Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 KR 50/11 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 164/11 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Bestimmt ein Bescheid, der das Ruhen von Krankenversicherungsleistungen wegen Beitragsrückstand anordnet, nicht konkret den Beginn des Ruhens, ist er rechtswidrig.
I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 11. März 2011 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 2. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2011 angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz beider Instanzen.
Gründe:
I.
Der 1964 geborene Antragsteller war vom 01.01.2003 bis 31.10.2010 freiwillig krankenversichertes Mitglied der Antragsgegnerin. Seit 01.11.2010 ist er dort pflichtversichertes Mitglied aufgrund einer Beschäftigung, welche er in einem Montagebetrieb seiner Ehefrau ausübt. In den einschlägigen Internet-Telefonbüchern ist der Antragsteller noch immer als Inhaber eines Montageservices an seinem Wohnsitz zu finden.
1.
Am 01.08.2008 sprach der Antragsteller wegen seiner rückständigen Versicherungs-Beiträge bei der Antragsgegnerin vor, weil sein Schuldnerberater erklärt habe, es dürften im Jahr 2008 keine Schulden mehr entstehen. In der Folgezeit kam es nicht zur Begleichung der Beitragsrückstände. Die Antragsgegnerin kündigte deshalb mit Schreiben vom 16.10.2008 und 12.05.2009 das Ruhen seines Leistungsanspruches an und wies mit rechtsbehelfsbelehrungslosen Schreiben, die mit Zahlungserinnerung/Leistungsbescheid überschrieben waren, vom 20.11.2009, 21.12.2009, 21.09.2010, 21.10.2010 sowie zuletzt vom 22.11.2010 auf die Beitragsrückstände und das Ruhen der Leistungsansprüche hin. Die Rückstände beliefen sich zuletzt auf 8.381,07 EUR.
Nach einem Telefonat mit dem Antragsteller verfasste die Antragsgegnerin am 02.02.2011 ein Schreiben ohne Rechtsbehelfsbelehrung, wonach der Anspruch auf Leistungen ruhe, solange der Antragsteller mit Beiträgen für zwei Monate und mehr im Rückstand sei und trotz Mahnung nicht zahle. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch, welcher mit Widerspruchsbescheid vom 31.03.2011 zurückgewiesen wurde. Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben ( Az.: S 7 KR 63/11).
2.
Am 21.02.2011 hat der Antragsteller vor dem Sozialgericht Nürnberg einstweiligen Rechtsschutz beantragt mit dem Ziel, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 02.02.2011 vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung aufzuheben und Versicherungsschutz der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewähren in Ausstellung einer Versichertenkarte. Der Antragsteller hat im Wesentlichen geltend gemacht, dass Beitragsrückstände aus einer in der Vergangenheit liegenden bereits abgeschlossenen freiwilligen Mitgliedschaft nicht zum Ruhen der Leistungsansprüche aus der ab 01.11.2010 begründeten Pflichtmitgliedschaft aus Beschäftigung führen dürften. Auch habe der Kläger die eidesstattliche Versicherung abgeben müssen, so dass er gar nicht berechtigt sei, gegenüber der Antragsgegnerin Zahlungen zu erbringen, ohne sich wegen Gläubigerbegünstigung strafbar zu machen. Der Antragsteller dürfe nicht auf die ausschließliche Notfall- und Schmerzversorgung verwiesen werden, weil die Beiträge aus dem laufenden Pflichtversicherungsmitgliedsverhältnis ohne Verzögerung entrichtet würden.
Die Antragsgegnerin hat demgegenüber eingewandt, dass der Antragsteller mit den Beiträgen seit 2008 im Rückstand sei und eine Ratenzahlung nicht durchgeführt habe. Es sei deshalb das Ruhen der Leistungen am 19.05.2009 in Kraft getreten. Dieses Ruhen trete kraft Gesetzes ein und sei nicht auf freiwillige Mitglieder beschränkt, sondern dürfe auch auf Pflichtmitglieder Anwendung finden.
