L 10 AL 45/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 AL 485/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 45/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 18. November 1998 und die Bescheide der Beklagten vom 04.09.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.10.1996 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab 13.08.1996 Arbeitslosengeld zu gewähren.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Parteien die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) an die Klägerin ab dem 13.08.1996.

Die Klägerin war seit dem 01.09.1985 bei der Fa ... AG in Schweinfurt beschäftigt. Ab dem 20.03.1992 befand sie sich im Mutterschutz. Am 07.05.1992 wurde ihre Tochter Lena geboren. Vom 03.07.1992 bis 06.11.1993 bezog die Klägerin Bundeserziehungsgeld und vom 07.11.1993 bis 06.05.1994 Landeserziehungsgeld. Zwischen dem 07.05.1994 und dem 06.05.1995 erhielt sie keine Leistungen, vom 07.05.1995 bis 12.08.1996 bezog die Klägerin Krankengeld.

Ihren Antrag vom 13.08.1996 auf Gewährung von Alg lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 04.09.1996 ab, da die Anwartschaftszeit für den Bezug von Alg nicht erfüllt sei. Weil sie vom 07.05.1994 bis 06.05.1995 nicht in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden habe, diene der anschließende Bezug von Krankengeld nicht zur Erfüllung der Anwartschaftszeit.

Der hiergegen am 09.09.1996 eingelegte Widerspruch wurde mit Bescheid vom 25.10.1996 zurückgewiesen. Der Bezug von Krankengeld aus der gesetzlichen Krankenversicherung stelle nur dann eine gleichgestellte Zeit zum Erwerb eines Anspruches auf Alg dar, wenn die Bezieherin von Krankengeld unmittelbar zuvor in einer die Beitragspflicht nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) begründenden Beschäftigung gestanden oder eine laufende Ersatzleistung nach diesem Gesetz bezogen hätte.

Die dagegen am 29.11.1996 zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhobene Klage wurde mit Urteil vom 18.11.1998 abgewiesen. Die Klägerin könne sich nicht auf das Vorliegen eines Überbrückungstatbestandes, wie im Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25.01.1994 angenommen, berufen. Die Zeit vom 07.05.1994 bis 06.05.1995 sei nicht von zwei privilegierten Zeiträumen eingerahmt worden, denn die Zeit des Bezuges von Krankengeld durch die Klägerin sei nicht beitragspflichtig gewesen, weil sie nicht unmittelbar vor Beginn des Krankengeldbezuges in einer die Beitragspflicht nach dem AFG begründenden Beschäftigung gestanden oder eine laufende Lohnersatzleistung nach dem AFG bezogen habe.

Gegen das ihr am 22.01.1999 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 18.02.1999 Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Sie trägt vor, der Bezug von Krankengeld vom 07.05.1995 bis 12.08.1996 stelle entgegen der Auffassung des Erstgerichts eine der die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gleichgestellte und damit privilegierte Zeit dar. Die Zeit vom 07.05.1994 bis 06.05.1995 bilde nach der Rechtsprechung des BSG einen Überbrückungstatbestand, in dem die Klägerin zwar kein Erziehungsgeld bezogen, sondern von der Möglichkeit des weiteren Erziehungsurlaubs Gebrauch gemacht und sich der Betreuung und Erziehung ihres Kindes Lena gewidmet habe. Im Übrigen habe der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung der Klägerin während der Zeit der Krankengeldbezuges Beiträge an die Beklagte abgeführt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 18.11.1998 und die Bescheide der Beklagten vom 04.09.1996 und 25.10.1996 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab 13.08.1996 Alg zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Würzburg vom 18.11.1998 zurückzuweisen.

Sie führt aus, der Entscheidung des BSG vom 25.01.1994 liege ein anderer Sachverhalt zugrunde, da darin über eine beitragsfreie Zeit zwischen gleichgestellten und beitragspflichtigen Bundeserziehungsgeldzeiten entschieden worden sei, hier jedoch zwei unterschiedliche Zeiten (Erziehungsgeld und Krankengeldbezug) vorlägen. Beide Leistungen verfolgten nicht denselben Sinn und Zweck. Im Übrigen könne es nicht entscheidend sein, dass die gesetzliche Krankenversicherung der Klägerin während des Krankengeldbezuges Beiträge zur Arbeitslosenversicherung abgeführt habe. Maßgeblich sei vielmehr, ob die Voraussetzungen der Beitragspflicht vorlägen. Dies aber sei nicht der Fall gewesen.

Die Beteiligten haben sich im Termin vom 19.07.2000 mit einer Entscheidung ohne weitere mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Auf die beigezogenen Akten der Beklagten und des SG wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist auch im Übrigen zulässig (§ 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG). Der Senat konnte ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten damit im Termin vom 19.07.2000 einverstanden erklärt hatten (§ 124 Abs 2 SGG).

Das Rechtsmittel ist auch begründet, denn das SG hat zu Unrecht die Klage gegen die Bescheide der Beklagten vom 04.09.1996 und 25.10.1996, in denen ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Alg ab dem 13.08.1996 abgelehnt worden war, abgewiesen.

Anspruch auf Alg hat, wer arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, die Anwartschaftszeit erfüllt, sich beim AA arbeitslos gemeldet und Alg beantragt hat (§ 100 Abs 1 AFG).

Die Klägerin meldete sich am 13.08.1996 bei der Beklagten arbeitslos, beantragte die Gewährung von Alg und stand der Arbeitsvermittlung zur Verfügung.

Entgegen der Auffassung des SG erfüllt sie auch die Anwartschaftszeit des § 104 AFG.

Die Anwartschaftszeit hat erfüllt, wer in der Rahmenfrist 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung (§ 168 AFG) gestanden hat (§ 104 Abs 1 AFG). Die Rahmenfrist geht dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit unmittelbar voraus, an dem die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg erfüllt sind oder nach § 105 AFG als erfüllt gelten. Die Rahmenfrist beträgt dabei drei Jahre und ragt nicht in eine vorangegangene Rahmenfrist hinein, in der die Arbeitslose eine Anwartschaftszeit erfüllt hatte (§ 104 Abs 2 und 3 AFG).

Zeiten, für die die Arbeitslose Erziehungsgeld oder eine entsprechende Leistung der Länder bezogen hat oder nur wegen der Berücksichtigung von Einkommen nicht bezogen hat, wenn durch die Betreuung und Erziehung des Kindes eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung oder der Bezug einer laufenden Lohnersatzleistung nach diesem Gesetz unterbrochen worden ist, stehen dabei Zeiten einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gleich (§ 107 Abs 1 Nr 5c AFG). Für die Erfüllung der Anwartschaftszeit kann deshalb die Zeit vom 13.08.1993 bis 06.05.1994 (Bezug von Bundes- bzw Landeserziehungsgeld durch die Klägerin für die Dauer von 267 Tagen) berücksichtigt werden.

Einer die beitragspflicht begründenden Beschäftigung steht jedoch auch eine Zeit gleich, für die wegen des Bezugs von Krankengeld Beiträge nach § 186 AFG zu zahlen waren (§ 107 Abs 1 Nr 5a AFG). Gemäß § 186 Abs 1 Satz 1 AFG stellt der Bezug von Krankengeld aus der gesetzlichen Krankenversicherung allerdings nur dann eine gleichgestellte Zeit zum Erwerb eines Anspruches auf Alg dar, wenn die Bezieherin dieser Leistung unmittelbar vor deren Beginn in einer die Beitragspflicht nach dem AFG begründenden Beschäftigung gestanden oder eine laufende Lohnersatzleistung nach diesem Gesetz bezogen hat. Die Klägerin befand sich in der Zeit vom 07.05.1994 bis 06.05.1995 in Erziehungsurlaub ohne Bezug von Leistungen. Die Zeit ihres Krankengeldbezuges vom 07.05.1995 bis 12.08.1996 kann dennoch zur Begründung eines Anspruches auf Alg ab dem 13.08.1996 herangezogen werden, denn der in § 107 Satz 1 Nr 5a AFG geforderte Unterbrechungstatbestand ist nicht identisch mit der Forderung nach Unmittelbarkeit im Anschluss an eine beitragspflichtige Beschäftigung oder eine laufende Lohnersatzleistung, die von einer beitragspflichtigen Beschäftigungszeit umrahmt wird. Der Unterbrechungstatbestand des § 107 Satz 1 Nr 5 Buchst a AFG ist vielmehr auch gewahrt, wenn sich mehrere mit der Geburt eines Kindes und dessen Betreuung und Erziehung zusammenhängende gleichgestellte Zeiten aneinanderreihen, sich nur - wie hier die erste Zeit - an eine beitragspflichtige Beschäftigung anschließt und nach der letzten gleichgestellten Zeit eine Arbeitslosmeldung erfolgt. Wie auch im Rentenversicherungsrecht Überbrückungszeiten anerkannt sind, die einen erforderlichen Unterbrechungstatbestand wahren (vgl BSGE 32, 229 ff = SozR Nr 32 zu § 1259 RVO; BSG SozR 2200 § 1259 Nr 23; BSG SozR 2200 § 1259 Nr 94 mwN), muss dies prinzipiell auch für § 107 Abs 1 Satz 1 Nr 5a AFG gelten. Entscheidend ist dabei nicht der Bezug von Sozialleistungen durch die Klägerin, sondern dass sie gerade wegen der Betreuung und Erziehung eines Kindes während der ersten drei Lebensjahre an der Entrichtung weiterer Pflichtbeiträge bzw an der Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gehindert war.

Mit der Einführung des Erziehungsgeldes verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, die Erziehungskraft der Familie und die Anerkennung der Erziehungsleistung durch die Möglichkeit zur Wahl zwischen Familie und Erwerbstätigkeit zu stärken (vgl BT-Drucks 10/3792 S 1 und 13); § 107 Abs 1 Satz 1 Nr 5c AFG konkretisiert dieses Vorhaben für den Bereich der Arbeitsförderung. Absicht des Gesetzgebers war es dabei, eine Beeinträchtigung der sozialen Sicherheit der Erziehenden im Falle der Betreuung und Erziehung eines Kindes zu verhindern (BT-Drucks 10/3792 S 23), ein Anliegen, das in einer Vielzahl von Vorschriften des AFG zum Ausdruck kommt (vgl etwa § 46 Abs 1 Satz 3 Nr 1, § 49 Abs 1 Satz 2, § 59 Abs 1 Satz 5, § 112 Abs 2 Satz 2) und nicht zuletzt auch das Schwangeren- und Familienhilfegesetz vom 27.02.1992 (BGBl I, 1398) bestimmt. Insbesondere Art 5 dieses Gesetzes (Anspruch auf einen Kindergartenplatz ab dem 3.Lebensjahr) verdeutlicht, dass die Wahl, ein Kind bis zu dessen 3.Lebensjahr zu erziehen, noch keine Abkehr von der beruflichen Tätigkeit darstellt. Eine gesellschaftlich geförderte und zu fördernde Erziehungsleistung darf dann aber die mit § 107 Satz 1 Nr 5c AFG verfolgten Zwecke nicht konterkarieren; die von der Klägerin bereits erworbenen anwartschaftsbegründenden Zeiten des Bezuges von Erziehungsgeld dürfen also nicht durch eine dem gleichen Ziel folgende Erziehungsleistung ohne Leistungsbezug innerhalb der Rahmenfrist des § 104 Abs 2 und 3 AFG (drei Jahre) verloren gehen, denn anderernfalls würde die Schutzfunktion dieser Vorschrift in ihr Gegenteil verkehrt (vgl zum Ganzen BSG vom 25.01.1994 - 7 RAr 30/93 = BSGE 74, 28, 34 f = SozR 3-4100 § 107 AFG Nr 6; BSGE 72, 177, 181 = SozR 3-41000 § 112 Nr 13; BSGE 74, 77, 88 f; BSG vom 29.04.1998 - B 7 AL 30/97 R in SozR 3-4100 § 107 AFG Nr 10).

Der Bezug von Krankengeld durch die Klägerin in der Zeit vom 07.05.1995 bis 12.08.1996 stellt deshalb eine der die Beitragspflicht begründende Beschäftigung gleichstehende Zeit iSd § 107 Abs 1 Satz 1 Nr 5a AFG dar, die zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dient. Zusammen mit der Zeit des Bezuges von Erziehungsgeld weist die Klägerin damit in der Rahmenfrist vor dem 13.08.1996 für mehr als 360 Kalendertage Zeiten auf, die einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gleichstehen, so dass sie ab diesem Zeitpunkt Anspruch auf Gewährung von Alg hat.

Das Urteil des SG vom 18.11.1998 und die Bescheide der Beklagten vom 04.09.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.10.1996 waren deshalb aufzuheben. Die Beklagte hat der Klägerin ab 13.08.1996 Alg zu zahlen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat der Senat die Revision zum BSG zugelassen (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved