Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 2 KR 1719/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 868/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 23. September 2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung der Kosten einer Magen-Bypass-Operation in Höhe von 10.271,74 EUR.
Die am 22. Oktober 1965 geborene Klägerin ist Mitglied der Beklagten und seit 1984 als Verwaltungsangestellte bei der Stadtverwaltung L. beschäftigt.
Am 07. November 2007 beantragte die Klägerin telefonisch bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Magen-Bypass-Operation. Zur Begründung führte sie aus, seit ihrem 18. Lebensjahr leide sie an Übergewicht. Im November 2007 habe ihr Gewicht 121,2 kg bei einer Körpergröße von 172,5 cm betragen. Seit 1993 bemühe sie sich erfolglos um eine Gewichtsreduktion unter ärztlicher Anleitung. Weitere Versuche zur Gewichtsreduktion unter Zuhilfenahme der Weight Watchers und Gruppenbesuche bei "Treffpunkt Wunschgewicht" hätten ebenfalls nicht zum gewünschten Erfolg geführt. Ferner gehe sie regelmäßig schwimmen, betreibe Nordic Walking und habe sich einen Home-Crosstrainer gekauft. Zur Untermauerung ihres Antrages fügte sie Atteste der sie behandelnden Ärzte bei. Der Facharzt für Innere Medizin Dr. T. legte dar, die Klägerin leide an Adipositas permagna bei Zustand nach Bandscheibenoperation und Arthrose im rechten Kniegelenk. Das Übergewicht führe zu erheblichen Beschwerden, eine Gewichtsreduktion sei dringend erforderlich. Zusätzlich bestehe bei ihr eine ausgeprägte depressive Verstimmung, es zeigten sich soziale Rückzugstendenzen, wobei die Adipositas permagna die Situation verschlechtere. Die von der Klägerin durchgeführten diätischen Behandlungsstrategien seien nicht erfolgreich gewesen. Eine Gewichtskontrolle sei ihr trotz erheblicher Motivation nicht dauerhaft gelungen. Der Neurologe und Psychiater Dr. M. führte in seinem ärztlichen Attest vom 05. November 2007 aus, bei der Klägerin bestehe eine Meralgie mit intensiven Schmerzen am linken Oberschenkel. Diese stehe im Zusammenhang mit der Adipositas. Seit April 2007 behandle er die Klägerin wegen einer schweren depressiven Episode, deren Symptome trotz stützender Gespräche und suffizienter thymoleptischer Behandlung nur unvollständig zurückgingen. Die depressive Erkrankung sei zumindest teilweise durch die seit Jahrzehnten bestehende Adipositas mitbedingt. Aufgrund des Übergewichts entwickle die Klägerin ein Vermeidungs- und Rückzugsverhalten und vermeide im Zuge dessen außerhalb der Arbeit Kontakte. Ferner sei es zu einer körperlichen Beeinträchtigung mit Arthrose im rechten Kniegelenk gekommen. Alle Bemühungen der Klägerin, ihr Gewicht zu reduzieren, seien in den letzten Jahrzehnten fehlgeschlagen, obwohl die Klägerin verschiedenste Diätformen durchgeführt habe. Eine Ess-Störung im eigentlichen Sinne liege nicht vor, sodass bei normalem Essverhalten ohne Suchttendenzen eine ambulante psychotherapeutische Behandlung nicht erfolgsversprechend sei. Letztlich erscheine aus nervenärztlicher Sicht ein operatives Vorgehen zur Besserung der Adipositas erforderlich. Bei einem Gewicht von 121 kg und einer Größe von 172 cm bestehe ein Body-Maß-Index (BMI) von 41 kg/m². Des Weiteren legte die Klägerin einen Bericht des Chefarztes der chirurgischen Abteilung des Krankenhauses S., Prof. Dr. W., vom 18. Oktober 2007 mit der Diagnose einer morbiden Adipositas, Kniearthrose, Wirbelsäulenerkrankung und Asthma vor. Bei der Klägerin liege mit einem BMI von 41 kg/m² eine krankhafte Adipositas vor. Sie habe multiple Erkrankungen bedingt durch das langjährige massive Übergewicht. Insbesondere seien hierbei die Beschwerden des Bewegungsapparates zu berücksichtigen. Auch empfinde die Klägerin einen starken Leidensdruck infolge des langjährigen massiven Übergewichts, welches trotz Diätversuchen zunehme. Die Beschwerden könnten sich nach einer durch die OP unterstützten Gewichtsreduzierung normalisieren, sodass Folgeschäden vermieden werden könnten. Zudem könne der massive Leidensdruck, der sich vor allem in einer auftretenden Bewegungsunfähigkeit und Einschränkungen der Aktivitäten, aber auch durch eine starke Kurzatmigkeit bemerkbar mache, vermindert werden. Er empfahl den laparoskopischen Eingriff eines Ruox-en-Y-Magenbypass. Damit komme es zu einer Gewichtsabnahme von 70 bis 75 % des bestehenden Übergewichts. Die vorgeschlagene Operation stelle den Standard der US-Adipositaschirurgie dar und werde in Europa zunehmend anstelle des bisher üblichen Magenbandes eingesetzt. Die Adipositasanamnese sei mit mehr als 20 Jahren ausreichend lang um eine operative Behandlung in Erwägung zu ziehen. Auch könne die Klägerin auf eine ausreichende Anzahl konservativer Therapieversuche mit ärztlich geleiteten ambulanten Gewichtsreduktionen sowie multiple frustrane Versuche zur Gewichtsreduktion verweisen. Sie habe an Kuren, zahlreichen Diäten und Ernährungsberatungen teilgenommen. Ferner habe sie auf medikamentöser Basis durch Einnahme von Formoline 112 im Jahr 2006 erfolglos versucht, ihr Gewicht zu reduzieren. Sie sei bedauerlicherweise nicht in der Lage, ihr Gewicht zu halten und nehme mit Diäten im Sinne des Jo-Jo-Effektes ständig weiter an Gewicht zu. Schwerwiegende Kontraindikationen lägen nicht vor. Hinsichtlich der Ernährungs- und Gewichtstagebücher wird auf Bl 14/42 der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Begutachtung der Klägerin durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK). Dr. A. diagnostizierte bei der Klägerin in seinem Gutachten vom 26. November 2007 eine Adipositas permagna. Ferner leide die Klägerin an einer Kniegelenksarthrose, einem LWS-Syndrom bei anamnestischer Nukleotomie 12/03, einem Asthma sowie an einer schweren depressiven Episode. In Auswertung der aktuellen Rechtsprechung zur Adipositaschirurgie gelangte er zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin die medizinischen Voraussetzungen für die Leistung nicht erfüllt seien. Rehabilitative Maßnahmen hinsichtlich der Adipositas seien zuletzt im Jahr 2004 durchgeführt worden. Die konservativen Behandlungsmöglichkeiten seien noch nicht erfolglos ausgeschöpft. Eine ausreichende Motivation sei nicht in vollem Umfang ersichtlich. Es bestünden zudem Hinweise auf eine psychiatrische Erkrankung. Mit Bescheid vom 29. November 2007 lehnte die Beklagte die beantragte Kostenübernahme gestützt auf das Gutachten des MDK ab.
Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie habe auch eine sogenannte Ernährungstherapie gemacht, die jedoch für sie keine dauerhafte Lösung darstelle. Ferner habe sie sich immer bewegt. Auch sei eine entsprechende medizinische Nachbetreuung gesichert und bei ihr eine erhebliche Motivation vorhanden.
Die Beklagte wandte sich hierauf erneut an den MDK, für den Dr. W. in seinem Gutachten vom 11. Januar 2008 dabei verblieb, die medizinischen Voraussetzungen für die beantragte Leistung seien nicht erfüllt. Zwar stehe die von Dr. M. angegebene Depression nicht in engem Zusammenhang mit der seit langem vorliegenden Adipositas bzw sei diese nicht als Kontraindikation für den Eingriff anzusehen; allerdings sei die regelmäßige Teilnahme an einer mehrdimensionalen Behandlung und deren Verlauf nachzuweisen. Zusätzlich könnten Formulardiäten, medikamentöse Therapien und stationäre Rehabilitationsmaßnahmen zur Anwendung kommen. Eine Dokumentation dieser Vorgaben nach den Leitlinien sei nicht erfolgt.
Die RNYP - Magen-Bypass-Operation wurde in der Zeit vom 22. bis 30. Januar 2008 im Krankenhaus S. durchgeführt. Hierfür entstanden der Klägerin Kosten in Höhe von insgesamt 10.271,74 EUR, die sie bereits vor der Aufnahme ins Krankenhaus an die Klinik überwiesen hatte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2008 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten -gestützt auf die Gutachten des MDK - den Widerspruch der Klägerin zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 4. Juni 2008 beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben. Seit der Magen-Bypass-Operation befinde sie sich im Follow-up und Nachsorgeprogramm des Krankenhauses S ... Infolge der Magen-Bypass-Operation sei es ihr gelungen, ihr Körpergewicht auf 76 kg zu reduzieren. Die Operation sei damit erfolgreich gewesen. Dies werde durch die vorgelegten Lichtbilder bestätigt. Hinsichtlich des Ausschöpfens der konventionellen Behandlungsalternativen verweist sie auf ihre Ausführungen im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren. Ferner beruft sie sich auf die evidenzbasierte Leitlinie "Ernährung und Präventionstherapie der Adipositas", deren Empfehlungen sie zur Gewichtsreduktion befolgt habe. Auch sei durch das SG Dresden in einem gleichgelagerten Fall die Kostenübernahme für rechtmäßig erachtet worden (Urteil vom 21. Juni 2006, S 18 KR 1302/04). Abschließend sei darauf hinzuweisen, dass die Durchführung einer multidisziplinären Therapie aus beruflichen und persönlichen Gründen nicht möglich gewesen sei. Sie sei täglich 10 bis 13 Stunden berufsbedingt außer Haus und pflege darüber hinaus ihre zu 80 % schwerbehinderte Mutter, die in ihrem Haushalt lebe und deren Betreuung und Pflege sie übernommen habe.
