L 4 KR 18/96

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 2 Kr 302/95
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 18/96
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Zur Berechnung des Endes der freiwilligen Mitgliedschaft wegen fehlender Beitragszeiten.
2. Es kann ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit
eines Bescheides gemäß § 191 Nr.4 SGB V auch dann bestehen, wenn die
Mitgliedschaft nicht fortgesetzt werden soll.
I. Es wird festgestellt, daß der Bescheid der Beklagten vom 19. Mai 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 1995 rechtswidrig war.
II. Die Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist nur noch, ob ein Bescheid der Beklagten, mit dem sie dem Kläger das Ende der freiwilligen Mitgliedschaft mitgeteilt hat, rechtswidrig war.

Der am ...1959 geborene Kläger war freiwilliges Mitglied der Beklagten. Die Beklagte hatte mit Schreiben vom 19.04. 1995 mitgeteilt, die fälligen Beiträge für den Vormonat seien bis zum Buchungstag noch nicht eingegangen.

Mit Bescheid vom 19.05.1995 teilte die Beklagte dem Kläger mit, trotz Hinweises auf die Folgen habe er die rückständigen Beiträge für März und April zur Krankenversicherung und Pflege- versicherung nicht bezahlt. Die Mitgliedschaft ende deshalb am 15.05.1995. Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe bezahlt und im übrigen die Aufrechnung erklärt. Der Widerspruch wurde mit Bescheid vom 17.07.1995 zurückgewiesen.

Das Sozialgericht München hat die hiergegen erhobene Klage mit Urteil vom 26.10.1995 abgewiesen mit der Begründung, der Kläger habe für die Monate März und April 1995 die Beiträge nicht bezahlt. Deshalb sei die Rechtsfolge des § 191 Nr.3 SGB V zum 15.05.1995 eingetreten, der Kläger seitdem nicht mehr freiwilliges Mitglied der Beklagten. Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung, mit der der Kläger zuerst die Aufhebung des Sozialgerichtsurteils sowie der streitgegenständlichen Bescheide begehrt hat.

Weil der Kläger mittlerweile bei der Barmer Ersatzkasse versichert ist, beantragt er,

festzustellen, daß die Kündigung seitens der Beklagten rechtswidrig gewesen ist.

Als Feststellungsinteresse benennt er die Notwendigkeit einer Amtshaftungsklage. Aufgrund seiner schweren Erkrankung habe er im Sommer 1995 eine stationäre Heilbehandlung antreten wollen, die mangels Versicherungsschutzes nicht möglich gewesen sei. In der Folge habe er nur 1.200,- DM monatlich verdienen können, obwohl durch erfolgte stationäre Behandlung sein Leistungsvermögen sowie sein Gehalt wesentlich höher ausgefallen wäre.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und die Feststellungsklage abzuweisen.

Auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 143 SGG statthafte Berufung, die nicht der Zulassung gemäß § 144 SGG bedarf und außerdem form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegt wurde, ist zulässig.

Der vom Kläger im Berufungsverfahren nur noch gestellte Antrag, festzustellen, daß die Kündigung seitens der Beklagten rechtswidrig gewesen ist, wird vom Senat als Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes der Beklagten vom 19. Mai 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 1995 angesehen. Es handelt sich dabei um einen Fortsetzungsfeststellungsantrag gemäß § 131 Abs.1 Satz 3 SGG. Danach hat das Gericht auf Antrag durch Urteil auszusprechen, daß ein Verwaltungsakt rechtswidrig ist, wenn er sich vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt hat, sofern der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Der Verwaltungsakt, mit dem die Beklagte dem Kläger das Ende der freiwilligen Mitgliedschaft gemäß § 191 Nr.3 SGB V mitgeteilt hat, wurde vom Kläger anfangs angefochten mit dem Ziel, weiter freiwilliges Mitglied der Beklagten sein zu können. Dieses Interesse hat der Kläger nicht mehr, nachdem er Mitglied bei der Barmer Ersatzkasse geworden ist. Damit hat sich der Verwaltungsakt auf andere Weise erledigt.

