L 12 KA 99/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 21 KA 708/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 KA 99/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten hin wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 6. Juni 2000 (S 21 KA 708/98) in Ziffer I aufgehoben und die Klage der Kläger gegen den Bescheid der Beklagten vom 20. Januar 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. April 1998 auch insoweit abgewiesen.
II. Die Kläger haben der Beklagten die Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger wenden sich gegen die Absetzung der Nrn.671, 672 BMÄ/E-GO als für Orthopäden fachfremde Leistungen (Absetzungsbetrag: DM 1.536,60) im Quartal 3/96.

Die Kläger sind als Ärzte für Orthopädie mit den Zusatzbezeichnungen Sportmedizin und Chirotherapie in S. niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.

Die Beklagte hat im Quartal 3/96 mit Bescheid vom 20. Januar 1997 über sachliche und rechnerische Richtigstellung unter anderem von der Honorarabrechnung der Kläger 98-mal die Nr.671 BMÄ/E-GO (direktionale Doppler-sonographische Untersuchung der Venen und/oder Arterien einer Extremität an mindestens zwei Beschallungspunkten, einschließlich graphische Registrierung) und 19-mal die Nr.672 BMÄ/E-GO (sonographische Untersuchung der Venen als kontinuierliche, gleitende Beschallung über die gesamte Gefäßstrecke einer Extremität mittels Real-Time-Verfahren (B-mode), einschließlich Bilddokumentation) wegen Fachfremdheit für Orthopäden abgesetzt.

Hiergegen richtet sich der Widerspruch der Kläger vom 6. Februar 1997, der mit Schreiben vom 8. April 1997 näher begründet wurde. Die Nrn. 671, 672 BMÄ/E-GO gehörten zu dem Komplex der angiologischen Diagnostik, die seit mehr als 15 Jahren in der Praxis regelmäßig durchgeführt werde. Für diese Leistungen würden die Partner der Gemeinschaftspraxis die dafür erforderlichen Zusatzgenehmigungen besitzen. Es sei aus diesem Grunde vollkommen unverständlich, dass diese Leistungen für das Gebiet der Orthopädie als fachfremd gestrichen würden.

Die Beklagte hat mit Widerspruchsbescheid vom 3. April 1998 den Widerspruch zurückgewiesen. Nach Art.34 Abs.1 des Heilberufe-Kammergesetzes und § 21 der Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns habe ein Arzt seine Tätigkeit auf das Gebiet zu beschränken, dessen Bezeichnung er führe. Die Zulassung aufgrund einer Gebietsbezeichnung berechtige nur zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung im Rahmen seines Gebietes. Infolgedessen habe ein Vertragsarzt keinen Anspruch auf Vergütung von Leistungen, mit denen er sein Gebiet überschreite. Dies beinhalte natürlich nicht, dass notwendige Leistungen nicht vorgenommen werden dürften; vielmehr seien die Patienten an einen dafür zugelassenen Kollegen zu verweisen. Die Orthopädie umfasse nach der Definition der Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns vom 1. Oktober 1993 die Prävention, Erkennung und Behandlung von angeborenen und erworbenen Formveränderungen und Funktionsstörungen, Erkrankungen, Verletzungen und Verletzungsfolgen der Stütz- und Bewegungsorgane und die Rehabilitation. Bei den Leistungen nach den Nummern 671, 672 BMÄ/E-GO handele es sich gemäß der Weiterbildungsordnung für Orthopäden um fachfremde Leistungen.

Hiergegen richtet sich die Klage zum Sozialgericht München vom 4. Mai 1998, die mit Schriftsätzen vom 7. Oktober 1998 und 22. Dezember 1998 näher begründet wurde. Bis zum Quartal 4/95 hätten die Kläger die jetzt streitigen GOP s beanstandungsfrei als fachgebietskonforme Leistungen erbracht und abgerechnet. Es sei nicht erkennbar, dass sich seither die Weiterbildungsordnung oder die Richtlinien zur Zuordnung von Zusatzbezeichnungen zu Gebieten der Weiterbildungsordnung in einschlägigen Teilen geändert hätten. Die Weiterbildungsordnung müsse aus verfassungsrechtlichen Gründen Übergangsregelungen dahingehend enthalten, dass diejenigen Ärzte, die nach altem Weiterbildungsrecht eine Fachgebiets- und/oder Teilgebietsbezeichnung erworben hätten, all diejenigen Leistungen weiter durchführen und abrechnen dürften, die zum früheren Inhalt der Weiterbildung gehören (vgl. § 22 Abs.1a der Weiterbildungsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Oktober 1997 und im Übrigen Kamps MedR 98, 103 ff., 104). Die Kläger haben eine Vielzahl von Krankheitsbildern benannt, bei denen sie die Nrn.671, 672 BMÄ/E-GO ansetzen würden. Aus dieser Übersicht werde deutlich, dass die streitigen Leistungen mit unübersehbarem klaren Bezug zu orthopädischen Diagnosen stünden. Die tabellarischen Übersichten seien von den Klägern nach den Abrechnungsunterlagen ohne Zuordnung zu den einzelnen Fällen in der Praxis erstellt worden.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 25. Mai 1999 die Auffassung vertreten, dass es notwendig sei, dass die Kläger die vorgetragene Argumentation anhand der beiliegenden Behandlungsscheine für jeden Einzelfall konkretisierten.

Der Klägervertreter hat mit Schriftsatz vom 15. Oktober 1999 nach Einsichtnahme in die Behandlungsausweise dagegen eingewandt, dass es vorliegend um die Rechtsfrage gehe, ob bei den genannten Diagnosen die erbrachten Leistungen nach den streitgegenständlichen Ziffern fachfremd ober fachgebietskonform seien. Diese Rechtsfrage könne beantwortet werden, ohne dass für die Beantwortung ein zusätzlicher Gewinn daraus gezogen werden könnte, wenn die einzelnen Diagnosen noch explicit den einzelnen Patienten zugeordnet würden.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 13. Dezember 1999 mitgeteilt, dass die Nrn.671, 672 EBM mit Wirkung für das Quartal 1/96 als fachfremde Leistungen für den Bereich der Orthopädie beurteilt worden seien. Diesbezüglich sei festzuhalten, dass nicht nur die genannten Gebührenordnungsziffern, sondern vielmehr alle Leistungen des Bereiches F II des EBM (Angiologie, Nrn. 650 bis 689) für die Gruppe der Orthopäden als fachfremd eingestuft worden seien. Lediglich die angiologischen Leistungen nach den Nrn.652, 660, 666 und 667 BMÄ/E-GO würden nach neueren Erkenntnissen nicht (mehr) als fachfremd angesehen. Auch wenn bis zum Quartal 4/95 eine Abrechnung der streitigen Ziffern für Orthopäden möglich gewesen sei, hindere diese Tatsache allein grundsätzlich nicht daran, ab dem Quartal 1/96 mit Umstrukturierung und Einführung des neuen EBM zu dem Ergebnis zu kommen, dass diese Leistungen als fachfremd einzustufen seien.

Auf Anfrage des Gerichts hat die Bayerische Landesärztekammer zu der hier streitigen Frage mit Schreiben vom 25. April 2000 Stellung genommen. Nach Abschnitt I Nr.27 der Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns in der Fassung vom 1. Oktober 1993 umfasse die Orthopädie nach ihrer Definition die Prävention, Erkennung und Behandlung von angeborenen und erworbenen Formveränderungen und Funktionsstörungen, Erkrankungen, Verletzungen und Verletzungsfolgen der Stütz-und Bewegungsorgane und die Rehabilitation. Diese Definition umfasse nach Ansicht der Bayerischen Landesärztekammer nicht das Gefäßsystem der Extremitäten. Dieses sei beispielsweise dem Gebiet der Inneren Medizin zugeordnet, das nach seiner Definition Abschnitt I Nr.13 auch die Erkrankungen des Herzens und des "Kreislaufs" erfasse. Im Schwerpunkt Angiologie, der dem Gebiet Innere Medizin zugeordnet sei und eine besondere zusätzliche Qualifikation in diesem Gebiet darstelle, sei das Gefäßsystem besonders erfasst. Das Gefäßsystem der Extremitäten gehöre nicht zum "Stütz- und Bewegungsapparat". Wie aus Waldeyer "Anatomie des Menschen" ersichtlich sei, werde bei der systematischen Anatomie der unteren Gliedmaßen eine Einteilung in fünf Gruppen (1. Bewegungsapparat, 2. Arterienversorgung der unteren Gliedmaßen, 3. Venen der unteren Gliedmaßen, 4. Lymphgefäße und Lymphknoten der unteren Gliedmaßen, 5. Nervenversorgung der unteren Gliedmaßen) unterschieden. Daraus ergebe sich, dass das Gefäßsystem als eigenes System klassifiziert sei. Diese Schulsprache der Anatomie sei in die Weiterbildungsordnung transformiert worden. Auch aus dem Kapitel "Inhalt und Ziel der Weiterbildung" des Gebietes Orthopädie nach der Weiterbildungsordnung ließe sich keine gebietskonforme Tätigkeit der Diagnostik und/oder der Behandlung des Gefäßsystems durch den Orthopäden begründen.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 25. April 2000 noch ergänzend vorgetragen, dass generell, unabhängig von der Indikation, die Sonographie der Gefäße für Orthopäden fachfremd sei, also auch nicht bei Durchblutungsstörungen in Verbindung mit der Sudeck schen Erkrankung erbracht werden könne.

Hierzu hat der Klägervertreter mit Schriftsatz vom 17. Mai 2000 Stellung genommen. Die Argumentation der Bayerischen Landesärztekammer versuche sich in Sophistik. Das Gebiet der Orthopädie erfasse die Bewegungsorgane, also die Extremitäten. Nicht erfasst sein solle das Gefäßsystem der Extremitäten, obwohl es unter Nr.27 in Abschnitt I der Weiterbildungsordnung heiße, dass eingehende Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten in den gebietsbezogenen Gefäßerkrankungen zum Fachgebiet gehörten. Schon einmal habe in einem exakt parallel gelagerten Fall ein Sozialgericht einer klar und krass gegen die Rechtslage ver- stoßenden Stellungnahme der Landesärztekammer die Gefolgschaft verweigert. Der Kläger verweist hierzu auf eine Entscheidung des Sozialgerichts Freiburg vom 18. August 1999, das sich auf die Nrn.666 und 667 BMÄ/E-GO bezieht und diese für Orthopäden als fachgebietskonform ansieht. Das Sozialgericht Freiburg habe die differentialdiagnostischen Maßnahmen hinsichtlich der gebietsbezogenen Gefäßerkrankungen der Weiterbildungsordnung entnommen.

Das Sozialgericht München hat mit Urteil vom 6. Juni 2000 den Honorarbescheid der Beklagten für das Quartal 3/96 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3. April 1998 insoweit aufgehoben, als der Ansatz der GOP s 671 und 672 BMÄ/E-GO berich- tigt wurde. Die Beklagte wurde verurteilt, über den Widerspruch der Kläger vom 6. Februar 1997/8. April 1997 betreffend die Nrn.671, 672 BMÄ/E-GO unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts nach Maßgabe der Urteilsgründe erneut zu entscheiden. Die streitgegenständlichen Leistungsziffern 671/672 BMÄ/E-GO seien nach der Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns sowie nach dem Inhalt und Ziel der Weiterbildung in der Orthopädie für Orthopäden grundsätzlich als fachfremd anzusehen.

Die Kammer sei jedoch der Auffassung, dass in bestimmten (insbesondere akuten) Fällen die Kläger als Orthopäden die streitbefangenen Leistungen erbringen könnten (z.B. bei tiefen Beinvenenthrombosen, arteriosklerotischen Veränderungen der Venen, Sudeck schen Erkrankungen). Bei der Durchsicht der Behandlungsscheine sei aber aufgefallen, dass in vielen Fällen eine - wohl - (nur) Routineuntersuchung durchgeführt werde, z.B. bei Diagnosen wie "zum Ausschluss peripherer Durchblutungsstörungen und venöser Insuffizienz". Auch andere Diagnosen würden nicht erkennen lassen, dass es sich dabei um Patienten mit einer akuten Symptomatik gehandelt habe, bei denen eine sofortige diagnostische Maßnahme nach den Nrn.671/672 BMÄ/E-GO angebracht gewesen sei. Da die Beklagte die hier streitbefangenen Richtigstellungen computermäßig durchgeführt habe, was nicht zu beanstanden sei, und damit die Besonderheiten der abgerechneten Fälle nicht berücksichtigen habe können, sei die Berichtigungsentscheidung aufgehoben worden. Die Kläger würden die Möglichkeit bekommen, innerhalb von drei Monaten nach Rechtskraft des Urteils die streitbefangenen Fälle ergänzend zu begründen. Danach werde die Beklagte in einer angemessenen Frist über die Rechtmäßigkeit der abgerechneten Leistungen nochmals zu entscheiden haben. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten vom 27. September 2000 zum Bayerischen Landessozialgericht, die mit Schriftsatz vom 20. März 2001 näher begründet wurde. Das Sozialgericht habe zunächst zutreffend festgestellt, dass die streitgegenständlichen Leistungsnummern 671, 672 BMÄ/E-GO für den Orthopäden grundsätzlich fachfremd seien. Das Sozialgericht vertrete dann jedoch zu Unrecht die Auffassung, dass in bestimmten (insbesondere akuten) Fällen die Kläger als Orthopäden die streitbefangenen Leistungen erbringen könnten. Nach dem Inhalt und Ziel der Weiterbildung gehörten zur Orthopädie auch eingehende Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten unter anderem in den gebietsbezogenen Gefäßerkrankungen. So suchten z.B. Patienten wegen Schmerzen in den Beinen sehr häufig zunächst einen Orthopäden auf. Diese Schmerzen könnten statisch bedingt sein und somit in das Fachgebiet eines Orthopäden fallen, es könnten aber ggf. auch zusätzliche arterielle Durchblutungsstörungen vorliegen oder die Schmerzen könnten durch eine Thrombose bedingt sein. So gehöre z.B. das Tasten der Fußpulse mit zu der Differentialdiagnostik und bei deren Fehlen müsse der Patient an einen dafür zugelassenen Arzt überwiesen werden, der die gesamte Problematik abkläre und weiterbehandle. Verschiedene exogene Schädigungen wie Knochenbrüche, Distorsionen, operative Eingriffe, Verbrennungen oder Erfrierungen könnten an den Extremitäten einen typischen Symptomenkomplex hervorrufen, der als "Sudeck sches Syndrom" bezeichnet werde, dessen Ursache immer noch nicht vollständig geklärt sei. Es äußere sich klinisch in rötlich-bläulicher Hautfärbung, brennendem Schmerz, Hautkälte, peripheren Schwellungen und Bewegungseinschränkungen der Gelenke. Ausgelöst werde das Syndrom durch eine Vasomotorenstörung, ein Teil der Therapie bestehe darin, die reflektorische Durchblutungssperre zu lösen. Somit bestehe zwar eine Verbindung zu den peripheren Gefäßen, die dem Orthopäden geläufig sein müssten, es bedeute jedoch auch hier nicht, dass die doppler-sonographische Untersuchung vom Orthopäden abgerechnet werden könne, zumal sie hier auch keine große Aussagekraft habe. Aus den beanstandeten Behandlungsausweisen werde deutlich, dass bei den Patienten regelhaft routinemäßig sowohl eine "periphere Durchblutungsstörung" als auch eine "venöse Insuffizienz" ausgeschlossen werde und dies grundsätzlich immer an beiden Beinen. Auch die Diagnose "Ausschluss Unterschenkelvenenthrombose" rechtfertige nicht die Vergütung der Leistung nach der Nr.672 BMÄ/E-GO. Die Patienten müssten vielmehr an einen dafür zuständigen Kollegen überwiesen werden, der die ggf. notwendige weiterführende Therapie übernehmen könne.

Die Beklagte stellt den Antrag,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 6. Juni 2000 (Az.: S 21 KA 708/98) in Ziffer I aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Klägervertreter stellt den Antrag,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die im Schriftsatz vom 22. Dezember 1998 unter Ziff.1 und 4 genannten Anlässe würden Situationen betreffen, in denen erhebliche Gefahren für gravierende Durchblutungsstörungen, Heilungsverzögerungen bis hin zu bedrohlichen Durchblutungsgefährdungen der Extremitäten drohen könnten, weshalb dopplersonographische Untersuchungen der Gefäße teilweise durchaus auch als Notfallbehandlung angesehen werden könnten. Insbesondere im Rahmen der orthopädisch-chirurgischen Versorgung (arthroskopische Operationen) sei es notwendig, im weiteren Behandlungsverlauf in Einzelfällen solche diagnostischen Schritte vorzunehmen, um ggf. rechtzeitig bei bestehendem Gefäßverschluss den betroffenen Patienten zur weiteren Behandlung fachgebietskonform überweisen zu können. Dies gelte hinsichtlich der Nr.671 BMÄ/E-GO. Bei der Nr.672 BMÄ/E-GO handele es sich durchwegs um postoperative bzw. posttraumatische Fälle, bei denen zum Ausschluss einer Unter- bzw. Oberschenkelvenenthrombose eine Kommpressionssonographie der jeweiligen Extremität durchgeführt werden müsse. Diese Diagnose werde keineswegs routinemäßig, sondern nur bei entsprechendem klinischen Verdacht durchgeführt, um venöse Gefäßverschlüsse darzustellen und ggf. eine adaptierte Therapie einzuleiten bzw. veranlassen zu können. Gerade in Fällen der Nr. 672 BMÄ/E-GO zum Ausschluss beispielsweise einer Unterschenkelvenenthrombose könne der operativ tätige Orthopäde durchaus eine entsprechende Behandlung selber durchführen und müsse lediglich bei besonderem Schweregrad weitere Behandlungen veranlassen. Aus Sicht der Kläger sei hiermit abschließend in tatsächlicher Hinsicht vorgetragen.

Dem Senat liegen die Verwaltungsakte der Beklagten (Quartal 3/96), die Klageakte (S 21 A 708/98) und die Berufungsakte (L 12 KA 99/00) zur Entscheidung vor, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden und auf deren sonstigen Inhalt ergänzend Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte sowie gemäß § 151 Abs.1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 20. Januar 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. April 1998, mit dem Leistungen nach den Nrn.671, 672 BMÄ/E-GO von der Honorarabrechnung der Kläger für das dritte Quartal 1996 wegen Fachfremdheit abgesetzt worden sind, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Das Sozialgericht hat deshalb mit dem angefochtenen Urteil vom 6. Juni 2000 die genannten Bescheide in Ziff. I zu Unrecht aufgehoben und die Beklagte verurteilt, über den Widerspruch der Kläger vom 6. Februar 1997/8. April 1997 erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. Daher war das Urteil des Sozialgerichts München vom 6. Juni 2000 in Ziff. I aufzuheben und die Klage des Klägers gegen den Bescheid der Beklagten vom 20. Januar 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. April 1998 auch insoweit abzuweisen.

Der Senat hat sich mit der streitgegenständlichen Fragestellung bereits befasst und entschieden, dass ein Orthopäde u.a. die Nrn.671, 672 BMÄ/E-GO nicht fachgebietskonform erbringen kann (vgl. Urteil des Senats vom 14. März 2001, L 12 KA 52/99; die Nichtzulassungsbeschwerde hiergegen zum Bundessozialgericht - BSG - wurde mit Beschluss des BSG vom 19. Oktober 2001 - B 6 KA 61/01 B verworfen).

Der Senat hält nach nochmaliger Prüfung in vollem Umfang an seiner Rechtssprechung fest.

Die Bindung des Arztes an die Grenzen seines Fachgebietes (vgl. hierzu BSG SozR 3-2500 § 95 Nr.7 S.27 f, Nr.9 S.33 f, Nr.21 85 f.) ergibt sich aus dem Berufsrecht. Nach Art.34 Abs.1 des Bayerischen Heilberufe-Kammergesetzes in der ab 1. August 1993 geltenden Fassung (Bekanntmachung vom 20. Juli 1994, GVBL S.853) und § 21 der Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns vom 1. Oktober 1993 (Bayerisches Ärzteblatt 9/93) darf ein Arzt, der eine Gebietsbezeichnung führt, grundsätzlich nur in diesem Gebiet tätig sein.

Nach der Definition in Abschnitt I Nr.27 der vorgenannten Weiterbildungsordnung umfasst die Orthopädie die Prävention, Erkennung und Behandlung von angeborenen und erworbenen Formveränderungen und Funktionsstörungen, Erkrankungen, Verletzungen und Verletzungsfolgen der Stütz- und Bewegungsorgane und die Rehabilitation. Diese Definition ist organbezogen und bezieht sich im Wesentlichen auf Funktionsstörungen und Erkrankungen der Stütz- und Bewegungsorgane. Dementsprechend gehört zum Inhalt und Ziel der Weiterbildung in der Orthopädie die "Vermittlung, der Erwerb und der Nachweis eingehender Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten in der Diagnostik und Therapie von Krankheiten ... der Stütz- und Bewegungsorgane sowie ihrer Verlaufsformen einschließlich der ... bildgebenden Verfahren des Gebietes". Es ist demnach der Beklagten und der Bayerischen Landesärztekammer beizupflichten, wenn sie in ihren Stellungnahmen davon ausgehen, dass die Orthopäden fachgebietskonform grundsätzlich nur Funktionsstörungen und Krankheiten der Stütz- und Bewegungsorgane diagnostizieren und therapieren dürfen. Hierzu gehören entgegen der Auffassung des Klägers nicht die Erkrankungen und Funktionsstörungen des Gefäßsystems. Dieses ist nach Abschnitt I Nr.13 der Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns dem Gebiet der Inneren Medizin (Schwerpunkt Angiologie) zugeordnet. Nach der dort umschriebenen Definition umfasst die Innere Medizin unter anderem die "Erkennung und Behandlung der Erkrankungen des Herzens und Kreislaufs ... sowie der internen Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates". Zum Inhalt und Ziel der Weiterbildungsordnung in der Inneren Medizin gehört u.a. die "Differentialdiagnostik und Therapie interner ... Erkrankungen einschließlich ... der Sonographie". Im Rahmen der Weiterbildung werden eingehende Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten in der Indikation, Durchführung und Bewertung angiologischer Untersuchungsverfahren (Nr.1, 13 Spiegelstrich) vermittelt. Der Schwerpunkt Angiologie umfasst nach der Definition unter anderem die Differentialdiagnostik ... der Gefäßkrankheiten. Zum Inhalt der Weiterbildung in diesem Schwerpunkt gehört u.a. die Differentialdiagnostik ... von Erkrankungen der Arterien ... und Venen sowie besondere Kenntnisse und Erfahrungen in bildgebenden Verfahren einschließlich einer Mindestzahl selbständig durchgeführter und bewerteter uni- und bidirektionaler Ultraschall-Doppler-Untersuchungen sowie duplex-sonographischer Untersuchungen. Die Richtlinien über den Inhalt der Weiterbildung vom 19. November 1994 (Bayer.Ärzteblatt 1/95) verlangen vom Internisten den Nachweis von 200 selbständig durchgeführten, befundeten und dokumentierten CW-Doppler-Sonographien der extremitätenversorgennen Gefäße, davon 100 an Arterien und 100 an Venen. Im Rahmen des Schwerpunkts Angiologie wird darüber hinaus die selbständige Durchführung, Befundung und Dokumentation von 400 Duplex- Sonographien der extremitätenversorgenden Gefäße, davon 200 an Arterien und 200 an Venen, gefordert. Die Weiterbildungsordnung weist demnach die Dopplersonographie nach der Nr.671 BMÄ/E-GO der extremitätenversorgenden Gefäße im Regelfall dem Internisten zu. Dasselbe gilt auch für die Leistung nach der Nr.672 BMÄ/E-GO.

An diesem Ergebnis ändert sich nichts dadurch, dass zum Inhalt und Ziel der Weiterbildung in der Orthopädie nach der Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns auch die Vermittlung, der Erwerb und der Nachweis eingehender Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten in der Sonographie des Gebietes ("Nr.1 5. Spiegelstrich) und in "den gebietsbezogenen Gefäßerkrankungen" (Nr.1 15. Spiegelstrich) gehören. Denn der Begriff "Gebiet" ist jeweils von der Gebietsdefinition her auszulegen. Die Nr.1 5. Spiegelstrich umfasst demnach nur die Sonographie der Stütz- und Bewegungsorgane. Dementsprechend verlangen die Richtlinien über den Inhalt der Weiterbildung von Orthopäden nur den Nachweis von 400-B-mode-Sonographien der Bewegungsorgane (ohne Säuglingshüften) und 200 - B-mode-Sonographien der Säuglingshüften, nicht jedoch Sonographien der Gefäße. Unter "gebietsbezogenen Gefäßerkrankungen" sind nur Gefäßerkrankungen zu verstehen, die in einem direkten Bezug zu den Erkrankungen der Stütz- und Bewegungsorgane stehen, wie z.B. Durchblutungsstörungen in Verbindung mit der Sudeck schen Erkrankung-. Aus dem Erwerb eingehender Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten in Diagnostik und Therapie der "gebietsbezogenen Gefäßerkrankungen" folgt jedoch nicht, dass der Orthopäde deshalb die Untersuchungen nach den Nrn.671 und 672 BMÄ/E-GO etwa bei der Diagnose "Sudeck sche Erkrankung" fachgebietskonform erbringen darf, denn hinsichtlich der Sonographien ist er gemäß Nr.1 5. Spiegelstrich auf sein Fachgebiet, d.h. auf die Sonographien der Stütz- und Bewegungsorgane, beschränkt. Es ist deshalb auch in einem Fall, in dem bei einem Patienten etwa die Diagnose "Morbus Sudeck" aufgeführt wird, die Abrechnung der Leistung der Nr.671 BMÄ/ E-GO als fachgebietsfremd anzusehen.

Auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundessozialgerichts (vgl. BVerfGE 33, 125, 167; BSGE 62, 224, 229 = SozR 2200 § 368 a Nr.19, S.67; BSG SozR 3-2500 § 95 Nr.1 S.3 f., Nr.7 S.28 f., Nr.9 S.36, Nr.21 S.86), wonach auch die Gesichtspunkte der Einheit des Arztberufes und der fachgerechten Abgrenzung der Fachgebiete zu beachten sind, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Erbringung der sonographischen Leistungen nach den Nrn.671, 672 BMÄ/E-GO gehört, wie auch ihre Zuordnung im EBM zeigt (Kapitel F Abschnitt II: Innere Medizin, Angiologie), zum Kernbereich des Internisten mit dem Schwerpunkt Angiologie.

Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger ausnahmweise berechtigt waren, außerhalb des Fachgebietes tätig zu sein (z.B. Notfallbehandlungen, Adnexleistungen), liegen nicht vor (vgl. dazu BSG SozR 3-2500 § 95 Nr.21 S.90 f.). Die Kläger haben hierzu keine auf einzelne Patienten bezogene Angaben gemacht und auch der fachkundig besetzte Senat konnte aus den Behandlungsausweisen keine Hinweise für Notfallbehandlungen oder Adnexleistungen gewinnen.

Die Kläger können sich auch nicht auf einen Vertrauensschutz berufen. Zwar lässt die höchstrichterliche Rechtsprechung im Rahmen der sachlich-rechnerischen Richtigstellung Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes nicht gänzlich außer Betracht (vgl. BSG SozR 3-2500 § 95 Nr.9 S.37 ff; BSG SozR 3-2500 § 135 Nr.6 S.35; BSG SozR 3-2500 § 95 Nr.21 S.91; BSG, Urteile vom 12. Dezember 2001, Az.: B 6 KA 2/01 R und B 6 KA 3/01 R). Aus der unbeanstandeten Abrechnung bestimmter Leistungen über einen längeren Zeitraum hinweg erwächst dem Vertragsarzt aber noch kein Recht, auch in Zukunft entsprechende Leistungen abrechnen zu dürfen. Soweit dem Vertragsarzt nicht die Erbringung einer bestimmten Leistung durch bestandskräftigen Verwaltungsakt ausdrücklich gestattet worden ist, muss er stets mit Veränderungen hinsichtlich der Abrechenbarkeit seiner Leistungen rechnen. Ein Vertrauensschutz erwächst insbesondere nicht daraus, wenn die Beklagte vor dem 1. Januar 1996 die Abrechnung der streitigen Nummern 671/672 BMÄ/E-GO nicht beanstandet hat. Hierzu ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass der EBM zum 1. Januar 1996 insgesamt eine grundlegende Änderung erfahren hat und die hier u.a. streitige Leistung Nr.671 BMÄ/E-GO insoweit geändert wurde, als sie ab 1. Januar 1996 eine Zusammenfassung der alten Gebührenordnungs-Nummern 671 und 677 BMÄ/E-GO a.F. darstellt.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG und beruht auf der Erwägung, dass die Kläger letztlich in beiden Rechtszügen unterlegen sind.

Gründe, die Revision nach § 160 Nrn.1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor. Bei der hier aufgeworfenen grundsätzlichen Frage der Fachgebietsgrenzen handelt es sich um eine Frage der Auslegung und Anwendung der Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns und damit um nicht revisibles Recht im Sinne des § 162 SGG. Es kann vom Senat, dem die hier rechtlich unerheblichen Weiterbildungsordnungen der übrigen Landesärztekammern der Bundesrepublik Deutschland (mitsamt der dazu ergangenen sozialgerichtlichen Rechtsprechung) nicht bekannt sein müssen, nicht unterstellt werden, dass die Gebietsabgrenzungen in den Weiterbildungsordnungen aller oder zumindest zahlreicher Ärztekammern übereinstimmen (vgl. BSG SozR 3-2500 § 95 Nr.7 S.30 f). Es bleibt dem Kläger unbenommen, im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde Entsprechendes darzulegen. Dasselbe gilt für die Frage der Unvereinbarkeit der vom Senat vorgenommenen Auslegung und Anwendung der Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns mit höherrangigem Recht, die der Senat, wie ausgeführt, nicht zu erkennen vermag.
Rechtskraft
Aus
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