L 4 R 871/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 2069/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 871/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 17. Dezember 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über Rente wegen Erwerbsminderung, hier insbesondere über den Zeitpunkt des Eintritts einer rentenrelevanten Erwerbsminderung.

Die am 1964 geborene Klägerin ist am 01. Januar 1986 aus ihrer türkischen Heimat in die Bundesrepublik Deutschland zugezogen. Sie war seit 10. Februar 1992 als Montagehelferin bei der Firma E. GmbH in S. versicherungspflichtig beschäftigt.

Nach eigenen Angaben der Klägerin anlässlich einer stationären Behandlung vom 26. November bis 03. Dezember 1997 (Bericht von Dr. St., Chefarzt der Inneren Medizin des Krankenhauses S. vom 17. Dezember 1997) und gegenüber der M.-B.-Klinik in K. (Entlassungsbericht des Dr. K. vom 02. März 2000 über ein vom 05. Januar bis 09. Februar 2000 dort durchgeführtes Heilverfahren) erlitt sie bereits 1985 kurz nach der Heirat mit ihrem Ehemann ihren ersten Krampfanfall in der Türkei. Seither klagt sie über derartige Krampfanfälle, nach ihren Angaben gegenüber der M.-B.-Klinik zweimal monatlich; dabei komme es zu Bewusstseinstrübung, Schreien, sie wälze sich auf der Erde herum, schlage um sich, habe Atemschwierigkeiten und glaube getötet zu werden. Es kam, teilweise auch am Arbeitsplatz, zu anfallsartigen Zustandsbildern, so etwa 26. November 1997 (Bericht von Dr. St. vom 17. Dezember 1997), am 15. Dezember 1997 (Bericht von Dr. St. vom 28. Dezember 1997), 10. September 1998 (Bericht von Dr. St. vom 06. Oktober 1998) und 06. Oktober 1999 (Bericht von Dr. St. vom gleichen Tage). Über solche Attacken berichtete auch Neurologe, Psychiater und Psychotherapeut Dr. N. im Arztbrief vom 09. Januar 1998. In den Jahren 1999 bis 2002 erfolgten auch mehrere stationäre Behandlungen unter der Angabe der Diagnosen unklares Anfallsleiden, dissoziatives Anfallsleiden, dissoziative Krampfanfälle oder dissoziativer Anfall.

Dr. K. nannte im Entlassungsbericht vom 02. März 2000 als Diagnosen: Dissoziative Krampfanfälle und Cephalgien. Die Klägerin sei als Arbeiterin vollschichtig beruflich leistungsfähig, soweit sich die in der Rehabilitationsmaßnahme angedeutete Wirksamkeit des Medikaments Nemexin in den nächsten vier Wochen bestätige. Bei der bisher bekannten Anfallsfrequenz wäre ein vollschichtiges Leistungsvermögen aber auch sonst prinzipiell noch gegeben. Zwei Wochen vor Entlassung der Klägerin hätten sich insgesamt vier Anfälle ereignet. Die Anfälle seien als eindeutig psychogen im Sinne von dissoziativen Krampfanfällen einzustufen.

In der Folgezeit erfolgten weitere stationäre Behandlungen, zunächst vom 04. Dezember bis 07. Dezember 2001 in der Oberschwabenklinik in Ravensburg. Der dortige Entlassungsbericht von Chefarzt Prof. Dr. v. B. vom 11. Januar 2002 gibt als Diagnose ein unklares Anfallsleiden seit 1986, am ehesten psychogen sowie Lumboischialgie beidseits mit Seitenbetonung links an. Der Entlassungsbericht vom 12. März 2002 von Prof. Dr. F. (Leiter der Abteilung III des Krankenhauses: Neurologie und Epileptologie, Zentrum für Psychiatrie W.) über die stationäre Behandlung vom 03. Januar bis 28. Februar 2002 gibt wiederum als Diagnosen dissoziative Krampfanfälle an, außerdem eine unklare Hyperthyreose.

Die seit 05. Oktober 1999 durchgehend arbeitsunfähige Klägerin bezog vom 06. November 1999 bis 30. März 2001 mit Unterbrechungen Krankengeld, vom 09. April 2001 bis 11. Februar 2002 mit Unterbrechungen Leistungen wegen Arbeitslosigkeit von der damaligen Bundesanstalt für Arbeit (Arbeitsamt Singen), vom 12. Februar bis 11. August 2002 und 08. Oktober 2002 bis 02. Juli 2003 erneut Krankengeld und von 01. September bis 31. Dezember 2004 Leistungen wegen Arbeitslosigkeit. Vom 12. August bis 07. Oktober 2002 bezog die Klägerin weder Leistungen der Arbeitsverwaltung noch Krankengeld, da sie sich im Ausland aufhielt ... Ab 01. Januar 2005 sind keine rentenrechtlichen Zeiten gegeben, was die Klägerin auch ausdrücklich bestätigte mit Schreiben vom 14. Dezember 2007 an die Beklagte. Hier teilte sie mit, wegen ihrer anhaltenden Erkrankung sei sie im Zeitraum vom 01. Januar 2005 bis 31. März 2007 nicht berufstätig gewesen, auch nicht geringfügig. Ebenso sei sie nicht beim Arbeitsamt gemeldet bzw. arbeitsuchend gewesen. Die AOK, Bezirksdirektion Konstanz, teilte der Beklagten mit Schreiben vom 17. Dezember 2007 mit, für die Klägerin könnten für die Zeit vom 01. Januar 2005 bis 31. März 2007 keine beitragspflichtigen Einnahmen bescheinigt werden.