Die Beklagte hat dahingehend Stellung genommen, dass die Vorgaben zur Therapie der Adipositas entsprechend den Leitlinien der Deutschen Adipositas-Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin nicht erfüllt seien. Die Klägerin habe auch immer wieder bewiesen, dass sie in der Lage sei unter rein diätischen Maßnahmen ihr Gewicht zu reduzieren. Eine konsequente Umstellung der Ernährung und der Lebensgewohnheiten sei bisher nicht erfolgt. Sollte die Klägerin ihr Essverhalten und ihre Lebensgewohnheiten nach der durchgeführten Operation jetzt geändert haben, bleibe die Frage, warum dieses vor der Operation über einen längeren Zeitraum nicht möglich gewesen sei. Die Entscheidung des SG Dresden sei in einem Einzelfall ergangen. Sie trete weiterhin der Klage entgegen, da die Kriterien des Bundessozialgerichts (BSG) zur Kostenübernahme einer chirurgischen Magenverkleinerung nicht erfüllt seien.
Mit Urteil vom 23. September 2009 hat das SG die Klage abgewiesen und unter Darlegung der maßgeblichen Rechtsprechung des BSG im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe die konservativen Behandlungsmöglichkeiten bisher nicht ausgeschöpft. Eine Magenverkleinerung als chirurgischer Eingriff bedeute einen Eingriff in ein funktionell intaktes Organ, das regelwidrig verändert werde. Dies bedürfe einer speziellen Rechtfertigung. Dabei sei die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen, wobei angesichts der unsicheren Prognose eine Leistungsgewährung durch die Krankenkasse regelmäßig nicht zu rechtfertigen sei, wenn der operative Eingriff zur Behandlung einer psychischen Störung dienen solle. Die operative Verkleinerung des Magens komme daher nur als Ultima ratio und nur bei Patienten in Betracht, die eine Reihe weiterer Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung erfüllten, nämlich insbesondere nach Erschöpfung konservativer Behandlungsmöglichkeiten. Hieran fehle es, denn die Klägerin habe zwar nach ihren eigenen Angaben diätische Maßnahmen durchgeführt und mit gruppentherapeutischen Maßnahmen wie dem Besuch von Weight Watchers versucht, ihr Übergewicht zu reduzieren. Eine konsequente ärztlich überwachte ambulante Behandlung oder eine stationäre Behandlung oder eine entsprechende stationäre oder ambulante rehabilitative Maßnahme sowie eine psychiatrische oder psychotherapeutische Therapie seien jedoch zuletzt nicht erfolgt. Die Tatsache, dass die Operation letztlich erfolgreich gewesen sei, wie die vorgelegten Lichtbilder belegten, sei demgegenüber nicht von rechtlicher Bedeutung.
Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 21. Januar 2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 22. Februar 2010 (Montag) Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Sie vertieft ihr bisheriges Vorbringen und rügt, das SG hätte erkennen müssen, dass die durchgeführte Operation medizinisch notwendig gewesen sei. Es sei ferner verkannt worden, dass die Durchführung des Eingriffs nach dem Ergebnis der für mittelbare Behandlungen geforderten speziellen Güterabwägung gerechtfertigt gewesen sei. Aus den vorgelegten ärztlichen Attesten gehe hervor, dass sie seit mehr als 20 Jahren unter massivem Übergewicht leide und sämtliche Bemühungen, das Gewicht zu reduzieren, seit Jahrzehnten erfolglos gewesen seien. Schon aufgrund der Folgeerkrankungen sei die durchgeführte Operation medizinisch notwendig gewesen. Der Nutzen der Operation ergebe sich schon allein aus der Tatsache, dass sich der Gesundheitszustand erheblich verbessert habe und künftig weniger Kosten für die Behandlung von Folgeerkrankungen anfallen würden. Im Übrigen hätte sich das SG gedrängt fühlen müssen zu überprüfen, ob der Eingriff nach dem Ergebnis der für mittelbare Behandlungen geforderten speziellen Güterabwägung gerechtfertigt gewesen sei. Dies sei durch ein Sachverständigengutachten zu klären. Insbesondere gehe die Annahme fehl, bei der Magen-Bypass-Operation liege ein chirurgischer Eingriff in ein intaktes Organ vor. Dies ergebe sich aus dem gerichtlicherseits nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholten Gutachten des Chirurgen Prof. Dr. Dr. R. vom 31. August 2010. Dieser habe dargelegt, die Vorstellung des Magens als "intaktes" Organ bei morbider Adipositas sei aus wissenschaftlicher Sicht eine Fehlkonzeption. Zwar seien die Ursachen der morbiden Adipositas noch nicht im Detail aufgeklärt, so wisse man doch, dass bestimmte Hormone aus dem Magen-Darm-Trakt eine wichtige Rolle einnähmen. Dabei werde dem im Magen produzierten Ghrelin eine zentrale Bedeutung beigemessen. Eine gestörte Ghrelinproduktion sei der Gegenbeweis für die Hypothese des Magens als ein intaktes Körperorgan bei Adipositas. Die Operation am Magen greife kausal in diese Fehlfunktion des Organs ein. Insoweit gehe sowohl das Bundessozialgericht bei seiner Entscheidung vom 19. Februar 2003 (B 1 KR 1/02 R) von zwischenzeitlich überholten wissenschaftlichen und medizinischen Erkenntnissen aus.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 23. September 2009 sowie den Bescheids vom 29. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die im Krankenhaus S. in der Zeit vom 22. bis 30. Januar 2008 durchgeführte Magen-Bypass-Operation in Höhe von 10.271,76 EUR zu erstatten, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Im Übrigen habe Dr. A. vom MDK in seiner Stellungnahme vom 27. September 2010, die sie sich zu eigen mache, weiterhin bestätigt, dass keine Dokumentation einer mehrdimensionalen Behandlung durch entsprechende Fachkräfte aus den letzten aktuellen zwölf Monaten, insbesondere einer Verhaltensmodifikation durch entsprechende Ernährungsfachkräfte/Psychologen (diese Voraussetzung sei auch für die postoperative Weiterbetreuung erforderlich) von der Klägerin vorgenommen worden sei.
Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts zunächst den die Klägerin behandelnden Facharzt für Innere Medizin Dr. T. als sachverständigen Zeugen gehört. Dieser hat mitgeteilt (Auskunft vom 23. April 2010), er behandle die Klägerin seit Februar 2004. Bis zu ihrer Magen-Bypass-Operation im Januar 2008 habe sie sich in unregelmäßigen, größeren Abständen vorgestellt, seit Januar 2008 ein bis zweimal pro Quartal. Bei der Klägerin bestehe ein Asthma bronchiale sowie ein chronisches LWS-Syndrom bei Zustand nach lumbalem Bandscheibenvorfall. Bis zur Durchführung der Magenbypass-Operation habe zusätzlich ein depressives Syndrom bestanden. In der im Juni 2007 durchgeführten Gesundheitsuntersuchung habe sich bei der Klägerin ein BMI von 34 ergeben. Die Blutdruckwerte hätten im Zielbereich gelegen. Eine diabetische Stoffwechsellage habe zu keinem Zeitpunkt bestanden. Insgesamt habe bei der Klägerin also eine völlig unauffällige Fettstoffwechselsituation vorgelegen. Ebenso sei die Klägerin von kardialer Seite beschwerdefrei gewesen. Nach der durchgeführten Operation habe die Klägerin kontinuierlich an Gewicht verloren. Zuletzt habe ein Körpergewicht von 74,5 kg vorgelegen. Damit sei die Klägerin normalgewichtig. Insbesondere hätten die Wirbelsäulenbeschwerden der Klägerin durch die Gewichtsreduktion günstig beeinflusst werden können. Auch habe sich das vor der Operation bestehende depressive Syndrom zurückentwickelt, eine antidepressive Medikation sei nicht mehr erforderlich. Eine Krankschreibung sei im Zeitraum von Januar 2006 bis Januar 2008 wegen Asthma bronchiale, eines grippalen Infekts, eines weiteren bronchopulmonalen Infekts sowie vom 31. Januar 2008 bis 08. Februar 2008 wegen alimentärer Kollapsneigung nach Magenoperation erfolgt. Der Klägerin sei von ihm die Teilnahme an Diätschulung angeraten worden. Bereits im Vorfeld habe die Klägerin multiple und leider frustrane Diätversuche zur Gewichtsreduktion durchgeführt. Eine Langzeitbetreuung im Rahmen eines Adipositasprogramms oder eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme habe bei der Klägerin nicht stattgefunden; sie habe angesichts der bereits vorher durchgeführten Diätversuche solche Maßnahmen nicht für erfolgversprechend gehalten.
