Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
10
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 11 SB 233/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 SB 50/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 27.02.2001 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darum, ob bei dem Kläger trotz Wohnsitzwechsel in die Niederlande weiter die Schwerbehinderteneigenschaft festzustellen ist.
Der 1942 geborene Kläger niederländischer Staatsangehörigkeit hat seinen Wohnsitz jedenfalls seit Mai 1998 wieder in den Niederlanden. Seit 1974 bezieht er nach eigenen Angaben eine Erwerbsun- fähigkeitsrente der BfA. Ein Beschäftigungsverhältnis in Deutschland besteht seit langem nicht mehr. Mit Bescheid vom 22.07.1976 hat das Versorgungsamt Stxxxxxxx die MdE wegen einer hirnorganischen Leistungsminderung mit 50 v. H. festgestellt. Gemeldet war der Kläger seinerzeit unter der Adresse 7xxx Bxxxxxxxx, Hxxx Stxxxx xx. Im April 1995 beantragte er einen Verlängerung der Gültigkeit seines Schwerbehindertenausweises und bat um Zusendung an die Adresse "Fam. E. J. Jxxxxxx, Pxxxxxxxxxxx xx NL xxxx, Schxxxx, Niederlande." Einen weiteren Verlängerungsantrag stellte er im April 2000 unter der Adresse "J. B. Kxxxxxxx, Pxxxxxxxxxxx xx, NL xxxx xx Schxxxx".
Der Beklagte wies den Kläger mit Schreiben vom 04.09.2000 darauf hin, dass er beabsichtige, den Bescheid mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, weil er - der Kläger - seinen ständigen Wohnsitz in die Niederlande verlegt habe. Mit Bescheid vom 25.09.2000 hob der Beklagte sodann den Bescheid vom 22.07.1976 auf und stellte fest, dass der Kläger nicht mehr unter den Personenkreis des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) falle. Der Widerspruch wurde mit Bescheid vom 16.11.2000 zurückgewiesen.
Mit der fristgerecht erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, er benötige den Schwerbehindertenausweis in den Niederlanden für Fahrten mit Begleitung zum Krankenhaus. Die Weigerung des Versorgungsamtes, den Ausweis zu verlängern, sehe er als Diskrimi- nierung an. In der EU müsse gleiches Recht für alle Bürger gelten.
Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 25.09.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2000 zu verurteilen, seinen Schwerbehindertenaus- weis nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu ver- längern.
Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er sieht die angefochtene Entscheidung als rechtmäßig an.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beteiligten unter dem 08.02.2001 zur Absicht angehört, den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Es hat die Klage sodann mit Gerichtsbescheid vom 27.02.2001 abgewiesen und ausgeführt, der Beklagte habe den Bescheid vom 22.07.1976 zu Recht aufgehoben. Nach dessen Erlaß sei insofern eine wesentliche Änderung im Sinn des § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) eingetreten, als der Kläger nach 1976 zu einem anhand der Akten nicht konkret zu bestimmenden Zeitpunkt seinen Wohnsitz in Deutschland aufgegeben habe. Da er in Deutschland auch nicht beschäftigt sei, gehöre er nicht mehr zu dem berechtigten Personenkreis des § 1 SchwbG. Die Fristen des § 48 Abs. 5 iVm § 45 Abs. 3 und 4 SGB X seien gewahrt, da der Bescheid nur für die Zukunft aufgehoben worden sei.
Mit seiner fristgerecht eingelegten Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Seit 1979 habe das Versorgungsamt den Schwerbehindertenausweis alle fünf Jahre verlängert. Seitdem habe sich nichts, insbesondere auch der Wohnsitz nicht, geändert.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 27.02.2001 abzuändern und nach seinem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im übrigen nimmt der Senat Bezug auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang des Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden. Der Kläger ist in der Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
I. Der Senat kann in der Sache entscheiden. Das beklagte Land ist ungeachtet der Auflösung des Landesversorgungsamtes (Art. 1 § 3 Satz 2 des gem. Art 37 Abs. 2 zum 01.01.2001 in Kraft getretenen 2. ModernG (GVBl. NRW S. 412 ff.)) und Übertragung von dessen Aufgaben auf die Bezirksregierung Mxxxxxx jedenfalls solange prozessfähig, wie Struktur und Gefüge der Abteilung 10 im Hinblick auf die zu wahrende fachliche und personelle Qualität der Versorgungsverwaltung nicht unerheblich verändert werden (BSG vom 21.06.2001 - B 9 V 5/00 R -). Auch der erkennende Senat sieht es im Zusammenhang mit § 71 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als ausreichend an, wenn das Land durch eine Behörde vertreten wird, die die Aufgaben des vormaligen Landesversorgungsamtes ausübt und gewährleistet ist, dass die Prozessführung in den Händen fachkompetenter Mitarbeiter im Sinn des § 4 ErrG liegt (Urteil vom 31.02.2001 - L 10 VS 28/00 - in NWVBl. 10/2001, S. 401 ff). Das ist jedenfalls derzeit noch der Fall.
II. Nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG sind die Beteiligten als Ausfluß des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG) vor Erlaß des Gerichtsbescheides anzuhören. Das SG hat zwar eine Anhörung durchgeführt, diese genügt indessen nicht den rechtlichen Anforderungen.
Eine formularmäßige Mitteilung ohne Bezug auf den konkreten Fall genügt nicht (BVerwG DVBl. 1991, 156; LSG Nordrhein-Westfalen vom 17.09.1993 - L 4 J 109/93 -; LSG Nordrhein-Westfalen vom 14.09.1995 - L 2 Kn 69/95 -; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Auflage, 1997, VI Rdn. 220, Kummer, Das Sozialgerichtliche Verfahren, 1996, Rdn. 207). Seine Rechtsauffassung muss das Gericht allerdings nicht mitteilen (BSG vom 16.03.1994 - 9 BV 151/93 - und vom 13.10.1993 - 2 BU 79/93 - zu § 153 Abs. 4 SGG; Meyer-Ladewig aa0 § 105 Rdn. 10a mwN). Andererseits soll die Anhörungsmitteilung sicherstellen, dass die Beteiligten sachgerechte Einwendungen erheben können (Kummer aa0). Deswegen muss aus der Anhörung jedenfalls ersichtlich sein, dass die Beteiligten die Gelegenheit haben, Gründe für die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung vorzubringen oder Beweisanträge zu stellen (Meyer-Ladewig aa0 Rdn.10a mwN; vgl. auch BSG vom 17.09.1997 - 6 RKa 97/96 - zu § 153 Abs. 4 SGG).
Die an den Beklagten gerichtete Anhörungsmitteilung vom 08.02.2001 enthält lediglich den Hinweis: "Das Gericht beabsichtigt nach § 105 I, Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Gerichtsbecheid zu entscheiden. Es wird Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 26.02.2001 gegeben." Diese Anhörungsmitteilung genügt ersichtlich nicht den aufgezeigten rechtlichen Anforderungen, indessen ist der Beklagte hierdurch nicht beschwert.
Die Anhörungsmitteilung an den Kläger lautet: "Das Gericht beabsichtigt in o.a. Streitsache, einen Gerichtsbescheid nach § 105 I, Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in der ab 01.03.1993 geltenden Fassung zu erlassen. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Der Gerichtsbescheid wirkt wie ein Urteil. Die Vorschriften über Urteile gelten entsprechend. Ihnen wird Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 26.02.2001 gegeben".
