L 12 KA 110/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 42 KA 508/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 KA 110/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts München vom 23. Juni 1998 sowie der Bescheid des Beklagten vom 11. März 1996, jeweils das 1. Quartal 1995 betreffend, aufgehoben und der Beklagte verurteilt, über den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses Ärzte Oberfranken vom 18. Juli 1995 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
II. Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der vom Beklagten gegen den Kläger wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise festgesetzten Kürzung seines für das 1. Quartal 1995 angeforderten Honorars für Sonderleistungen um 50 %. Der Kürzungsbetrag beläuft sich nach Angaben der Beigeladenen zu 1) auf DM 21.936,20.

Der Kläger nahm im streitigen Zeitraum als Internist in B ... an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Laut Gesamtübersicht behandelte er im 1. Quartal 1995 301 Patienten, die bei den gesetzlichen Krankenkassen versichert waren. Mit dieser Vergleichsgruppe 19/2 (Internisten mit einem Überweisungsanteil von über 10 % bis unter 40 %) von 912 Fällen. Sein Rentneranteil von 63,1 % überstieg den Rentneranteil der Arztgruppe von 42 % um 50,2 %. Für die Sonderleistungen (Leistungsgruppe 08) rechnet der Kläger ein Honorar von 530.845 Punkten ab. Mit einem Fallwert von 1.763,6 Punkten lag er um 187,3 % über dem gewichteten Fallwert der Arztgruppe von 613,7 Punkten. In den übrigen Leistungsgruppen waren folgende Über-/Unterschreitungen des Arztgruppendurchschnitts festzustellen: - Beratungen/Visiten + 74,9 % - Besuche - 75,9 % - eingehende Untersuchungen + 40,2 % - allgemeine Leistungen - 36,2 % - Basis/allgemeine Laboruntersuchungen + 4,2 % - radiologische Leistungen - 64,1 %. Insgesamt machte der Kläger für sämtliche kurativen Leistungen im 1. Quartal 1995 einen Leistungsbedarf von 794.910 Punkten geltend, was einem Fallwert von 2.640,9 Punkten entsprach. Damit lag er um 82,3 % über dem gewichteten Arztgruppendurchschnitt von 1.448,9 Punkten.

Die Verordnungsstatistik für das 1. Quartal 1995 wies folgende Werte auf: - Arzneikosten ohne Sprechstundenbedarf Arzt DM 125,22 Arztgruppe DM 120,77 Überschreitung gewichtet + 3,7 % - Sprechstundenbedarf Arzt DM 0,86 Arztgruppe DM 3,83 Unterschreitung - 57,5 % - verordnete physikalisch-medizinische Leistungen (keine Werte wegen fehlender Daten der Krankenkassen) - Krankenhauseinweisungen (Häufigkeit auf 100 Behandlungsfälle) Arzt 5,8 Arztgruppe 2,7 - abgeschlossene AU-Fälle Arzt 12,9 Arztgruppe 21,6.

Mit Schriftsatz vom 12. Mai 1995 trugen die früheren Bevollmächtigten vor allem vor, dass das besonders große Leistungsspektrum des Mandanten als Praxisbesonderheit zu berücksichtigen sei. Ihr Mandant führe als einziger Internist in B ... und weitem Umkreis Schilddrüsendiagnostik, Duplexsonographie der extracraniellen und intracraniellen Hirngefäße, die Duplexsonographie der Arterien und Venen des Körperstammes und der Extremitäten, die Hämorrhoidenverödung, die Infrarotkoagulation im Enddarmbereich durch. In den vorangegangenen Quartalen seien die Kardiologie, die Sonographie und die Proktologie als Praxisbesonderheit anerkannt worden. Ergänzend legten die früheren Bevollmächtigten für das 1. Quartal 1995 eine Liste von 37 Beispielsfällen vor.