Ferner hat das Gericht auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Direktors der Kliniken V., Prof. Dr. Dr. H. C. R. (Chirurg). Dieser hat in seinem Gutachten vom 31. August 2010 ausgeführt, die Klägerin habe vor ihrer Magen-Bypass-Operation im Januar 2008 an einer morbiden Adipositas (BMI 41) gelitten. Ferner hätten als assoziierte Folgeerkrankungen, die kausal mit der Adipositas zusammenhängen, ein Asthma bronichiale, eine Kniegelenksarthrose, ein LWS-Syndrom sowie eine Depression vorgelegen. Diese Erkrankungen hätten sich nunmehr fast vollständig zurückgebildet. Bei der Adipositas gebe es zwei Therapiehauptziele: Zum einen die Verbesserung der Lebensqualität (zB durch bessere soziale Akzeptanz und Erhöhung der Mobilität) und zum anderen das Vorbeugen, respektive die Beseitigung von Folgeerkrankungen. Beide Therapieziele hätten nur durch eine drastische Gewichtsreduktion erreicht werden können. Die alleinige symptomorientierte Behandlung sei keine Therapiealternative. Da Übergewicht das Resultat einer überschüssigen Energiezufuhr sei, die sich als Fett im Organismus abspeichere, sei eine Gewichtsreduktion nur durch eine drastische und dauerhafte Verringerung der Nahrungszufuhr zu erreichen. Es gebe keine Medikamente gegen die Adipositas, sodass das Behandlungskonzept "multimodal" gestaltet werde. Es basiere entsprechend der Leitlinien auf vier Säulen: Ernährungstherapie, Bewegungstherapie, Psychotherapie/Verhaltenstherapie und Lebensstilumstellung in einer Gruppe. Da die Adipositaschirurgie auch ihre speziellen Komplikationen mit sich bringen könne, werde üblicherweise vor einem operativen Eingriff eine solche multimodale Therapie vorangeschaltet. In diesem Sinne sei die konservative Therapie keine Alternative, sondern ein integrierter Baustein in einem sequenziellen Behandlungskonzept. In der Leitlinie werde eine sechs- bis zwölfmonatige strukturierte multimodale Therapie empfohlen. Bei Nicht-Durchführbarkeit oder Erschöpfung dieses Ansatzes werde der Weg zur Operation empfohlen. Die Erschöpfung sei definiert, wenn ein Gewichtsverlust von 10 bis 30 % nicht erreicht bzw nicht gehalten werden könne. Bei der Klägerin seien dies 13 bis 39 kg Körpergewicht. Seiner Ansicht nach sei aus der Vorgeschichte das Kriterium der "Erschöpfung" nach den Leitlinien erfüllt. Auch sei die Magen-Bypass-Operation nach dem damals allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse für die Klägerin unter Berücksichtigung der Behandlungsalternativen notwendig gewesen. Ferner sei sie auch wirtschaftlich gewesen, dh durch die Operation hätten die bei der Klägerin vorhandenen Folgeerkrankungen, die auf der Adipositas basierten, ausgeschlossen werden können. Sämtliche vor der Operation vorhandenen Folgeerkrankungen befänden sich in Voll-Remission. Auch sei auf den präventiven Effekt der Operation im Hinblick auf die Vermeidung von Neuentstehung weiterer Erkrankungen hinzuweisen. Seit der Operation sei die Klägerin für ihre Krankenkasse "günstiger" geworden. Die notwendige Nahrungsmittelergänzung nach der Magen-Bypass-OP zahle die Klägerin selbst. Zudem entstünden persönliche Aufwendungen zur halbjährlichen Nachkontrolle beim Operateur Prof. Dr. W., welche von der Klägerin selbst getragen würden. Insgesamt gesehen seien die Voraussetzungen für einen chirurgischen Eingriff in ein intaktes Körperorgan nicht gegeben gewesen. Die Vorstellung des Magens als "intaktes" Organ bei morbider Adipositas sei aus wissenschaftlicher Sicht eine Fehlkonzeption. Zwar seien die Ursachen der morbiden Adipositas noch im Detail aufgeklärt, so wisse man doch, dass bestimmte Hormone aus dem Magen-Darm-Trakt eine wichtige Rolle einnähmen. Dabei werde dem im Magen produzierten Ghrelin eine zentrale Bedeutung zugemessen. Eine gestörte Ghrelin-Produktion sei der Gegenbeweis für die Hypothese des Magens als intaktes Körperorgan bei Adipositas. Die Operation am Magen greife kausal in diese Fehlfunktion des Organs ein. Im Übrigen gebe es viele Beispiele in der Medizin, in denen ein intaktes Organ entfernt werde. Eine so genannte "Wunschsektion", sprich eine geplante operative Entbindung und somit Operation bei einem intakten Organ sei klinischer Alltag geworden. Das Operationsrisiko sei sehr gering gewesen und damit tolerabel. Im Übrigen sei bei der Klägerin von einer ausreichenden Motivation auszugehen. Im Vergleich zu anderen adipösen Patienten habe sie eine Vielzahl von ernsthaften Unternehmungen zur Gewichtsreduktion vorangestellt und damit ihren Ehrgeiz und ihre Ernsthaftigkeit bewiesen. Ebenso sei die Möglichkeit einer lebenslangen medizinischen Nachbetreuung gegeben. Letztlich finde all dies auch Ausdruck im guten Erfolg der Therapie (Gewichtsverlust 45 kg; Remission der Depression und des Asthma, Ausbleiben weiterer adipositas-assoziierter Erkrankungen; Ausbleiben möglicher Mangelsyndrome). Den Ausführungen von Dr. A. vom MDK sei demgegenüber nicht zu folgen. Dort werde vom Idealfall einer kompakten sechs- bis zwölfmonatigen multimodalen Therapie ausgegangen, die in dieser Form in Deutschland nicht existiere, da weder im ambulanten noch im stationären Bereich die Kosten dafür erstattet würden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der angefochtene Bescheid vom 29. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Mai 2008 (§ 95 SGG) rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die in der Zeit vom 22. bis 30. Januar 2008 selbst verschaffte Magen-Bypass-Operation iHv 10.271,74 EUR.
Die Klägerin ist Mitglied der Beklagten und hat in der Zeit vom 22. bis 30. Januar 2008 auf eigen Kosten eine Magen-Bypass-Operation im Krankenhaus S. durchführen lassen. Hierfür sind ihr Kosten iHv insgesamt 10.271,74 EUR entstanden, die sie (vorab) am 16. Januar 2008 beglichen hat. Der Senat entnimmt dies dem vorgelegten Kontoauszug (Überweisung von 5.373,19 EUR [Verwendungszweck: "Krankenhaus S."] und 4.898,55 EUR [Verwendungszweck: "Prof. W. Schlauchmagen"]). Da die Klägerin nicht nach § 13 Abs 2 SGB V anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung gewählt hat, kommt als Anspruchsgrundlage für einen Kostenerstattungsanspruch nur § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V in Betracht. Nach § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V gilt: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.
Dass eine unaufschiebbare Leistung im Sinne des § 13 Abs 3 Satz 1 1. Alternative SGB V vorlag, hat auch die Klägerin nicht behauptet. Eine solche scheidet auch zur Überzeugung des Senats denknotwendig aus. Denn eine Leistung ist nur dann unaufschiebbar, wenn eine Leistungserbringung im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Durchführung so dringlich ist, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs bis zu einer Entscheidung der Krankenkasse mehr besteht (vgl BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 22). Anhaltspunkte für eine solche Dringlichkeit bestanden nicht. Denn die Klägerin litt nicht an wesentlichen Folgeerkrankungen, die ein sofortiges Handeln bedingt hätten. Im Vordergrund standen vielmehr Kniebeschwerden, eine Wirbelsäulenerkrankung (besonders der LWS), Asthma und eine depressive Verstimmung. Dies entnimmt der Senat der Stellungnahme des Prof. Dr. W. vom 18. Oktober 2007, dem Attest des Dr. M. vom 5. November 2007 und dem (undatierten) Attest des Dr. T ...
Auch die Voraussetzungen des § 13 Abs 3 Satz 1 2. Alternative SGB V sind nicht erfüllt. Nach ständiger Rechtsprechung reicht der in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 Satz 1 2. Alternative SGB V nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl BSGE 79, 125 = SozR 3-2500 § 13 Nr 11; BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12; BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12). Der Anspruch ist demgemäß gegeben, wenn die Krankenkasse die Erfüllung eines Naturalleistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt und der Versicherte sich die Leistung selbst beschafft hat, wenn weiterhin ein Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht, die selbst beschaffte Leistung notwendig ist und die Selbstbeschaffung eine rechtlich wirksame Kostenbelastung des Versicherten ausgelöst hat (BSG Urteil vom 17. Dezember 2009, B 3 KR 20/08 R, Breithaupt 2010, 914 mwN). Ist das Tatbestandsmerkmal der rechtswidrigen Ablehnung der begehrten Leistung zu verneinen, bedarf es keiner Entscheidung, ob der Ausschluss der Leistung aus materiellen Gründen rechtswidrig oder auch verfassungswidrig ist. Die Klägerin hatte keinen Naturalleistungsanspruch auf Gewährung einer Magen-Bypass-Operation.
Nach § 27 Abs 1 Satz 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach Satz 2 Nr 5 dieser Vorschrift umfasst die Krankenbehandlung ua auch die Krankenhausbehandlung. Nach § 39 Abs 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V unterliegt den sich aus § 2 Abs 1 und § 12 Abs 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 1 KR 11/08 R - Liposuktion).
Ein Anspruch der Klägerin auf Krankenhausbehandlung nach § 27 Abs 1 Satz 1, § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V hängt mithin davon ab, dass die Krankenhausbehandlung der Klägerin allein aus medizinischen Gründen erforderlich war (vgl Beschluss des Großen Senats des BSG vom 25. September 2007 - GS 1/06, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; ebenso BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, jeweils RdNr 23). Die Erforderlichkeit richtet sich allein nach der medizinischen Notwendigkeit (vgl Großer Senat, aaO, RdNr 15). In jedem Fall bedarf es neben der generellen auch und gerade der individuellen Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung im Einzelfall (vgl BSG, Beschluss vom 7. November 2006 - B 1 KR 32/04 R - RdNr 28 und 37 f mwN; BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 1 KN 1/07 KR R, mwN). An der individuellen Erforderlichkeit einer Krankenhausbehandlung der Klägerin fehlte es hier, da sie sie bestehenden konservativen Behandlungsmethoden iS eines ärztlich koordinierten und geleiteten Gesamttherapiekonzepts, welches Diätmaßnahmen, eine Schulung des Ess- und Ernährungsverhaltens, eine Bewegungstherapie, ggfs pharmakologisch-ärztliche Behandlung und eine kombinierte psychotherapeutische Intervention umfasst und als Langzeitbehandlung auch konsequent und nachhaltig durchzuführen und zu dokumentieren ist, nicht vollständig ausgeschöpft hat.
Der Magen der Klägerin als solcher war gesund; er bedurfte keiner Operation mittels einer Bypass-Operation. Dies ergibt sich aus der Stellungnahme des Prof. Dr. W. vom 18. Oktober 2007, wonach am Magen selbst keine Funktionsstörung besteht. Auch Dr. T. hat in seiner seinem Attest und seiner Auskunft im Berufungsverfahren keine Funktionsstörungen des Magens angegeben. Aus dem Gutachten des Prof. Dr. Dr. R. lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Er hat nur darauf hingewiesen, dass es aus wissenschaftlicher Sicht streitig sei, ob bei einer morbiden Adipositas beim Magen-Darm-Trakt von einem gesunden Körperorgan gesprochen werden könne und dies im Hinblick auf eine möglicherweise vorhandene gestörte Ghrelinproduktion in Zweifel gezogen. Damit steht aber nicht fest, ob und in welchem Umfang bei der Klägerin tatsächlich eine gestörte Produktion des appetitanregenden Hormons Ghrelin vorgelegen hat. Eine konkrete Funktionsstörung des Magens ist bei der Klägerin jedenfalls nicht nachgewiesen.
Mithin sind hier die für eine mittelbare Krankenbehandlung maßgebenden Kriterien zu prüfen. Da das von der Klägerin mit der Operation erstrebte Behandlungsziel einer Gewichtsreduktion auf verschiedenen Wegen hätte erreicht werden können, kommt es darauf an, ob eine vollstationäre chirurgische Behandlung unter Berücksichtigung der Behandlungsalternativen (diätische Therapie, Bewegungstherapie, medikamentöse Therapie, Psychotherapie) notwendig und wirtschaftlich war. Sodann ist zu untersuchen, ob nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Diskussion aus medizinischer Sicht die Voraussetzungen für eine chirurgische Intervention gegeben waren. Nach den vorliegenden Leitlinien der Fachgesellschaften (beispielsweise Leitlinie der deutschen Adipositas-Gesellschaft) kommt die Magen-Bypass-Operation als chirurgische Behandlung der extremen Adipositas nur als Ultima Ratio und nur bei Patienten in Betracht, die eine Reihe von Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung erfüllen (BMI ) 40 oder 35 mit erheblichen Begleiterkrankungen; Erschöpfung konservativer Behandlungsmöglichkeiten; tolerables Operationsrisiko; ausreichende Motivation, keine manifeste psychiatrische Erkrankung; Möglichkeit einer lebenslangen medizinischen Nachbetreuung; vgl. Bundessozialgericht [BSG] BSGE 90, 289 = SozR 4-2500 § 137c Nr 1; auch Urteil vom 18. Dezember 2008 - B 1 KR 2/08 R).
Die Klägerin litt unstreitig an Übergewicht in krankhaftem Ausmaß, wobei allerdings unterschiedliche BMI-Werte angegeben wurden (Stellungnahme des Prof. Dr. W. vom 18. Oktober 2007: BMI 41, bzw sachverständige Zeugenauskunft des Dr. T. vom 23. April 2010: BMI 34 im Juni 2007). Aufgrund oder neben der Adipositas litt die Klägerin an Wirbelsäulenbeschwerden, einer Kniegelenksarthrose und an einer reaktiven Depression. Dies entnimmt der Senat der Stellungnahme des Prof. Dr. W. vom 18. Oktober 2007, dem Attest des Dr. M. vom 5. November 2007 und dem (undatierten) Attest des Dr. T ... Prof. Dr. Dr. R. hat dies in seinem Gutachten bestätigt
Zutreffend hat das SG aber entschieden, dass bei der Klägerin unabhängig von der bestehenden (morbiden) Adipositas per magna und den genannten Folgeerkrankungen nicht sämtliche alternativen konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft waren. Denn es fehlt an einem ärztlich koordinierten und geleiteten Gesamttherapiekonzept, welches Diätmaßnahmen, eine Schulung des Ess- und Ernährungsverhaltens, eine Bewegungstherapie, ggfs pharmakologisch-ärztliche Behandlung und eine kombinierte psychotherapeutische Intervention umfasst und als Langzeitbehandlung auch konsequent und nachhaltig durchgeführt und dokumentiert worden ist. Eine derartige qualitativ anspruchsvolle Therapie hätte anhand bestimmter Qualitätskriterien erfolgen und über einen Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten durchgeführt werden müssen. Dieses Erfordernis wird so ua auch von der Deutschen Adipositas-Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin aufgestellt (vgl die Leitlinie "Prävention und Therapie der Adipositas", Version 2007 Nr 6.4.7 mit Tabelle Nr 5 [Qualitätskriterien für ambulante Adipositasprogramme]; siehe auch die "Evidenzbasierte Leitlinie chirurgische Therapie der extremen Adipositas" der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie der Adipositas e.V. und der Deutschen Adipositas Gesellschaft e.V. vom 1. Dezember 2006). Abgesehen von der Betreuung durch "Weight Watchers" und "Treffpunkt Wunschgewicht" sind die Diäten nach den eigenen Angaben der Klägerin nicht unter Beteiligung eines Ernährungsberaters bzw unter Aufsicht eines Facharztes für Ernährungstherapie durchgeführt worden. Des Weiteren hat eine koordinierte Bewegungstherapie nicht stattgefunden. Das Schwimmen, Nordic-Walking und das Training auf dem Hometrainer/Crosstrainer stellen kein geeignetes und fachkundig geleitetes (Gesamt- bzw Bewegungstherapiekonzept dar.
Vor diesem Hintergrund ist der Senat der Ansicht, dass die pauschale Behauptung des Prof. Dr. Dr. R., die Klägerin habe die konservativen Behandlungsansätze voll ausgeschöpft, nicht zutrifft. Das Gegenteil ist der Fall. Insoweit ist die Entscheidung des Sozialgerichts Dresden vom 21. Juni 2006 (S 18 KR 1302/04) vorliegenden ohne Bedeutung. Denn im dort entschiedenen Fall ging das Sozialgericht davon aus, dass die konservativen Behandlungsmöglichkeiten erschöpft seien. Der Hinweis des Sachverständigen auf die vielen "kurzfristig erfolgreichen Diäten" bei der Klägerin (Gutachten S 11) zeigt, dass eine Gewichtabnahme bei der Klägerin durch nicht operative Maßnahmen durchaus möglich und lediglich der Erfolg nicht von Dauer war (Jo-Jo-Effekt). Gerade dieser Umstand belegt aber die Notwendigkeit einer ärztlich geleiteten bzw koordinierten Gesamttherapie zur Sicherung eines dauerhaften Behandlungserfolges. Der Senat verkennt nicht, dass es eine solche ärztlich geleitete koordinierte Gesamttherapie als einheitliche Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht gibt. Dies allein rechtfertigt aber noch nicht die Kostenübernahme für eine nur mittelbare Krankenbehandlung. Denn die im Rahmen der GKV zur Verfügung stehenden ärztlichen Leistungen einschließlich der ärztlich veranlassten Leistungen (zB Verordnung von Heilmitteln) machen es ohne Weiteres möglich, mit Hilfe ärztlicher Untersuchungs- und Beratungsleistungen über mehrere Monate eine strukturierte Therapie zur Gewichtsreduktion durchzuführen. Ohne eine solche - einer Operation als letzte verbleibende Behandlungsmöglichkeit (ultima ratio) unmittelbar vorausgehende - Gesamttherapie werden im Übrigen auch die Erfolge der operativen Behandlung überschätzt. Wenn es den Versicherten durch ärztlich überwachte Maßnahmen gelingt, das Gewicht deutlich zu reduzieren, können sich die von Prof. Dr. W. beschriebenen Erfolge der Adipositaschirurgie - Gewichtsabnahme von bis zu 75 % des Übergewichts - nicht mehr einstellen.
Ein Ausnahmefall im Sinne der Rechtsprechung, dass eine konkret lebensbedrohliche Erkrankung die grundrechtskonforme Auslegung des Leistungsanspruchs nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V erfordert, liegt im Fall der Klägerin nicht vor. Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass sich ihr Übergewicht in absehbarer Zeit lebensbedrohend ausgewirkt hätte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung der Kosten einer Magen-Bypass-Operation in Höhe von 10.271,74 EUR.