Der Kläger hat jedoch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes. Dabei ist ein rechtliches Interesse nicht erforderlich, es genügt ein durch die Sachlage vernünftigerweise gerechtfertigtes Interesse, das rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein kann (Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, § 131 ). Auch die Absicht, weitergehende Ansprüche geltend zu machen, begründet das Feststellungsinteressse. Ein derartiges Feststellungsinteresse hat der Kläger hinreichend dargelegt. Die von ihm angekündigte Schadensersatzklage wäre jedenfalls nicht offensichtlich aussichtslos und kann daher nach der ständigen Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte das Feststellungsinteresse in ausreichendem Maße begründen (BSG, Urteil vom 10.07.1996, SozR 3-2500 § 126 Nr.2). Eine Klage wegen Amtspflichtverletzung nach Art.34 Grundgesetz i.V.m. § 839 BGB wird als offensichtlich aussichtslos angesehen, wenn ein Verschulden des Amtsträgers ausgeschlossen werden kann (BSG a.a.O.). Nach Auffassung des Senats läßt sich ein Verschulden nicht ausschließen. Ebensowenig läßt sich ausschließen, daß dem Kläger tatsächlich Schaden entstanden ist durch die Beendigung der freiwilligen Mitgliedschaft und daß er imstande sein könnte, diesen Schaden schlüssig darzulegen und ggf. zu beweisen. Die herrschende Meinung verneint ein Verschulden der Behörde, wenn ein mit mehreren Berufsrichtern besetztes Kollegialgericht die Rechtmäßigkeit des Behördenhandelns bestätigt hat (BSG a.a.O. m.w.N.). Da der Senat der Auffassung ist, daß der streitgegenständliche Bescheid rechtswidrig war, kann auch mit dieser Argumentation nicht die Aussichtslosigkeit einer Amtspflichtverletzungsklage gestützt werden. Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse besteht.

Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist begründet, die freiwillige Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten hat nicht zum 15.05.1995 geendet, weil die Voraussetzungen des § 191 Nr.3 SGB V zu diesem Zeitpunkt nicht vorlagen.

Nach dieser Norm endet die freiwillige Mitgliedschaft mit Ablauf des nächsten Zahltages, wenn für zwei Monate die fälligen Beiträge trotz Hinweises auf die Folgen nicht entrichtet wurden. Dabei tritt das Ende bereits schon dann ein, wenn am maßgeblichen Zahltag nur Teilbeträge von 2 Monatsbeiträgen rückständig sind (BSG, Urteil vom 23.02. 1995, SozR 3-2500 § 191 Nr.2).

Die Beklagte hat den Kläger zwar mit Schreiben vom 19.04.1995 darauf hingewiesen, daß die bis 15.04.1995 (§ 20 Abs.1 der Satzung der AOK Mühldorf) fälligen Beiträge für März 1995 noch nicht eingegangen sind. Außerdem hat sie darauf hingewiesen, daß die Mitgliedschaft ende, wenn die Beiträge für 2 Monate nicht bezahlt würden. Ob dieser Hinweis, der weder ein Datum des Endes der Mitgliedschaft nennt und damit auch keine Nachfrist setzt, ausreichend ist (s. Peters, KassKomm, § 191 SGB V RdNr.13, 14), kann offen bleiben, denn die Beklagte hat im Bescheid vom 19.05.1995 das Ende der Mitgliedschaft, das gemäß § 191 SGB V kraft Gesetzes eintritt, falsch berechnet. Die Mitgliedschaft endet mit Ablauf des nächsten Zahltages, wenn für 2 Monate die fälligen Beiträge trotz Hinweises auf die Folgen nicht entrichtet wurden (§ 191 Nr.3 SGB V), d.h. mit Ablauf des Zahltages, der auf den Zahltag folgt, zu dem der letzte der beiden rückständigen Beiträge zu zahlen war. (Peters a.a.O., BSG, Urteil vom 23.02.1995, SozR 3-2500 § 191 Nr.2). Zwar wird die von der Beklagten angewandte Berechnung auch von Baier in Krauskopf SGB V als "zutreffender und sachgerechter" unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung angesehen, doch steht sie gegen den Wortlaut der Norm, wofür kein Grund ersichtlich ist. Rückständig waren Beiträge für März und April 1995, Zahltag für den Beitrag April war der 15.05.1995, der nächste Zahltag wäre der Zahltag für den Beitrag Mai, also der 15.06.1995. Da die Beklagte auch im Widerspruchsbescheid vom 17.07.1995 bei einer Beendigung der Mitgliedschaft zum 15.05.1995 verblieb, sind beide Bescheide nicht dem Gesetz entsprechend, also rechtswidrig.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Obsiegen des Klägers.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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