L 4 KR 125/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 4 KR 58/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 125/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 16.07.2001 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten der Berufung zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die restliche Kostenerstattung des Unterschiedsbetrages für das Hörgerät Resound BT2 in Höhe von 2.172,80 DM (= 1.108,12 EUR).

Die am 1989 geborene Klägerin, die bei der Beklagten familienversichert ist, leidet an einer mittelgradigen Innenohrschwerhörigkeit rechts und einer geringgradigen Innenohrschwerhörigkeit links, außerdem an einer Mikrohämaturie bei Verdacht auf Alportsyndrom. Sie wurde seit Oktober 1995 von der ambulanten Frühförderstelle des Instituts für Hörgeschädigte (Bezirk Niederbayern) betreut.

Die Klägerin erhielt am 21.12.1995 eine vertragsärztliche Verordnung einer Hörhilfe durch den HNO-Arzt Dr.R. und wählte bei der Firma S. (S.) ein Hörgerät des Fabrikats Resound BT2 aus. Hierbei wurde sie von der ambulanten Frühförderstelle des Instituts für Hörgeschädigte weiterhin betreut. Das Hörgerät wurde der Klägerin am 12.01.1996 ausgehändigt und Dr.R. bestätigte am 07.03.1996 nach erfolgter Anpassung, dass die Hörhilfe eine ausreichende Hörverbesserung erziele und das Gerät zweckmäßig sei. Die Firma S. erstellte am 25.03.1996 für die Versorgung mit beiden Hörgeräten, Otoplastik und Batterien eine Rechnung zu einem Gesamtbetrag von 6.073,00 DM. Die Beklagte zahlte aufgrund der Vertragssätze am 08.07. und 10.07.1997 hierfür einen Preis von 3.900,20 DM.

Mit dem Schreiben der Firma S. vom 24.09.1997 und dem
fachärztlichen Attest von Dr.R. vom 19.06.1997 beantragte die Klägerin die Übernahme der Kosten für das Hörgerät in voller Höhe. In der von der Beklagten eingeholten gutachtlichen Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern (MDK; Gutachter HNO-Arzt Dr.D.) vom 08.10.1997 wird dargelegt, eine Begründung für eine höhere Kostenübernahme über den Festbetrag liege nicht vor. In manchen Gegenden würden Resound-Geräte auch zum Kinderfestbetrag abgegeben.

Aufgrund der durch das Hörgerät erzielten verbesserten Wahrnehmung und des guten Erfolgs in der Schule wechselte die Klägerin ab Pfingsten 1997 zunächst probeweise an die örtliche Grundschule in L. und schloss die Grundschule ab. Sie besucht mittlerweile das Gymnasium (6. Klasse). Infolge der guten Hörgeräteversorgung konnte nach Angaben des Klassenlehrers auf
die Verwendung einer Mikroport (FM)-Anlage verzichtet werden.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 22.10.1997 eine volle ostenübernahme wegen der "Festbetragsregelung" ab. Dagegen legte die Klägerin am 23.10.1997 unter Vorlage eines Attestes des HNO-Arztes Dr.R. Widerspruch ein; die Verwendung der Hörgeräte Resound BT2 würde der Klägerin zu einem
ausgezeichneten Sprachverständnis bei deutlich reduzierten Störgeräuschen verhelfen. Dem weiteren Bericht des Instituts für Hörgeschädigte (Bezirk Niederbayern) vom 04.11.1997 ist zu entnehmen, dass die verwendeten Hörgeräte großen Nutzen bewirkt hätten. Der Klägerbevollmächtigte hat in der
Widerspruchsbegründung vom 09.12.1997 ausgeführt, dass der zusätzliche Einsatz einer Mikroport-Anlage etwa 3.000,00 DM kosten würde und die Klägerin auch nicht in der Lage sei, im Unterricht handregulierbare Hörgeräte zu verwenden. Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 16.04.1998 den Widerspruch wieder unter Bezugnahme auf die "Festbetragsregelung" zurück.