Die am 22. Oktober 1965 geborene Klägerin ist Mitglied der Beklagten und seit 1984 als Verwaltungsangestellte bei der Stadtverwaltung L. beschäftigt.
Am 07. November 2007 beantragte die Klägerin telefonisch bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Magen-Bypass-Operation. Zur Begründung führte sie aus, seit ihrem 18. Lebensjahr leide sie an Übergewicht. Im November 2007 habe ihr Gewicht 121,2 kg bei einer Körpergröße von 172,5 cm betragen. Seit 1993 bemühe sie sich erfolglos um eine Gewichtsreduktion unter ärztlicher Anleitung. Weitere Versuche zur Gewichtsreduktion unter Zuhilfenahme der Weight Watchers und Gruppenbesuche bei "Treffpunkt Wunschgewicht" hätten ebenfalls nicht zum gewünschten Erfolg geführt. Ferner gehe sie regelmäßig schwimmen, betreibe Nordic Walking und habe sich einen Home-Crosstrainer gekauft. Zur Untermauerung ihres Antrages fügte sie Atteste der sie behandelnden Ärzte bei. Der Facharzt für Innere Medizin Dr. T. legte dar, die Klägerin leide an Adipositas permagna bei Zustand nach Bandscheibenoperation und Arthrose im rechten Kniegelenk. Das Übergewicht führe zu erheblichen Beschwerden, eine Gewichtsreduktion sei dringend erforderlich. Zusätzlich bestehe bei ihr eine ausgeprägte depressive Verstimmung, es zeigten sich soziale Rückzugstendenzen, wobei die Adipositas permagna die Situation verschlechtere. Die von der Klägerin durchgeführten diätischen Behandlungsstrategien seien nicht erfolgreich gewesen. Eine Gewichtskontrolle sei ihr trotz erheblicher Motivation nicht dauerhaft gelungen. Der Neurologe und Psychiater Dr. M. führte in seinem ärztlichen Attest vom 05. November 2007 aus, bei der Klägerin bestehe eine Meralgie mit intensiven Schmerzen am linken Oberschenkel. Diese stehe im Zusammenhang mit der Adipositas. Seit April 2007 behandle er die Klägerin wegen einer schweren depressiven Episode, deren Symptome trotz stützender Gespräche und suffizienter thymoleptischer Behandlung nur unvollständig zurückgingen. Die depressive Erkrankung sei zumindest teilweise durch die seit Jahrzehnten bestehende Adipositas mitbedingt. Aufgrund des Übergewichts entwickle die Klägerin ein Vermeidungs- und Rückzugsverhalten und vermeide im Zuge dessen außerhalb der Arbeit Kontakte. Ferner sei es zu einer körperlichen Beeinträchtigung mit Arthrose im rechten Kniegelenk gekommen. Alle Bemühungen der Klägerin, ihr Gewicht zu reduzieren, seien in den letzten Jahrzehnten fehlgeschlagen, obwohl die Klägerin verschiedenste Diätformen durchgeführt habe. Eine Ess-Störung im eigentlichen Sinne liege nicht vor, sodass bei normalem Essverhalten ohne Suchttendenzen eine ambulante psychotherapeutische Behandlung nicht erfolgsversprechend sei. Letztlich erscheine aus nervenärztlicher Sicht ein operatives Vorgehen zur Besserung der Adipositas erforderlich. Bei einem Gewicht von 121 kg und einer Größe von 172 cm bestehe ein Body-Maß-Index (BMI) von 41 kg/m². Des Weiteren legte die Klägerin einen Bericht des Chefarztes der chirurgischen Abteilung des Krankenhauses S., Prof. Dr. W., vom 18. Oktober 2007 mit der Diagnose einer morbiden Adipositas, Kniearthrose, Wirbelsäulenerkrankung und Asthma vor. Bei der Klägerin liege mit einem BMI von 41 kg/m² eine krankhafte Adipositas vor. Sie habe multiple Erkrankungen bedingt durch das langjährige massive Übergewicht. Insbesondere seien hierbei die Beschwerden des Bewegungsapparates zu berücksichtigen. Auch empfinde die Klägerin einen starken Leidensdruck infolge des langjährigen massiven Übergewichts, welches trotz Diätversuchen zunehme. Die Beschwerden könnten sich nach einer durch die OP unterstützten Gewichtsreduzierung normalisieren, sodass Folgeschäden vermieden werden könnten. Zudem könne der massive Leidensdruck, der sich vor allem in einer auftretenden Bewegungsunfähigkeit und Einschränkungen der Aktivitäten, aber auch durch eine starke Kurzatmigkeit bemerkbar mache, vermindert werden. Er empfahl den laparoskopischen Eingriff eines Ruox-en-Y-Magenbypass. Damit komme es zu einer Gewichtsabnahme von 70 bis 75 % des bestehenden Übergewichts. Die vorgeschlagene Operation stelle den Standard der US-Adipositaschirurgie dar und werde in Europa zunehmend anstelle des bisher üblichen Magenbandes eingesetzt. Die Adipositasanamnese sei mit mehr als 20 Jahren ausreichend lang um eine operative Behandlung in Erwägung zu ziehen. Auch könne die Klägerin auf eine ausreichende Anzahl konservativer Therapieversuche mit ärztlich geleiteten ambulanten Gewichtsreduktionen sowie multiple frustrane Versuche zur Gewichtsreduktion verweisen. Sie habe an Kuren, zahlreichen Diäten und Ernährungsberatungen teilgenommen. Ferner habe sie auf medikamentöser Basis durch Einnahme von Formoline 112 im Jahr 2006 erfolglos versucht, ihr Gewicht zu reduzieren. Sie sei bedauerlicherweise nicht in der Lage, ihr Gewicht zu halten und nehme mit Diäten im Sinne des Jo-Jo-Effektes ständig weiter an Gewicht zu. Schwerwiegende Kontraindikationen lägen nicht vor. Hinsichtlich der Ernährungs- und Gewichtstagebücher wird auf Bl 14/42 der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Begutachtung der Klägerin durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK). Dr. A. diagnostizierte bei der Klägerin in seinem Gutachten vom 26. November 2007 eine Adipositas permagna. Ferner leide die Klägerin an einer Kniegelenksarthrose, einem LWS-Syndrom bei anamnestischer Nukleotomie 12/03, einem Asthma sowie an einer schweren depressiven Episode. In Auswertung der aktuellen Rechtsprechung zur Adipositaschirurgie gelangte er zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin die medizinischen Voraussetzungen für die Leistung nicht erfüllt seien. Rehabilitative Maßnahmen hinsichtlich der Adipositas seien zuletzt im Jahr 2004 durchgeführt worden. Die konservativen Behandlungsmöglichkeiten seien noch nicht erfolglos ausgeschöpft. Eine ausreichende Motivation sei nicht in vollem Umfang ersichtlich. Es bestünden zudem Hinweise auf eine psychiatrische Erkrankung. Mit Bescheid vom 29. November 2007 lehnte die Beklagte die beantragte Kostenübernahme gestützt auf das Gutachten des MDK ab.
Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie habe auch eine sogenannte Ernährungstherapie gemacht, die jedoch für sie keine dauerhafte Lösung darstelle. Ferner habe sie sich immer bewegt. Auch sei eine entsprechende medizinische Nachbetreuung gesichert und bei ihr eine erhebliche Motivation vorhanden.
Die Beklagte wandte sich hierauf erneut an den MDK, für den Dr. W. in seinem Gutachten vom 11. Januar 2008 dabei verblieb, die medizinischen Voraussetzungen für die beantragte Leistung seien nicht erfüllt. Zwar stehe die von Dr. M. angegebene Depression nicht in engem Zusammenhang mit der seit langem vorliegenden Adipositas bzw sei diese nicht als Kontraindikation für den Eingriff anzusehen; allerdings sei die regelmäßige Teilnahme an einer mehrdimensionalen Behandlung und deren Verlauf nachzuweisen. Zusätzlich könnten Formulardiäten, medikamentöse Therapien und stationäre Rehabilitationsmaßnahmen zur Anwendung kommen. Eine Dokumentation dieser Vorgaben nach den Leitlinien sei nicht erfolgt.
Die RNYP - Magen-Bypass-Operation wurde in der Zeit vom 22. bis 30. Januar 2008 im Krankenhaus S. durchgeführt. Hierfür entstanden der Klägerin Kosten in Höhe von insgesamt 10.271,74 EUR, die sie bereits vor der Aufnahme ins Krankenhaus an die Klinik überwiesen hatte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2008 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten -gestützt auf die Gutachten des MDK - den Widerspruch der Klägerin zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 4. Juni 2008 beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben. Seit der Magen-Bypass-Operation befinde sie sich im Follow-up und Nachsorgeprogramm des Krankenhauses S ... Infolge der Magen-Bypass-Operation sei es ihr gelungen, ihr Körpergewicht auf 76 kg zu reduzieren. Die Operation sei damit erfolgreich gewesen. Dies werde durch die vorgelegten Lichtbilder bestätigt. Hinsichtlich des Ausschöpfens der konventionellen Behandlungsalternativen verweist sie auf ihre Ausführungen im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren. Ferner beruft sie sich auf die evidenzbasierte Leitlinie "Ernährung und Präventionstherapie der Adipositas", deren Empfehlungen sie zur Gewichtsreduktion befolgt habe. Auch sei durch das SG Dresden in einem gleichgelagerten Fall die Kostenübernahme für rechtmäßig erachtet worden (Urteil vom 21. Juni 2006, S 18 KR 1302/04). Abschließend sei darauf hinzuweisen, dass die Durchführung einer multidisziplinären Therapie aus beruflichen und persönlichen Gründen nicht möglich gewesen sei. Sie sei täglich 10 bis 13 Stunden berufsbedingt außer Haus und pflege darüber hinaus ihre zu 80 % schwerbehinderte Mutter, die in ihrem Haushalt lebe und deren Betreuung und Pflege sie übernommen habe.
