L 6 U 2462/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 13 U 7/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 2462/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 18. März 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob beim Kläger eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2101, Nr. 2103 bzw. Nr. 2104 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) vorliegt.

Der im Jahre 1947 geborene Kläger war ab dem 01.05.1974 bei der Firma R. – Reifen + Autotechnik - GmbH im Bereich der Reifenrunderneuerung an verschiedenen Raumaschinen mit Schleiftätigkeiten beschäftigt und bei der Beklagten versichert. Seit dem 11.04.2006 übt er die Tätigkeit - zunächst wegen Arbeitsunfähigkeit - nicht mehr aus.

Auf den im Juni 2005 von der AOK Reutlingen angezeigten Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit (Sehnenscheidenkontraktur, Arthrose) nahm die Beklagte Ermittlungen auf und befragte zunächst die behandelnden Ärzte, den Orthopäden Dr. H. (Belastungsarthralgie rechter Arm, Karpaltunnelsyndrom beidseits, Periarthritis humero scapularis beidseits), den Neurologen und Psychiater Dr. N. (Verdacht auf sensibel betontes Karpaltunnelsyndrom beidseits), den Allgemeinarzt Dr. R. (Verdacht auf Karpaltunnelsyndrom) und den Chirurgen H. (Radiokarpale Gelenksarthrose beidseits, links ausgeprägter als rechts, sensibel betontes Karpaltunnelsyndrom beidseits). Die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik T. legte u.a. den Operationsbericht vom 25.04.2005 sowie den Arztbrief vom 26.04.2005 (Athroskopie des linken Handgelenks ohne eindeutig pathologischen oder therapiebedürftigen Befund und mit dem Ergebnis noch als altersgemäß einzustufende degenerative Veränderungen in verschiedenen Gelenksabschnitten) vor.

Der Präventionsdienst der Beklagten teilte nach durchgeführter Arbeitsplatzanalyse nebst von Seiten des Berufsgenossenschaftlichen Instituts für Arbeitsschutz auf dieser Grundlage erfolgter Belastungsberechnung mit, die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2103 und 2104 seien erfüllt, wobei allerdings die ermittelten Expositionszeiten mit einer mittleren täglichen Einwirkungsdauer von 6,8 Stunden als sehr hoch anzusehen seien. Demgegenüber sei davon auszugehen, dass die Tätigkeit des Klägers nicht als gefährdend i. S. einer BK 2101 anzusehen sei.

Der Chirurg H. erstattete das Gutachten vom 01.04.2006. Darin ist zusammengefasst ausgeführt, das Karpaltunnelsyndrom beidseits sei durch Erschütterungen bei der Arbeit verursacht (Minderung der Erwerbsfähigkeit [MdE] 10 v. H.), Ursache der beidseitigen Handgelenksarthrose sei zu 50 % die berufliche Vibrationsexposition (MdE 20 v. H.).

Im Mai und Juli 2006 erfolgten Karpaltunnelsyndrom-Operationen an beiden Händen des Klägers mit postoperativ unkompliziertem Verlauf.

In der daraufhin von der Beklagten eingeholten beratungsärztlichen Stellungnahme führte Dr. H. aus, das Karpaltunnelsyndrom gelte nicht als typische Erkrankung der BK 2103 oder 2104, die festgestellte Handgelenksarthrose beidseits sei nicht vorauseilend und eine Erkrankung im Sinne einer BK 2101 sei nicht nachgewiesen. Allerdings sei wegen einer Schultereckgelenksarthrose eine weitere gutachterliche Beurteilung durchzuführen.

Sodann holte die Beklagte das Gutachten von Prof. Dr. G./Priv. Doz. Dr. M. vom 05.02.2007 ein. Darin heißt es, Hinweise auf Durchblutungsstörungen hätten sich nicht ergeben, vorauseilende Handgelenksarthrosen oder Ellenbogengelenksarthrosen lägen beim Kläger nicht vor; die mäßiggradigen Arthrosen im Bereich beider Schultergelenke sowie im Bereich der Handwurzel und des Kahnbeins seien angesichts ihrer symmetrischen Ausprägung nicht als Berufserkrankung anzuerkennen, sie verursachten dem Kläger auch derzeit keine Beschwerden.

Nachdem der staatliche Gewerbearzt mitgeteilt hatte, die haftungsbegründende Kausalität der BK 2101 sowie die haftungsausfüllende Kausalität der BK 2103 und 2104 liege nicht vor, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14.05.2007 die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Die Beschwerden des Klägers im Bereich der rechten Schulter, beider Ellenbogengelenke, der Unterarme, der Handgelenke und der Hände beidseits seien keine BK 2101, 2103 bzw. 2104.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.11.2007 zurück. Eine (Widerspruchs-) Entscheidung über die Anerkennung des Karpaltunnelsyndroms als BK wurde zur weiteren Prüfung zurückgestellt (Schreiben der Beklagten vom 30.05.2007). Am 28.12.2007 hat der Kläger beim Sozialgericht Reutlingen Klage erhoben. Das Sozialgericht hat eine schriftliche sachverständige Zeugenaussage des Chirurgen H. eingeholt, der in Folge der durchgeführten Operationen verringerte, aber fortbestehende Sensibilitätsstörungen an beiden Händen sowie unveränderte Handgelenksschmerzen mitgeteilt hat; er vertrat weiterhin die Auffassung, beim Kläger liege eine Berufskrankheit vor, die insgesamt mit einer MdE um 20 v. H. zu bewerten sei. In der von der Beklagten eingeholten ergänzendne Stellungnahme von Prof. Dr. G./Priv. Doz. Dr. M. ist ausgeführt, Erkrankungen i. S. der BK 2101 lägen nicht vor, für die Feststellung einer BK 2103 fehle es an über das Altersmaß hinausgehenden degenerativen Veränderungen und in Bezug auf das Karpaltunnelsyndrom an eine solche Anerkennung rechtfertigenden gesicherten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen, hinsichtlich der BK 2104, die das Karpaltunnelsyndrom nicht erfasse, fehle es an einer chronisch intermittierend auftretenden Durchblutungsstörung.

Mit Urteil vom 18.03.2010 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Eine BK 2101 liege nicht vor, da klinisch relevante, eindeutig dieser BK zuzuordnende Befunde nicht dokumentiert seien; eine Periarthritis humero scapularis im Bereich des Schultergelenks sei im Allgemeinen nicht auf berufliche Einflüsse zurückzuführen. Für das Vorliegen einer BK 2104 fehle es an Hinweisen auf Durchblutungsstörungen. Die Voraussetzungen einer BK 2103 seien ebenfalls nicht erfüllt, da sich das Erkrankungsbild des Klägers nicht von normalen Verschleißerscheinungen unterscheiden lasse. Auch der Chirurg Hobmaier habe letztlich einen altersbedingten Verschleiß bestätigt und nicht hinreichend wahrscheinlich dargelegt, dass die verschleißbedingten Erscheinungen ohne die berufliche Belastung wesentlich geringer ausgeprägt wären. Diese Entscheidung wurde dem Kläger am 29.04.2010 zugestellt.

Am 25.05.2010 hat der Kläger Berufung eingelegt, diese aber nicht begründet. Er beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 18. März 2010 sowie den Bescheid vom 14. Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2007 aufzuheben und festzustellen, dass bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr. 2101, Nr. 2103 bzw. Nr. 2104 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung vorliegt.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten des Senats und des Sozialgerichts Reutlingen sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.

Der Kläger erstrebt bei sachdienlicher Auslegung seines Klage- und Berufungsbegehrens (§ 123 SGG) im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG die Aufhebung der die Gewährung von Leistungen ablehnenden - und auch einer zukünftigen Leistungsgewährung entgegenstehenden – Verwaltungsentscheidungen der Beklagten sowie die gerichtliche Feststellung des Vorliegens der BK 2101, 2103 und 2104. Denn nachdem die Beklagte die Gewährung von Leistungen insgesamt mit der Begründung abgelehnt hat, eine der genannten Berufskrankheiten liege nicht vor, ist zunächst diese Voraussetzung möglicher Leistungsansprüche im Wege der Feststellungsklage zu klären. Einem auf Gewährung von Entschädigung gerichteten Leistungs- oder Verpflichtungsantrag kommt bei dieser Sachlage keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. zu alledem BSG, Urteil vom 15.02.2005 - B 2 U 1/04 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 12, Urteil vom 07.09.2004 - B 2 U 45/03 R - SozR 4-2700 § 2 Nr. 2).

Dabei betrifft das Begehren des Klägers - und demgemäß auch die erstinstanzliche Entscheidung des Sozialgerichts - nicht die Frage, ob das (operierte) Karpaltunnelsyndrom als BK oder gegebenenfalls wie eine BK anzuerkennen ist. Denn insoweit fehlt es bereits an einer für die Zulässigkeit der Klage erforderlichen (Widerspruchs-) Entscheidung (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, Rdnr. 3b f. § 55) der Beklagten, nachdem eine solche zur weiteren Prüfung zurückgestellt worden ist (vgl. hierzu das Schreiben der Beklagten vom 30.05.2007).

Die so gefasste Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die angegriffenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn er hat keinen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens einer BK 2101, 2103 und 2104.

Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung oder mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte in Folge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz SGB VII). Aufgrund der Ermächtigung in § 9 Abs. 1 SGB VII hat die Bundesregierung die Berufskrankheitenverordnung (BKV) vom 31.10.1997 (BGBl. I, S. 2623) erlassen, in der die derzeit als Berufskrankheiten anerkannten Krankheiten aufgeführt sind und in ihrer Anlage 1 die BK 2101, 2103 und 2104 enthält.

Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweis erwiesen sein, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 9/08 R - , zit. nach juris). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt jeweils das Bestehen einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße - nicht auszuschließende - Möglichkeit. Danach muss bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999 - B 2 U 47/98 R - SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 02.05.2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991 - 2 RU 31/90 - SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

In Anwendung dieser Grundsätze sind die Voraussetzungen der BK 2101 (Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können), der BK 2103 (Erkrankungen durch Erschütterung bei Arbeit mit Druckluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen) und der BK 2104 (Vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können) nicht erfüllt. Dies hat das Sozialgericht im angegriffenen Urteil vom 18.03.2010 ausführlich und zutreffend dargelegt; hierauf wird verwiesen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Nachdem der Kläger seine im Mai 2010 eingelegte Berufung trotz mehrmaliger Aufforderung nicht begründet hat, erübrigen sich weitere Ausführungen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved