L 3 B 6/03 RA

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 27 RA 18/03 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 B 6/03 RA
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 06. Juni 2003 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Beschwerdeverfahren über die außergerichtlichen Kosten eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Mit Bescheiden vom 01. Juli 1998 und 29. Dezember 1999 gewährte die Antragsgegnerin (Ag.) dem Antragsteller (Ast.) ab dem 01. Januar 1997 eine Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit bis zum 31. Dezember 2002. Aufgrund eines Versehens überwies sie ihm die Erwerbsunfähigkeitsrente für Januar 2003 und stellte die Rentenzahlung erst zum 31. Januar 2003 ein. Mit Telefax vom 22. Januar 2003 behauptete der Ast., er habe die Verlängerung der Zeitrente bereits mit Schreiben vom 10. September 2002 beantragt. Gleichzeitig bat er um Bestätigung, dass die Rente auch weiterhin pünktlich gezahlt werde. Die Ag. teilte ihm daraufhin unter dem 29. Januar 2003 mit, dass sie die Rentenzahlung ab dem 01. Februar 2003 erst wieder aufnehmen werde, wenn er im Weitergewährungsverfahren Erfolg habe.

Am 04. Februar 2003 hat der Ast. beim Sozialgericht (SG) Düsseldorf um einstweiligen Rechtschutz nachgesucht und beantragt, ihm die Erwerbsunfähigkeitsrente in der bisher gezahlten Höhe über den 31. Januar 2003 hinaus weiterzuzahlen.

Mit Schriftsatz vom 28. Februar 2003 erkannte die Ag. den Anspruch des Ast. auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit über den 31. Dezember 2002 hinaus an. Gleichzeitig führte sie aus, ihr dürften keine außergerichtlichen Kosten auferlegt werden. Denn sie habe den Weitergewährungsanspruch unverzüglich anerkannt, nachdem die medizinischen Ermittlungen abgeschlossen worden seien.

Das Anerkenntnis nahm der Ast. an und beantragte, der Ag. die außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen. Zur Begründung legte er dar, dass die Ag. seinen Gesundheitszustand gekannt habe und deshalb keine weiteren Ermittlungen erforderlich gewesen seien. Im Übrigen habe die Ag. den Klageanspruch auch nicht unverzüglich anerkannt, weil sie ihr Anerkenntnis erst nach Ablauf der gerichtlichen Stellungnahmefrist von 10 Tagen abgegeben habe.

Mit Beschluss vom 06. Juni 2003 verneinte das SG eine Kostenpflicht der Ag.: Sie habe dem Ast. keine Veranlassung gegeben, den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu beantragen. Um seine Geldnot zu überbrücken, hätte er sich an das Sozialamt wenden können. Dass er hierzu krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen sei, überzeuge nicht, weil er nach eigenen Angaben immerhin einen Geldautomaten aufsuchen konnte.

Nach Zustellung am 11. Juni 2003 hat der Ast. gegen diese Entscheidung am 08. Juli 2003 Beschwerde eingelegt, der das SG mit Beschluss vom selben Tage nicht abgeholfen hat. Zur Begründung trägt er vor, die Ag. habe den Weiterzahlungsanspruch erst anerkannt, nachdem er den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt habe. Da sie es versäumt habe, die Weitergewährung der Rente nach Eingang seines Telefaxes vom 22. Januar 2003 sofort zu überprüfen, sei sie zur Kostenerstattung verpflichtet. Aus dem Umstand, dass er einen nahe gelegenen Geldautomaten erreicht habe, dürfe nicht geschlossen werden, dass er in der Lage gewesen sei, das weiter entfernte Sozialamt aufzusuchen. Seine Versuche, telefonisch Sozialhilfe zu beantragen oder das Sozialamt zu einem Hausbesuch zu bewegen, seien fehlgeschlagen.

Die Beklagte hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass die Ag. dem Ast. keine außergerichtlichen Kosten erstatten muss.

Nach § 193 Abs. 1 Satz 1 und 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat das Gericht auf Antrag durch Beschluss darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das gerichtliche Verfahren anders als durch Urteil endet. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Denn mit der Annahme des Anerkenntnisses war das einstweilige Rechtschutzverfahren in der Hauptsache erledigt (§ 101 Abs. 2 SGG). Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen (§ 86b Abs. 2 SGG) sind kostenrechtlich eigenständige Verfahren, die eine Kostengrundentscheidung des Gerichts in entsprechender Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG erforderlich machen (BSG, Beschluss vom 06. September 1993, Az.: 6 Rka 25/91).

Über die Kostenerstattung entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen und berücksichtigt dabei den bisherigen Sach- und Streitstand sowie die Erfolgsaussichten des Antrags (st. Rspr, des Senats, vgl. Beschluss vom 24. Januar 2003, Az.: L 3 B 5/02 RA m.w.Nw.; Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 7. Aufl. 2002, § 193 Rn. 13). War der Antrag zulässig und begründet, muss die Beklagte die außergerichtlichen Kosten in der Regel tragen. Verzichtet ein Beteiligter aus freien Stücken darauf, seine Rechte weiter zu verfolgen oder zu verteidigen, so spricht dies grundsätzlich dafür, ihn mit Kosten zu belasten (Senatsbeschlüsse vom 24. Januar 2003 und vom 25. Juli 2003, Az.: L 3 B 4/03 RA). Diese Grundsätze gelten aber nicht ausnahmslos: Ändern sich die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse während des Antragsverfahrens und erkennt die Behörde daraufhin den geltend gemachten Anspruch sofort an, wäre es unbillig, sie

mit außergerichtlichen Kosten zu belasten (BSG, Beschluss vom 24. Mai 1991, Az.: 7 Rar 2/91, SozR 3-1500 § 193 SGG Nr. 2; Beschlüsse des Senats vom 18. Dezember 2001, Az.: L 3 B 19/01 P und vom 24. Januar 2003, Az.: L 3 B 5/02 RA, jeweils m.w.Nw.).

Der zulässige Antrag, dem Ast. die Erwerbsunfähigkeitsrente in der bisher gezahlten Höhe über den 31. Januar 2003 hinaus weiterzuzahlen, war unbegründet, weil weder ein Anordnungsgrund noch ein Anordnungsanspruch bestand. Der Erlass einer Sicherungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) schied von vornherein aus, weil der Ast. keinen bestehenden Zustand sichern, sondern seine Rechtsposition (vorläufig) erweitern wollte. In dieser Situation kam nur der Erlass einer Regelungsanordnung gem. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das (tatsächliche oder vermeintliche) Recht (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit, es sofort, d.h. vor einer rechtskräftiger Entscheidung in der Hauptsache, vorläufig zu regeln (Anordnungsgrund), sind gem. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen (vgl. Wenner, Soziale Sicherheit 2001, 422, 424). Führt der Erlass der einstweiligen Anordnung - wie hier - zu einer Vorwegnahme der Hauptsache, sind an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes besonders hohe Anforderungen zu stellen (sog. Leistungsanordnung).

Eine solche Leistungsanordnung, mit der im Ausnahmefall ein existenznotwendiger Anspruch befriedigt und gleichzeitig die Hauptsache ganz oder teilweise vorweggenommen wird, ist nur begründet, wenn ein wirksamer und effektiver Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes) wegen der langen Dauer des Hauptsacheverfahrens nicht rechtzeitig erlangt werden kann und dies

für den Ast. zu schlechthin unzumutbaren Nachteilen führt, die bei einem späteren Erfolg in der Hauptsache nicht mehr ausgeglichen werden können (besondere Dringlichkeit, vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. August 1978, Az.: 1 WB 112.78, BVerwGE 63, 110, 112). Ob eine derartige Ausnahmesituation vorliegt, hängt von der Art, Bedeutung und Dringlichkeit des Anspruchs, der Größe, Tragweite und eventuellen Irreparabilität des drohenden Schadens für den Ast. bzw. die Allgemeinheit und nicht zuletzt davon ab, ob der Ast. im Hauptsacheverfahren mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit obsiegen wird (Kopp/ Schenke, VwGO, 12. Aufl. 2000, § 123 Rn. 14; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Januar 2003, § 123 Rn. 145).

Diese (engen) Voraussetzungen lagen nicht vor. Die vom Ast. dargestellte und mit einer eidesstattlichen Versicherung glaubhaft gemachte finanzielle Notlage rechtfertigte es nicht, die Ag. im Wege der Regelungs- bzw. Leistungsanordnung zur Weiterzahlung der Erwerbsunfähigkeitsrente über den 31. Januar 2003 hinaus zu verpflichten. Soweit das Vermögen des Ast. bzw. unterhaltspflichtiger Angehöriger nicht ausreichte, seinen Lebensunterhalt zu sichern, war es ihm zuzumuten, das Verwaltungsververfahren zu betreiben und (zunächst) Sozialhilfeleistungen in Anspruch zu nehmen (LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 03. Juli 1978, L 1 Sb 32/78, Breithaupt 1979, 89, LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 24. Oktober 1984, L 2 J 2040/84 eA, Die Sozialversicherung 1985, 22, 24; Timme, NZS 1992, 91, 93; Wenner, Soziale Sicherheit 2001, 422, 424 f.). Dies war kein "schlechthin unzumutbarer Nachteil". Die Behauptung des Ast., er sei krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen, einen Antrag auf Sozialhilfe zu stellen, überzeugt den Senat nicht. Immerhin verfügte er über ein Faxgerät, das er noch am 03. Februar 2003 benutzte, um der Ag. einen Antrag auf Weiterzahlung der Erwerbsunfähigkeitsrente zu übermitteln. Außerdem hätte er einen Brief an das Sozialamt schreiben und den Postboten oder einen Nachbarn bitten können, diesen Brief in den nächsten Briefkasten zu werfen.

Im Übrigen war bei summarischer Prüfung unter Berücksichtigung des gegenseitigen Vorbringens nicht erkennbar, dass der Ast. im Hauptsacheverfahren "mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit" obsiegen würde. Weder die Ag. noch das Sozialgericht kannten bei Antragstellung das aktuelle Leistungsvermögen des Ast ... Ob er einen Anspruch auf Weiterzahlung der Erwerbsunfähigkeitsrente hatte, war deshalb ungewiss. Seine Behauptung, der Ag. sei sein (aktueller) Gesundheitszustand "bestens bekannt" gewesen, ist unzutreffend. Denn als er die Weitergewährung seiner Rente am 22. Januar 2003 beantragte, verfügte die Ag. über keine aktuellen medizinischen Unterlagen. Der zeitnächste, aktenkundige Befundbericht stammte vom 16. September 1999, war also mehr als 3 Jahre alt. Auf dieser veralteten Faktenbasis konnte die Ag. keine endgültige Entscheidung über die Weitergewährung der Erwerbsunfähigkeitsrente treffen. Es war deshalb nicht zu beanstanden, dass die Ag. die befristete Rente zunächst eingestellt und anschließend Befundberichte des behandelnden Internisten Dr. Hedde aus Düsseldorf vom 04. Februar 2003 sowie der Paracelsus Klinik Golzheim vom 20. Februar 2003 eingeholt und ausgewertet hat, bevor sie den Weitergewährungsanspruch anerkannte. Erst nach Auswertung der Befundberichte stand nämlich fest, dass der Ast. weiterhin Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit hatte. Diesem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen hat die Ag. mit ihrem Anerkenntnis vom 25. Februar 2003 sofort Rechnung getragen. Unerheblich ist dabei, dass sie das Anerkenntnis erst nach Ablauf der zehntägigen, gerichtlichen Stellungnahmefrist abgegeben hat. Denn für die Frage, ob ein Anerkenntnis sofort abgegeben wird, kommt es nicht auf den Ablauf gerichtlicher Stellungnahmefristen, sondern auf die Änderung der maßgeblichen Sachlage an. Diese Änderung ist hier aber erst am 24. Februar 2003 eingetreten, als der Befundbericht der ... bei der Ag. einging.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved