L 5 KR 3082/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 KR 4514/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 3082/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 28.05.2009 - S 11 KR 4514/07 - aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 09.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.08.2007 verurteilt, dem Kläger als Rechtsnachfolger seiner Ehefrau die Kosten für das Arzneimittel Sutent in Höhe 9.774,59 EUR zu erstatten.

Die Beklagte erstattet dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt als Rechtsnachfolger seiner 1943 geborenen und 2007 verstorbenen Ehefrau die Erstattung der Kosten für deren Behandlung mit dem Medikament Sutent (Wirkstoff Sunitinib).

Am 12.04.2007 wurde bei der Beklagten die Übernahme der Kosten einer Behandlung der an einem Glioblastom erkrankten Ehefrau des Klägers mit dem Arzneimittel Sutent beantragt. Die bisherige Chemotherapie mit ACNU und Vepesid sei erfolglos geblieben. Der behandelnde Arzt habe deshalb Sutent empfohlen.

Zu diesem Antrag holte die Beklagte beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein am 08.05.2007 von Dr. E. verfasstes Gutachten ein. Danach sei das Arzneimittel zwar zur Behandlung eines Nierenzellkarzinoms im Jahr 2006 zugelassen worden. Ferner sei das Arzneimittel zur Behandlung von Patienten mit gastrointestinalen Stromatumoren (GIST) zugelassen. Für die Erkrankung der Ehefrau des Klägers fehle aber eine Zulassung. Der beantragte Einsatz von Sutent beim Glioblastom stelle einen sogenannten off-label-use dar. Die derzeitige wissenschaftliche Erkenntnislage erlaube es nicht, einen die Zulassung überschreitenden Einsatz außerhalb einer klinischen Studie zu empfehlen. Klinische Prüfungen fänden zur Zeit bei fortgeschrittenen Formen von Blasenkrebs, Brustkrebs, Gebärmutterhalskrebs, Dickdarmkrebs, Speiseröhrenkrebs, Kopf-Hals-Tumoren, Leberkrebs, Lungenkrebs, Melanom, Eierstockkrebs, Bauchspeicheldrüsenkrebs, Prostatakrebs und Hodenkrebs statt. In den internationalen Datenbanken habe sich kein Hinweis darauf gefunden, dass im Falle der Erkrankung der Ehefrau des Klägers nach individueller Nutzen-/Risikoabwägung ein therapeutischer Einsatz des Arzneimittels begründet werden könne. Stattdessen sei in palliativer Situation neben supportiven Maßnahmen eine Therapie mit Temozolomid oder Tamoxifen hochdosiert zu empfehlen.

Mit Bescheid vom 09.05.2007 lehnte die Beklagte daraufhin die Übernahme der Kosten der Behandlung mit Sutent unter Bezugnahme auf das Gutachten des MDK ab.

Zur Begründung des gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruchs wurde vorgetragen, Sutent sei bereits in Tierversuchen erfolgreich zur Behandlung eines Glioblastoms eingesetzt worden. Die vom MDK vorgeschlagene Alternativtherapie entbehre für die Behandlung der Krankheit ebenfalls jeglicher wissenschaftlicher Grundlage. Da die Therapie mit Sutent erfolgversprechender erscheine, müsse die Beklagte die Kosten übernehmen. Dem Widerspruch war ein Schreiben des Prof. Dr. V. von der Ch. B. vom 22.05.2007 beigefügt, wonach die vom MDK vorgeschlagene Therapie genauso wenig auf Beweisen beruhe, wie eine Therapie mit Sutent. Außerdem war der Widerspruchsbegründung die Rechnung einer Apotheke vom 18.05.2007 über die Abgabe von Sutent zum Preis von insgesamt 6.489,59 EUR beigefügt.

