L 4 KR 147/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 KR 141/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 147/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 10. November 1999 wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat der Beigeladenen zu 1) die außergerichtlichen Kosten der Berufung zu erstatten; weitere Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig sind ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis der Beigeladenen zu 1) als Rechtsanwältin vom 01.02.1997 bis 28.02.1998 und die Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags in Höhe von 24.330,15 DM.

Die Beigeladene zu 1) war nach ihren Angaben von September 1992 bis Mai 1995 als Referendarin tätig. Anschließend arbeitete sie ab August 1995 als freie Mitarbeiterin und ab Januar 1996 als Rechtsanwältin in einer Rechtsanwaltskanzlei.

Sie schloss am 02.01.1997 mit dem Kläger einen "Vertrag über die Anstellung als Rechtsanwalt", wonach sie ab 01.02.1997 als freie Mitarbeiterin in der Kanzlei des Klägers als Rechtsanwältin bei einer monatlichen Vergütung von 4.500,00 DM zuzüglich der gesetzlichen Mehrwertsteuer tätig sein sollte. Es wurde außerdem vereinbart, dass die zu erbringende Arbeitszeit sich am Arbeitsanfall und den betrieblichen Belangen orientiere, jedoch mindestens 40 Stunden pro Woche betrage, die Beigeladene zu 1) ferner 28 freie Arbeitstage erhalte und die Mandate im Namen und für Rechnung des Klägers annehme. Dieser trage die Kosten für die Rechtsanwaltsberufshaftpflichtversicherung. Der Beigeladenen zu 1) war eine einschlägige anderweitige Tätigkeit untersagt und die Vertragsparteien vereinbarten eine Probezeit von sechs Monaten. Der Beigeladenen zu 1) wurde eine Umsatzbeteiligung und auch darüber hinaus eine Sozietät mit Gewinnbeteiligung in Aussicht gestellt. Die Vertragsparteien vereinbarten eine Kündigungsfrist von sechs Wochen zum übernächsten Monatsende.

Der Kläger kündigte den Vertrag am 14.01.1998 zum 28.02.1998. Die Beigeladene zu 1) verzichtete am 20.02.1998 auf ihre Zulassung als Rechtsanwältin. Im März 1998 wandte sie sich an die Beklagte, nachdem das Arbeitsamt die Zahlung von Arbeitslosengeld abgelehnt hatte, mit der Bitte um Überprüfung, ob ihre frühere Tätigkeit der Sozialversicherungspflicht unterlegen habe.

Sie erhob außerdem am 30.03.1998 Klage beim Arbeitsgericht Augsburg (6 Ca 322/98 N) gegen den Kläger wegen Nichtzahlung des Gehalts für den Monat Februar 1998. Am 07.07.1998 eröffnete das Arbeitsgericht den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten, das Landesarbeitsgericht München (10 Ta 249/99) wies am 02.11.1999 die Beschwerde des Klägers zurück und das Bundesarbeitsgericht (5 AZB 73/99) verwarf am 09.03.2000 die Beschwerde des Klägers als unzulässig. In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht Augsburg schlossen der Kläger und die Beigeladene zu 1) am 30.05. 2000 einen gerichtlichen Vergleich, in dem der Kläger sich zur Zahlung einer Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes in Höhe von 2.000,00 DM verpflichtete.

Nach Anhörung des Klägers durch die Beklagte (Schreiben vom 27.03.1998) erklärte dieser am 31.03.1998, ein Rechtsanwalt sei stets ein unabhängiges Organ der Rechtspflege und freiberuflich tätig; er trage auch ein Unternehmerrisiko.

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 01.04.1998 fest, der Vertrag zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 1) weise die Merkmale eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses auf. Damit trete Sozialversicherungspflicht ein. Der Kläger sei verpflichtet, die Beigeladene zu 1) anzumelden und die Beiträge zu übernehmen.

Der Kläger legte am 15.04.1998 hiergegen Widerspruch ein und machte geltend, er habe vor Beginn der Beschäftigung mit der Beigeladenen zu 1) über die Möglichkeit gesprochen, ein Festgehalt zu zahlen oder sie als freie Mitarbeiterin zu führen. Er sei nicht bereit gewesen, für ein festes Anstellungsverhält- nis mit Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen mehr als 5.000,00 DM einschließlich der Arbeitgeberbeiträge zu zahlen. Wäre die Beigeladene zu 1) als Angestellte geführt worden, hätte sie deutlich weniger erhalten; dies habe die Beigeladene zu 1) von Anfang gewusst.

Mit dem Nachforderungsbescheid vom 23.04.1998 verlangte die Beklagte vom Kläger die Sozialversicherungsbeiträge für die Zeit vom 01.02.1997 bis 28.02.1998 zur Kranken-, Pflege-, Renten-, Arbeitslosenversicherung und zur Umlage - U 2 in Höhe von 27.979,69 DM.

Der Kläger beantragte am 04.05.1998 beim Sozialgericht Augsburg (SG), die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 14.04.1998 und einer nachfolgenden Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten vom 01.04.1998 wiederherzustellen. Er machte geltend, akademische freie Berufe unterlägen dann nicht der Beitragspflicht, wenn Angehörige dieser Berufsgruppen als freie Mitarbeiter eingestellt würden. Eine Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche sei für einen freiberuflich tätigen Rechtsanwalt ein Mindeststandard, die Einräumung von 28 freien Arbeitstagen pro Jahr beruhe auf seinem Entgegenkommen. Es sei auch selbstverständlich, dass in einem derartigen Vertrag die Residenzpflicht des Rechtsanwalts, ein Konkurrenzausschluss und der Abschluss der Berufshaftpflichtversicherung geregelt würden. Die Beigeladene zu 1) benötige keine gesetzliche Krankenversicherung, da sie bereits privat versichert sei und sie sei auch dem Versorgungswerk für Rechtsanwälte beigetreten.

Das SG ordnete mit Beschluss vom 18.05.1998 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 14.04.1998 gegen den Bescheid vom 01.04.1998 an und setzte die Vollziehung des Bescheides vom 23.04.1998 bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens vorläufig aus. Zur Begründung führte es aus, im Eilverfahren könne nicht über Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes entschieden werden. Der der Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt bedürfe weiterer Aufklärung und es seien keine einfachen Rechtsfragen zu beantworten. Die Beklagte räume selbst ein, dass der berufliche Status des Anwalts grundsätzlich beide Arten der Erwerbstätigkeit, nämlich als freier Mitarbeiter oder als abhängig Beschäftigter, zulasse. Die Beklagte hätte daher die Umstände der tatsächlichen Durchführung des Vertragsverhältnisses abklären müssen. Es hätte z.B. ermittelt werden müssen, ob die Beigeladene zu 1) dem zur Verfügung gestellten Personal gegenüber weisungsbefugt gewesen sei, ob sie den Zeitpunkt ihres Urlaubs selbst bestimmt habe und inwiefern der vorliegende Vertrag von einem Vertrag für einen angestellten Rechtsanwalt abweiche.

Mit Teilabhilfebescheid vom 02.06.1998 forderte die Beklagte vom Kläger nunmehr die Zahlung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 24.330,15 DM. Auch hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 29.07.1998 den Widerspruch mit der Begründung zurück, ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne der Sozialversicherung sei dann anzunehmen, wenn jemand in persönlicher Abhängigkeit von einem Arbeitgeber Dienste für diesen gegen Entgelt verrichte. Die persönliche Abhängigkeit äußere sich vornehmlich in der Eingliederung des zur Arbeitsleistung Verpflichteten in den Betrieb des Arbeitgebers und der Unterstellung unter dessen Direktions- und Weisungsrecht. Dabei sei maßgebend, ob die Arbeitsleistung hinsichtlich Zeit, Ort, Dauer und Art an bestimmte Weisungen des Arbeitgebers gebunden sei. Dies gelte auch für Rechtsanwälte. Nach den Feststellungen der Krankenkasse handle es sich um ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis. Der Beigeladenen zu 1) sei unabhängig von der geleisteten Arbeit ein gleichbleibendes Monatsgehalt von 4.500,00 DM gezahlt und die Dauer des Urlaubs sowie die Arbeitszeit seien vertraglich geregelt worden. Ihr sei jede weitere einschlägige Tätigkeit vertraglich untersagt worden und sie habe gegenüber den anderen Angestellten in der Kanzlei Weisungsbefugnis gehabt. Sie habe ausschließlich im Namen des Klägers und auf dessen Rechnung gearbeitet. Es fehlten somit echte unternehmerische Freiheiten sowie jegliches unternehmerisches Risiko, wie es für eine selbständige Tätigkeit bezeichnend sei. Daran ändere auch der Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung für die Beigeladene zu 1) nichts.

Der Kläger hat am 24.08.1998 beim SG Klage erhoben und zugleich die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 21.08.1998 bis zur Rechtskraft der Endentscheidung beantragt. Er hat, wie zuvor, geltend gemacht, die Beigeladene zu 1) habe als freie Mitarbeiterin tätig sein wollen und sei bereits durch eine private Krankenversicherung, Haftpflichtversicherung, durch den Beitritt zum Versorgungswerk für Rechtsanwälte abgesichert. Die Beklagte dürfe nicht die vertraglichen und finanziellen Dispositionen zweier Rechtsanwälte dann beseitigen, wenn die Beigeladene zu 1) arbeitslos geworden sei. Das Risiko einer möglichen Arbeitslosigkeit sei sie bei Unterzeichnung des freien Mitarbeitervertrages eingegangen. Der vereinbarte Monatsbetrag von 4.500,00 DM dürfe nicht als Nettogehalt angesetzt werden. Die Beitragsforderung sei sittenwidrig und stelle für die Kanzlei eine ruinöse Belastung dar. Der Mitarbeitervertrag regele lediglich die berufsrechtlichen Anforderungen an den Beruf eines Rechtsanwalts. Eine Arbeitszeit von 40 Stunden sei selbstverständlich und die Einräumung von 28 freien Arbeitstagen ein erhebliches Entgegenkommen. Die Beigeladene zu 1) sei völlig frei in der Bearbeitung ihrer Mandate gewesen. Das Sekretariat habe unabhängig von den Weisungen des Klägers der Beigeladenen zu 1) Mandate zugeteilt. Sie habe die Schriftsätze in eigener Verantwortung angefertigt; sie sei weisungsbefugt gewesen gegenüber den Sekretärinnen und anderen Mitarbeitern; diese hätten die Beigeladene als zweite Chefin akzeptiert.

Die Beigeladene zu 3) hat am 03.11.1998 darauf hingewiesen, dass die Beigeladene zu 1) am 02.03.1998 Arbeitslosengeld beantragt habe und dem Antrag im Widerspruchsverfahren stattgegeben worden sei. Es sei in der Zeit vom 01.02.1997 bis 28.02.1998 von einer Beitrags- bzw. Versicherungspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit auszugehen. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 03.11.1998 den Kläger auf die Verpflichtung zur Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages hingewiesen.

Das SG hat mit Beschluss vom 05.11.1998 den Vollzug des Bescheides der Beklagten vom 01.04.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.07.1998 mit Wirkung ab dem Tag des Eingangs einer Bankbürgschaft über 25.000,00 DM bei der Beklagten bis zur Entscheidung der Hauptsache ausgesetzt. Hiergegen hat der Kläger Beschwerde eingelegt und am 15.01.1999 auf einen Hinweis des Bayerischen Landessozialgerichts die Beschwerde zurückgenommen (L 4 B 337/98 KR ER).

Das SG hat in der mündlichen Verhandlung am 10.11.1999 die Sekretärin der Kanzlei des Klägers (E. R.) als Zeugin gehört. Sie hat angegeben, die Verteilung der Mandate sei nach Absprache mit dem Kläger zu Beginn jeder Woche erfolgt. Gerade am Anfang, als die Beigeladene zu 1) noch keine eigenen Mandanten hatte, habe ihr der Kläger besondere Fälle zur Bearbeitung gegeben. Die Gerichtstermine seien vom jeweiligen Anwalt wahrgenommen worden. Die Beigeladene zu 1) habe kein bestimmtes Arbeitsgebiet gehabt und die Abrechnungen seien von dem jeweiligen Anwalt erstellt worden.

Das SG hat mit Urteil vom 10.11.1999 die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Beigeladene habe vom 01.02.1997 bis 28.02.1998 in der Kanzlei des Klägers als Rechtsanwältin in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gearbeitet. Der Kläger habe hierfür Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 24.330,15 DM zu zahlen. Die Beigeladene zu 1) habe keinen Einfluss auf die Zuweisung der Mandanten gehabt, sei verpflichtet gewesen, dem Kläger die gesamte Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, während der üblichen Bürostunden in der Kanzlei anwesend zu sein und im Interesse der Kanzlei des Klägers zu handeln, in dessen Namen und auf dessen Rechnung ihre Dienstleistung erfolgt sei. Sie sei entsprechend der sachlichen Erfordernisse des Betriebsablaufes räumlich an die Kanzlei gebunden und auf die Zusammenarbeit mit anderen Dienstverpflichteten des Klägers angewiesen gewesen. Eine Gewinnbeteiligung sei nicht in Aussicht gestellt worden. Ihre Mitarbeit beim Kläger stelle sich sonach nicht als Teil einer selbstständigen unternehmerischen Tätigkeit als Rechtsanwältin dar, vielmehr sei sie in eine fremdbestimmte Arbeitsorganisation eingebunden gewesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 16.12.1999, mit der er geltend macht, das SG bezeichne die Beigeladene zu 1) zu Unrecht als sozial schutzbedürftig. Sie habe freiwillig die Anstellung angenommen und habe nicht auf einer Beschäftigung als Angestellte bestanden. Sie sei keinerlei Anweisungen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit unterworfen gewesen. Eine freie Mitarbeiterschaft außerhalb der Kanzlei sei mit dem Berufsbild eines Rechtsanwalts nicht zu vereinbaren. Damit sei die Einbindung in eine betriebliche Organisation keinesfalls ein Maßstab für die Beurteilung, welches Arbeitsverhältnis vorliege. Es gehöre zur Residenzpflicht eines Rechtsanwalts, in einer Kanzlei für die Mandanten überwiegend erreichbar zu sein. Die Vereinbarung eines Konkurrenzverbotes sei zur Vermeidung von Interessenskollisionen erforderlich. Die neuen Mandate seien entsprechend den jeweiligen fachlichen Kenntnissen und des Schwierigkeitsgrades nach Absprache mit der Sekretärin verteilt worden. Entgegen den Ausführungen des SG sei der Beigeladenen zu 1) eine Umsatzbeteiligung und darüber hinaus auch eine Sozietät mit Gewinnbeteiligung in Aussicht gestellt worden. Nach der Neuregelung des Sozialgesetzbuches IV werde der Gesamtsozialversicherungsbeitrag erst zu dem Zeitpunkt fällig, zu dem die Entscheidung, dass eine Beschäftigung vorliege, unanfechtbar geworden sei. Unter Umständen trete die Versicherungspflicht erst mit dem Tage der Bekanntgabe der Entscheidung ein, dass eine versicherungspflichtige Beschäftigung vorliege.

Die Beigeladenen zu 1) bis 3) haben sich in ihren Schriftsätzen der Auffassung der Beklagten und des SG angeschlossen. Die Beigeladene zu 2) hat außerdem ausgeführt, die Beigeladene zu 1) habe keinen Antrag auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht gestellt. Die vom Kläger genannten Urteile des Bundesarbeitsgerichts seien zu einem anderen Beruf ergangen und könnten auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 10.11.1999 und die Bescheide der Beklagten vom 01.04.1998, 23.04.1998 und 02.06.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.1998 werden aufgehoben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladenen schließen sich diesem Antrag an.

Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG. Auf den Inhalt dieser Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig; der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 1.000,00 DM (§ 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGG). Entgegen der Meinung des Klägers erfolgte die Terminierung zur mündlichen Verhandlung weder "überraschend" noch "kurzfristig". Der Termin am 14.12.2001 wurde, ohne dass eine prozessrechtliche Verpflichtung besteht, am 16.11.2001 mit der Kanzlei des Klägers telefonisch abgesprochen. Die schriftliche Terminsmitteilung wurde am 19.11.2001 zur Post gegeben. Nach § 110 Abs.1 SGG beträgt die Ladungsfrist in der Regel zwei Wochen; sie kann auch unterschritten werden.

Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen; denn die Beigeladene zu 1) war in der Zeit vom 01.12. 1997 bis 28.02.1998 in der Kanzlei des Klägers als Rechtsanwältin in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis tätig.

Die Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung hängt davon ab, dass eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt vorliegt (§ 5 Abs.1 Nr.1 Sozialgesetzbuch V (SGB V), § 20 Abs.1 Nr.1 Sozialgesetzbuch XI (SGB XI), § 1 Satz 1 Nr.1 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI), § 168 Abs.1 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) bis 31.12.1997, § 25 Abs.1 Sozialgesetzbuch III (SGB III) ab 01.01.1998). Das der Versicherungspflicht zu Grunde liegende gemeinsame Merkmal des abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ist in § 7 Abs.1 Sozialgesetzbuch IV (SGB IV) geregelt. Danach ist die Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Es kommt im vorliegenden Fall auf die im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Bescheide geltende Fassung des § 7 SGB IV und nicht auf die nachfolgenden gesetzlichen Änderungen an (Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl., § 54, Rn.32 mit weiteren Nachweisen).

Entscheidendes Merkmal für die Beschäftigung im Sinne der Sozialversicherung ist die Nichtselbständigkeit der verrichteten Arbeit. Die Nichtselbständigkeit, d.h. die persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit vom Arbeitgeber, wird durch weitere Kriterien konkretisiert, die in eine Gesamtbewertung eingehen. Hierbei sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, wobei es auch auf die Verkehrsanschauung ankommt. Zu den bestimmenden Merkmalen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses gehören unter anderem das Direktionsrecht des Arbeitgebers hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung der Arbeit, kein bestimmender Einfluss des Arbeitenden auf die Willensbildung im Betrieb, keine im Wesentlichen frei gestaltete Arbeitstätigkeit, das Fehlen eines Unternehmerrisikos, die Vereinbarung einer festen Entlohnung und von Urlaub, die Fremdbestimmtheit der Tätigkeit sowie die Eingliederung in den Betrieb. Bei diesem zuletzt genannten Merkmal ist von Bedeutung, dass die tätig werdende Person in den betriebsorganisatorischen Zusammenhang eines fremden Betriebs eingegliedert, somit die Fremdbestimmtheit der Tätigkeit ein wesentliches Merkmal der Arbeitsleistung ist.

Bei Diensten höherer Art, wie im vorliegenden Fall bei der Tätigkeit einer Rechtsanwältin, wird das Weisungs- oder Direktionsrecht des Arbeitgebers durch das Kriterium der funktionsgerechten, dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess ersetzt, wenn, wie hier, eine besondere Sach- und Fachkunde des Dienstleistenden vorausgesetzt wird (Bundessozialgericht (BSG) vom 29.03. 1962 BSGE 16, 289 f; BSG vom 31.07.1963 BSGE 19, 265 f; BSG vom 28.04.1964 BSGE 21, 57 f; BSG vom 31.07.1974 BSGE 38, 53 f).

Diese rechtlichen Kriterien gelten auch für die Prüfung, ob ein Rechtsanwalt in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis tätig ist. Zwar gehört der Beruf des Rechtsanwalts zu den freien Berufen, dies schließt aber entgegen der Annahme des Klägers nicht aus, dass ein Rechtsanwalt sich als Angestellter in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis befinden kann. § 2 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), der besagt, dass der Rechtsanwalt einen freien Beruf ausübt und seine Tätigkeit kein Gewerbe ist, steht dem nicht entgegen. Mit dieser Regelung des Gesetzgebers, der entsprechende Vorschriften auch für die Berufe des Arztes (§ 1 Abs.1 BÄO), des Wirtschaftsprüfers (§ 1 Abs.2 WPO), des Patentanwaltes (§ 2 Abs.1 PatAnwO) und des Seelotsen (§ 21 Abs.1 Gesetz über das Seelotsenwesen) vorgesehen hat, wird nur eine Abgrenzung zu den gewerblichen Berufen vorgenommen. Für diese freien Berufe gilt das Gewerberecht nicht (§ 6 GewO). Kennzeichnend für die freien Berufe ist im Gegensatz zu den gewerblichen Berufen der persönliche Einsatz bei der Berufsausübung und damit zum Beispiel beim Rechtsanwalt ein enges Vertrauensverhältnis zum Mandanten, das in dieser Besonderheit zwischen einem Gewerbetreibenden und dessen Kunden nicht gegeben ist.

Der BRAO lässt sich entnehmen, dass der Beruf eines Rechtsanwalts nicht nur als Einzelanwalt, sondern auch als selbständiger Anwalt innerhalb einer Rechtsanwaltssozietät oder auch als angestellter Rechtsanwalt ausgeübt werden kann. Dies ergibt sich aus § 46 BRAO (Rechtsanwälte in ständigen Dienstverhältnissen) und § 47 BRAO (Rechtsanwälte im öffentlichen Dienst), die davon ausgehen, dass ein Rechtsanwalt auch in einem Beschäftigungsverhältnis stehen kann. § 59c BRAO, der die Zulassung einer Rechtsanwaltsgesellschaft in Form einer GmbH ermöglicht, unterscheidet in den Folgeregelungen (§ 59e, § 59f BRAO) zwischen Rechtsanwälten als Gesellschafter und Rechtsanwälten, die auch Geschäftsführer sein können. Auch daraus folgt also, dass das Berufsrecht die Ausübungsform des angestellten Rechtsanwalts kennt.

Die Rechtsprechung des BSG hat in zwei Entscheidungen zu den besonderen Differenzierungsmerkmalen zwischen der Tätigkeit eines Rechtsanwalts in freier Mitarbeit und in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis Stellung genommen. Nach dem Urteil des BSG vom 17.10.1969 (USK 6977) steht ein für einen anderen Rechtsanwalt in dessen Büro tätiger Rechtsanwalt, der über Ort und Zeit der Arbeit nicht frei bestimmen kann und für seine Tätigkeit eine feste Vergütung erhält, in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis. Das BSG hat hier wie bei anderen Diensten höherer Art nicht allein auf das Direktionsrecht des Arbeitgebers abgestellt, sondern auf das Merkmal der Eingliederung in einen übergeordneten Organismus. Es hat aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles und unter besonderer Berücksichtigung der Zuteilung der Akten durch den Inhaber der Kanzlei, der Einhaltung der Dienststunden, der Regelung des Ortes der Tätigkeit und der festen Vergütung den Schluss auf das Bestehen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses gezogen.

In der weiteren Entscheidung vom 14.05.1981 (USK 8199 = BB 1981, 1581 f) hat das BSG festgestellt, dass ein zugelassener Rechtsanwalt in der Kanzlei eines anderen Rechtsanwalts sowohl als abhängig Beschäftigter als auch als freier Mitarbeiter tätig sein kann. Der sich aus dem Anwaltsrecht ergebende berufliche Status, der mit der Zulassung zum Rechtsanwalt verliehen wird, lässt beide Arten der Erwerbstätigkeit zu. Die Eigenart der Anwaltstätigkeit als eine Dienstleistung höherer Art mit einer aus dem Status eines Organs der Rechtspflege fließenden und von der Form der Ausübung nicht berührten sachlichen Weisungsfreiheit einerseits und einem weitgehend durch Sachzwänge (Gerichtstermine, Beratungstermine, Umfang der Praxis) bestimmten zeitlichen und örtlichen Arbeitsablauf andererseits bringt es mit sich, dass sich das Abgrenzungsmerkmal der äußeren Weisungsgebundenheit hinsichtlich Zeit, Ort und Dauer des Arbeitseinsatzes so reduzieren kann, dass es eine sichere Unterscheidung zwischen abhängiger und selbständiger Ausübung nicht mehr erlaubt. Was die Eingliederung in die Kanzlei als die betriebliche Organisation anbetrifft, gilt auch hier, dass diese wegen der Eigenart der Berufsausübung eines Rechtsanwalts sowohl bei abhängiger Beschäftigung als auch bei freier Mitarbeit in erster Linie durch die Sachgegebenheiten bedingt wird. Auch der freie Mitarbeiter muss sich der sachlich und personellen Ausstattung der Kanzlei bedienen. Dagegen können aus der Art der Vergütung deutlichere Rückschlüsse auf die rechtliche Natur des Arbeitseinsatzes gezogen werden, je nach dem, ob sie mit einem - ggf. pauschalierten - Verlustrisiko belastet ist, deshalb einer Gewinnbeteiligung gleich kommt oder ob sie lediglich als Gegenleistung für geschuldete Arbeitsleistung (bzw. Arbeitsbereitschaft) anzusehen ist. Nur für den Fall, dass die tatsächliche Ausgestaltung der Beziehungen der Anwälte etwa gleichermaßen die Deutung als abhängiges Beschäftigungsverhältnis wie auch als selbständiges freies Mitarbeiterverhältnis zulässt, ist darauf abzustellen, was die Vertragsschließenden gewollt haben.

Unter Beachtung dieser besonderen Abgrenzungsmerkmale geht der Senat nach dem Gesamtbild der Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) in der Kanzlei des Klägers davon aus, dass sie in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis als angestellte Rechtsanwältin im streitigen Zeitraum tätig gewesen ist. Denn die dafür sprechenden Merkmale überwiegen. Für die Annahme des Klägers, die Beigeladene zu 1) sei freie Mitarbeiterin gewesen, spricht lediglich die Zahlung der Umsatzsteuer.

Für das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ist zunächst das von der Rechtsprechung besonders betonte Merkmal der Vereinbarung eines festen Gehalts anzuführen. Mit dieser Regelung im Vertrag hatte die Beigeladene zu 1) Anspruch auf ein gleichbleibendes Monatsgehalt ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Entwicklung der Kanzlei des Klägers. Sie war somit weder am Gewinn noch am Verlust beteiligt und hatte daher auch kein eigenes Unternehmerrisiko, das für einen Selbständigen typisch ist. Ferner war im Vertrag eine wöchentliche Mindestarbeitszeit vereinbart worden, also eine für ein Arbeitsverhältnis charakteristische Arbeitsbedingung, darüber hinaus eine an den Arbeitsanfall und betriebliche Belange gebundene Arbeitszeit. Dadurch wurde die zeitliche Abhängigkeit der Beigeladenen zu 1) vom Kläger über das übliche Maß erhöht. Der Beigeladenen zu 1) war überdies die Bearbeitung eigener Mandate untersagt. Sie hatte mit Ausnahme der Terminswahrnehmungen ihre Arbeit überwiegend in den Räumen der Kanzlei des Klägers zu erbringen. Eine weitere typische Regelung eines Arbeitsverhältnisses war die Gewährung von Urlaubstagen.

Dass die Beigeladene zu 1) fremdbestimmte Arbeit geleistet hat ergibt sich ferner aus ihrer Eingliederung und Stellung in der Kanzlei des Klägers. Sie ist im Namen und für Rechnung der Kanzlei des Klägers aufgetreten, hat also fremdbestimmte Arbeit geleistet. Daran ändert nichts, dass sie Schriftsätze selbst unterschrieben hat. Denn eine ähnliche Verantwortung trägt auch z.B. ein Handlungsbevollmächtigter, Prokurist oder Vorstand eines Unternehmens. Die Beigeladene zu 1) war in die Arbeitsorganisation dergestalt eingebunden, dass sie, wie der Kläger in der Klagebegründung selbst angegeben hat, gegenüber den anderen Kanzleikräften weisungsbefugt war und von ihnen als "zweite Chefin" angesehen wurde. Die vom SG gehörte Zeugin, die im streitigen Zeitraum Sekretärin der Kanzlei gewesen ist, hat für den Senat glaubwürdig ausgeführt, dass die Verteilung der Mandate nach Absprache mit dem Kläger zum Beginn jeder Woche erfolgte. Ein weiterer Grund für ein Beschäftigungsverhältnis ist auch die Übernahme der Kosten der Berufshaftpflichtversicherung durch die Kanzlei des Klägers.

Die Option einer Umsatzbeteiligung und darüber hinaus einer Sozietät mit Gewinnbeteiligung, die im Vertrag unter Ziffer VII geregelt ist, spricht im vorliegenden Fall nicht für eine freie Mitarbeit. Den Gesamtumständen des Falles ist vielmehr zu entnehmen, dass zurzeit des Vertragsschlusses und der Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) diese noch nicht wie ein selbständiger Rechtsanwalt an der wirtschaftlichen Entwicklung der Kanzlei beteiligt sein sollte. Denn es ist unter Anwälten üblich, einem neuen Mitarbeiter nicht sofort, sonders erst nach einer gewissen Bewährung die Sozietät anzubieten.

Da die Gründe für die Annahme eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses eindeutig überwiegen, kommt es nicht darauf an, was der Kläger bei Abschluss des Vertrages mit der Beigeladenen zu 1) insgeheim gewollt hat. Denn er hatte es in der Hand, durch entsprechende und ausdrückliche Regelungen die Rechtsbeziehungen zu der Beigeladenen zu 1) so zu gestalten und zu praktizieren, dass diese ohne Verstoß gegen zwingende sozialversicherungsrechtliche Vorschriften ein selbstständiges freies Mitarbeiterverhältnis begründet hätten.

Aus dem Bestehen des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses der Beigeladenen zu 1) in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung ergibt sich, dass der Kläger zur Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber an die Beklagte (Einzugsstelle) verpflichtet ist (§§ 28d, 28e Abs.1, 28h Abs.1 SGB IV). Da er die Höhe der Beitragsforderung nicht bestritten hat, ist es nicht erforderlich, auf die Höhe der Beiträge näher einzugehen.

Der Senat weist den Kläger abschließend darauf hin, dass auch das LAG München im Beschluss vom 02.11.1999 (10 Ta 249/99) unter Anwendung der o.g. Kriterien gleichfalls zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Beigeladene zu 1) in seiner Kanzlei als angestellte Rechtsanwältin gearbeitet hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Diese Bestimmung lässt zu, dass ein Kläger einem Beigeladenen die außergerichtlichen Kosten zu erstatten hat (Meyer-Ladewig, aaO, § 193, Rn.11, 11a).

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nr.1, 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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