Die Klägerin beantragte erstmals am 11. Januar 2001 Rente wegen Erwerbsminderung bei der Landesversicherungsanstalt B. als Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich: Beklagte). Die Beklagte beauftragte Dr. Ba., Arzt für Psychiatrie und Neurologie, mit der Erstattung eines Gutachtens über die Klägerin. In seinem Gutachten vom 05. März 2001 aufgrund einer Untersuchung vom 16. Februar 2001 gelangt Dr. Ba. zu den Diagnosen eines depressiven Erschöpfungszustandes bei einfach strukturierter Grundpersönlichkeit, einer konversionsneurotischen Störung (psychogene Anfälle), von Spannungskopfschmerzen, einer leichten Lumboischialgie und eines Verdachts auf Restless-Legs-Syndrom. Es bestehe vorrangig ein leicht bis mäßig stark ausgeprägter depressiver Erschöpfungszustand. Die psychogenen Anfälle seien nicht den epileptischen Anfällen, die unvermittelt und ohne Selbstschutzmöglichkeiten abliefen, gleichzusetzen. So sei es auch bei der Klägerin bisher nie zu einer Verletzung gekommen. Die Anfälle seien Ausdruck von Fehlverarbeitung im Sinne einer konversionsneurotischen Störung. Von gleicher Ursache seien die beklagten Spannungskopfschmerzen, auch hier handele es sich um eine Somatisierung einer Problem- und Belastungskonstellation. Der gesamte Beschwerdekomplex beeinträchtige die Leistungsfähigkeit der Klägerin, das Restleistungsvermögen liege bei drei bis unter sechs Stunden täglich. Eine Besserung sei unwahrscheinlich.

Nach Erstattung der beratungsärztlichen Stellungnahme nach Aktenlage vom 12. März 2001 durch Ärztin für Allgemeinmedizin und Sozialmedizin der Ärztlichen Dienststelle Singen der Beklagten Dr. Stu., die das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin der Klägerin als vollschichtig für eine körperlich leichte Tätigkeit einschätzte, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19. März 2001 den Rentenantrag der Klägerin ab. Auf den hiergegen eingelegten Widerspruch hin holte die Beklagte Befundberichte bei Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. G. (Bericht vom 08. Mai 2001) und Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Ker. (Bericht vom 10. Juli 2001) ein. Dr. G. legte hierzu noch verschiedene Fremdbefunde vor. Nach Einholung erneuter Stellungnahmen der Dr. Stu. vom 24. Juli 2001 und auch ihres Allgemeinmediziners Dr. He. nach Aktenlage vom 13. August 2001 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 05. September 2001 zurück. Die Klägerin werde für fähig gehalten, leichte körperliche Tätigkeiten zu ebener Erde in Normalschicht ohne besondere Unfallgefahr mindestens sechs Stunden arbeitstäglich und regelmäßig zu verrichten.

Nach Ablehnung eines erneuten Antrags auf medizinische Rehabilitationsmaßnahmen mit Bescheid der Beklagten vom 24. Juni 2002 beantragte die Klägerin am 24. Oktober 2002 bei der Beklagten erneut die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Dr. Stu. untersuchte die Klägerin daraufhin am 27. November 2002 und erstattete am 06. Dezember 2002 ein Gutachten. Unter Berücksichtigung zahlreicher Vorbefunde stellte sie die Diagnosen wie folgt: Dissoziative Anfälle, Neigung zu Lumbalgien, Beckenniere links. Die Klägerin weise eine in das Erwerbsleben bereits mit eingebrachte Verhaltensstörung auf, die aber nicht mit einer Selbstgefährdung einhergehe. Eine Leistungsminderung könne hieraus nicht abgeleitet werden, da sämtliche während und nach den Anfällen angefertigten Aufzeichnungen der Hirnfunktion immer Normalbefunde erbracht hätten. Es werde auch weder von der Klägerin noch von ihrem Ehemann Fahruntüchtigkeit beklagt, sie sei vielmehr aktive Verkehrsteilnehmerin. Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 16. Dezember 2002 den Rentenantrag ab.

Die Klägerin beantragte am 23. Oktober 2003 erneut die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung bei der Beklagten. Dr. Stu. untersuchte die Klägerin erneut am 02. Dezember 2003. In ihrem Gutachten vom 19. Januar 2004 stellt sie die Diagnosen: Dissoziative Anfälle, Neigung zu Lumbalgien. Die bekannten Anfälle, die als dissoziativ identifiziert worden seien, träten weiterhin auf, allerdings in zeitlich großen Abständen. Da die Klägerin das Nahen dieser Anfälle spüre, könne sie sich vor Verletzungen schützen. Die Behandlung bei dem muttersprachlichen Psychotherapeuten Dr. Ka. sei aber nach sechs Sitzungen aufgegeben worden, da nach dessen Aussage ein Leidensdruck bzw. eine Krankheitseinsicht nicht gegeben gewesen seien. Bei der körperlichen Untersuchung habe ein pathologischer Befund nicht erhoben werden können. Die Klägerin sei in der Lage, eine körperlich leichte und mittelschwere Tätigkeit vollschichtig zu leisten.

Mit Bescheid vom 21. Januar 2004 lehnte die Beklagte den Rentenantrag abermals ab, wogegen die Klägerin Widerspruch einlegte. Zu deren Begründung legte sie ein Attest des Facharztes für Orthopädie Dr. Kn. vom 06. Mai 2004 vor. Dieser berichtete hierin über einen dissoziativen Anfall, den die Klägerin am 08. Januar 2004 in seiner Anwesenheit erlitten habe. Eine erwerbsbringende Tätigkeit könne bei einem solchen Krankheitsbild nur in außerordentlich eingeschränkter Art und Weise durchgeführt werden. Aus orthopädischer Sicht sei eine Erwerbsminderung mit Wahrscheinlichkeit nicht zu begründen. Dr. Stu. nahm daraufhin nach Aktenlage erneut am 08. Juni 2004 Stellung und blieb bei ihrer Auffassung. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 2004 zurück. Der Widerspruchsausschuss sei zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne.

Am 24. August 2004 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG). Sie verwies auf die Begründung ihres Widerspruchs. Mit ihrem Anfallsleiden stelle sie keine Arbeitgeber mehr ein.

Das SG befragte schriftlich behandelnde Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen wie folgt: Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. G. berichtete unter dem 29. September 2004, es habe sich bezüglich der psychischen Probleme und der dissoziativen Krampfanfälle keine wesentliche Befundänderung ergeben. Es seien zusätzlich multiple Gelenkbeschwerden hinzugekommen und ein leichtes Asthma bronchiale, dessentwegen derzeit keine Behandlung erforderlich sei. Er erwarte, dass auch bei geringer Belastung die Beschwerden der Klägerin verstärkt auftreten würden, da dieser die Bereitschaft fehle, eine Berufstätigkeit aufzunehmen, da sie sich schwer krank fühle. Es handle sich um ein psychiatrisches Leiden. Unter dem 05. November 2004 äußerte sich Neurologe und Psychiater Dr. Sa ... Zuletzt habe er die Klägerin am 06. Juli 2000 gesehen. Unter entsprechend optimierter Therapie müsse es möglich sein, die Klägerin an den Arbeitsplatz und dessen Bedingungen zu gewöhnen und heranzuführen. Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Radiologische Diagnostik und Neuroradiologie Dr. Ker. berichtete unter dem 21. April 2005, zwischen dem 06. Juni 2002 und dem November 2004 sei die Klägerin nicht mehr in seiner Praxis gewesen. Die Klägerin leide vermutlich an einer polysymptomatischen Narkolepsie/Kataplexie. Diesbezüglich müsse jedoch noch Diagnostik in einem entsprechend ausgestatteten Schlaflabor erfolgen. Aufgrund der nicht behandelnden Narkolepsie/Kataplexie sei die Klägerin derzeit arbeits- und erwerbsunfähig. Dr. Ker. fügte seiner Auskunft verschiedene Arztberichte bei.

Das SG zog ferner den Bericht des Prof. Dr. Dr. Rie., Leiter der Klinischen Psychophysiologie des Universitätsklinikums F., Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie - Schlafambulanz - vom 17. Juni 2005 bei. Er stellte die Diagnosen eines Restless-Legs-Syndroms, eines Verdachts auf Schlafapnoesyndrom und dissoziativer Krampfanfälle. Für eine Narkolepsie mit Kataplexien sei die Symptomatik eher untypisch. Er gab im weiteren Bericht vom 02. August 2005 über den stationären Aufenthalt der Klägerin in der dortigen Klinik vom 11. Juli bis 13. Juli 2005 die Diagnosen eines Restless-Legs-Syndroms sowie des Verdachts auf Hyperventilationstetanie an. Der Verdacht auf eine Narkolepsie habe sich weiterhin nicht bestätigen lassen. Es habe sich auch kein Hinweis auf ein Schlafapnoesyndrom gefunden.

Aufgrund einer Untersuchung am 06. Dezember 2005 erstattete im Auftrag des SG Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, für Psychotherapeutische Medizin und Diplompsychologin Dr. K.-H. unter dem 31. Januar 2006 ein nervenärztlich-psychosomatisches Fachgutachten über die Klägerin. Sie führte aus, im Vordergrund stehe bei der Klägerin ein dissoziatives Anfallsleiden, das sich auf dem Boden einer schlichten, emotional wenig ausdifferenzierten Grundpersönlichkeit in einer anhaltenden Überforderungs- und Konfliktsituation herausgebildet habe. Mittlerweile würden neben den Anfällen noch eine Fülle körperlicher Beschwerden, insbesondere Asthma und Schmerzen des Bewegungsapparates angegeben. Außerdem sei ein Restless-Legs-Syndrom mit Missempfindungen und Bewegungsunruhe der unteren Extremitäten festgestellt worden. Die zu den dissoziativen Anfällen hinzugetretenen Erkrankungen begründeten keine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens. Auch die dissoziativen Anfälle ließen jedoch weiterhin leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten geistig anspruchsloser Art von vorwiegendem Routinecharakter ohne Nacht- oder Wechselschicht, ohne besonderen Zeitdruck, ohne besondere Verantwortung für sich und andere sowie ohne besondere Gefahrenexposition im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich zu.

Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstattete Dr. Ker. das Gutachten vom 15. Januar 2007. Er führte aus, die dissoziativen Anfälle der Klägerin hätten sich als therapieresistent erwiesen, sodass diese zur Leistung einer Arbeits- oder Dienstleistung in irgendeiner Form kaum in der Lage sei und einer therapierefraktären Epilepsiepatientin gleichzustellen sei. Zwar habe die Klägerin in der Zeit von Anfang 1992 bis Mitte 1999 einfache Arbeiten bei der Firma Elektroteile GmbH in S. ausgeführt. Nach Angaben des damaligen Werksleiters sei ihre Tätigkeit aber auf kleine nachgeordnete Handlangertätigkeiten bei der Endverpackung beschränkt gewesen und die Mitarbeit sei durch hohe Fehlzeiten bereits zum damaligen Zeitpunkt belastet gewesen. Da sich der Zustand der Klägerin immer weiter verschlechtert habe, sei nunmehr eine hundertprozentige Erwerbsunfähigkeit eingetreten. Grund sei das schwere dissoziative Anfallsleiden der Klägerin. Diese Einschränkung bestehe seit Juni 2005 (letzte stationäre Aufnahme in der Somnologischen Abteilung der Psychiatrischen Klinik in F.). Beigefügt war dem Gutachten ein Befundbericht von Dr. Ker. vom 16. Januar 2007, offensichtlich aufgrund einer Untersuchung am 18. Oktober 2006. Hier wird ausgeführt, es liege weder eine Epilepsie noch eine Narkolepsie noch ein obstruktives Schlafapnoesyndrom vor.

Vom 07. bis 28.März 2007 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung des Rheumazentrums B.-B ... Prof. Dr. E. (Chefarzt) nannte im Entlassungsbericht vom 27. März 2007 als Diagnosen u.a. ein Fibromyalgiesyndrom, eine leichte bis mittelgradige depressive Episode, einen Verdacht auf eine somatoforme Schmerzstörung sowie ein dissoziatives Anfallsleiden seit 1979. Zur aktuellen stationären Einweisung sei es aufgrund einer deutlichen Schmerzverstärkung zur Einleitung einer multimodalen interdisziplinären Therapie gekommen.

Im Auftrag des SG erstattete Prof. Dr. Stei., Nervenarzt und Psychotherapeut sowie Leiter der Abteilung Sektorpsychiatrie B. am Zentrum für Psychiatrie W., Abteilung Psychiatrie I der Universität U., ein weiteres Gutachten über die Klägerin. In dem Gutachten vom 30. Juli 2007 aufgrund einer Untersuchung am 25. Juni 2007 diagnostizierte Prof. Stei. neben den dissoziativen Anfällen eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und führte aus, im Gegensatz zur Einschätzung bei den Vorbegutachtungen ließen sich die Leistungseinschränkungen der Klägerin nicht auf die Anfallsmanifestationen begrenzen. Die Klägerin habe auch in der Bewegungsfähigkeit deutlich behindert gewirkt, über ein ausgeprägtes Schmerzsyndrom, schwere Schlafstörungen und ausgeprägte funktionelle Einschränkungen geklagt. Die somatoforme Schmerzstörung bedinge eine erhebliche Einschränkung der qualitativen, aber auch der quantitativen Leistungsfähigkeit. Man könne sich allenfalls noch halbschichtig einfachste Tätigkeiten vorstellen aufgrund des Schmerzsyndroms, wobei die insgesamt relativ häufigen dissoziativen Anfälle noch gar nicht berücksichtigt seien. In der Kombination beider Störungen schätze er die Leistungsfähigkeit zumindest so gering ein, dass der Klägerin der Arbeitsmarkt verschlossen sein dürfte. Ganz offensichtlich habe sich die Leistungsfähigkeit mit dem Auftreten des Schmerzsyndroms gegenüber früheren Begutachtungen weiter verschlechtert. Solche Störungen träten typischerweise schleichend zunehmend ein und der Beginn sei etwas willkürlich festzusetzen. Wenn man davon ausgehe, dass Anfang 2006 bei der Begutachtung von Frau Dr. K.-H. noch Leistungsfähigkeit bestanden habe, so würde er zumindest ab Anfang 2007 (Begutachtung von Dr. Ker.) von Leistungsunfähigkeit ausgehen. Seine Einschätzung decke sich sehr gut mit der ausführlichen Darstellung in dem dem Gutachten beigefügten Entlassungsbericht des Prof. Dr. E. vom 27. März 2007.

Die Beklagte trat der Klage zunächst entgegen. Im Anschluss an die Begutachtung durch Prof. Dr. Stei. anerkannte die Beklagte, dass die Klägerin seit 07. März 2007 (Tag der Aufnahme im Rheumazentrum B.-B.) voll erwerbsgemindert sei. Im maßgeblichen Zeitraum vom 07. März 2002 bis 06. März 2007 seien jedoch lediglich 33 Monate Pflichtbeiträge vorhanden, weshalb die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht vorlägen (Schriftsätze der Beklagten vom 06. November 2007 und 29. Januar 2008).

Auf Nachfrage des SG teilte Dr. Ker. unter dem 20. März 2008 mit, sein Sachverständigengutachten vom 15. Januar 2007 beziehe sich auf eine gutachterliche Untersuchung vom "15."(gemeint wohl 25.) September 2006. Prof. Dr. Stei. teilte dem Gericht unter dem 09. April 2008 auf Anfrage mit, wenn die Untersuchung bei Dr. Ker. schon am 25. September 2006 gewesen sei, dann müsse man seines Erachtens den Eintritt der Leistungsunfähigkeit auf diesen Termin datieren. Internist und Rheumatologe Dr. Ma. gab in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenauskunft vom 11. September 2008 an, er habe die Klägerin im März 2007 wegen des persistierenden Schmerzsyndroms und des fraglichen entzündlichen Geschehens an der Wirbelsäule bei bisher therapierefraktärem Verlauf in das Rheumazentrum B.-B. zur stationären Aufklärung eingewiesen. Die Schmerzsymptomatik habe durchgehend in den ambulanten Vorstellungen vorgelegen. Die Einweisung sei auch zur differenzialdiagnostischen Klärung des Schmerzbildes erfolgt. Das Schmerzsyndrom habe in qualitativer Dimension bereits bei der ersten rheumatologischen Konsultation am 21. Dezember 2004, in quantitativer Demension dokumentiert bereits ausgeprägt mindestens seit der ambulanten Vorstellung am 13. Februar 2006 vorgelegen. Aufgrund der Befundberichte und auch des Assesments mittels HAQ am 07. Juni 2005 seien auch hier bereits deutliche Einschränkungen der Alltagsfunktionen nachweisbar gewesen, ohne dass wesentliche entzündliche Gelenkdeformierungen vorgelegen hätten. Sein Hauptaugenmerk in der ambulanten klinischen Abklärung habe aber nicht primär in der quantitativen Erfassung des Schmerzbildes, sondern in der differenzialdiagnostischen Klärung der Ursachen bestanden. Er fügte seiner Auskunft die von ihm an Dr. G. gerichteten Arztbriefe bei.

Die Beklagte trat dem weiterhin entgegen und legte ärztliche Stellungnahmen des Facharztes für Innere Medizin Dr. Bu., Sozialmedizinischer Dienst, vom 07. Februar 2007, 26. Oktober 2007, 18. Januar 2008, 14. Mai 2008 und 02. Oktober 2008 vor. Er räumte dabei zuletzt ein, als Leistungsfall sei abweichend von der bisherigen Einschätzung frühestens Januar 2007 anzunehmen. Der behandelnde Rheumatologe nenne nämlich im Schreiben an das SG unter dem Datum vom 22. Januar 2007 erstmals Tenderpoints mit typischem Jumpsign und unter diesem Datum auch erstmals ein mühsames Aufstehen und Laufen wegen Rückenschmerzen. Erstmals erwähne er auch an diesem Datum, dass sich die Klägerin an Stuhl und Liege abstütze und erstmals werde unter dem genannten Datum auch eine Funktionskapazität von lediglich 50% genannt. Nach den vom behandelnden Rheumatologen genannten Befunden sei es eindeutig im Januar 2007 zu einer entscheidenden Befundverschlechterung gekommen. Hieran anschließend führte die Beklagte aus, auch für diesen Zeitpunkt seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung nicht erfüllt.

Die Klägerin legte hierzu das ergänzendes Schreiben von Dr. Ma. vom 14. November 2008 vor, in dem dieser angibt, die Diagnose eines chronischen Schmerzsyndroms im Sinne eines Fibromyalgiesyndroms sei bereits am 21. Dezember 2004 von ihm anlässlich der ersten Vorstellung gestellt worden. Die Klägerin vertrat die Auffassung, der Versicherungsfall sei bereits vor dem Jahr 2007 eingetreten, jedenfalls im Zeitpunkt der Untersuchung des Dr. Ker. am 25. September 2006.

Mit Urteil vom 17. Dezember 2008, den Bevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 27. Januar 2009, wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit auf unter sechs Stunden täglich lasse sich vor dem 22. Januar 2007 nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit begründen. Weitere Ermittlungsmöglichkeiten bestünden nicht. Da in dem maßgeblichen Zeitraum vom 22. Januar 2002 bis 21. Januar 2007 nur 35 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt seien, könne die Klägerin keine Rente beanspruchen. Die Klägerin trage die materielle Beweislast für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen. Im einzelnen sei zunächst zu beachten, dass Dr. K.-H. in ihrem Gutachten vom 31. Januar 2006 noch von einem Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgegangen sei. Der abweichenden Leistungsbeurteilung durch Dr. Ker. könne sich die Kammer nicht anschließen. Dessen Einschätzung werde nicht nachvollziehbar begründet, die gemachten Angaben seien zum Teil widersprüchlich und unvollständig. Das Gutachten vom 15. Januar 2007 enthalte weder Anamnese noch Untersuchungsbefund und mache auch keine Angaben zum Freizeitverhalten und Tagesablauf der Klägerin. Auch aus dem Gutachten von Prof. Dr. Stei. lasse sich ein früherer Leistungsfall nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit begründen, insbesondere da Prof. Dr. Stei. selbst angegeben habe, dass der den Eintritt der Leistungsunfähigkeit "etwas willkürlich" auf den Zeitpunkt der Begutachtung bei Dr. Ker. gesetzt habe. Zudem sei aus dem Entlassungsbericht des Rheumazentrums B.-B. ersichtlich, dass eine weitere Verschlechterung Anfang 2007 eingetreten sei. Auch aus den von Dr. Ma. beschriebenen Befunden lasse sich eine Verschlechterung erst für den 22. Januar 2007 ableiten. Die Angaben der Klägerin in einem am 13. Februar 2006 ausgefüllten Fragebogen beruhten auf deren subjektiven Angaben. Widerlegt würden die Angaben des sachverständigen Zeugen Dr. Ma. zudem durch das Gutachten von Dr. K.-H ... Diese habe den Krankheitsverlauf ausführlich geschildert, sei den Beschwerden nachgegangen und habe die Klägerin sorgfältig untersucht. Sie habe zudem ausführliche Angaben zum Tagesablauf und zum Freizeitverhalten der Klägerin gemacht. Danach verrichte die Klägerin die Hausarbeit, gehe einkaufen und bereite für die Familie die Mahlzeiten zu, beschäftige sich mit Handarbeiten, besuche hin und wieder Freunde und reise fast jeden Sommer in die Türkei. Auffällig sei ferner gewesen, dass trotz der geltend gemachten Verschlechterung im Jahr 2006 die Klägerin den Rheumatologen Dr. Ma. in diesem Jahr nur einmal aufgesucht gehabt habe. Davor und seit Januar 2007 sei er dagegen in Abständen von wenigen Monaten konsultiert worden. Hieraus lasse sich folgern, dass im Jahr 2006 doch keine erhebliche Verschlechterung und damit kein entsprechend gravierender Leistungsdruck mit entsprechenden gravierenden Beeinträchtigungen im alltäglichen Lebensbereich bestanden hätten. Vielmehr spreche vieles dafür, dass aufgrund einer aufgetretenen Verschlechterung die Behandlungen intensiviert worden seien und eine Abklärung in einer rheumatologischen Schmerzklinik erfolgt sei.

Am 24. Februar 2009 hat die Klägerin Berufung beim Landessozialgericht B.-Württemberg (LSG) eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, die Gutachten von Prof. Dr. Stei. und Dr. Ker. sowie auch die sachverständigen Zeugenauskünfte der behandelnden Ärzte Dres. Ker. und Ma. bestätigten, dass der Leistungsfall der vollen, zumindest jedoch der teilweisen Erwerbsminderung spätestens im Februar 2006 eingetreten sei. Dr. Ma. habe sie in das Rheumazentrum B.-B. nicht wegen einer Befundverschlimmerung eingewiesen, sondern um weitergehende oder alternative Behandlungsmöglichkeiten zu eruieren. Der von Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie - Sozialmedizin - Dr. Kn. im Januar 2007 diagnostizierte Ganzkörperschmerz sei bereits seit längerem vorhanden gewesen. Sie hat zur Stützung ihrer Auffassung nochmals ärztliche Stellungnahmen der Dres. Ma. (vom 13. Juli 2009) und Ker. (vom 31. August 2009) vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 17. Dezember 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 01. Februar 2006 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält daran fest, dass ein früherer Leistungsfall nicht nachzuweisen sei und hat hierzu weitere ärztliche Stellungnahmen des Dr. Bu. vom 17. April 2009, 24. Juni 2009, 21. September 2009 und 16. November 2010 vorgelegt. Es bleibe unklar, woraus Dr. Ker. und Dr. Ma. ihre Aussagen zur Leistungsfähigkeit ableiteten. Ein Ganzkörperschmerz sei nach den Ausführungen des behandelnden Orthopäden erst ab Januar 2007 von der Klägerin angegeben worden. Ein Leistungsfall vor diesem Zeitpunkt werde nicht wahrscheinlich gemacht.

Der Senat hat den Einweisungsschein (Verordnung für Krankenhausbehandlung) durch Dr. Ma. vom 22. Januar 2007 sowie die dem Rheumazentrum B.-B. zugegangenen Fremdbefunde beigezogen und die ergänzende gutachtliche Äußerung nach Aktenlage von Prof. Dr. Stei. vom 02. November 2009 angefordert. Für einen Leistungsabfall schon vor dem Januar 2007 sprächen die Stellungnahmen der beiden langjährig behandelnden Ärzte auf verschiedenen Fachgebieten sowie die Tatsache, dass derartige Erkrankungen typischerweise eben nicht schubartig mit ganz plötzlich eintretenden Verschlechterungen verliefen. Alle hier diagnostizierten Störungen, d.h. sowohl das Schmerzsyndrom als auch die dissoziativen Anfälle ließen sich aber ausgesprochen schwer bis gar nicht mit "objektiven" Methoden erfassen und quantifizieren, sodass es naturgemäß schwierig bis unmöglich sei, ein exaktes Datum des Eintritts einer Leistungsminderung festzulegen. Weiter hat der Senat nach Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 08. Oktober 2010 Dr. Ma. und Dr. Kn. als sachverständige Zeugen schriftlich befragt. Dr. Ma. hat unter dem 18. Oktober 2010 mitgeteilt, der Klägerin sei Methotrexat erstmals am 07. Juni 2005 verordnet worden. Die Dosis von 10 mg/Woche sei bei den folgenden Kontrollterminen weder erhöht noch gesenkt worden. Auf Anforderung des Gerichts hat er einen Befundbericht des Arztes für Radiologie Ris. vom 19. Januar 2007 über eine Kernspintomographie der Lendenwirbelsäule vorgelegt. Dr. Kn. hat unter dem 29. Oktober 2010 über die Behandlung der Klägerin seit März 2003 berichtet. Am 28. September 2006 habe er eine Lumboischialgie, am 13. Dezember 2007 eine Periarthritis humeroscapularis beidseits diagnostiziert. Mehrere Befundberichte und eine Auskunft an das SG vom 14. Dezember 2007 zu S 6 SB 2842/07 hat er beigefügt.

Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den gesamten Inhalt beider Rechtszüge sowie der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat gemäß § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG vom 17. Dezember 2008 ist auch nach dem Ergebnis des Berufungsverfahrens nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat zu Recht mit Bescheid vom 21. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Juli 2004 die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt. Auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung besteht kein Anspruch der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsminderung gegen die Beklagte.

Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 01. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Der Senat kann unter Würdigung des Gesamtergebnisses der Beweisaufnahme nicht feststellen, dass bei der Klägerin der Fall der Erwerbsminderung spätestens am 31. Dezember 2006 eingetreten ist. Zu diesem Zeitpunkt sind die so genannten besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmals erfüllt. Denn in dem dann maßgeblichen Zeitraum vom 31. Dezember 2001 bis 30. Dezember 2006 waren letztmalig 36 Monate Pflichtbeiträge (Dezember 2001 bis August 2002 und Oktober 2002 bis Dezember 2004) in einem Fünfjahreszeitraum gegeben. Für die Klägerin sind letztmals Beiträge (wegen des Bezugs von Leistungen der Arbeitsverwaltung) für den Monat Dezember 2004 entrichtet worden.

Nach dem Gesamtergebnis der medizinischen Ermittlungen stellt der Senat fest, dass die Klägerin zumindest seit Mitte der Achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts unter dissoziativen Anfällen leidet. Diese Anfälle sind psychogen und wohl auch aus familiären Konfliktsituationen heraus mitbegründet. Verschiedene im Laufe der Jahre diskutierte mögliche Ursachen wie etwa eine Narkolepsie/Kataplexie, Epilepsie oder sonstige neurologisch-organische Ursachen konnten in umfangreicher Diagnostik ausgeschlossen werden. Ausweislich einer Reihe ärztlicher Berichte litt die Klägerin auch bereits während ihrer Berufstätigkeit unter diesen immer wiederkehrenden Anfällen. Sie war nichts desto weniger in der Lage, einer regelmäßigen Vollzeitberufstätigkeit als Arbeiterin nachzugehen. Sie hat sich bei all ihren Anfällen niemals verletzt und erlitt auch keinen Anfall, bei dem sie alleine gewesen wäre, sondern stets Anfälle in Gegenwart anderer. Eine objektivierbare Verschlechterung des psychogenen Anfallsleidens ist aus den über die Jahre hinweg dokumentierten Befunden nicht zu entnehmen. Der Senat macht sich daher die schlüssige Einschätzung der gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Stei. und Dr. K.-H. zu eigen, wonach allein diese Anfälle eine leichte körperliche Berufstätigkeit im Umfang von sechs Stunden täglich nicht ausschließen.

Weiter lassen sich nach übereinstimmender Einschätzung aller befragten Ärzte aus den von der Klägerin verschiedentlich beklagten Beschwerden etwa des orthopädischen oder des internistischen einschließlich des lungenärztlichen Fachgebiets keine gravierenden Einschränkungen des beruflichen Leistungsvermögens ableiten. Vielmehr sind die objektivierbaren Erkrankungen vergleichsweise von geringer Ausprägung.

Die Klägerin leidet außerdem unter einem psychiatrischen Leiden, das mit einer Störung der Schmerzverarbeitung einhergeht. Ansätze hierzu sind bereits in Befundberichten aus der zweiten Hälfte der Neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts zu ersehen. Eine eigentliche anhaltende somatoforme Schmerzstörung mit auch quantitativen Auswirkungen auf das berufliche Leistungsvermögen lässt sich aber zur Überzeugung des Senats erst ab 07. März 2007, frühestens aber ab 22. Januar 2007 nachweisen. Wie auch der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. Stei. zuletzt noch einmal in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 02. November 2009 dargelegt hat, handelt es sich bei dem Schmerzsyndrom ebenso wie bei den dissoziativen Anfällen der Klägerin um Erkrankungen, die nahezu nicht objektivierbar sind. Zu Recht hat Prof. Dr. Stei. auch darauf hingewiesen, dass es weitgehend unstrittig sei, dass der Umgang mit derartigen Problemen sehr stark von der Persönlichkeit, von Einstellungen, der sozialen Situation, der familiären Unterstützung und sonstigen Hilfsangeboten, vielleicht auch von Entschädigungserwartungen etc. beeinflusst werde. Wenn die Klägerin dann noch aus einem anderen Kulturkreis stamme und die Verständigung mit Dolmetscher erfolgen müsse, erschwere dies die Beurteilung weiter. Hinzu komme noch, dass im Verlauf wiederholter Begutachtungen und Gerichtsverfahren allen Beteiligten irgendwann einmal klar sei, auf welche Aussagen es ankomme und wie diese bewertet würden. Auch dies erleichtere eine "objektive" Befunderhebung natürlich nicht. Diese Erschwernisse lassen es nicht zu, ausschließlich aufgrund der Klagen des Patienten oder auch seinen eigenen Angaben in Fragebögen bereits eine solche Erkrankung als nachgewiesen anzusehen. Eine resignierte, erschöpfte und klagsame Haltung hat die Klägerin nämlich bereits seit vielen Jahren eingenommen, wie dies etwa beispielhaft in dem ärztlichen Entlassungsbericht des Dr. K., M.-B.-Klinik, vom 02. März 2000 bereits zum Ausdruck kommt. Eine belastbare Aussage über die Frage, inwieweit die Klägerin bei zumutbarer Willensanspannung ihre krankheitsbedingten Einschränkungen noch im Sinne der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit überwinden konnte, lässt sich also aus den Beschwerdeangaben der Klägerin allein nicht herleiten. Vielmehr bedarf es hierzu der kritischen Würdigung dieser Angaben und der vollständigen und sorgfältigen Erhebung von Anamnese und Befund, wie in den Gutachten von Dr. K.-H. und Prof. Dr. Stei. geschehen. Hierzu gehört etwa auch die ausführliche Exploration der Alltagsgestaltung des Probanden. Dieser unabdingbaren Ableitung des beruflichen Leistungsvermögens aus den gestellten Diagnosen und der gestellten Diagnosen aus Anamnese und Befund entbehrt das Gutachten des Sachverständigen Dr. Ker. vom 15. Januar 2007. Zum Nachweis einer beruflichen Leistungsminderung eignet es sich daher nicht. Die Feststellungen der Sachverständigen Dr. K.-H. rechtfertigen die Diagnose einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung bereits zum Zeitpunkt von deren Begutachtung aber gerade noch nicht. Vielmehr waren zum damaligen Zeitpunkt, wie im Urteil des SG zutreffend ausgeführt, noch ausreichend Reserven bei der Klägerin vorhanden, um die Hausarbeit zu verrichten, einkaufen zu gehen, für die Familie die Mahlzeiten zuzubereiten, sich mit Handarbeiten zu beschäftigen, hin und wieder Freunde zu besuchen und fast jeden Sommer in die Türkei zu reisen.

Einen übermüdeten, erschöpften und konzentrationsunfähigen Eindruck machte die Klägerin über die Jahre hinweg immer wieder, so etwa auch bereits nach den Angaben in der sachverständigen Zeugenauskunft von Dr. Ker. vom 21. April 2005. Die etwa auch in dem Attest von Dr. Ker. vom 31. August 2009 nochmals dokumentierten Behandlungseinträge aus den Behandlungsakten seit Mai 2000 zeigen letztendlich keinen gravierenden und fassbaren Einschnitt, an dem sich ein Leistungseinbruch festmachen ließe. Dies bestätigt sich indirekt dadurch, dass Dr. Ker. in dem zuletzt genannten Attest einerseits erklärt, ein Leistungseinbruch sei auf Ende 2004 zu datieren. Zugleich zitiert er jedoch seine eigene Stellungnahme vom 21. April 2005, wonach bereits in den damals vergangenen 15 Jahren Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit bestanden habe. Auch in den Darlegungen von Dr. Ma. findet sich allenfalls die Ausführung, seit Beginn der rheumatologischen Betreuung (also schon Ende 2004) habe es Schmerzen mit deutlichen Einschränkungen der Aktivitäten des täglichen Lebens gegeben. Ein Einschnitt in der Entwicklung findet sich hier ebenfalls nicht, zumal die Verordnung von Methotrexat seit 07. Juni 2005 unverändert blieb. Die rheumatologische Behandlung als solche begründet aber noch keine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Auf die Angabe des Dr. Kn., die Klägerin habe sich im Januar 2007 wegen Ganzkörperschmerzen vorgestellt, vermag keinen Einschnitt in der Entwicklung zu begründen. Denn aus seinen Befundberichten, die der seiner gegenüber dem Senat gegebenen Auskunft als sachverständiger Zeuge beigefügt hat, ergibt sich, dass die Klägerin ihn bereits zuvor wegen Schmerzen in mehreren Körperbereichen aufgesucht hatte.

Im Ergebnis sieht der Senat das Hinzutreten einer solchen Erkrankung zu den dissoziativen Anfällen bzw. das Erreichen eines Schweregrades der Beschwerden der Klägerin, der eine quantitative Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens rechtfertigt, erst mit der Aufnahme im Rheumazentrum B.-B. am 07. März 2007 als nachgewiesen an. Ein früherer Leistungsfall als jedenfalls - wie von der Beklagten angenommen - am 22. Januar 2007 ist nicht begründbar. Insbesondere kann sich der Senat nicht der Überlegung des Sachverständigen Prof. Dr. Stei. anschließen, an die Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. Ker. - die letztendlich bereits im September 2006 stattgefunden hat - anzuknüpfen. Zum einen ist das Gutachten des Dr. Ker., wie oben ausgeführt, nicht geeignet, eine berufliche Leistungseinschränkung nachvollziehbar abzuleiten. Zum anderen belegt der Bericht von Dr. Ker. vom 16. Januar 2007, seinem Gutachten beigefügt, nur eine psychiatrische Befunderhebung am 18. Oktober 2006, die wohl in der vollständig überfüllten Praxis stattgefunden hat. Eine gutachtlichen Anforderungen entsprechende ausführliche Befund- und Anamneseerhebung enthält der Bericht allerdings nicht. Die Schlussfolgerung in dem Bericht ist auch letztendlich nur, dass sich der Zustand der Klägerin in den vergangenen sieben Jahren nie überzeugend gebessert habe. Im Attest vom 31. August 2009 ist als letzter Behandlungstag der 04. Mai 2006 angegeben. In seinem Schreiben an das SG vom 20. März 2008 gibt Dr. Ker. als Untersuchungstag den 15. September 2006 an. Mit Attest vom 06. März 2008 hatte er den 25. September 2006 als Begutachtungstermin angegeben. Die der gutachterlichen Einschätzung von Dr. Ker. vom 15. Januar 2007 zugrunde liegende Untersuchung ist damit jedenfalls an keiner Stelle dokumentiert.

Eine schlüssige Ableitung eines rentenrelevant auf unter sechs Stunden täglich auch für leichte Arbeiten eingeschränkten beruflichen Leistungsvermögens aus erhobenen Befunden und ausführlich erhobener Anamnese und daraus entwickelten Diagnosen ist damit erst durch Prof. Dr. Stei. erfolgt. Für die vorangegangene Zeit bleibt nur festzuhalten, dass bereits Störungen der Schmerzverarbeitung, Niedergeschlagenheit und dergleichen bestanden. Deren Einordnung, sei es als Schmerzstörung oder auch als Fibromyalgien ändert nichts am fehlenden Nachweis eines eine quantitative Leistungseinschränkung rechtfertigenden Schweregrades.

Bleibt es nach alledem bei einem Leistungsfall frühestens vom 22. Januar 2007, so steht der Klägerin keine Rente wegen Erwerbsminderung zu. Ausgehend von diesem Leistungsfall sind nämlich im maßgeblichen Zeitraum vom 22. Januar 2002 bis 21. Januar 2007 nur 35 Monate Pflichtbeitragszeiten vorhanden. Dies ergibt sich im Wesentlichen durch eine Lücke im Versicherungsverlauf der Klägerin im September 2002 aufgrund eines längeren Auslandsaufenthaltes, wohl in der Türkei, der den Sozialleistungsbezug in Deutschland unterbrach.

Die Berufung war hiernach zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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