Auf Antrag der Beigeladenen setzte der Prüfungsausschuss Ärzte Oberfranken mit Bescheid vom 18. Juli 1995 eine Kürzung des angeforderten Honorars für die Sonderleistungen um 50 % fest. Zur Begründung des hiergegen eingelegten Widerspruchs wiederholten die früheren Bevollmächtigten im Wesentlichen ihre Ausführungen im Schriftsatz vom 12. Mai 1995 (Schriftsatz vom 9. August 1995). Nachdem der Kläger mit Schriftsatz vom 30. Oktober 1995 mitgeteilt hatte, dass er nunmehr von der Kanzlei Dr.E ..., M ..., vertreten werde, beantragten sowohl er als auch die neuen Bevollmächtigten eine Verschiebung des Termins vom 17. Januar 1996, weil der Kläger wegen seiner beruflichen Veränderungen verbunden mit einem Ortswechsel den Termin nicht wahrnehmen könne. Mit Schriftsatz vom 16. Januar 1996 legten die neuen Bevollmächtigten eine weitere Widerspruchsbegründung vor. In dieser wurde zum 1. Quartal 1995 im Wesentlichen folgendes ausgeführt: Wegen des erhöhten Rentneranteils (+ 50,2 %) und der geringen Fallzahl (- 66 %) fehle es an der Homogenität der Vergleichsgruppe. Zudem sei die Klientel innerhalb der Rentner stark überaltert. Im 1. Quartal 1995 seien 72 Patienten zwischen 60 und 70 Jahre alt, 91 Patienten zwischen 70 und 80 Jahre und 46 Patienten über 80 Jahre alt gewesen. Die Gewichtung werde einer derartigen Häufung älterer Rentner nicht gerecht. Diese hätte vielmehr als weitere Praxisbesonderheit berücksichtigt werden müssen. Der Kläger betreue auch in Relation zur Vergleichsgruppe einen erhöhten Anteil an Patienten mit kardiologischen und angiologischen Problemen. Dies führe zum häufigen Ansatz der Nrn.617, 686 und 687 BMÄ/E-GO, die im 1. Quartal 1995 nur von 11,3 % bzw. 25,71 % der Ärzte der Vergleichsgruppe erbracht würden. Diese Leistungen machten mit 234.510 Punkten ca. 44 % des Gesamtbetrags der Sonderleistungen aus. Da die Leistungen des Widerspruchsführers im Bereich der Sonderleistungen erheblich von den Leistungen der Vergleichsgruppe abwichen, sei die Kardiologie/Angiologie als Praxisbesonderheit anzuerkennen. Der Widerspruchsführer betreue zudem einen erhöhten Anteil an schweren Fällen, u.a. auch Tumorpatienten und Patienten mit kardiologischen Problemen. Hinzu komme, dass der Widerspruchsführer eine sehr geringe Fallzahl aufweise, so dass er wenig "Verdünnerscheine" habe. Ein derartig erhöhter Anteil an multimorbiden und schwerstkranken Patienten könne auch in einer größeren Praxis nicht durch Bagatellfälle ausgeglichen werden. Insoweit sei eine Praxisbesonderheit anzuerkennen.

Mit Bescheid vom 11. März 1996 lehnte der Beklagte den Antrag auf Absetzung des Termins ab und wies den Widerspruch zurück. Es gebe keine Gründe für eine Terminsverschiebung. Über die berufliche Veränderung verbunden mit einem Ortswechsel werde vom Zulassungsausschuss erst am 31. Januar 1996 entschieden. Zudem sei die bevollmächtigte Rechtsanwältin zum Verhandlungstermin erschienen. Der Beklagte führte eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten mit der Fachgruppe der Internisten Untergruppe 2 in Oberfranken (Überweisungsanteil von 10,01 % bis 40,0 %) durch. Die Zusammensetzung des Patientenguts nach Mitgliedern, Familienangehörigen und Rentnern werde durch die Gewichtung berücksichtigt. Bei dem Vergleich zeige sich in der Leistungsgruppe der Sonderleistungen eine Abweichung vom Vergleichsgruppendurchschnitt um 187,37 %. Diese Überschreitung stelle ein offensichtliches Missverhältnis dar und begründe die Vermutung der Unwirtschaftlichkeit. Aus den vorliegenden statistischen Prüfungsunterlagen seien keine Praxisbesonderheiten offenkundig. Dem gegenüber der Arztgruppe erhöhten Rentneranteil (+ 50,2 %) sei durch die Gewichtung der Vergleichswerte in den Einzelleistungsgruppen bereits Rechnung getragen worden. Der gewichtete Arztgruppenwert berücksichtige die unterschiedlichen Versichertengruppenanteile bei der jeweiligen Praxis im Vergleich zum Durchschnitt der Arztgruppe. Um diesen Wert zu erhalten, würden die jeweiligen Versichertengruppen-Durchschnittswerte der Arztgruppe mit den entsprechenden Fallzahlen der Praxis multipliziert und durch deren Gesamtfallwert dividiert. Eine unterdurchschnittliche Fallzahl sei grundsätzlich keine Mehrkosten verursachende Praxisbesonderheit, da bei einer niedrigen Fallzahl der Aufwand pro Patient medizinisch nicht notwendigerweise höher sei als bei einer hohen Fallzahl. Wegen niedriger Fallzahl trete eine Überschreitung des Arztgruppendurchschnitts nur dann notwendigerweise hervor, wenn der Anteil aus sogenannten "schweren Fällen" wesentlich höher liege als bei der Vergleichsgruppe. Dies sei nicht substantiiert dargelegt bzw. aus den Abrechnungsunterlagen ersichtlich gewesen. Aus dem im Schriftsatz vom 12. Mai 1995 namentlich angeführten Behandlungsfällen mit Diagnosen sei kein für eine internistische Praxis außergewöhnliches Patientengut bzw. eine besondere Häufung sogenannter "schwerer Fälle" oder ein spezielles kardiologisches Patientengut erkennbar. Es würden Quartal für Quartal bei den gleichen Patienten immer wieder die gleichen Untersuchungen durchgeführt, die nicht jedes Quartal notwendig seien. Die erbrachten Leistungen seien oftmals durch die auf den Behandlungsunterlagen eingetragenen Diagnosen nicht begründet. Schwere Fälle stellten ebenso wie die Ausstattung einer Praxis und das Leistungsspektrum als solches keine Mehrkosten verursachenden Besonderheiten dar. Kompensationsfähige Einsparungen seien ebenfalls nicht erkennbar, insbesondere kein ursächlicher Zusammenhang der vorliegenden Einsparung bei der Verordnung von Sprechstundenbedarf mit dem Mehraufwand bei den Sonderleistungen. Ein Kausalzusammenhang sei zudem nicht hinreichend dargelegt worden. Der Beschwerdeausschuss errechnete sodann eine mögliche Kürzung von 58 % und vertrat die Auffassung, dass diese Kürzung erforderlich gewesen wäre. Aufgrund des Verböserungsverbots könne er jedoch diese Kürzung nicht festsetzen. Er errechnete, dass nach Kürzung eine Überschreitung des Vergleichsgruppendruchschnitts um 43,68 % belassen worden sei.

Gegen den am 18. März 1996 zugestellten Bescheid ließ der Kläger durch seine früheren Bevollmächtigten am 18. April 1996 Klage zum Sozialgericht München erheben (Az.: S 42 KA 508/96). Die früheren Bevollmächtigten legten mit Schriftsatz vom 29. April 1996 das Mandat nieder. Der Kläger begründete die Klage nicht näher. In der mündlichen Verhandlung, zu der der Kläger persönlich erschien, verband das Sozialgericht dieses Verfahren mit weiteren fünf Rechtsstreitigkeiten des Klägers. Der Kläger beantragte u.a., den Bescheid des Beklagten vom 11. März 1996, das 1. Quartal 1995 betreffend, aufzuheben und diesen zur Neuentscheidung über seinen Widerspruch zu verpflichten. Die Vertreter der Beigeladenen zu 1) und 5) beantragten, die Klage abzuweisen. Die Beigeladene zu 1) nahm in ihrer Klageerwiderung vom 16. Juli 1996 auf den Widerspruchsbescheid Bezug. Sie nannte einen Streitwert von DM 21.936,20.

Mit Urteil vom 23. Juni 1998 wies das Sozialgericht u.a. die Klage, das 1. Quartal 1995 betreffend, ab. Die Entscheidungsgründe decken sich mit denen der Vorquartale.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger am 3. Dezember 1998 beim Sozialgericht München Berufung eingelegt, die trotz mehrmaliger Erinnerung nicht begründet worden ist.

Mit Beschluss vom 14. September 1999 trennte der Senat das vom Sozialgericht verbundene Verfahren für das Berufungsverfahren.

Den Verlegungsersuchen des Klägers vom 16. und 22. November 2000, die im Wesentlichen mit einer Terminskollision mit einer Sitzung des Zulassungsausschusses Ärzte Oberbayern begründet worden sind, hat der Vorsitzende des Senats vor allem deswegen nicht entsprochen, weil die Ladung des Senats dem Kläger bereits vor der Ladung des Zulassungsausschusses zugegangen ist.

Der Kläger, der zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist, beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 23. Juni 1998 sowie den Bescheid des Beklagten vom 11. März 1996, jeweils das 1. Quartal 1995 betreffend, aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, über seinen Widerspruch gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses Ärzte Oberfranken vom 18. Juli 1995 erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.

Die Beigeladenen zu 1) und 2) beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Dem Senat liegen die Verwaltungsakte (Honorarabrechnung 1/95 GKV), die Klageakte (Az.: S 42 Ka 508/96) und die Berufungsakte (Az.: L 12 KA 110/99) vor, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden und auf deren sonstigen Inhalt ergänzend Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte trotz Nichterscheinens des Klägers verhandeln und entscheiden, denn der Kläger ist ordnungsgemäß geladen worden. In der Ladung ist er darauf hingewiesen worden, dass auch kann (§§ 110, 202 SGG i.V.m. §§ 214 ff. ZPO). Der Vorsitzende des Senats war nicht verpflichtet, den Verhandlungstermin zu verlegen (§ 202 SGG i.V.m. § 227 Abs.1 Satz 1 ZPO). Der Kläger hat in seinen Schreiben vom 16. und 22. November 2000 keinen "erheblichen Grund" für eine Verlegung vorgetragen. Hinsichtlich der Terminskollision mit der Sitzung des Zulassungsausschusses Ärzte Oberbayern ist darauf hinzuweisen, dass die Ladung durch den Senat erheblich früher erfolgte und daher als vorrangig anzusehen ist.

Die nach § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte sowie gemäß § 151 Abs.1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 11. März 1996, das 1. Quartal 1995 betreffend, der allein Gegenstand des Klage- und Berufungsverfahrens ist (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr.22 S.118 f), hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand, denn der Beklagte hat ohne nähere Begründung mit einer nach Kürzung belassenen Restüberschreitung von + 43,6 % in die Übergangszone gekürzt (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr.36 S.207). Das Sozialgericht hat deshalb die gegen diesen Bescheid erhobene kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zu Unrecht abgewiesen.

Rechtsgrundlage für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit nach Durchschnittswerten ist in dem streitigen Quartal 1/95 § 106 Abs.2 Satz 1 Nr.1 SGB V in Verbindung mit den ergänzenden vertraglichen Bestimmungen des § 47 des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä) vom 19. Dezember 1994 bzw. § 43 des Arzt-Ersatzkassenvertrages (EKV-Ä) vom 7. November 1994 sowie der zwischen den Beigeladenen geschlossenen Bayer. Prüfungsvereinbarung vom 26. März 1993. Mit dem seit 1. Januar 1989 geltenden § 106 Abs.2 Satz 1 Nr.1 SGB V hat der Gesetzgeber die in der Praxis seit langem angewandte, bis dahin aber im Gesetz nicht verankerte und lediglich durch Richterrecht sanktionierte Methode des statistischen Kostenvergleichs als Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Tätigkeit anerkannt und als Regelprüfmethode übernommen. Er hat damit zugleich die zur Legitimation einer statistischen Vergleichsprüfung unerlässliche Annahme gebilligt, dass die Gesamtheit aller Ärzte im Durchschnitt gesehen wirtschaftlich behandelt, jedenfalls das Maß des Notwendigen und Zweckmäßigen nicht unterschreitet, und dass deshalb der durchschnittliche Behandlungsaufwand grundsätzlich ein geeigneter Maßstab für die Wirtschaftlichkeitsprüfung ist (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr.23 S.124).

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes stellt im Rahmen der Prüfmethode nach Durchschnittswerten die statistische Betrachtung nur einen Teil der Wirtschaftlichkeitsprüfung dar. Diese muss durch eine intellektuelle Prüfung und Entscheidung ergänzt werden, bei der die für die Frage der Wirtschaftlichkeit relevanten medizinisch-ärztlichen Gesichtspunkte wie das Behandlungsverhalten und die unterschiedlichen Behandlungsweisen innerhalb der Arztgruppe und die bei dem geprüften Arzt vorhandenen Praxisbesonderheiten in Rechnung zu stellen sind. Diese Gesichtspunkte sind bereits auf der ersten Prüfungsstufe von Amts wegen mit zu berücksichtigen, also bereits vor der Feststellung eines offensichtlichen Missverhältnisses (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr.23 S.125 f.; Nr.26 S.147 f.; Nrn.27 S.154; Nr.41 S.226).

Von der Methode des statistischen Fallkostenvergleichs ist der Beklagte auch in dem angefochtenen Bescheid vom 11. März 1996 ausgegangen. Er ist bei seiner Prüfung der Leistungsgruppe 08 (Sonderleistungen) zu Recht davon ausgegangen, dass sich der Kläger mit einem gewichteten Überschreitungswert von + 187,37 % gegenüber der Vergleichsgruppe im so genannten offensichtlichen Missverhältnis befindet. Beurteilungsfehlerfrei hat er es abgelehnt, einen wirtschaftlichen Mehraufwand in den beanstandeten Leistungsgruppen für Praxisbesonderheiten und/oder kompensierende Einsparungen anzuerkennen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes sind Praxisbesonderheiten alle Umstände, die sich auf das Behandlungs- und Verordnungsverhalten des Arztes auswirken und in der Praxis der Vergleichsgruppe typischerweise nicht oder nicht in derselben Häufigkeit anzutreffen sind (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr.27 S.153).

Der Beklagte hat im Rahmen der stichprobenartigen Durchsicht der Behandlungsunterlagen kein für einen Internisten besonderes Patientengut feststellen können. Für das aus der Häufigkeitsstatistik erkennbare breite Leistungsspektrum hat der Beklagte in nicht zu beanstandender Weise keinen berechtigten Mehraufwand zugestanden. Es ist zunächst davon auszugehen, dass die Vergleichsgruppe der Internisten mit einem Überweisungsanteil von über 10 % bis unter 40 % ebenso wie der Kläger ein breites Leistungsspektrum aufweist. Ein breites Leistungsspektrum ist deshalb bei dieser Arztgruppe keine Besonderheit. Eine Praxisbesonderheit kann nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes allenfalls die schwerpunktmäßige Praxisausrichtung auf ein spezielles Leistungsspektrum, das sich in einem besonderen Patientengut niederschlägt, sein (vgl. auch Urteil des Senats vom 19. Juli 2000, Az.: L 12 KA 12/99). Ein besonderes Patientengut hat der Kläger aber im Rahmen des Widerspruchsverfahrens zum Quartal 1/95 nicht substantiiert dargelegt, insbesondere ist, wie der Beklagte bereits beurteilungsfehlerfrei festgestellt hat, aus den im Schriftsatz vom 12. Mai 1995 namentlich angeführten Behandlungsfällen mit Diagnosen kein für eine internistische Praxis außergewöhnliches Patientengut bzw. eine besondere Häufung sog. "schwerer Fälle" oder ein spezielles kardiologisches Patientengut erkennbar. Aus der Häufigkeitsstatistik ergibt sich, worauf die früheren Bevollmächtigten in ihrem Schriftsatz vom 16. Januar 1996 hingewiesen haben, dass von den in der Leistungsgruppe 08 insgesamt angeforderten 530.845 Punkten ca. 25 % (131.760 Punkte) auf die Nr.617 EBM (eindimensionale echokardiographische Untersuchung) entfallen, die nur von 11,43 % in der Vergleichsgruppe abgerechnet wird. Auch die Nr.686 EBM (sonographische Untersuchung der extrakraniellen und/oder interkraniellen Hirngefäße mittels Duplexverfahren) mit 61.800 Punkten wird nur von 25,71 % in der Vergleichsgruppe abgerechnet, ebenso die Nr.687 EBM (sonographische Untersuchung der Arterien und/oder Venen des Körperstammes und/oder der Extremitäten mittels Duplexverfahrens) mit 40.950 Punkten. Andererseits beruht die Überschreitung aber auch auf fachgruppentypischen Leistungen (Nr.380 EBM mit 52.800 Punkten und einer Abrechnungshäufigkeit in der Vergleichsgruppe in Höhe von 94,29 %; Nr.603 EBM mit 34.000 Punkten, Abrechnungshäufigkeit: 100 %; Nr.606 EBM mit 34.800 Punkten, Abrechnungshäufigkeit: 88,57 %). Insgesamt ist deshalb dem Sozialgericht zuzustimmen, dass ein typisches Merkmal der Internistenuntergruppe 19/2 gerade darin besteht, dass verschiedene internistische Schwerpunkte in einer Gruppe zusammengefasst sind und die im Wesentlichen einem internistischen Schwerpunkt zuzurechnenden Leistungen naturgemäß nur von einem Teil der weitergebildeten Internisten erbracht werden. Dieser Umstand rechtfertigt aber für sich allein gesehen nicht die Anerkennung von Praxisbesonderheiten. Die gegenüber der Vergleichsgruppe deutlich erhöhte Ansatzhäufigkeit bei einzelnen Leistungsnummern kann entweder der Ausdruck eines zu häufigen und damit unwirtschaftlichen Ansatzes der Leistungen oder Ausdruck einer speziellen Praxisausrichtung, die sich in einem besonderen Patientengut niederschlägt, sein. Dass diese Überschreitungen auf einer speziellen Praxisausrichtung zurückzuführen sind, hat der Kläger im Rahmen des Verwaltungsverfahrens nicht substantiiert dargelegt. Der Beklagte war daher nicht gemäß § 20 Abs.1 SGB X gehalten und auch nicht in der Lage, diesbezüglich eine weitergehende Prüfung vorzunehmen. Es bleibt dem Kläger unbenommen, in dem wiedereröffneten Verwaltungsverfahren seinen Vortrag eines speziellen Leistungsspektrums bei den Nrn.617, 686 und 687 BMÄ/E-GO durch die Darlegung eines entsprechenden besonderen Patientenguts, das diese Leistungen notwendig gemacht hat, zu ergänzen.

Dem um 50,2 % erhöhten Rentneranteil ist bereits durch die Gewichtung der Vergleichswerte hinreichend Rechnung getragen. Einen über den durch die Gewichtung bereits berücksichtigten Mehraufwand hinausgehenden Mehraufwand durch die Behandlung von mehr Rentnern hat der Kläger bislang nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Soweit seine früheren Bevollmächtigten im Schriftsatz vom 16. Januar 1996 eine atypische Altersstruktur mit überdurchschnittlich vielen älteren Rentnern geltend gemacht haben, haben sie nicht konkret genug dargelegt, inwiefern diese Patientengruppe der älteren Rentner einen überdurchschnittlichen Aufwand bei den Sonderleistungen bedingt hat und wie groß der Mehraufwand war. Es bleibt dem Kläger auch insoweit unbenommen, im wiedereröffneten Verwaltungsverfahren einen entsprechenden Vortrag nachzuholen.

Auch der Hinweis auf die niedrige Fallzahl begründet für sich allein noch keine Praxisbesonderheit. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr.45 S.244 ff.) rechtfertigt die Tatsache einer niedrigen Fallzahl grundsätzlich noch keine Leistungsausweitung, weil bei kleinen Praxen die Relation von behandlungsintensiven und weniger aufwendigen Behandlungsfällen nicht notwendig anders sein muss als bei großen Praxen. Das Vorliegen einer besonderen Häufung so genannter "schwerer Fälle", die den Fallwert des Klägers überproportional in die Höhe treiben könnten, hat der Kläger im Rahmen des Verwaltungsverfahrens nicht substantiiert dargelegt. Das Verhältnis der Fallzahl des Klägers zur Durchschnittsfallzahl der Vergleichsgruppe liegt mit 33,0 % (301: 912 Fälle) ebenfalls deutlich über der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BSG, a.a.O., S.244/245) geforderten Mindestquote von 20 %.

Auch das Vorliegen kompensierender Einsparungen hat der Kläger im Rahmen des Verwaltungsverfahrens nicht substantiiert dargelegt. Unterdurchschnittliche Werte finden sich ohnehin nur beim Sprechstundenbedarf (- 57,5 %) und bei den abgeschlossenen AU-Fällen. Der Kläger hat aber weder behauptet, noch ist es aus den statistischen Unterlagen erkennbar, dass es gerade durch den Mehraufwand in der Leistungsgruppe 08 zu den unterdurchschnittlichen Werten gekommen ist.

Der Beklagte ist deshalb zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass die Honoraranforderung des Klägers in der Leistungsgruppe 08 gegenüber der Vergleichsgruppe mit einem Überschreitungswert von 187,37 % im so genannten offensichtlichen Missverhältnis befindet. Er hat deshalb zutreffend die Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise in der Leistungsgruppe 08 festgestellt.

Die Festsetzung der Höhe der Kürzung mit 50 % ist jedoch ermessens- und begründungsfehlerhaft erfolgt.

Bei der zu treffenden Ermessensentscheidung ist vor allem - auch für den betreffenden Arzt - von Belang, auf welchen Überschreitungsgrad des Fachgruppendurchschnitts (belassene Restüberschreitung) die Honorarforderung gekürzt wird. Als Korrektiv zu den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung den Prüforganen zugestandenen Beurteilungs- und Ermessensspielräumen werden gemäß § 35 Abs.1 Sätze 2 und 3 SGB X besondere Anforderungen an die Bescheidbegründung gestellt (zur Begründungspflicht allgemein: BSG SozR 3-2500 § 106 Nr.5; SozR 3-2500 § 106 Nr.23). Nach Satz 2 der vorgenannten Bestimmung sind in der Begründung die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Satz 3 verlangt, dass die Begründung von Ermessensentscheidungen auch die Gesichtspunkte erkennen lässt, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.

Im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten fordert die höchstrichterliche Rechtsprechung eine Darlegung der Ermessensgründe dann nicht, wenn - ggf. nach qualitativer und quantitativer Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten bzw. kompensatorischen, kausalen Einsparungen - nach Kürzung bzw. Regress eine Restüberschreitung belassen wird, die sich noch immer im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses befindet. Eine diesbezügliche Begründung ist allerdings dann erforderlich, wenn unter die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis gekürzt bzw. ein entsprechender Regress festgesetzt wird (vgl. BSG SozR 2200 § 368 n Nr.48; SozR 2200 § 368 n Nr.49; SozR 3-2500 § 106 Nr.15; SozR 3-2500 § 106 Nr.36 S.207). Richten sich die Prüfungsgremien, wie im vorliegenden Fall der Beklagte, nach arithmetischen Durchschnittszahlen, so kann im Allgemeinen nicht als rechtswidrig angesehen werden, wenn sie aufgrund ihres Erfahrenswissens die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis bei einer Fallwertüberschreitung des Arztes um 50 % annehmen. Die unterschiedliche Homogenität von Fachgruppen, insbesondere in Bezug auf bevorzugt angewandte Leistungssparten und Leistungsarten, können eventuell Abweichungen bei den Grenzwerten rechtfertigen, so dass schon insoweit ein Beurteilungsspielraum in Frage kommen kann, der es den Prüfungsgremien ermöglicht, ihr Erfahrungswissen zu berücksichtigen und diesem ihre Prüfungsmaßstäbe anzupassen (BSG SozR 2200 § 368 n Nr.31 S.100). An diesem Grundsatz aus dem Urteil des BSG vom 22. Mai 1984 hält das BSG weiterhin fest (BSG, Urteil vom 18. Juni 1997, SozR 3-2500 § 106 Nr.41 S.227). Es hält es deshalb auch für rechtmäßig, wenn die Prüfinstanzen die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis bereits bei unter 50 % annehmen, wenn entweder eine besonders homogene Vergleichsgruppe gegeben ist oder aber nach Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten bzw. kausalen Einsparungen der Fallwert des zu prüfenden Arztes entsprechend bereinigt wurde. Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Bei der Arztgruppe 19/2 handelt es sich um Internisten mit einem Überweisunganteil zwischen 10 und 40 %. Es ist eine relativ inhomogene Gruppe, da in ihr sowohl hausärztlich tätige Internisten als auch bereits spezialisierte Internisten enthalten sind. Praxisbesonderheiten bzw. kausale Einsparungen hat der Beklagte, wie dargelegt, nach dem bisherigen Vorbringen zu Recht nicht anerkannt, so dass es schon einer besonderen Begründung bedurft hätte, weshalb die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis weniger als 50 % beträgt. Nach Auffassung des Senats sind die Anforderungen, die an die Begründung eines Bescheides zu stellen sind, um so höher, je weiter in den Bereich der Übergangszone hineingekürzt wird. Diese Betrachtung ergibt sich nicht nur aus den Bestimmungen des einfachen Rechts (§ 35 Abs.1 Satz 3 SGB X), sondern ist nach Auffassung des Senats auch von Verfassung wegen geboten. Andernfalls würden die Ärzte, die vor Kürzung bzw. Regress im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses liegen, gegenüber denjenigen Ärzten, die darunter liegen, nach Kürzung bzw. Regress ohne hinreichend gewichtigen Grund ungleich behandelt, nämlich schlechter gestellt. Dies wäre jedoch mit Art.3 Abs.1 Grundgesetz unvereinbar (vgl. BVerfGE 55, 72; 88, 87). Liegen demnach hinreichend gewichtige Gründe dafür vor, die Kürzung auch auf die Übergangszone oder gar in die Streubreite zu erstrecken, so müssen diese in der Begründung des Bescheides besonders genannt werden (siehe hierzu Urteile des Senats vom 10. Februar 1995, Az.: L 12 Ka 518/90, vom 12. Juni 1996, Az.: L 12 Ka 6/95, und vom 16. Oktober 1996, Az.: L 12 Ka 79/95, sowie aus der neueren Rechtsprechung des BSG, Urteil vom 8. Mai 1996, SozR 3-2500 § 106 Nr.36 S.207).

Vorliegend hat der Beklagte zwar in der Bescheidsbegründung festgehalten, dass die Restüberschreitung nach Kürzung durch den Beschwerdeausschuss in der Leistungsgruppe 08 43,68 % beträgt, jedoch keine Ausführungen gemacht, weshalb er dem Kläger nur eine Restüberschreitung in dieser Höhe belassen wollte. Im Bescheid wird auch nicht ausgeführt, ab welcher Grenze bei dem statistischen Vergleich ein offensichtliches Missverhältnis anzunehmen ist. Es ist deshalb davon auszugehen, dass der Beklagte von dem bisher von der Rechtsprechung gebilligten Wert "um 50 %" (vgl. etwa BSG SozR 2200 § 368 n Nr.31 S.100) ausgegangen ist. Bei der Begründung seiner Kürzung ist der Beklagte dann weiter davon ausgegangen, dass die Honoraranforderung des Klägers, die mehr als 20 % über dem gewichteten Vergleichsgruppendurchschnittswert liegt, unwirtschaftlich ist. Dies ist nach der ständigen zitierten Rechtsprechung des BSG und des Senats nicht rechtmäßig.

Vielmehr muss bei einer Kürzung unter die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis besonders nachgewiesen werden, dass und in welchem Umfang auch der Mehraufwand im Bereich der Übergangszone noch unwirtschaftlich ist. Die diesbezüglichen Feststellungen müssen im Bescheid dargelegt und die Honorarkürzung muss entsprechend begründet werden (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr.36 S.207).

Das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts München vom 23. Juni 1998 sowie der Bescheid des Beklagten vom 11. März 1996, jeweils das 1. Quartal 1995 betreffend, sind daher aufzuheben und der Beklagte zu verurteilen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses vom 18. Juli 1995 erneut zu entscheiden. In diesem erneuten Verwaltungsverfahren, bleibt es dem Kläger unbenommen, wie bereits ausgeführt, gezielt Praxisbesonderheiten darzulegen. Dem Beklagten ist es möglich, die bisher ausgesprochene Honorarmaßnahme durch eine ausreichende, den dargelegten Anforderungen an einen Prüfbescheid entsprechende Begründung, zu rechtfertigen oder die Kürzung auf eine Höhe zu reduzieren, die nicht besonders begründet zu werden braucht.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Abs.1 SGG und beruht auf der Erwägung, dass der Kläger im Klage- und Berufungsverfahren obsiegt hat.

Gründe, die Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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