Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 327/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 365/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für fünf intravitreale Injektionen von Lucentis® in das linke Auge in Höhe von 5.269,75 EUR.
Die 0000 geborene Klägerin leidet an Myopia magna, das heißt starker Kurzsichtigkeit, und an einer choriodalen Neovaskularisation (CNV), das ist eine krankhafte Neubildung von Gefäßen im Auge. Als Ursache des Wachstums der Gefäße gilt ein Botenstoff namens VEGF (=vascular endothelial growth factor).
Wegen einer kurz zuvor aufgetretenen subjektiven Sehverschlechterung beantragte die Klägerin am 06.07.2010 über das Augencentrum Jülich die Genehmigung von drei intravitrealen Injektionen von Lucentis® oder Avastin® in das linke Auge. Gestützt auf eine ablehnende Stellungnahme des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 08.07.2010 eine Avastin®-Behandlung ab; zu Lucentis® enthält der Bescheid keine Aussage.
Am 09.07.2010 wurde die Klägerin in der Augenklinik der RWTH Aachen untersucht; nach einem Aufklärungsgespräch unterschrieb sie eine Erklärung, dass sie mit der Durchführung der intravitrealen Injektion mit ausgeeinzeltem Lucentis® einverstanden sei. Am 12.07.2010 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Behandlung mit Lucentis® durch RWTH-Augenklinik. Sie trug vor, ihr behandelnder Arzt habe sie wegen der Komplexität und Dringlichkeit der Behandlung als Notfall in das Universitätsklinikum überwiesen; nach Abschluss einer umfangreichen Untersuchung hätten Prof. Dr. X. und Dr. E. dringend zur der Behandlung mit Lucentis® geraten, anderenfalls ihre Krankheit nach kurzer Zeit zur Blindheit des linken Auges führen werde. Die Klägerin fügte dem Antrag eine Bescheinigung der RWTH-Augenklinik vom 09.07.2010 bei; darin heißt es, bei der Klägerin liege am linken Auge (LA) "eine feuchte altersbedingte Makuladegeneration (ICD 10 H35.3)" und eine "myope CNV" vor. Weiter heißt es in der Bescheinigung der Augenklinik, die vorliegende Erkrankung führe zu einer zunehmenden Sehverschlechterung mit drohender Erblindung und Verlust lebenspraktischer Fähigkeiten; derzeit liege die Sehschärfe auf dem betroffenen Auge bei 0,5; in der Angiographie habe sich eine deutliche Leckage gezeigt; die Injektion von Lucentis® in den Glaskörperraum sei "nach heutigem Wissensstand Therapie der Wahl". Die Bescheinigung vom 09.07.2010 findet sich auf einem Standardvordruck der Klinik für einen Antrag auf ambulante Injektion von Lucentis® bei feuchter altersbedingter Makuladegeneration (AMD); individuelle Diagnosen und Befunde der Klägerin sind handschriftlich hinzugefügt; die Erläuterungen in dem Formular beziehen sich ausschließlich auf die Behandlung der feuchten AMD, u.a. mit dem Hinweis, dass die intravitreale Lucentis®-Therapie als Behandlung der ersten Wahl bei der Therapie der feuchten AMD gelte; Lucentis® sei für diese Indikation zugelassen, andere Anti-VEGF-Wirkstoffe wirkten schlechter (Macugen®) oder seien nicht zugelassen (Avastin®) oder hätten ihre Wirksamkeit nicht in vergleichbaren Studien nachgewiesen. Abschließend werden in der Bescheinigung die Kosten für die Lucentis® Anwendung im Auge wie folgt beziffert: Medikamentenkosten 744,83 EUR pro Injektion, Operationskosten 309,15 EUR pro Injektion, Nachuntersuchung 80,00 EUR, insgesamt 1.133,97 EUR pro Injektion.
In einer von der Beklagten veranlassten Stellungnahme des MDK erklärte die beratende Ärztin Dr. N. am 12.07.2010, bei der Klägerin liege keine feuchte AMD vor, sondern eine myope CNV; weder Avastin® noch Lucentis® sei zur Behandlung der CNV bei Myopie zugelassen; als vertragsärztliche Behandlungsalternative stehe die Photodynamische Therapie (PDP) mit Verteporfin zur Verfügung.
Dieses Ergebnis teilte die Beklagte der Klägerin telefonisch am 12.07.2010 mit und erklärte ihr, es bleibe – auch in Bezug auf eine Behandlung mit Lucentis® – bei der Ablehnung wie im Bescheid vom 08.07.2010.
Am 13.07.2010 stellte sich die Klägerin wieder in der RWTH-Augenklinik vor, teilte mit, dass die Krankenkasse die Lucentis®-Therapiekosten nicht übernehmen werde und erklärte, nachdem ihr die Situation erneut erläutert worden war, dass sie dann die Kosten selbst übernehmen werde.
Am 16.07.2010 erfolgte in der Augenklinik die erste Lucentis®-Injektion; weitere vier Injektionen erhielt die Klägerin am 12.08., 09.09., 15.10. und 11.11.2010. Sie zahlte jeweils für jede Behandlung 309,13 EUR bar und auf entsprechende Rechnungen der RWTH Aachen vom 23.08., 07.10., 26.11. und 02.12.2010 als Kosten für das Arzneimittel Lucentis® weitere 3.724,10 EUR (für jede der fünf Injektionen 744,82 EUR).
Durch Bescheid vom 21.07.2010 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten für die beantragte Lucentis®-Behandlung auch schriftlich ab. Dagegen erhob die Klägerin am 21.07.2010 Widerspruch: Offensichtlich seien die Krankenkasse und der MDK nicht über den medizinischen Fortschritt informiert; jeder Augenarzt in Deutschland wisse, dass die PDT-Therapie für ihre Erkrankung "CNV bei Myopie" keine Aussicht auf Erfolg habe. Die Klägerin verwies auf eine Stellungnahme der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft und anderer Fachgesellschaften zur Therapie der CNV bei pathologischer Myopie vom 28.03.2010. Nach Erhalt der Rechnungen der RWTH-Aachen und deren Begleichung stellte die Klägerin ihren Kostenübernahmeantrag auf einen solchen auf Kostenerstattung um.
Durch Widerspruchsbescheid vom 24.11.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Bei der Behandlung mit Lucentis® handele es sich in ihrem Fall um eine Arzneimittelanwendung außerhalb der zugelassenen Indikation, die nur unter engen Voraussetzungen in Betracht käme; diese Voraussetzungen seien vorliegend nicht erfüllt.
Dagegen hat die Klägerin am 06.12.2010 Klage erhoben. Sie trägt vor, zu der Behandlung mit Lucentis® (oder Avastin®) gebe es nach Auskunft ihrer behandelnden Augenärzte für ihre Augenkrankheit keine erfolgversprechende Therapie. Die Augenärzte hätten eine schnelle Behandlung für erforderlich gehalten, anderenfalls es zu einer massiven Sehverschlechterung bis hin zu Erblindung des linken Auges hätte kommen können. Sie habe sich unter Zeitdruck und in der Angst, ihr Augenlicht auf dem linken Auge zu verlieren, auf den Rat der Augenärzte vertraut und sich Lucentis® injizieren lassen. Bei der Verlaufskontrolle sei eine wesentliche Verbesserung der Augenkrankheit festgestellt worden. Keiner ihrer behandelnden Augenärzte habe als Therapiealternative die PDT mit Verteporfin erwähnt, geschweige denn empfohlen. Von dieser Behandlungsmethode habe sie erstmals bei einem Gespräch mit einer Mitarbeiterin der Beklagten erfahren; sie habe Prof. Dr. X. daraufhin angesprochen; der habe diese Methode als nicht geeignet und nicht zu empfehlen bezeichnet.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21.07.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.11.2010 zu verurteilen, ihr die Kosten der Behandlung mit fünf Lucentis®-Injektionen in Höhe von 5.269,75 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Rechtsauffassung.
Das Gericht hat zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts Auskünfte von Prof. Dr. X. (RWTH-Augenklinik) eingeholt. Wegen des Ergebnisses wird auf die Stellungnahmen vom 14.02. und 08.04.2011 verwiesen. Prof. Dr. X. hat in seinen Auskünften die Stellungnahme verschiedener Fachgesellschaften zur Therapie der CNV bei pathologischer Myopie vom 28.03.2010, einen fachmedizinischen Artikel und einen Aufklärungsbogen über Lucentis®-Injektionen beigefügt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Gerichtsakte S 13 KR 225/10 ER, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Die Klägerin wird durch die ablehnenden Entscheidungen der Beklagten vom 12.07.2010 (mündlich) und 21.07.2010 (schriftlich) in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.11.2010 nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die intravitreale Injektion von Lucentis® zur Behandlung der myopen CNV ist keine Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten für die selbstbeschaffte Behandlung kann nur § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Alternative, Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sein. Danach ist eine Krankenkasse zur Kostenerstattung verpflichtet, wenn sie eine notwendige Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Soweit die Beklagte die Übernahme der Kosten für die intravitreale Injektion mit Lucentis® abgelehnt hat, fehlt es nicht an der Kausalität zwischen der ablehnenden Entscheidung der Beklagten und dem Kostenaufwand der Klägerin. Ein auf die Verweigerung der Sachleistung gestützter Erstattungsanspruch scheidet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) aus, wenn sich der Versicherte die Leistung besorgt hat, ohne die Krankenkasse einzuschalten und ihre Entscheidung abzuwarten (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.2007 – B 1 KR 14/07 R; Urteil vom 28.02.2008 – B 1 KR 15/07 R). Nach Wortlaut und Zweck des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang bestehen. Den insoweit erforderlichen Beschaffungsweg hat die Klägerin eingehalten. Ihr erster Antrag vom 06.07.2010 hinsichtlich einer Lucentis®- oder Avastin®-Behandlung wurde am 08.07.2010 von der Beklagten (allerdings nur im Bezug auf eine Avastin®-Behandlung) abgelehnt. Den daraufhin am 12.07.2010 gestellten neuen Antrag in Bezug auf eine Lucentis®-Behandlung durch die Ärzte der Augenklinik der RWTH Aachen hat die Beklagte noch am selben Tag – gestützt auf eine Stellungnahme des MDK – in einem Telefonat gegenüber der Klägerin ebenfalls abgelehnt, auf die PDT mit Verteporfin hingewiesen und erklärt, dass es bei der Ablehnung wie im Schreiben vom 08.07.2010 bleibe. Erst nach dieser Ablehnungsentscheidung hat die Klägerin am 16.07.2010 die Behandlung mit Lucentis® begonnen. Der anschließend ergangene Bescheid vom 21.07.2010 bestätigte nur in schriftlicher Form die bereits vor Behandlungsbeginn mündlich gegenüber der Klägerin mitgeteilte Ablehnungsentscheidung.
Der in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (BSG, Urteil vom 19.10.2004 – B 1 KR 27/02 R – m.w.N.). Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 3 i. V. m. § 31 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf ärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit den für eine Krankenbehandlung notwendigen Arzneimitteln. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten unterliegt allerdings den sich aus § 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Allein der Umstand, dass eine streitige Therapie positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte sie befürwortet haben, begründet keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse (BSG, a.a.O., unter Hinweis auf BSGE 76,194,198). Für eine Arzneimitteltherapie sind die Anforderungen an die Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit, Qualität und Wirksamkeit nicht erfüllt, wenn das verabreichte Medikament nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts der Zulassung bedarf, aber nicht zugelassen ist (BSG, Urteil vom 19.03.2002 – B 1 KR 37/00 R – m.w.N.).
Aber auch dann, wenn ein Arzneimittel zum Verkehr zugelassen ist, kann es grundsätzlich nicht zu Lasten der GKV in einem Anwendungsgebiet verordnet werden, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt. Eine solche zulassungsüberschreitende Anwendung (sog. Off-Label-Use) liegt hier vor. Denn Lucentis® ist zur Behandlung der feuchten AMD, seit Januar 2011 zusätzlich auch zur Behandlung des diabetischen Makulaödems zugelassen, nicht aber für das bei der Klägerin bestehende Krankheitsbild einer myopen CNV. Soweit in der Bescheinigung der RWTH-Augenklinik vom 09.07.2010 auf einem formularmäßigen Standardvordruck (das Original befindet sich als Bl. 28, 27 und 26 in der Verwaltungsakte der Beklagten) mitgeteilt wurde, bei der Klägerin liege auch "eine feuchte altersbedingte Makuladegeneration (ICD 10 H35.3)" vor, hat Dr. Schwarzer von der Augenklinik der RWTH am 17.09.2010 gegenüber dem Gericht im vorgeschalteten Eilverfahren S 13 KR 225/10 ER klargestellt, dass die Diagnose bei der Klägerin "myope CNV" laute, wie sie auch handschriftlich auf der Bescheinigung vom 09.07.2010 hinzugefügt sei; offenbar versehentlich sei auf dem Formularantrag versäumt worden, die Diagnose "feuchte altersbedingte Makuladegeneration" zu streichen. Auch Prof. Dr. X. hat in seinen Stellungnahmen vom 14.02. und 08.04.2011 klargestellt, dass bei der Klägerin eine myope CNV vorliege; bei einer feuchten AMD handele es sich um ein sehr ähnliches Krankheitsbild. Ebenso hat Prof. Dr. X. im Befundbericht vom 14.02.2011 bestätigt, dass zur Zeit einzig die PDT mit Verteporfin (Visudyne®) in Deutschland zur Behandlung der CNV bei pathologischer Myopie zugelassen ist. Dagegen sind die VEGF-Inhibitoren Pegaptanib (Macugen®), Ranibizumab (Lucentis®) und Bevacizumab (Avastin®) zur Behandlung der myopen CNV, wie sie bei der Klägerin vorliegt, nicht zugelassen. Macugen® ist – wie Lucentis® – zur Behandlung der feuchten AMD zugelassen; Avastin® ist ein Zytostatikum (Krebsmittel) und allein – und auch nur in Kombination mit anderen Präparaten – zur Behandlung von Patienten mit metastasiertem Kolon- oder Rektumkarzinom, Mammakarzinom oder inoperablem fortgeschrittenem metastasiertem oder rezidivierendem nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom zugelassen (vgl. zu alledem: "Rote Liste", Arzneimittelverzeichnis für Deutschland).
Allerdings hat das BSG in seiner Entscheidung vom 19.03.2002 (B 1 KR 37/00 R) und danach in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass der Ausschluss eines Off-Label-Gebrauchs von Arzneimitteln in der GKV nicht ausnahmslos gilt. Wegen des Vorrangs des Arzneimittelrechts muss ein Off-Label-Use zu Lasten der GKV jedoch auf Fälle beschränkt bleiben, in denen einerseits ein unabweisbarer und anders nicht zu befriedigender Bedarf an der Arzneitherapie besteht und andererseits die therapeutische Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlung hinreichend belegt sind. Die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet kommt deshalb nur in Betracht, wenn 1. es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, 2. keine andere Therapie verfügbar ist und 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Damit Letzteres angenommen werden kann, müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlich sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlich sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftliche nachprüfbare Aussagen zulassen und auf Grund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (BSG, a.a.O.). Die vorgenannten drei Kriterien für einen ausnahmsweise zulässigen Off-Label-Use zu Lasten der GKV müssen gleichzeitig (kumulativ) erfüllt sein. Diese Rechtsprechung des BSG ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG, Beschluss vom 30.06.2008 – 1 BvR 1665/07). Die BSG-Kriterien für einen Off-Label-Use von Lucentis® zur Behandlung der bei der Klägerin vorliegenden myopen CNV sind (und waren zum Behandlungszeitpunkt) nicht kumulativ erfüllt.
Zwar geht die Kammer davon aus, dass es sich bei der myopen CNV im Zustand, wie sie im Juli 2010 bei der Klägerin vorgelegen hat, angesichts einer drohenden Erblindung des linken Auges um eine schwerwiegende, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung handelt. Jedoch liegt das zweite Ausnahmekriterium nicht vor, weil mit der PDT mit Verteporfin (Visudyne®) eine andere – zugelassene – Therapie verfügbar war. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die arzneimittelrechtliche Zulassung für das Medikament Visudyne® (Wirkstoff Verteporfin) als auch im Hinblick auf die Anerkennung der neuen Behandlungsmethode "PDT" durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Wegen der Eigenart der Behandlungsmethode "PDT mit Verteporfin" hängt die Leistungspflicht der GKV für diese Therapie sowohl von einer arzneimittelrechtlichen Zulassung ab als auch von einer Empfehlung des G-BA nach §§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5, 135 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V. Denn anders als bei der Behandlung mit den VEGF-Hemmer Bevacizumab (Avastin®), Ranibizumab (Lucentis®) und Pegaptanib (Macugen®), bei denen die Wirkstoffe direkt in den Glaskörper des Auges injiziert werden, wird bei der PDT zunächst der Wirkstoff Verteporfin (Visudyne®) in die Armvene injiziert, wodurch die Gefäß- einsprossungen im Auge für den im Rahmen der PDT eingesetzten Laserstrahl empfindlicher werden. Durch einen Rotlicht-Laser kommt es zu einer Reaktion des Wirkstoffes Verteporfin, Sauerstoff wird abgegeben. Damit werden Zellen der unkontrolliert wachsenden Blutgefäße zerstört (Deutsche Apothekerzeitung 2008, S. 208, 210). Visudyne® hat eine arzneimittelrechtliche Zulassung für die Behandlung von Patienten mit AMD mit vorwiegend klassischer subfovealer oder okkulter subfovealer CNV sowie für die Behandlung von Patienten mit subfovealer CNV infolge pathologischer Myopie (vgl. " Rote Liste"). Und nach dem Beschluss des G-BA vom 16.08.2007 ist in der Anlage I "Anerkannte Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden" der Richtlinie Methoden vertragsärztlicher Versorgung als Behandlungsmethode, die zu Lasten der GKV durchgeführt werden kann, anerkannt worden: "11. Photodynamische Therapie (PDT) mit Verteporfin bei subfovealer choriodialer Neovaskularisation (CNV) aufgrund von pathologischer Myopie" (BAnz. Nr. 207 [S. 7938] vom 07.11.2007). Stand also mit der PDT mit Verteporfin zur Behandlung der bei der Klägerin vorliegenden myopen CNV eine in jeder Hinsicht zugelassene Therapie zur Verfügung, die zu Lasten der GKV angewandt werden konnte, so war für einen Off-Label-Use von Lucentis® im Bereich der GKV kein Raum mehr. Die ablehnenden Entscheidungen der Beklagten sind daher nicht zu Unrecht erfolgt.
Unter diesen Umständen ist es krankenversicherungsrechtlich unerheblich, dass die verschiedenen augenfachärztlichen Gesellschaften in ihrer Stellungnahme vom 28.03.2010 die intravitreale Injektion mit Bevacizumab (Avastin®) oder Ranibizumab (Lucentis®) als "Therapie der Wahl" bei pathologisch myoper CNV empfohlen haben. In der Stellungnahme wird ausdrücklich auf die PDT mit Verteporfin als zugelassener Behandlungsmethode hingewiesen und darauf, dass die Behandlung mit den VEGF-Hemmer Macugen®, Lucentis® und Avastin® bei diesem Krankheitsbild ein Off-Label-Use ist. Ebenso ist es krankenversicherungsrechtlich unerheblich, wenn es – worauf Prof. Dr. X. in seinen Stellungnahmen hingewiesen hat – Ergebnisse klinischer Studien gibt, die deutlich machen, dass die Behandlung mit Lucentis® sicher und effektiv ist, und er deshalb diese Therapie empfohlen hat und empfiehlt. Prof. Dr. X. hat in seiner Stellungnahme vom 08.04.2011 nämlich auch erklärt, dass die von ihm befürwortete Lucentis®-Therapie nur "wahrscheinlich effektiver ist als die Behandlung mittels PDT". Auch die Deutsche Ophtalmologische Gesellschaft, die Retinologische Gesellschaft und der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands haben in ihrer Stellungnahme zur Therapie der CNV bei pathologischer Myopie vom 28.03.2010 darauf hingewiesen, dass es bei der Behandlung dieser Krankheit mit Anti-VEGF-Inhibitoren nur Fallserien, aber keine randomisierten prospektiven Studien gibt. Daraus wird deutlich, dass auch das dritte Kriterium, das nach der Rechtsprechung des BSG für einen ausnahmsweise zu Lasten der GKV möglichen Off-Label-Use eines Arzneimittels erfüllt sein muss, bei der Behandlung der Klägerin nicht erfüllt war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für fünf intravitreale Injektionen von Lucentis® in das linke Auge in Höhe von 5.269,75 EUR.
Die 0000 geborene Klägerin leidet an Myopia magna, das heißt starker Kurzsichtigkeit, und an einer choriodalen Neovaskularisation (CNV), das ist eine krankhafte Neubildung von Gefäßen im Auge. Als Ursache des Wachstums der Gefäße gilt ein Botenstoff namens VEGF (=vascular endothelial growth factor).
Wegen einer kurz zuvor aufgetretenen subjektiven Sehverschlechterung beantragte die Klägerin am 06.07.2010 über das Augencentrum Jülich die Genehmigung von drei intravitrealen Injektionen von Lucentis® oder Avastin® in das linke Auge. Gestützt auf eine ablehnende Stellungnahme des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 08.07.2010 eine Avastin®-Behandlung ab; zu Lucentis® enthält der Bescheid keine Aussage.
Am 09.07.2010 wurde die Klägerin in der Augenklinik der RWTH Aachen untersucht; nach einem Aufklärungsgespräch unterschrieb sie eine Erklärung, dass sie mit der Durchführung der intravitrealen Injektion mit ausgeeinzeltem Lucentis® einverstanden sei. Am 12.07.2010 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Behandlung mit Lucentis® durch RWTH-Augenklinik. Sie trug vor, ihr behandelnder Arzt habe sie wegen der Komplexität und Dringlichkeit der Behandlung als Notfall in das Universitätsklinikum überwiesen; nach Abschluss einer umfangreichen Untersuchung hätten Prof. Dr. X. und Dr. E. dringend zur der Behandlung mit Lucentis® geraten, anderenfalls ihre Krankheit nach kurzer Zeit zur Blindheit des linken Auges führen werde. Die Klägerin fügte dem Antrag eine Bescheinigung der RWTH-Augenklinik vom 09.07.2010 bei; darin heißt es, bei der Klägerin liege am linken Auge (LA) "eine feuchte altersbedingte Makuladegeneration (ICD 10 H35.3)" und eine "myope CNV" vor. Weiter heißt es in der Bescheinigung der Augenklinik, die vorliegende Erkrankung führe zu einer zunehmenden Sehverschlechterung mit drohender Erblindung und Verlust lebenspraktischer Fähigkeiten; derzeit liege die Sehschärfe auf dem betroffenen Auge bei 0,5; in der Angiographie habe sich eine deutliche Leckage gezeigt; die Injektion von Lucentis® in den Glaskörperraum sei "nach heutigem Wissensstand Therapie der Wahl". Die Bescheinigung vom 09.07.2010 findet sich auf einem Standardvordruck der Klinik für einen Antrag auf ambulante Injektion von Lucentis® bei feuchter altersbedingter Makuladegeneration (AMD); individuelle Diagnosen und Befunde der Klägerin sind handschriftlich hinzugefügt; die Erläuterungen in dem Formular beziehen sich ausschließlich auf die Behandlung der feuchten AMD, u.a. mit dem Hinweis, dass die intravitreale Lucentis®-Therapie als Behandlung der ersten Wahl bei der Therapie der feuchten AMD gelte; Lucentis® sei für diese Indikation zugelassen, andere Anti-VEGF-Wirkstoffe wirkten schlechter (Macugen®) oder seien nicht zugelassen (Avastin®) oder hätten ihre Wirksamkeit nicht in vergleichbaren Studien nachgewiesen. Abschließend werden in der Bescheinigung die Kosten für die Lucentis® Anwendung im Auge wie folgt beziffert: Medikamentenkosten 744,83 EUR pro Injektion, Operationskosten 309,15 EUR pro Injektion, Nachuntersuchung 80,00 EUR, insgesamt 1.133,97 EUR pro Injektion.
In einer von der Beklagten veranlassten Stellungnahme des MDK erklärte die beratende Ärztin Dr. N. am 12.07.2010, bei der Klägerin liege keine feuchte AMD vor, sondern eine myope CNV; weder Avastin® noch Lucentis® sei zur Behandlung der CNV bei Myopie zugelassen; als vertragsärztliche Behandlungsalternative stehe die Photodynamische Therapie (PDP) mit Verteporfin zur Verfügung.
Dieses Ergebnis teilte die Beklagte der Klägerin telefonisch am 12.07.2010 mit und erklärte ihr, es bleibe – auch in Bezug auf eine Behandlung mit Lucentis® – bei der Ablehnung wie im Bescheid vom 08.07.2010.
Am 13.07.2010 stellte sich die Klägerin wieder in der RWTH-Augenklinik vor, teilte mit, dass die Krankenkasse die Lucentis®-Therapiekosten nicht übernehmen werde und erklärte, nachdem ihr die Situation erneut erläutert worden war, dass sie dann die Kosten selbst übernehmen werde.
Am 16.07.2010 erfolgte in der Augenklinik die erste Lucentis®-Injektion; weitere vier Injektionen erhielt die Klägerin am 12.08., 09.09., 15.10. und 11.11.2010. Sie zahlte jeweils für jede Behandlung 309,13 EUR bar und auf entsprechende Rechnungen der RWTH Aachen vom 23.08., 07.10., 26.11. und 02.12.2010 als Kosten für das Arzneimittel Lucentis® weitere 3.724,10 EUR (für jede der fünf Injektionen 744,82 EUR).
Durch Bescheid vom 21.07.2010 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten für die beantragte Lucentis®-Behandlung auch schriftlich ab. Dagegen erhob die Klägerin am 21.07.2010 Widerspruch: Offensichtlich seien die Krankenkasse und der MDK nicht über den medizinischen Fortschritt informiert; jeder Augenarzt in Deutschland wisse, dass die PDT-Therapie für ihre Erkrankung "CNV bei Myopie" keine Aussicht auf Erfolg habe. Die Klägerin verwies auf eine Stellungnahme der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft und anderer Fachgesellschaften zur Therapie der CNV bei pathologischer Myopie vom 28.03.2010. Nach Erhalt der Rechnungen der RWTH-Aachen und deren Begleichung stellte die Klägerin ihren Kostenübernahmeantrag auf einen solchen auf Kostenerstattung um.
Durch Widerspruchsbescheid vom 24.11.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Bei der Behandlung mit Lucentis® handele es sich in ihrem Fall um eine Arzneimittelanwendung außerhalb der zugelassenen Indikation, die nur unter engen Voraussetzungen in Betracht käme; diese Voraussetzungen seien vorliegend nicht erfüllt.
Dagegen hat die Klägerin am 06.12.2010 Klage erhoben. Sie trägt vor, zu der Behandlung mit Lucentis® (oder Avastin®) gebe es nach Auskunft ihrer behandelnden Augenärzte für ihre Augenkrankheit keine erfolgversprechende Therapie. Die Augenärzte hätten eine schnelle Behandlung für erforderlich gehalten, anderenfalls es zu einer massiven Sehverschlechterung bis hin zu Erblindung des linken Auges hätte kommen können. Sie habe sich unter Zeitdruck und in der Angst, ihr Augenlicht auf dem linken Auge zu verlieren, auf den Rat der Augenärzte vertraut und sich Lucentis® injizieren lassen. Bei der Verlaufskontrolle sei eine wesentliche Verbesserung der Augenkrankheit festgestellt worden. Keiner ihrer behandelnden Augenärzte habe als Therapiealternative die PDT mit Verteporfin erwähnt, geschweige denn empfohlen. Von dieser Behandlungsmethode habe sie erstmals bei einem Gespräch mit einer Mitarbeiterin der Beklagten erfahren; sie habe Prof. Dr. X. daraufhin angesprochen; der habe diese Methode als nicht geeignet und nicht zu empfehlen bezeichnet.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21.07.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.11.2010 zu verurteilen, ihr die Kosten der Behandlung mit fünf Lucentis®-Injektionen in Höhe von 5.269,75 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Rechtsauffassung.
Das Gericht hat zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts Auskünfte von Prof. Dr. X. (RWTH-Augenklinik) eingeholt. Wegen des Ergebnisses wird auf die Stellungnahmen vom 14.02. und 08.04.2011 verwiesen. Prof. Dr. X. hat in seinen Auskünften die Stellungnahme verschiedener Fachgesellschaften zur Therapie der CNV bei pathologischer Myopie vom 28.03.2010, einen fachmedizinischen Artikel und einen Aufklärungsbogen über Lucentis®-Injektionen beigefügt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Gerichtsakte S 13 KR 225/10 ER, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Die Klägerin wird durch die ablehnenden Entscheidungen der Beklagten vom 12.07.2010 (mündlich) und 21.07.2010 (schriftlich) in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.11.2010 nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die intravitreale Injektion von Lucentis® zur Behandlung der myopen CNV ist keine Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten für die selbstbeschaffte Behandlung kann nur § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Alternative, Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sein. Danach ist eine Krankenkasse zur Kostenerstattung verpflichtet, wenn sie eine notwendige Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Soweit die Beklagte die Übernahme der Kosten für die intravitreale Injektion mit Lucentis® abgelehnt hat, fehlt es nicht an der Kausalität zwischen der ablehnenden Entscheidung der Beklagten und dem Kostenaufwand der Klägerin. Ein auf die Verweigerung der Sachleistung gestützter Erstattungsanspruch scheidet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) aus, wenn sich der Versicherte die Leistung besorgt hat, ohne die Krankenkasse einzuschalten und ihre Entscheidung abzuwarten (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.2007 – B 1 KR 14/07 R; Urteil vom 28.02.2008 – B 1 KR 15/07 R). Nach Wortlaut und Zweck des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang bestehen. Den insoweit erforderlichen Beschaffungsweg hat die Klägerin eingehalten. Ihr erster Antrag vom 06.07.2010 hinsichtlich einer Lucentis®- oder Avastin®-Behandlung wurde am 08.07.2010 von der Beklagten (allerdings nur im Bezug auf eine Avastin®-Behandlung) abgelehnt. Den daraufhin am 12.07.2010 gestellten neuen Antrag in Bezug auf eine Lucentis®-Behandlung durch die Ärzte der Augenklinik der RWTH Aachen hat die Beklagte noch am selben Tag – gestützt auf eine Stellungnahme des MDK – in einem Telefonat gegenüber der Klägerin ebenfalls abgelehnt, auf die PDT mit Verteporfin hingewiesen und erklärt, dass es bei der Ablehnung wie im Schreiben vom 08.07.2010 bleibe. Erst nach dieser Ablehnungsentscheidung hat die Klägerin am 16.07.2010 die Behandlung mit Lucentis® begonnen. Der anschließend ergangene Bescheid vom 21.07.2010 bestätigte nur in schriftlicher Form die bereits vor Behandlungsbeginn mündlich gegenüber der Klägerin mitgeteilte Ablehnungsentscheidung.
Der in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (BSG, Urteil vom 19.10.2004 – B 1 KR 27/02 R – m.w.N.). Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 3 i. V. m. § 31 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf ärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit den für eine Krankenbehandlung notwendigen Arzneimitteln. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten unterliegt allerdings den sich aus § 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Allein der Umstand, dass eine streitige Therapie positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte sie befürwortet haben, begründet keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse (BSG, a.a.O., unter Hinweis auf BSGE 76,194,198). Für eine Arzneimitteltherapie sind die Anforderungen an die Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit, Qualität und Wirksamkeit nicht erfüllt, wenn das verabreichte Medikament nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts der Zulassung bedarf, aber nicht zugelassen ist (BSG, Urteil vom 19.03.2002 – B 1 KR 37/00 R – m.w.N.).
Aber auch dann, wenn ein Arzneimittel zum Verkehr zugelassen ist, kann es grundsätzlich nicht zu Lasten der GKV in einem Anwendungsgebiet verordnet werden, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt. Eine solche zulassungsüberschreitende Anwendung (sog. Off-Label-Use) liegt hier vor. Denn Lucentis® ist zur Behandlung der feuchten AMD, seit Januar 2011 zusätzlich auch zur Behandlung des diabetischen Makulaödems zugelassen, nicht aber für das bei der Klägerin bestehende Krankheitsbild einer myopen CNV. Soweit in der Bescheinigung der RWTH-Augenklinik vom 09.07.2010 auf einem formularmäßigen Standardvordruck (das Original befindet sich als Bl. 28, 27 und 26 in der Verwaltungsakte der Beklagten) mitgeteilt wurde, bei der Klägerin liege auch "eine feuchte altersbedingte Makuladegeneration (ICD 10 H35.3)" vor, hat Dr. Schwarzer von der Augenklinik der RWTH am 17.09.2010 gegenüber dem Gericht im vorgeschalteten Eilverfahren S 13 KR 225/10 ER klargestellt, dass die Diagnose bei der Klägerin "myope CNV" laute, wie sie auch handschriftlich auf der Bescheinigung vom 09.07.2010 hinzugefügt sei; offenbar versehentlich sei auf dem Formularantrag versäumt worden, die Diagnose "feuchte altersbedingte Makuladegeneration" zu streichen. Auch Prof. Dr. X. hat in seinen Stellungnahmen vom 14.02. und 08.04.2011 klargestellt, dass bei der Klägerin eine myope CNV vorliege; bei einer feuchten AMD handele es sich um ein sehr ähnliches Krankheitsbild. Ebenso hat Prof. Dr. X. im Befundbericht vom 14.02.2011 bestätigt, dass zur Zeit einzig die PDT mit Verteporfin (Visudyne®) in Deutschland zur Behandlung der CNV bei pathologischer Myopie zugelassen ist. Dagegen sind die VEGF-Inhibitoren Pegaptanib (Macugen®), Ranibizumab (Lucentis®) und Bevacizumab (Avastin®) zur Behandlung der myopen CNV, wie sie bei der Klägerin vorliegt, nicht zugelassen. Macugen® ist – wie Lucentis® – zur Behandlung der feuchten AMD zugelassen; Avastin® ist ein Zytostatikum (Krebsmittel) und allein – und auch nur in Kombination mit anderen Präparaten – zur Behandlung von Patienten mit metastasiertem Kolon- oder Rektumkarzinom, Mammakarzinom oder inoperablem fortgeschrittenem metastasiertem oder rezidivierendem nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom zugelassen (vgl. zu alledem: "Rote Liste", Arzneimittelverzeichnis für Deutschland).
Allerdings hat das BSG in seiner Entscheidung vom 19.03.2002 (B 1 KR 37/00 R) und danach in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass der Ausschluss eines Off-Label-Gebrauchs von Arzneimitteln in der GKV nicht ausnahmslos gilt. Wegen des Vorrangs des Arzneimittelrechts muss ein Off-Label-Use zu Lasten der GKV jedoch auf Fälle beschränkt bleiben, in denen einerseits ein unabweisbarer und anders nicht zu befriedigender Bedarf an der Arzneitherapie besteht und andererseits die therapeutische Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlung hinreichend belegt sind. Die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet kommt deshalb nur in Betracht, wenn 1. es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, 2. keine andere Therapie verfügbar ist und 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Damit Letzteres angenommen werden kann, müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlich sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlich sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftliche nachprüfbare Aussagen zulassen und auf Grund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (BSG, a.a.O.). Die vorgenannten drei Kriterien für einen ausnahmsweise zulässigen Off-Label-Use zu Lasten der GKV müssen gleichzeitig (kumulativ) erfüllt sein. Diese Rechtsprechung des BSG ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG, Beschluss vom 30.06.2008 – 1 BvR 1665/07). Die BSG-Kriterien für einen Off-Label-Use von Lucentis® zur Behandlung der bei der Klägerin vorliegenden myopen CNV sind (und waren zum Behandlungszeitpunkt) nicht kumulativ erfüllt.
Zwar geht die Kammer davon aus, dass es sich bei der myopen CNV im Zustand, wie sie im Juli 2010 bei der Klägerin vorgelegen hat, angesichts einer drohenden Erblindung des linken Auges um eine schwerwiegende, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung handelt. Jedoch liegt das zweite Ausnahmekriterium nicht vor, weil mit der PDT mit Verteporfin (Visudyne®) eine andere – zugelassene – Therapie verfügbar war. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die arzneimittelrechtliche Zulassung für das Medikament Visudyne® (Wirkstoff Verteporfin) als auch im Hinblick auf die Anerkennung der neuen Behandlungsmethode "PDT" durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Wegen der Eigenart der Behandlungsmethode "PDT mit Verteporfin" hängt die Leistungspflicht der GKV für diese Therapie sowohl von einer arzneimittelrechtlichen Zulassung ab als auch von einer Empfehlung des G-BA nach §§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5, 135 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V. Denn anders als bei der Behandlung mit den VEGF-Hemmer Bevacizumab (Avastin®), Ranibizumab (Lucentis®) und Pegaptanib (Macugen®), bei denen die Wirkstoffe direkt in den Glaskörper des Auges injiziert werden, wird bei der PDT zunächst der Wirkstoff Verteporfin (Visudyne®) in die Armvene injiziert, wodurch die Gefäß- einsprossungen im Auge für den im Rahmen der PDT eingesetzten Laserstrahl empfindlicher werden. Durch einen Rotlicht-Laser kommt es zu einer Reaktion des Wirkstoffes Verteporfin, Sauerstoff wird abgegeben. Damit werden Zellen der unkontrolliert wachsenden Blutgefäße zerstört (Deutsche Apothekerzeitung 2008, S. 208, 210). Visudyne® hat eine arzneimittelrechtliche Zulassung für die Behandlung von Patienten mit AMD mit vorwiegend klassischer subfovealer oder okkulter subfovealer CNV sowie für die Behandlung von Patienten mit subfovealer CNV infolge pathologischer Myopie (vgl. " Rote Liste"). Und nach dem Beschluss des G-BA vom 16.08.2007 ist in der Anlage I "Anerkannte Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden" der Richtlinie Methoden vertragsärztlicher Versorgung als Behandlungsmethode, die zu Lasten der GKV durchgeführt werden kann, anerkannt worden: "11. Photodynamische Therapie (PDT) mit Verteporfin bei subfovealer choriodialer Neovaskularisation (CNV) aufgrund von pathologischer Myopie" (BAnz. Nr. 207 [S. 7938] vom 07.11.2007). Stand also mit der PDT mit Verteporfin zur Behandlung der bei der Klägerin vorliegenden myopen CNV eine in jeder Hinsicht zugelassene Therapie zur Verfügung, die zu Lasten der GKV angewandt werden konnte, so war für einen Off-Label-Use von Lucentis® im Bereich der GKV kein Raum mehr. Die ablehnenden Entscheidungen der Beklagten sind daher nicht zu Unrecht erfolgt.
Unter diesen Umständen ist es krankenversicherungsrechtlich unerheblich, dass die verschiedenen augenfachärztlichen Gesellschaften in ihrer Stellungnahme vom 28.03.2010 die intravitreale Injektion mit Bevacizumab (Avastin®) oder Ranibizumab (Lucentis®) als "Therapie der Wahl" bei pathologisch myoper CNV empfohlen haben. In der Stellungnahme wird ausdrücklich auf die PDT mit Verteporfin als zugelassener Behandlungsmethode hingewiesen und darauf, dass die Behandlung mit den VEGF-Hemmer Macugen®, Lucentis® und Avastin® bei diesem Krankheitsbild ein Off-Label-Use ist. Ebenso ist es krankenversicherungsrechtlich unerheblich, wenn es – worauf Prof. Dr. X. in seinen Stellungnahmen hingewiesen hat – Ergebnisse klinischer Studien gibt, die deutlich machen, dass die Behandlung mit Lucentis® sicher und effektiv ist, und er deshalb diese Therapie empfohlen hat und empfiehlt. Prof. Dr. X. hat in seiner Stellungnahme vom 08.04.2011 nämlich auch erklärt, dass die von ihm befürwortete Lucentis®-Therapie nur "wahrscheinlich effektiver ist als die Behandlung mittels PDT". Auch die Deutsche Ophtalmologische Gesellschaft, die Retinologische Gesellschaft und der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands haben in ihrer Stellungnahme zur Therapie der CNV bei pathologischer Myopie vom 28.03.2010 darauf hingewiesen, dass es bei der Behandlung dieser Krankheit mit Anti-VEGF-Inhibitoren nur Fallserien, aber keine randomisierten prospektiven Studien gibt. Daraus wird deutlich, dass auch das dritte Kriterium, das nach der Rechtsprechung des BSG für einen ausnahmsweise zu Lasten der GKV möglichen Off-Label-Use eines Arzneimittels erfüllt sein muss, bei der Behandlung der Klägerin nicht erfüllt war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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