Die Beklagte hat dahingehend Stellung genommen, dass die Vorgaben zur Therapie der Adipositas entsprechend den Leitlinien der Deutschen Adipositas-Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin nicht erfüllt seien. Die Klägerin habe auch immer wieder bewiesen, dass sie in der Lage sei unter rein diätischen Maßnahmen ihr Gewicht zu reduzieren. Eine konsequente Umstellung der Ernährung und der Lebensgewohnheiten sei bisher nicht erfolgt. Sollte die Klägerin ihr Essverhalten und ihre Lebensgewohnheiten nach der durchgeführten Operation jetzt geändert haben, bleibe die Frage, warum dieses vor der Operation über einen längeren Zeitraum nicht möglich gewesen sei. Die Entscheidung des SG Dresden sei in einem Einzelfall ergangen. Sie trete weiterhin der Klage entgegen, da die Kriterien des Bundessozialgerichts (BSG) zur Kostenübernahme einer chirurgischen Magenverkleinerung nicht erfüllt seien.
Mit Urteil vom 23. September 2009 hat das SG die Klage abgewiesen und unter Darlegung der maßgeblichen Rechtsprechung des BSG im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe die konservativen Behandlungsmöglichkeiten bisher nicht ausgeschöpft. Eine Magenverkleinerung als chirurgischer Eingriff bedeute einen Eingriff in ein funktionell intaktes Organ, das regelwidrig verändert werde. Dies bedürfe einer speziellen Rechtfertigung. Dabei sei die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen, wobei angesichts der unsicheren Prognose eine Leistungsgewährung durch die Krankenkasse regelmäßig nicht zu rechtfertigen sei, wenn der operative Eingriff zur Behandlung einer psychischen Störung dienen solle. Die operative Verkleinerung des Magens komme daher nur als Ultima ratio und nur bei Patienten in Betracht, die eine Reihe weiterer Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung erfüllten, nämlich insbesondere nach Erschöpfung konservativer Behandlungsmöglichkeiten. Hieran fehle es, denn die Klägerin habe zwar nach ihren eigenen Angaben diätische Maßnahmen durchgeführt und mit gruppentherapeutischen Maßnahmen wie dem Besuch von Weight Watchers versucht, ihr Übergewicht zu reduzieren. Eine konsequente ärztlich überwachte ambulante Behandlung oder eine stationäre Behandlung oder eine entsprechende stationäre oder ambulante rehabilitative Maßnahme sowie eine psychiatrische oder psychotherapeutische Therapie seien jedoch zuletzt nicht erfolgt. Die Tatsache, dass die Operation letztlich erfolgreich gewesen sei, wie die vorgelegten Lichtbilder belegten, sei demgegenüber nicht von rechtlicher Bedeutung.
Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 21. Januar 2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 22. Februar 2010 (Montag) Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Sie vertieft ihr bisheriges Vorbringen und rügt, das SG hätte erkennen müssen, dass die durchgeführte Operation medizinisch notwendig gewesen sei. Es sei ferner verkannt worden, dass die Durchführung des Eingriffs nach dem Ergebnis der für mittelbare Behandlungen geforderten speziellen Güterabwägung gerechtfertigt gewesen sei. Aus den vorgelegten ärztlichen Attesten gehe hervor, dass sie seit mehr als 20 Jahren unter massivem Übergewicht leide und sämtliche Bemühungen, das Gewicht zu reduzieren, seit Jahrzehnten erfolglos gewesen seien. Schon aufgrund der Folgeerkrankungen sei die durchgeführte Operation medizinisch notwendig gewesen. Der Nutzen der Operation ergebe sich schon allein aus der Tatsache, dass sich der Gesundheitszustand erheblich verbessert habe und künftig weniger Kosten für die Behandlung von Folgeerkrankungen anfallen würden. Im Übrigen hätte sich das SG gedrängt fühlen müssen zu überprüfen, ob der Eingriff nach dem Ergebnis der für mittelbare Behandlungen geforderten speziellen Güterabwägung gerechtfertigt gewesen sei. Dies sei durch ein Sachverständigengutachten zu klären. Insbesondere gehe die Annahme fehl, bei der Magen-Bypass-Operation liege ein chirurgischer Eingriff in ein intaktes Organ vor. Dies ergebe sich aus dem gerichtlicherseits nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholten Gutachten des Chirurgen Prof. Dr. Dr. R. vom 31. August 2010. Dieser habe dargelegt, die Vorstellung des Magens als "intaktes" Organ bei morbider Adipositas sei aus wissenschaftlicher Sicht eine Fehlkonzeption. Zwar seien die Ursachen der morbiden Adipositas noch nicht im Detail aufgeklärt, so wisse man doch, dass bestimmte Hormone aus dem Magen-Darm-Trakt eine wichtige Rolle einnähmen. Dabei werde dem im Magen produzierten Ghrelin eine zentrale Bedeutung beigemessen. Eine gestörte Ghrelinproduktion sei der Gegenbeweis für die Hypothese des Magens als ein intaktes Körperorgan bei Adipositas. Die Operation am Magen greife kausal in diese Fehlfunktion des Organs ein. Insoweit gehe sowohl das Bundessozialgericht bei seiner Entscheidung vom 19. Februar 2003 (B 1 KR 1/02 R) von zwischenzeitlich überholten wissenschaftlichen und medizinischen Erkenntnissen aus.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 23. September 2009 sowie den Bescheids vom 29. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die im Krankenhaus S. in der Zeit vom 22. bis 30. Januar 2008 durchgeführte Magen-Bypass-Operation in Höhe von 10.271,76 EUR zu erstatten, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Im Übrigen habe Dr. A. vom MDK in seiner Stellungnahme vom 27. September 2010, die sie sich zu eigen mache, weiterhin bestätigt, dass keine Dokumentation einer mehrdimensionalen Behandlung durch entsprechende Fachkräfte aus den letzten aktuellen zwölf Monaten, insbesondere einer Verhaltensmodifikation durch entsprechende Ernährungsfachkräfte/Psychologen (diese Voraussetzung sei auch für die postoperative Weiterbetreuung erforderlich) von der Klägerin vorgenommen worden sei.
Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts zunächst den die Klägerin behandelnden Facharzt für Innere Medizin Dr. T. als sachverständigen Zeugen gehört. Dieser hat mitgeteilt (Auskunft vom 23. April 2010), er behandle die Klägerin seit Februar 2004. Bis zu ihrer Magen-Bypass-Operation im Januar 2008 habe sie sich in unregelmäßigen, größeren Abständen vorgestellt, seit Januar 2008 ein bis zweimal pro Quartal. Bei der Klägerin bestehe ein Asthma bronchiale sowie ein chronisches LWS-Syndrom bei Zustand nach lumbalem Bandscheibenvorfall. Bis zur Durchführung der Magenbypass-Operation habe zusätzlich ein depressives Syndrom bestanden. In der im Juni 2007 durchgeführten Gesundheitsuntersuchung habe sich bei der Klägerin ein BMI von 34 ergeben. Die Blutdruckwerte hätten im Zielbereich gelegen. Eine diabetische Stoffwechsellage habe zu keinem Zeitpunkt bestanden. Insgesamt habe bei der Klägerin also eine völlig unauffällige Fettstoffwechselsituation vorgelegen. Ebenso sei die Klägerin von kardialer Seite beschwerdefrei gewesen. Nach der durchgeführten Operation habe die Klägerin kontinuierlich an Gewicht verloren. Zuletzt habe ein Körpergewicht von 74,5 kg vorgelegen. Damit sei die Klägerin normalgewichtig. Insbesondere hätten die Wirbelsäulenbeschwerden der Klägerin durch die Gewichtsreduktion günstig beeinflusst werden können. Auch habe sich das vor der Operation bestehende depressive Syndrom zurückentwickelt, eine antidepressive Medikation sei nicht mehr erforderlich. Eine Krankschreibung sei im Zeitraum von Januar 2006 bis Januar 2008 wegen Asthma bronchiale, eines grippalen Infekts, eines weiteren bronchopulmonalen Infekts sowie vom 31. Januar 2008 bis 08. Februar 2008 wegen alimentärer Kollapsneigung nach Magenoperation erfolgt. Der Klägerin sei von ihm die Teilnahme an Diätschulung angeraten worden. Bereits im Vorfeld habe die Klägerin multiple und leider frustrane Diätversuche zur Gewichtsreduktion durchgeführt. Eine Langzeitbetreuung im Rahmen eines Adipositasprogramms oder eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme habe bei der Klägerin nicht stattgefunden; sie habe angesichts der bereits vorher durchgeführten Diätversuche solche Maßnahmen nicht für erfolgversprechend gehalten.
Ferner hat das Gericht auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Direktors der Kliniken V., Prof. Dr. Dr. H. C. R. (Chirurg). Dieser hat in seinem Gutachten vom 31. August 2010 ausgeführt, die Klägerin habe vor ihrer Magen-Bypass-Operation im Januar 2008 an einer morbiden Adipositas (BMI 41) gelitten. Ferner hätten als assoziierte Folgeerkrankungen, die kausal mit der Adipositas zusammenhängen, ein Asthma bronichiale, eine Kniegelenksarthrose, ein LWS-Syndrom sowie eine Depression vorgelegen. Diese Erkrankungen hätten sich nunmehr fast vollständig zurückgebildet. Bei der Adipositas gebe es zwei Therapiehauptziele: Zum einen die Verbesserung der Lebensqualität (zB durch bessere soziale Akzeptanz und Erhöhung der Mobilität) und zum anderen das Vorbeugen, respektive die Beseitigung von Folgeerkrankungen. Beide Therapieziele hätten nur durch eine drastische Gewichtsreduktion erreicht werden können. Die alleinige symptomorientierte Behandlung sei keine Therapiealternative. Da Übergewicht das Resultat einer überschüssigen Energiezufuhr sei, die sich als Fett im Organismus abspeichere, sei eine Gewichtsreduktion nur durch eine drastische und dauerhafte Verringerung der Nahrungszufuhr zu erreichen. Es gebe keine Medikamente gegen die Adipositas, sodass das Behandlungskonzept "multimodal" gestaltet werde. Es basiere entsprechend der Leitlinien auf vier Säulen: Ernährungstherapie, Bewegungstherapie, Psychotherapie/Verhaltenstherapie und Lebensstilumstellung in einer Gruppe. Da die Adipositaschirurgie auch ihre speziellen Komplikationen mit sich bringen könne, werde üblicherweise vor einem operativen Eingriff eine solche multimodale Therapie vorangeschaltet. In diesem Sinne sei die konservative Therapie keine Alternative, sondern ein integrierter Baustein in einem sequenziellen Behandlungskonzept. In der Leitlinie werde eine sechs- bis zwölfmonatige strukturierte multimodale Therapie empfohlen. Bei Nicht-Durchführbarkeit oder Erschöpfung dieses Ansatzes werde der Weg zur Operation empfohlen. Die Erschöpfung sei definiert, wenn ein Gewichtsverlust von 10 bis 30 % nicht erreicht bzw nicht gehalten werden könne. Bei der Klägerin seien dies 13 bis 39 kg Körpergewicht. Seiner Ansicht nach sei aus der Vorgeschichte das Kriterium der "Erschöpfung" nach den Leitlinien erfüllt. Auch sei die Magen-Bypass-Operation nach dem damals allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse für die Klägerin unter Berücksichtigung der Behandlungsalternativen notwendig gewesen. Ferner sei sie auch wirtschaftlich gewesen, dh durch die Operation hätten die bei der Klägerin vorhandenen Folgeerkrankungen, die auf der Adipositas basierten, ausgeschlossen werden können. Sämtliche vor der Operation vorhandenen Folgeerkrankungen befänden sich in Voll-Remission. Auch sei auf den präventiven Effekt der Operation im Hinblick auf die Vermeidung von Neuentstehung weiterer Erkrankungen hinzuweisen. Seit der Operation sei die Klägerin für ihre Krankenkasse "günstiger" geworden. Die notwendige Nahrungsmittelergänzung nach der Magen-Bypass-OP zahle die Klägerin selbst. Zudem entstünden persönliche Aufwendungen zur halbjährlichen Nachkontrolle beim Operateur Prof. Dr. W., welche von der Klägerin selbst getragen würden. Insgesamt gesehen seien die Voraussetzungen für einen chirurgischen Eingriff in ein intaktes Körperorgan nicht gegeben gewesen. Die Vorstellung des Magens als "intaktes" Organ bei morbider Adipositas sei aus wissenschaftlicher Sicht eine Fehlkonzeption. Zwar seien die Ursachen der morbiden Adipositas noch im Detail aufgeklärt, so wisse man doch, dass bestimmte Hormone aus dem Magen-Darm-Trakt eine wichtige Rolle einnähmen. Dabei werde dem im Magen produzierten Ghrelin eine zentrale Bedeutung zugemessen. Eine gestörte Ghrelin-Produktion sei der Gegenbeweis für die Hypothese des Magens als intaktes Körperorgan bei Adipositas. Die Operation am Magen greife kausal in diese Fehlfunktion des Organs ein. Im Übrigen gebe es viele Beispiele in der Medizin, in denen ein intaktes Organ entfernt werde. Eine so genannte "Wunschsektion", sprich eine geplante operative Entbindung und somit Operation bei einem intakten Organ sei klinischer Alltag geworden. Das Operationsrisiko sei sehr gering gewesen und damit tolerabel. Im Übrigen sei bei der Klägerin von einer ausreichenden Motivation auszugehen. Im Vergleich zu anderen adipösen Patienten habe sie eine Vielzahl von ernsthaften Unternehmungen zur Gewichtsreduktion vorangestellt und damit ihren Ehrgeiz und ihre Ernsthaftigkeit bewiesen. Ebenso sei die Möglichkeit einer lebenslangen medizinischen Nachbetreuung gegeben. Letztlich finde all dies auch Ausdruck im guten Erfolg der Therapie (Gewichtsverlust 45 kg; Remission der Depression und des Asthma, Ausbleiben weiterer adipositas-assoziierter Erkrankungen; Ausbleiben möglicher Mangelsyndrome). Den Ausführungen von Dr. A. vom MDK sei demgegenüber nicht zu folgen. Dort werde vom Idealfall einer kompakten sechs- bis zwölfmonatigen multimodalen Therapie ausgegangen, die in dieser Form in Deutschland nicht existiere, da weder im ambulanten noch im stationären Bereich die Kosten dafür erstattet würden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der angefochtene Bescheid vom 29. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Mai 2008 (§ 95 SGG) rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die in der Zeit vom 22. bis 30. Januar 2008 selbst verschaffte Magen-Bypass-Operation iHv 10.271,74 EUR.
Die Klägerin ist Mitglied der Beklagten und hat in der Zeit vom 22. bis 30. Januar 2008 auf eigen Kosten eine Magen-Bypass-Operation im Krankenhaus S. durchführen lassen. Hierfür sind ihr Kosten iHv insgesamt 10.271,74 EUR entstanden, die sie (vorab) am 16. Januar 2008 beglichen hat. Der Senat entnimmt dies dem vorgelegten Kontoauszug (Überweisung von 5.373,19 EUR [Verwendungszweck: "Krankenhaus S."] und 4.898,55 EUR [Verwendungszweck: "Prof. W. Schlauchmagen"]). Da die Klägerin nicht nach § 13 Abs 2 SGB V anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung gewählt hat, kommt als Anspruchsgrundlage für einen Kostenerstattungsanspruch nur § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V in Betracht. Nach § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V gilt: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.
Dass eine unaufschiebbare Leistung im Sinne des § 13 Abs 3 Satz 1 1. Alternative SGB V vorlag, hat auch die Klägerin nicht behauptet. Eine solche scheidet auch zur Überzeugung des Senats denknotwendig aus. Denn eine Leistung ist nur dann unaufschiebbar, wenn eine Leistungserbringung im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Durchführung so dringlich ist, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs bis zu einer Entscheidung der Krankenkasse mehr besteht (vgl BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 22). Anhaltspunkte für eine solche Dringlichkeit bestanden nicht. Denn die Klägerin litt nicht an wesentlichen Folgeerkrankungen, die ein sofortiges Handeln bedingt hätten. Im Vordergrund standen vielmehr Kniebeschwerden, eine Wirbelsäulenerkrankung (besonders der LWS), Asthma und eine depressive Verstimmung. Dies entnimmt der Senat der Stellungnahme des Prof. Dr. W. vom 18. Oktober 2007, dem Attest des Dr. M. vom 5. November 2007 und dem (undatierten) Attest des Dr. T ...
Auch die Voraussetzungen des § 13 Abs 3 Satz 1 2. Alternative SGB V sind nicht erfüllt. Nach ständiger Rechtsprechung reicht der in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 Satz 1 2. Alternative SGB V nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl BSGE 79, 125 = SozR 3-2500 § 13 Nr 11; BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12; BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12). Der Anspruch ist demgemäß gegeben, wenn die Krankenkasse die Erfüllung eines Naturalleistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt und der Versicherte sich die Leistung selbst beschafft hat, wenn weiterhin ein Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht, die selbst beschaffte Leistung notwendig ist und die Selbstbeschaffung eine rechtlich wirksame Kostenbelastung des Versicherten ausgelöst hat (BSG Urteil vom 17. Dezember 2009, B 3 KR 20/08 R, Breithaupt 2010, 914 mwN). Ist das Tatbestandsmerkmal der rechtswidrigen Ablehnung der begehrten Leistung zu verneinen, bedarf es keiner Entscheidung, ob der Ausschluss der Leistung aus materiellen Gründen rechtswidrig oder auch verfassungswidrig ist. Die Klägerin hatte keinen Naturalleistungsanspruch auf Gewährung einer Magen-Bypass-Operation.
Nach § 27 Abs 1 Satz 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach Satz 2 Nr 5 dieser Vorschrift umfasst die Krankenbehandlung ua auch die Krankenhausbehandlung. Nach § 39 Abs 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V unterliegt den sich aus § 2 Abs 1 und § 12 Abs 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 1 KR 11/08 R - Liposuktion).
Ein Anspruch der Klägerin auf Krankenhausbehandlung nach § 27 Abs 1 Satz 1, § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V hängt mithin davon ab, dass die Krankenhausbehandlung der Klägerin allein aus medizinischen Gründen erforderlich war (vgl Beschluss des Großen Senats des BSG vom 25. September 2007 - GS 1/06, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; ebenso BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, jeweils RdNr 23). Die Erforderlichkeit richtet sich allein nach der medizinischen Notwendigkeit (vgl Großer Senat, aaO, RdNr 15). In jedem Fall bedarf es neben der generellen auch und gerade der individuellen Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung im Einzelfall (vgl BSG, Beschluss vom 7. November 2006 - B 1 KR 32/04 R - RdNr 28 und 37 f mwN; BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 1 KN 1/07 KR R, mwN). An der individuellen Erforderlichkeit einer Krankenhausbehandlung der Klägerin fehlte es hier, da sie sie bestehenden konservativen Behandlungsmethoden iS eines ärztlich koordinierten und geleiteten Gesamttherapiekonzepts, welches Diätmaßnahmen, eine Schulung des Ess- und Ernährungsverhaltens, eine Bewegungstherapie, ggfs pharmakologisch-ärztliche Behandlung und eine kombinierte psychotherapeutische Intervention umfasst und als Langzeitbehandlung auch konsequent und nachhaltig durchzuführen und zu dokumentieren ist, nicht vollständig ausgeschöpft hat.
Der Magen der Klägerin als solcher war gesund; er bedurfte keiner Operation mittels einer Bypass-Operation. Dies ergibt sich aus der Stellungnahme des Prof. Dr. W. vom 18. Oktober 2007, wonach am Magen selbst keine Funktionsstörung besteht. Auch Dr. T. hat in seiner seinem Attest und seiner Auskunft im Berufungsverfahren keine Funktionsstörungen des Magens angegeben. Aus dem Gutachten des Prof. Dr. Dr. R. lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Er hat nur darauf hingewiesen, dass es aus wissenschaftlicher Sicht streitig sei, ob bei einer morbiden Adipositas beim Magen-Darm-Trakt von einem gesunden Körperorgan gesprochen werden könne und dies im Hinblick auf eine möglicherweise vorhandene gestörte Ghrelinproduktion in Zweifel gezogen. Damit steht aber nicht fest, ob und in welchem Umfang bei der Klägerin tatsächlich eine gestörte Produktion des appetitanregenden Hormons Ghrelin vorgelegen hat. Eine konkrete Funktionsstörung des Magens ist bei der Klägerin jedenfalls nicht nachgewiesen.
Mithin sind hier die für eine mittelbare Krankenbehandlung maßgebenden Kriterien zu prüfen. Da das von der Klägerin mit der Operation erstrebte Behandlungsziel einer Gewichtsreduktion auf verschiedenen Wegen hätte erreicht werden können, kommt es darauf an, ob eine vollstationäre chirurgische Behandlung unter Berücksichtigung der Behandlungsalternativen (diätische Therapie, Bewegungstherapie, medikamentöse Therapie, Psychotherapie) notwendig und wirtschaftlich war. Sodann ist zu untersuchen, ob nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Diskussion aus medizinischer Sicht die Voraussetzungen für eine chirurgische Intervention gegeben waren. Nach den vorliegenden Leitlinien der Fachgesellschaften (beispielsweise Leitlinie der deutschen Adipositas-Gesellschaft) kommt die Magen-Bypass-Operation als chirurgische Behandlung der extremen Adipositas nur als Ultima Ratio und nur bei Patienten in Betracht, die eine Reihe von Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung erfüllen (BMI ) 40 oder 35 mit erheblichen Begleiterkrankungen; Erschöpfung konservativer Behandlungsmöglichkeiten; tolerables Operationsrisiko; ausreichende Motivation, keine manifeste psychiatrische Erkrankung; Möglichkeit einer lebenslangen medizinischen Nachbetreuung; vgl. Bundessozialgericht [BSG] BSGE 90, 289 = SozR 4-2500 § 137c Nr 1; auch Urteil vom 18. Dezember 2008 - B 1 KR 2/08 R).
Die Klägerin litt unstreitig an Übergewicht in krankhaftem Ausmaß, wobei allerdings unterschiedliche BMI-Werte angegeben wurden (Stellungnahme des Prof. Dr. W. vom 18. Oktober 2007: BMI 41, bzw sachverständige Zeugenauskunft des Dr. T. vom 23. April 2010: BMI 34 im Juni 2007). Aufgrund oder neben der Adipositas litt die Klägerin an Wirbelsäulenbeschwerden, einer Kniegelenksarthrose und an einer reaktiven Depression. Dies entnimmt der Senat der Stellungnahme des Prof. Dr. W. vom 18. Oktober 2007, dem Attest des Dr. M. vom 5. November 2007 und dem (undatierten) Attest des Dr. T ... Prof. Dr. Dr. R. hat dies in seinem Gutachten bestätigt
Zutreffend hat das SG aber entschieden, dass bei der Klägerin unabhängig von der bestehenden (morbiden) Adipositas per magna und den genannten Folgeerkrankungen nicht sämtliche alternativen konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft waren. Denn es fehlt an einem ärztlich koordinierten und geleiteten Gesamttherapiekonzept, welches Diätmaßnahmen, eine Schulung des Ess- und Ernährungsverhaltens, eine Bewegungstherapie, ggfs pharmakologisch-ärztliche Behandlung und eine kombinierte psychotherapeutische Intervention umfasst und als Langzeitbehandlung auch konsequent und nachhaltig durchgeführt und dokumentiert worden ist. Eine derartige qualitativ anspruchsvolle Therapie hätte anhand bestimmter Qualitätskriterien erfolgen und über einen Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten durchgeführt werden müssen. Dieses Erfordernis wird so ua auch von der Deutschen Adipositas-Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin aufgestellt (vgl die Leitlinie "Prävention und Therapie der Adipositas", Version 2007 Nr 6.4.7 mit Tabelle Nr 5 [Qualitätskriterien für ambulante Adipositasprogramme]; siehe auch die "Evidenzbasierte Leitlinie chirurgische Therapie der extremen Adipositas" der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie der Adipositas e.V. und der Deutschen Adipositas Gesellschaft e.V. vom 1. Dezember 2006). Abgesehen von der Betreuung durch "Weight Watchers" und "Treffpunkt Wunschgewicht" sind die Diäten nach den eigenen Angaben der Klägerin nicht unter Beteiligung eines Ernährungsberaters bzw unter Aufsicht eines Facharztes für Ernährungstherapie durchgeführt worden. Des Weiteren hat eine koordinierte Bewegungstherapie nicht stattgefunden. Das Schwimmen, Nordic-Walking und das Training auf dem Hometrainer/Crosstrainer stellen kein geeignetes und fachkundig geleitetes (Gesamt- bzw Bewegungstherapiekonzept dar.
Vor diesem Hintergrund ist der Senat der Ansicht, dass die pauschale Behauptung des Prof. Dr. Dr. R., die Klägerin habe die konservativen Behandlungsansätze voll ausgeschöpft, nicht zutrifft. Das Gegenteil ist der Fall. Insoweit ist die Entscheidung des Sozialgerichts Dresden vom 21. Juni 2006 (S 18 KR 1302/04) vorliegenden ohne Bedeutung. Denn im dort entschiedenen Fall ging das Sozialgericht davon aus, dass die konservativen Behandlungsmöglichkeiten erschöpft seien. Der Hinweis des Sachverständigen auf die vielen "kurzfristig erfolgreichen Diäten" bei der Klägerin (Gutachten S 11) zeigt, dass eine Gewichtabnahme bei der Klägerin durch nicht operative Maßnahmen durchaus möglich und lediglich der Erfolg nicht von Dauer war (Jo-Jo-Effekt). Gerade dieser Umstand belegt aber die Notwendigkeit einer ärztlich geleiteten bzw koordinierten Gesamttherapie zur Sicherung eines dauerhaften Behandlungserfolges. Der Senat verkennt nicht, dass es eine solche ärztlich geleitete koordinierte Gesamttherapie als einheitliche Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht gibt. Dies allein rechtfertigt aber noch nicht die Kostenübernahme für eine nur mittelbare Krankenbehandlung. Denn die im Rahmen der GKV zur Verfügung stehenden ärztlichen Leistungen einschließlich der ärztlich veranlassten Leistungen (zB Verordnung von Heilmitteln) machen es ohne Weiteres möglich, mit Hilfe ärztlicher Untersuchungs- und Beratungsleistungen über mehrere Monate eine strukturierte Therapie zur Gewichtsreduktion durchzuführen. Ohne eine solche - einer Operation als letzte verbleibende Behandlungsmöglichkeit (ultima ratio) unmittelbar vorausgehende - Gesamttherapie werden im Übrigen auch die Erfolge der operativen Behandlung überschätzt. Wenn es den Versicherten durch ärztlich überwachte Maßnahmen gelingt, das Gewicht deutlich zu reduzieren, können sich die von Prof. Dr. W. beschriebenen Erfolge der Adipositaschirurgie - Gewichtsabnahme von bis zu 75 % des Übergewichts - nicht mehr einstellen.
Ein Ausnahmefall im Sinne der Rechtsprechung, dass eine konkret lebensbedrohliche Erkrankung die grundrechtskonforme Auslegung des Leistungsanspruchs nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V erfordert, liegt im Fall der Klägerin nicht vor. Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass sich ihr Übergewicht in absehbarer Zeit lebensbedrohend ausgewirkt hätte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
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