Die Beklagte holte daraufhin ein weiteres Gutachten des MDK ein. Dr. E. führte unter dem 27.06.2007 aus, es handele sich zwar bei der Erkrankung um eine regelmäßig tödlich verlaufende und es stünden keine dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Auch nach erneuter Durchsicht der zur Verfügung stehenden Datenbanken fände sich aber kein Hinweis, der belege, dass Sutent im Falle der Erkrankung der Ehefrau des Klägers einen therapeutischen Nutzen habe. Die Teilnahme an einer klinischen Studie wäre wünschenswert, offenbar erfülle die Klägerin aber nicht die Eingangskriterien für eine entsprechende Studie.

Der Kläger legte weitere ärztliche Stellungnahmen und Befundberichte der seine Ehefrau behandelnden Ärzte vor. Nach der Stellungnahme des Onkologen Dr. J. vom 03.07.2007 habe eine sechswöchige Therapie mit Sutent eine klinische Besserung bei der Ehefrau des Klägers er-bracht. In der kernspintomographischen Verlaufskontrolle habe sich eine Regredienz der Tumormanifestation ergeben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.08.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) könne ein Arzneimittel außerhalb seines Zulassungsbereichs nur dann eingesetzt werden, wenn eine schwerwiegende, lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung vorliege, keine andere Therapie verfügbar sei und auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht bestehe, dass im konkreten Fall mit dem Arzneimittel ein Behandlungserfolg erzielt werden könne. Hiervon könne nicht ausgegangen werden. Nach den Feststellungen des MDK könne für eine Behandlung mit Sutent nach dem Stand der Erkenntnisse eine Aussicht auf Heilung oder spürbare Einwirkung auf den Krankheitsverlauf nicht angenommen werden.

Dagegen erhob die Ehefrau des Klägers am 22.08.2007 Klage vor dem Sozialgericht Freiburg. Zur Begründung wurde vorgetragen, bei der Erkrankung habe es sich um eine regelmäßig tödlich verlaufende gehandelt. Vor dem Einsatz von Sutent seien bereits die Möglichkeiten der Behandlung mit Strahlentherapie und Chemotherapie erfolglos durchgeführt worden. Trotz der intensiven Therapie sei der Tumor progredient gewesen. Eine alternative Behandlungsmethode zum Einsatz von Sutent habe die Beklagte nicht aufzeigen können. Auch den vom MDK vorgeschlagene Alternativen habe es für die Erkrankung der Ehefrau an der erforderlichen Zulassung gefehlt. Nicht zuletzt durch die Gabe von Sutent habe der Tod verzögert werden können. Die Erkrankung sei im November 2004 diagnostiziert worden und es sei eine nur dreimonatige Überlebenszeit vorhergesagt worden. Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sei die Beklagte verpflichtet, die Kosten der Behandlung mit Sutent zu erstatten. Es wurde Privatverordnungen über Sutent vom 11.05.2007 (6.489,59 EUR) und vom 02.07.2007 (3.285,00 EUR) vorgelegt (Bl. 17/18 SG-Akte).

Der Kläger führte das Verfahren nach dem Tod seiner Ehefrau 2007 weiter.

Das Sozialgericht hörte den behandelnden Facharzt für Onkologie Dr. J. als sachverständigen Zeugen an. In seiner Stellungnahme vom 07.01.2007 (2008, Datumsfehler, Eingang beim Sozialgericht am 10.01.2008 Anm. d. Senats) führte Dr. J. aus, der Zustand der Ehefrau des Klägers habe sich zwischen dem Erstkontakt im April 2006 bis zum Jahresbeginn 2007 deutlich verschlechtert. Die Ehefrau des Klägers habe sich nicht mehr selbständig fortbewegen und kaum noch äußern können. Trotz einer Chemotherapie habe sich im März 2007 eine deutliche Progredienz gezeigt, eine Kommunikation sei nicht mehr möglich gewesen. Die Familie habe sich im Mai 2007 zu einer experimentellen Therapie mit Sutent auf der Basis von tierexperimentellen Studien und einer geplanten Therapiestudie in B. entschlossen. Bei einer Vorstellung der Ehefrau des Klägers am 02.07.2007 habe sich die klinische Situation deutlich gebessert gezeigt, sie sei etwas wacher und ansprechbar gewesen und habe bei der Untersuchung Anweisungen folgen können. Im Kernspintomogramm habe sich erstmals im Verlauf der Erkrankung eine leichte Verbesserung gezeigt. Es seien allerdings Therapieunterbrechungen wegen Nebenwirkungen auf die Blutbildung notwendig geworden. Nach einem Monat sei es zu Infektkomplikationen gekommen und der Allgemeinzustand habe sich wieder verschlechtert. Schließlich habe auch diese Therapie nicht mehr fortgeführt werden können und der Zustand der Ehefrau des Kläger habe sich weiter verschlechtert. Ihr und ihrer Familie sei mehrfach erklärt worden, dass es sich bei der Behandlung mit Sutent um eine experimentelle Therapie handele, die allerdings auf der Grundlage der bekannten Daten als sehr vielversprechend eingestuft worden sei. Eine belastende Chemotherapie wäre sicher nicht mehr durchführbar gewesen. Der Verlauf bei der Ehefrau des Klägers sei ein Hinweis dafür, dass Sutent in Zukunft für die Anwendung bei Glioblastomen weiter untersucht werden sollte und zu einem wichtigen Therapiebaustein werden könnte.

Ferner wurde vom Sozialgericht eine Stellungnahme bei der Ch. B. zum Wirksamkeitsnachweis von Sutent bei Glioblastomen eingeholt. Der Facharzt für Neurochirurgie Dr. St. teilte unter dem 16.02.2009 mit, die ersten Patienten seien im Oktober 2007 in eine Studie zur Behandlung eines Glioblastomrezidivs mit Sunitinib eingeschlossen worden. Für eine Behandlung des Glioblastoms mit Sunitinib spreche, dass die Zielmoleküle dieses Wirkstoffs eine Schlüsselrolle in Bezug auf Tumorwachstum und Gefäßneubildung habe, die Gefäßdichte in Glioblastomen von allen humanen Tumoren mit am höchsten sei, dass klinische Studien bei Nierenzellkarzinomen und gastrointestinalen Stromatumoren in kontrollierten Studien zu einer Verbesserung des progressionsfreien Intervalls bei nur geringen Nebenwirkungen des Arzneimittels geführt habe und dass sich im Tiermodell eine wachstumshemmende Wirkung bei experimentellen Glioblastomen gezeigt habe.

Mit Urteil vom 28.05.2009 wies das Sozialgericht die Klage ab.

Die Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V seien nicht gegeben. Die Beklagte habe die Kostenübernahme für das selbst beschaffte Arzneimittel Sutent nicht zu Unrecht abgelehnt. Ein Anspruch auf Versorgung mit einem Arzneimittel (§ 31 SGB V) setze grundsätzlich die arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet voraus, für das es angewendet werden soll (BSG Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 12/04 R -m. w. N. auf die Rechtsprechung des BSG). Das Arzneimittel Sutent habe keine Zulassung für die bei der Behandlung der verstorbenen Ehefrau des Klägers gegebene Indikation. Eine Gewährung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung könne auch nicht nach den von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Grundsätzen des so genannten Off-Label-Use (BSGE 89,184) beansprucht werden. Danach komme ein Leistungsanspruch auch in einem von der Zulassung eines Arzneimittels nicht umfassten Anwendungsgebiet in Betracht, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden, lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachteilig beeinträchtigenden Erkrankung gehe, keine Therapie verfügbar sei und auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht bestehe, dass mit dem betreffenden Präparat ein kurativer oder palliativer Behandlungserfolg erzielt werden könne. Eine derartige Datenlage sei nach der Rechtsprechung dann gegeben, wenn Forschungsergebnisse vorliegen würden, die erwarten ließen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden könne, weil entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden sei und Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III veröffentlicht worden seien, die eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegten, oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Kenntnisse veröffentlicht worden seien, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen, und auf Grund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen im vorgenannten Sinne bestehe. Von einer derartigen Datenlage habe nach der Auskunft des sachverständigen Zeugen Dr. J. und unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Ch. sowie des Inhalts der Stellungnahmen des MDK bezüglich des Einsatzes von Sutent bei Glioblastomen nicht ausgegangen werden können.

Ein krankenversicherungsrechtlicher Leistungsanspruch ergebe sich auch nicht unter Berücksichtigung der auf Grund des Beschlusses des BVerfG vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98) gebotenen verfassungskonformen Auslegung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung zur Arzneimittelversorgung, wenn Versicherte an einer lebensbedrohlichen Erkrankung leiden, bei der die Anwendung der üblichen Standardbehandlungen aus medizinischen Gründen ausscheidet und andere Behandlungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen (vgl. BSG Urteil vom 26.09.2006 - B 1 KR 14/06 R -). Voraussetzung für eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sei nämlich, dass mit dem Einsatz des Arzneimittels außerhalb seines Zulassungsbereichs eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestanden hätte. Zu fordern sei dafür, dass positive Forschungsergebnisse bzw. einem bestimmten Standard entsprechende wissenschaftliche Fachveröffentlichungen vorgelegen hätten, die die Annahme gerechtfertigt hätten, dass der voraussichtliche Nutzen der Behandlung die möglichen Risiken überwiegen werde (BSG SozR 4 - 2500 § 27 Nr. 1). Dies lasse sich für den fraglichen Zeitpunkt hinsichtlich der Behandlung von Glioblastomen mit Sutent nicht feststellen. Aus der Auskunft der Ch. vom 16.02.2009 ergebe sich kein Hinweis für die Unrichtigkeit der in den MDK Gutachten enthaltenen Feststellung, wonach zum Zeitpunkt der Behandlung der verstorbenen Ehefrau des Klägers mit Sutent nach der wissenschaftlichen Datenlage noch keine Forschungsergebnisse hinsichtlich einer möglichen Wirkung von Sutent bei Glioblastomen vorgelegen hätten. Studien zur Behandlung des Glioblastomrezidivs hätten erst im Oktober 2007 begonnen. Zuvor seien nur Studien bei metastasierten Nierenzellkarzinomen und bei gastrointestinalen Stromatumoren durchgeführt worden. Daten im Sinne eines Wirksamkeitsnachweises hätten nur über Tierversuche vorgelegen, auch dies aber erst seit dem Jahr 2009. Im Jahr 2009 habe durch den Einsatz des Wirkstoffs Sunitinib in einem Glioblastommodell das Tumorwachstum gehemmt und das Überleben der Versuchstiere verlängert werden können. Entgegen der Annahme des Klägers ergäben sich auch aus dem Krankheitsverlauf im Falle der verstorbenen Ehefrau keine Hinweise auf die Wirksamkeit des Einsatzes von Sutent. Die Verlängerung des Lebens nach der Erstdiagnose der Erkrankung im Jahr 2004 könne nicht auf den Einsatz des Arzneimittels zurückgeführt werden. Die Behandlung mit Sutent sei nämlich erst im Frühjahr des Jahres 2007 erfolgt.

Gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 08.06.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 07.07.2009 Berufung einlegen lassen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass das Sozialgericht eine spürbar positive Entwicklung auf den Krankheitsverlauf in Abrede gestellt habe. Nach der Anwendung von Sutent habe erstmals ein sehr verringertes Wachstum des Resttumors festgestellt werden können. Auch sei nicht angemessen berücksichtigt worden, dass die zum Zeitpunkt der Diagnosestellung der zum Tode führenden bösartigen Gehirntumorerkrankung im November 2004 gestellte Prognose einer dreimonatigen Überlebenszeit nicht zuletzt durch die Therapie mit Sutent weit überschritten worden sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 28.05.2009 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 09.05.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2007 zu verurteilen, an ihn 9.774,59 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft. Ein Berufungsausschlussgrund nach § 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegt nicht vor. Im Streit steht die Erstattung der Kosten für das Arzneimittel Sutent in Höhe von 9.774,59 EUR.

Die Berufung des Klägers ist begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 09.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.08.2007 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger als Rechtsnachfolger seiner verstorbenen Ehefrau in seinen Rechten. Er hat Anspruch auf die Erstattung der Kosten für das Medikament Sutent.

Nach § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Alternative SGB V sind Kosten von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit eine Leistung notwendig war, wenn sie diese zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang bestehen. Daran fehlt es, wenn die Kasse vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (BSG, Beschluss vom 15.04.1997 - SozR 3-2500 § 13 Nr. 15 m.w.N.; Urteil vom 25.09.2000 - SozR 3-2500 § 13 Nr. 22 S. 105 f.; Urteil vom 19.02.2003 - B 1 KR 18/01 R -, jeweils veröffentlicht in juris). Diese Kausalität ist hier gegeben, da das Medikament Sutent aufgrund der Verordnungen vom 11.05.2007 und vom 02.07.2007 erst nach Erlass des angegriffenen Bescheids vom 09.05.2007 beschafft wurde. Die Ablehnung war auch zu Unrecht erfolgt.

Der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (st. Rspr. vgl. z.B. BSGE 79, 125, 126 f. = SozR 3-2500 § 13 Nr. 11 S. 51 f ... m.w.N.; Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R - veröffentlicht in Juris). Arzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 1, § 12 Abs. 1 SGB V) nicht von der Leistungspflicht der GKV nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3, § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die nach § 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt. Eine arzneimittelrechtliche Zulassung in diesem Sinne liegt nur vor, wenn das Arzneimittel die Zulassung gerade für dasjenige Indikationsgebiet besitzt, in dem es im konkreten Fall eingesetzt werden soll.

Zutreffend hat das Sozialgericht insoweit ausgeführt, dass zum Behandlungszeitpunkt eine Zulassung für die Behandlung von Glioblastomen mit Sutent nicht vorlag. Eine Zulassung war nur zur Behandlung von Nierenzellkarzinomen und gastrointestinalen Stromatumoren (GIST) erfolgt.

Es kann offenbleiben, ob die nach der Rechtsprechung des BSG für einen Off-Label-Use zu Lasten der GKV erforderlichen Voraussetzungen gegeben waren. Danach muss es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung gehen, 2. keine andere Therapie verfügbar sein und 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht bestehen, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (BSG, Urteil vom 30.06.2009 m.w.N. a.a.O.).

Denn jedenfalls sind im Falle der Ehefrau des Klägers die Voraussetzungen für eine grundrechtsorientierte Auslegung der Regelungen des Leistungsrechts der GKV erfüllt (zu den Voraussetzungen vgl. BVerfG, Urteil vom 06.12.2005 - 1 BvR 347/98 - BVerfGE 115, 25; BSGE 96, 153; BSGE 96, 170; BSGE 97, 190; BSGE 100, 103). Die verfassungskonforme Auslegung setzt voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt, bezüglich dieser Krankheit eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht und bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode eine "auf Indizien gestützte" nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht (BVerfG, a.a.O.).

Hinsichtlich der Anwendung dieser vom BVerfG entwickelten Maßstäbe auf den Bereich der Arzneimittelversorgung hat das BSG ausgeführt, hierbei sei zu berücksichtigen, dass die verfassungsrechtlichen Schutzpflichten den Leistungsansprüchen Versicherter selbst im Falle regelmäßig tödlich verlaufender Krankheiten Grenzen setzten. Dies habe das BVerfG betont, indem es in seinem Beschluss vom 06.12.2005 (a.a.O.) herausgestellt habe, dass es mit der Verfassung in Einklang stehe, die Konkretisierung der Leistungen vor allem den Ärzten vorzubehalten (§ 15 Abs. 1 SGB V), und dass dementsprechend gerade die ärztliche Einschätzung der Behandlungschancen maßgeblich sei. Damit beziehe es in einem umfassenden Sinne die Regeln der ärztlichen Kunst in die Vorgaben für eine verfassungskonforme Auslegung des SGB V mit ein. Dem entspreche es, für den Bereich der Arzneimittel die spezifischen Sicherungen auch des Arzneimittelrechts in den Blick zu nehmen. So bestimmten die vom BVerfG betonten verfassungsrechtlichen Schutzpflichten nicht nur die leistungserweiternde Konkretisierung der Leistungsansprüche der Versicherten, sondern sollten die Versicherten auch davor bewahren, auf Kosten der GKV mit zweifelhaften Therapien behandelt zu werden, wenn auf diese Weise eine nahe liegende, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht wahrgenommen werde. Auch dürfe die Rechtsprechung des BVerfG nicht dazu führen, dass unter Berufung auf sie im Einzelfall Rechte begründet würden, die bei konsequenter Ausnutzung durch die Leistungsberechtigten institutionelle Sicherungen aushebelten, die der Gesetzgeber gerade im Interesse des Gesundheitsschutzes der Versicherten und der Gesamtbevölkerung errichtet habe.

Vorliegend handelt es sich um eine Krankheitssituation, für die das BVerfG eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschriften des SGB V im oben aufgezeigten Sinne gefordert hat. Dass die Ehefrau des Klägers unter einer schwerwiegenden und lebensgefährlichen Erkrankung gelitten hat, bedarf keiner weiteren Ausführungen.

Bis auf die fehlende Arzneimittelzulassung für die hier erfolgte Behandlung sind alle weiteren allgemeinen Voraussetzungen für eine Leistungspflicht der GKV erfüllt. Die Ehefrau des Klägers war bei der Beklagten versichert. Das Medikament ist ärztlich verordnet worden. Sutent ist ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel und als solches nicht nach § 34 SGB V ausgeschlossen. Es unterfiel weder dem Katalog des § 34 Abs. 1 SGB V noch der Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel in der GKV. Es wurde auch nicht im Rahmen einer Arzneimittelstudie verabreicht (zum grundsätzlichen Ausschluss solcher Mittel vgl. BSGE 93, 137 ff.). Das vom Kläger für seine Ehefrau im Einzelfall unter Vorlage der Rezepte der behandelnden Onkologen beschaffte Mittel Sutent verfügte allerdings im maßgeblichen Zeitpunkt nicht über eine Zulassung für die Behandlung von Glioblastomen.

Es gab für die konkrete Behandlung der Ehefrau des Klägers im damaligen Krankheitsstadium weder ein zugelassenes Arzneimittel noch konnte im Rahmen eines zulässigen Off-Label-Gebrauchs ein Mittel eingesetzt werden, mit dem mit hinreichender Erfolgsaussicht zumindest eine Verzögerung des Krankheitsverlaufs hätte erreicht werden können.

Die Ehefrau des Klägers hatte sich nach der operativen Entfernung des im November 2004 diagnostizierten Glioblastoms einer Strahlentherapie unterzogen, ebenso nach Auftreten des Rezidivs im September 2005. Im Jahr 2006 entwickelte sich der Tumor trotz Chemotherapien mit Temodal, Litalir und Glivec weiter progredient, so dass Anfang des Jahres 2007 eine palliative Chemotherapie mit ACNU und Vepesid begonnen wurde. Nach den Angaben des behandelnden Onkologen Dr. J. in seiner Stellungnahme vom 07.01.2008 an das Sozialgericht kam es trotz dieser Therapie im März 2007 zu einem weiteren Tumorprogress. Die Ehefrau des Klägers befand sich in einem reduzierten klinischen Zustand (Pflegestufe 3). Eine Chemotherapie wäre nach den insoweit nachvollziehbaren Angaben des behandelnden Onkologen aufgrund der damit verbundenen Belastungen nicht mehr durchführbar gewesen. Bei diesem Behandlungsverlauf ist davon auszugehen, dass die allgemein anerkannten, medizinischem Standard entsprechenden Behandlungsmöglichkeiten als ausgeschöpft anzusehen waren.

Nach den Angaben des Dr. J. in seiner Stellungnahme vom 07.01.2008 ist es für den Senat nachvollziehbar, dass es sich bei dem Behandlungsversuch mit Sutent in dieser Situation um einen vertretbaren Heilungsversuch gehandelt hat. Im Hinblick auf die an der Ch. in B. initiierte Studie zur Behandlung von Glioblastomen mit Sutent war der Behandlungsversuch von den behandelnden Onkologen als vielversprechend eingestuft und empfohlen worden.

Bezüglich der daraufhin angewandten, hier streitigen experimentellen Behandlungsmethode bestand auch eine "auf Indizien gestützte" nicht ganz fern liegende Aussicht wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der zu verlangen ist, um davon ausgehen zu dürfen, dass die behaupteten Behandlungserfolge mit hinreichender Sicherheit dem Einsatz gerade der streitigen Behandlung zugerechnet werden können und das einzugehende Risiko vertretbar ist, unterliegt Abstufungen je nach der Schwere und dem Stadium der Erkrankung. Dabei sind Differenzierungen im Sinne der Geltung abgestufter Evidenzgrade nach dem Grundsatz vorzunehmen "je schwerwiegender die Erkrankung und ‚hoffnungsloser die Situation, desto geringere Anforderungen an die ‚ernsthaften Hinweise‘ auf einen nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg". Dabei können als Beurteilungsgrundlage beim Fehlen anderer Studien auch "Assoziationsbeobachtungen, pathophysiologische Überlegungen, deskriptive Darstellungen, Einzelfallberichte, u.Ä.; nicht mit Studien belegte Meinungen anerkannter Experten, Berichte von Expertenkomitees und Konsensuskonferenzen" in Betracht kommen (BSG, Urt. vom 04.04.2006 - B 1 KR 7/05 R -, veröffentlicht in Juris m.w.N.).

Speziell bei der Arzneimittelversorgung müssen die vorhandenen Erkenntnisse abstrakt die Annahme rechtfertigen, dass mit der geplanten Arzneimitteltherapie der angestrebte Erfolg erreicht werden kann und zwar in dem Sinne, dass die Anwendung des Arzneimittels - unter Berücksichtigung von Spontanheilung und wirkstoffunabhängigen Effekten - eher zu einem therapeutischen Erfolg führt als seine Nichtanwendung (BSG, Urt. vom 04.04.2006 - B 1 KR 7/05 R -, veröffentlicht in Juris m.w.N.).

Nach diesen Grundsätzen bestand hier eine "auf Indizien gestützte" nicht ganz fern liegende Aussicht wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch den vorgenommenen Heilungsversuch.

