L 6 SB 940/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SB 754/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 940/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) streitig.

Die 1961 geborene Klägerin beantragte am 11.11.2008 die Feststellung des GdB. Das Landratsamt Rastatt zog den Arztbrief des Dr. F., Ärztlicher Leiter der Rheumatologie des Rheuma-Zentrums B.-B., vom 06.11.2008 (degeneratives Wirbelsäulensyndrom, insbesondere im Hals- und Lendenwirbelsäulenbereich, sekundäres Fibromyalgie-Syndrom, Arthrose des linken Sprunggelenks, Großzehengrundgelenksarthrose beidseits, arterielle Hypertonie, Adipositas per magna) bei. Dr. Z-C. berücksichtigte in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 10.12.2008 als Behinderungen ein Fibromyalgie-Syndrom und degenerative Veränderungen der Wirbelsäule (Teil-GdB 20) sowie eine Sprunggelenks- und Großzehenarthrose (Teil-GdB 10) und bewertete den Gesamt-GdB mit 20. Mit Bescheid vom 12.12.2008 stellte das Landratsamt den GdB der Klägerin mit 20 seit 11.11.2008 fest.

Hiergegen legte die Klägerin am 19.12.2008 Widerspruch ein. Dr. G. hielt in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 14.01.2009 an der bisherigen versorgungsärztlichen Beurteilung fest. Mit Widerspruchsbescheid vom 06.02.2009 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Widerspruch zurück.

Hiergegen erhob die Klägerin am 23.02.2009 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe. Das Sozialgericht hörte zunächst den Internisten Z. unter dem 04.05.2009 schriftlich als sachverständigen Zeugen. Dieser beschrieb, dass im Vordergrund seiner Behandlung die chronischen Muskel- und Gelenkschmerzen stünden. Die radikuläre Symptomatik sei nicht ausreichend berücksichtigt. Er fügte Arztbriefe des Neurologen und Psychiaters Dr. H. vom 20.09.2005 (Lumbalgie, Karpaltunnelsyndrom beidseits), 16.11.2006 (benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel, Zustand nach Medianus-Neurolyse rechts, Karpaltunnelsyndrom links, oberes Zervikalsyndrom), 20.06.2007 (Zustand nach Medianus-Neurolyse rechts, Karpaltunnelsyndrom links) und 23.12.2008 (radikuläres C7-Syndrom rechts), des Orthopäden Dr. K. vom 15.05.2006 (Verdacht auf Senk-Knick-Spreizfuß beidseits, lumbosakrales Facettensyndrom mit Blockierung, akute Iliosacralgelenks-Blockierung rechts, pseudoradikuläres Syndrom, Fersensporn links) und 13.11.2006 (psychogene Polyarthralgie, Hals-Brustwirbelsäulensyndrom mit Blockierung), des Orthopäden Dr. B. vom 07.08.2008 (Senk-Spreizfuß beidseits, Metatarsalgie links, Lendenwirbelsäulensyndrom, Blockierung der Lendenwirbelsäule) und 13.10.2008 (Lenden-Brustwirbelsäulensyndrom, Myogelosen der Rückenstrecker) bei. Des weiteren reichte er die Arztberichte der Radiologin Dr. N. vom 30.03.2009 (rechtskonvexe Brustwirbelsäulen-Skoliose mit diskreter Spondylose) sowie den Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik Höhenblick, in der die Klägerin vom 22.01. bis 19.02.2009 ein stationäres Heilverfahren absolviert hatte (rezidivierendes Halswirbelsäulensyndrom mit sensibler Wurzelreizsymptomatik C7 rechts, sekundäre Fibromyalgie, Sprunggelenksarthrose links, allergische Hautreaktion, Fersensporn beidseits) zu den Akten. Dr. B. hielt in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 06.08.2009 an der bisherigen versorgungsärztlichen Beurteilung fest, da dauerhafte höhergradige Einschränkungen der Beweglichkeit der Wirbelsäule und der Gelenke nicht belegt seien.

Sodann holte das Sozialgericht von Amts wegen das Gutachten des Orthopäden Dr. B. vom 02.12.2009 ein. Der Sachverständige diagnostizierte ein Myofaszialis-Syndrom, diskrete degenerative Veränderungen der unteren Halswirbelsäule und der unteren Lendenwirbelsäule im Sinne einer Spondylarthrose, eine initiale Arthrose des rechten oberen Sprunggelenks, eine initiale Großzehengrundgelenksarthrose sowie eine Präcoxarthrose und bewertete die Fibromyalgie bei geringgradigen degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule mit einem Teil-GdB von 20, die arthrotischen Veränderungen im Hüft- und Sprunggelenksbereich mit einem Teil-GdB von 10 sowie den Gesamt-GdB mit 20.

Mit Gerichtsbescheid vom 10.02.2010 wies das Sozialgericht die Klage nach vorangegangener Anhörung ab. Die GdB-Beurteilung des Dr. B. sei nicht zu beanstanden. Insbesondere ergäben sich aus den übrigen Befundunterlagen keine gegenteiligen Anhaltspunkte. Die durch das Fibromyalgiesyndrom einschließlich der degenerativen Veränderungen verursachten funktionellen Beeinträchtigungen erreichten kein Ausmaß, das einen Teil-GdB von 30 bedinge. Eine entzündlich-rheumatische Erkrankung hätte bei der Behandlung im Rheumazentrum ausgeschlossen werden können. Als Vergleichsgrundlage sei daher heranzuziehen, dass für schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt und für mittelgradige funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten jeweils ein GdB von 30 anzunehmen wäre. Ein derartiger Befund lasse sich bei der Klägerin nicht nachweisen. Die Fettstoffwechselstörung, das hyperreagible Bronchialsyndrom und die arterielle Hypertonie seien ohne sekundäre Folgeschäden und begründeten keinen GdB von jeweils mindestens 20. Weitergehende Funktionsbeeinträchtigungen, insbesondere auf nervenfachärztlichem Gebiet in Form einer depressiven Störung, die zusätzlich zur Bewertung des Fibromyalgiesyndroms zu berücksichtigen wären, seien nicht dokumentiert. Es werde im Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik Höhenblick über eine subdepressive Stimmungslage berichtet.

Hiergegen hat die Klägerin am 22.02.2010 Berufung eingelegt. Sie hat vorgetragen, sie sei schon anderthalb Jahre arbeitsunfähig und ihre Schmerzen würden sich verschlimmern. Die Klägerin hat die Arztbriefe des Prof. Dr. W., Chefarzt der Medizinischen Klinik I der Stadtklinik B.-B., vom 09.03.2010 (rezidivierende hypertensive Entgleisungen bei bekannter arterieller Hypertonie, aktuell nicht behandelt, und Verdacht auf mittelgradige Stenosierung im proximalen Drittel der linken Nierenarterie, Adipositas, bekannte Arthrose, Hypercholesterinämie; Entlassung im kardiopulmonal stabilen Zustand) und der Dr. St., Assistenzärztin in der Zentralen Notaufnahme der Stadtklinik B.-B., vom 17.03.2010 (hypertensive Entgleisung, Husten und Synkope/Kollaps; die beschwerdefreie Klägerin lehnte eine stationäre Abklärung ab) vorgelegt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. Februar 2010 aufzuheben, den Bescheid vom 12. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. Februar 2009 abzuändern und den Beklagen zu verurteilen, den Grad der Behinderung mit mehr als 20 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Dr. Reiniger hat in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 30.06.2010 als zusätzliche Behinderung einen Bluthochdruck (Teil-GdB 10) berücksichtigt und den Gesamt-GdB weiterhin mit 20 bewertet.

Der Berichterstatter hat den Sachverhalt mit den Beteiligten am 02.12.2010 erörtert. Die Klägerin hat anlässlich dessen die Bescheinigung des Orthopäden Dr. Sch. vom 29.11.2010 (chronisch rezidivierendes Lumbalsyndrom mit Ischialgie rechts bei Skoliose, Coxarthrose rechts, Sprunggelenksarthrose links, Fersensporn links, Fibromyalgie, chronisch rezidivierendes Cervikal- und Thorakalsyndrom bei Vorliegen von Osteochondrosen) vorgelegt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat mit zutreffender Begründung dargelegt, dass der GdB der Klägerin 20 beträgt.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die Beurteilung des GdB sind die Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX). Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Sätze 3 und 6 SGB IX). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei ist die seit 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) 2008" (AHP) getretene Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG vom 10.12.2008 - BGBl. I. S. 2412 (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) anzuwenden.

Das Sozialgericht hat in der angefochtenen Entscheidung zutreffend und umfassend ausgeführt, weshalb im vorliegenden Verfahren ein höherer GdB nicht festzustellen ist. Der Senat schließt sich gemäß § 153 Abs. 2 SGG diesen Ausführungen nach eigener Prüfung unter Verweis auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheides zur Vermeidung von Wiederholungen an.

Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren und der von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Unterlagen ist gegenüber der angefochtenen Entscheidung des Sozialgerichts eine andere Beurteilung nicht gerechtfertigt. Aus den Arztbriefen des Prof. Dr. W. und der Dr. St. ergeben sich lediglich zwei hypertensive Entgleisungen bei bekannter arterieller Hypertonie, die aktuell medikamentös nicht behandelt wird. Die durchgeführten Untersuchungen zeigten eine normale Kammerfunktion, keine dauerhaften Herzrhythmusstörungen sowie grenzwertig normale Druckwerte mit entsprechender Nachtabsenkung, mithin keine wesentlichen pathologischen Befunde. Nach den VG, Teil B, Nr. 9.3 beträgt für einen Bluthochdruck in leichter Form (keine oder geringe Leistungsbeeinträchtigung; höchstens leichte Augenhintergrundveränderungen) der GdB 0 bis 10 und in mittelschwerer Form (mit Organbeteiligung leichten bis mittleren Grades; Augenhintergrundveränderungen - Fundus hypertonicus I bis II - und/oder Linkshypertrophie des Herzens und/oder Proteinurie, diastolischer Blutdruck mehrfach über 100 mmHg trotz Behandlung) je nach Leistungsbeeinträchtigung der GdB 20 bis 40. Vorliegend ist mit dem Bluthochdruck der Klägerin keine Organbeteiligung verbunden, so dass Dr. Reiniger zu Recht in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme den Bluthochdruck mit einem Teil-GdB von 10 bewertet hat. Auch aus der Bescheinigung des Dr. Sch. ergibt sich kein Anhalt, die von Dr. B. in seinem Gutachten beschriebenen Behinderungen in Form einer Fibromyalgie bei geringgradigen degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule mit einem höheren Teil-GdB als 20 und in Form von arthrotischen Veränderungen im Hüft- und Sprunggelenksbereich mit einem höheren Teil-GdB als 10 zu bewerten sowie den sonstigen Erkrankungen auf orthopädischem Fachgebiet eine GdB-Relevanz beizumessen. Denn Dr. Sch. hat lediglich die von ihm gestellten Diagnosen aufgeführt, die im Wesentlichen denen der Sachverständigen Dr. B. entsprechen, aber keine hieraus resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen oder gar eine Verschlimmerung substantiiert dargelegt.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen
Rechtskraft
Aus
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