Diese Anhörungsmitteilung ist unzureichend. Sie verweist lediglich auf die Absicht des Gerichts, durch Gerichtsbescheid entscheiden zu wollen und beschränkt sich im übrigen auf eine Wiedergabe des Gesetzestextes. Es handelt sich nicht um einen einzelfallbezogenen Hinweis, vielmehr nur um eine formularmäßige Mitteilung ohne Bezug auf den konkreten Fall. Abgesehen vom unzureichenden Inhalt der Anhörungsmitteilung wird dies auch durch die Verfügung des Kammervorsitzenden vom 08.02.2001
1) Doppel v. Bl. 8,9 an Kl. z.K. mit Hinweis auf GB, Frist: 26.02.01 2) Hinweis auf GB an Bekl., Frist w.o. 3) z.GB-F belegt. Wiederum fehlt jeder konkrete Bezug. Vielmehr hatte die Geschäftsstelle die Anhörungsmitteilung hiernach selbst, offenbar anhand vorhandener Vordrucke zu fertigen und den Beteiligten zuzuleiten. Dies genügt grundsätzlich nicht. Aus der Entscheidung des BSG vom 20.10.1999 - B 9 SB 4/98 R - folgt nichts anderes. Hiernach ist eine Anhörungsmitteilung zwar nicht von vornherein fehlerhaft, wenn nur auf die Möglichkeit einer "Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG" hingewiesen wird, ohne die Art und Weise der Entscheidung zu erläutern; zumindest aber muss der nicht anwaltlich vertretene Kläger in der Anhörungsmitteilung darauf hingewiesen werden, dass die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen soll und dass im Rahmen der beabsichtigten Verfahrensweise eine Zurückweisung der Berufung in Betracht kommt (BSG vom 20.10.1999 - B 9 SB 4/98 R-; vgl. aber BVerwG vom 21.03.2000 - 9 C 39/99 -: Die Anhörung zu einer Entscheidung nach § 130a VwGO muss unmissverständlich erkennen lassen, wie das Berufungsgericht zu entscheiden beabsichtigt). Diese zu § 153 Abs. 4 SGG vertretene Auffassung kann auf die Anhörung nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG nicht übertragen werden. Für den rechtskundigen Bevollmächtigten genügt es, wenn das Gericht auf die Absicht verweist, nach § 153 Abs. 4 SGG entscheiden zu wollen. Welcher Art die Entscheidung sein wird, folgt unmittelbar aus dem Gesetz. Demgegenüber ist der Gerichtsbescheid an andere Voraussetzungen geknüpft. Auch für den rechtskundig vertretenen Kläger ist - im Gegensatz zu § 153 Abs. 4 SGG - aus der Ankündigung des Gerichts durch Gerichtsbescheid entscheiden zu wollen, nicht ohne weiteres ersichtlich, wie das Gericht entscheiden will. Deswegen hält es der Senat für erforderlich, wenn sowohl ein rechtsunkundiger Kläger als auch ein rechtskundig vertretener Kläger in der Anhörung nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG darauf hingewiesen werden, wie das Gericht zu entscheiden beabsichtigt; ggf. mag es ausreichen, wenn das Gericht sich insoweit auf die Mitteilung beschränkt, die Entscheidung solle auf der Grundlage des bisherigen Ergebnisses der Beweisaufnahme ergehen. Hiervon kann dann eine Ausnahme gemacht werden, wenn sich für die Beteiligten aus dem Sach- und Streitstand offenkundig nur eine Entscheidung aufdrängt (Senatsurteil vom 05.09.2001 - L 10 SB 70/01-). Maßgebend ist dabei nicht der verobjektivierte Empfängerhorizont, sondern die singuläre Situation des jeweiligen Beteiligten.
Objektiv mag die Rechtslage zwar eindeutig sein, indessen entnimmt der Senat dem schriftsätzlichen Vorbringen des Klägers, dass dieser intellektuell nicht in der Lage ist, die Rechtslage zutreffend einzuschätzen und davon überzeugt ist, weiterhin einen Anspruch auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft zu haben. Damit drängte sich für ihn nicht die Erkenntnis auf, das SG wolle die Klage mit Gerichtsbescheid abweisen. Die Anhörung war derzeit unzureichend. Damit liegt ein Verstoß gegen § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 62 SGG vor. Der Senat sieht allerdings von einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG ab, denn die Sache ist entscheidungsreif.
III. In der Sache ist dem SG zuzustimmen. Nach § 2 Abs. 2 SGB IX sind schwerbehindert solche Menschen, bei denen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und die ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einen Arbeitsplatz im Sinn des § 73 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben. Das ist nicht der Fall. Der Kläger hat seinen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in den Niederlanden. Wann der Kläger seinen Wohnsitz in die Niederlande verlegt hat, ist nicht aktenkundig. Darauf kommt es aber auch nicht an. Denn ausweislich der Klageschrift vom 10.05.1988 an das Amtsgericht Vxxxxxx wohnte er bereits im Mai 1988 in den Niederlanden. Dass dies sein Wohnsitz im Sinn eines ständigen Aufenthaltsortes war, folgt daraus, dass er im März 1987 noch die Adresse "Fam. E J. Jxxxxxx, Pxxxxxxxxxxx xx NL xxxx, Schxxxx, Niederlande" angegeben hat, der einschränkende Zusatz " Fam. E. J. Jxxxxxx" später durchgängig entfällt und nur noch unter dieser Adresse mit ihm korrespondiert wird. Ein Beschäftigungsverhältnis in Deutschland ist nicht nachgewiesen. Das Versorgungsamt hat den Kläger ausdrücklich aufgefordert, ein solches anzugeben (Anhörungsschreiben vom 04.09.2000). Der Kläger hat hierauf mit dem Bemerken reagiert: "Solche Angabe ist völlig sinnlos, etwas auf das Papier setzen wenn nicht gelesen sind, dies ist anzunehmen als mangelhafte Bearbeitung."
Verfahrensrechtlich hat der Beklagte den angefochtenen Bescheid zutreffend auf § 48 SGB X gestützt. Die Wohnsitzverlagerung an die Niederlande stellt eine wesentliche Änderung im Sinne dieser Vorschrift dar.
Die Fristenregelung des § 48 Abs. 4 SGB iVm § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X gilt nicht. Der Beklagte hat den Bescheid vom 22.07.1976 mit Wirkung ex nunc aufgehoben. Für diesen Fall wird zwar die Auffassung vertreten, dass auch dann die Fristen des § 48 Abs. 4 SGB X zu beachten sind, also nach 10 Jahren seit der wesentlichen Änderung der begünstigende Ververwaltungsakt in keinem Fall mehr, weder bei Gut- noch bei Bösgläubigkeit, weder bei Aufhebung für die Vergangenheit noch für die Zukunft, gestützt auf die wesentliche Änderung aufgehoben werden kann (hierzu Schroeder- Printzen, SGB X, 3. Auflage, § 48 Rdn. 28 mwN). Der Senat tritt dem nicht bei. Denn der Sinn der entsprechenden Anwendung des Zehnjahresfrist liegt erkennbar nicht darin, einer wesentlichen Änderung nach 10 Jahren jegliche Bedeutung abzusprechen, sondern darin, nach 10 Jahren die rückwirkende Änderung des Leistungsbescheides zu verbieten (BSG vom 11.12.1992 - 9a RV 20/90 -).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darum, ob bei dem Kläger trotz Wohnsitzwechsel in die Niederlande weiter die Schwerbehinderteneigenschaft festzustellen ist.
Der 1942 geborene Kläger niederländischer Staatsangehörigkeit hat seinen Wohnsitz jedenfalls seit Mai 1998 wieder in den Niederlanden. Seit 1974 bezieht er nach eigenen Angaben eine Erwerbsun- fähigkeitsrente der BfA. Ein Beschäftigungsverhältnis in Deutschland besteht seit langem nicht mehr. Mit Bescheid vom 22.07.1976 hat das Versorgungsamt Stxxxxxxx die MdE wegen einer hirnorganischen Leistungsminderung mit 50 v. H. festgestellt. Gemeldet war der Kläger seinerzeit unter der Adresse 7xxx Bxxxxxxxx, Hxxx Stxxxx xx. Im April 1995 beantragte er einen Verlängerung der Gültigkeit seines Schwerbehindertenausweises und bat um Zusendung an die Adresse "Fam. E. J. Jxxxxxx, Pxxxxxxxxxxx xx NL xxxx, Schxxxx, Niederlande." Einen weiteren Verlängerungsantrag stellte er im April 2000 unter der Adresse "J. B. Kxxxxxxx, Pxxxxxxxxxxx xx, NL xxxx xx Schxxxx".
Der Beklagte wies den Kläger mit Schreiben vom 04.09.2000 darauf hin, dass er beabsichtige, den Bescheid mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, weil er - der Kläger - seinen ständigen Wohnsitz in die Niederlande verlegt habe. Mit Bescheid vom 25.09.2000 hob der Beklagte sodann den Bescheid vom 22.07.1976 auf und stellte fest, dass der Kläger nicht mehr unter den Personenkreis des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) falle. Der Widerspruch wurde mit Bescheid vom 16.11.2000 zurückgewiesen.
Mit der fristgerecht erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, er benötige den Schwerbehindertenausweis in den Niederlanden für Fahrten mit Begleitung zum Krankenhaus. Die Weigerung des Versorgungsamtes, den Ausweis zu verlängern, sehe er als Diskrimi- nierung an. In der EU müsse gleiches Recht für alle Bürger gelten.
Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 25.09.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2000 zu verurteilen, seinen Schwerbehindertenaus- weis nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu ver- längern.
Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er sieht die angefochtene Entscheidung als rechtmäßig an.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beteiligten unter dem 08.02.2001 zur Absicht angehört, den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Es hat die Klage sodann mit Gerichtsbescheid vom 27.02.2001 abgewiesen und ausgeführt, der Beklagte habe den Bescheid vom 22.07.1976 zu Recht aufgehoben. Nach dessen Erlaß sei insofern eine wesentliche Änderung im Sinn des § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) eingetreten, als der Kläger nach 1976 zu einem anhand der Akten nicht konkret zu bestimmenden Zeitpunkt seinen Wohnsitz in Deutschland aufgegeben habe. Da er in Deutschland auch nicht beschäftigt sei, gehöre er nicht mehr zu dem berechtigten Personenkreis des § 1 SchwbG. Die Fristen des § 48 Abs. 5 iVm § 45 Abs. 3 und 4 SGB X seien gewahrt, da der Bescheid nur für die Zukunft aufgehoben worden sei.
Mit seiner fristgerecht eingelegten Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Seit 1979 habe das Versorgungsamt den Schwerbehindertenausweis alle fünf Jahre verlängert. Seitdem habe sich nichts, insbesondere auch der Wohnsitz nicht, geändert.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 27.02.2001 abzuändern und nach seinem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im übrigen nimmt der Senat Bezug auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang des Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden. Der Kläger ist in der Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
I. Der Senat kann in der Sache entscheiden. Das beklagte Land ist ungeachtet der Auflösung des Landesversorgungsamtes (Art. 1 § 3 Satz 2 des gem. Art 37 Abs. 2 zum 01.01.2001 in Kraft getretenen 2. ModernG (GVBl. NRW S. 412 ff.)) und Übertragung von dessen Aufgaben auf die Bezirksregierung Mxxxxxx jedenfalls solange prozessfähig, wie Struktur und Gefüge der Abteilung 10 im Hinblick auf die zu wahrende fachliche und personelle Qualität der Versorgungsverwaltung nicht unerheblich verändert werden (BSG vom 21.06.2001 - B 9 V 5/00 R -). Auch der erkennende Senat sieht es im Zusammenhang mit § 71 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als ausreichend an, wenn das Land durch eine Behörde vertreten wird, die die Aufgaben des vormaligen Landesversorgungsamtes ausübt und gewährleistet ist, dass die Prozessführung in den Händen fachkompetenter Mitarbeiter im Sinn des § 4 ErrG liegt (Urteil vom 31.02.2001 - L 10 VS 28/00 - in NWVBl. 10/2001, S. 401 ff). Das ist jedenfalls derzeit noch der Fall.
II. Nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG sind die Beteiligten als Ausfluß des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG) vor Erlaß des Gerichtsbescheides anzuhören. Das SG hat zwar eine Anhörung durchgeführt, diese genügt indessen nicht den rechtlichen Anforderungen.
Eine formularmäßige Mitteilung ohne Bezug auf den konkreten Fall genügt nicht (BVerwG DVBl. 1991, 156; LSG Nordrhein-Westfalen vom 17.09.1993 - L 4 J 109/93 -; LSG Nordrhein-Westfalen vom 14.09.1995 - L 2 Kn 69/95 -; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Auflage, 1997, VI Rdn. 220, Kummer, Das Sozialgerichtliche Verfahren, 1996, Rdn. 207). Seine Rechtsauffassung muss das Gericht allerdings nicht mitteilen (BSG vom 16.03.1994 - 9 BV 151/93 - und vom 13.10.1993 - 2 BU 79/93 - zu § 153 Abs. 4 SGG; Meyer-Ladewig aa0 § 105 Rdn. 10a mwN). Andererseits soll die Anhörungsmitteilung sicherstellen, dass die Beteiligten sachgerechte Einwendungen erheben können (Kummer aa0). Deswegen muss aus der Anhörung jedenfalls ersichtlich sein, dass die Beteiligten die Gelegenheit haben, Gründe für die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung vorzubringen oder Beweisanträge zu stellen (Meyer-Ladewig aa0 Rdn.10a mwN; vgl. auch BSG vom 17.09.1997 - 6 RKa 97/96 - zu § 153 Abs. 4 SGG).
Die an den Beklagten gerichtete Anhörungsmitteilung vom 08.02.2001 enthält lediglich den Hinweis: "Das Gericht beabsichtigt nach § 105 I, Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Gerichtsbecheid zu entscheiden. Es wird Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 26.02.2001 gegeben." Diese Anhörungsmitteilung genügt ersichtlich nicht den aufgezeigten rechtlichen Anforderungen, indessen ist der Beklagte hierdurch nicht beschwert.
Die Anhörungsmitteilung an den Kläger lautet: "Das Gericht beabsichtigt in o.a. Streitsache, einen Gerichtsbescheid nach § 105 I, Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in der ab 01.03.1993 geltenden Fassung zu erlassen. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Der Gerichtsbescheid wirkt wie ein Urteil. Die Vorschriften über Urteile gelten entsprechend. Ihnen wird Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 26.02.2001 gegeben".
Diese Anhörungsmitteilung ist unzureichend. Sie verweist lediglich auf die Absicht des Gerichts, durch Gerichtsbescheid entscheiden zu wollen und beschränkt sich im übrigen auf eine Wiedergabe des Gesetzestextes. Es handelt sich nicht um einen einzelfallbezogenen Hinweis, vielmehr nur um eine formularmäßige Mitteilung ohne Bezug auf den konkreten Fall. Abgesehen vom unzureichenden Inhalt der Anhörungsmitteilung wird dies auch durch die Verfügung des Kammervorsitzenden vom 08.02.2001
1) Doppel v. Bl. 8,9 an Kl. z.K. mit Hinweis auf GB, Frist: 26.02.01 2) Hinweis auf GB an Bekl., Frist w.o. 3) z.GB-F belegt. Wiederum fehlt jeder konkrete Bezug. Vielmehr hatte die Geschäftsstelle die Anhörungsmitteilung hiernach selbst, offenbar anhand vorhandener Vordrucke zu fertigen und den Beteiligten zuzuleiten. Dies genügt grundsätzlich nicht. Aus der Entscheidung des BSG vom 20.10.1999 - B 9 SB 4/98 R - folgt nichts anderes. Hiernach ist eine Anhörungsmitteilung zwar nicht von vornherein fehlerhaft, wenn nur auf die Möglichkeit einer "Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG" hingewiesen wird, ohne die Art und Weise der Entscheidung zu erläutern; zumindest aber muss der nicht anwaltlich vertretene Kläger in der Anhörungsmitteilung darauf hingewiesen werden, dass die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen soll und dass im Rahmen der beabsichtigten Verfahrensweise eine Zurückweisung der Berufung in Betracht kommt (BSG vom 20.10.1999 - B 9 SB 4/98 R-; vgl. aber BVerwG vom 21.03.2000 - 9 C 39/99 -: Die Anhörung zu einer Entscheidung nach § 130a VwGO muss unmissverständlich erkennen lassen, wie das Berufungsgericht zu entscheiden beabsichtigt). Diese zu § 153 Abs. 4 SGG vertretene Auffassung kann auf die Anhörung nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG nicht übertragen werden. Für den rechtskundigen Bevollmächtigten genügt es, wenn das Gericht auf die Absicht verweist, nach § 153 Abs. 4 SGG entscheiden zu wollen. Welcher Art die Entscheidung sein wird, folgt unmittelbar aus dem Gesetz. Demgegenüber ist der Gerichtsbescheid an andere Voraussetzungen geknüpft. Auch für den rechtskundig vertretenen Kläger ist - im Gegensatz zu § 153 Abs. 4 SGG - aus der Ankündigung des Gerichts durch Gerichtsbescheid entscheiden zu wollen, nicht ohne weiteres ersichtlich, wie das Gericht entscheiden will. Deswegen hält es der Senat für erforderlich, wenn sowohl ein rechtsunkundiger Kläger als auch ein rechtskundig vertretener Kläger in der Anhörung nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG darauf hingewiesen werden, wie das Gericht zu entscheiden beabsichtigt; ggf. mag es ausreichen, wenn das Gericht sich insoweit auf die Mitteilung beschränkt, die Entscheidung solle auf der Grundlage des bisherigen Ergebnisses der Beweisaufnahme ergehen. Hiervon kann dann eine Ausnahme gemacht werden, wenn sich für die Beteiligten aus dem Sach- und Streitstand offenkundig nur eine Entscheidung aufdrängt (Senatsurteil vom 05.09.2001 - L 10 SB 70/01-). Maßgebend ist dabei nicht der verobjektivierte Empfängerhorizont, sondern die singuläre Situation des jeweiligen Beteiligten.
Objektiv mag die Rechtslage zwar eindeutig sein, indessen entnimmt der Senat dem schriftsätzlichen Vorbringen des Klägers, dass dieser intellektuell nicht in der Lage ist, die Rechtslage zutreffend einzuschätzen und davon überzeugt ist, weiterhin einen Anspruch auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft zu haben. Damit drängte sich für ihn nicht die Erkenntnis auf, das SG wolle die Klage mit Gerichtsbescheid abweisen. Die Anhörung war derzeit unzureichend. Damit liegt ein Verstoß gegen § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 62 SGG vor. Der Senat sieht allerdings von einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG ab, denn die Sache ist entscheidungsreif.
III. In der Sache ist dem SG zuzustimmen. Nach § 2 Abs. 2 SGB IX sind schwerbehindert solche Menschen, bei denen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und die ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einen Arbeitsplatz im Sinn des § 73 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben. Das ist nicht der Fall. Der Kläger hat seinen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in den Niederlanden. Wann der Kläger seinen Wohnsitz in die Niederlande verlegt hat, ist nicht aktenkundig. Darauf kommt es aber auch nicht an. Denn ausweislich der Klageschrift vom 10.05.1988 an das Amtsgericht Vxxxxxx wohnte er bereits im Mai 1988 in den Niederlanden. Dass dies sein Wohnsitz im Sinn eines ständigen Aufenthaltsortes war, folgt daraus, dass er im März 1987 noch die Adresse "Fam. E J. Jxxxxxx, Pxxxxxxxxxxx xx NL xxxx, Schxxxx, Niederlande" angegeben hat, der einschränkende Zusatz " Fam. E. J. Jxxxxxx" später durchgängig entfällt und nur noch unter dieser Adresse mit ihm korrespondiert wird. Ein Beschäftigungsverhältnis in Deutschland ist nicht nachgewiesen. Das Versorgungsamt hat den Kläger ausdrücklich aufgefordert, ein solches anzugeben (Anhörungsschreiben vom 04.09.2000). Der Kläger hat hierauf mit dem Bemerken reagiert: "Solche Angabe ist völlig sinnlos, etwas auf das Papier setzen wenn nicht gelesen sind, dies ist anzunehmen als mangelhafte Bearbeitung."
Verfahrensrechtlich hat der Beklagte den angefochtenen Bescheid zutreffend auf § 48 SGB X gestützt. Die Wohnsitzverlagerung an die Niederlande stellt eine wesentliche Änderung im Sinne dieser Vorschrift dar.
Die Fristenregelung des § 48 Abs. 4 SGB iVm § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X gilt nicht. Der Beklagte hat den Bescheid vom 22.07.1976 mit Wirkung ex nunc aufgehoben. Für diesen Fall wird zwar die Auffassung vertreten, dass auch dann die Fristen des § 48 Abs. 4 SGB X zu beachten sind, also nach 10 Jahren seit der wesentlichen Änderung der begünstigende Ververwaltungsakt in keinem Fall mehr, weder bei Gut- noch bei Bösgläubigkeit, weder bei Aufhebung für die Vergangenheit noch für die Zukunft, gestützt auf die wesentliche Änderung aufgehoben werden kann (hierzu Schroeder- Printzen, SGB X, 3. Auflage, § 48 Rdn. 28 mwN). Der Senat tritt dem nicht bei. Denn der Sinn der entsprechenden Anwendung des Zehnjahresfrist liegt erkennbar nicht darin, einer wesentlichen Änderung nach 10 Jahren jegliche Bedeutung abzusprechen, sondern darin, nach 10 Jahren die rückwirkende Änderung des Leistungsbescheides zu verbieten (BSG vom 11.12.1992 - 9a RV 20/90 -).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved