L 7 RS 122/09

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 33 R 761/06
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 RS 122/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur betrieblichen Voraussetzung des VEB Fernmeldeanlagebau Dresden
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 13. Februar 2009 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte und Berufungsklägerin (im Folgenden: Beklagte) als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem in Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist, für den Kläger und Berufungsbeklagten (im Folgenden: Kläger) die Zeit vom 01.09.1976 bis 31.12.1982 als Zeit der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) und die entsprechenden Arbeitsentgelte festzustellen.

Der am 1953 geborene Kläger absolvierte ein Studium in der Sektion Informationselektronik an der Ingenieurhochschule D und erwarb mit Urkunde vom 27.02.1975 das Recht, die Berufsbezeichnung Hochschulingenieur für Informationstechnik zu führen. Im hier noch streitigen Zeitraum 01.09.1976 bis 31.12.1982 war er als Revisionsingenieur beim damaligen VEB Fernmeldeanlagenbau D (FAD) beschäftigt. Der freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) ist er nicht beigetreten; eine Versorgungszusage wurde ihm zu DDR-Zeiten nicht erteilt.

Mit Bescheid vom 13.09.2005 erkannte die Beklagte im Zusammenhang mit einem früheren sozialgerichtlichen Verfahren die Anwendbarkeit des § 1 Abs. 1 AAÜG im Falle des Klägers an und sagte die Feststellung berücksichtigungsfähiger Zeiten nach § 5 AAÜG zu. Daraufhin stellte sie mit Feststellungsbescheid vom 06.02.2006 und bestätigendem Widerspruchsbescheid vom 19.04.2006 fest, dass die Voraussetzungen des § 1 AAÜG erfüllt seien und stellte nachgewiesene Zeiten von 01.03.1975 bis 30.06.1990 fest allerdings u.a. mit Ausnahme der jetzt noch streitigen Zeit, weil der Kläger in dieser Zeit nicht ingenieurtechnisch beschäftigt gewesen sei.

Hiergegen hat der Kläger am 19.05.2006 beim Sozialgericht Dresden Klage erhoben und geltend gemacht, die erforderliche Qualifikation und der Betrieb seien unstreitig. Als Revisionsingenieur sei er in der technischen Revision im Bereich 18 des VEB FAD tätig gewesen. Dort sei Technik neu entwickelt und durch den Revisionsingenieur abgenommen worden. Ferner seien Umbauarbeiten innerhalb der Anlagen vorgenommen und durch Fehlerdiagnose aktiv auf die Produktion Einfluss genommen worden. Die Inbetriebnahme der Fernmeldeanlagen sei grundsätzlich durch den Revisor erfolgt. Dem ist die Beklagte entgegen getreten und hat zusätzlich geltend gemacht, dass auch die betrieblichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Sie hat auf die Systematik der Volkswirtschaftszweige der DDR verwiesen, wonach der Beschäftigungsbetrieb der Wirtschaftsgruppe 16629 (Reparatur und Montagebetriebe der elektronischen Industrie) zugeordnet gewesen sei. Dagegen hat der Kläger eingewandt, dass es sich beim VEB FAD um ein Unternehmen gehandelt habe, dessen Aufgabe die Entwicklung, serienmäßige Herstellung und Wartung von ihm produzierte Telekommunikationsanlagen und fernmeldetechnischer Geräte gewesen sei. Die industrielle Produktion elektrotechnischer und zum Teil auch elektronischer Geräte habe dem Betrieb das Gepräge gegeben. Die Beklagte hat vorgetragen, dass es sich bei den Aufgaben des Betriebes um Reparatur- und Montageleistungen gehandelt habe, die als Dienstleistungsaufgaben zu bewerten seien. Entscheidend sei, welches Produkt im Ergebnis erstellt worden sei, nicht die "Hilfsgeschäfte", die im Zusammenhang mit diesem Produkt getätigt worden seien.

Dem Sozialgericht haben Auszüge aus dem Register der volkseigenen Wirtschaft zum VEB FAD (HR C 247) sowie zum Nachfolgebetrieb des VEB Nachrichtenanlagenbau L , der am 25.07.1990 eingetragenen NAL - Telecom GmbH L (HR B 383; dann Bosch Telecom GmbH L , 2002 verschmolzen zu Bosch Sicherheitssysteme GmbH St ) und ein Auszug aus dem Statistischen Betriebsregister für 1978 und 1982 sowie aus der Systematik der Volkswirtschaftszweige vorgelegen.

Mit Schreiben vom 13.03.2008 hat die Beklagte mitgeteilt, dass der Kläger als Revisionsingenieur die sachlichen Voraussetzungen erfülle; sie gehe weiterhin davon aus, dass die betrieblichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien, weil der VEB FAD kein volkseigener Produktionsbetrieb gewesen sei.

Mit Urteil vom 13.02.2009 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verurteilt, für die Zeit vom 01.09.1976 bis 31.12.1982 die Zugehörigkeit des Klägers zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz der DDR sowie die nachgewiesenen Entgelte gemäß §§ 5, 8 AAÜG für diesen Zeitraum festzustellen. Die zulässige Klage sei begründet. Der Kläger habe Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz nach Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG. Nach Darstellung der Rechtsprechung des damaligen 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) zur fiktiven Einbeziehung in die AVItech hat das Sozialgericht festgestellt, dass der Kläger am 30.06.1990 einen fiktiven Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage nach den insoweit maßgeblichen Vorschriften der AVItech aus bundesrechtlicher Sicht gehabt habe. Entgegen der Auffassung der Beklagten lägen bei ihm auch die betrieblichen Voraussetzungen tatsächlich vor. Nach Auffassung der Kammer habe der VEB FAD – gerichtsbekannt – massenhaft, d.h. serienmäßig standardisierte Bauwerke insbesondere in Form von entsprechenden Freileitungen und dazugehörigen technischen Einrichtungen (Zusammenlöten von Schaltschränken usw.) hergestellt. Dies werde durch die dargestellte Tätigkeit der Bosch Telecom L GmbH bekräftigt. Die Kammer könne sich in diesem Zusammenhang nicht der Rechtsauffassung des Sächsischen Landessozialgerichts im vergleichbaren Fall des VEB Energiebau anschließen.

Gegen das ihr am 23.02.2009 zugestellte Urteil richtet sich die am 26.02.2009 beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegte Berufung der Beklagten. Sie macht geltend, dem betrieblichen Anwendungsbereich der Altersversorgung der technischen Intelligenz i.S.d. Rechtsprechung des BSG unterlägen nur VEB der Industrie, d.h. solche VEB, die die industrielle Fertigung von Sachgütern betrieben hätten. Die Montage und Reparatur von Industrieanlagen und die Verlegung von Rohrleitungen in Kraftwerken sei eine Dienstleistung. Das "verarbeitende Gewerbe" umfasse neben der Herstellung von Waren im engeren Sinne auch verschiedene Dienstleistungen. Hierzu zählten u.a. die Installation, Reparatur und Instandhaltung von Investitionsgütern. Für die Bestimmung des wirtschaftlichen Hauptzwecks eines Betriebes sei das statistische Betriebsregister der DDR ein geeignetes Indiz.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 13.02.2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Er tritt der Berufung entgegen und macht u.a. geltend, beim VEB FAD habe es sich um einen Betrieb gehandelt, der in Massenproduktion Telekommunikationsanlagen gebaut habe.

Dem Senat lagen u.a. Auszüge aus den Registerunterlagen zum VEB Nachrichtenanlagenbau L , die notarielle Umwandlungserklärung vom 19.06.1990 nebst beigefügten Unterlagen (Abschlussbilanz, Eröffnungsbilanz, Rechtsnachfolgeerklärung u.Ä.), der Geschäftsbericht I/90 vom 30.04.1990, das technisch-ökonomische Konzept der NAL - Telecom GmbH vom 20.04.1990, der Bericht über die Ermittlung des Gesamtwertes der NAL - Telecom GmbH zum 01.07.1990, die Anweisung des Generaldirektors des VEB Kombinat Nachrichtenelektronik zur Gründung des VEB Nachrichtenanlagenbau vom 22.12.1983, die Jahresanalyse zum Geschäftsjahr 1986 vom 10.02.1987 und die Informationsvorlage für das Sekretariat der Bezirksleitung der SED L vom 30.06.1983 zum geplanten Zusammenschluss der Kombinatsbetriebe VEB FAD und VEB Fernmeldeanlagenbau L vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht kann durch die Berichterstatterin als Einzelrichter entscheiden, weil sich die Beteiligen hiermit einverstanden erklärt haben (§ 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz SGG).

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 149, 151 SGG) ist zulässig und in der Sache begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben. Denn der Bescheid der Beklagten vom 06.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.04.2006 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung von weiteren Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz mit entsprechenden Arbeitsentgelten. Denn er gehörte in der Zeit vom 01.09.1976 bis zum 31.12.1982 nicht dem Versorgungssystem nach Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG an. Somit sind für ihn ungeachtet der Geltung des AAÜG für diese Zeiten keine Daten festzustellen.

Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gelten Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungsträger, in denen eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden ist, als Pflichtbeitragszeiten der Rentenversicherung. Ob eine derartige Zeit vorliegt, ist nach objektiven Auslegungskriterien des Bundesrechts in faktischer Anknüpfung an die Texte der in den Anlagen 1 und 2 zum AAÜG aufgelisteten Versorgungsordnungen zu entscheiden, ohne dass es dabei auf die praktische Durchführung und Auslegung der Versorgungsordnungen durch die DDR ankommt (vgl. ausführlicher hierzu z.B. Urteile vom 24.03.1998 - B 4 RA 27/97 R, RdNr. 12 und 14, 04.08.1998 - B 4 RA 63/97 R, RdNr. 17, 29.06.2000 - B 4 RA 63/99 R, RdNr. 14, 12.06.2001 - B 4 RA 117/00 R, RdNr. 24 und 18.10.2007 - B 4 RS 28/07 R, RdNr. 18ff; alle zitiert nach Juris).

Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. zusammenfassend z.B. Urteil vom 24.08.2008 - B 4 RS 31/07 R, RdNr. 16) ist eine Zeit der Zugehörigkeit im Bereich der Altersversorgung der technischen Intelligenz gemäß §§ 1, 5 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17.08.1950 (DDR-GBl. I Nr. 93, 844f AVItech) i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 der hierzu ergangenen Zweiten Durchführungsbestimmung vom 24.05.1951 (DDR-GBl. Nr. 62, 487f 2. DB) unter drei Voraussetzungen gegeben, die kumulativ vorliegen müssen, 1. Berechtigung, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung), 2. Ausübung einer entsprechenden Tätigkeit (sachliche Voraussetzung) und zwar 3. in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens (§ 1 Abs. 1 der 2. DB) oder in einem durch § 1 Abs. 2 der 2. DB gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung).

Dabei hat sich nach Auffassung des BSG die Auslegung der abstrakt-generellen Regelungen des Versorgungsrechts - hier der AVItech - streng am Wortlaut zu orientieren und eine erweiternde Auslegung scheidet aus (vgl. z.B. Beschluss vom 13.02.2008 - B 4 RS 133/07 B, RdNr. 14).

Keiner Entscheidung bedarf, ob die o.g. persönliche und sachliche Voraussetzung erfüllt sind. Denn jedenfalls ist die betriebliche Voraussetzung nicht gegeben. Denn der Kläger war in der vorgenannten Zeit nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder in einem gleichgestellten Betrieb beschäftigt.

Beim VEB FAD handelte es sich – entgegen der Auffassung des Klägers und des Sozialgerichts – nicht um einen volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens. Ein solcher Betrieb lag nämlich nur dann vor, wenn es sich erstens um einen VEB handelte, der organisatorisch dem industriellen Produktionssektor der DDR-Planwirtschaft zugeordnet war, und zweitens der verfolgte Hauptzweck des VEB auf die industrielle (serienmäßig wiederkehrende) Fertigung, Herstellung, Anfertigung, Fabrikation bzw. Produktion (fordistisches Produktionsmodell) von Sachgütern oder die Errichtung (Massenproduktion) von baulichen Anlagen ausgerichtet war (vgl. BSG, Urteil vom 09.04.2002 – B 4 RA 41/01 R, SozR 3-8570 § 1 Nr. 6).

Der VEB FAD hatte zwar die Rechtsform eines VEB, war jedoch kein Produktionsbetrieb. Maßgebend ist hierbei auf den Hauptzweck abzustellen. Die genannte Produktion muss dem Betrieb das Gepräge gegeben haben, also überwiegend und vorherrschend gewesen sein (vgl. BSG, Urteile vom 10.04.2002 – B 4 RA 10/02 R -, 18.12.2003 – B 4 RA 14/03 R, 06.05.2004 – B 4 RA 44/03 R – und 27.07.2004 – B 4 RA 11/04 R). Der Hauptzweck wird dabei nicht durch die Art der Hilfsgeschäfte und -tätigkeiten geändert oder beeinflusst, die zu seiner Verwirklichung zwangsläufig mit ausgeführt werden müssen oder daneben verrichtet werden (vgl. BSG, Urteil vom 18.12.2003 – B 4 RA 14/03 R). Besteht das Produkt nach dem Hauptzweck des Betriebs in einer Dienstleistung, so führen auch produkttechnische Aufgaben, die zwangsläufig, aber allenfalls nach- bzw. nebengeordnet anfallen, nicht dazu, dass ein Produktionsbetrieb vorliegt (vgl. Urteile des BSG vom 18.12.2003 – B 4 RA 14/03 R, 06.05.2004 – B 4 RA 44/03 R – und 27.07.2004 – B 4 RA 11/04 R). Entscheidend sind die tatsächlichen Verhältnisse des Betriebs, die auf der Grundlage der tatsächlich übernommen Aufgaben, der Organisation und der Mittelverwendung zu bestimmen sind. Als Hilfstatsachen bei der Beweiswürdigung können insbesondere Eintragungen in die Liste der volkseigenen Betriebe, Statuten und Geschäftsunterlagen wie auch die Zuordnung zu bestimmten Ministerien von Bedeutung sein (vgl. BSG, Urteil vom 18.12.2003 – B 4 RA 18/03 R, SozR 4-8570 § 1 Nr. 1).

Das LSG Berlin-Brandenburg hat zu dem seit 1979 auch dem VEB FAD übergeordneten VEB Kombinat Nachrichtenelektronik Folgendes ausgeführt (Urteil vom 24.07.2009 – L 3 R 650/06, RdNr. 34): " können einige Eintragungen in dem Statut des übergeordneten Betriebs VEB Kombinat N vom 23.01.1979 zur Würdigung des Betriebszwecks herangezogen werden. Dort ist unter § 4 ausgeführt, dass die wirtschaftliche Tätigkeit des Kombinats "alle Phasen des Reproduktionsprozesses, insbesondere die Entwicklung, Produktion und den Absatz von Erzeugnissen der Haupterzeugnislinien Funktechnik, Vermittlungstechnik, Übertragungstechnik, Fernschreibetechnik, angewandte Fernsehtechnik, elektroakustische Übertragungstechnik, Wechselsprechtechnik, elektrische Sicherheits- und Signaltechnik, medizinische Elektronik, Mess- und Prüftechnik für die Nachrichtenelektronik" umfassen sollte. Nach § 5 des Statuts oblag dem Kombinat die "Sicherung der einheitlichen Leitung von Export und Import auf dem Gebiet der Nachrichtenelektronik, die Sicherung der Produktion und der industriellen Instandsetzung von Geräten und Anlagen der Nachrichtenelektronik für Sonderbedarfsträger, die Entwicklung und Produktion von Konsumgütern für die Bevölkerung, die Sicherung der Produktion von Mess- und Prüfungseinrichtungen sowie der Bau von Rationalisierungsmitteln für die Forschung und Entwicklung, die Produktion und Inbetriebsetzung von Geräten und Anlagen, der Abschluss internationaler Wirtschaftsverträge über Forschungskooperation, Spezialisierung und Kooperation der Produktion und Lohnveredelung". Diese Aufgaben wurden einer Vielzahl von zugeordneten Kombinatsbetrieben (laut Statut 24 VEB’e), ihrerseits ökonomisch selbständige und rechtsfähige Wirtschaftseinheiten (§ 7 des Statuts), zugewiesen. Dass in dieser umfassenden Tätigkeitsbeschreibung des Kombinats auch die Produktion von Konsumgütern, Mess- und Prüfungseinrichtungen sowie weiteren funktechnischen Erzeugnissen erwähnt ist, lässt noch nicht den Schluss zu, der VEB FAB sei ein Produktionsbetrieb gewesen."

Dem entsprechend hat auch der 5. Senat des Sächsischen Landessozialgerichts (Urteil vom 22.03.2011 – L 5 RS 506/09 – noch nicht veröffentlicht) entschieden, dass der VEB Nachrichtenanlagenbau L nicht dem industriellen Produktionssektor der Planwirtschaft der DDR organisatorisch zugeordnet war und auch keine massenhafte industrielle Güterproduktion betrieben hat. Es handelte sich bei ihm vielmehr um einen dienenden Dienstleistungsbetrieb, der Projektierungs-, Liefer-, Montage-, Inbetriebnahme-, Reparatur- und Wartungsleistungen erbracht hatte.

Der Informationsvorlage für das Sekretariat der Bezirksleitung der SED L vom 30.06.1983 lässt sich entnehmen, dass es Zielstellung der wirtschaftsorganisatorischen Maßnahme (Zusammenlegung der beiden VEB Fernmeldeanlagenbau D und L ) war, eine hohe Leistungssteigerung auf den Gebiet der Nachrichtentechnik durch den Einsatz der Mikroelektronik zu erreichen und einen hohen Zuwachs im Export zu sichern. In der Beschreibung der Ausgangssituation wird der VEB FAD als territorial zuständig für die Bezirke D , K ...-M ...-St und C ... und die Spezialleistungsrichtungen Hauptauftragnehmer (HAN) indirekter Anlagenexport, e/e-Sicherungstechnik und Nachrichtentechnik in Waggons beschrieben. In der Vorlage heißt es (Bl. 101 f. der Gerichtsakte): "Durch diese Betriebe werden stationäre und mobile nachrichtentechnische Ausrüstungen, wie Fernsprech- und Fernschreibanlagen, Übertragungstechnik, Funkanlagen, Rohrpostanlagen, Wechselsprechtechnik, e/e-Siche¬rungstechnik ( ) für die Aufgaben der Landesverteidigung und der von Partei und Regierung beschlossenen Investitionsprogramme und Rekonstruktionen in der DDR projektiert, geliefert, montiert und in Betrieb gesetzt." und (Bl. 104 der Gerichtsakte) "Da die Errichtung von Nachrichtenanlagen eine bedarfsspezifische Dienstleistung ist, muss auch beim Einsatz digitaler Nachrichtenvermittlungs- und Übertragungsanlagen die periphere Netz- und Endgerätetechnik sowie die sonstige Informationstechnik dem jeweiligen Anwendungsfall entsprechend durch den Fernmeldeanlagenbau projektiert, montiert und in Betrieb gesetzt werden. Die vorgesehene wirtschaftsorganisatorischen Maßnahme einspricht dieser perspektivischen Entwicklung der Nachrichtenelektronik.".

Daraus ergibt sich, dass der VEB FAD nicht massenhaft Telekommunikationsanlagen oder fernmeldetechnischer Geräte als Sachgüter selbst serienmäßig herstellte, sondern auch nach dem Sprachgebrauch der damaligen DDR in erster Linie (bedarfsspezifische) Dienstleistungen erbrachte. Denn der Betrieb montierte aus den Erzeugnissen anderer (Kombinats-)Betriebe komplette Fernmeldeanlagen in den von den Auftraggebern vorgesehenen Anlagen und ggf. Gebäuden, indem er die dazu benötigten Einzelteile und Materialien (z.B. Kabel und Telefone oder Sicherungssysteme) von anderen Kombinatsbetrieben bezog und vor Ort zu einer Anlage zusammenfügte und in Betrieb setzte. Demzufolge ist Gegen¬stand der Betriebstätigkeit des VEB FAD die Zusammenstellung von Fernmeldeanlagen aus vorgefertigten Komponenten nach Kundenwünschen gewesen. Die dafür nötigen Komponenten wurden als Einkäufe von anderen Kombinatsbetrieben, von Betrieben anderer Industriezweige oder aus dem Import als Zulieferung bezogen (vgl. Bl. 129 ff. der Gerichtakte; z.B. vom VEB Carl Zeiss J oder VEB Tontechnik B u.v.m.). Soweit für die Aufträge bei Bürogebäuden, Verwaltungen, Betrieben bzw. in Waggons der Deutschen Reichsbahn etc. auf standardisierte Erzeugnisse oder Baugruppen zurückgegriffen wurde und immer die gleichen Materialien und Bestandteile eingebaut wurden, stellt dies keine serienmäßige Produktion dar. Dass für den jeweiligen Auftrag womöglich zunächst im Betrieb Vorbereitungsarbeiten durchgeführt worden sind, also Anlagenteilen oder Kabelbäume/-schächte u.U. objekt¬unabhängig vorgefertigt wurden, stellt keine Produktion im Sinne des fordistischen Produktionsmodells dar, da damit nur Hilfstätigkeiten für die eigentliche Montagetätigkeit unternommen wurden. Wesentliches Kennzeichen der industriellen Fertigung fordistischer Prägung ist der Massenausstoß von Produkten, die durch Wiederholung von gleichartigen Bearbeitungsvorgängen unter Einsatz von Maschinen, die an die Stelle menschlicher Arbeitskraft treten, hergestellt worden sind. Der VEB FAD nahm hingegen die (endgültige) Zusammensetzung der komplexen Anlagen beim Kunden vor. Die vom VEB FAD erbrachten Leistungen bestanden nicht lediglich in der Lieferung von selbstgefertigten Sachgütern, sondern die eigentliche Aufgabe bestand darin, die erforderlichen Montageleistungen in Form der handwerklichen Leistungen einschließlich der Prüfung und Sicherstellung der Funktionsfähigkeit sowie der Inbetriebnahme nach Fertigstellung als Dienstleistungen beim Kunden zu erbringen.

In der Jahresanalyse zum Geschäftsjahr 1986 wird deutlich, dass die Hauptaufgabe des VEB Nachrichtenanlagenbau L , dem Rechtsnachfolger des zum 01.01.1864 erloschenen VEB FAD, Montageleistungen beim Auftraggeber waren (vgl. Bl. 94 der Gerichtsakte). So wurden die "Leistungen der ökonomischen Sicherstellung der Landesverteidigung" und der "Leistungsumfang an der Erdgastrasse in der UdSSR" hervorgehoben. Die "Vorfertigungs- und Montagekollektive des VEB" hatten die Ausrüstung der Deutschen Reichsbahn mit Signal und Sicherungstechnik unternommen. Gegenstand der unternehmerischen Tätigkeit des VEB waren danach die Entwicklung, Projektierung, Lieferung, Montage und Inbetriebnahme von kompletten Fernmeldeanlagen und Nachrichten- oder Sicherungstechnik sowie weiterer Komponenten des Fernmeldeanlagenbaus. Gegen eine "Massenproduktion" spricht somit auch, dass der VEB FAD für die Errichtung komplexer Anlagen, die nach den individuellen Bedürfnissen des jeweiligen Auftraggebers gefertigt wurden, zuständig war. Letztlich handelt es sich bei der Errichtung von Fernmeldeanlagen, Sicherungs- und Nachrichtentechnik um eine Mischung von unterschiedlichen Dienst¬leistungs- und Montagetätigkeiten. So umfasste dies insbesondere die Bereiche Planung, Projektierung, Materialbeschaffung, Bauleitung, Ausführung, Überwachung und Wartung. Der Beschäftigungsbetrieb des Klägers erbrachte damit unterschiedliche Dienstleistungen in Form der Projektierung, der Organisation, Leitung und Überwachung der Realisierung des Anlagenbaus und in der Abnahme und Übergabe der fertig gestellten Anlagen sowie die Überführung der neuen Anlagen in die Hand der Investitionsauftraggeber. Die Errichtung von Anlagen der Fernmelde- und Nachrichtentechnik für die Landesverteidigung und Sicherungstechnik für die Deutsche Reichsbahn beinhaltete ebenfalls die Planung der Anlage, Organisation, Beschaffung von Materialien, Koordinierung und Überwachung der Errichtung und die Inbetriebnahme. Dass dieser Betriebszweck des VEB vermutlich gesamtgesellschaftlich wichtig und die hierfür erforderlichen Ingenieurleistungen anspruchsvoll und bedeutsam waren, führt nicht zu einer Qualifizierung als Produktionsbetrieb i.S.d. o.g. Rechtsprechung des BSG.

Dass keine Unterlagen zum Betriebszweck des VEB FAD speziell in der hier streitigen Zeit ermittelt werden konnten, führt zu keiner anderen Entscheidung. Das Gericht hat nicht die Überzeugung gewonnen, dass der Betriebszweck des Beschäftigungsbetriebes des Klägers im hier noch streitigen Zeitraum sich so wesentlich von dem des Nachfolgebetriebes unterschieden hätte, dass er entgegen den hier für die Zeit ab 1983 getroffenen Feststellungen als Produktionsbetrieb im Sinne der maßgeblichen Rechtsprechung des BSG zu qualifizieren wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung stellt sich nicht, weil die Beurteilung der Geschäftstätigkeit des VEB FAD Tatsachenfragen betrifft.
Rechtskraft
Aus
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