L 12 KA 25/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 32 KA 2273/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 KA 25/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 17. Februar 1999, das 1. Quartal 1977 betreffend, wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat dem Beklagten die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit des vom Beklagten gegen den Kläger festgesetzten Regresses wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise im 1. Quartal 1997. Der Regressbetrag beläuft sich auf DM 21.797,29.

Der Kläger nahm im streitigen Zeitraum als Lungenarzt in B. an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Bei 2.838 ambulanten kurativen Behandlungsfällen der bayerischen gesetzlichen Krankenkassen verordnete er im 1. Quartal 1997 Arzneimittel im Werte von DM 460.836,08. Mit einem Fallwert von DM 162,38 überschritt er den Fallwert der Arztgruppe der bayerischen Lungenärzte von DM 95,75 um 69,6 %.

Aus der "wichtigen Information über Abrechnungs- und Verordnungswerte" ergeben sich folgende weitere Vergleichswerte: - Honorar-Abrechnungsumme 395.772,23 DM Fallwert Arzt 2.192,0 Punkte Fallwert Arztgruppe 2.061,7 " Überschreitung + 6,3 % - Sprechstundenbedarf Arzt 0,85 DM Arztgruppe 1,90 DM Unterschreitung - 55,3 %. - Krankenhauseinweisungen (Häufigkeit auf 100 Behandlungsfälle) Arzt 0,6 Arztgruppe 1,4 Unterschreitung - 57,14 %. - abgeschlossene AU-Fälle Arzt 4,1 Arztgruppe 4,0 Überschreitung + 2,5 %.

Am 14. Mai 1997 fand ein Beratungsgespräch zur Verordnungsweise im 2. Quartal 1996 statt.

Zu den Anträgen der Beigeladenen zu 2) bis 6) auf Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise im 1. Quartal 1997 vom August/September 1997 nahm der Kläger nicht Stellung. Zur Information wurde dem Prüfungsausschuss Ärzte Oberfranken ein Schreiben des Klägers vom 20. Oktober 1997 vorgelegt, mit dem er einen Widerspruch wie folgt begründete: Inzwischen gebe es von vielen Medikamenten Nachahmungspräparate, die er verschreibe, in der Hoffnung, seine Verordnungskosten günstiger zu halten. Er versuche auch, die Patienten auf die Nachahmungspräparate umzustellen. Im Übrigen frage er sich auch, warum gerade in Deutschland die Präparate so teuer seien. Er wolle seine Patienten nach den besten Gesichtspunkten der Wissenschaft behandeln. Inhalative Kortikosteroide als Dauertherapie für Asthmatiker seien teuer. Durch seine ambulante Behandlung erspare er vielen Patienten stationäre Behandlungen; er schreibe auch nicht zu viele Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Er sorge durch seine Verordnungsweise dafür, dass ein Asthmatiker frühzeitig optimal eingestellt und nicht arbeitsunfähig werde. Es müssten auch keine überflüssigen Kurmaßnahmen und keine frühzeitige Invalidität und keine gehäuften stationären Behandlungen durchgeführt werden. Früher habe auch der Hausarzt die Medikation verschrieben. Jetzt sei es anders. Er sei gezwungen, die Medikation weiter zu verschreiben, weil seine Therapie eine Dauertherapie unter laufenden Kontrollen sei. Er behandele zudem viele schwere Krankheitsbilder. Würde er diese Patienten zwingen, zum Hausarzt zu gehen und sich dort die Rezepte verschreiben zu lassen, so sei dies nicht im Sinne der Medizin und der Wirtschaftlichkeit.

Mit Bescheid vom 16. Juni 1998 sprach der Prüfungsausschuss Ärzte Oberfranken einen Regress in Höhe von 10 % aus. Es ergebe sich ein Regressbetrag in Höhe von DM 43.554,59 (netto).

Seinen dagegen eingelegten Widerspruch begründete der Kläger mit Schriftsatz vom 20. Juli 1998 im Wesentlichen damit, dass er in 45 Fällen, die er im Einzelnen aufführte, stationäre Einweisungen vermieden habe. Dadurch wären bei einem durchschnittlichen Tagessatz von DM 426,- Behandlungskosten in Höhe von DM 274.136,56 entstanden. Ziehe man diese Einsparungen ab, bleibe ein Betrag der Arzneimittelkosten von DM 190.000,-. Nach der Statistik habe er ca. 25 stationäre Fälle (-57,14 %) gespart. Diese ergäben eine eingesparte Summe von ca. DM 140.000,-. Ziehe man diese Summe von den Medikamentenkosten ab, bleibe ein Betrag von DM 320.000,- bzw. DM 113,- pro Fall. Auch bei den physikalisch-medizinischen Leistungen und beim PC-Bedarf lägen Einsparungen vor. Er habe zudem weniger Zielaufträge und Konsiliaruntersuchungen als Fälle zur Mitbehandlung und Krankenscheinfälle. Diese Fälle bräuchten viel mehr Arzneimittel, weil die Hausärzte keine Rezepte ausstellten. Zudem habe er einen Dauerassistenten genehmigt erhalten. Aus der Diagnoseauflistung ergebe sich, dass 60 % seiner Patienten an Asthma Bronchiale und chronischer obstruktiver Bronchitis litten gegenüber 50 % bei den Lungenärzten allgemein. Dieser um 10 % erhöhte Anteil falle ins Gewicht und verursache viele Kosten. Inhalative Kortikosteroide und die Asthmatherapie seien sehr teuer.

In der Sitzung des Beklagten am 30. September 1998 nahm der Kläger laut Niederschrift teil und erklärte, dass er immer für die Krankenkassen gespart habe. Nachahmerpräparate seien erst seit 1996 vorhanden. Mit seiner Medikation verhindere er Krankenhauseinweisungen und AU-Schreibungen.

Mit Bescheid vom 11. November 1998 änderte der Beklagte den Bescheid des Prüfungsausschusses insoweit ab, als er bei den Verordnungskosten einen Regress in Höhe von 5 % festsetzte. Er führte einen statistischen Fallkostenvergleich mit der Fachgruppe der Lungenärzte in Bayern durch. Mit der sich dabei ergebenen Überschreitung (+ 69,6 %) werde die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis überschritten. Dies begründe die Vermutung der Unwirtschaftlichkeit. Nachdem es sich bei den Lungenärzten in Bayern um eine homogene Arztgruppe handele, werde das sogenannte offensichtliche Missverhältnis bei einer Vergleichswertüberschreitung von 40 % angenommen. Aus den vorliegenden statistischen Prüfungsunterlagen seien keine Praxisbesonderheiten offenkundig. Auch aus der sehr ausführlichen Widerspruchsbegründung seien keine Mehrkosten verursachenden Praxisbesonderheiten ersichtlich. Der Arzt habe 78 kostenintensive Patienten mit Diagnosen angeführt. Nach Durchsicht der Behandlungsunterlagen und Rezepte sei nach den auf den Behandlungsunterlagen eingetragenen Diagnosen und der vom Arzt vorgelegten Diagnosestatistik kein für eine Lungenarztpraxis außergewöhnliches Patientengut ersichtlich. 63 sogenannte schwere Fälle stellten im Hinblick auf die relativ hohe Behandlungsfallzahl keine Praxisbesonderheit dar. Sie seien auch bei anderen Ärzten der Vergleichsgruppe vorhanden. Solche Unterschiede im Krankengut lägen innerhalb des Streubereichs der statistisch erfassten Fälle. Bei der Durchsicht der Rezepte sei eine sehr aufwendige Verordnungstätigkeit aufgefallen. Es seien fast ausschließlich Medikamente der oberen Preisklasse verordnet worden. Kompensationsfähige Einsparungen lägen bei der Verordnung von Krankenhauspflege und den AU-Schreibungen vor. Der Arzt habe hierzu 45 Patienten angeführt, bei denen er eine Krankenhauseinweisung eingespart habe. Die dafür aufgewendeten Verordnungskosten hätten nach den Ausführungen des Arztes DM 26.296,59 betragen. Nach Überprüfung dieser Verordnungsfälle könne in der überwiegenden Anzahl der dargestellten Fälle dem Arzt bzgl. der Einsparungen von Krankenhauseinweisungen beigepflichtet werden. Wie sich diese Einsparungen auf den Fallwert auswirkten, könne nicht exakt berechnet werden. Im Wege der Schätzung würde hierfür ein Mehraufwand von 10 % des Arztgruppendurchschnittes ( = DM 9,58 pro Fall) anerkannt. Der Beklagte errechnete sodann eine um den Mehraufwand für Einsparungen bereinigte Vergleichswertüberschreitung von 59,6 % vor Regress und von 51,1 % nach Regress. Die Reduzierung des Regresses sei auch im Hinblick auf die ab dem Quartal 3/97 eingetretene wirtschaftliche Änderung der Verordnungstätigkeit vertretbar. Aufgrund seiner Entscheidung ergebe sich für den Arzt eine Lastschrift von DM 21.797,29.

Gegen den am 12. November 1998 zugestellten Bescheid ließ der Kläger am 26. November 1998 Klage zum Sozialgericht München erheben (Az.: S 32 Ka 2273/98). Zu deren Begründung wurde im Wesentlichen Folgendes vorgetragen: Der Bescheid sei schon deshalb rechtswidrig, weil der Beklagte keine intellektuelle Prüfung auf der ersten Prüfungsstufe vorgenommen habe. Nur aus der Zusammenschau zwischen Statistik und intellektueller Prüfung lasse sich der Schluss auf eine unwirtschaftliche Verordnungsweise ziehen. Darüber hinaus sei zu Unrecht die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis bei 40 % angenommen worden. Ferner habe es der Beklagte unterlassen, die beim Kläger vorliegenden Praxisbesonderheiten und kompensatorischen Einsparungen bereits vor der statistischen Prüfung herauszurechnen. Würde man dies beim Kläger tun, würde die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis, die bei mindestens 50 % anzusiedeln sei, nicht mehr überschritten. Als Praxisbesonderheiten hätten schwere Fälle und die besondere Patientenstruktur berücksichtigt werden müssen. Abweichend von den Ärzten der Vergleichsgruppe versorge der Kläger in besonders hohem Maße schwerstkranke Patienten mit Asthma, chronischer obstruktiver Bronchitis, Lungenentzündung, Rippenfellentzündung, Krebs, Tuberkulose sowie mit schweren Erkrankungen der Atemwege und der Lunge. Diese Erkrankungen würden durch zusätzliche protrahierte Atemwegserkrankungen, hyperreaktives Bronchialsystem und vor allem Rhinu-Situ-Bronchitis sowie die allergischen Komponenten mit Rhinitis und allergischer Konjunktivitis kompliziert. Der Kläger habe eine Auflistung von 45 schweren Fällen erstellt, bei denen aufgrund des Krankheitsbildes eine besonders kostenintensive Arzneimitteltherapie erforderlich gewesen sei. In fast allen Diagnosegruppen unterscheide sich die Praxis des Klägers von denen der Vergleichsgruppe. Cirka 38,7 % gehörten zur Diagnosegruppe Asthma bronchiale gegenüber ca. 29 % bei vergleichbaren pneumologischen Praxen. Im gesamten Diagnosespektrum zeigten sich Abweichungen gegenüber diesen Praxen. Beim Kläger liege auch ein komplett anderes Patientengut vor, das sich auch aus seiner Praxisstruktur ergebe. Er sei der einzige Lungenarzt im Planungsbereich. Nur 40 der Lungenärzte in Bayern hätten die Zusatzbezeichnung "Allergologie". Es sei auch kein Internist mit Schwerpunkt Lungen- und Bronchialheilkunde im Planungsbereich niedergelassen. Der Einzugsbereich der Praxis gehe weit über die Grenzen Bayerns hinaus. Es sei deshalb ein angestellter Arzt als Assistent genehmigt worden. Seine Praxis habe auch eine besondere Anziehungskraft für schwierige Fälle. Die Therapieerfolge des Klägers beruhten nicht nur auf seinen diagnostischen Fähigkeiten, sondern auch auf seiner hoch wirksamen Arzneimitteltherapie, bei der im Gegensatz zu vielen Kollegen innovative Präparate eingesetzt würden. In der Praxis des Klägers gäbe es fast keine Verdünnerscheine. Schon ein einfacher Asthmapatient ohne weitere Komplikationen koste DM 155,- pro Quartal. Die Patientenstruktur des Klägers mit zahlreichen schweren Fällen und einem anderen Diagnosespektrum führe zu weit über dem Gruppendurchschnitt liegenden Arzneikosten. Zudem habe der Kläger praktisch keine Überweisungspatienten, die nur für bestimmte Behandlungen kurzfristig zu ihm kämen. Die neuen innovativen Präparate kosteten mehr als Standardpräparate. Dies sei bei den kompensatorischen Einsparungen nicht genügend berücksichtigt worden. Die tatsächlich erzielten kompensatorischen Einsparungen lägen wesentlich höher als 10 % des Arztgruppendurchschnitts. Die Überschreitungen würden durch Einsparungen beim Sprechstundenbedarf, bei den Arzneimittelverordnungen und bei den abgeschlossenen AU-Fällen kompensiert. Allein bei dem vom Kläger dargelegten 45 Fällen, bei denen eine Krankenhauseinweisung vermieden worden sei, hätten sich bei einem durchschnittlichen stationären Tagessatz von DM 426,- Zusatzkosten in Höhe von DM 274.136,- ergeben. Diese Einsparungen hätten sich durch weit unterdurchschnittliche Arbeitsunfähigkeiten nochmals erhöht. Zudem habe sich der Beklagte zwischenzeitlich sowohl in Bezug auf den Grenzwert der Vergleichswertüberschreitung als auch bei der Frage der Wirtschaftlichkeit der Rechtsansicht des Klägers angeschlossen. Ihm sei bei einer statistischen Überschreitung von + 49,59 % im 3. Quartal 1997 bescheinigt worden, dass wegen des Patientenguts und der kompensatorischen Einsparungen eine unwirtschaftliche Verordnungsweise nicht erkennbar sei.

In der mündlichen Verhandlung verband das Sozialgericht dieses Verfahren mit weiteren drei Rechtstreitigkeiten des Klägers.

Der Kläger beantragte u.a., den Wíderspruchsbescheid vom 11. November 1998, das 1. Quartal 1997 betreffend, aufzuheben.

Die Beigeladenen zu 1) und 2) beantragten u.a., die Klage, das 1. Quartal 1997 betreffend, abzuweisen.

Die Beigeladene zu 1) nahm in ihrer Klageerwiderung vom 10. Fe- bruar 1999 auf den Widerspruchsbescheid Bezug.

Mit Urteil vom 17. Februar 1999 wies das Sozialgericht u.a. die Klage, das 1. Quartal 1997 betreffend, ab. Diese Entscheidung stützte es im Wesentlichen auf folgende Erwägungen: Die neuere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach bereits auf der ersten Stufe der Wirtschaftlichkeitsprüfungen Praxisbesonderheiten und kausale Einsparungen zu berücksichtigen seien, überzeuge nicht. Der Kläger sei zu Recht mit der Fachgruppe der Lungenärzte mit Allergologie verglichen worden. Die sich dabei ergebende Überschreitung liege in der Zone des offensichtlichen Missverhältnisses. Deshalb werde die Unwirtschaftlichkeit der Verordnungsweise vermutet. Diese Vermutung sei nicht widerlegt worden. Weder rechtfertigten Praxisbesonderheiten den festgestellten Mehraufwand noch seien dafür Minderaufwendungen in anderen Leistungsbereichen ursächlich. Der Kläger sei seiner Darlegungslast nicht nachgekommen. Die Festsetzung des Regressbetrages bewege sich im Rahmen der unwirtschaftlichen Mehrkosten. Nach Regress werde der Fachgruppendurchschnitt immer noch erheblich überschritten. Es sei nicht einmal die Übergangszone berührt worden. Wegen der Homogenität der Fachgruppe sei die Zone des offensichtlichen Missverhältnisses wesentlich niedrigerer als bei 40 % anzusetzen.

Gegen das am 18. Mai 1999 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17. Juli 1999 Berufung einlegen lassen. Der Senat hat mit Beschluss vom 28. März 2000 die vom Sozialgericht verbundenen Verfahren für das Berufungsverfahren wieder getrennt.

Die Berufung, das 1. Quartal 1997 betreffend, ist mit Schriftsatz vom 22. Juni 2001 im Wesentlichen wie folgt begründet worden: Das Sozialgericht habe die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht berücksichtigt. Danach stelle die statistische Betrachtung nur einen Teil der Wirtschaftlichkeitsprüfung dar und müsse durch eine intellektuelle Prüfung und Entscheidung ergänzt werden, bei der die für die Frage der Wirtschaftlichkeit relevanten medizinisch-ärztlichen Gesichtspunkte, wie das Behandlungsverhalten und die unterschiedlichen Behandlungsweisen innerhalb der Arztgruppe und die bei dem geprüften Arzt vorhandenen Praxisbesonderheiten in Rechnung zu stellen seien. Diese intellektuelle Prüfung habe der Beklagte nicht bereits auf der ersten Prüfungsstufe vorgenommen. Erst nach Feststellung des offensichtlichen Missverhältnisses habe der Beklagte die beim Kläger vorliegenden Praxisbesonderheiten und kompensatorischen Einsparungen herausgerechnet. Diese Prüfungsreihenfolge entspreche nicht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach erst aufgrund einer Zusammenschau der statistischen Erkenntnisse und der ärztlichen Gegebenheiten, die Annahme eines offensichtlichen Missverhältnisses und damit der Schluss auf eine unwirtschaftliche Handlungsweise gerechtfertigt sei. Diese Abweichung begründe bereits die Aufhebbarkeit des Urteils und des Bescheids der Beklagten. Ziehe man den für die vorliegenden Praxisbesonderheiten und kompensatorischen Einsparungen anzuerkennenden Mehrbedarf ab, so werde die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis, die vorliegend bei mindestens 50 % anzusetzen sei, nicht mehr erreicht. Ausweislich der Verwaltungsakte habe der Kläger bereits im Vorverfahren den im Vergleich zur Fachgruppe atypischen Zuschnitt seines Patientengutes in substantiierter Weise dargelegt. Er habe die Krankheitserscheinungen seiner Patientenschaft typisierend zu homogenen und aussagekräftigen Krankheitsfallgruppen zusammengefasst. Anhand von Statistiken habe er nachgewiesen, dass er insbesondere Patienten mit Asthma, chronischer obstruktiver Bronchitis, Lungenentzündung, Rippenfellentzündung, Krebs und Tuberkulose behandle. Er habe dazu eine Auflistung mit 45 schweren Fällen erstellt, bei denen aufgrund des Krankheitsbildes eine besonders kostenintensive Arzneimitteltherapie erforderlich gewesen sei. Der Kläger habe in einer Diagnosestatistik das gehäufte Vorkommen von schweren Fällen gegenüber vergleichbaren Praxen Bayerns dargelegt. Der Vergleich habe ergeben, dass sich die Praxis des Klägers in fast allen Diagnosegruppen von der der Vergleichsgruppe unterscheide. Mit dieser substantiierten Darlegung habe der Kläger seiner Mitwirkungspflicht in ausreichender Form genügt. Der Beklagte hätte sich deshalb näher mit dem Vorbringen des Klägers auseinandersetzen müssen und sich nicht auf die Begründung, nach Durchsicht der Behandlungsunterlagen und Rezepte sei kein für eine Lungenarztpraxis außergewöhnliches Patientengut ersichtlich, zurückziehen dürfen. Diese Leerformel stelle keine hinreichende Begründung im Sinne des § 35 Abs.1 SGB X dar. Es seien demnach die vorgetragenen Praxisbesonderheiten nicht in der gebotenen Form gewürdigt worden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 17. Februar 1999, das 1. Quartal 1997 betreffend, und den Bescheid des Beklagten vom 11. November 1998 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über seinen Widerspruch gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses vom 16. Juni 1998 erneut unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senates zu entscheiden.

Die Beigeladenen zu 1) bis 3) und 6) beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladene zu 1) hat in der mündlichen Verhandlung auf Anforderung des Senats ein Schreiben zur Arzneikostenstatistik vom 3. März 1995 vorgelegt. Darin wird ausgeführt, dass mit Wirkung zum 1. Quartal 1995 die Arzneikostenstatistik auf Nettobeträge (abzügl. 5 % Apothekenrabatt und Zuzahlungsbeträge) umgestellt worden sei. Eine entsprechende Erläuterung enthalte die "Wichtige Information über die Abrechnungs- und Verordnungswerte" die jeder Vertragsarzt erhalte.

Dem Senat liegen in diesem Rechtsstreit die Verwaltungsakte (Verordnungsweise 1/97), die Klageakte (Az.: S 32 KA 2273/98) und die Berufungsakte (Az.: L 12 KA 25/00) vor, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden und auf deren sonstigen Inhalt ergänzend Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige und gemäß § 151 Abs.1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 11. November 1998 (1. Quartal 1997), der allein Gegenstand des Klage- und Berufungsverfahrens ist (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr.22 S.118 f.), hält einer rechtlichen Überprüfung stand. Das Sozialgericht hat deshalb die dagegen erhobene kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Rechtsgrundlage für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise nach Durchschnittswerten in dem streitigen Quartal 1/97 ist § 106 Abs.2 Satz 1 Nr.1 SBV i.V.m. mit den ergänzenden vertraglichen Bestimmungen des § 47 des Bundesmantelvertrags-Ärzte (BMV-Ä) vom 19. Dezember 1994 bzw. § 43 des Arzt-Ersatzkassenvertrages (EKV-Ä) vom 07. Juli 1994 sowie der zwischen den Beigeladenen geschlossenen Bayerischen Prüfungsvereinbarung vom 26. März 1993. Mit dem seit 1. Januar 1989 geltenden § 106 Abs.2 Satz 1 Nr.1 SGB V hat der Gesetzgeber die in der Praxis seit langem angewandte, bis dahin aber im Gesetz nicht verankerte und lediglich durch Richterrecht sanktionierte Methode des statistischen Kostenvergleichs als Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Tätigkeit anerkannt und als Regelprüfmethode übernommen. Er hat damit zugleich die zur Legitimation einer statistischen Vergleichsprüfung unerläßliche Annahme gebilligt, dass die Gesamtheit aller Ärzte im Durchschnitt gesehen wirtschaftlich behandelt, jedenfalls das Maß des Notwendigen und Zweckmäßigen nicht unterschreitet, und dass deshalb der durchschnittliche Behandlungsaufwand grundsätzlich ein geeigneter Maßstab für die Wirtschaftlichkeitsprüfung ist (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr.23 S.124).

Nach der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgrichts, der sich der Senat - anders als die 32. Kammer des Sozialgerichts München - von Anfang an angeschlossen hat, stellt im Rahmen der Prüfmethode nach Durchschnittswerten die statistische Betrachtung nur einen Teil der Wirtschaftlichkeitsprüfung dar. Diese muss durch eine intellektuelle Prüfung und Entscheidung ergänzt werden, bei der die für die Frage der Wirtschaftlichkeit relevanten medizinisch-ärztlichen Gesichtpunkte wie das Behandlungsverhalten und die unterschiedlichen Behandlungsweisen innerhalb der Arztgruppe und die bei dem geprüften Arzt vorhandenen Praxisbesonderheiten in Rechnung zu stellen sind. Diese Gesichtspunkte sind bereits auf der ersten Prüfungsstufe von Amts wegen mitzuberücksichtigen, also bereits vor der Feststellung eines offensichtlichen Missverhältnisses (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr.23 S.125 f., Nr.26 S.147 f., Nr.27 S.154, Nr.41 S.226).

Der Bescheid der Beklagten vom 11. November 1998, das 1. Quartal 1997 betreffend, leidet zwar daran, dass der Beklagten die Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise zunächst nur nach dem früher üblichen Schema geprüft und allein aufgrund der statistischen Überschreitung des Arztgruppendurchschnitts um 69,6 % zu der Annahme gelangt ist, dass die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis überschritten und damit die Vermutung der Unwirtschaftlichkeit begründet ist. Auf der Grundlage der vom Beklagten getroffenen Feststellungen kann aber ausgeschlossen werden, dass eine den oben dargestellten Anforderungen der neuen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entsprechende Prüfung zu einem anderen, für den Kläger günstigeren Ergebnis geführt hätte. Der Beklagte hat sich nämlich im Rahmen einer die statistische Betrachtung ergänzenden intellektuellen Prüfung damit auseinandergesetzt, ob Praxisbesonderheiten und/oder kompensationsfähige Einsparungen anzuerkennen sind und welcher auf den Fallwert bezogene Mehraufwand dadurch gerechtfertigt ist.

Beurteilungsfehlerfrei hat es der Beklagte abgelehnt, einen wirtschaftlichen Mehraufwand, der über DM 9,58 pro Fall hinausgeht, für Praxisbesonderheiten und/oder kompensationsfähige Einsparungen zuzubilligen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sind Praxisbesonderheiten alle Umstände, die sich auf das Behandlungs- und Verordnungsverhalten des Arztes auswirken und in den Praxen der Vergleichsgruppe typischerweise nicht oder nicht in derselben Häufigkeit anzutreffen sind (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr.27 S.153). Diese können vor allem in einem von der Vergleichsgruppe abweichenden atypischen Patientengut oder in einer schwerpunktmäßigen Praxisausrichtung auf ein spezielles Leistungsspektrum, das mit einem entsprechenden Patientenzuschnitt im Zusammenhang steht (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr.43 S.240; Urteil des Senats vom 19. Juli 2000, Az.: L 12 KA 12/99), bestehen.

Der Beklagte war nicht gehalten, von Amts wegen Praxisbesonderheiten und/oder kompensationsfähige Einsparungen zu berücksichtigen, denn diese sind nicht klar und eindeutig aus den vorliegenden statistischen Unterlagen zu erkennen. Die Häufigkeitsstatistik zeigt keine Auffälligkeiten im Leistungsspektrum. Die vom Kläger abgerechneten Leistungen werden fast ausnahmslos von mehr als 50 % der Kollegen der Arztgruppe erbracht. Die sich aus der "Wichtigen Information der Abrechnungs- und Verordnungswerte" ergebenden Verordnungswerte weisen gegenüber der Vergleichsgruppe nur beim Sprechstundenbedarf - 55,26 % und bei den Krankenhauseinweisungen mit - 57,14 % Einsparungen auf. Für die Anerkennung dieser Einsparungen als kompensationsfähig bedarf es jedoch des Nachweises eines kausalen Zusammenhangs des Minderaufwands mit dem beanstandeten Mehraufwand. Die Darlegungslast liegt insoweit beim Arzt. Er muss das Vorliegen der Einsparungen, den methodischen Zusammenhang mit dem Mehraufwand, die medizinische Gleichwertigkeit und die kostenmäßigen Einsparungen darlegen und ggf. nachweisen. Das bedeutet nicht, dass der Arzt alle Einzelfälle anführen und medizinisch erläuten muss. Entscheidend ist die strukturelle Darlegung der methodischen Zusammenhänge und der medizinischen Gleichwertigkeit (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr.42 S.233f.).

Der Kläger hat im Verwaltungverfahren mit Schriftsatz vom 20. Juli 1998 45 Fälle dargelegt, bei denen die Patienten ohne seine Medikamentenverordnung stationär hätten behandelt werden müssen. Der insoweit erforderliche Medikamentenaufwand hat er mit insgesamt DM 26.296,59 angegeben. Diesem Mehraufwand hat der Beklagte in vollem Umfang Rechnung getragen, wenn er hierfür im Wege der Schätzung quantitativ 10 % des Arztgruppendurchschnitts ( = DM 9,58 pro Fall) zugebilligt hat. Dies sind bezogen auf alle in die Wirtschaftlichkeitsprüfung einbezogenen 2.838 ambulanten kurativen Behandlungsfälle der bayerischen gesetzlichen Krankenkassen DM 27.188,04 (2.838 x DM 9,58). Die Schätzung hält sich demnach im Rahmen der ungefähren Richtigkeit.

Entgegen der Auffassung des Klägers war es nicht geboten, neben diesen Einsparungen Praxisbesonderheiten anzuerkennen. Denn insoweit fehlt es an einem substantiierten Vortrag im Verwaltungsverfahren. Der Kläger hat mit seinem Schreiben vom 20. Juli 1998 eine von ihm erstellte Diagnosestatistik der Praxis vorgelegt und diese mit der vom Berufsverband der Pneumologen veröffentlichten Patientenstruktur in den Quartalen 1/96 und 4/96 verglichen. Er ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, dass sein Anteil an Patienten mit Asthma Bronchiale und chronisch obstruktiver Bronchitis bei 50 % gegenüber 60 % der vom Berufsverband erfassten pneumologischen Praxen liegt. Dieser Vergleich sagt nichts darüber aus, wie hoch der Anteil an Patienten mit Asthma Bronchiale und chronisch obstruktiver Bronchitis bei den bayerischen Lungenärzten ist, mit denen der Kläger im Rahmen des statistischen Kostenvergleichs verglichen wird, und inwieweit der Kläger eine gegenüber dieser Vergleichsgruppe abweichende Patientenstruktur aufweist. Es ist deshalb auch nicht zu beanstanden, dass der Beklagte diesem Einwand nicht nachgegangen ist und sich im Rahmen der ergänzenden intellektuellen Prüfung auf die Durchsicht der Behandlungsunterlagen und Rezepte beschränkt hat, um feststellen zu können, ob ein von der Vergleichsgruppe der Lungenärzte Bayerns abweichendes außergewöhnliches Patientengut festzustellen ist. Dies hat der Beklagte im Rahmen des ihm insoweit zustehenden Beurteilungsspielraums fehlerfrei verneint.

In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr.41 S.224) hat der Beklagte den Fallwert des Klägers um den für die Einsparungen anerkannten Fallwert bereinigt und den danach verbleibenden Fallwert mit dem Fallwert der Vergleichsgruppe verglichen. Die sich dabei ergebende Vergleichswertüberschreitung um 59,6 % stellt nach wie vor ein offensichtliches Missverhältnis dar, das die Feststellung einer unwirtschaftlichen Verordnungsweise und als Rechtsfolge die Festsetzung eines Regresses rechtfertigt, selbst wenn man - anders als hier der Beklagte - davon ausgeht, dass die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis bei 50 % liegt. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob im Hinblick auf die Homogenität der Arztgruppe der Lungenärzte bereits bei einer Vergleichswertüberschreitung um 40 % ein offensichtliches Missverhältnis angenommen werden kann.

Auch die Höhe des festgesetzten Regresses (5 % der Verordnungskosten) ist nicht ermessens- und begründungsfehlerhaft erfolgt. Denn nach Regress wurde mit 51,1 % immer noch eine Überschreitung belassen, die eindeutig im Bereich des offensichtlichen Missverhältnises liegt, so dass die Höhe nicht besonders zu begründen war (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr.36 S.207, Nr.41 S.226). Da, wie die Beigeladene zu 1) in der mündlichen Verhandlung klar gestellt hat, seit dem 1. Quartal 1995 Arzneikosten abzüglich Apothekerrabatt und Zuzahlungsbeträge ausgewiesen werden, ist auch diesem Umstand bei der Festsetzung des Regressbetrages hinreichend Rechnung getragen worden (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr.38 S.211 ff.).

Aus diesen Gründen ist die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 17. Februar 1999, das 1. Quartal 1997 betreffend, zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Abs.1 und Abs.4 Satz 2 SGG i.d.F. des Gesundheitsstrukturgesetzes und beruht auf der Erwägung, dass der Beklagte im Berufungsverfahren obsiegt hat.

Gründe, die Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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