob der Antragsteller im vorliegenden Fall die Generalunkosten des Haushalts trägt und damit nach der früheren Abgrenzung der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung als Haushaltsvorstand anzusehen ist, ist nach Ansicht des Gerichts nicht mehr entscheidend. Unter Berücksichtigung der Urteile des BSG vom 19.05.2009 (B 8 SO 8/08 R, juris) und vom 23.03.2010 (B 8 SO 17/09 R, juris) ist die Abgrenzung zwischen Haushaltsvorstand und Haushaltsangehörigen im SGB XII aus Gründen der gebotenen Gleichbehandlung in Anlehnung an die Regelung des SGB II vorzunehmen, da beide Sozialgesetzbücher eine identische sozialrechtliche Funktion - nämlich die Sicherstellung des Existenzminimums - haben. Der Gesetzgeber des SGB II hat die Annahme einer Ersparnis und Kürzung der Regelleistung aber nicht mehr mit einer individuellen Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse der zusammenlebenden Personen verbunden, sondern geht in § 20 SGB II typisierend von prozentualen Abschlägen von der Regelleistung wegen Ersparnis nur bei Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft aus. Deshalb ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nach Maßgabe des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen dem SGB II und dem SGB XII davon auszugehen, dass bei der Bestimmung des Begriffs des Haushaltsangehörigen Einsparungen bei gemeinsamer Haushaltsführung nur dann anzunehmen sind, wenn die zusammenlebenden Personen bei Bedürftigkeit eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II oder eine Einsatzgemeinschaft im Sinne des §19 SGB XII bilden. Dies ist - auch nach Ansicht der Antragsgegnerin - hier jedoch gerade nicht der Fall. Deshalb ist von dem Regelsatz eines Haushaltsvorstandes auszugehen. Soweit die Antragsgegnerin meint, dass aufgrund des Zusammenlebens mehrerer Familienmitglieder im vorliegenden Einzelfall jedoch tatsächlich eine häusliche Ersparnis gegeben sei, kommt es darauf nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gerade nicht mehr an.
Das Bundessozialgericht hat seine Rechtsprechung aus dem Urteil vom 19.05.2009 (B 8 SO 8/08 R, juris) zuletzt mit Urteil vom 23.03.2010 (B 8 SO 17/09 R, juris) wiederholt und bekräftigt. Dieser Rechtsprechung schließt sich das Gericht nach eigener Prüfung ausdrücklich an. Der entgegenstehenden Rechtsprechung des Sozialgerichts Augsburg im Urt. v. 16.09.2010 (S 15 SO 40/10, juris) ist jedenfalls im vorliegenden Fall nicht zu folgen. Denn zunächst ist - anders als im dort entschiedenen Fall - allein nach Aktenlage die Zuordnung von Haushaltsvorstand und Haushaltsangehörigen nach dem Kriterium der Übernahme der Generalunkosten des Haushalts hier gerade nicht zweifelsfrei zu treffen. Im Übrigen macht gerade die hier vorliegende Konstellation deutlich, dass sich die Bedarfslage für den 29-jährigen Antragsteller, der zunächst bis November 2010 Leistungen nach dem SGB II bezog und mit der Aufnahme in die Werkstatt für angepasste Arbeit am 17.11.2010 in das Leistungssystem des SGB XII gewechselt ist, nicht verändert haben dürfte. Mangels wesentlicher Unterschiede zwischen den Leistungssystemen SGB II und SGB XII wäre eine Ungleichbehandlung nach Ansicht des Gerichts hier jedoch gerade sachlich nicht gerechtfertigt.
Das Bundessozialgericht hat seine bisherige Rechtsprechung - bei noch anhängigen Revisionsverfahren (B 8 SO 1/10 R und B 8 SO 11/10 R) - jedenfalls bislang auch noch nicht geändert oder aufgegeben, so dass derzeit im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes weiterhin von einem Anordnungsanspruch auszugehen ist. Soweit sich die Antragsgegnerin auf einen Gesetzesentwurf zur Ermittlung von Regelbedarfen und eine etwaige darin vorgesehene dritte Regelbedarfsstufe beruft, handelt es sich derzeit nicht um geltendes Recht, so dass auch auf dieser Grundlage eine abweichende Einschätzung derzeit nicht in Betracht kommt.
Da der Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 SGB XII 17 vom Hundert des maßgebenden Regelsatzes beträgt, hat der Antragsteller auch einen Anspruch auf Bestimmung des Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 1 SGB XII auf der Grundlage des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes in Höhe von derzeit 359,00 Euro glaubhaft gemacht.
Ist also mit der derzeitigen Rechtsprechung des BSG ein Anordnungsanspruch offensichtlich zu bejahen, liegt auch der erforderliche Anordnungsgrund vor. Denn ist der Widerspruch/die Klage offensichtlich zulässig und begründet, vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund (vgl. Meyer-Ladewig u.a., 9. Aufl. 2008, § 86 b Rn. 29). Steht dem Antragsteller ein von ihm geltend gemachter Anspruch voraussichtlich zu und ist ihm nicht zuzumuten, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten - was bei Grundsicherungsleistungen der Fall ist (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen Beschl. v 29.05.2007 - L 20 B 28/07 SO ER) - ist die einstweilige Anordnung vielmehr zu erlassen. Soweit die Antragsgegnerin meint, es liege keine akute existentielle Notlage vor, da der Antragsteller den Regelsatz eines Haushaltsangehörigen erhalte, folgt dem das Gericht nicht, da der Antragsteller aufgrund der obigen Ausführungen offensichtlich einen Anspruch auf Gewährung des (höheren) Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwältin R hat Erfolg. Nach § 73 a SGG in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) ist einem Beteiligten im sozialgerichtlichen Verfahren bei Bedürftigkeit auf Antrag Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Nach den vorstehenden Ausführungen zu dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung besteht hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Der Beschwerdewert in Höhe von 750,00 (vgl. § 172 Abs. 3 Nr. 1, 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG) ist allein schon aufgrund des Unterschiedsbetrages in Höhe von 72,00 Euro monatlich bei dem hier streitgegenständlichen Zeitraum von 11 Monaten erreicht. Darüber hinaus ist auch zu berücksichtigen, dass sich auch der Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 SGB XII in Höhe von 17 v.H. nach dem maßgeblichen Regelsatz bestimmt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller ist am 00.00.1982 geboren. Er lebt zusammen mit seiner Mutter und seinen zwei Brüdern in einer Wohnung. Der Grad der Behinderung des Antragstellers beträgt 80; außerdem sind die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" nachgewiesen. Bis November 2010 bezog er zunächst Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II). Zum 17.11.2010 nahm er eine Beschäftigung in einer Werkstatt für angepasste Arbeit auf. Mit Bescheid vom 17.11.2010 hob die ARGE Düsseldorf daraufhin die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes mit Wirkung vom 01.12.2010 auf. Mit Bescheid vom 19.11.2010 bewilligte sodann die Antragsgegnerin dem Antragsteller - aufgrund fehlender Nachweise (Kopie des Personalausweises, Nachweis über die genaue Miethöhe) zunächst nur für den Monat Dezember 2010 - Leistungen nach dem 4. Kapitel des Sozialgesetzbuches, Zwölftes Buch (SGB XII). Dabei wurde der Regelsatz eines Haushaltsangehörigen in Höhe von 278,00 Euro und darauf aufbauend ein Mehrbedarf in Höhe von 48,79 Euro (17 v.H. des maßgeblichen Regelsatzes) zugrunde gelegt. Mit Bescheid vom 10.12.2010 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller sodann Leistungen für den Bewilligungszeitraum Januar 2011 bis November 2011. Dabei berücksichtigte sie erneut einen Regelsatz in Höhe von 287,00 Euro und einen Mehrbedarf in Höhe 48,79 Euro.
Gegen den Bescheid vom 19.11.2010 erhob die Mutter des Antragstellers mit Schreiben vom 29.11.2010 für den Antragsteller Widerspruch. Der Regelsatz sei einfach von 359,00 Euro auf 287,00 Euro gesenkt worden. Der Antragsteller sei jedoch aufgrund seines Alters von der ARGE Düsseldorf immer als eigene Bedarfsgemeinschaft geführt worden; jetzt bekomme er trotz seiner Werkstatttätigkeit weniger als vorher. Nachfolgend erhob die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit Fax vom 17.12.2010 gegen die Bescheide vom 19.11.2010 und 16.12.2010 Widerspruch. Der Antragsteller habe Anspruch auf Leistungen für einen Haushaltsvorstand. Da aufgrund des Alters der Haushaltsmitglieder eine Bedarfsgemeinschaft ausgeschlossen sei, könne nicht von einer Haushaltsersparnis ausgegangen werden.
Am 26.01.2009 hat der Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Er begehrt die Gewährung des Regelsatz eines Haushaltsvorstandes - und nicht nur eines Haushaltsangehörigen. Er habe derzeit 72,00 Euro monatlich zu wenig und lebe daher unter seinem Existenzminimum.
Der Antragsteller beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB XII in Höhe von Leistungen eines Haushaltsvorstandes zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie meint, es sei bereits kein Anordnungsgrund gegeben, da keine akute existentielle Notlage gegeben sei. Außerdem habe der Antragsteller auch keinen Anspruch auf Gewährung des Regelsatzes eines Haushaltungsvorstandes. Haushaltsvorstand im Sinne von § 3 Abs. 1 Regelsatzverordnung (RSV) in einem Mehrpersonenhaushalt ohne Ehegatten/Lebenspartner sei in der Regel derjenige, der die allgemeinen Kosten der gemeinsamen Haushaltsführung - die so genannten Generalunkosten - zu tragen habe. Diese Voraussetzungen seien beim Antragsteller nicht erfüllt. Er sei nicht alleinstehend und führe auch keinen eigenen Haushalt, sondern bewohne ein Zimmer in der von seiner Mutter angemieteten Wohnung. Nach Aktenlage bestehe weder eine Trennung der Lebensbereiche, noch finde eine Trennung in wirtschaftlicher Hinsicht statt. Die Mutter des Antragstellers überweise die Miete, die Stromkosten und bestreite sämtliche Ausgaben, wofür sie auch das Geld des Antragstellers - und im Übrigen auch das seiner Brüder - verwende, das von ihr verwaltet werde. Im Übrigen sei auf das Urteil des SG Augsburg vom 16.09.2010 (S 15 SO 40/10) zu verweisen, das gleichfalls entgegen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts den Regelsatz eines Haushaltsangehörigen in einer vergleichbaren Konstellation wieder zugelassen habe. Auch der Gesetzgeber habe in der aktuellen Fassung des Gesetzesentwurfes zur Ermittlung von Regelbedarfen in § 8 des Regelbedarfsbemessungsgesetzes ausdrücklich eine dritte Regelbedarfsstufe für erwachsene Leistungsberechtigte, die keinen eigenen Haushalt führen, weil sie im Haushalt anderer Personen leben, in Höhe von 80 v.H. des Eckregelsatzes wieder eingeführt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
Gemäß § 86 b Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Nach § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes voraus. Ein Anordnungsgrund ist gegeben, wenn es bei Abwägung aller betroffenen Interessen unzumutbar erscheint, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen gemäß § 86 b Abs. 2 S. 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung glaubhaft gemacht sein. Erforderlich ist der Nachweis der überwiegenden Wahrscheinlichkeit; trotz der Möglichkeit des Gegenteils dürfen Zweifel nicht überwiegen. Dies ist grundsätzlich im Rahmen einer summarischen Prüfung zu ermitteln (LSG Nordrhein-Westfalen Beschl. v. 19.07.2006 - L 20 B 146/06 AS ER). Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG Beschl. v. 12.05.2005 - 1 BvR 569/05; LSG Nordrhein-Westfalen Beschl. v. 18.05.2007 - L 9 B 8/07 SO ER).
Der Antragsteller hat nach Ansicht des Gerichts einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der Antragsteller hat - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII. Er hat dabei einen Anspruch auf Berechnung der Leistungen unter Berücksichtigung des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes in Höhe von derzeit 359,00 Euro. Die Berechnung der Leistungen durch die Antragsgegnerin unter Berücksichtigung des Regelsatzes eines Haushaltsangehörigen in Höhe von derzeit 287,00 Euro und eines entsprechenden Mehrbedarfs in Höhe von 17 v.H. mit Bescheid vom 16.12.2010 ist rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten.
Die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung setzen sich gemäß § 42 SGB XII u.a. zusammen aus dem maßgebenden Regelsatz nach § 28 SGB XII, den Aufwendungen für Unterkunft und Heizung - deren Höhe hier jedoch nicht angegriffen wird - und den Mehrbedarfen entsprechend § 30 SGB XII.
Einzelheiten über Inhalt, Bemessung und Aufbau der Regelsätze enthält die auf der Grundlage von § 40 SGB XII erlassenen Regelsatzverordnung (RSV) vom 03.06.2004. Danach sind die Regelsätze für den Haushaltsvorstand und für sonstige Angehörige festzusetzen, wobei der Regelsatz für den Haushaltsvorstand 100 v.H. des Eckregelsatzes beträgt und auch für Alleinstehende gilt (§ 3 Abs. 1 RSV). Die Regelsätze für sonstige Angehörige ab Beginn des 15. Lebensjahres betragen 80 v.H. des Eckregelsatzes.
Ob der Antragsteller im vorliegenden Fall die Generalunkosten des Haushalts trägt und damit nach der früheren Abgrenzung der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung als Haushaltsvorstand anzusehen ist, ist nach Ansicht des Gerichts nicht mehr entscheidend. Unter Berücksichtigung der Urteile des BSG vom 19.05.2009 (B 8 SO 8/08 R, juris) und vom 23.03.2010 (B 8 SO 17/09 R, juris) ist die Abgrenzung zwischen Haushaltsvorstand und Haushaltsangehörigen im SGB XII aus Gründen der gebotenen Gleichbehandlung in Anlehnung an die Regelung des SGB II vorzunehmen, da beide Sozialgesetzbücher eine identische sozialrechtliche Funktion - nämlich die Sicherstellung des Existenzminimums - haben. Der Gesetzgeber des SGB II hat die Annahme einer Ersparnis und Kürzung der Regelleistung aber nicht mehr mit einer individuellen Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse der zusammenlebenden Personen verbunden, sondern geht in § 20 SGB II typisierend von prozentualen Abschlägen von der Regelleistung wegen Ersparnis nur bei Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft aus. Deshalb ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nach Maßgabe des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen dem SGB II und dem SGB XII davon auszugehen, dass bei der Bestimmung des Begriffs des Haushaltsangehörigen Einsparungen bei gemeinsamer Haushaltsführung nur dann anzunehmen sind, wenn die zusammenlebenden Personen bei Bedürftigkeit eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II oder eine Einsatzgemeinschaft im Sinne des §19 SGB XII bilden. Dies ist - auch nach Ansicht der Antragsgegnerin - hier jedoch gerade nicht der Fall. Deshalb ist von dem Regelsatz eines Haushaltsvorstandes auszugehen. Soweit die Antragsgegnerin meint, dass aufgrund des Zusammenlebens mehrerer Familienmitglieder im vorliegenden Einzelfall jedoch tatsächlich eine häusliche Ersparnis gegeben sei, kommt es darauf nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gerade nicht mehr an.
Das Bundessozialgericht hat seine Rechtsprechung aus dem Urteil vom 19.05.2009 (B 8 SO 8/08 R, juris) zuletzt mit Urteil vom 23.03.2010 (B 8 SO 17/09 R, juris) wiederholt und bekräftigt. Dieser Rechtsprechung schließt sich das Gericht nach eigener Prüfung ausdrücklich an. Der entgegenstehenden Rechtsprechung des Sozialgerichts Augsburg im Urt. v. 16.09.2010 (S 15 SO 40/10, juris) ist jedenfalls im vorliegenden Fall nicht zu folgen. Denn zunächst ist - anders als im dort entschiedenen Fall - allein nach Aktenlage die Zuordnung von Haushaltsvorstand und Haushaltsangehörigen nach dem Kriterium der Übernahme der Generalunkosten des Haushalts hier gerade nicht zweifelsfrei zu treffen. Im Übrigen macht gerade die hier vorliegende Konstellation deutlich, dass sich die Bedarfslage für den 29-jährigen Antragsteller, der zunächst bis November 2010 Leistungen nach dem SGB II bezog und mit der Aufnahme in die Werkstatt für angepasste Arbeit am 17.11.2010 in das Leistungssystem des SGB XII gewechselt ist, nicht verändert haben dürfte. Mangels wesentlicher Unterschiede zwischen den Leistungssystemen SGB II und SGB XII wäre eine Ungleichbehandlung nach Ansicht des Gerichts hier jedoch gerade sachlich nicht gerechtfertigt.
Das Bundessozialgericht hat seine bisherige Rechtsprechung - bei noch anhängigen Revisionsverfahren (B 8 SO 1/10 R und B 8 SO 11/10 R) - jedenfalls bislang auch noch nicht geändert oder aufgegeben, so dass derzeit im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes weiterhin von einem Anordnungsanspruch auszugehen ist. Soweit sich die Antragsgegnerin auf einen Gesetzesentwurf zur Ermittlung von Regelbedarfen und eine etwaige darin vorgesehene dritte Regelbedarfsstufe beruft, handelt es sich derzeit nicht um geltendes Recht, so dass auch auf dieser Grundlage eine abweichende Einschätzung derzeit nicht in Betracht kommt.
Da der Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 SGB XII 17 vom Hundert des maßgebenden Regelsatzes beträgt, hat der Antragsteller auch einen Anspruch auf Bestimmung des Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 1 SGB XII auf der Grundlage des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes in Höhe von derzeit 359,00 Euro glaubhaft gemacht.
Ist also mit der derzeitigen Rechtsprechung des BSG ein Anordnungsanspruch offensichtlich zu bejahen, liegt auch der erforderliche Anordnungsgrund vor. Denn ist der Widerspruch/die Klage offensichtlich zulässig und begründet, vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund (vgl. Meyer-Ladewig u.a., 9. Aufl. 2008, § 86 b Rn. 29). Steht dem Antragsteller ein von ihm geltend gemachter Anspruch voraussichtlich zu und ist ihm nicht zuzumuten, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten - was bei Grundsicherungsleistungen der Fall ist (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen Beschl. v 29.05.2007 - L 20 B 28/07 SO ER) - ist die einstweilige Anordnung vielmehr zu erlassen. Soweit die Antragsgegnerin meint, es liege keine akute existentielle Notlage vor, da der Antragsteller den Regelsatz eines Haushaltsangehörigen erhalte, folgt dem das Gericht nicht, da der Antragsteller aufgrund der obigen Ausführungen offensichtlich einen Anspruch auf Gewährung des (höheren) Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwältin R hat Erfolg. Nach § 73 a SGG in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) ist einem Beteiligten im sozialgerichtlichen Verfahren bei Bedürftigkeit auf Antrag Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Nach den vorstehenden Ausführungen zu dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung besteht hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Der Beschwerdewert in Höhe von 750,00 (vgl. § 172 Abs. 3 Nr. 1, 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG) ist allein schon aufgrund des Unterschiedsbetrages in Höhe von 72,00 Euro monatlich bei dem hier streitgegenständlichen Zeitraum von 11 Monaten erreicht. Darüber hinaus ist auch zu berücksichtigen, dass sich auch der Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 SGB XII in Höhe von 17 v.H. nach dem maßgeblichen Regelsatz bestimmt.
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