Für die Ehefrau des Klägers bestand aufgrund der bevorstehenden studienweisen Erprobung von Sutent bei Glioblastomen eine nicht ganz fernliegende Aussicht darauf, dass dieses Medikament wie bei anderen Karzinomerkrankungen auch bei ihrer Erkrankung eine positive Wirkung würde entfalten können. Daran ändert auch nichts, dass die ersten Patienten erst im Oktober 2007 in die Studie eingeschlossen wurden, wie Dr. St. auf die Anfrage des Sozialgerichts in seiner Stellungnahme vom 16.02.2009 berichtet hat. Denn die Konzeption der Studie war bereits im Frühjahr 2007 der Fachöffentlichkeit bekannt, wie aus der entsprechenden Therapieempfehlung des behandelnden Onkologen zu schließen ist. Dr. St. hat in seiner sachverständigen Zeugenaussage die Kriterien dargelegt, die für eine Behandlung des Glioblastoms mit Sunitinib sprechen. Seinen Ausführungen zufolge haben die Zielmoleküle dieses Wirkstoffs eine Schlüsselrolle in Bezug auf Tumorwachstum und Gefäßneubildung, wobei er hervorgehoben hat, dass die Gefäßdichte in Glioblastomen von allen humanen Tumoren mit am höchsten ist. Klinische Studien bei Nierenzellkarzinomen und gastrointestinalen Stromatumoren haben in kontrollierten Studien zu einer Verbesserung des progressionsfreien Intervalls geführt, die Nebenwirkungen des Arzneimittels haben sich in diesen klinischen Studien als gering erwiesen. Im Tiermodell zeigte sich eine wachstumshemmende Wirkung bei experimentellen Glioblastomen. Diese der studienweisen Erprobung zugrunde liegenden Annahmen für die Wirkungsweise des Arzneimittels Sutent auch auf Glioblastome berechtigten auch im Falle der Ehefrau des Klägers zu der Hoffnung auf eine positive Auswirkung des Medikaments auf ihre Erkrankung.

Wie der behandelnde Onkologe Dr. J. in seiner Stellungnahme vom 07.01.2008 ausgeführt hat, ist eine solche positive Auswirkung auch tatsächlich zu verzeichnen gewesen, was retrospektiv für die Berechtigung der in die Wirkungsweise des Arzneimittels gesetzten Erwartungen spricht. Dr. J. berichtet, dass sich die klinische Situation der Klägerin deutlich gebessert habe. Sie sei ansprechbarer gewesen und habe sich wieder in der Praxis vorstellen und im Rahmen der Untersuchung Anweisungen folgen können. Bestätigung hat diese Verbesserung des klinischen Bildes auch in der durchgeführten Kernspintomographie gefunden, die ausweislich des im Verwaltungsverfahren vorgelegten Berichtes des Radiologen Dr. E. eine Verringerung des Tumors von 8,8 cm Durchmesser am 15.05.2007 auf 8,1 cm Durchmesser am 27.06.2007 ergeben hat. Vor dem Hintergrund des insoweit nachgewiesenen Therapieerfolges ist es auch unerheblich, dass es aufgrund von Infektkomplikationen und Nebenwirkungen auf die Blutbildung zu Therapieunterbrechungen kam und die Therapie wegen des verschlechterten Allgemeinzustands der Ehefrau des Klägers letztlich nicht weitergeführt werden konnte.

Auch die vor der Behandlung mit einem Arzneimittel der vorbeschriebenen Art regelmäßig erforderliche abstrakte und konkret auf den Versicherten bezogene Nutzen-Risiko-Analyse musste im Falle der Ehefrau des Klägers unter Beachtung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes damit im Mai 2007 positiv ausfallen, da es sich, wie dargelegt, um den letzten noch denkbaren Behandlungsversuch handelte. Hinsichtlich des Arzneimittels Sutent konnte aufgrund der Erfahrungen bei der Behandlung anderer Karzinomerkrankungen auch davon ausgegangen werden, dass die körperlichen Belastungen durch Nebenwirkungen gering sein würden. Bei der dargestellten Sachlage ist es deshalb nicht zu beanstanden, wenn die behandelnden Ärzte und die Ehefrau des Klägers bzw. dieser als der bevollmächtigte Ehemann sich dahin entschieden haben, statt einer nur noch ausschließlich palliativ begründeten Behandlung diesen individuellen Heilungsversuch noch zu unternehmen.

Das Sozialgericht hat die Klage daher zu Unrecht abgewiesen, so dass dessen Entscheidung aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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