L 11 AL 397/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AL 858/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AL 397/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 10.11.1999 und der Bescheid der Beklagten vom 29.07.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.08.1999 abgeändert und die Beklagte verpflichtet, über die Erteilung einer Arbeitserlaubnis für eine versicherungspflichtige Beschäftigung an die Klägerin zu entscheiden. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Erteilung einer Arbeitsgenehmigung nach §§ 285, 286 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III).

Die am 1963 geborene Klägerin ist mazedonische Staatsangehörige. In ihrem Heimatland war sie als ungelernte Arbeiterin im Reinigungsbereich tätig. Zusammen mit ihrer Familie reiste die Klägerin am 23.07.1989 in das Bundesgebiet ein. Ihren Asylantrag vom 28.07.1989 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 08.02.1990 als offensichtlich unbegründet ab. Derzeit hält sie sich auf Grund einer bis zum 29.11.2002 befristeten Duldung (§§ 55, 56 Ausländergesetz -AuslG-) in der Bundesrepublik auf.

Am 23.07.1998 beantragte die Klägerin auf Grund ihres lang andauernden Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland und der schweren Behinderung ihrer Tochter V. (geb. 1983) die Erteilung einer Arbeitsgenehmigung in Form einer Arbeitsberechtigung.

Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 29.07.1998 idF des Berichtigungsbescheides vom 05.08.1998 ab, da die ausländerrechtlichen Voraussetzungen im Falle der Klägerin nicht vorlägen.

Der hiergegen am 12.08.1998 eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg. Die Beklagte wies im Widerspruchsbescheid vom 28.08.1998 ergänzend darauf hin, dass im Falle der Klägerin auch keine besondere Härte iSd § 2 Abs 7 der Arbeitserlaubnisverordnung (AEVO; Art 81 Satz 1 des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes) vorlägen, denn es sei nicht ersichtlich, dass eine Beendigung des Aufenthaltes der Klägerin in der Bundesrepublik drohe, weil eine Arbeitsberechtigung nicht erteilt werde.

Dagegen hat die Klägerin am 25.09.1998 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 10.11.1999 abgewiesen. Voraussetzung für die Erteilung einer Arbeitsberechtigung sei eine Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsbefugnis der Klägerin. Ihr Aufenthalt in der Bundesrepublik sei jedoch lediglich geduldet, so dass ihr keine Arbeitsberechtigung erteilt werden könne.

Gegen das ihr am 24.11.1999 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit der am 17.12.1999 beim Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) eingelegten Berufung.

Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis werde ihr im Hinblick auf fehlendes Einkommen verweigert. Einkommen könne sie jedoch nur erzielen, wenn sie eine Arbeitserlaubnis (AE) bzw eine Arbeitsberechtigung besitze. Diese Gesetzeslage verstoße gegen das Grundgesetz (GG) und die Europäische Menschenrechtskonvention.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 05.08.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.08.1998 sowie des Urteils des SG Nürnberg vom 10.11.1999 zu verpflichten, ihr eine Arbeitsgenehmigung zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin erfülle nicht die aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Arbeitsberechtigung. Das Vorliegen im Sinne von § 2 Abs 7 AEVO der bis zum In-Kraft-Treten der Arbeitsgenehmigungsverordnung (ArGV) gegolten habe, sei beim Antrag auf Erteilung einer Arbeitsberechtigung nicht zu überprüfen, sondern lediglich im Rahmen des § 1 Abs 2 ArGV bei der Erteilung einer AE. Diese sei jedoch nicht Gegenstand dieses Rechtsstreites.

Mit Bescheid vom 03.06.2002 hat das Landratsamt E. als zuständige Ausländerbehörde die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis an die Klägerin abgelehnt.

Am 16.07.2002 erteilte die Beklagte der Klägerin eine Arbeitserlaubnis (AE) für eine Tätigkeit bis zu 10 Stunden wochentags bei der Reinigungsfirma D. KG in Nürnberg.

Auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die Ausländerakten des Landratsamtes E. und die Prozessakte des SG und des BayLSG wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz = SGG) ist auch im Übrigen zulässig (§ 144 SGG).

In der Sache erweist sich die Berufung jedoch nur teilweise als begründet. Vorliegend sind die Vorschriften des SGB III und der Arbeitsgenehmigungsverordnung (ArGV) anzuwenden, auch wenn die angefochtenen Bescheide noch unter Geltung der Arbeitsgehemigung (AEVO) ergangen sind. Da die Erteilung einer AE mit einer Verpflichtungsklage nach § 54 Abs 4 SGG begehrt wird, ist in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht regelmäßig auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen (BSG in SozR 4100 § 19 Nr 22 mwN). Übergangsregelungen, die in der vorliegenden Fallkonstellation die weitere Anwendung der AEVO anordnen, sind nicht geschaffen worden.

Nach § 284 Abs 1 Satz 1 SGB III bedürfen Ausländer, die - wie die Klägerin - nicht zu den in Satz 2 der Bestimmung aufgezählten Gruppen gehören, für eine Beschäftigung einer Genehmigung des Arbeitsamtes. Nach Absatz 4 dieser Vorschrift wird die Genehmigung als AE erteilt, wenn nicht Anspruch auf Erteilung einer Arbeitsberechtigung besteht. § 284 Abs 5 SGB III bestimmt, dass eine Arbeitsgenehmigung nur erteilt werden darf, wenn der Ausländer eine Aufenthaltsgenehmigung nach § 5 AuslG besitzt, soweit durch Rechtsverordnung nichts anderes bestimmt ist. Nach § 288 Abs 1 SGB III kann das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung die in den Nrn 1 bis 8 aufgeführten Regelungsgegenstände näher bestimmen. Auf dieser Grundlage ist am 17.09.1998 mit Wirkung zum 25.09.1998 die ArGV erlassen worden (BGBl I, S 2899).

Die Klägerin hat jedoch keinen Anspruch auf eine Arbeitsberechtigung nach § 286 SGB III. Eine solche wird nur erteilt, wenn der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis oder eine Aufenthaltsbefugnis besitzt und a) fünf Jahre rechtmäßig eine versicherungspflichtige Beschäftigung im Bundesgebiet ausgeübt hat oder b) sich seit sechs Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufhält. Da die Klägerin weder eine Aufenthaltserlaubnis noch eine Aufenthaltsbefugnis besitzt, kann sie unmittelbar aus § 286 Abs 1 SGB III keinen Anspruch auf eine Arbeitsberechtigung ableiten. Ein solcher ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der näheren Regelungen der ArGV. § 286 Abs 1 Satz 2 iVm § 288 Abs 1 Nr 6 SGB III sieht vor, dass für einzelne Personengruppen durch Rechtsverordnung Ausnahmen nach Satz 1 Nr 1 zugelassen werden können. Eine Erweiterung der berechtigten Personengruppen ist durch § 2 ArGV vorgenommen worden, der im Fall der Klägerin jedoch nicht einschlägig ist. Allein ihr langer Aufenthalt in der Bundesrepublik begründet somit keinen Anspruch auf Erteilung einer Arbeitsgenehmigung nach § 286 SGB III. Ob es mit den Bestimmungen des Grundgesetzes (GG) und der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar ist, die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom fehlenden Einkommen abhängig zu machen, kann im sozialgerichtlichen Verfahren nicht überprüft werden. Eröffnet ist hierfür gem § 40 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten. Dabei können die Verwaltungsgerichte auch die Vorfrage prüfen, ob die Klägerin für die angestrebte erlaubnispflichtige Tätigkeit eine AE besitzt oder erhalten wird. Eine Rechtswegverkürzung tritt dadurch nicht ein, denn auch eine erst nach Verfahrensabschluss ergehende (unanfechtbare) positive arbeitserlaubnisrechtliche Entscheidung der Arbeitsverwaltung oder der Sozialgerichte stellt einen Grund zum Wiederaufgreifen des aufenthaltsrechtlichen Verfahrens dar. Es bedeutet für den Ausländer dabei keine unverhältnismäßige Erschwerung seines Rechtsschutzes, dass er für einen solchen Fall auf ein - in der Regel zunächst vom Ausland her zu betreibendes - Wiederaufgreifungsverfahren verwiesen wird (vgl BVerfG, Beschluss vom 28.05.1985 - 2 BvR 270/85 in SozR 4100 § 19 Nr 19).

Begründet ist die Berufung der Klägerin jedoch insoweit, als die Beklagte bislang nicht über die Erteilung einer AE an sie für eine versicherungspflichtige Beschäftigung nach § 285 SGB III entschieden hat. Zwar hat die Klägerin ihren Antrag auf Erteilung einer Arbeitsgenehmigung im Antrag vom 23.07.1998 auf eine Arbeitsberechtigung nach § 286 SGB III beschränkt. Der Antrag auf Erteilung einer Arbeitsberechtigung umfasst jedoch auch einen solchen auf Erteilung einer AE nach § 285 SGB III. Der Antrag ist umfassend zu prüfen. Wurde eine Arbeitsberechtigung beantragt, ohne dass die Erfordernisse gem § 286 SGB III vorliegen, ist ggf eine AE zu erteilen, wenn deren Voraussetzungen vorliegen (vgl BSG in SozR 4100 § 19 Nr 2; Düe in Niesel, Kommentar zum SGB III, § 284, RdNr 32).

Die AE nach § 285 SGB III kann erteilt werden, wenn (1.) sich durch die Beschäftigung von Ausländern nachteilige Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, insbesondere hinsichtlich der Beschäftigungsstruktur, der Regionen und der Wirtschaftszweige, nicht ergeben, (2.) für die Beschäftigung deutsche Arbeitnehmer sowie Ausländer, die diesen hinsichtlich der Arbeitsaufnahme rechtlich gleichgestellt sind, nicht zur Verfügung stehen, und (3.) der Ausländer nicht zu ungünstigeren Arbeitsbedingungen als vergleichbare deutsche Arbeitnehmer beschäftigt wird (§ 285 Abs 1 SGB III).

Feststellungen zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 285 Abs 1 SGB III im Falle der Klägerin hat die Beklagte bislang ebensowenig getroffen wie die Überprüfung der Erteilung einer AE an die Klägerin wegen Vorliegens einer besonderen Härte (§ 285 Abs 2 SGB III iVm § 1 Abs 2 ArGV). Danach ist die Erteilung einer AE abweichend von § 285 Abs 1 Satz 1 Nrn 1 und 2 SGB III auch dann möglich, wenn die Versagung unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse des einzelnen Falles eine besondere Härte bedeuten würde. Durch § 1 Abs 2 ArGV ist die zuvor geltende Härteregelung des § 2 Abs 7 AEVO ersetzt worden. Wegen ihrer Entsprechung ist jedoch zur Auslegung des § 1 Abs 2 ArGV grundsätzlich die höchstrichterliche Rechtsprechung zu § 2 Abs 7 AEVO heranzuziehen. Vom Vorliegen einer Härte iS des § 1 Abs 2 ArGV kann unter Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) jedoch nur dann ausgegangen werden, wenn es sich dabei um Verhältnisse handelt, wie sie nicht allgemein für Ausländer im Inland gelten, die für die Arbeitsaufnahme einer AE bedürfen. Weiterhin müssen diese Verhältnisse von derartigem Gewicht sein, dass sie den Vorrang der deutschen und ihnen gleichgestellten Arbeitnehmer zurücktreten lassen (vgl BSG vom 23.06.1982 in SozR 4100 § 19 Nr 16, S 60 ff; vom 08.06.1989 in SozR 4100 § 19 Nr 22, S 79). Da § 1 Abs 2 ArGV verlangt, dass die Versagung einer AE unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse des einzelnen Falles eine besondere Härte bedeuten würde, reicht es zu deren Annahme nicht aus, dass in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit wegen der Vielzahl bevorrechtigter Arbeitsloser gering qualifizierte Ausländer praktisch keine Aussichten haben, eine AE zu erlangen. Da diese Situation für eine große Zahl von Ausländern typisch ist, kann von einer Relevanz für deren Menschenwürde, die sich zu einer besonderen Härte iS des § 1 Abs 2 ArGV verdichten kann, erst dann ausgegangen werden, wenn der Ausländer nicht auf eine zumutbare Alternative verwiesen werden kann. In der Regel ist jedoch die Rückkehr in das Herkunftsland eine zumutbare Alternative (vgl BSG aaO). Weder Art 2 GG noch das Sozialstaatsprinzip des Art 20 GG gebieten, Ausländern einen Anspruch auf Ausübung einer unselbstständigen Tätigkeit einzuräumen, solange - wie hier - keine AE vorliegt (vgl BSG vom 23.06.1982 - 7 RAr 106/81). Das Vorliegen einer Erkrankung von Familienangehörigen der Klägerin allein kann die Anwendung der Härteregelung des § 1 Abs 2 ArGV nicht begründen. Die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes der Härte ist am Zweck der besonderen AE auszurichten. Dieser besteht im Wesentlichen darin, aus besonderen sozialen Gründen die Arbeitsaufnahme der Ausländerin zu ermöglichen, obwohl dies dem Vorrang der deutschen und den ihnen gleichgestellten ausländischen Arbeitnehmern widerspricht. Besondere soziale Verhältnisse begründen einen Härtefall deshalb nur dann, wenn sie stärkeres Gewicht haben als der Vorrang der in § 285 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB III bezeichneten Arbeitnehmer. Eine aus dem Ausland mitgebrachte Erkrankung von Familienangehörigen stellt keinen besonderen sozialen Grund dar, denn die gesundheitlichen Beeinträchtigungen liegen bei einer Vielzahl von deutschen und gleichgestellten ausländischen Arbeitnehmern und ihren Familienangehörigen in gleicher Weise vor.

Auch die durch die Versagung der AE eintretende Verhinderung der Schaffung einer bisher fehlenden Existensgrundlage begründet im Allgmeinen ebensowenig eine Härte wie ein langjähriger Inlandsaufenthalt (BSG in SozR 4100 § 19 Nr 22).

Vorliegend ist eine Überprüfung der Voraussetzungen für die Erteilung einer AE nach der Ermessensvorschrift des § 285 SGB III durch die Beklagte bislang nicht erfolgt. Dazu sind weitere Ermittlungen insbesondere hinsichtlich der arbeitsmarktlichen Gegebenheiten erforderlich. Darüberhinaus ist wegen der in mehrfacher Hinsicht noch unsicheren ausländerrechtlichen Position der Klägerin das Ermessen der Beklagten nicht auf Null reduziert. Die Beklagte war daher zu verpflichten, über den Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer AE nach § 285 SGB III für eine versicherungspflichtige Beschäftigung zu entscheiden (§ 131 Abs 3 SGG).

Die Berufung konnte deshalb nur teilweise Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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