L 11 AL 408/98

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 AL 777/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AL 408/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 27.10.1998 wird zurückgewiesen.
II. Auf die Klage wird der Bescheid vom 11.06.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.09.1997 aufgehoben.
III. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er für seine Fahrertätigkeit auf dem LKW eines deutschen Unternehmens im Auftrag seines türkischen Arbeitgebers im grenzüberschreitenden Güterverkehr in Deutschland keiner Arbeitserlaubnis bedarf.

Der Kläger ist türkischer Staatsbürger mit Wohnort in der Türkei und seit 1995 als Fahrer auf in Deutschland zugelassenen LKWs des Transportunternehmens K. Internationale Transporte in H. im grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr zwischen Deutschland und der Türkei eingesetzt. Der Kläger ist Arbeitnehmer bei dem türkischen Unternehmen E. I ... Dieses Unternehmen übernimmt mit seinen Arbeitnehmern die von Kacar mit vollständigen Papieren versehenen, beladenen und gewarteten LKWs in Deutschland und überführt diese in die Türkei, löscht dort die Ladung und bringt die LKWs zurück.

Dem Kläger war zuletzt eine Arbeitserlaubnis (AE) für die beschriebene Tätigkeit, soweit sie Deutschland berührt, bis zum 30.04.1997 erteilt worden. Sein Antrag auf Arbeitserlaubnis für die Zeit ab 01.05.1997 wurde mit Bescheid des Arbeitsamtes H. vom 11.06.1997 idG des Widerspruchsbescheides vom 12.09.1997 abgelehnt. Die beabsichtigte Tätigkeit sei gemäß § 9 Nr 2 der Arbeitserlaubnisverordnung (AEVO) in der seit dem 01.10.1996 gültigen Fassung nicht (mehr) arbeitserlaubnisfrei. Eine Arbeitserlaubnis nach der Anwerbestopp-Ausnahme-Verordnung (ASAV) komme ebenfalls nicht in Frage, da der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz im Ausland habe.

Dagegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Nürnberg.

Der Inhaber des Transportunternehmens K. Internationale Transporte erwirkte im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes beim Sozialgericht Bayreuth mit Beschluss vom 14.11.1997 (Az: S 7 VR 25/97 AL) ua die Feststellung, dass der Kläger, soweit er auf den LKWs der K. Internationale Transporte im grenzüberschreitenden Güterfernverkehr eingesetzt sei, vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache diese Tätigkeit arbeitserlaubnisfrei ausüben dürfe.

Das SG Nürnberg hat mit Urteil vom 27.10.1998 der Klage des Klägers stattgegeben. Er habe die streitrelevante Tätigkeit schon vor dem Inkrafttreten der Änderung des § 9 Nr 2 AEVO (30.09.1997) ausgeübt, mit der nunmehr bestimmt werde, dass nur noch solche ausländischen Arbeitnehmer arbeitserlaubnisfrei seien, die im grenzüberschreitenden Güterverkehr bei einem Unternehmer mit Sitz im Ausland auf einem im Sitzstaat zugelassenen LKW tätig seien. Da die Neuregelung des § 9 Nr 2 AEVO keine Übergangsregelungen für Personen wie dem Kläger beinhalte - eine solche aber aus dem verfassungsmäßigen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geboten sei - sei für den Kläger die bis zum 10.10.1996 gültige Fassung des § 9 Nr 2 AEVO weiter anzuwenden. Die Rechtslage habe sich auch durch das zwischenzeitlich in Kraft getretene Arbeitsförderungsreformgesetz nicht geändert. Soweit die Beklagte auf Verstöße gegen güterkraftverkehrsrechtliche Regelungen und das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verweise, könne dies nicht Gegenstand des Verfahrens sein. Die Beklagte könne sich darauf auch nicht berufen, denn sie habe die angestrebte Tätigkeit jahrelang gebilligt und AE erteilt.

Gegen die Entscheidung des SG Nürnberg, die der Beklagten am 20.11.1998 zugestellt wurde, hat diese am 18.12.1998 Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt.

Die Beklagte trägt vor, die Einschränkung der Erlaubnisfreiheit für die Tätigkeit von LKW-Fahrten im grenzüberschreitenden Verkehr sei auch ohne Übergangsregelung möglich. Ein Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot könne allenfalls von Fuhrunternehmern behauptet werden. Eine Einschränkung von deren Rechten müsse angesichts der seit 10.10.1996, also schon vor langer Zeit eingeführten Rechtsänderung inzwischen hingenommen werden. Sie betreffe den Kläger gar nicht. Er könne aber auch aus den zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei geschlossenen Vereinbarungen besondere Rechte nicht herleiten. Das entsprechende Assoziierungsabkommen und hierauf beruhende Beschlüsse beträfen den Kläger nicht. Denn er habe, was Voraussetzung für seine besondere Berechtigungen als türkischer Staatsangehöriger im Rahmen des Arbeitserlaubnisrechts gegenüber sonstigen Ausländern sei, in Deutschland keinen Wohnsitz. Deshalb könnten für ihn Sonderrechte gar nicht entstanden sein.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des SG Nürnberg vom 27.10.1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 27.10.1998 zurückzuweisen sowie den Bescheid der Beklagten vom 11.06.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.09.1997 aufzuheben.

Er trägt vor, sehr wohl könne er sich auf Art 6 des Beschlusses Nr 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei vom 19.09.1980 berufen. Danach habe ein Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates angehöre, von diesem nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis. Das treffe auch auf seine Tätigkeit im grenzüberschreitenden Fernverkehr zu.

Der Senat hat die Akte des Sozialgerichts Nürnberg und die Akte der Beklagten beigezogen. Ihre Inhalte wurden Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Die Beklagte ist durch das Urteil des SG beschwert.

Die Berufung ist nicht begründet.

Das SG hat zu Recht die Zulässigkeit der vom Kläger erhobenen Feststellungsklage bejaht (§ 55 Abs 1 Nr 1 SGG). Für die die Zukunft betreffende Klage ist ein Feststellungsinteresse gegeben. Das hat das BSG in einem insofern vergleichbaren Fall schon festgestellt (BSG SozR 3-4210 § 9 Nr 1). Zwischen den Beteiligten ist die Anwendung öffentlich-rechtlicher Normen, nämlich von Normen des Arbeitserlaubnis-/Genehmigungsrechts, auf einen konkreten Sachverhalt streitig. Der Kläger kann sein Klageziel nicht mit Hilfe einer Gestaltungs- oder Leistungsklage erreichen.

Nach der zum Ende der mündlichen Verhandlung vor dem Senat maßgeblichen Sach- und Rechtslage (BSG aaO) bedarf der Kläger auch zukünftig keiner Arbeitserlaubnis bei seiner Tätigkeit im grenzüberschreitenden Verkehr für die in Deutschland zurückzulegenden Strecken, solange das die Arbeitserlaubnisfreiheit gewährende Recht gilt.

Die rechtliche Grundregelung für die Frage, ob die in Rede stehende Fahrertätigkeit eines türkischen Fahrers im grenzüberschreitenden Güterverkehr auf dem deutschen Teilstück seiner Frachtfahrt arbeitsgenehmigungsfrei ist, geben die §§ 284 ff Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III), das insoweit am 01.01.1998 in Kraft getreten ist (AFRG vom 24.03.1997, Art 83, BGBl I 594 ff [721]).

Nach § 284 SGB III dürfen Ausländer nur mit Genehmigung des Arbeitsamtes eine Beschäftigung im Inland ausüben und von Arbeitgebern nur beschäftigt werden, wenn sie eine solche Genehmigung besitzen. Keiner Genehmigung bedürfen ua Ausländer, wenn dies in zwischenstaatlichen Vereinbarungen, auf Grund eines Gesetzes oder durch Rechtsverordnung bestimmt ist (§ 284 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB III).

Letzteres ist hier der Fall. Der Kläger kann sich als türkischer Arbeitnehmer auf die zwischenstaatlichen Vereinbarungen berufen, die die Europäische Gemeinschaft mit der Türkei abgeschlossen hat. Diese Vereinbarungen konservieren den Rechtszustand, der zu Beginn der Beschäftigung der türkischen Fahrer in Deutschland bestanden hat (Stillhalteklausel).

