L 4 KR 125/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 10 KR 62/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 125/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 20. Juli 2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist eine stationäre Kur von drei Wochen.

Der am ...1943 geborene und bei der Beklagten als Rentner versicherte Kläger leidet an einem chronischen Lumbalsyndrom. Er hat bei einer Körpergröße von 171 cm ein Gewicht von 90 kg. In den Jahren 1987, 1990 und 1993 hatte er stationäre Kuren in Bad H ... erhalten. Seit 01.03.1998 bezieht er Erwerbsunfähigkeitsrente.

Der Kläger beantragte unter Vorlage einer Bescheinigung des Internisten Dr.F ... bei der Beklagten am 28.09.1998 wieder eine stationäre Heilmaßnahme wegen des chronischen Lumbalsyndroms; sie sei zur Verhinderung einer weiteren Verschlimmerung und Vermeidung einer Krankenhausbehandlung erforderlich. Das von der Beklagten eingeholte medizinische Gutachten des Bahnarztes Dr.H ... vom 24.09.1998 kam aufgrund einer Untersuchung des Klägers zu dem Ergebnis, zur Stabilisierung der Gesundheit und zur Besserung der eingeschränkten Wirbelsäulenfunktion werde eine erneute stationäre Rehabilitationsmaßnahme empfohlen. Im ärztlichen Entscheidungsbogen zum Antrag auf medizinische Leistungen zur Rehabilitation vertrat der Arzt der Beklagten die Auffassung, dass eine ambulante bzw. fachärztliche Behandlung ausreichend sei.

Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 26.10.1998 den Antrag des Klägers mit der Begründung ab, die Möglichkeiten der ambulanten Behandlung am Wohnort seien zur Verwirklichung des angestrebten Behandlungszieles ausreichend. Der Kläger legte hiergegen unter Vorlage einer weiteren ärztlichen Bescheinigung von Dr.F ... am 30.10. und 26.11.1998 Widerspruch ein. Der Arzt gab an, dass trotz intensiver ambulanter Behandlung keine Besserung eingetreten sei.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 10.03.1999 aufgrund einer weiteren Stellungnahme des Medizinischen Dienstes BEV (Stellungnahme vom 13.01.1999) mit der Begründung zurückgewiesen, der Medizinische Dienst habe eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme zur Behandlung der Erkrankungen chronisches Lendenwirbelsäulensyndrom und chronische Cephalgie nicht befürwortet, da eine ambulante Behandlung am Wohnort ausreichend und zweckmäßig sei.

Der Kläger hat hiergegen am 25.03.1999 beim Sozialgericht Regensburg Klage erhoben, das mit Beschluss vom 30.04.1999 den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Sozialgericht Landshut (SG) verwiesen hat. Das SG hat einen Befundbericht des Internisten Dr.F ... mit Nebenbefunden des Orthopäden Dr.C ..., des Neurologen und Psychiaters Dr.Sch ... und des Radiologen Dr.B ... beigezogen. Den weiteren ärztlichen Bescheinigungen von Dr.F ... vom 24.02. und 29.02.2000 ist zu entnehmen, dass das tägliche Aufsuchen der Rehabilitationseinrichtung für den Kläger zu belastend sei und dass er bisher regelmäßig Fango-Packungen, Rückenmassagen und Bewegungsbäder erhalten habe.

Das SG hat im Erörterungstermin vom 16.03.2000 ein ärztliches Sachverständigengutachten der Internistin Dr.L ... eingeholt. Die Sachverständige ist zu dem Ergebnis gelangt, der Kläger leide an lendenwirbelsäulenabhängigen Beschwerden infolge von Aufbraucherscheinungen ohne bedeutsame Funktionseinschränkungen und ohne Hinweise für Nervenwurzelreizerscheinungen sowie an einem depressiven Syndrom und unter gehäuften Kopfschmerzen. Diese Gesundheitsstörungen seien nicht so schwerwiegend ausgeprägt, dass eine stationäre Kurmaßnahme zur Verhinderung einer Verschlimmerung erforderlich sei. Der Kläger hat im Erörterungstermin angegeben, er erhalte regelmäßig Spritzen vom Hausarzt und einmal im Quartal Massagen.

Das vom SG eingeholte weitere fachorthopädische Sachverständigengutachten von Dr.E ... vom 04.05.2000 hat nach einer Untersuchung des Klägers als Hauptleiden chronische Kreuzschmerzen und als Nebenleiden u.a. Kopfschmerzen, initiale Dysplasie, Coxarthrose beidseits, O-Beine, Knick- Senk-Spreizfüße festgestellt. Der Sachverständige hat die Notwendigkeit einer (vorzeitigen) stationären Kurmaßnahme verneint und eine erweiterte ambulante Physiotherapie vorgeschlagen.

Das SG hat mit Urteil vom 20.07.2000 die Klage mit der Begründung abgewiesen, eine stationäre Rehabilitatiosmaßnahme sei nicht notwendig. Die beiden Sachverständigengutachten hätten derzeit eine stationäre Kurmaßnahme aus gesundheitlichen Gründen nicht für erforderlich gehalten.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 12.09.2000, mit der er geltend macht, er werde dreimal wöchentlich mit je zwei Injektionen therapiert und es sei ihm nicht zuzumuten, wöchentlich das 50 Km entfernte Heilbad Bad G ... aufzusuchen, um dort Thermalbäder in Anspruch zu nehmen.

Der Senat hat einen Befundbricht des praktischen Arztes Dr.P ... eingeholt, aus dem sich u.a. ergibt, dass der Arzt den Kläger am 23.08.2000 im Notfalldienst behandelt hat. Das vom Kläger vorgelegte Attest von Dr.F ... vom 11.01.2001 gibt an, dass der Kläger dort regelmäßig Injektionen sowie Fangoanwendungen und Massagen wegen der chronischen Lumbalgie erhalte. Die Beklagte verbleibt in ihren Stellungnahmen vom 03.01. und 13.01.2001 bei ihrer Auffassung, dass eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme aus gesundheitlichen Gründen nicht dringend erforderlich sei, da die ambulanten Therapiemöglichkeiten am Wohnort noch nicht ausgeschöpft worden seien.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Landshut vom 20.07.2000 sowie des Bescheides vom 26.10.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.03.1999 zu verurteilen, über seinen Antrag auf Gewährung einer stationären Kur in Bad H ... unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG. Auf den Inhalt dieser Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 1.000,- DM (§ 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGG), da die Kosten einer dreiwöchigen stationären Kur diesen Betrag überschreiten.

Die Berufung ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme (§ 40 Abs.2 Sozialgesetzbuch V - SGB V -). Da es sich hierbei um eine im Ermessen der Beklagten liegende Leistung handelt, hat der Senat zu prüfen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift gegeben sind und ob die Beklagte ihr Ermessen sachgerecht ausgeübt hat (§ 54 Abs.2 SGG). Dies ist hier der Fall. Da der Kläger ausschließlich eine stationäre Kurmaßnahme begehrt, ist allein auf diese Leistung abzustellen und nicht auf die andere Form der Vorsorge- bzw. Rehabilitationsleistungen in ambulanter Form (§§ 23 Abs.1, 40 Abs.1 SGB V).

Das Gesetz vom 22.12.1999 (BGBl. I 2626) hat mit Wirkung zum 01.01.2000 die hier einschlägige Rechtsgrundlage des § 40 SGB V neu gefasst bzw. geändert. Ambulante Rehabilitationsleistungen sind vom 01.01.2000 an den ambulanten Vorsorgeleistungen in anerkannten Kurorten nach § 23 Abs.2 SGB V zugeordnet. In § 40 Abs.1 SGB V ist seitdem die Rechtsgrundlage für die ambulante wohnortnahe Rehabilitation geregelt. Mit dieser Leistung sollen nur noch die in § 11 Abs.2 SGB V genannten Ziele der Rehabilitation erreicht werden; die frühere Bezugnahme auf die Behandlungsziele des § 27 Abs.1 Satz 1 SGB V ist damit entfallen (Kass.Komm.-Höfler, § 40, Rdnr.3). Da der Kläger von der Beklagten die Bewilligung einer Leistung begehrt, ist neues Recht anzuwenden.

Die hier einschlägige Anspruchsgrundlage des § 40 Abs.2 SGB V lautet: Reicht die Leistung nach Abs.1 nicht aus, kann die Krankenkasse stationäre Rehabilitation mit Unterkunft und Verpflegung in einer Rehabilitationseinrichtung erbringen, mit der ein Vertrag nach § 111 SGB V besteht. § 40 Abs.1 SGB V hat folgenden Inhalt: Reicht bei Versicherten eine ambulante Krankenbehandlung nicht aus, um die in § 11 Abs.2 SGB V beschriebenen Ziele zu erreichen, kann die Krankenkasse die aus medizinischen Gründen erforderlichen ambulanten Rehabilitationleistungen in Rehabilitationseinrichtungen, für die ein Versorgungsvertrag nach § 111 SGB V besteht, oder, soweit dies für eine bedarfsgerechte, leistungsfähige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten mit medizinischen Leistungen ambulanter Rehabilitation erforderlich ist, in wohnortnahen Einrichtungen erbringen.

§ 40 Abs.2 i.V.m. Abs.1 SGB V ist zu entnehmen, dass die stationäre Rehabilitationsmaßnahme dann ausscheidet, wenn eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme genügt. Eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme wiederum steht unter dem Vorbehalt, dass eine ambulante Krankenbehandlung nicht genügt. In beiden Bedingungen kommt somit der Grundsatz des Vorranges der ambulanten Krankenbehandlung bzw. Rehabilitation vor stationären Leistungen zum Ausdruck.

Die begehrte stationäre Rehabilitation setzt durch die Verweisung auf die in § 11 Abs.2 SGB V genannten Behandlungsziele zum einen voraus, dass eine Behinderung zumindest droht. Eine Behinderung ist eine mediziniche Regelwidrigkeit, die zu funktionellen Einschränkungen in Form von Fähigkeitsstörungen und Beeinträchtigungen führt (Kass.Komm.-Höfler, § 40 SGB V, Rdnr.14, derselbe, a.a.O. § 11 Rdnr.9 a). Der Begriff der Behinderung verlangt also nicht nur eine medizinische Regelwidrigkeit, sondern auch funktionelle Einschränkungen, d.h. Funktionsstörungen des entsprechenden Organs, die sich in erheblicher Weise auf das Leben des Versicherten auswirken. Vorübergehende Beeinträchtigungen fallen nicht hierunter.

Ob eine Behinderung in diesem Sinne bei dem Kläger gegeben ist, ist nach den Sachverständigengutachten von Dr.L ... und Dr.E ... schon zweifelhaft. Dr.L ... hat bei ihrer Untersuchung keine wesentlichen Funktionsstörungen nachgewiesen und es ergaben sich auch keine Hinweise für Nervenwurzelreizerscheinungen. Dr.E ... hat die Entfaltbarkeit der Lendenwirbelsäule als nicht auffällig eingeschränkt und die Entfaltbarkeit der Brustwirbelsäule als mittelgradig behindert bezeichnet. Die Seitneigung des Rumpfes nach rechts und links ist geringgradig eingeschränkt gewesen. Der Sachverständige hat darüber hinaus eine Schwäche der Rumpfmuskulatur festgestellt. Die beiden Sachverständigengutachten sind verwertbar, auch wenn das SG in den Beweisfragen u.a. nach der Notwendigkeit einer hier nicht streitigen vorzeitigen, stationären Kurmaßnahme gefragt hat. Denn aus beiden Gutachten ergeben sich hinreichende Anhaltspunkte für die Differenzierung, ob eine Kurmaßnahme in ambulanter oder stationärer Form angezeigt ist.

Wie bereits ausgeführt worden ist, setzt eine stationäre Rehabilitation außerdem voraus, dass eine ambulante Rehabilitation nicht genügt. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut des § 40 Abs.2 SGB V, sondern auch aus dem allgemeinen Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V. Danach müssen die Leistungen der Krankenkassen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Notwendig ist eine Maßnahme aber nur dann, wenn sie nach ihrer Art und ihrem Umfang unentbehrlich, unvermeidlich oder unverzichtbar ist. Es kommt also darauf an, ob im vorliegenden Fall der Kläger unvermeidbar eine stationäre Rehabilitation benötigt. Dies ist nicht der Fall, wenn entweder eine ambulante Rehabilitation oder eine ambulante Krankenbehandlung ausreicht.

Die ärztlichen Sachverständigen vertreten übereinstimmend die Auffassung, dass angesichts der vorliegenden Beschwerden und der bisher durchgeführten ambulanten Behandlung ambulante Maßnahmen der Physiotherapie ausreichen und verstärkt einzusetzen sind. Indiziert sind vor allem, wie dem Gutachten von Dr.E ... zu entnehmen ist, Elektrotherapie, Ultraschallbehandlung, Unterwasserstrahlmassage der paralumbalen Muskulatur und krankengymnastische Übungen zur Kräftigung der Bauch- und Rückenstreckermuskulatur.

Diese Maßnahmen der physikalischen Therapie können, wie § 40 Abs.2 i.V.m. Abs.1 SGB V voraussetzt, wohnortnah als Sachleistung erbracht werden. Denn die physikalisch-medizinischen Leistungen sind Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung (vgl. § 73 Abs.2 Nr.1, 6 SGB V) und können in der ärztlichen Praxis zugelassener Ärzte durchgeführt werden (vgl. Nrn.503 bis 554 BMÄ). Sie können aber auch aufgrund vertragsärztlicher Verordnung durch zugelassene Heilmittelerbringer (§ 124 SGB V) praktiziert werden.

Dem Kläger steht hierfür eine ausreichende Zahl von Orthopäden mit der Zusatzbezeichnung "Physikalische Therapie" wohnortnah zur Verfügung. Im Landkreis P ... sind in H ... und R ..., also in unmittelbarer Nähe des Wohnorts des Klägers, drei Orthopäden in freier Praxis niedergelassen, die die Zusatzbezeichnung "Physikalische Therapie" führen. Der Kläger kann auch in P ... einen Orthopäden mit dieser Zusatzbezeichnung aufsuchen. Im etwas weiter entfernten D ... befinden sich fünf Orthopäden mit der Zusatzbezeichnung "Physikalische Therapie". Dem Kläger ist also, auch wenn er angeblich keinen Führerschein besitzt, zuzumuten, mit öffentlichen Verkehrsmitteln die Fachärzte in H ... , R ... oder P ... bzw. D ... aufzusuchen, um dort die entsprechende Therapie zu erhalten. Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wenn diese Ärzte einzelne der oben genannten Leistungen selbst nicht erbringen, sondern den Kläger zur Leistungserbringung auf die zugelassenen Heilmittelerbringer (Physiotherapeuten) verweisen. Nach den Auskünften der Beklagten befinden sich in P ... zwei zugelassene Physiotherapeuten, die die von dem Sachverständigen Dr.E ... befürworteten Leistungen erbringen können. Es besteht auch eine ausreichende Busverbindung vom Wohnort des Klägers nach P ... Dem Kläger ist es zuzumuten, unter Umständen mehrere ärztliche oder nichtärztliche Therapeuten im Verbund aufzusuchen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nr.1, 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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