L 11 AL 397/98

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 AL 694/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AL 397/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufungen der Beklagten gegen die Urteile des Sozialgerichts Nürnberg vom 27. Oktober 1998 werden verworfen, soweit sie die Vergangenheit betreffen, und zurückgewiesen, soweit sie die Zukunft betreffen.
II. Die Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten der Kläger.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger begehren sinngemäß die Feststellung, dass sie für ihre Fahrertätigkeit auf den LKWs eines deutschen Unternehmens im Auftrag ihrer türkischen Arbeitgeberin im grenzüberschreitenden Verkehr in Deutschland keiner Arbeitserlaubnis (AE) bedürfen.

Bei den Klägern handelt es sich um türkische Staatsangehörige, die in der Türkei ihre Wohnsitze haben und als Kraftfahrer im grenzüberschreitenden Güterverkehr tätig sind. Sie sind angestellt bei der B ... Dabei handelt es sich um einen Zweigbetrieb der B. GmbH, S ... Die B. GmbH ist im S. Raum beim Import von türkischem Obst und Gemüse tätig, wobei größtenteils Produkte aus eigener Aufzucht verkauft werden. Der Transport erfolgt über die Türkei, Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Slowakei, Tschechische Republik, Österreich sowie die Bundesrepublik Deutschland. Für die Kläger werden seit Jahren in der Türkei Sozialversicherungsbeiträge abgeführt. Ihnen wurden zuvor jeweils AEs für ihre Tätigkeit im grenzüberschreitenden Verkehr erteilt.

Die Verlängerung der AEs über den 30.09.1996 hinaus wurde jedoch mit Bescheiden der Beklagten vom 30.10.1996 (idF der Bescheide vom 04. und 11.11.1996) idF der Widerspruchsbescheide der Beklagten vom 17.07.1997 zurückgewiesen. Es stünden genügend bevorrechtigte Arbeitnehmer zur Verfügung, die ohne nähere Einarbeitung die Tätigkeit als Fahrer übernehmen könnten. Angesichts der geänderten Rechtsauffassung zu § 9 Nr 2 Arbeitserlaubnisverordnung (AEVO) hätten grundsätzlich im Wege der Übergangsbestimmung nur noch zeitlich befristet bis zum 30.09.1996 AEs nach § 8 Anwerbestoppausnahmeverordnung (ASAV) erteilt werden können. Eine derartige zeitlich befristete Regelung komme grundsätzlich über diesen Stichtag hinaus jedoch nicht in Betracht. Nur für Fahrer, die schon auf Tour waren, seien kurzfristige Verlängerungen erteilt worden (Bescheide vom 04. und 11.11.1996).

Dagegen erhoben die Kläger am 18.08.1997 Klage. Geeignete bevorrechtigte Arbeitnehmer, die an ihrer Stelle problemlos im Nahostverkehr eingesetzt werden könnten, stünden nicht zur Verfügung.

Die Beklagte verwies auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen und führte aus, dass lediglich für einen Übergangszeitraum bis zum 30.09.1996 Ausnahme-AE gemäß § 8 ASAV hätten erteilt werden können. Die Unternehmen hätten Zeit genug gehabt, sich auf die geänderte Rechtslage seit In-Kraft-Treten des § 9 Nr 2 AEVO in der geänderten Fassung mit Wirkung ab dem 10.10.1996 einzustellen.

Mit Urteilen des Sozialgerichts (SG) Nürnberg vom 27.10.1998 ist festgestellt worden, dass die Kläger keiner AEs bedürfen, soweit sie im grenzüberschreitenden Verkehr in Deutschland auf den LKWs der B. GmbH eingesetzt seien. Die Regelung des § 9 Übergangsregelung für Beschäftigungsverhältnisse, die schon vor dem In-Kraft-Treten der Neufassung dieser Vorschrift vom 10.10.1996 bestanden hätten, fehle, für die vorliegenden Fälle weiter anzuwenden.

Im Berufungsverfahren widerspricht die Beklagte der Rechtsansicht des Erstgerichts. Eine hinreichende Übergangsfrist sei gewährt worden. Den Klägern seien AEs bis zum 30.04.1997 erteilt worden. Sie beruft sich auf die Entscheidungsgründe des Urteils des LSG Baden-Württemberg vom 23.05.2000 (Az: L 13 AL 3131/98).

Die Kläger machen Rechte aus der Stillhalteklausel in Art 13 des Beschlusses Nr 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei geltend.

Mit Beschluss vom 26.07.2000 sind die Berufungssachen der Beklagten gegen die Kläger zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des SG Nürnberg vom 27.10.1998, die verbundenen Verfahren betreffend, aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufungen in den verbundenen Verfahren zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird verwiesen auf die Akten des SG Nürnberg (S 5 AL 694/97; S 5 AL 702/97, S 5 AL 704/97; S 5 AL 712/97) und die verbundenen Akten des Senats (L 11 AL 397/98 [führend]; L 11 AL 398/98; L 11 AL 399/98; L 11 AL 400/98). Ihre Inhalte waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), soweit die Feststellung der Arbeitsgenehmigungsfreiheit für die Zukunft zwischen den Beteiligten streitig ist. Dafür ist ein Interesse an alsbaldiger Feststellung gegeben (§ 55 Abs 1 Nr 1 SGG). Die Beklagte ist insoweit durch das Urteil des SG beschwert.

Zwischen den Beteiligten ist die Anwendung öffentlich-rechtlicher Normen, nämlich von Normen des AE-Genehmigungsrechts, auf einen konkreten Sachverhalt streitig. Die Klägerin kann ihr Klageziel nicht mit Hilfe einer Gestaltungs- oder Leistungsklage erreichen.

Der Streit um eine entsprechende Feststellung der AE-Freiheit für Zeiträume, die heute in der Vergangenheit liegen, ist nicht berufungsfähig. Die Beklagte hat trotz entsprechender Hinweise durch den Senat nichts vorgetragen, aus dem sich ein Interesse an alsbaldiger Feststellung bezüglich der Verneinung der AE-Freiheit für die Vergangenheit ergeben könnte. Der Streit hat sich insoweit durch Zeitablauf erledigt. Die Berufung war insoweit mangels Beschwer zu verwerfen.

Die Berufung ist - soweit zulässig - nicht begründet.

Nach der zum Ende der mündlichen Verhandlung vor dem Senat maßgeblichen Sach- und Rechtslage (BSG SozR 3-4210 § 9 Nr 1) bedürfen die Kläger (auch) zukünftig keiner AEs bei ihrer Tätigkeit im grenzüberschreitenden Verkehr für die in Deutschland zurückzulegenden Strecken, solange das die AE-Freiheit gewährende Recht gilt. Für die Zulässigkeit der Klage gilt das zur Berufungsbeschwer oben Ausgeführte entsprechend.

Die rechtliche Grundregelung für die Frage, ob die in Rede stehende Fahrertätigkeit eines türkischen Fahrers im grenzüberschreitenden Güterverkehr auf dem deutschen Teilstück seiner Frachtfahrt arbeitsgenehmigungsfrei ist, geben die §§ 284 ff Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III), das insoweit am 01.01.1998 in Kraft getreten ist (AFRG vom 24.03.1997, Art 83, BGBl I 594 ff [721]).

Nach § 284 SGB III dürfen Ausländer nur mit Genehmigung des Arbeitsamtes eine Beschäftigung im Inland ausüben und von Arbeitgebern nur beschäftigt werden, wenn sie eine solche Genehmigung besitzen. Keiner Genehmigung bedürfen ua Ausländer, wenn dies in zwischenstaatlichen Vereinbarungen, auf Grund eines Gesetzes oder durch Rechtsverordnung bestimmt ist (§ 284 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB III).

Letzteres ist hier der Fall. Die Kläger können sich als türkische Arbeitnehmer auf die zwischenstaatlichen Vereinbarungen berufen, die die Europäische Gemeinschaft mit der Türkei abgeschlossen hat. Diese Vereinbarungen konservieren den Rechtszustand, der zu Beginn der Beschäftigung der Kläger in Deutschland bestanden hat (Stillhalteklausel).

Grundlegend ist das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12.09.1963, transformiert durch das Gesetz zum Assoziierungsabkommen vom 13.05.1964 (BGBl II S 509). Die Vertragsparteien haben in Art 12 des Abkommens vereinbart, sich von den Art 48, 49 und 50 des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft (EGV) leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen. Um die Anwendung und schrittweise Entwicklung der Assoziationsregelung sicherzustellen, treten die Vertragsparteien in einem Assoziationsrat zusammen; dieser wird im Rahmen der Befugnisse tätig, die ihm in dem Abkommen zugewiesen sind (Art 6 des Abkommens). Art 22 des Abkommens befugt den Assoziationsrat, zur Verwirklichung der Ziele des Abkommens und in den darin vorgesehenen Fällen Beschlüsse zu fassen.

Unter dieser Voraussetzung und unter Beachtung des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12.09.1963, transformiert durch das Gesetz vom 19.05.1972 (BGBl II S 385), hat der Assoziationsrat (gem Art 12 des Abkommens und Art 36 des Zusatzprotokolls) den Beschluss Nr 1/80 vom 19.09.1980 (ANBA 1981 S 4 bis 6) erlassen.

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - hat in ständiger Rechtsprechung festgestellt, dass einige Bestimmungen des ARB 1/80 unmittelbar anzuwendendes Gemeinschaftsrecht sind und sich ein türkischer Arbeitnehmer unmittelbar darauf berufen kann (zB im Urteil vom 23.01.1997 - Rs. C-171/75 "T." in NVwZ 1997 S 677 RdNr 15 bis 18, 22; vgl auch BVerwGE 98, 31 [33]). So entfaltet auch die in Art 13 ARB 1/80 enthaltene Stillhalteklausel zwischen den Mitgliedstaaten unmittelbare Wirkung (EuGH, Urteil vom 11.05.2000, C-37/98, S., RdNr 49). Art 13 ARB 1/80 lautet: Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei dürfen für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.

Die Stillhalteklausel des Art 13 ARB erfasst auch die streitrelevante Beschäftigung der türkischen Fahrer auf den deutschen Teilstrecken seiner grenzüberschreitenden Tätigkeit.

Seinem eindeutigen Wortlaut nach setzt Art 13 ARB nur voraus, dass Aufenthalt und Beschäftigung des türkischen Arbeitnehmers im Inland des Mitgliedstaates ordnungsgemäß sind. Dabei kann ordnungsgemäß keine weitere Bedeutung als legal haben. Legal sind Beschäftigung und Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates, wenn diese im Einklang mit den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Mitgliedstaates erfolgen (EuGH Urteil vom 26.11.1998 - Rs. C-1/97 [B.] Rdnrn 50, 51, 52 = NVwZ 1999, 1099; BVerwGE 98, 31 [34]).

Die auf die deutschen Teilstrecken entfallende Beschäftigung der Kläger war ursprünglich ordnungsgemäß iS des Art 13 ARB 1/80. Denn ein türkischer Fahrer bedurfte nach § 9 Nr 2 der am 01.04.1971 in Kraft getretenen AEVO vom 02.03.1971 (BGBl I S 152) auch idF der Zehnten Verordnung zur Änderung der AEVO vom 01.09.1993 (BGBl I S 1527) als fahrendes Personal im grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr keiner AE.

Die Kläger hielten sich während ihrer Arbeit in Deutschland auch mit Visa der dafür zuständigen Behörden ordnungsgemäß iS des Art 13 ARB 1/80 im Bundesgebiet auf.

Schließlich gehört die Tätigkeit der Kläger im grenzüberschreitenden Güterverkehr auf den deutschen Teilstrecken auch zu dem in Art 13 ARB 1/80 benannten Arbeitsmarkt. Diese Regelung erfasst vom Wortlaut her jede Beschäftigung eines türkischen Arbeitnehmers in einem Mitgliedstaat, auch zB eine geringfügige oder eine solche, die ihren tatsächlichen oder arbeitsrechtlichen Schwerpunkt in der Türkei hat. Denn der Begriff "ordnungsgemäße Beschäftigung" knüpft an das inländische Recht an (BVerwGE 98, 31 [34, 35]). Nach inländischem (deutschem) Recht werden vom AE-Recht ausnahmslos alle Arbeitsverhältnisse von Ausländern im Inland erfasst. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 284 SGB III, der uneingeschränkt alle Beschäftigungen von Ausländern im Inland erfasst, und auch aus der Verordnungsermächtigung des § 288 Abs 1 SGB III, wonach durch Verordnung ausnahmsweise bestimmte Ausländerbeschäftigungen von der Genehmigungspflicht ausgenommen werden dürfen. Dh, auch soweit Arbeitsgenehmigungsfreiheit besteht, basiert diese auf einer Arbeitsgenehmigungsregelung. Folgerichtig hat das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung über die in Rede stehende Beschäftigung von türkischen LKW-Fahrern Regelungen im § 9 Nr 2 AEVO bzw § 9 Nr 3 Arbeitsgenehmigungsverordnung (ArGV) getroffen. § 13 ArGV stellt systemkonsequent regelnd klar, dass im Vergleich zu den Bestimmungen der ArGV günstigere Regelungen des ARB 1/80 über den Zugang türkischer Arbeitnehmer zum Arbeitsmarkt unberührt bleiben.

Eine neue Beschränkung für den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt wurde jedoch für ausländische, somit auch türkische Arbeitnehmer, die im grenzüberschreitenden LKW-Verkehr eingesetzt sind, durch die am 10.10.1996 in Kraft getretene Verordnung (BGBl I S 1491) zur Änderung des AE-Rechts vom 30.09.1996 geschaffen, indem § 9 Nr 2 der AEVO nochmals verändert wurde.

Die AEVO in ihrer Ursprungsfassung regelte in § 9 Nr 2, dass "keiner AE bedürfen ... 2. das fahrende Personal im grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr ..." Die Zehnte Verordnung zur Änderung der AEVO vom 01.09.1993 (BGBl I S 1527) legte mit Wirkung vom 01.09.1993 fest, dass "keiner AE bedürfen ... 2. das fahrende Personal im grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr bei Arbeitgebern mit Sitz im Ausland". Damit wurde geregelt, dass die AE-Freiheit nur im Falle der "Einstrahlung" der Tätigkeit auf deutsches Gebiet bei Beschäftigung durch einen im Ausland ansässigen Unternehmer gewährt wird. Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 10.03.1994 (SozR 3-4210 § 9 Nr 1) klargestellt, dass die Normänderung zum 01.09.1993 nicht nur deklaratorische, sondern konstitutive Bedeutung hatte und eine materiell-rechtliche, einengende Modifizierung der bisherigen Vorschrift gebracht hat. In der Folgezeit haben sich Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung der ab 01.09.1993 gültigen Neufassung des § 9 Nr 2 AEVO ergeben. Die Beklagte hat die Meinung vertreten, dass die Vorschrift des § 9 Nr 2 AEVO nur für ausländische Kraftfahrer gelten könne, die bei einem im Ausland ansässigen Unternehmer beschäftigt sind und wenn zudem die benutzten Fahrzeuge im Sitzstaat des Unternehmers zugelassen seien. Nicht unter die Befreiungsvorschrift sollten nach Meinung der Beklagten im Ausland wohnende Kraftfahrer fallen, die LKWs von einem in Deutschland ansässigen Unternehmen fahren. Die Beklagte hat den betroffenen Unternehmen bzw ausländischen Arbeitnehmern, soweit in Deutschland zugelassene LKWs gefahren wurden, jedoch aus Gründen des Vertrauensschutzes eine Übergangsfrist für die Umstellung auf die ihrer Ansicht nach schon ab 01.09.1993 auch insofern geänderte Rechtslage eingeräumt und den betroffenen ausländischen Arbeitnehmern ab Mitte 1995 bis insgesamt 30.04.1997 AEs gewährt. Diese Verwaltungspraxis beruhte auf Weisungen des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung.

Mit der Änderung der AEVO vom 30.09.1996, die mit Wirkung vom 10.10.1996 in Kraft trat, wurde der Wortlaut des § 9 Nr 2 AEVO an die schon zuvor vom Verordnungsgeber vertretene Rechtsmeinung angepasst und noch enger gefasst. Danach bedarf nun nur noch "keiner AE ... 2. das fahrende Personal im grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr bei Arbeitgebern mit Sitz im Ausland, sofern a) das Fahrzeug im Sitzstaat des Arbeitgebers zugelassen ist, b) das Fahrzeug im Geltungsbereich der Verordnung zugelassen ist für eine Tätigkeit der Arbeitnehmer im Linienverkehr mit Omnibussen." Die AEVO ist schließlich durch die ArGV vom 17.09.1998 (BGBl I S 2899) mit Wirkung vom 25.09.1998 abgelöst worden. Die Bestimmungen des § 9 Nr 2a, b AEVO im hier relevanten Umfange finden sich inhaltsgleich nunmehr in § 9 Nr 3a, b ArGV.

Mit der Neufassung des § 9 Nr 2a AEVO zum 10.10.1996 trat auch für türkische LKW-Fahrer formal eine wesentliche Beschränkung für den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt ein. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Übergangsregelung in die Verordnung hätte aufgenommen werden müssen. Eine solche Übergangsregelung wäre heute in jedem Falle abgelaufen. Der VO-Geber hat durch seine Weisung an die Beklagte und durch die Wiederholung der Neuregelungen vom 10.10.1996 in der ArGV ca zwei Jahre später zu erkennen gegeben, dass er allenfalls eine knappe und keinesfalls über den Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der ArGV zum 25.09.1998 hinaus geltende Übergangsregelung wollte.

Zusammenfassend ist also festzustellen, dass eine wesentliche Einschränkung des Zugangs von ausländischen LKW-Fahrern zum deutschen Arbeitsmarkt ab 10.10.1996, allenfalls wegen einer etwa notwendigen Übergangsregelung etwas später, eingetreten ist.

Die Neuregelung war - anders als die Beklagte meint - konstitutiv und nicht nur deklaratorisch. Die bis zum 10.10.1996 gültige Fassung des § 9 Nr 2 AEVO war mit der Neuregelung nicht identisch. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Vergleich des Wortlauts beider Regelungen. Zudem kann grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden, dass bei Rechtsminderungen diese über ihren Wortlaut hinaus auszulegen sind. Zumal wenn - wie im vorliegenden Regelungstatbestand - die beiden Änderungen - jeweils für sich gesehen - wesentliche Rechtsminderungen für die Betroffenen brachten. Für eine konstitutive Änderung des § 9 Nr 2a AEVO zum 10.10.1996 spricht auch die vorher nicht gegebene Differenzierung in § 9 Nr 2a) und § 9 Nr 2b) AEVO. In der letztgenannten Vorschrift wird auch - wie bisher - ab 10.10.1996 nicht zur Voraussetzung einer AE-Freiheit gemacht, dass die Fahrzeuge (hier Omnibusse) im Ausland zugelassen sind.

Diese generelle Einschränkung der AE-Freiheit für ausländische LKW-Fahrer ab 10.10.1996 verstößt gegen das Assoziationsrecht und ist deshalb für die türkischen Kläger unbeachtlich. Für sie gilt die bis zum 09.10.1996 gültige Regelung weiter, so dass sie auf den deutschen Teilstrecken ihrer grenzüberschreitenden Frachtrouten weiterhin AE-frei fahren dürfen. Die ArGV stellt - insofern systemkonsequent - in § 13 klar, dass günstigere Regeln des Beschlusses Nr 1/80 des Assoziationsrates den Bestimmungen der ArGV vorgehen.

Der Schutzbereich des Art 13 ARB erfasst nicht nur seinem Wortlaut nach, sondern auch von Sinn und Zweck her den Schutz der im grenzüberschreitenden Verkehr eingesetzten türkischen Arbeitnehmer. Der Beschluss 1/80 ARB beinhaltet einen weiteren durch die Art 48, 49 und 50 EGV geleiteten Schritt zur Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zwischen der Türkei und den Mitgliedstaaten (EuGH Urteil vom 23.01.1997 - Rs. C-171/95 [T.] Rdnrn 19, 20 = NVwZ 1997, 677). Im Lichte dieses Normzweckes erlaubt es der Schutz des inländischen Arbeitsmarktes in Fällen wie den vorliegenden, bei denen der inländische Arbeitsmarkt nur marginal berührt wird, nicht, die Stillhalteklausel restriktiv zu interpretieren, etwa dergestalt, dass nur solche Arbeitsverhältnisse darin einzubeziehen wären, die ihren arbeitsrechtlichen oder ihren faktischen Schwerpunkt im Inland eines Mitgliedstaates haben. Im Gegenteil sind solche Arbeitsverhältnisse in den Schutzbereich des Art 13 ARB einzubeziehen, die nur eine Ausstrahlung eines türkischen Arbeitsverhältnisses in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates bedeuten. Der Beschluss 1/80 ARB ist offensichtlich ein Kompromiss zwischen den Vertragspartnern des Assoziierungsabkommens. Damit sollte einerseits ein wesentlicher Schritt der Freizügigkeit der Arbeitnehmer der Türkei und der Mitgliedstaaten herbeigeführt werden (EuGH Urteil vom 20.09.1990 - Rs. C-192/89 [S.] Rdnr 20 = NVwZ 1991 S 255). Andererseits war weiterer Hintergrund dieses Kompromisses, dass die volle Freizügigkeit von der Türkei für ihre Arbeitnehmer begehrt wurde und die Mitgliedstaaten ihren Arbeitsmarkt vor dem vollen Zugang aller türkischen Arbeitnehmer schützen wollten. Unter diesen Voraussetzungen gibt es offensichtlich keinen Sinn, die Freizügigkeit von türkischen Arbeitnehmern, die den Arbeitsmarkt der Mitgliedstaaten nur - wie im vorliegenden Fall - marginal berühren, stärkeren Einschränkungen zu unterwerfen, als die Freizügigkeit für jene Arbeitnehmer, die ihren arbeitsrechtlichen oder faktischen Schwerpunkt in einem Mitgliedstaat haben. Die letztgenannten Arbeitnehmer stellen nämlich für den Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates eine weit größere Belastung dar als zB die Kläger im vorliegenden Falle.

Dahingestellt bleibt, ob, wie die Beklagte geltend macht, die Kläger oder ihre Arbeitgeberin oder deren deutsche Auftraggeberin gegen das deutsche Güterkraftverkehrsrecht verstoßen. Etwaige derartige Verstöße zu ahnden oder zu unterbinden ist den für das Güterkraftverkehrsrecht zuständigen Behörden und Gerichten aufgegeben und vorbehalten.

Eine unzulässige Arbeitnehmerüberlassung liegt nicht vor. Die Arbeitgeberin der Kläger erbringt die von ihr der deutschen Auftraggeberin geschuldete Leistung, die LKWs an die vereinbarten Ziele zu fahren. Gegen eine unzulässige Arbeitnehmerüberlassung spricht auch grundsätzlich die Regelung in § 9 Nr 3b ArGV, die die AE-Freiheit für das fahrende Personal im grenzüberschreitenden Personenverkehr bei Arbeitgebern mit Sitz im Ausland feststellt, obwohl die Omnibusse im Inland zugelassen sind, für eine Tätigkeit der ausländischen Arbeitnehmer im Linienverkehr. Der Senat sieht keinen Unterschied, was die Frage der Arbeitnehmerüberlassung angeht, zwischen Güter- und Personenverkehr. Er geht auch davon aus, dass der Verordnungsgeber in § 9 Nr 3b ArGV keine AE-Freiheit in Fällen grundsätzlich unzulässiger Arbeitnehmerüberlassung gewähren wollte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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