Grundlegend ist das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12.09.1963, transformiert durch das Gesetz zum Assoziierungsabkommen vom 13.05.1964 (BGBl II S 509). Die Vertragsparteien haben in Art 12 des Abkommens vereinbart, sich von den Art 48, 49 und 50 des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft (EGV) leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen. Um die Anwendung und schrittweise Entwicklung der Assoziationsregelung sicherzustellen, treten die Vertragsparteien in einem Assoziationsrat zusammen; dieser wird im Rahmen der Befugnisse tätig, die ihm in dem Abkommen zugewiesen sind (Art 6 des Abkommens). Art 22 des Abkommens befugt den Assoziationsrat, zur Verwirklichung der Ziele des Abkommens und in den darin vorgesehenen Fällen Beschlüsse zu fassen.

Unter dieser Voraussetzung und unter Beachtung des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12.09.1963, transformiert durch das Gesetz vom 19.05.1972 (BGBl II S 385), hat der Assoziationsrat (gemäß Art 12 des Abkommens und Art 36 des Zusatzprotokolls) den Beschluss Nr 1/80 vom 19.09.1980 (ANBA 1981 S 4 bis 6) erlassen (ARB).

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - hat in ständiger Rechtsprechung festgestellt, dass einige Bestimmungen des ARB 1/80 unmittelbar anzuwendendes Gemeinschaftsrecht sind und sich ein türkischer Arbeitnehmer unmittelbar darauf berufen kann (zB im Urteil vom 23.01.1997 - Rs. C-171/75 "T." in NVwZ 1997 S 677 RdNr 15 bis 18, 22; vgl auch BVerwGE 98, 31 (33)). So entfaltet auch die in Art 13 ARB 1/80 enthaltene Stillhalteklausel zwischen den Mitgliedsstaaten unmittelbare Wirkung (EuGH, Urteil vom 11.05.2000, C-37/38, "S.", RdNr 49).

Art 13 ARB 1/80 lautet: Die Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft und die Türkei dürfen für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.

Die Stillhalteklausel des Art 13 ARB erfasst zur Überzeugung des erkennenden Senats auch die streitrelevante Beschäftigung der türkischen Fahrer auf den deutschen Teilstrecken ihrer grenzüberschreitenden Tätigkeit.

Seinem eindeutigen Wortlaut nach setzt Art 13 ARB nur voraus, dass Aufenthalt und Beschäftigung des türkischen Arbeitnehmers im Inland des Mitgliedsstaates ordnungsgemäß sind. Dabei kann "ordnungsgemäß" keine weitere Bedeutung als "legal" haben. Legal sind der Aufenthalt und eine Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates, wenn Aufenthalt und Beschäftigung im Einklang mit den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Mitgliedsstaates erfolgen (EuGH Urteil vom 26.11.1998 - Rs. C-1/97 Rdnrn 50, 51, 52 = NVwZ 1999, 1099; BVerwGE 98, 31 (34)).

Die auf die deutschen Teilstrecken entfallende Beschäftigung des türkischen Klägers, um die es hier geht, war ursprünglich ordnungsgemäß iS des Art 13 ARB 1/80. Denn er bedurfte nach § 9 Nr 2 der am 01.04.1971 in Kraft getretenen AEVO vom 02.03.1971 (BGBl I S 152) idF der 10. Verordnung zur Änderung der AEVO vom 01.09.1993 (BGBl I S 1527) als Zugehöriger zum fahrenden Personal im grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr keiner Arbeitserlaubnis.

Er hielt sich während seiner Arbeit in Deutschland mit Visa der dafür zuständigen Behörden ordnungsgemäß iS des Art 13 ARB 1/80 im Bundesgebiet auf.

Schließlich gehört seine Tätigkeit im grenzüberschreitenden Güterverkehr auf den deutschen Teilstrecken auch zu dem in Art 13 ARB 1/80 benannten Arbeitsmarkt. Diese Regelung erfasst vom Wortlaut her jede Beschäftigung eines türkischen Arbeitnehmers in einem Mitgliedsstaat, auch zB eine geringfügige oder eine solche, die ihren tatsächlichen oder arbeitsrechtlichen Schwerpunkt in der Türkei hat. Denn der Begriff "ordnungsgemäße Beschäftigung" knüpft an das inländische Recht an (BVerwGE 98, 31 (34, 35)). Nach inländischem (deutschem) Recht werden vom Arbeitserlaubnisrecht ausnahmslos alle Arbeitsverhältnisse von Ausländern im Inland erfasst. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 284 SGB III, der uneingeschränkt alle Beschäftigungen von Ausländern im Inland erfasst und auch aus der Verordnungsermächtigung des § 288 Abs 1 SGB III, wonach durch Verordnung ausnahmsweise bestimmte Ausländerbeschäftigungen von der Genehmigungspflicht ausgenommen werden dürfen. Dh, auch soweit Arbeitsgenehmigungsfreiheit besteht, basiert diese auf einer Arbeitserlaubnisregelung. Folgerichtig hat das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung über die in Rede stehende Beschäftigung von türkischen LKW-Fahrern Regelungen im § 9 Nr 2 AEVO bzw § 9 Nr 3 Arbeitsgenehmigungsverordnung (ArGV) getroffen. § 13 ArGV stellt systemkonsequent regelnd klar, dass im Vergleich zu den Bestimmungen der ArGV günstigere Regelungen des ARB 1/80 über den Zugang türkischer Arbeitnehmer ... zum Arbeitsmarkt unberührt bleiben.

Eine neue Beschränkung für den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt wurde jedoch für ausländische, somit auch türkische Arbeitnehmer, die im grenzüberschreitenden LKW-Verkehr eingesetzt sind, durch die am 10.10.1996 in Kraft getretene Verordnung (BGBl I S 1491) zur Änderung des Arbeitserlaubnisrechts vom 30.09.1996 geschaffen, indem § 9 Nr 2 der AEVO nochmals verändert wurde.

Die AEVO in ihrer Ursprungsfassung regelte in § 9 Nr 2, dass "keiner Arbeitserlaubnis bedürfen ... 2. das fahrende Personal im grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr ..." Die 10. Verordnung zur Änderung der AEVO vom 01.09.1993 (BGBl I S 1527) legte mit Wirkung vom 01.09.1993 fest, dass "keiner Arbeitserlaubnis bedürften ... 2. das fahrende Personal im grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr bei Arbeitgebern mit Sitz im Ausland". Damit wurde geregelt, dass die Arbeitserlaubnisfreiheit nur im Falle der "Einstrahlung" der Tätigkeit auf deutsches Gebiet bei Beschäftigung durch einen im Ausland ansässigen Unternehmer gewährt wird. Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 10.03.1994 (SozR 3-4210 § 9 Nr 1) klargestellt, dass die Normänderung zum 01.09.1993 nicht nur deklaratorische, sondern konstitutive Bedeutung hatte und eine materiell-rechtliche, einengende Modifizierung der bisherigen Vorschrift gebracht hat. In der Folgezeit haben sich Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung der ab 01.09.1993 gültigen Neufassung des § 9 Nr 2 AEVO ergeben. Die Beklagte hat die Meinung vertreten, dass die Vorschrift des § 9 Nr 2 AEVO nur für ausländische Kraftfahrer gelten könne, die bei einem im Ausland ansässigen Unternehmer beschäftigt sind und wenn zudem die benutzten Fahrzeuge im Sitzstaat des Unternehmers zugelassen seien. Nicht unter die Befreiungsvorschrift sollten nach Meinung der Beklagten im Ausland wohnende Kraftfahrer fallen, die LKW von einem in Deutschland ansässigen Unternehmen fahren. Die Beklagte hat den betroffenen Unternehmen bzw ausländischen Arbeitnehmern, soweit in Deutschland zugelassene LKW gefahren wurden, jedoch aus Gründen des Vertrauensschutzes eine Übergangsfrist für die Umstellung auf die ihrer Ansicht nach schon ab 01.09.1993 auch insofern geänderte Rechtslage eingeräumt und den betoffenen ausländischen Arbeitnehmern ab Mitte 1995 bis insgesamt 30.04.1997 Arbeitserlaubnisse gewährt. Diese Verwaltungspraxis beruhte auf Weisungen des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung.

Mit der Änderung der AEVO vom 30.09.1996, die mit Wirkung vom 10.10.1996 in Kraft trat, wurde der Wortlaut des § 9 Nr 2 AEVO an die schon zuvor vom Verordnungsgeber vertretene Rechtsmeinung angepasst und noch enger gefasst. Danach bedarf nun nur noch "keiner Arbeitserlaubnis ... 2. das fahrende Personal im grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr bei Arbeitgebern mit Sitz im Ausland, sofern a) das Fahrzeug im Sitzstaat des Arbeitsgebers zugelassen ist ... " Die AEVO ist schließlich durch die ArGV vom 17.09.1998 (BGBl I S 2899) mit Wirkung vom 25.09.1998 abgelöst worden. Die Bestimmung des § 9 Nr 2a AEVO im hier relevanten Umfange findet sich inhaltsgleich nunmehr in § 9 Nr 3a ArGV.

Mit der Neufassung des § 9 Nr 2a AEVO zum 10.10.1996 trat auch für türkische Arbeitnehmer formal eine wesentliche Beschränkung für den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt ein. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Übergangsregelung in die Verordnung hätte aufgenommen werden müssen. Eine solche Übergangsregelung wäre heute in jedem Falle abgelaufen. Der VO-Geber hat durch seine Weisung an die Beklagte und durch die Wiederholung der Neuregelungen vom 10.10.1996 in der ArGV ca zwei Jahre später zu erkennen gegeben, dass er allenfalls eine knappe und keinesfalls über den Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der ArGV zum 25.09.1998 hinaus geltende Übergangsregelung wollte.

Zusammenfassend ist also festzustellen, dass eine wesentliche Einschränkung des Zugangs der in Rede stehenden türkischen LKW-Fahrer zum deutschen Arbeitsmarkt ab 10.10.1996, allenfalls wegen einer etwa notwendigen Übergangsregelung etwas später, eingetreten ist.

Die Neuregelung war - anders als die Beklagte meint - konstitutiv und nicht nur deklaratorisch. Die bis zum 10.10.1996 gültige Fassung des § 9 Nr 2 AEVO war mit der Neuregelung nicht identisch. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Vergleich des Wortlauts beider Regelungen. Zudem kann grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden, dass bei Rechtsminderungen diese über ihren Wortlaut hinaus auszulegen sind. Zumal wenn - wie im vorliegenden Regelungstatbestand - die beiden Änderungen jeweils für sich gesehen - wesentliche Rechtsminderungen für die Betroffenen brachten. Für eine konstitutive Änderung des § 9 Nr 2a AEVO zum 10.10.1996 spricht auch die vorher nicht gegebene Differenzierung in § 9 Nr 2b AEVO. In der letztgenannten Vorschrift wird auch - wie bisher - ab 10.10.1996 nicht zur Voraussetzung einer Arbeitserlaubnisfreiheit gemacht, dass die Fahrzeuge (hier Omnibusse) im Ausland zugelassen sind.

Diese Einschränkung der Arbeitserlaubnisfreiheit ab 10.10.1996 verstößt gegen das Assoziationsrecht und ist deshalb für den türkischen Kläger unbeachtlich. Für ihn gilt die bis zum 09.10.1996 gültige Regelung weiter, so dass er auf den deutschen Teilstrecken seiner grenzüberschreitenden Frachtrouten weiterhin arbeitserlaubnisfrei fahren darf. Die ArGV stellt in § 13 klar, dass günstigere Regeln des Beschlusses Nr 1/80 des Assoziationsrates den Bestimmungen der ArGV vorgehen.

Der Schutzbereich des Art 13 ARB erfasst nicht nur seinem Wortlaut nach, sondern auch von Sinn und Zweck her den Schutz der im grenzüberschreitenden Verkehr eingesetzten türkischen Arbeitnehmer. Der Beschluss 1/80 ARB beinhaltet einen weiteren durch die Art 48, 49 und 50 EGV geleiteten Schritt zur Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zwischen der Türkei und den Mitgliedsstaaten (EuGH Urteil vom 23.01.1997 - Rs. C-171/95 "T." Rdnrn 19, 20 = NVwZ 1997, 677). Im Lichte dieses Normzweckes erlaubt es der Schutz des inländischen Arbeitsmarktes in Fällen wie dem vorliegenden, bei dem der inländische Arbeitsmarkt nur marginal berührt wird, nicht, die Stillhalteklausel restriktiv zu interpretieren, etwa dergestalt, dass nur solche Arbeitsverhältnisse darin einzubeziehen wären, die ihren arbeitsrechtlichen oder ihren faktischen Schwerpunkt im Inland eines Mitgliedsstaates haben. Im Gegenteil sind solche Arbeitsverhältnisse in den Schutzbereich des Art 13 ARB einzubeziehen, die nur eine Ausstrahlung eines türkischen Arbeitsverhältnisses in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates bedeuten. Der Beschluss 1/80 ARB ist offensichtlich ein Kompromiss zwischen den Vertragspartnern des Assoziierungsabkommens. Damit sollte ein wesentlicher Schritt zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer der Türkei und der Mitgliedsstaaten getan werden (EuGH Urteil vom 20.09.1990 - Rs. C-192/89 "S." Rdnr 20 = NVwZ 1991 S 255). Hintergrund dieses Kompromisses war, dass einerseits die volle Freizügigkeit von der Türkei für ihre Arbeitnehmer begehrt wurde und andererseits die Mitgliedsstaaten ihren Arbeitsmarkt vor dem vollen Zugang aller türkischen Arbeitnehmer schützen wollten. Unter diesen Voraussetzungen gibt es offensichtlich keinen Sinn, die Freizügigkeit von türkischen Arbeitnehmern, die den Arbeitsmarkt der Mitgliedstaaten nur - wie im vorliegenden Fall - marginal berühren, stärkeren Einschränkungen zu unterwerfen, als die Freizügigkeit für jene Arbeitnehmer, die ihren arbeitsrechtlichen oder faktischen Schwerpunkt in einem Mitgliedsstaat haben. Die letztgenannten Arbeitnehmer stellen nämlich für den Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates eine weit größere Belastung dar als die Arbeitnehmer im vorliegenden Falle.

Eine unzulässige Arbeitnehmerüberlassung liegt nicht vor. Das türkische Unternehmen ist Arbeitgeber des Klägers und erbringt mit ihm die der deutschen Auftraggeberin geschuldete Leistung, die LKW an die vereinbarten Ziele zu fahren. Gegen eine unzulässige Arbeitnehmerüberlassung spricht die Regelung in § 9 Nr 3b ArGV, die die Arbeitserlaubnisfreiheit für das fahrende Personal im grenzüberschreitenden Personenverkehr bei Arbeitgebern mit Sitz im Ausland feststellt, wenn das Fahrzeug im Inland zugelassen ist, für eine Tätigkeit der Arbeitnehmer im Linienverkehr mit Omnibussen. Der Senat sieht, was die Frage der Arbeitnehmerüberlassung angeht, keinen Unterschied zwischen Güter- und Personenverkehr. Er geht davon aus, dass der Verordnungsgeber in § 9 Nr 3b ArGV keine Arbeitserlaubnisfreiheit in Fällen unzulässiger Arbeitnehmerüberlassung gewähren wollte.

Dahingestellt bleibt, ob, wie die Beklagte geltend macht, die Klägerin, ihre Fahrer oder ihr deutscher Auftraggeber gegen das deutsche Güterkraftverkehrsrecht verstoßen. Etwaige derartige Verstöße zu ahnden oder zu unterbinden ist den für das Güterkraftverkehrsrecht zuständigen Behörden und Gerichten aufgegeben und vorbehalten.

Demzufolge war die Berufung der Beklagten gegen das Feststellungsurteil des SG Nürnberg vom 27.10.1998 zurückzuweisen.

Der Senat ist zur Klarstellung auch dem Antrag des Klägers hinsichtlich des Bescheides vom 11.06.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.09.1997 gefolgt, mit dem die Beklagte dem Kläger die Erteilung einer AE versagt hat. Diese Entscheidung kann im Lichte der obigen Ausführungen zum Feststellungsverfahren keinen Bestand haben. Schon das SG hätte sie aufheben müssen. Mit dem Tenor zu II) wird überflüssiger Formalismus gemieden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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