Mit Beschluss vom 11.03.2011 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, weil ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht sei. Denn die Antragsgegnerin habe die Ruhensregelung zutreffend angewandt nachdem der Antragsteller mit mehreren Monatsbeiträgen im Rückstand gewesen sei und trotz mehrfacher Mahnungen sowie in Bruch einer Ratenzahlungsvereinbarung nicht gezahlt habe. Im Übrigen fehle es auch an dem Anordnungsgrund, der Dringlichkeit, weil der Antragsteller Grundleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung wie Notfall- und Schmerzversorgung trotz des Ruhens erhalten könne.
Dagegen hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt und beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 11.03.2011 aufzuheben und seinem Antrag vom 18.02.2011 stattzugeben.
Es sei streng zu unterscheiden zwischen den Versicherungsverhältnissen aufgrund freiwilliger Mitgliedschaft und dem nun mehr bestehenden Versicherungsverhältnis aufgrund Pflichtmitgliedschaft. Das Ruhen aus dem einen Mitgliedschaftsverhältnis dürfe das andere Mitgliedschaftsverhältnis nicht berühren. Es sei dem Kläger nicht zuzumuten, auf eine Grundversorgung verweisen zu werden.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, es fehle an einem Anordnungsanspruch ebenso an einem Anordnungsgrund.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und auch begründet. Die aufschiebende Wirkung der Klage ist anzuordnen, weil der Bescheid vom 02.02.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.03.2011 nach der gebotenen summarischen Überprüfung rechtswidrig ist.
1.
Kommen Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung trotz Mahnung mit mehr als zwei Monaten in Beitragsrückstand bestimmt § 16 Abs.3a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V - das Ruhen des Anspruches auf Leistungen. Materielle Rechtsgrundlage ist der durch mit Wirkung zum 01.04.2007 eingefügte § 16 Abs.3a Satz 2 SGB V, welcher zu den Verfahrensregelungen auf § 16 Abs.2 Künstlersozialversicherungsgesetz - KSVG - Bezug nimmt. Diese Regelungen haben die bis 31.03.2007 gültige Fassung des § 191 SGB V abgelöst, welche für die Folgen von Zahlungsrückständigen freiwillig versicherter Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung geregelt hatte.
Nach § 16 Abs.3a Satz 2 1. Halbsatz SGB V in Verbindung mit § 16 Abs.2 Satz 4 KSVG haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den Ruhensbescheid keine aufschiebende Wirkung.
Bei gesetzlichem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage kann gemäß § 86a Abs.2 Nr.2 SGG die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise von Gerichts wegen angeordnet werden.
Den entsprechenden vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren hat der Gesetzgeber in das Ermessen des Gerichts gestellt ("kann"). Erforderlich ist dabei eine Abwägung der relevanten öffentlichen und privaten Belange bei Abschätzung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Ein Überwiegen der öffentlichen Interessen am sofortigen Bescheidvollzug wäre z.B. anzunehmen, wenn sich ohne Weiteres und in jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Weise erkennen ließe, dass der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist und die Rechtsverfolgung keinen Erfolg verspricht (BT-Drs 14/5943 unter Bezugnahme auf Bundesverwaltungsgericht NJW 1974, 1294; ständige Rechtsprechung, vgl. Bayer. Landessozialgericht, Beschluss vom 11.06.2008 - L 5 B 96/08 R ER).
Wegen der Eilbedürftigkeit des vorliegenden Antrags hat das Gericht die Sachlage nicht wie in einem Hauptsacheverfahren von Amts wegen eingehend zu prüfen, sondern lediglich einer summarischen Prüfung zu unterziehen.
2.
In Anwendung dieser Grundsätze ist in Anwendung des § 103 SGG zunächst festzustellen, dass dem Begehr des Antragsteller nicht der Erlass einer Anordnung gem § 86b Abs. 2 SGG entspricht. Denn die am Sozialgericht Nürnberg unter dem Az.: S 7 KR 63/11 anhängige Klage gegen den Bescheid vom 02.02.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.03.2011 ist eine Anfechtungsklage gegen einen Bescheid, der gesetzlich mit sofortiger Vollziehbarkeit versehen ist. § 16 Abs.3a Satz 2 1. Halbsatz SGB V iVm § 16 Abs.2 Satz 4 KSVG regelt, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den Leistungs-Ruhensbescheid keine aufschiebende Wirkung haben. Das Rechtsschutzziel des Antragstellers besteht somit darin, die aufschiebende Wirkung seines Rechtsmittels herzustellen, damit der Rechtszustand vor Bescheiderlass eintritt - dem Antragsteller also die Leistungsansprüche nach § 11 ff SGB V uneingeschränkt zur Verfügung stehen.
3.
Im Rahmen der gebotenen summarischen Überprüfung ist festzustellen, dass der Bescheid vom 02.02.2011 in mehrerlei Hinsicht rechtlich mangelhaft ist.
a.
Die Antragsgegnerin unterliegt den verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (§ 1 Abs. 1 SGB X). In Anwendung der dortigen Normen ist festzustellen, dass es an der inhaltlichen Bestimmtheit des Verwaltungsaktes im Sinne von § 33 Abs.1 SGB X fehlt. Der Bescheid vom 02.02.2011 enthält keinerlei Regelung dazu, mit welcher Wirkung das Ruhen der Leistungen festgestellt worden ist und ab welchem Zeitpunkt es eintreten soll. Zwar hatte die Antragsgegnerin erstinstanzlich mit Schriftsatz vom 25.02.2011 vorgetragen, das Ruhen bestehe ab 19.05.2009. Eine solche Rückwirkung des hier streitigen Bescheides wäre aber unvereinbar mit § 16 Abs.3a Satz 2 erster Halbsatz SGB V iVm § 16 Abs.2 Satz 2 letzter Halbsatz KSVG, wonach das Ruhen "drei Tage nach Zugang des Bescheides beim Versicherten" eintritt - allerdings nur dann, wenn der Versicherte in der Mahnung auf genau diese Folge hingewiesen worden ist, § 16 Abs.2 Satz 3 KSVG.
Vor diesem Hintergrund ist es von essentieller Bedeutung, ab welchem Zeitpunkt das Ruhen festgestellt wird, also ob es - entgegen § 16 Abs.2 Satz 2 letzter Halbsatz KSVG - Auswirkungen in die Vergangenheit haben soll oder ob das Ruhen mit sofortiger Wirkung oder mit der gesetzlich korrekten Wirkung drei Tage nach Bescheidzugang eintritt. Fehlt es aber insoweit an einer wesentlichen Bestimmung oder an der klaren Bestimmbarkeit wie vorliegend, ist der Bescheid bereits aus diesem Grunde rechtswidrig.
Die Antragsgegnerin hat auch im Widerspruchsbescheid die erforderliche Bestimmtheit nicht nachgeholt (vgl. § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X). Auch im Widerspruchsbescheid ist nicht hinreichend klar gemacht, ab welchem Zeitraum die Entscheidung des Ruhens Rechtswirksamkeit entfalten sollte.
Die Antragsgegnerin hat die fehlende Bestimmung auch nicht zulässigerweise im gerichtlichen Verfahren nachgeschoben. Ein solches Nachschieben kann zwar unter Umständen möglich sein, sofern der angefochtene Verwaltungsakt nicht in seinem Wesen verändert wird (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 9. Aufl., § 54 Rn. 35 ff.)
Der Bestimmtheitsmangel ist aber durch das Vorbringen der Antragsgegnerin vom 25.02.2011 zum Ruhen ab 19.05.2009 nicht geheilt. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Antragsgegnerin dieses Datum mit dem Bescheid vom 02.02.2011 in Verbindung setzt, zumal die Ankündigungsschreiben vom 16.10.2008 und 12.05.2009 das Ruhen der Leistungen gerade nicht bestimmt, sondern eben nur angekündigt hatten, falls der Antragsteller die Rückstände nicht begleichen sollte. Im Übrigen wäre insoweit ein Verstoß gegen § 16 Abs.2 Satz 2 letzter Halbsatz KSVG iVm § 16 Abs.2 Satz 3 KSVG festzustellen.
Den Rechtsmangel der fehlenden Bestimmtheit weisen im Übrigen auch die rechtsbehelfsbelehrungslosen und damit auch gegen § 36 SGB X verstoßenden Schreiben auf, die mit "Zahlungserinnerung/Leistungsbescheid" betitelt waren und die vom 20.11.2009, 21.12.2009, 21.09.2010, 21.10.2010 sowie 22.11.2010 datieren. Sie können damit nicht zur Korrektur des Bescheides vom 02.02.2011 herangezogen werden.
b.
Der Erlass eines bestimmten Ruhensbescheides ist auch nicht entbehrlich, denn entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin tritt das Ruhen wegen Beitragsrückständen nicht per legem ein, ohne dass es eines entsprechenden Bescheides bedürfte. Denn die eindeutige Regelung in § 16 Abs.2 Satz 4 KSVG spricht ausdrücklich von einem "Ruhensbescheid" (und weist diesem sofortige Vollziehbarkeit zu). Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Antragsgegnerin ins Feld geführten Zitat der Kommentierung im Kasseler Kommentar. Im Gegenteil führt Peters dort in Rdnr 20 zu § 16 SGB V wörtlich aus: "In den Fällen des Abs 3a (Ruhen wegen BeitrRückstandes) ist für den Eintritt des Ruhens jedoch der Erlass eines VA der Künstlersozialkasse (S 1) oder der KK (S 2) ausdrückl vorgeschrieben (oben RdNr 16)".
c.
Schließlich muss sich die Antragsgegnerin entgegenhalten lassen, dass sie trotz der Beitragsrückstände, welche seit 2008 bestanden hatten, in der Vergangenheit lediglich Zahlungsbescheide übersandt hatte, ohne aber einen ausdrücklichen Ruhensbescheid zu erlassen, der mit einer Rechtsbehelfsbelehrung gem § 36 SGB X versehen gewesen wäre und der § 16 Abs.2 Satz 3 KSVG einschließlich des Hinweises auf den Ruhensbeginn drei Tage nach Bescheidszustellung entsprochen hätte. Ein den Bestimmungen der §§ 13 ff SGB I entsprechendes Verwaltungsverfahren hätte es aber erfordert, ein Abgehen von der faktischen Tolerierung der Beitragsrückstände nachvollziehbar erkennbar zu machen.
3.
Die so dargestellten Rechtsfehler des vorliegenden Leistungsruhensbescheides veranlassen jedenfalls im Rahmen der hier gebotenen summarischen Überprüfung dazu, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Auf die Frage der Weiterwirkung von Beitragsrückständen aus einer früheren freiwilligen Versicherung in eine darauf folgende Pflichtversicherung kommt es nicht (mehr) an. Ob der Kläger tatsächlich abhängig Beschäftigter seiner Ehefrau ist oder ob die tatsächlichen Verhältnisse lediglich einer Beschäftigung dem Scheine nach belegen - wofür eine nach Außen fortbestehende Betriebsinhaberschaft deuten könnte - ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
In der Folge der angeordneten aufschiebenden Wirkung der Klage besteht der Anspruch des Antragstellers auf sämtliche Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gem. § 11 SGB V fort. Die Antragsgegnerin hat deshalb dem Antragsteller eine Krankenversichertenkarte auszuhändigen, damit dieser die Leistungsansprüche gegenüber den Leistungserbringern realisieren kann. Diese Handlung ist dem Vollzug der vorliegenden Entscheidung zuzuordnen, so dass es keines formellen Ausspruches im Entscheidungstenor bedarf.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Dieser Beschluss beendet das Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz, ein Rechtsmittel ist nicht eröffnet, § 177 SGG.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz beider Instanzen.
Gründe:
I.
Der 1964 geborene Antragsteller war vom 01.01.2003 bis 31.10.2010 freiwillig krankenversichertes Mitglied der Antragsgegnerin. Seit 01.11.2010 ist er dort pflichtversichertes Mitglied aufgrund einer Beschäftigung, welche er in einem Montagebetrieb seiner Ehefrau ausübt. In den einschlägigen Internet-Telefonbüchern ist der Antragsteller noch immer als Inhaber eines Montageservices an seinem Wohnsitz zu finden.
1.
Am 01.08.2008 sprach der Antragsteller wegen seiner rückständigen Versicherungs-Beiträge bei der Antragsgegnerin vor, weil sein Schuldnerberater erklärt habe, es dürften im Jahr 2008 keine Schulden mehr entstehen. In der Folgezeit kam es nicht zur Begleichung der Beitragsrückstände. Die Antragsgegnerin kündigte deshalb mit Schreiben vom 16.10.2008 und 12.05.2009 das Ruhen seines Leistungsanspruches an und wies mit rechtsbehelfsbelehrungslosen Schreiben, die mit Zahlungserinnerung/Leistungsbescheid überschrieben waren, vom 20.11.2009, 21.12.2009, 21.09.2010, 21.10.2010 sowie zuletzt vom 22.11.2010 auf die Beitragsrückstände und das Ruhen der Leistungsansprüche hin. Die Rückstände beliefen sich zuletzt auf 8.381,07 EUR.
Nach einem Telefonat mit dem Antragsteller verfasste die Antragsgegnerin am 02.02.2011 ein Schreiben ohne Rechtsbehelfsbelehrung, wonach der Anspruch auf Leistungen ruhe, solange der Antragsteller mit Beiträgen für zwei Monate und mehr im Rückstand sei und trotz Mahnung nicht zahle. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch, welcher mit Widerspruchsbescheid vom 31.03.2011 zurückgewiesen wurde. Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben ( Az.: S 7 KR 63/11).
2.
Am 21.02.2011 hat der Antragsteller vor dem Sozialgericht Nürnberg einstweiligen Rechtsschutz beantragt mit dem Ziel, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 02.02.2011 vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung aufzuheben und Versicherungsschutz der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewähren in Ausstellung einer Versichertenkarte. Der Antragsteller hat im Wesentlichen geltend gemacht, dass Beitragsrückstände aus einer in der Vergangenheit liegenden bereits abgeschlossenen freiwilligen Mitgliedschaft nicht zum Ruhen der Leistungsansprüche aus der ab 01.11.2010 begründeten Pflichtmitgliedschaft aus Beschäftigung führen dürften. Auch habe der Kläger die eidesstattliche Versicherung abgeben müssen, so dass er gar nicht berechtigt sei, gegenüber der Antragsgegnerin Zahlungen zu erbringen, ohne sich wegen Gläubigerbegünstigung strafbar zu machen. Der Antragsteller dürfe nicht auf die ausschließliche Notfall- und Schmerzversorgung verwiesen werden, weil die Beiträge aus dem laufenden Pflichtversicherungsmitgliedsverhältnis ohne Verzögerung entrichtet würden.
Die Antragsgegnerin hat demgegenüber eingewandt, dass der Antragsteller mit den Beiträgen seit 2008 im Rückstand sei und eine Ratenzahlung nicht durchgeführt habe. Es sei deshalb das Ruhen der Leistungen am 19.05.2009 in Kraft getreten. Dieses Ruhen trete kraft Gesetzes ein und sei nicht auf freiwillige Mitglieder beschränkt, sondern dürfe auch auf Pflichtmitglieder Anwendung finden.
Mit Beschluss vom 11.03.2011 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, weil ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht sei. Denn die Antragsgegnerin habe die Ruhensregelung zutreffend angewandt nachdem der Antragsteller mit mehreren Monatsbeiträgen im Rückstand gewesen sei und trotz mehrfacher Mahnungen sowie in Bruch einer Ratenzahlungsvereinbarung nicht gezahlt habe. Im Übrigen fehle es auch an dem Anordnungsgrund, der Dringlichkeit, weil der Antragsteller Grundleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung wie Notfall- und Schmerzversorgung trotz des Ruhens erhalten könne.
Dagegen hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt und beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 11.03.2011 aufzuheben und seinem Antrag vom 18.02.2011 stattzugeben.
Es sei streng zu unterscheiden zwischen den Versicherungsverhältnissen aufgrund freiwilliger Mitgliedschaft und dem nun mehr bestehenden Versicherungsverhältnis aufgrund Pflichtmitgliedschaft. Das Ruhen aus dem einen Mitgliedschaftsverhältnis dürfe das andere Mitgliedschaftsverhältnis nicht berühren. Es sei dem Kläger nicht zuzumuten, auf eine Grundversorgung verweisen zu werden.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, es fehle an einem Anordnungsanspruch ebenso an einem Anordnungsgrund.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und auch begründet. Die aufschiebende Wirkung der Klage ist anzuordnen, weil der Bescheid vom 02.02.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.03.2011 nach der gebotenen summarischen Überprüfung rechtswidrig ist.
1.
Kommen Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung trotz Mahnung mit mehr als zwei Monaten in Beitragsrückstand bestimmt § 16 Abs.3a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V - das Ruhen des Anspruches auf Leistungen. Materielle Rechtsgrundlage ist der durch mit Wirkung zum 01.04.2007 eingefügte § 16 Abs.3a Satz 2 SGB V, welcher zu den Verfahrensregelungen auf § 16 Abs.2 Künstlersozialversicherungsgesetz - KSVG - Bezug nimmt. Diese Regelungen haben die bis 31.03.2007 gültige Fassung des § 191 SGB V abgelöst, welche für die Folgen von Zahlungsrückständigen freiwillig versicherter Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung geregelt hatte.
Nach § 16 Abs.3a Satz 2 1. Halbsatz SGB V in Verbindung mit § 16 Abs.2 Satz 4 KSVG haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den Ruhensbescheid keine aufschiebende Wirkung.
Bei gesetzlichem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage kann gemäß § 86a Abs.2 Nr.2 SGG die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise von Gerichts wegen angeordnet werden.
Den entsprechenden vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren hat der Gesetzgeber in das Ermessen des Gerichts gestellt ("kann"). Erforderlich ist dabei eine Abwägung der relevanten öffentlichen und privaten Belange bei Abschätzung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Ein Überwiegen der öffentlichen Interessen am sofortigen Bescheidvollzug wäre z.B. anzunehmen, wenn sich ohne Weiteres und in jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Weise erkennen ließe, dass der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist und die Rechtsverfolgung keinen Erfolg verspricht (BT-Drs 14/5943 unter Bezugnahme auf Bundesverwaltungsgericht NJW 1974, 1294; ständige Rechtsprechung, vgl. Bayer. Landessozialgericht, Beschluss vom 11.06.2008 - L 5 B 96/08 R ER).
Wegen der Eilbedürftigkeit des vorliegenden Antrags hat das Gericht die Sachlage nicht wie in einem Hauptsacheverfahren von Amts wegen eingehend zu prüfen, sondern lediglich einer summarischen Prüfung zu unterziehen.
2.
In Anwendung dieser Grundsätze ist in Anwendung des § 103 SGG zunächst festzustellen, dass dem Begehr des Antragsteller nicht der Erlass einer Anordnung gem § 86b Abs. 2 SGG entspricht. Denn die am Sozialgericht Nürnberg unter dem Az.: S 7 KR 63/11 anhängige Klage gegen den Bescheid vom 02.02.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.03.2011 ist eine Anfechtungsklage gegen einen Bescheid, der gesetzlich mit sofortiger Vollziehbarkeit versehen ist. § 16 Abs.3a Satz 2 1. Halbsatz SGB V iVm § 16 Abs.2 Satz 4 KSVG regelt, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den Leistungs-Ruhensbescheid keine aufschiebende Wirkung haben. Das Rechtsschutzziel des Antragstellers besteht somit darin, die aufschiebende Wirkung seines Rechtsmittels herzustellen, damit der Rechtszustand vor Bescheiderlass eintritt - dem Antragsteller also die Leistungsansprüche nach § 11 ff SGB V uneingeschränkt zur Verfügung stehen.
3.
Im Rahmen der gebotenen summarischen Überprüfung ist festzustellen, dass der Bescheid vom 02.02.2011 in mehrerlei Hinsicht rechtlich mangelhaft ist.
a.
Die Antragsgegnerin unterliegt den verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (§ 1 Abs. 1 SGB X). In Anwendung der dortigen Normen ist festzustellen, dass es an der inhaltlichen Bestimmtheit des Verwaltungsaktes im Sinne von § 33 Abs.1 SGB X fehlt. Der Bescheid vom 02.02.2011 enthält keinerlei Regelung dazu, mit welcher Wirkung das Ruhen der Leistungen festgestellt worden ist und ab welchem Zeitpunkt es eintreten soll. Zwar hatte die Antragsgegnerin erstinstanzlich mit Schriftsatz vom 25.02.2011 vorgetragen, das Ruhen bestehe ab 19.05.2009. Eine solche Rückwirkung des hier streitigen Bescheides wäre aber unvereinbar mit § 16 Abs.3a Satz 2 erster Halbsatz SGB V iVm § 16 Abs.2 Satz 2 letzter Halbsatz KSVG, wonach das Ruhen "drei Tage nach Zugang des Bescheides beim Versicherten" eintritt - allerdings nur dann, wenn der Versicherte in der Mahnung auf genau diese Folge hingewiesen worden ist, § 16 Abs.2 Satz 3 KSVG.
Vor diesem Hintergrund ist es von essentieller Bedeutung, ab welchem Zeitpunkt das Ruhen festgestellt wird, also ob es - entgegen § 16 Abs.2 Satz 2 letzter Halbsatz KSVG - Auswirkungen in die Vergangenheit haben soll oder ob das Ruhen mit sofortiger Wirkung oder mit der gesetzlich korrekten Wirkung drei Tage nach Bescheidzugang eintritt. Fehlt es aber insoweit an einer wesentlichen Bestimmung oder an der klaren Bestimmbarkeit wie vorliegend, ist der Bescheid bereits aus diesem Grunde rechtswidrig.
Die Antragsgegnerin hat auch im Widerspruchsbescheid die erforderliche Bestimmtheit nicht nachgeholt (vgl. § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X). Auch im Widerspruchsbescheid ist nicht hinreichend klar gemacht, ab welchem Zeitraum die Entscheidung des Ruhens Rechtswirksamkeit entfalten sollte.
Die Antragsgegnerin hat die fehlende Bestimmung auch nicht zulässigerweise im gerichtlichen Verfahren nachgeschoben. Ein solches Nachschieben kann zwar unter Umständen möglich sein, sofern der angefochtene Verwaltungsakt nicht in seinem Wesen verändert wird (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 9. Aufl., § 54 Rn. 35 ff.)
Der Bestimmtheitsmangel ist aber durch das Vorbringen der Antragsgegnerin vom 25.02.2011 zum Ruhen ab 19.05.2009 nicht geheilt. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Antragsgegnerin dieses Datum mit dem Bescheid vom 02.02.2011 in Verbindung setzt, zumal die Ankündigungsschreiben vom 16.10.2008 und 12.05.2009 das Ruhen der Leistungen gerade nicht bestimmt, sondern eben nur angekündigt hatten, falls der Antragsteller die Rückstände nicht begleichen sollte. Im Übrigen wäre insoweit ein Verstoß gegen § 16 Abs.2 Satz 2 letzter Halbsatz KSVG iVm § 16 Abs.2 Satz 3 KSVG festzustellen.
Den Rechtsmangel der fehlenden Bestimmtheit weisen im Übrigen auch die rechtsbehelfsbelehrungslosen und damit auch gegen § 36 SGB X verstoßenden Schreiben auf, die mit "Zahlungserinnerung/Leistungsbescheid" betitelt waren und die vom 20.11.2009, 21.12.2009, 21.09.2010, 21.10.2010 sowie 22.11.2010 datieren. Sie können damit nicht zur Korrektur des Bescheides vom 02.02.2011 herangezogen werden.
b.
Der Erlass eines bestimmten Ruhensbescheides ist auch nicht entbehrlich, denn entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin tritt das Ruhen wegen Beitragsrückständen nicht per legem ein, ohne dass es eines entsprechenden Bescheides bedürfte. Denn die eindeutige Regelung in § 16 Abs.2 Satz 4 KSVG spricht ausdrücklich von einem "Ruhensbescheid" (und weist diesem sofortige Vollziehbarkeit zu). Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Antragsgegnerin ins Feld geführten Zitat der Kommentierung im Kasseler Kommentar. Im Gegenteil führt Peters dort in Rdnr 20 zu § 16 SGB V wörtlich aus: "In den Fällen des Abs 3a (Ruhen wegen BeitrRückstandes) ist für den Eintritt des Ruhens jedoch der Erlass eines VA der Künstlersozialkasse (S 1) oder der KK (S 2) ausdrückl vorgeschrieben (oben RdNr 16)".
c.
Schließlich muss sich die Antragsgegnerin entgegenhalten lassen, dass sie trotz der Beitragsrückstände, welche seit 2008 bestanden hatten, in der Vergangenheit lediglich Zahlungsbescheide übersandt hatte, ohne aber einen ausdrücklichen Ruhensbescheid zu erlassen, der mit einer Rechtsbehelfsbelehrung gem § 36 SGB X versehen gewesen wäre und der § 16 Abs.2 Satz 3 KSVG einschließlich des Hinweises auf den Ruhensbeginn drei Tage nach Bescheidszustellung entsprochen hätte. Ein den Bestimmungen der §§ 13 ff SGB I entsprechendes Verwaltungsverfahren hätte es aber erfordert, ein Abgehen von der faktischen Tolerierung der Beitragsrückstände nachvollziehbar erkennbar zu machen.
3.
Die so dargestellten Rechtsfehler des vorliegenden Leistungsruhensbescheides veranlassen jedenfalls im Rahmen der hier gebotenen summarischen Überprüfung dazu, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Auf die Frage der Weiterwirkung von Beitragsrückständen aus einer früheren freiwilligen Versicherung in eine darauf folgende Pflichtversicherung kommt es nicht (mehr) an. Ob der Kläger tatsächlich abhängig Beschäftigter seiner Ehefrau ist oder ob die tatsächlichen Verhältnisse lediglich einer Beschäftigung dem Scheine nach belegen - wofür eine nach Außen fortbestehende Betriebsinhaberschaft deuten könnte - ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
In der Folge der angeordneten aufschiebenden Wirkung der Klage besteht der Anspruch des Antragstellers auf sämtliche Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gem. § 11 SGB V fort. Die Antragsgegnerin hat deshalb dem Antragsteller eine Krankenversichertenkarte auszuhändigen, damit dieser die Leistungsansprüche gegenüber den Leistungserbringern realisieren kann. Diese Handlung ist dem Vollzug der vorliegenden Entscheidung zuzuordnen, so dass es keines formellen Ausspruches im Entscheidungstenor bedarf.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Dieser Beschluss beendet das Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz, ein Rechtsmittel ist nicht eröffnet, § 177 SGG.
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