L 1 AL 51/07

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 29 AL 2272/03
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 AL 51/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zum Anspruch auf erneutes Insolvenzgeld nach Aufhebung des ersten Insolvenzverfahrens und sich
anschließendem nicht überwachten Insolvenzplan.

1. Anspruch auf Insolvenzgeld besteht grundsätzlich nicht, wenn nach Eintritt des Insolvenzereignisses die
Insolvenz bis zum Eintritt eines erneuten Insolvenzereignisses nicht beendet worden ist (Anschluss an BSG,
Urteil vom 29.05.2008 - B 11a AL 57/06 - BSGE 100, 282 = SozR 4-4300 § 183 Nr. 9; Urteil vom 21.11.2002 -
B 11 AL 35/02 R - BSGE 90, 157 = SozR 3-4300 § 183 Nr. 3; Urteil vom 27.08.1998 - B 10 AL 7/97 R - SozR
3-4100 § 141e Nr. 3; Urteil vom 11.01.1989 - 10 RAr 7/87 - SozR 4100 § 141b Nr. 43).
2. Das erste und das zweite Insolvenzereignis stellen ein einheitliches Insolvenzereignis dar, wenn das zweite
Insolvenzereignis während des überwachten Insolvenzplans eintritt (Anschluss an BSG, Urteil vom
29.05.2008 - B 11a AL 57/06 - BSGE 100, 282 = SozR 4-4300 § 183 Nr. 9). Es handelt sich insoweit um ein
Gesamtverfahren im Sinne der Richtlinie 2002/74/EG.
3. Das erste und das zweite Insolvenzereignis stellen kein einheitliches Insolvenzereignis dar, wenn sich
zwischen dem ersten und dem zweiten Insolvenzereignis ein nicht überwachter Insolvenzplan an die
ordnungsgemäße Aufhebung des ersten Insolvenzverfahrens angeschlossen hat . In diesem Fall begründet
das erneute Insolvenzereignis einen Anspruch auf Insolvenzgeld. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitgeber
während bzw. nach dem Ende des ersten Insolvenzverfahrens wirtschafltich betrachtet nicht wieder
zahlungsfähig geworden ist. Diese formelle Betrachtungsweise ist durch die richtlinienkonforme Auslegung
des § 183 SGB III im Lichte der Richtllinie 2002/74/EG geboten.
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 24. Januar 2007 und der Bescheid der Beklagten vom 04. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. Dezember 2003 abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin Insolvenzgeld für die Zeit vom 01. März 2003 bis 30. Mai 2003 zu gewähren: - für März 2003: 1.258,41 EUR, - für April 2003: 1.018,19 EUR, - für Mai 2003: 1.018,19 EUR.

II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten aus beiden Rechtszügen zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Bewilligung von Insolvenzgeld (Insg) für die Monate März, April und Mai 2003.

Die Klägerin war bei der E Küchenmöbel GmbH in R (im Folgenden: die Arbeitgeberin) als Vertriebsassistentin bis 30.05.2003 beschäftigt.

Die Arbeitgeberin war aus einem VEB hervorgegangen. Der einzige Geschäftsanteil der Arbeitgeberin wurde am 23.01.1992 von der Treuhandanstalt an die S Gesellschaft für technische Dienstleistungen mbH verkauft und übertragen. Mit Gesellschafterbeschluss vom 22.12.1992 / 22.04.1993 wurde das Stammkapital auf 50.000,00 DM festgesetzt. Im Handelsregister war ab 16.12.1998 als Unternehmensgegenstand eingetragen: "Entwicklung, Herstellung, Vertrieb und Handel mit Möbeln aller Art, insbesondere Küchenmöbeln, Fertigung von sonstigen Holzbauelementen mit flächigen Bauteilen, Handel mit Küchen-Zubehör, insbesondere Einbaugeräten, Betrieb einer Werbeagentur für Küchenhändler, Erbringung von Serviceleistungen, mit Ausnahme genehmigungspflichtiger Tätigkeiten." Die Arbeitgeberin fertigte im Wesentlichen Küchenmöbel im mittleren Marktsegment (Endabgabepreis um 11.000 DM); Absatzmarkt war fast ausschließlich das Beitrittsgebiet. Am 26.04.2001 wurde der Geschäftsanteil von 45.000,00 DM an die KV Verwaltungs GmbH i. G. für 1,00 DM verkauft und übertragen und der restliche Geschäftsanteil von 5.000,00 DM an Herrn K ebenfalls für 1,00 DM verkauft und übertragen. Ende April 2001 waren für die Arbeitgeberin 91 Mitarbeiter (82 Arbeitnehmer, vier Auszubildende, fünf Praktikanten) tätig.

Nachdem bereits zuvor die L CONSULT GmbH mit der Ausarbeitung eines Insolvenzplanes beauftragt worden war, beantragte am 27.04.2001 der Geschäftsführer der Arbeitgeberin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über deren Vermögen und gab zur Begründung an, die Arbeitgeberin sei zahlungsunfähig, es bestünden aber keine Lohnrückstände, die Gesamtverbindlichkeiten beliefen sich auf 12 Mio. DM; die Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens sei beabsichtigt (549 IN 862/01). Weitere Insolvenzeröffnungsanträge wurden an diesem Tag für die mit der Arbeitgeberin bislang verbundenen Unternehmen, die d Vertriebsgesellschaft für Einbauküchen mbH, die D Küchen Service GmbH und die bisherige Konzernmutter dieser Gesellschaften und der Arbeitgeberin, die S Gesellschaft für technische Dienstleistungen mbH, von den jeweiligen Geschäftsführern gestellt. Mit Beschluss des Amtsgerichts Dresden (AG) vom selben Tag wurde der Rechtsanwalt Sch zum vorläufigen Insolvenzverwalter für die Arbeitgeberin bestellt, der dafür Sorge trug, dass der laufende Geschäftsbetrieb aufrecht erhalten wurde, und erste Schritte zur bestandserhaltenden Sanierung des Unternehmens einleitete (Reduzierung des Personals unter Mitwirkung der IG Metall durch Überführung von 18 Arbeitnehmern in eine betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit zum 01.07.2001 auf der Grundlage eines Interessenausgleichs und eines Sozialplans jeweils vom 01.07.2001; Vorfinanzierung des Insg über die D Raiffeisenbank e.G., die im Jahr 2001 mit der Volksbank D e.G. fusionierte; Gespräche mit Händlern und Lieferanten). Nach Vorlage des Gutachtens des vorläufigen Insolvenzverwalters vom 29.06.2001 wurde durch Beschluss des AG vom selben Tag mit Wirkung zum 01.07.2001, 00:00 Uhr, das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Arbeitgeberin eröffnet; zum Insolvenzverwalter wurde der vorläufige Insolvenzverwalter bestellt. Nach seinem Gutachten betrug die Summe der Verbindlichkeiten 12.175.665,90 DM, davon fällig 7.438.433,38 DM. Das Aktivvermögen wurde bei 162.350,13 DM liquiden Mitteln mit insgesamt 5.775.352,13 DM angegeben. Die Insolvenzgründe der Überschuldung und der Zahlungsunfähigkeit seien "zweifelsfrei" festzustellen. Der Insolvenzverwalter ging in seinem ersten Bericht vom 08.08.2001 davon aus, dass die Arbeitgeberin bei Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens "äußerst gute Chancen" habe, fortbestehen zu können. Bis zum 31.07.2001 hätten Ausgaben von 3,1 Mio. DM rund 4,3 Mio. DM Einnahmen gegenüber gestanden. Der derzeitige Auftragsbestand belaufe sich auf 2,5 Mio. DM und reiche bis Ende September 2001. Die Verbindlichkeiten wurden auf 16.700.000,00 DM beziffert, denen realistische Liquidationswerte von 8.300.000,00 DM gegenüber stünden. In seinem Bericht vom 20.09.2001 teilte der Insolvenzverwalter u. a. mit, dass nach betriebswirtschaftlicher Auswertung auch im August und im September 2001 ein Überschuss habe erzielt werden können, die Auftragslage im Volumen von 1,3 Mio. DM eine kostendeckende Produktion ermögliche und im Gläubigerausschuss der erste Entwurf des von der L CONSULT GmbH vorlegten Insolvenzplanes diskutiert worden sei. Es seien weitere Schritte ergriffen worden, um die Effektivität des Unternehmens zu erhöhen. Am 27. / 28.11.2001 schloss der Insolvenzverwalter mit der D F AG einen Factoring-Rahmenvertrag unter der Bedingung der Bestätigung und Umsetzung des Insolvenzplanes (Entwurf vom 07.11.2001) für die Arbeitgeberin ab. Im weiteren Prüfungstermin sowie Erörterungs- und Abstimmungstermin am 28.11.2001 wurde dem Insolvenzplan von allen abgegebenen Stimmen zugestimmt und durch Beschluss vom selben Tage bestätigt. Wegen des Inhalts des bestätigten Insolvenzplanes wird auf Blatt 78 bis 196 der Akte des Landessozialgerichts (LSG) Bezug genommen. In seinem Schlussbericht vom 21.12.2001 regte der Insolvenzverwalter an, ihn als Sonderverwalter über das für die Arbeitgeberin eingerichtete Verwalteranderkonto und über die Ansprüche aus Warenlieferungen und Leistungen gegen die D F AG zu bestellen. Mit Beschluss des AG vom 28.12.2001 wurde das Insolvenzverfahren mit Ablauf des 31.12.2001 aufgehoben. Die Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters blieb hinsichtlich der bei der D Volksbank Raiffeisenbank e.G. geführten Anderkonten aufrecht erhalten. Der Insolvenzverwalter blieb weiterhin berechtigt, die bis zur Aufhebung des Verfahrens entstandenen Forderungen aus Lieferung und Leistung auf das Anderkonto einzuziehen und hiervon die bis zur Aufhebung des Verfahrens entstandenen Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 Insolvenzordnung (InsO) zu befriedigen. Die Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters blieb auch hinsichtlich der Ansprüche gegen die D F AG aus dem Factoringvertrag vom 27. / 28.11.2001 bestehen. Das Amt des Insolvenzverwalters sollte erst mit vollständiger Befriedigung der zum Stichtag 31.12.2001 bestehenden Massekosten bzw. -verbindlichkeiten enden. Diese Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse wurden mit Beschluss des AG vom 30.05.2003 aufgehoben. Eine Überwachung des Insolvenzplanes durch den Insolvenzverwalter war im Insolvenzplan nicht vorgesehen, jedoch war der Insolvenzverwalter nach § 259 Abs. 3 InsO berechtigt, anhängige Anfechtungsprozesse auch nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens fortzuführen.

Der Klägerin wurde wegen des Insolvenzereignisses vom 01.07.2001 für Juni 2001 Insg unter Berücksichtigung der bereits nach § 188 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) erfolgten Insg-Vorfinanzierung für die Monate April und Mai 2001 bewilligt (Bescheid vom 18.07.2001).

Am 21.05.2003 stellte der Geschäftsführer der Arbeitgeberin erneut einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und begründete den Antrag damit, dass die Gesellschaft mit 70 Arbeitnehmern bei Lohnrückständen für zwei Monate zahlungsunfähig sei. Die vom Insolvenzplan vorgegebenen Zahlungen hätten nicht erbracht werden können, weil die Liquiditätserwartungen nicht zu realisieren gewesen seien. Mit Beschluss vom selben Tage wurde zunächst Rechtsanwalt Sch mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt und die Einstellung von Vollstreckungsmaßnahmen gegen die Arbeitgeberin gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO angeordnet (551 IN 1269/03). Durch weiteren Beschluss vom 26.05.2003 wurde Rechtsanwalt Sch mit Wirkung vom selben Tage zum (so genannten schwachen) vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Am 03.06.2003 beantragte die AOK Sachsen – Die Gesundheitskasse die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen ausstehender Beiträge und Säumniszuschläge von insgesamt 41.326,67 EUR (532 IN 1406/03). Bereits mit Schreiben vom 04.06.2003 wies der vorläufige Insolvenzverwalter darauf hin, dass durch den Forderungsverkauf an die D F AG keine ausreichende Liquidität habe geschaffen werden können und die zugunsten einer Hauptgläubigerin ausgewiesene Insolvenzplanquote nur knapp zur Hälfte habe erfüllt werden können. Unmittelbar nach der Übernahme dieses (neuen) Mandats habe er die Vermögenssituation der Arbeitgeberin überprüft, Inventuren angeordnet, die Debitoren auf ihre Werthaltigkeit geprüft sowie die Fortführung des Unternehmens im Rahmen eines Insolvenzverfahrens geprüft, wofür keine – im erheblichen Umfang erforderlichen – liquiden Mittel zur Verfügung stünden. Einzig bleibe eine übertragende Sanierung des Unternehmens auf die d Küchen Service GmbH. Mit weiterem Beschluss des AG vom 06.06.2003 wurden die Befugnisse des vorläufigen Insolvenzverwalters dahingehend ausgeweitet, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis vollständig auf ihn übertragen wurde. Aus dem Gutachten des vorläufigen Insolvenzverwalters vom 17.06.2003 geht hervor, dass die Arbeitgeberin zum Stichtag 21.05.2003 über ein Aktivvermögen von 1.751.196,97 EUR (Liquidationswerte) bei einer freien Masse von 443.858,40 EUR und liquiden Mitteln von 2.098,60 EUR verfügte, dem Aktivvermögen aber Verbindlichkeiten von 6.329.086,34 EUR gegenüber standen. Die Insolvenzgründe der Überschuldung und der Zahlungsunfähigkeit lägen "zweifelsfrei" vor. Daraufhin wurden die Insolvenzverfahren 532 IN 1269/03 und 532 IN 1406/03 unter dem erstgenannten Aktenzeichen miteinander verbunden. Durch Beschluss des AG vom 19.06.2003 wurde mit Wirkung vom selben Tag ab 12:00 Uhr über das Vermögen der Arbeitgeberin das Insolvenzverfahren eröffnet sowie der vorläufige Insolvenzverwalter zum Insolvenzverwalter bestellt. Er berichtete mit Schreiben vom 28.08.2003, dass sich zum Stichtag 19.06.2003 das Aktivvermögen auf rund 1.790.000,00 EUR (Liquidationswerte) belaufen habe und Verbindlichkeiten von rund 4.850.000,00 EUR (bzw. an anderer Stelle mit 5.060.000,00 EUR angegeben) vorhanden seien. Der Kassenbestand habe sich auf 4.983,54 EUR erhöht, auf dem Anderkonto befänden sich 24.824,02 EUR. Es seien bis zum 01.08.2003 Forderungen von 6.678.385,21 EUR angemeldet worden.

Die Klägerin beantragte am 28.05.2003 Insg für die Monate März (1.258,41 EUR netto), April (1.018,19 EUR netto) und Mai 2003 (1.018,19 EUR netto). Mit Bescheid der Beklagten vom 04.07.2003 wurde der Antrag abgelehnt. Ein weiteres Insolvenzereignis beim selben Arbeitgeber könne nur zu einem Insg-Anspruch führen, wenn nach dem ersten Insolvenzverfahren die Zahlungsfähigkeit wieder hergestellt worden sei. Zahlungsunfähigkeit liege solange vor, wie der Arbeitgeber nicht in der Lage sei, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen einschließlich der Raten aus dem Insolvenzplan zu erfüllen. Die Tatsache, dass einzelne Zahlungsverpflichtungen erfüllt würden, rechtfertige jedenfalls für sich allein noch nicht die Annahme wiederhergestellter Zahlungsfähigkeit. So liege der Fall hier. Durch das AG sei zwar am 19.06.2003 erneut ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Arbeitgeberin eröffnet worden. Auch wenn damit zwischen dem ersten und dem zweiten Insolvenzereignis fast zwei Jahre lägen, sei die Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 01.07.2001 maßgeblich. Denn nur wegen der Aufhebung des ersten Insolvenzverfahrens und der Durchführung des Insolvenzplanverfahrens könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Arbeitgeberin ihre Zahlungsfähigkeit zwischenzeitlich wiedererlangt habe. Aufgrund des ersten Insolvenzereignisses sei der Klägerin aber schon Insg gewährt worden.

Den mit Schreiben vom 22.07.2003 hiergegen am 24.07.2003 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 08.12.2003, an den Kläger abgesandt am 09.12.2003, zurück. Hierbei machte sie sich die Begründung des angegriffenen Bescheides vom 04.07.2003 zu eigen und führte ergänzend aus, das Bundessozialgericht (BSG) habe in seinem Urteil vom 21.11.2002 (B 11 AL 35/02 R) seine bisherige Rechtsprechung zur Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit als Voraussetzung für einen erneuten Insg-Anspruch bestätigt. Wenn – wie hier – in der Zeit nach dem Insolvenzplan sich Anzeichen mehrten, dass ein erneuter Insolvenzantrag gestellt werden müsse, weil vorbestehende Verbindlichkeiten weiterhin den wirtschaftlichen Erfolg belasteten, werde damit die auch zum Zeitpunkt der Einstellung des vorherigen Insolvenzverfahrens noch anzunehmende Zahlungsunfähigkeit nur erneut offenkundig. Die Frage nach dem Erfolg des Insolvenzplanverfahrens sei nicht zuletzt nach dem Erfolg der Befriedigung der Gläubiger zu beurteilen. Solange ein diesbezüglicher Erfolg nicht dauerhaft eingetreten sei, könne auch eine Aufhebung des früheren Insolvenzverfahrens durch das Insolvenzgericht mit der Maßgabe, in einem Insolvenzplanverfahren der Schuldnerin die Möglichkeit zu geben, ihre Zahlungsfähigkeit herzustellen, nicht zu dem Schluss führen, es sei erkennbar zu einem bestimmten Zeitpunkt die Zahlungsfähigkeit wieder vorhanden gewesen. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, durch die noch fortwährende wirtschaftliche Tätigkeit der Arbeitgeberin sei bei den Arbeitnehmern ein Vertrauenstatbestand in die Zahlungsfähigkeit des Arbeitgebers geschaffen worden, wodurch die Arbeitnehmer bei einem möglichen Arbeitsentgeltausfall erneut schutzwürdig in Bezug auf die Inanspruchnahme der Insg-Versicherung seien.

Am 22.12.2003 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Dresden (SG) erhoben und ihren Anspruch auf Insg weiterverfolgt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, sie gehe davon aus, dass die Arbeitgeberin im Zeitraum zwischen der Aufhebung des Insolvenzverfahrens und seiner erneuten Eröffnung die Zahlungsfähigkeit wiedererlangt habe. Das Urteil des BSG vom 21.11.2002 (B 11 AL 35/02) sei hier nicht einschlägig, weil nach dem dort maßgeblichen Sachverhalt bereits gut fünf Monate nach dem ersten Insolvenzverfahren während des Insolvenzplanverfahrens ein weiteres Insolvenzverfahren eröffnet worden sei. Werde aber wie hier über einen längeren Zeitraum der Insolvenzplan erfüllt, genüge dies für die Annahme eines zweiten Insg-relevanten Insolvenzereignisses. Im Übrigen sei nicht erkennbar gewesen, dass sich ein erneutes Insolvenzereignis einstellen werde. Sie, die Klägerin, habe jedenfalls keine Kenntnisse über die wirtschaftliche Lage der Arbeitgeberin gehabt, insbesondere sei sie auch nicht in der Buchhaltung beschäftigt gewesen. Sie habe auf die Zahlungsfähigkeit der Arbeitgeberin vertraut. Hilfsweise ergebe sich der Insg-Anspruch aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Denn die Beklagte habe es verabsäumt, die Klägerin nach Bestätigung des Insolvenzplanes darauf hinzuweisen, dass sie weiteres Insg für den Fall nicht leisten werde, dass die Arbeitgeberin nicht nachhaltig ihre Zahlungsfähigkeit wiedererlange. Die von der zuständigen Kammer des SG in das Verfahren eingeführten klageabweisenden Urteile der 23. Kammer des SG vom 22.05.2006 (S 23 AL 92/04 und S 23 AL 68/04) hat die Klägerin als nicht überzeugend erachtet, weil die Bedeutung des Gläubigerausschusses, der das Sanierungskonzept beschlossen habe, nicht ausreichend gewürdigt worden sei und auch die Beklagte in der Gläubigerversammlung keine Einwände gegen das Sanierungskonzept erhoben habe.

Das SG hat mit Urteil vom 24.01.2007 die Klage abgewiesen und zur Begründung unter ausführlicher Bezugnahme auf das Urteil des BSG vom 21.11.2002 (B 11 AL 35/02 R) ausgeführt, ein Arbeitnehmer habe dann keinen Anspruch auf Insg aufgrund eines zweiten Insolvenzereignisses, wenn – wie hier – die Eröffnung des ersten Insolvenzverfahrens wegen ihrer Sperrwirkung dem Insg-Anspruch des Arbeitnehmers entgegenstehe. Solange die auf einem bestimmten Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers andauere, bestehe kein Anspruch auf Insg. Zahlungsunfähigkeit liege solange vor, wie der Gemeinschuldner wegen eines nicht nur vorübergehenden Mangels an Zahlungsmitteln nicht in der Lage sei und andauernd aufhöre, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen. Die Zahlungsunfähigkeit ende nicht schon dann, wenn der Schuldner einzelne Zahlungsverpflichtungen wieder erfülle. Allein wegen der Aufhebung des Insolvenzverfahrens und der Durchführung des Insolvenzplanverfahrens sei nicht von einer Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit des Schuldners auszugehen. Die Arbeitgeberin habe hier die Zahlungsfähigkeit nicht mehr mit der erforderlichen Nachhaltigkeit bis zur erneuten Eröffnung des Insolvenzverfahrens wiedererlangt. Dies ergebe sich unter Auswertung der Insolvenzakten, insbesondere der Feststellungen des Insolvenzverwalters, aus folgendem Sachverhalt: Die Arbeitgeberin habe seit 1997 eine nahezu durchgehend negative Geschäftsentwicklung vorzuweisen gehabt. Nur im Jahre 1999 habe ein geringer Überschuss in Höhe von 24.403,56 DM erzielt werden können. Zum Stichtag der ersten Insolvenzverfahrenseröffnung am 01.07.2001 habe eine Unterdeckung von gerundet 8.400.000,00 DM mit der Folge vorgelegen, dass die Arbeitgeberin eindeutig überschuldet gewesen sei. Darüber hinaus habe sie ihre Zahlungen bereits eingestellt gehabt, so dass der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit ebenfalls vorgelegen habe. Der nachfolgende Insolvenzplan sei davon ausgegangen, dass durch einen Teilverzicht der Gläubiger auf ihre Forderungen einerseits und verstärkte Inkassoaktivitäten andererseits die Arbeitgeberin saniert werden könne. Die Durchsetzung der Forderungen aus Warenlieferungen und Leistungen gegen die Debitoren des Unternehmens habe durch eine Drittfirma, die D F , auf der Grundlage eines bereits mit dem Insolvenzverwalter am 28.11.2001 geschlossenen Vertrages erreicht werden sollen. Dem Insolvenzplan habe die Prognose zugrunde gelegen, dass die hierdurch geschaffenen Liquiditätseffekte ausreichen würden, das Unternehmen zu stabilisieren. Dies sei nicht eingetreten. Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens mit Ablauf des 31.12.2001 seien im Januar 2002 aufgrund einer im Insolvenzplan geregelten Stundung bis zum 31.01.2002 keine Verbindlichkeiten fällig geworden. Doch bereits im Februar 2002 habe sich offenbart, dass der Insolvenzplan von unzutreffenden Annahmen ausgegangen sei. Durch Schreiben vom 18.02.2002 an das AG habe die Hauptgläubigerin der Arbeitgeberin, die B -W Bank AG (im Folgenden: BW-Bank), mitgeteilt, dass die Arbeitgeberin die gemäß Insolvenzplan zum 30.01.2002 zu erbringende Zahlung nicht geleistet habe. Mit weiterem Schreiben der BW-Bank vom 15.05.2002 an das AG sei darauf hingewiesen worden, dass von dem am 30.01.2002 fälligen Betrag in Höhe von 1.092.119,40 EUR bisher lediglich 450.006,25 EUR gezahlt worden seien. Die BW-Bank habe in diesem Schreiben festgestellt, dass wegen des erheblichen Rückstandes davon auszugehen sei, dass der bedingt ausgesprochene Verzicht auf einen Teil der Forderungen hinfällig sei. Im Schreiben vom 04.07.2002 an das AG habe der Geschäftsführer der Arbeitgeberin den Zahlungsverzug bestätigt und ihn auf einen "nicht vorhergesehenen Liquiditätsengpass" zurückgeführt, der unter anderem darin begründet sei, dass der erhoffte Liquiditätseffekt durch die Einschaltung der F -Gesellschaft nicht eingetreten sei. Die Hoffnung der Arbeitgeberin, durch Einschaltung eines Investors die BW-Bank bis 31.08.2002 befriedigen zu können, sei unerfüllt geblieben. Die BW-Bank habe nur insgesamt 460.000,00 EUR erhalten. Der Versuch, die sich immer weiter zuspitzende Liquiditätssituation im Vorfeld durch eine so genannte Rettungsbeihilfe seitens der Sächsischen Aufbaubank in Höhe von 400.000,00 EUR zu entschärfen, sei erfolglos geblieben, weil die Rettungsbeihilfe nur unter der Bedingung gewährt worden wäre, dass keine Zahlungen auf die noch ausstehenden Quoten aus dem Insolvenzplan erfolgen dürften. Damit hätten sich die beteiligten Banken indessen nicht abgefunden. Zum Stichtag der zweiten Insolvenzverfahrenseröffnung am 19.06.2003 habe eine Unterdeckung von gerundet 3.060.000,00 EUR bestanden. Aus dieser wirtschaftlichen Entwicklung sei abzuleiten, dass die im Insolvenzplan verankerten Zahlungen nicht fristgerecht hätten geleistet werden können, weil hierfür nicht ausreichend Liquidität vorhanden gewesen sei. Die Ursachen hierfür seien darin zu sehen, dass von vornherein bei der Planerstellung die Fähigkeit zur Generierung neuer Liquidität nicht richtig beurteilt worden sei. Darüber hinaus seien aber auch betriebs- und volkswirtschaftliche Fehlentwicklungen mitbestimmend gewesen. Nach alledem sei eine Stabilisierung der Arbeitgeberin im Sinne einer nachhaltigen Zahlungsfähigkeit nach dem 01.07.2001 nicht festzustellen gewesen. Auf ein Vertrauen der Klägerin in die Zahlungsfähigkeit ihrer Arbeitgeberin komme es nicht an. Der Klägerin stehe gegen die Beklagte auch kein Schadensersatzanspruch in Höhe des beantragten Insg unter dem Gesichtspunkt eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches zu. Denn ein objektives Fehlverhalten ist der Beklagten, die keine Pflicht gegenüber der Klägerin gehabt habe, sie über die Chancen und Risiken der Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens aufzuklären, nicht anzulasten.

Gegen das ihr am 12.02.2007 zugestellte Urteil hat die Kläger am 07.03.2007 beim LSG Berufung eingelegt und unter Bezugnahme auf die Klagebegründung ergänzend ausgeführt, es dürfe ihr nicht zum Nachteil gereichen, dass ein Sanierungskonzept vereinbart worden sei, dem der Erfolg versagt geblieben sei. Die Beklagte habe ihre Aufklärungspflichten im Verhältnis zu den bisherigen Insg-Leistungsbeziehern verletzt. Sie hätte diese und somit auch die Klägerin darauf hinweisen müssen, dass im Falle einer erneuten Zahlungsstockung die Arbeitnehmer sofort kündigen und sich arbeitslos melden müssten, weil ein Anspruch auf Insg nicht mehr bestehe.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 24. Januar 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 04. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. Dezember 2003 aufzuheben und der Klägerin Insolvenzgeld für die Monate März bis Mai 2003 zu gewähren, hilfsweise die Revision zuzulassen, höchsthilfsweise die Frage dem Europäischen Gerichtshof nach Artikel 234 EG-Vertrag (jetzt: Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union) vorzulegen, ob bei einem nichtüberwachten Insolvenzplan ein nachfolgendes zweites Insolvenzverfahren einen Anspruch auf Leistungen des Arbeitnehmers im Sinne der Richtlinie 80/987/EWG eröffnet.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Das erstinstanzliche Urteil sei zutreffend. Ergänzend werde auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid Bezug genommen. Die Sperrwirkung des ersten Insolvenzereignisses stehe einer auf das zweite Insolvenzverfahren gestützten Anspruchsbegründung entgegen. Auch bei einer unterstellten Beratungspflichtverletzung ließe sich daraus kein Insg-Anspruch herleiten.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verfahrensakten, die Leistungsakte der Beklagten und die Insolvenzverfahrensakten 549 IN 862/01, 551 IN 1269/03 und 532 IN 1406/03 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Das die Klage abweisende Urteil des SG und der den Insg-Antrag der Klägerin vom 28.05.2003 ablehnende Bescheid der Beklagten vom 04.07.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2003 sind aufzuheben, soweit der Klägerin ein Anspruch für die Monate März und April 2003 sowie für die Zeit vom 01.05. bis 30.05.2003 versagt wurde. Die Klägerin hat dem Grunde nach Anspruch auf Insg für die Zeit vom 01.03.2003 bis 30.05.2003.

A. Die Höhe des Anspruchs ergibt sich aus den von den Beteiligten unbestrittenen und vom Senat als zutreffend zugrunde gelegten Arbeitsentgeltnachweisen der Arbeitgeberin für die Monate März bis Mai 2003. Die sich heraus ergebenden Netto-Arbeitsentgeltansprüche (März 2003: 1.258,41 EUR; April 2003: 1.018,19 EUR; Mai 2003: 30/31 aus 1.018,19 EUR) wurden infolge der Insolvenz der Arbeitgeberin nicht erfüllt. Unerheblich ist, dass die Klägerin nach ihren eigenen, im Insg-Antrag gemachten Angaben das Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 30.05.2003 gekündigt, sich also am 31.05.2003 nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis befunden hat. Nach der vom Bundesarbeitsgericht (BAG) als zulässig angesehenen abstrakten Berechnung auf der Grundlage eines Monats mit 30 Tagen (Urteil vom 28.02.1975 – 5 AZR 213/74 – EzA 191 BGB Nr. 2) hat die Klägerin hier Anspruch auf das volle Arbeitsentgelt für den Monat Mai. Unter Zugrundelegung der vom BAG in einer späteren Entscheidung (Urteil vom 14.08.1985 – 5 AZR 384/84 – EzA § 63 HGB Nr. 38) favorisierten konkreten Berechnung ist das anteilige Monatsgehalt wie folgt zu berechnen: Die Zahl der Arbeitstage mit Gehaltsanspruch einschließlich der gesetzlichen Feiertage ergeben den Divisor, um das Monatsgehalt auf den Arbeitstag (einschließlich gesetzlichem Feiertag) umzurechnen. Der so ermittelte Betrag wird mit der Anzahl der tatsächlich erbrachten Arbeitstage multipliziert. Auch hiernach hat die Klägerin Anspruch auf das volle Arbeitsentgelt für den Monat Mai. Denn der 31.05.2003 war ein für die Klägerin arbeitsfreier Samstag.

B. Ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Insg für die Zeit vom 01.03. bis 30.05.2003 ergibt sich jedoch nicht bereits aus § 183 Abs. 2 SGB III. Nach dieser Vorschrift kann ein Arbeitnehmer, der in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses weitergearbeitet oder die Arbeit aufgenommen hat, Insg auch für die dem Tag der Kenntnisnahme vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses erhalten. Ein solcher Anspruch kommt unter den hier gegebenen Umständen nicht in Betracht. Denn die Klägerin hatte bereits aufgrund des ersten Insolvenzereignisses, der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 01.07.2001, Insg erhalten (Bescheid vom 18.07.2001).

Aus § 183 Abs. 2 SGB III kann auch kein erneuter Anspruch auf Insg mit Rücksicht auf das Vertrauen auf eine in Wahrheit nicht bestehende Insg-Absicherung hergeleitet werden. Denn § 183 Abs. 2 SGB III soll Vertrauen nur mit Rücksicht auf die Weiterarbeit oder Arbeitsaufnahme in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses gewährleisten (BSG, Urteil vom 29.05.2008 – B 11 a AL 57/06 R – BSGE 100, 282, Rn. 16 = SozR 4-4300 § 183 Nr. 9). Die Klägerin wusste aber, dass über das Vermögen der Arbeitgeberin bereits im Jahre 2001 ein Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Die rechtsirrige Annahme, dass ein schon zuvor eingetretenes Insolvenzereignis keine Sperrwirkung für zukünftige Insolvenzereignisse bewirke, wird von § 183 Abs. 2 SGB III nicht erfasst.

C. Der Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Insg für die Zeit vom 01.03. bis 30.05.2003 ergibt sich jedoch aus § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III.

Anspruch auf Insg hat nach § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III ein Arbeitnehmer, der bei Eintritt eines Insolvenzereignisses für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat. Insolvenzereignis ist nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers.

Aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Beschluss des AG vom 29.06.2001 (549 IN 862/01) hatte die Klägerin – wie bereits ausgeführt – Insg bereits erhalten. Aus der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch das AG am 19.06.2003 (532 IN 1269/03) kann die Klägerin entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten und des SG einen erneuten Anspruch auf Insg herleiten, da die Insolvenzeröffnung durch Beschluss des AG vom 29.06.2001 keine Sperrwirkung entfaltet und deswegen dem Insg-Anspruch im streitgegenständlichen Zeitraum nicht entgegensteht.

Ein neues Insolvenzereignis tritt nach der Rechtsprechung des BSG sowohl zum Konkursausfallgeld (Kaug) als auch zum Insg nicht ein und kann folglich auch Ansprüche auf Kaug bzw. Insg nicht auslösen, solange die auf einem bestimmten Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers andauert. Von andauernder Zahlungsunfähigkeit ist so lange auszugehen, wie der Gemeinschuldner wegen eines nicht nur vorübergehenden Mangels an Zahlungsmitteln nicht in der Lage ist, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen. Die Zahlungsunfähigkeit endet nicht schon dann, wenn der Schuldner einzelne Zahlungsverpflichtungen wieder erfüllt (BSG, Urteil vom 11.01.1989 – 10 RAr 7/87 – SozR 4100 § 141b Nr. 43 S. 164; Urteil vom 27.08.1998 – B 10 AL 7/97 RSozR 3-4100 § 141e Nr. 3 S. 8 f.; Urteil vom 21.11.2002 – B 11 AL 35/02 RBSGE 90, 157, 158 = SozR 3-4300 § 183 Nr. 3 m.w.N.; Urteil vom 29.05.2008 – B 11 a AL 57/06 R – BSGE 100, 282, Rn. 11 = SozR 4-4300 § 183 Nr. 9).

Dass sich allein aus der Bestätigung des vom Insolvenzverwalter überwachten Insolvenzplans und der Aufhebung des Insolvenzverfahrens durch das Insolvenzgericht noch nicht die Beseitigung des zunächst eingetretenen Insolvenzfalls mit der Folge der Möglichkeit des Entstehens neuer Ansprüche gegen die Insg-Versicherung ergibt, hat das BSG bereits mehrfach entschieden (Urteil vom 21.11.2002 – B 11 AL 35/02 RBSGE 90, 157, 158 ff. = SozR 3-4300 § 183 Nr. 3; ablehnend Heinrich, NZI 2006, 83, 84 f.; zustimmend Hase, AuB 2003, 154; Urteil vom 29.05.2008 – B 11 a AL 57/06 R – BSGE 100, 282, Rn. 13 = SozR 4-4300 § 183 Nr. 9; ablehnend Grüter, EWiR 2009, 217 f.; zustimmend Braun, SGb 2009, 437 ff.). Es hat ausgeführt, dass die materiell-rechtlichen Wirkungen des Insolvenzplanes nur die am Insolvenzplanverfahren Beteiligten (Schuldner, Insolvenzgläubiger, Absonderungsberechtigte) beträfen und dass auch die Beteiligung des Insolvenzgerichts am Insolvenzplanverfahren keinen Vertrauenstatbestand hinsichtlich der Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit schaffen könne (Urteil vom 21.11.2002 – B 11 AL 35/02 RBSGE 90, 157, 159 f. = SozR 3-4300 § 183 Nr. 3, mit Hinweisen auf §§ 231, 254, 255 InsO; Urteil vom 29.05.2008 – B 11 a AL 57/06 R – BSGE 100, 282, Rn. 13 = SozR 4-4300 § 183 Nr. 9). Das BSG hat in seinem Urteil vom 21.11.2002 (B 11 AL 35/02 RBSGE 90, 157, 158 ff. = SozR 3-4300 § 183 Nr. 3) im Hinblick darauf, dass im damals zu beurteilenden Fall der Schuldner bereits beim ersten Fälligkeitstermin zur Begleichung der nach dem Plan geschuldeten Forderung außer Stande war, offen gelassen, ob nach Einleitung eines Insolvenzplanverfahrens ein Entfallen der Sperrwirkung des früheren Insolvenzereignisses unter besonderen Umständen auch bereits vor der Planerfüllung in Betracht kommen kann (Urteil vom 21.11.2002 – B 11 AL 35/02 RBSGE 90, 157, 162 = SozR 3-4300 § 183 Nr. 3). Diese Rechtsprechung hat das BSG in dem Sinne weiterentwickelt, dass von einer Fortdauer der aus Anlass des früheren Insolvenzereignisses eingetretenen Zahlungsunfähigkeit jedenfalls dann auszugehen ist, wenn die im Insolvenzplan vorgesehene Überwachung der Planerfüllung andauert (Urteil vom 29.05.2008 – B 11 a AL 57/06 R – BSGE 100, 282, Rn. 14 = SozR 4-4300 § 183 Nr. 9). Maßgeblich dafür war die Erwägung, dass bei vorgesehener und andauernder Planüberwachung trotz Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 258 InsO) der weiter gegebene Zusammenhang mit dem einmal eröffneten Insolvenzverfahren dadurch dokumentiert werde, dass Aufgaben und Befugnisse des Insolvenzverwalters und gegebenenfalls des Gläubigerausschusses sowie die Aufsicht des Insolvenzgerichts insoweit fortbestünden. In einer solchen Situation komme die Wiedererlangung der Fähigkeit des Schuldners, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen erfüllen zu können, nicht in Betracht.

Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat nach eigener Prüfung uneingeschränkt an. Denn wird die Überwachung im gerichtlich bestätigten Insolvenzplan vorgesehen, ist dieses die Aufgabe des Insolvenzverwalters (§ 261 Abs. 1 Satz 1 InsO). Die Ämter des Insolvenzverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses und die Aufsicht des Insolvenzgerichts bestehen insoweit fort (§ 261 Abs. 1 Satz 2 InsO). Zu diesem Zweck ist der Insolvenzverwalter berechtigt, die Geschäftsräume des Schuldners zu betreten und dort Nachforschungen anzustellen (§ 261 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 22 Abs. 3 Satz 1 InsO). Der Schuldner hat dem Insolvenzverwalter Einsicht in seine Bücher und Geschäftspapiere zu gestatten (§ 261 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 22 Abs. 3 Satz 2 InsO). Er hat ihm alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen und ihn bei der Erfüllung dieser Aufgaben zu unterstützen; zur Durchsetzung seiner Aufgaben verfügt der Insolvenzverwalter über erhebliche Rechte nach § 261 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 22 Abs. 3 Satz 3 und den §§ 97, 98, 101 Abs. 1 Satz 1, 2, Abs. 2 InsO. Unter Beachtung dieser in der Rechtsprechung des BSG entwickelten Grundsätze ist gleichwohl hier der Anspruch auf Insg zuzuerkennen, obwohl die Arbeitgeberin als Gemeinschuldnerin ihre Zahlungsfähigkeit tatsächlich nicht wiedererlangt hat (I). Dies ergibt sich aus dem Gemeinschaftsrecht (II).

I. Die Arbeitgeberin war bei der Eröffnung des ersten Insolvenzverfahrens am 01.07.2001 insolvent (1). Sie war auch zu keinem Zeitpunkt nach der Aufhebung des ersten Insolvenzverfahrens bis zur Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens am 19.06.2003 in der Lage, ihre fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen (2). Unerheblich ist insoweit, dass sich an das erste Insolvenzverfahren ein nicht überwachtes Insolvenzplanverfahren angeschlossen hat (3).

1. Die Arbeitgeberin war bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens mit Ablauf des 31.12.2001 insolvent. Der erkennende Senat stützt sich dabei auf die Feststellungen des Insolvenzverwalters, der L Consult GmbH (Verfasserin des Insolvenzplans) sowie auf die damit übereinstimmende Einschätzung des Geschäftsführers der Arbeitgeberin, der selbst die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt hat.

Grund für die Insolvenz war einerseits die sich verschlechternde Konjunktur in der gesamten Küchenmöbelbranche in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre gerade im Beitrittsgebiet, die im Falle der Arbeitgeberin zu einem starken Auftragseinbruch im Herbst 2000 und zu starken Umsatzeinbußen in den Monaten Januar bis April 2001 führte (Umsatz 1998: 20.663.000,00 DM; Umsatz 1999: 18.536.000,00 DM; Umsatz 2000: 16.376.000,00 DM; 1. Halbjahr 2001: 7.472.000,00 DM unter Berücksichtigung der vorläufigen Insolvenzverwaltung; Seite 17 des Insolvenzplans). Andererseits war die Arbeitgeberin unter verschiedenen Aspekten nicht ausreichend auf diese Marktlage vorbereitet (Seite 13 des Gutachtens vom 29.06.2001; Seite 23 ff. des Insolvenzplans): Zu nennen sind hier veraltete Produktionsanlagen (Wertberichtigung des Anlagevermögens von 1997 bis 2000 um 4.769.000,00 DM) bei nicht vorhandener Investitionsfähigkeit (Rückgang des Eigenkapitals von 9.447.000,00 DM im Jahr 1997 auf minus 765.000,00 DM im Jahr 2000), zu hohe Produktionskosten (seit 1998 stiegen die Personalkosten sowohl absolut als auch relativ zur Betriebsleistung deutlich; die Materialquote und die Fremdleistungsquote stiegen signifikant an), eine fehlende klare Marketingstrategie und Liquiditätsengpässe (seit 1999 war die Arbeitgeberin nicht mehr in der Lage, ihren Verpflichtungen aus Lieferungen und Leistungen in angemessener Zeit nachzukommen). Die Liquiditätsengpässe entstanden insbesondere dadurch, dass die mit der Arbeitgeberin verbundene d ... Küchen Vertriebsgesellschaft mbH wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten ihrerseits Forderungen der Arbeitgeberin nicht mehr bedienen konnte; letzteres trifft auch auf andere Unternehmen der S -Gruppe zu, wie aus dem Insolvenzplan hervorgeht. Hiernach waren Forderungen der Arbeitgeberin gegen die S -Gruppe von 7.400.509,33 DM in voller Höhe mit dem Wert 0 zu berichtigen. Die Forderungen beruhten überwiegend auf Darlehen der Arbeitgeberin an die anderen Unternehmen der S -Gruppe. Die Liquiditätsschwäche wurde durch zusätzliche kurzfristige Fremdfinanzierungen ausgeglichen, ohne die dauerhafte Rentabilitätsschwäche zu bekämpfen.

Diese Ursachen, die wesentlich auf Managementfehler zurückzuführen sind (Seite 33 des Insolvenzplans), bewirkten, dass die Arbeitgeberin seit 1998 nicht mehr in der Lage war, durch das operative Geschäft ein ausgeglichenes Betriebsergebnis zu erwirtschaften (Seite 22 des Insolvenzplans). In den ersten vier Monaten des Jahres 2001 wurde ein Fehlbetrag von 615.844,00 DM erwirtschaftet (dies hätte einen Jahresgesamtfehlbetrag von 1.847.500,00 DM bedeutet). Nach gutachtlicher Einschätzung des Insolvenzverwalters, der sich der Senat anschließt, wies die Arbeitgeberin zum Stichtag 27.04.2001 eine Unterdeckung von 6.400.313,77 DM auf und war seit der Stellung des Antrags auf Insolvenzeröffnung mangels liquider Mittel zahlungsunfähig mit der Folge, dass sämtliche Zahlungen eingestellt werden mussten (Seite 37 des Gutachtens vom 29.06.2001). Auch nach Einschätzung der L Consult GmbH war die Arbeitgeberin ohne Insolvenzverfahren und Sanierungsmaßnahmen nicht fortführungsfähig (Seite 32 des Insolvenzplans).

2. Die Arbeitgeberin war auch zu keinem Zeitpunkt nach der Aufhebung des ersten Insolvenzverfahrens mit Ablauf des 31.12.2001 bis zur Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens am 19.06.2003 in der Lage, ihre fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen (b). Allerdings war von dem Fortbestehen der Insolvenz nicht schon aufgrund des Beschlusses des AG vom 28.12.2001 auszugehen, durch den dem Insolvenzverwalter weiterhin Rechte verblieben waren; ein überwachter Insolvenzplan lag nicht vor (a).

a) Durch die teilweise Aufrechterhaltung der Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters im Beschluss des AG vom 28.12.2001 über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens mit Ablauf des 31.12.2001 ist das Insolvenzplanverfahren nicht vom bisherigen Insolvenzverwalter überwacht worden. Das AG hat hinsichtlich des bisherigen Insolvenzverwalters in seinem Beschluss bestimmt: " 2. Die Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters Rechtsanwalt F R Sch bleibt hinsichtlich der bei der D Volksbank Raiffeisenbank eG geführten Anderkonten aufrechterhalten. 3. Der Insolvenzverwalter ist weiterhin berechtigt, die bis zur Aufhebung des Verfahrens entstandenen Forderungen aus Lieferung und Leistung auf das Anderkonto einzuziehen und hiervon die bis zur Aufhebung des Verfahrens entstandenen Masseverbindlichkeiten des § 55 InsO zu befriedigen. 4. Die Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters bleibt auch hinsichtlich der Ansprüche gegen die D Fa AG aus dem Factoringvertrag vom 27./28.11.2001 bestehen. 5. Das Amt des Insolvenzverwalters besteht insoweit weiter und endet erst mit vollständiger Befriedigung der zum Stichtag 31.12.2001 bestehenden Massekosten bzw. -verbindlichkeiten der §§ 54, 55 InsO. 6. Dem Insolvenzverwalter wird aufgegeben, dem Insolvenzgericht nach vollständiger Befriedigung dieser Verbindlichkeiten eine abschließende Schlußrechnungslegung vorzulegen."

Im gestaltenden Teil des Insolvenzplans ist nicht gemäß § 260 Abs. 1 InsO i. V. m. § 259 Abs. 2 InsO die Überwachung desselben im vorgenannten Umfang vorgesehen worden. Im gestaltenden Teil ist überhaupt keine Überwachung der Planerfüllung vorgesehen worden. Lediglich wurde dem Insolvenzverwalter die Befugnis nach § 259 Abs. 3 InsO eingeräumt, einen anhängigen Rechtsstreit, der die Insolvenzanfechtung zum Gegenstand hat, auch nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens fortzuführen.

Der Beschluss des AG betrifft lediglich Rechte und Pflichten aus Leistungsbeziehungen, die während der Insolvenzverwaltung bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens entstanden sind. Diese Anordnung ist zudem rechtswidrig. § 259 Abs. 1 InsO bestimmt – mit dem sich aus § 259 Abs. 2 InsO ergebenden Vorbehalt für die Planüberwachung, soweit sie im gestaltenden Teil des Insolvenzplans vorgesehen ist –, dass mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Ämter des Insolvenzverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses (kraft Gesetzes) erlöschen und der Schuldner das Recht zurückerhält, über die Insolvenzmasse frei zu verfügen. Diese Regelungen können vom Insolvenzgericht nicht eingeschränkt werden. Eine fortdauernde Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des vormaligen Insolvenzverwalters nach rechtskräftiger Bestätigung eines Insolvenzplans und Aufhebung des Insolvenzverfahrens gibt es nicht (Oberlandesgericht Celle, Beschluss vom 20.11.2006 – 4 U 166/06ZIP 2006, 2394 ff. m. w. N.; ihm folgend Bundesfinanzhof, Beschluss vom 22.10.2007 – VIII B 55/07 – juris Rn. 18). Hingegen muss der Insolvenzverwalter gemäß § 258 Abs. 2 InsO vor der Aufhebung des Insolvenzverfahrens die unstreitigen Masseansprüche berichtigen und für die streitigen Sicherheit leisten (vgl. dazu auch Lüer in Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 258 Rn. 5 ff.).

b) Die ursprüngliche Insolvenz war aber aufgrund des fehlgeschlagenen Liquiditätskonzeptes bis zur erneuten Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens noch nicht beendet.

Der Insolenzplan (Seite 36 ff.) ging davon aus, dass durch eine Reorganisation des Unternehmens (neues Unternehmenskonzept und Effektivierung der betriebswirtschaftlichen Abläufe) die Ertragsfähigkeit der Arbeitgeberin wieder hergestellt werden könne. Maßgeblich finanziert werden sollte der Neubeginn durch den Verzicht der Gläubiger auf einen Großteil ihrer Forderungen im Umfang von rund 9.000.000 DM. Namentlich der Sparkasse W und der BW-Bank fiel in diesem Konzept eine Schlüsselrolle zu. Weitere größere Gläubiger waren die Beklagte, die Stadt R , das Finanzamt D , die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben, die AOK Sachsen – Die Gesundheitskasse, die Holz-Berufsgenossenschaft und diverse Lieferanten von Waren und Dienstleistungen. Wegen der Einzelheiten wird auf den dem Insolvenzplan beigefügten Tabellenauszug verwiesen (Seite 175 bis 189).

Die Forderungen der Sparkasse W waren besichert mit Grundschulden in Höhe von 4.000.000,00 DM mit einer Raumsicherungsübertragung von Warenbeständen und mit einer Sicherungsübereignung Säge-/Bohr-Bearbeitungszentrum SBZ 200/1. Die Forderungen der BW-Bank waren mit Grundschulden – gleichrangig mit denen der Sparkasse W – in Höhe von 4.000.000,00 DM besichert. Hinzu kamen die Abtretung von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen mit den Anfangsbuchstaben A – L nebst der Abtretung der Ansprüche aus der Warenkreditversicherung entsprechender Schuldner sowie die Abtretung jährlicher Miet- und Pachtansprüche.

Die Sparkasse W sollte von den Forderungen gegen die Arbeitgeberin aus eigener Geschäftstätigkeit über 3.846.000,00 DM auf insgesamt 1.846.000,00 DM verzichten. Die Sparkasse W sollte dafür insbesondere zugunsten der BW-Bank auf ihre Sicherungsrechte (die mit 929.000,00 DM bewertet wurden) verzichten. Auf eine Forderung über 1.250.000,00 DM, die einem verbundenen Unternehmen gewährt worden war, sollte ebenfalls verzichtet werden. Ein Kreditengagement von 2.000.000,00 DM hingegen sollte mit 6,5 % verzinst von der Arbeitgeberin mit einer Sondertilgung bis zum 31.12.2001 über 214.000,00 DM und jährlichen Tilgungsraten von 200.000,00 DM weiterhin bedient werden. Die BW-Bank sollte auf 1.683.000,00 DM ihrer Forderungen von 3.819.000,00 DM verzichten. Die Sicherungsrechte im Wert von 1.949.000,00 DM sollten ihr verbleiben. Außerdem sollte sie auf den Ausfallbetrag von 1.870.000,00 DM (3.819.000,00 DM – 1.949.000,00 DM) eine Quote von 10 % erhalten. Auf die Forderungen aus Lieferungen und Verbindlichkeiten sollte eine Quote 10 %, bei den Kleingläubigern eine Quote von 15 % gezahlt werden. Die sonstigen Verbindlichkeiten sollten entweder überhaupt nicht (kapitalersetzende Darlehen des Gesellschafters der S Gesellschaft für technische Dienstleistungen mbH), oder in voller Höhe (Mitarbeiter der Arbeitgeberin) oder zu 10 % (Finanzamt) erfüllt werden. Die dadurch immer noch nicht wiederhergestellte Liquidität sollte wie folgt erreicht werden: Forderungen im Wert von 3.675.000,00 DM sollten (abzüglich 109.000,00 DM) bis zum Ende des Jahres 2001 an die D F AG verkauft und 90 % des Forderungswertes direkt an die Arbeitgeberin ausgezahlt werden. Ferner ging der Insolvenzplan davon aus, dass die verbleibenden 10 % im ersten Quartal 2002 erfüllt würden (im Januar 2002 4 %, im Februar 2002 5 % und im März 2002 1 %). Außerdem wurden die Zahlungseingänge seit Beginn des Insolvenzverfahrens berücksichtigt.

In dem vom AG durch Beschluss vom 28.11.2001 bestätigten Insolvenzplan wurden im gestaltenden Teil des Insolvenzplans folgende Forderungen und Quoten zugrunde gelegt:

Gruppen angemeldete Forderungen im Prüftermin festgestellte Forderungen im Prüftermin bestrittene Forderungen Quoten Gruppe 1: alle Gläubiger, die zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung einen begründeten Vermögensanspruch gegenüber der Arbeitgeberin besaßen (§ 38 InsO) 10.288.906,98 DM (einschließlich der Ausfallsummen) 3.823.000,00 DM

- voraussichtlich insgesamt festzustellende Forderungen 7.523.000,00 DM 6.465.000,00 DM

- hiervon sind voraussichtlich weitere 3.7000.000,00 DM festzustellen 10 % fällig einen Monat nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens Gruppe 2: Kleingläubiger, die an sich zur Gruppe 1 gehören, deren jeweilige Forderungen 1.000,00 DM nicht übersteigen oder insoweit ihre Forderungen bereits reduziert haben

22.284,40 DM (einschließlich der Ausfallsummen) 18.988,08 DM

- voraussichtlich insgesamt festzustellende Forderungen 20.000,00 DM

3.296,32 DM 15 % fällig einen Monat nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens Gruppe 3: BW-Bank

3.819.000,00 DM (in Höhe des Ausfalls) in voller Höhe des Ausfalls festgestellt Freigabe dinglicher Sicherungen gegen Zahlung von 1.949.000,00 DM, 10 % auf den Restbetrag = 187.000,00 DM fällig einen Monat nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens unter endgültigem Verzicht auf die weiteren Forderungen Gruppe 4: Sparkasse W l

3.846.000,00 DM (in Höhe des Ausfalls) in voller Höhe des Ausfalls festgestellt Beibehaltung des Kredits über 2.000.000,00 DM, der mit 6,5 % zu verzinsen und neben einer Sondertilgung im Dezember 2001 über 214.000,00 DM jährlich um 200.000,00 DM zurückzuführen ist, Bürgschaften des Geschäftsführers und eines Gesellschafters der Arbeitgeberin über insgesamt 300.000,00 DM, verschiedene neue Sicherungsrechte (Mietforderungen, neuer, noch auszuhandelnder Raumsicherungsvertrag) endgültiger Verzicht auf die weiteren Forderungen

Die dem Insolvenzplan zugrunde gelegten Erwartungen hinsichtlich der ausreichenden Bereitstellung von Liquidität erfüllten sich nicht. Die im Insolvenzplan vorgezeichnete Reorganisation der Arbeitgeberin war aufgrund fehlender Liquidität nicht möglich.

Bereits mit Schreiben vom 18.02.2002 teilte die BW-Bank dem AG mit, dass die Arbeitgeberin "bis zum heutigen Tage die an uns gemäß Insolvenzplan zum 30.01.2002 zu erbringende Zahlung von DM 2.136.000,00 nicht geleistet hat. Wir haben mit Fristsetzung eine erste Mahnung ausgesprochen. Sollte der Zahlungsverzug fortdauern, steht zu befürchten, dass ein erheblicher Rückstand gem. § 255 InsO eintritt." Mit weiterem Schreiben vom 15.05.2002 an das AG wies sie darauf hin, dass die Arbeitgeberin bislang auf die zu zahlenden 1.092.119,40 EUR (= 2.136.000,00 DM) lediglich 450.006,25 EUR geleistet habe, und erklärte, dass "damit der von uns bedingt ausgesprochene Verzicht auf einen Teil unserer Forderung hinfällig" sei. Die Forderung betrage nunmehr 1.502.860,10 EUR (abzüglich der geleisteten Zahlungen und zuzüglich der zu berechnenden Zinsen). Die Erteilung eines vollstreckbaren Titels über 1.502.860,10 EUR werde beantragt. Hierauf teilte die Arbeitgeberin durch Schreiben vom 04.07.2003 mit, sie sei leider mit den Zahlungen in Verzug geraten. Der durch die Einschaltung der F -Gesellschaft erhoffte Liquiditätseffekt sei nicht eingetreten.

Die Arbeitgeberin leistete nachweisbar ferner keine Zahlungen an die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (Schreiben vom 17.01.2003 und vom 10.02.2003). Gefordert wurden 32.803,28 EUR einschließlich Zinsen. Deswegen wandte sich die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben mit Schreiben vom 12.02.2003 an das AG. Auch die Beklagte, die von der Arbeitgeberin keine Zahlungen erhalten hatte, beantragte unter dem 22.04.2003 beim AG die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Tabellenauszugs über 33.265,19 EUR.

Die Versuche der Arbeitgeberin, einen Investor zu finden, um wieder Liquidität zu erhalten, blieben erfolglos. Eine Rettungsbeihilfe der Sächsischen Aufbaubank über 400.000,00 EUR wurde nicht ausgezahlt, weil die Beihilfe nur unter der Bedingung gewährt werden sollte, dass sie nicht zur Erfüllung ausstehender Quoten aus dem Insolvenzplan verwendet werden dürfe. Schließlich beantragte der Geschäftsführer am 21.05.2003 erneut die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und gab gegenüber dem AG an, dass die vom Insolvenzplan vorausgesetzte und erwartete Liquidität nicht habe geschaffen werden können.

Der Insolvenzverwalter beschrieb die Entwicklung der wirtschaftlichen Situation in seinem Gutachten vom 17.06.2003 wie folgt (Seite 10 f. und 15): "Innerhalb kurzer Zeit nach Einstellung des vorangegangenen Insolvenzverfahrens wurde jedoch deutlich, dass durch den laufenden Geschäftsbetrieb nicht so viel Liquidität generiert werden konnte, wie zum Ausgleich sämtlicher Verbindlichkeiten - hier insbesondere auch solcher aus dem o.g. Insolvenzplan - notwendig war. Weitere Maßnahmen, wie der Forderungsverkauf an die D F AG sowie der Versuch des Abschlusses eines "sale und lease-back-Vertrages" hinsichtlich der Betriebsimmobilie, brachten nicht das gewünschte Ergebnis. Dies hatte zur Folge, dass die Geschäftsleitung der Schuldnerin nunmehr erneut einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über deren Vermögen stellen musste. Was die Ursachen für die Zahlungsschwierigkeiten der Gemeinschuldnerin anbelangt, so teilte deren Geschäftsführer im Verlauf der gerichtlichen Anhörung diesbezüglich bereits mit, dass insbesondere die im Insolvenzplan verankerten Zahlungen nicht fristgerecht geleistet werden können, weil hierfür nicht ausreichend Liquidität vorhanden ist. Nach seiner Ansicht wurde bei der Planerstellung der positive Effekt für die Generierung neuer Liquiditäten nicht richtig beurteilt.

Darüber hinaus ist aber heute auch bereits ersichtlich, dass die Gemeinschuldnerin weiterhin mit Problemen konfrontiert ist, welche bereits zu dem vorangegangenen Insolvenzverfahren geführt haben. In diesem Zusammenhang seien hier noch einmal die folgenden Ursachen kurz erwähnt: - schlechter Konjunkturverlauf am Möbelmarkt; - überhöhte Personalkosten; - hohe Produktionskosten aufgrund veralteter Anlagen; - Fehlen einer klaren Marktstrategie.

Zwar wurde im Zuge der Umsetzung des Insolvenzplanes auf diese Problemgruppe mit eingegangen, jedoch wurden diese – wiederum mangels ausreichender Liquidität – lediglich unzureichend berücksichtigt, so dass kaum bzw. keine deutlichen ertragswirksamen Veränderungen herbeigeführt wurden.

Ausgangspunkt der Ermittlungen waren die vorliegende Bilanz des Jahres 2001 sowie die vorläufige Bilanz per 31. Dezember 2002 und die aktuellen betriebswirtschaftlichen Auswertungen.

Anhand obiger Abschlüsse ist zunächst ersichtlich, dass die Gemeinschuldnerin per 30. Juni 2001 (Vortag der Eröffnung des vorausgegangenen Insolvenzverfahrens) einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag in Höhe von EUR 2.429.161,19 auszuweisen hat.

Im Zuge des anschließenden Insolvenzplanverfahrens konnte sodann durch die Verzichte der Gläubiger ein außerordentlicher Gewinn in Höhe von EUR 4.051.391,62 realisiert werden. Nach Anrechnung auf den Verlustvortrag in Höhe von EUR 2.454.725,79 wurde der verbleibende Betrag in Höhe von EUR 1.596.665,83 der Gewinnrücklage zugeführt, so dass im Ergebnis per 31. Dezember 2001 kein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag mehr auszuweisen war.

Da jedoch, wie an anderer Stelle dieses Gutachtens bereits erwähnt, die Ursachen für die Liquiditätsschwierigkeiten der Gemeinschuldnerin im Wesentlichen nicht beseitigt wurden/werden konnten, schloss diese das Geschäftsjahr 2002 wiederum mit einem vorläufigen Verlust in Höhe von gerundet 476.000,00 EUR ab. Zwar gelang es ihr, ein annähernd ausgeglichenes Betriebsergebnis zu erzielen, jedoch führten Zinsaufwendungen und ein außerordentlicher Aufwand, welche sämtlichst in Zusammenhang mit der Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem Insolvenzplan stehen, schlussendlich zu dem o.g. Negativergebnis.

Diese Entwicklung setzte sich auch in den Monaten Januar bis Mai 2003 fort. Auch hier gelang es der Schuldnerin nicht, ausreichende Liquidität zu generieren, um sämtliche Verbindlichkeiten zu erfüllen. Für den Gesamtzeitraum Januar bis Mai 2003 ist insofern ein vorläufiger Verlust in Höhe von gerundet EUR 767.000,00 festzustellen.

Insgesamt wirkte/wirkt sich der anhaltende Negativtrend bei der Gemeinschuldnerin derart auf deren Liquiditätslage aus, dass sie nicht in der Lage ist, ihren Zahlungsverpflichtungen fortlaufend und vor allem zeitnah nachzukommen. Sämtliche Bemühungen, zusätzliche liquide Mittel zu erhalten, schlugen bisher fehl."

Der Senat hat nach alledem keinen Zweifel daran, dass die Arbeitgeberin zu keinem Zeitpunkt nach Aufhebung des ersten Insolvenzverfahrens wieder ausreichend Liquidität erlangt hat, um ihre fälligen Geldschulden im Allgemeinen dauerhaft erfüllen zu können. Daher ist es auch unbeachtlich, dass die Arbeitgeberin infolge der sich aus dem Insolvenzplan für den Monat Januar 2002 ergebenden Stundung für die Dauer eines Monats keinen Forderungen aus dem Insolvenzplan ausgesetzt war. Eine dauerhafte Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit war damit gerade nicht verbunden, wie die weitere Entwicklung zeigte.

II. Gleichwohl ist die erneute Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 19.06.2003 ein hinreichendes Insolvenzereignis, um einen erneuten Anspruch auf Insg begründen zu können.

Wird – wie hier – das sich an die Aufhebung des Insolvenzverfahrens anschließende Insolvenzplanverfahren nicht durch den Insolvenzverwalter überwacht, ist § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III unter Beachtung der RL 80/987/EWG in der hier maßgeblichen Fassung der RL 2002/74/EG (Abl. L 270, 10) richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass auch ein nachfolgendes zweites "formelles" Insolvenzereignis bei fortbestehender Insolvenz ausreichend ist, einen Anspruch auf Insg auszulösen, wenn durch den nationalen Gesetzgeber nachfolgende Insolvenzverfahren nicht mit dem vorhergehenden Insolvenzverfahren zu einem Gesamtverfahren zusammengefasst sind.

1. Das BSG hat sich zu diesem hier vorliegenden Sachverhalt noch keine abschließende Meinung gebildet.

Das BSG hat in seinem Urteil vom 21.11.2002 (B 11 AL 35/02 RBSGE 90, 157, 161 = SozR 3-4300 § 183 Nr. 3) ausgeführt, der Auslegung des § 183 Abs. 1 SGB III stünden auch nicht die Mindestanforderungen der Richtlinie des Rates vom 20.10.1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (RL 80/987/EWG, Abl. L 283, 23) entgegen. Allerdings entspreche es dem in Art. 2 Abs. 1 EWGRL 80/987 definierten Begriff der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, dass u.a. an die Eröffnung eines nach den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaates vorgesehenen Verfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers zur gemeinschaftlichen Befriedigung seiner Gläubiger angeknüpft werde. Das BSG (a.a.O.) hat den Erwägungen zur Richtlinie 2002/74/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.09.2002 zur Änderung der RL 80/987/EWG (Abl L 270, 10) entnommen, dass die Vorschriften der Richtlinie der aktuellen Rechtsentwicklung im Insolvenzrecht nicht entgegenstehen sollten, und auf Nr. 5 der Erwägungen in der RL 2002/74/EG hingewiesen, wonach die Mitgliedstaaten zur Bestimmung der Zahlungspflicht der Garantieeinrichtung vorsehen könnten, "dass für den Fall, dass das Vorliegen einer Insolvenz zu mehreren Insolvenzverfahren führt, die Situation so behandelt wird, als würde es sich um ein einziges Insolvenzverfahren handeln". Diesem Ziel entsprechend beschreibe Art. 2 Abs. 1 RL 80/987/EWG in seiner aktuellen Fassung das für die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers maßgebende Insolvenzverfahren nunmehr als "Gesamtverfahren", das die Insolvenz des Arbeitgebers sowie die Bestellung eines Verwalters oder einer Person, die eine ähnliche Funktion ausübe, zur Folge habe. Die durch die Neufassung bewirkte Öffnung des Begriffs Zahlungsunfähigkeit belege, dass unbeschadet der durch die Richtlinie festgelegten Mindestanforderungen von einem einheitlichen Insolvenzereignis jedenfalls dann ausgegangen werden könne, wenn ein Insolvenzplan aufgestellt und genehmigt werde und die Aufhebung des Insolvenzplanes mit der gleichzeitigen Anordnung der Überwachung der Planerfüllung durch den Insolvenzverwalter nach Maßgabe der §§ 260 ff. InsO angeordnet werde. Wenn während des Zeitraums der Planüberwachung ein neuer Insolvenzantrag gestellt werde, werde damit die auch im Zeitpunkt der Einstellung des vorherigen Insolvenzverfahrens noch anzunehmende Zahlungsunfähigkeit nur erneut offenkundig. Ob sich an der Beurteilung des Verfahrens als Gesamtverfahren im Sinne der Richtlinie etwas ändere, wenn nach Genehmigung eines Insolvenzplanes und Einstellung des Insolvenzverfahrens keine Planüberwachung angeordnet ist oder diese später wieder aufgehoben wird, hat das BSG ausdrücklich offen gelassen.

2. Aus der Entstehungsgeschichte und der Systematik der RL 80/987/EWG in der Fassung der RL 2002/74/EG ergibt sich, dass jedenfalls ab deren Inkrafttreten auch für die Auslegung des SGB III und damit für den hier streitigen Insg-Zeitraum (a) zwingend die dort genannten, formell definierten Insolvenzereignisse anspruchsbegründend sind (b), sofern nicht ein Fall der nach Art. 10 RL 80/987/EWG zulässigen Missbrauchabwehr vorliegt (c) oder der nationale Gesetzgeber von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, mehrere formell selbständige Insolvenzverfahren zu einem Gesamtverfahren zusammenzufassen (d).

a) Die RL 80/987/EWG ist hier für die Auslegung des nationalen Rechts in der maßgeblichen Fassung der RL 2002/74/EG anzuwenden. Art. 3 RL 2002/74/EG bestimmt, dass die RL am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, mithin am 08.10.2002, in Kraft tritt. Der Umstand, dass die Mitgliedstaaten spätestens bis zum 08.10.2005 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um die RL umzusetzen, zu erlassen haben, steht einer sofortigen Anwendung nicht im Wege, weil die nachfolgend genannten Vorschriften bereits zuvor im SGB III und im Arbeitsförderungsgesetz umgesetzt waren. In der InsO ist im Übrigen der Fall nicht vorgesehen, dass an die Stelle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens sogleich das Insolvenzplanverfahren tritt. Insofern war es nicht nötig, weitere Insolvenzereignisse in § 183 SGB III aufzunehmen. Zudem war hier zuerst das Insolvenzverfahren, dem sich ein Insolvenzplanverfahren und dann ein weiteres Insolvenzverfahren anschloss.

b) Nach Art. 2 Abs. 1 RL 80/987/EWG gilt ein Arbeitgeber als zahlungsunfähig, wenn die Eröffnung eines nach den Rechts- und Verwaltungsvorschriften eines Mitgliedstaats vorgeschriebenen Gesamtverfahrens beantragt worden ist, das die Insolvenz voraussetzt und den teilweisen oder vollständigen Vermögensbeschlag gegen diesen Arbeitgeber sowie die Bestellung eines Verwalters oder einer Person, die eine ähnliche Funktion ausübt, zur Folge hat, und wenn die aufgrund der genannten Rechts- und Verwaltungsvorschriften zuständige Behörde a) die Eröffnung des Verfahrens beschlossen hat oder b) festgestellt hat, dass das Unternehmen oder der Betrieb des Arbeitgebers endgültig stillgelegt worden ist und die Vermögensmasse nicht ausreicht, um die Eröffnung des Verfahrens zu rechtfertigen. Nach Art. 3 Satz 2 RL 80/987/EWG sind die Ansprüche, deren Befriedigung die Garantieeinrichtung übernimmt, die nicht erfüllten Ansprüche auf Arbeitsentgelt für einen Zeitraum, der vor und/oder gegebenenfalls nach einem von den Mitgliedstaaten festgelegten Zeitpunkt liegt. Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 RL 80/987/EWG erlaubt den Mitgliedstaaten die Zahlungspflicht der Garantieeinrichtungen der Dauer nach zu begrenzen. Nach Art. 4 Abs. 2 Satz 2 RL 80/987/EWG darf die Dauer einen Zeitraum, der die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses und die damit verbundenen Ansprüche auf Arbeitsentgelt umfasst und der vor und/oder nach dem Zeitpunkt gemäß Art. 3 liegt, nicht unterschreiten.

aa) Zum Hintergrund der in Art. 2 Abs. 1 RL 80/987/EWG neu geschaffenen Regelungen wird im Kommissionsvorschlag vom 15.01.2001 zur Änderung der RL 80/987/EWG ausgeführt (KOM [2000] 832 – 2001/0008 [COD]): "4. ERÖRTERUNG DER PROBLEME UND LÖSUNGSVORSCHLÄGE 4.1. Geltungsbereich und Begriffsbestimmungen: Notwendigkeit einer Anpassung an die gewandelten Verhältnisse 4.1.1. Begriff der Zahlungsunfähigkeit. Dieser Begriff sollte weiter gefasst und gleichzeitig stärker in Einklang mit anderen Gemeinschaftsrichtlinien gebracht werden

Erweiterung des Begriffes

Die Richtlinie 80/987/EWG gilt für Ansprüche von Arbeitnehmern gegen Arbeitgeber, die zahlungsunfähig im Sinne der in der Richtlinie verwendeten Definition geworden sind.

Artikel 2 der Richtlinie in der zur Zeit geltenden Fassung definiert die Zahlungsunfähigkeit durch Bezugnahme auf die nach den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehenen Verfahren über das Vermögen des Arbeitgebers zur gemeinschaftlichen Befriedigung seiner Gläubiger.

In seinem Urteil vom 9. November 1995 in der Rechtssache C-479/937 hat der Gerichtshof diesen Begriff wörtlich ausgelegt und entschieden, dass die Richtlinie für alle Arbeitnehmer gilt, deren Arbeitgeber nach dem für sie geltenden nationalen Recht einem Verfahren zur Liquidation ihres Vermögens unterliegen können.

Nach Auffassung der Kommission ist angesichts dieser engen Auslegung eine Anpassung des gemeinschaftsrechtlichen Zahlungsunfähigkeitsbegriffs erforderlich, die zum einen dem sozialen Zweck der Richtlinie sowie den jüngsten Entwicklungen des Insolvenzrechts in den Mitgliedstaaten Rechnung trägt und die zum anderen für eine stärkere Kohärenz mit anderen Gemeinschaftsrichtlinien sorgt.

Der wesentliche soziale Zweck der Richtlinie besteht darin, im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers die nicht erfüllten Lohn- und Gehaltsansprüche von Arbeitnehmern zu schützen; dieses Ziel würde verfehlt, wenn es zulässig wäre, von diesem Schutzbereich die nicht erfüllten Ansprüche von Arbeitnehmern auszunehmen, deren zahlungsunfähige Arbeitgeber keinem Verfahren zur gemeinschaftlichen Befriedigung ihrer Gläubiger (Liquidationsverfahren) unterzogen werden können oder die den verschiedensten sonstigen, immer häufiger anzutreffenden Insolvenzverfahren unterliegen, die aber keine Liquidationsverfahren sind (Vergleichsverfahren, Betriebssanierungsverfahren, Zahlungseinstellung oder ähnliche Verfahren, deren Zweck es ist, den Fortbestand des Unternehmens zu sichern).

Wenngleich in den nationalen Umsetzungsvorschriften ein weiterer als der in der Richtlinie 80/987/EWG verwendete Zahlungsunfähigkeitsbegriff für den Eintritt des Garantiefalls zugrunde gelegt wird, sollte doch auch im Gemeinschaftsrecht eine Definition verankert werden, die dem sozialen Zweck der Richtlinie und der Entwicklung des Insolvenzrechts stärker entspricht.

Abstimmung auf andere Richtlinien Die Frage der Entwicklung des Insolvenzrechts und ihrer Auswirkungen auf das Arbeitsrecht wurde bereits im Zuge der Überarbeitung der Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen (im folgenden: "Richtlinie Unternehmensübergang") angegangen.

Mit der Richtlinie 98/50/EG9 hat der Gemeinschaftsgesetzgeber in die Richtlinie Unternehmensübergang weniger starre Regelungen zugunsten der Unternehmen aufgenommen, die sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befinden. Nach der geänderten Fassung der Richtlinie ist es den Mitgliedstaaten nach wie vor freigestellt, ob sie die Artikel 3 und 4 der Richtlinie (Wahrung der Ansprüche der Arbeitnehmer) auf Unternehmensübergänge im Rahmen von Liquidations-Verfahren anwenden wollen. Gleichzeitig wurde eine neue, flexiblere Regelung eingeführt, die alle Unternehmen begünstigt, die sich in einem Insolvenzverfahren (sei es nun ein Liquidations- oder ein sonstiges Verfahren) befinden: Die Mitgliedstaaten können insbesondere vorsehen, dass die vor dem Übergang fälligen Verbindlichkeiten des Veräußerers aufgrund von Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen insbesondere dann nicht auf den Erwerber übergehen, wenn das Zahlungsunfähigkeitsverfahren den Arbeitnehmern nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats einen Schutz gewährt, der dem von der Richtlinie 80/987/EWG vorgesehenen Schutz zumindest gleichwertig ist. Im Interesse der Kohärenz sollte die gemeinschaftsrechtliche Definition des Begriffs der Zahlungsunfähigkeit dieser neuen Sachlage angepasst werden. Es ist nämlich dafür zu sorgen, dass die zugunsten der Unternehmen, deren Unternehmenseinheit übergeht, eingeführte flexible Regelung durch den von der Richtlinie 80/987/EWG gewährleisteten Mindestschutz für die Arbeitnehmer ergänzt wird.

Die Kommission schlägt vor, die neue Definition des Zahlungsunfähigkeitsbegriffs aus Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren zu übernehmen. Diese Begriffsbestimmung erfasst Konkursverfahren (Liquidation) und sonstige kollektive Insolvenzverfahren."

In Nr. 5 der Erwägungen der RL 2002/74/EG, die erstmals im Entwurf des "Gemeinsamen Standpunktes" des Rates (EG) Nr. 30/2002 vom 18.02.2002 (2002/C 119 E/01) in der Fassung formuliert wird, wie sie in der RL 2002/74/EG in Kraft getreten ist, heißt es:

"Zur Gewährleistung eines angemessenen Schutzes der betroffenen Arbeitnehmer ist es angebracht, die Definition der Zahlungsunfähgkeit der aktuellen Rechtsentwicklung in den Mitgliedstaaten auf diesem Sachgebiet anzupassen und mit diesem Begriff auch andere Insolvenzverfahren als Liquidationsverfahren zu erfassen. In diesem Zusammenhang sollten die Mitgliedstaaten, um zu bestimmen, ob die Garantieeinrichtung zu einer Zahlung verpflichtet ist, vorsehen können, dass für den Fall, dass das Vorliegen einer Insolvenz zu mehreren Insolvenzverfahren führt, die Situation so behandelt wird, als würde es sich um ein einziges Insolvenzverfahren handeln."

bb) Dies bedeutet, dass der europäische Richtliniengeber einerseits die Arten der Insolvenzverfahren gemeinschschaftsrechtlich erweitern wollte, die geeignet sind, einen Anspruch gegen die Garantieeinrichtung zu begründen, er andererseits aber auch dem nationalen Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnen wollte, eine Mehrheit von formell eigenständigen Insolvenzverfahren als ein einheitliches Insolvenzverfahren (Gesamtverfahren) im Sinne der RL zu behandeln. Dies bedeutet wiederum im Umkehrschluss, dass grundsätzlich jedes formell definierte Insolvenzereignis im Sinne der RL 80/987/EWG geeignet ist, einen Anspruch gegen die Garantieeinrichtung zu begründen. Ansonsten hätte es der Nr. 5 der Erwägungen überhaupt nicht bedurft. Dies deckt sich auch mit dem Text der Richtlinie. Art. 2 Abs. 1 RL 80/987/EWG stellt in seiner hier maßgeblichen Fassung – unbeschadet des Umstandes, dass das innerstaatliche Verfahren die nach nationalem Recht zu bestimmende Insolvenz des Arbeitgebers voraussetzt – wie auch schon in der zuvor geltenden Fassung nicht auf einen materiell zu bestimmenden Begriff der Insolvenz ab. Vielmehr wird in Art. 2 Abs. 1 RL 80/987/EWG formuliert, dass unter den dort genannten Voraussetzungen ein Arbeitgeber als insolvent gilt. Mithin lässt die RL 80/987/EWG es genügen, dass eines der beiden formell definierten Ereignisse eintritt, um den Anspruch gegen die Garantieeinrichtung auszulösen. Die RL 80/987/EWG muss daher auch nicht ausdrücklich regeln, ab wann ein Arbeitgeber wieder solvent ist.

c) Allerdings folgt daraus nicht zwingend, dass dann, wenn zwei oder mehrere der in Art. 2 Abs. 1 RL 80/987/EWG genannten Ereignisse beim selben Rechtsträger aufeinander folgen, immer ein neuer Anspruch gegen die Garantieeinrichtung entsteht. Besonders deutlich wird dies in dem Fall, dass eine natürliche Person als Unternehmensträger bei andauernder Insolvenz wiederholt wechselnde Unternehmen eröffnet, die jeweils alsbald ihre geschäftliche Tätigkeit mangels Zahlungsfähigkeit wieder einstellen müssen und eine Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Gesamtverfahrens) mangels Masse nicht in Betracht kommt. Es würde dem Zweck der RL 80/987/EWG zuwiderlaufen, wenn ein Arbeitgeber regelmäßig erneut dieselben Arbeitnehmer im Rahmen der Gründung eines neuen Unternehmens einstellen könnte und sowohl der Arbeitgeber als auch die Arbeitnehmer die Gewissheit hätten, dass jedenfalls die Ansprüche auf Arbeitsentgelt für drei Monate von der Garantieeinrichtung (hier der Insg-Versicherung nach dem SGB III) abzudecken wären. Folgerichtig sieht § 183 Abs. 2 SGB III vor, dass nur ein Arbeitnehmer, der in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses weitergearbeitet oder die Arbeit aufgenommen hat, Anspruch auf Insg für die dem Tag der Kenntnisnahme vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses hat. Hiernach hätte ein Arbeitnehmer beim zuvor dargestellten Sachverhalt einer Mehrheit von formellen Insolvenzereignissen keinen neuen Anspruch auf Insg, wenn man mit der Rechtsprechung des BSG von der Sperrwirkung des einmal eingetretenen Insolvenzereignisses bei fortbestehender Zahlungsunfähigkeit ausgeht. Gemeinschaftsrechtlich handelt es sich dabei, soweit § 183 Abs. 2 SGB III in der Auslegung des BSG einen Anspruch auf Insg nicht eröffnet, sondern ausschließt, um eine durch Art. 10 RL 80/987/EWG eingeräumte Möglichkeit, "die zur Vermeidung von Missbräuchen notwendigen Maßnahmen zu treffen." Ein Missbrauch kann danach durch § 183 Abs. 2 SGB III verhindert werden, wenn die Insolvenz andauert und ein neues, formell beachtliches Insolvenzereignis nach Art. 2 Abs. 1 RL 80/987/EWG eintritt.

Die in diesem Spannungsviereck von gemeinschaftsrechtlicher formeller Betrachtung der Insolvenz, größtmöglichem Schutz des vorleistungspflichtigen Arbeitnehmers, materieller Betrachtung der Insolvenz nach dem SGB III und Verhinderung von Missbräuchen zu beantwortende Frage ist – bezogen auf den hier streitigen Sachverhalt – die, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitnehmer schutzwürdig ist, der im selben oder in einem anderen Betrieb des insolventen Unternehmensträgers weiterarbeitet, wenn es zu einem für den Arbeitnehmer erkennbaren formellen Insolvenzverfahren kommt, das nach seiner Eröffnung vom Insolvenzgericht (der zuständigen Behörde im Sinne des Art. 2 Abs. 1 RL 80/987/EWG) gerade zu dem Zweck aufgehoben wird, dem Unternehmensträger die Fortführung des Unternehmens zu ermöglichen, und wenn das sich anschließende, nicht überwachte Insolvenzplanverfahren in ein neues Insolvenzverfahren einmündet.

Nach Auffassung des erkennenden Senats kann dem Arbeitnehmer nicht angesonnen werden, die Liquidität des Unternehmens zu beurteilen, um daran sein Verhalten, insbesondere eine mögliche Kündigung auszurichten, wenn er davon ausgehen darf, dass aufgrund einer für ihn in den Einzelheiten nicht durchschaubaren Prüfung der bisherige Arbeitgeber mit behördlicher Zustimmung gleichsam grünes Licht für die Fortsetzung seiner wirtschaftlichen Betätigung erhalten hat. Hierbei kommt es nicht darauf an, dass das Insolvenzgericht nur in einem eingeschränkten Umfang eine inhaltliche Richtigkeitsprüfung und -gewähr übernimmt (Braun, SGb 2009, 437, 439; dazu, wann nach § 231 Abs. 1 Nr. 3 InsO ein Insolvenzplan bei Fortführung offensichtlich nicht erfüllbar ist, vgl. Lüer in Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 231 Rn. 34; Rattunde in Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, 3. Aufl., § 250 Rn. 16). Insoweit darf davon ausgegangen werden, dass die Gläubiger im Rahmen eines nicht überwachten Insolvenzplans nicht vorsätzlich einer Lösung zustimmen werden, die ihren wirtschaftlichen Interessen schadet. Zudem übt der Insolvenzverwalter, der aus tatsächlicher Sicht regelmäßig maßgeblich an der Erarbeitung eines Insolvenzplans beteiligt ist, als besonderes Rechtspflegeorgan ein Amt aus (h. M.: Andres in Andres/Leithaus, InsO, § 80 Rn. 4; App in Frankfurter Kommentar zur InsO, 6. Aufl., § 80 Rn. 26 m. w. N. zur Rechtsprechung; App, a. a. O., Rn. 27 ff. zu weiteren Theorien über die Rechtsnatur des Insolvenzverwalters; siehe ferner Uhlenbruck in ders., InsO, 13. Aufl., § 80 Rn. 78 ff.). Vor diesem Hintergrund muss sich der einzelne Arbeitnehmer darauf verlassen können, dass er bei einem nicht überwachten Insolvenzplan nach vorausgegangener ordnungsgemäßer Aufhebung des Insolvenzverfahrens für die Zeit nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens wieder vom Schutz der Insg-Versicherung erfasst wird. Eine Modifizierung der formellen gemeinschaftsrechtlichen Betrachtung durch ein materielles Verständnis der Insolvenz im Sinne des SGB III wäre als Form der Missbrauchsabwehr durch Art. 10 RL 80/987/EWG nicht gedeckt. Hierauf käme es nur dann nicht an, wenn der Gesetzgeber unter Berufung auf den Erwägungsgrund Nr. 5 in der RL 2002/74/EG selbst deutlich machen würde, dass ein nachgelagertes Insolvenzplanverfahren auch bei einer fehlenden Überwachung des Insolvenzplans durch den Insolvenzverwalter zusammen mit dem nachfolgenden zweiten Insolvenzfahren lediglich Teil des vorangegangenen ersten Insolvenzverfahrens ist und der Arbeitnehmer daher nicht darauf vertrauen darf, dass er bei Arbeitsentgeltausfällen einen Anspruch gegen die Insg-Versicherung hat. Hierdurch hat der Richtliniengeber zugleich zu erkennen gegeben, dass derartige Konstellationen wie die hier streitige gerade keine Sachverhalte sind, die durch im Einzelnen in der Richtlinie nicht geregelte allgemeine Missbrauchsabwehrvorschriften des nationalen Rechts zu bewältigen sind.

d) Der bundesdeutsche Gesetzgeber hat bisher für den hier vorliegenden Sachverhalt nicht angeordnet und die näheren Voraussetzungen bestimmt, unter denen ein zweites Insolvenzverfahren, das einem ersten Insolvenzverfahren mit angeschlossenem und formell beendetem Insolvenzplanverfahren erst mit zeitlichem Abstand folgt, nur unselbständiger Teil des ersten Insolvenzverfahrens ist.

3. Die hier vertretene, gemeinschaftsrechtlich abgeleitete Auffassung wird durch folgende Gesichtspunkte zusätzlich gestützt. a) Es handelt sich damit zugleich um eine wirtschafts- und sozialpolitische Entscheidung von nicht bloß untergeordneter Tragweite, ob der Gesetzgeber die Arbeitnehmer bei (zumindest scheinbar) besonders aussichtsreichen Unternehmenssanierungen, bei denen auf die Überwachung des Insolvenzplans verzichtet wird, zu einem Verbleib im Unternehmen ermutigen will oder in Kauf nimmt, dass die Belegschaft bei der ersten erneuten Krise dem Unternehmen den Rücken kehrt und sich arbeitslos meldet, um in den Genuss von Arbeitslosengeld zu kommen. Zudem kann nur bei einer derartigen Klarstellung, dass das nicht überwachte Insolvenzplanverfahren ein Teil des vorausgegangenen Insolvenzverfahrens bleibt und an die Weiterbeschäftigung keine Insg-Ansprüche geknüpft werden können, der Arbeitnehmer damit rechnen, dass er, wenn er bei der ersten wahrscheinlichen oder bereits eingetretenen geringen Lohnstockung kündigt und sich arbeitslos meldet, nicht sofort mit der Feststellung von Sperrzeitfolgen zu rechnen hat. Auch unter diesem Gesichtspunkt wäre eine den Insg-Anspruch wegen andauernder Insolvenz ausschließende Auffassung eine unbefriedigende Lösung, die den Arbeitnehmer unangemessen belasten würde.

b) Schließlich kommt hinzu, dass der Insolvenzverwalter und die Gläubiger, wenn sie eine Fortführung des Unternehmens wünschen und wollen, dass die Arbeitnehmer erneut abgesichert sind, auch den Weg einer übertragenden Sanierung gehen könnten, indem für das insolvente Unternehmen ein neuer Unternehmensträger geschaffen wird. Insoweit bestimmt § 260 Abs. 3 InsO ausdrücklich, dass im Falle der im Insolvenzplan angeordneten Überwachung sich die Überwachung auch auf die Erfüllung der Ansprüche erstreckt, die den Gläubigern nach dem gestaltenden Teil gegen eine juristische Person oder Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit zustehen, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegründet worden ist, um das Unternehmen oder einen Betrieb des Schuldners zu übernehmen und weiterzuführen (Übernahmegesellschaft). Gerade eine gesetzgeberische Klarstellung, dass auch in einem derartigen Fall ein Gesamtverfahren vorliegt, würde jedenfalls Zufälligkeiten vorbeugen.

4. Nach alledem kann eine ausdrückliche, unter Bezugnahme auf Gemeinschaftsrecht erfolgende gesetzgeberische Entscheidung de lege lata nur dann unterbleiben, wenn der bisherige Unternehmensträger weiterhin unter der Aufsicht des Insolvenzverwalters steht, der die Einhaltung des Insolvenzplans überwacht. Hier muss ein verständiger Arbeitnehmer auch jetzt schon davon ausgehen, dass eine Fortdauer des Amtes des Insolvenzverwalters mit erheblichen Befugnissen für neue Geschäftstätigkeiten nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Einheit des Gesamtverfahrens begründet. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Infolgedessen steht der Klägerin der Anspruch auf Insg zu.

D. Die Kostentenscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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