Die Klägerin hat mit der Klage vom 05.05.1998 beim Sozialgericht Landshut (SG) geltend gemacht, eine Festbetragsregelung schließe eine höhere Kostenübernahme durch die Beklagte nicht aus. Die Verwendung regulierbarer Hörgeräte sei der Klägerin nicht zuzumuten.

Das SG hat Befundberichte des HNO-Arztes Dr.R. und des Allgemeinarztes Dr.K. eingeholt und am 07.10.1999 einen Erörterungstermin abgehalten. Der Beklagtenvertreter hat in diesem Termin folgende Erklärung abgegeben: "Falls sich im Rahmen eines Gutachtens ergeben sollte, dass eine ausreichende
medizinische Versorgung nur durch die beantragte, höherwertige Hörhilfe erreicht werden kann, wäre die Beklagte bereit, zugunsten der Klägerin von der Festbetragsregelung abzuweichen. In diesem Zusammenhang sollte auch geprüft werden, ob durch die Versorgung mit dem Hörgerät Resound BT2 die Notwendigkeit einer eventuell späteren Versorgung mit einer Mikroport-Anlage
entfällt".

Das SG hat ein Sachverständigengutachten des HNO-Arztes Dr.O. vom 02.12.1999 eingeholt; der Sachverständige ist hier zum Ergebnis gelangt, bei der Klägerin sei eine ausreichende medizinische Versorgung nur durch ein sich automatisch regulierendes Mehrkanalgerät, wie es das Resound BT2 darstellt, zu erreichen. Die Behinderung könne durch eine Versorgung im
Rahmen der Kinderfestbetragsregelung nicht in annäherndem Maße ausgeglichen werden. Mit den beantragen Hörgeräten (Resound BT2) könne ein deutlich besseres Ergebnis erzielt werden als mit einer konventionellen Versorgung. Bei einer Versorgung im Rahmen der Festbetragsregelung wäre zu befürchten, dass die Klägerin in der schulischen und psychischen Entwicklung zurückbleibe und es zu dauernden Defiziten komme. Es wäre
möglich, dass bei Verwendung analoger Hörgeräte eine Mikroport-Anlage eingesetzt werden müsse, um überhaupt ein ausreichendes Verständnis zu erreichen.

Nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 29.12.1999 erneut eine volle Kostenübernahme abgelehnt hat, hat das SG nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 16.07. 2001 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.10.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.04.1998 verurteilt, die vollen Kosten für die beidseitige Versorgung der Klägerin mit dem Hörgerät Resound BT2 zu übernehmen. Zur Begründung hat
es angegeben, nach dem Gutachten des Sachverständigen sei eine ausreichende Versorgung der Klägerin nur mit dem von ihr verwendeten Hörgerät möglich.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten vom 07.08.2001, mit der sie geltend macht, das SG habe die gesetzlich geregelte Festbetragsregelung" außer Acht gelassen. Die Spitzenverbände der Krankenkassen hätten festgelegt, dass für den Bereich der Hörgeräteversorgung Festbeträge gälten. Der danach maßgebende Festbetrag in Höhe von 3.900,20 DM sei von der Beklagten übernommen worden. Der Prozessbevollmächtige habe keine höhere Vergütung im Erörterungstermin vor dem SG zugesichert (Schreiben vom 19.03.2002).

Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 16.07.2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG. Auf den Inhalt dieser Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -); der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt den im Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels maßgebenden Wert von 1000 DM (§ 141 Abs.1 Satz 1 Nr.1 a.F. SGG).

Die Berufung ist unbegründet; der Gerichtsbescheid des SG ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Das SG konnte durch Gerichtsbescheid entscheiden, da § 105 SGG mit Gesetz vom 30.03.1998 (BGBl.I S.638) mit Wirkung vom 01.03.1998 wieder in Kraft gesetzt worden ist. § 105 Abs.1 SGG setzt hierfür voraus, dass das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Gemäß § 105 Abs.3 SGG wirkt der Gerichtsbescheid als Urteil. Der Senat geht jedenfalls mit dem SG davon aus, dass die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten während des gesamten Verfahrens vor dem SG fachkundig beraten war. Damit hat die Ermessensentscheidung des SG, einen Gerichtsbescheid zu erlassen, nicht auf einer groben Fehleinschätzung beruht (Meyer-Ladewig, SGG, 6.Aufl.,
§ 105, Rn.9, 25).

Der Anspruch auf die Kostendifferenz in Höhe von 2.172,80 DM (= 1.108,12 EUR) ergibt sich bereits aus der Zusicherung der Beklagten im Erörterungstermin vom 07.10.1999. Nach § 34 Sozialgesetzbuch X (SGB X) bedarf eine von der zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen zu ihrer Wirksamkeit der schriftlichen Form. Eine Zusage muss auf den Erlass eines bestimmten Verwaltungsaktes
gerichtet sein. Dazu gehört der Wille der Behörde, sich zu einem zukünftigen Tun zu verpflichten und die Erklärung muss sich auf einen konkreten Sachverhalt beziehen. Durch die Abgabe der Zusicherung verpflichtet sich die Verwaltung zu einer bestimmten zukünftigen Sachbehandlung. Sie soll dem Adressaten Gewissheit geben, dass seine Aufwendungen den beabsichtigten
Erfolg haben. Es handelt sich hier nicht nur um eine bloße öffentlich-rechtliche Willenserklärung, sondern eine regelnde und Verbindlichkeit beanspruchende Maßnahme (vorweggenommene Zukunftsbindung). Der Rechtsqualität nach ist die Zusicherung ein Verwaltungsakt (von Wulffen, SGB X, 4.Aufl., § 34 Rn.3 ff. m.w.N).

Die Zusicherung ist somit eine Selbstverpflichtung der Behörde zu einem späteren Tun oder Unterlassen. Die Auslegung, ob ein Verwaltungsakt erlassen werden sollte und mit welchem Inhalt, richtet sich nach den für Willenserklärungen maßgebenden Auslegungsgrundsätzen. Hierbei ist § 133 BGB heranzuziehen (Bundessozialgericht (BSG) vom 13.03.1975 SozR 2200 § 1409 Nr.2). Bei der Auslegung ist das gesamte Verhalten des Erklärenden zu berücksichtigen. Neben dem Erklärungswortlaut kommt es auch auf die Begleitumstände, insbesondere den Zweck der Erklärung an. Das danach maßgebende Gesamtverhalten des Erklärenden ist vom Standpunkt dessen zu bewerten, für den die Erklärung bestimmt ist (Empfängerhorizont). Maßgebend ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht deren innerer, sondern der erklärte Wille, wie ihn bei objektiver Würdigung die
Empfänger, d.h. hier die Versicherte und deren gesetzlicher Vertreter und Prozessbevollmächtigter, verstehen konnten (BSG a.a.O.; BSG vom 01.03.1979 BSGE 48, 56). Es ist also nicht darauf abzustellen, was die Beklagte mit ihrer Erklärung gewollt hat, sondern wie die Klägerin und ihre Vertreter die Erklärung des Beklagtenvertreters im Erörterungstermin vom
07.10.1999 verstehen durften (BSG vom 08.12.1993 SozR 3-1300 § 34 Nr.2). Auch nach der neuesten Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 11.07.2000 SozR 3-1300 § 39 Nr.7) ist die in einer Zusicherung enthaltene Regelungswirkung darin zu sehen, dass in einer rechtlich ungewissen Situation die Sach- und Rechtslage durch eine verbindliche Feststellung geklärt werden soll. Eine Regelung ist anzunehmen, wenn durch die Äußerung der Behörde Meinungsverschiedenheiten oder Unklarheiten über das Bestehen eines Rechtsverhältnisses oder einzelner Rechte oder Pflichten
daraus beseitigt werden sollen. So liegt der Fall hier.

Die Beklagte hat sich danach im Protokoll des Erörterungstermins vom 07.10.1999 zur Übernahme der restlichen Kosten für die beantragte, höherwertige Hörhilfe verpflichtet, falls sich durch ein ärztliches Gutachten die Notwendigkeit dieser durchgeführten Versorgung ergeben sollte. Sie hat sich
ferner zur Kostenübernahme bereit erklärt, falls für das verwendete Hörgerät die Versorgung mit einer Mikroport-Anlage entfällt. Es ist erwiesen, dass der Prozessbevollmächtige der Beklagten diese Erklärung abgegeben hat. Das Protokoll begründet als öffentliche Urkunde iSd § 415 Abs.1 Zivilprozessordnung (ZPO) nach dieser gesetzlichen Vorschrift unter Zusschluss richterlicher Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) den vollen Beweis für die Abgabe dieser Erklärung. Bewiesen ist also, dass der in der Urkunde genannte Prozessbevollmächtigte der Beklagten zur angegebenen Zeit, am angegebenen Ort vor dem SG eine Erklärung des wiedergegebenen Inhalts abgegeben hat (formelle Beweiskraft). Keine formelle Beweiskraft liegt vor,
wenn der Gegenbeweis der Falschbeurkundung (objektiver Tatbestand des § 348 StGB) erbracht ist (§ 415 Abs.2 ZPO). Durch den Antrag auf Parteivernehmung kann der Gegenbeweis nicht geführt werden (BGH NJW 65, 1714). Bloße Zweifel an der Richtigkeit genügen für den Gegenbeweis gleichfalls nicht (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 58. Aufl., § 415, Rdnr. 8-12; Zöller; ZPO, 21. Aufl., § 415, Rdnr. 5,6, jeweils m.w.N. der Rechtsprechung). Wie den schriftsätzlichen Ausführungen der Beklagten vom 19.03.2002 zu entnehmen ist, hat sie eine Berichtigung des Protokolls beim SG nicht beantragt (§ 122 SGG, § 164 ZPO). Es genügt wegen der Beweiskraft des Protokolls nicht, wenn die Beklagte sich wie hier darauf
beschränkt, eine dem Inhalt der Niederschrift widersprechende Behauptung aufzustellen (BSG vom 04.09.1987 4a BJ 73/87 (unveröffentlicht); siehe auch BSG vom 06.08.1999 B 8 KN 7/98 UB; BSG vom 14.05.1998 B 2 U 280/97 B; BSG 01.08.1996 2 BU 144/96; Krasny/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl., 1997, IX Rdnr.129).

Das Schreiben der Beklagten vom 19.03.2002 enthält auch nicht eine wirksame Rücknahme der Zusicherung (§§ 34, 45 SGB X). Denn die Rücknahme für die Vergangenheit ist schon durch den Ablauf der Jahresfrist des § 45 Abs.4 Satz 2 SGB X ausgeschlossen.

Die o.g. von der Beklagten gesetzten Bedingungen sind durch die Beweisaufnahme des SG erfüllt worden. Das Sachverständigengutachten von Dr.O. hat überzeugend ausgeführt, dass ein Behinderungsausgleich nur durch das verwendete automatisch regulierende Mehrkanalgerät möglich ist und dass bei der Verwendung analoger Hörgeräte eine Mikroport-Anlage
eingesetzt werden müsste. Damit ist die Beklagte zur Übernahme der Restkosten verpflichtet, ohne dass es darauf ankommt, ob und in welcher Höhe Festbeträge bzw. Preisvereinbarungen bestehen (§§ 12 Abs.2, 36 SGB V).

Unabhängig davon hat die Klägerin, ohne dass es für die Entscheidung noch darauf ankommt, einen Anspruch auf Übernahme der Restkosten gemäß § 13 Abs.3 2. Alternative SGB V. Denn die Krankenkasse hat eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und der Klägerin sind für die selbstbeschaffte Leistung Kosten zu erstatten. Der Umfang der Kostenerstattung ist nach dieser
Vorschrift durch die Höhe der tatsächlich entstandenen Kosten bestimmt.

Es ist im Rahmen des § 13 Abs.3 2. Alternative SGB V im vorliegenden Fall nicht von Bedeutung, dass bei einem Abweichen vom Sachleistungsprinzip der Versicherte sich zuvor mit der Krankenkasse ins Benehmen setzt und deren Entscheidung abwartet, wie dies das Erfordernis des ursächlichen
Zusammenhangs zwischen Ablehnung und Selbstbeschaffung voraussetzt (z.B. Bundessozialgericht -BSG- vom 19.06.2001 SGb 2001, 549 m.w.N. auf die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung). Denn die hier einschlägigen
verfahrensrechtlichen Regelungen sehen einen atypischen Beschaffungsweg vor. Sie lassen zu, dass ein Versicherter sich ein höherwertiges Hilfsmittel beschafft und von der Krankenkasse durch die Übernahme des Festbetrags bzw. Zahlung aufgrund der Preisvereinbarung insoweit von einer Kostenbeteiligung freigestellt wird. Er hat dann zunächst den durch die Übernahme des höherwertigen Hilfsmittels entstandenen Differenzbetrag selbst zu tragen, wobei die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, dass er diesen Betrag von der Krankenkasse ersetzt verlangen kann. Er ist dann jedenfalls mit dem Risiko belastet, dass es bei der Übernahme der Kosten des Hilfsmittels in Höhe der Grundversorgung verbleibt. Dies ergibt sich aus dem Vertrag der Bundesinnung der Hörgeräte-Akustiker mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen vom 26.05.1992 über die Hörgeräteversorgung von Kindern und Jugendlichen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr. Die dazu gehörende Anlage 1 enthält eine Vereinbarung über Höchstpreise, nicht jedoch über Festbeträge. Hinsichtlich des eschaffungsweges sind §§ 4, 6 des Vertrages einschlägig: Leistungen nach diesem Vertrag dürfen nur aufgrund einer kassenärztlichen Verordnung erbracht werden und in die Hörgeräteversorgung von Kindern können
grundsätzlich alle dem aktuellen Stand der Technik entsprechenden, qualitativ einwandfreien und von der Physikalisch-technischen Bundesanstalt in Braunschweig geprüften und abgenommenen oder angemeldeten und mit dem
Bearbeitungszeichen versehenen Geräte einbezogen werden, wenn ihre Zweckmäßigkeit gegeben ist und sie mit Audioeingang ausgestattet sind (§ 4 Abs.1, 2 des Vertrages). Nach der Erstellung einer vertragsärztlichen Verordnung erfolgt gemäß § 3 Abs.1 des Vertrages die Auswahl und Anpassung des Hörgerätes, wobei der Versicherte vom zugelassenen Hörgeräte-Akustiker, pädaudiologischen Zentren, HNO-Kliniken, HNO-Ärzten, den Erziehungsberechtigten, Kindergärten sowie anderen Einrichtungen beraten und unterstützt wird. Nach der Auswahl des Hörgerätes und dessen Anpassung, die auch noch im Rahmen der Nachbetreuung erforderlich sein kann, und der ärztlichen Bestätigung kann erst der Hörgeräte-Akustiker
gegenüber der Krankenkasse abrechnen (§§ 3 Abs.1, 4; § 6 des Vertrages). Die Krankenkasse entscheidet dann innerhalb von vier Wochen (ggf. nach Rücksprache mit dem verordnenden Arzt oder mit dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung) über ihre Leistungspflicht und teilt dies dem Hörgeräte-Akustiker mit (§ 6 Satz 3 des Vertrages). Daraus ergibt sich also, dass sich der Versicherte bereits vor der Entscheidung der Krankenkasse für ein bestimmtes Hörgerät entscheiden muss und dass er in diesem Falle nicht verpflichtet sein kann, die Entscheidung der Krankenkasse abzuwarten.

Gemäß § 33 Abs.2 Satz 2 SGB V bestimmt sich zwar die Leistungspflicht der Beklagten grundsätzlich nach den vertraglich vereinbarten Preisen, wie dies in der Anlage zu dem Vertrag über die Hörgeräteversorgung von Kindern und Jugendlichen geschehen ist. Die Beklagte ist aber zur Übernahme der Restkosten unter dem Gesichtspunkt der sogenannten Stellvertreterleistung verpflichtet. Denn durch die von der Klägerin benutzten Hörgeräte wird ein weiteres Hilfsmittel, nämlich eine drahtlose Hörhilfe (Mikroport-Anlage),
überflüssig. Das BSG hat mit Urteil vom 13.05.1982 (BSGE 53, 273) entschieden, dass eine Krankenkasse nicht ausdrücklich genannte Leistungen auch dann zu erbringen hat, wenn diese Leistungen an die Stelle einer an sich geschuldeten Leistung treten. Eine solche Verpflichtung besteht allerdings nur, wenn diese Ersatzleistung (Stellvertreterleistung) entweder
geeigneter oder billiger als die originär geschuldete Leistung ist. Die Stellvertreterleistung ist im SGB V ausdrücklich geregelt, so z.B. in der häuslichen Krankenpflege (§ 37 Abs.1 SGB V), in der selbstbeschafften Haushaltshilfe (§ 38 Abs.4 SGB V), in der ambulanten Behandlung mit Nebenleistungen anstelle der Krankenhausbehandlung und in der
Fahrkostenregelung gemäß § 60 Abs.2 Nr.4 SGB V. Rechtsgrundlage der Stellvertreterleistung sind das Wirtschaftlichkeitsgebot (§§ 2 Abs.4, 12 SGB V) und der Individualisierungsgrundsatz (§§ 33 Sozialgesetzbuch I), also Rechtsgrundsätze, die entgegen der Auffassung der Beklagten nicht nur nach dem früheren Recht der RVO gegolten haben, sondern auch jetzt noch gelten.

Es ist in der Rechtsprechung des BSG auch anerkannt, dass eine drahtlose Hörhilfe für ein hörbehindertes Kind ein Hilfsmittel ist, das die Teilnahme am Unterricht einer normalen Schule ermöglicht (BSG vom 26.05.1983 SozR 2200 § 182b Nr.28; BSG vom 03.11.1999 USK 9968).

Im vorliegenden Fall wäre nach dem Gutachten des Sachverständigen bei der Klägerin zusätzlich der Einsatz einer Mikroport-Anlage erforderlich, wenn sie mit nicht regulierbaren Hörgeräten, also mit der Grundversorgung, ausgestattet worden wäre. Das von ihr getragene Hörgerät erlaubt es dagegen auf den Einsatz einer Mikroport-Anlage zu verzichten. Dies ergibt sich im Übrigen auch aus dem Bericht des Instituts für Hörgeschädigte (Bezirk Niederbayern) vom 27.10.1997. Die von der Klägerin verwendeten Hörgeräte sind damit, wie der Sachverständige gleichfalls ausgeführt hat, wirtschaftlich und stellen sich als die bessere Lösung gegenüber der zusätzlichen Verwendung einer Mikroport-Anlage dar. Denn dadurch entfallen die Mitnahme und der Aufbau einer Mikroport-Anlage im Schulunterricht. Damit wird im Ergebnis für die Klägerin ein besserer Behinderungsausgleich erzielt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nr.1, 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved