Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 12 AL 38/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 01.07.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.02.1999 verurteilt, den Antrag des Klägers vom 01.04.1998 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägers.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch auf Überbrückungsgeld.
Der ... geborene Kläger kann seinen erlernten Beruf als ... aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben. Seit dem 02.11.1995 bezog er Arbeitslosenhilfe. Mit Bescheid vom 23.01.1996 erklärte sich die Beigeladene als für die berufliche Rehabilitation zuständiger Leistungsträger bereit, Leistung zur Förderung der Arbeitsaufnahme zu erbringen.
Am 01.04.1998 beantragte der Kläger bei der Beklagten Überbrückungsgeld zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit ab 01.05.1998 als Kaufmann (Lottoannahmestelle/Tabakwarengeschäft) unter Beifügung einer Stellungnahme der IHK ... und der Stadtsparkasse ... über die Tragfähigkeit der Existenzgründung.
Mit Bescheid vom 01.07.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.02.1999 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit im wesentlichen mit der Begründung ab, die Beigeladene sei vorrangiger Leistungsträger. Ein Anspruch gegen die Beklagte sei nach § 22 Abs. 2 SGB III deshalb ausgeschlossen, auch wenn die Gewährung von Überbrückungsgeld zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit in den Leistungsvorschriften des vorrangigen Leistungsträgers nicht enthalten sei. Unabhängig davon sei eine Förderung auch deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger kein neues Geschäft gegründet, sondern ein bestehendes übernommen habe.
Den von der Beklagten zunächst an sie weitergeleiteten Antrag vom 01.04.1998 hatte die Beigeladene mit bestandskräftigem Bescheid vom 28.05.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.12.1998 mit der Begründung abgelehnt, das Überbrückungsgeld zur Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit nicht zu der im SGB VI vorgesehenen berufsfördernden Leistung zur Rehabilitation gehöre. Der Kläger könne diese Leistung nur von der Beklagten gemäß § 57 SGB III erhalten.
Zur Begründung seiner am 04.03.1999 erhobenen Klage meint der Kläger, die Beklagte sei für die Gewährung des Überbrückungsgeldes zuständig. Er dürfe als Behinderter nicht durch einen Zuständigkeitsstreit zwischen der Beklagten und der Beigeladenen schlechter gestellt werden. Unabhängig von den Vorschriften zur Förderung der beruflichen Eingliederung Behinderter sei das Überbrückungsgeld unmittelbar gemäß § 57 SGB III zu gewähren.
Seine am 01.05.1998 aufgenommene selbständige Tätigkeit übe er seither ununterbrochen aus. Auch die Übernahme eines bestehenden Geschäftes sei eine Existenzgründung. Er habe aufgrund der (näher dargelegten) Verhältnisse ein Überbrückungsgeld auch dringend benötigt.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 01.07.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.02.1999 zu verurteilen, seinen Antrag vom 01.04.1998 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide aus den im Widerspruchsbescheid genannten Gründen für rechtmäßig. Da die Beigeladene für die berufliche Rehabilitation des Klägers zuständig sei, sei die Gewährung von Leistungen zur beruflichen Rehabilitation durch die Beklagte ausgeschlossen, auch wenn die Beigeladene bestimmte Leistungen nach ihrem Leistungskatalog nicht zu erbringen habe.
Unabhängig davon werde die Übernahme eines Geschäftes von ihr grundsätzlich nicht nach § 57 SGB III gefördert.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag und führt aus, es sei zwar zutreffend, daß sie der für den Kläger zuständige Träger für berufsfördernde Leistung zur Rehabilitation sei. Bei dem im Streit stehenden Überbrückungsgeld zur Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit handele es sich aber nicht um eine berufsfördernde Leistung zur Rehabilitation. Vielmehr werde in § 57 SGB III Überbrückungsgeld als Leistung an Versicherte in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer gewährt, die durch Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden oder vermeiden. Dies berühre weder die Vorschriften des RehaAnglG, noch § 22 SGB III, weil der Rentenversicherungsträger in diesen Fällen nicht zur Leistung verpflichtet sei, da es sich nicht um eine berufsfördernde Leistung zur Rehabilitation handele. In diesem Sinne habe auch bereits das Sozialgericht Aachen durch nicht rechtskräftiges Urteil vom 18.06.1999 - S 8 RA 148/98, jetzt LSG NRW L 8 RA 58/99 - und die erkennende Kammer durch Urteil vom 25.01.2000 - S 12 AL 5/99 - entschieden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozeßakten und der den Kläger betreffenden Leistungsakten der Beklagten verwiesen. Diese Akten haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Die Beklagte hat über den Antrag des Klägers auf Gewährung von Überbrückungsgeld vom 01.04.1998 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Nach § 57 Abs. 1 SGG III können Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden oder vermeiden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Überbrückungsgeld erhalten. Das Überbrückungsgeld kann nach § 57 Abs. 2 SGB III geleistet werden, wenn der Arbeitnehmer im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit mindestens 4 Wochen Arbeitslosengeld bezogen und eine Stellungnahme einer fachkundigen Stelle über die Tragfähigkeit der Existenzgründung vorgelegen hat. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger. Bis zu der am 01.05.1998 aufgenommenen selbständigen Tätigkeit war er ein arbeitsloser Arbeitnehmer, der mit seiner Existenzgründung seine Arbeitslosigkeit beendet hat. Bis zum 30.04.1998 hat er seit dem 02.11.1995 Arbeitslosenhilfe bezogen. Er hat auch Stellungnahmen zweier fachkundigen Stelle vorgelegt, nach der seine Existenzgründung tragfähig ist.
Unerheblich ist, daß der Kläger sich durch Übernahme einer bestehenden Einzelfirma selbständig gemacht hat. § 57 SGB III unterscheidet nicht zwischen Neugründung und Übernahme eines Betriebes, sondern stellt allgemein auf die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit ab. Auch aus der Gesetzesformulierung "Existenzgründung" läßt sich eine solche Unterscheidung nicht herleiten. Denn in § 57 Abs. 1 SGB III verlangt als Tatbestandsmerkmal die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit und sieht in der Rechtsfolge die Gewährung von Überbrückungsgeld vor "in der Zeit nach der Existenzgründung". Die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit zur Beendigung der Arbeitslosigkeit wird dadurch gleichgesetzt mit einer Existenzgründung. Dies entspricht auch dem allgemeinen Sprachgebrauch, wonach durch die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit eine selbständige Existenz gegründet wird (in der Kommentarliteratur wird die von der Beklagten vorgenommene Unterscheidung nicht einmal gesehen, vgl. z.B. Winkler in Gagel, SGB III, § 57; Götze in GK-SGB III, § 57; Menard in Niesel, SGB III, § 57). Die Übernahme eines bestehenden Geschäftes kann allenfalls bei der im Rahmen der Ermessensentscheidung vorzunehmenden Abwägung der Umstände des Einzelfalles von Bedeutung sein. Dabei darf sich die Beklagte nicht ausschließlich an ihren allgemeinen Richtlinien orientieren (Winkler, a.a.O. Rdnr 27). Eine Ablehnung mit der Begründung, bei Übernahme eines Geschäftes werde Überbrückungsgeld grundsätzlich nicht gewährt, wäre in jedem Falle ermessenfehlerhaft.
Die Gewährung von Überbrückungsgeld nach § 57 SGB III an den Kläger ist nicht dadurch ausgeschlossen, daß dieser Behinderter im Sinne von § 19 SGB III und für die Gewährung von Leistungen zur beruflichen Rehabilitation die Beigeladene zuständig ist, die sich durch ihren Bescheid vom 23.01.1996 auch für zuständig erklärt hat. Zwar ist der Beklagten zuzugeben, daß sie im Hinblick darauf durch § 22 Abs. 2 SGB III gehindert ist, allgemeine und besondere Leistungen zur beruflichen Eingliederung Behinderter zu erbringen, denn nach dieser Vorschrift dürfen solche Leistungen nur erbracht werden, sofern nicht ein anderer Rehabilitationsträger im Sinne des RehaAnglG zuständig ist. Dabei übersieht die Beklagte aber, das Überbrückungsgeld zur Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit nicht nur eine Leistung zur Förderung der beruflichen Eingliederung Behinderter ist (insoweit mißverständlich Friedrich, Deutsche Rentenversicherung 1999 S. 763, 764, der von einer Zuordnung statt einer Einbeziehung der Leistungen zur Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit zu den allgemeinen Leistungen zur Förderung der beruflichen Eingliederung Behinderter spricht). Vielmehr handelt es sich bei dieser Leistung gem. § 100 Nr. 4 SGB III auch um eine allgemeine Leistung zur Förderung der beruflichen Eingliederung Behinderter. Die Einbeziehung der Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit in die allgemeinen Leistungen der Förderung der beruflichen Eingliederung Behinderter verpflichtet die Beklagte als Rehabilitationsträger, bei der Ermessensausübung auch die besonderen Belange Behinderter zu berücksichtigen.
Durch § 22 Abs. 2 SGB III ist nur die Gewährung von Überbrückungsgeld nach § 100 Nr. 4 SGB III ausgeschlossen. Das hindert die Beklagte aber nicht, die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit durch einen Behinderten wie bei einem nicht Behinderten unmittelbar nach § 57 SGB III zu fördern. § 22 Abs. 1 SGB III, wonach Leistungen der aktiven Arbeitsförderung nur erbracht werden dürfen, wenn nicht andere Leistungsträger oder andere öffentlich rechtliche Stellen zur Erbringung gleichartiger Leistungen gesetzlich verpflichtet sind, steht dem nicht entgegen. Zwar handelt es sich bei der Förderung einer selbständigen Tätigkeit um Leistungen der aktiven Arbeitsförderung. Es gibt jedoch keinen anderen Leistungsträger und auch keine andere öffentlich rechtliche Stelle, die zur Erbringung einer gleichartigen Leistung gesetzlich verpflichtet ist. Der Leistungskatalog der Beklagten für Leistungen zur beruflichen Rehabilitation sieht Leistungen zur Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit nicht vor, wovon auch die Beklagte in Übereinstimmung mit der Beigeladenen ausgeht (ebenso SG Aachen a.a.O.; vgl. auch Friedrich, a.a.O. S. 765 ff).
Da dem Kläger Überbrückungsgeld im Hinblick auf die Zuständigkeit der Beigeladenen nicht nach § 100 Ziff. 4 SGB III gewährt werden kann, hat die Beklagte über seinen Antrag wie bei nicht Behinderten unmittelbar nach § 57 SGB III zu entscheiden. Durch die Anerkennung als Reha-Fall wird eine aktive Arbeitsförderung nicht ausgeschlossen, wenn die begehrte Leistung im Rahmen der beruflichen Rehabilitation durch einen anderen Leistungsträger nicht erbracht werden kann. Jedes andere Ergebnis wäre verfassungswidrig. Nach Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Wäre die Rechtsauffassung der Beklagten zutreffend, läge ein Verstoß gegen dieses Verfassungsgebot vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch auf Überbrückungsgeld.
Der ... geborene Kläger kann seinen erlernten Beruf als ... aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben. Seit dem 02.11.1995 bezog er Arbeitslosenhilfe. Mit Bescheid vom 23.01.1996 erklärte sich die Beigeladene als für die berufliche Rehabilitation zuständiger Leistungsträger bereit, Leistung zur Förderung der Arbeitsaufnahme zu erbringen.
Am 01.04.1998 beantragte der Kläger bei der Beklagten Überbrückungsgeld zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit ab 01.05.1998 als Kaufmann (Lottoannahmestelle/Tabakwarengeschäft) unter Beifügung einer Stellungnahme der IHK ... und der Stadtsparkasse ... über die Tragfähigkeit der Existenzgründung.
Mit Bescheid vom 01.07.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.02.1999 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit im wesentlichen mit der Begründung ab, die Beigeladene sei vorrangiger Leistungsträger. Ein Anspruch gegen die Beklagte sei nach § 22 Abs. 2 SGB III deshalb ausgeschlossen, auch wenn die Gewährung von Überbrückungsgeld zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit in den Leistungsvorschriften des vorrangigen Leistungsträgers nicht enthalten sei. Unabhängig davon sei eine Förderung auch deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger kein neues Geschäft gegründet, sondern ein bestehendes übernommen habe.
Den von der Beklagten zunächst an sie weitergeleiteten Antrag vom 01.04.1998 hatte die Beigeladene mit bestandskräftigem Bescheid vom 28.05.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.12.1998 mit der Begründung abgelehnt, das Überbrückungsgeld zur Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit nicht zu der im SGB VI vorgesehenen berufsfördernden Leistung zur Rehabilitation gehöre. Der Kläger könne diese Leistung nur von der Beklagten gemäß § 57 SGB III erhalten.
Zur Begründung seiner am 04.03.1999 erhobenen Klage meint der Kläger, die Beklagte sei für die Gewährung des Überbrückungsgeldes zuständig. Er dürfe als Behinderter nicht durch einen Zuständigkeitsstreit zwischen der Beklagten und der Beigeladenen schlechter gestellt werden. Unabhängig von den Vorschriften zur Förderung der beruflichen Eingliederung Behinderter sei das Überbrückungsgeld unmittelbar gemäß § 57 SGB III zu gewähren.
Seine am 01.05.1998 aufgenommene selbständige Tätigkeit übe er seither ununterbrochen aus. Auch die Übernahme eines bestehenden Geschäftes sei eine Existenzgründung. Er habe aufgrund der (näher dargelegten) Verhältnisse ein Überbrückungsgeld auch dringend benötigt.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 01.07.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.02.1999 zu verurteilen, seinen Antrag vom 01.04.1998 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide aus den im Widerspruchsbescheid genannten Gründen für rechtmäßig. Da die Beigeladene für die berufliche Rehabilitation des Klägers zuständig sei, sei die Gewährung von Leistungen zur beruflichen Rehabilitation durch die Beklagte ausgeschlossen, auch wenn die Beigeladene bestimmte Leistungen nach ihrem Leistungskatalog nicht zu erbringen habe.
Unabhängig davon werde die Übernahme eines Geschäftes von ihr grundsätzlich nicht nach § 57 SGB III gefördert.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag und führt aus, es sei zwar zutreffend, daß sie der für den Kläger zuständige Träger für berufsfördernde Leistung zur Rehabilitation sei. Bei dem im Streit stehenden Überbrückungsgeld zur Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit handele es sich aber nicht um eine berufsfördernde Leistung zur Rehabilitation. Vielmehr werde in § 57 SGB III Überbrückungsgeld als Leistung an Versicherte in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer gewährt, die durch Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden oder vermeiden. Dies berühre weder die Vorschriften des RehaAnglG, noch § 22 SGB III, weil der Rentenversicherungsträger in diesen Fällen nicht zur Leistung verpflichtet sei, da es sich nicht um eine berufsfördernde Leistung zur Rehabilitation handele. In diesem Sinne habe auch bereits das Sozialgericht Aachen durch nicht rechtskräftiges Urteil vom 18.06.1999 - S 8 RA 148/98, jetzt LSG NRW L 8 RA 58/99 - und die erkennende Kammer durch Urteil vom 25.01.2000 - S 12 AL 5/99 - entschieden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozeßakten und der den Kläger betreffenden Leistungsakten der Beklagten verwiesen. Diese Akten haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Die Beklagte hat über den Antrag des Klägers auf Gewährung von Überbrückungsgeld vom 01.04.1998 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Nach § 57 Abs. 1 SGG III können Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden oder vermeiden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Überbrückungsgeld erhalten. Das Überbrückungsgeld kann nach § 57 Abs. 2 SGB III geleistet werden, wenn der Arbeitnehmer im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit mindestens 4 Wochen Arbeitslosengeld bezogen und eine Stellungnahme einer fachkundigen Stelle über die Tragfähigkeit der Existenzgründung vorgelegen hat. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger. Bis zu der am 01.05.1998 aufgenommenen selbständigen Tätigkeit war er ein arbeitsloser Arbeitnehmer, der mit seiner Existenzgründung seine Arbeitslosigkeit beendet hat. Bis zum 30.04.1998 hat er seit dem 02.11.1995 Arbeitslosenhilfe bezogen. Er hat auch Stellungnahmen zweier fachkundigen Stelle vorgelegt, nach der seine Existenzgründung tragfähig ist.
Unerheblich ist, daß der Kläger sich durch Übernahme einer bestehenden Einzelfirma selbständig gemacht hat. § 57 SGB III unterscheidet nicht zwischen Neugründung und Übernahme eines Betriebes, sondern stellt allgemein auf die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit ab. Auch aus der Gesetzesformulierung "Existenzgründung" läßt sich eine solche Unterscheidung nicht herleiten. Denn in § 57 Abs. 1 SGB III verlangt als Tatbestandsmerkmal die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit und sieht in der Rechtsfolge die Gewährung von Überbrückungsgeld vor "in der Zeit nach der Existenzgründung". Die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit zur Beendigung der Arbeitslosigkeit wird dadurch gleichgesetzt mit einer Existenzgründung. Dies entspricht auch dem allgemeinen Sprachgebrauch, wonach durch die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit eine selbständige Existenz gegründet wird (in der Kommentarliteratur wird die von der Beklagten vorgenommene Unterscheidung nicht einmal gesehen, vgl. z.B. Winkler in Gagel, SGB III, § 57; Götze in GK-SGB III, § 57; Menard in Niesel, SGB III, § 57). Die Übernahme eines bestehenden Geschäftes kann allenfalls bei der im Rahmen der Ermessensentscheidung vorzunehmenden Abwägung der Umstände des Einzelfalles von Bedeutung sein. Dabei darf sich die Beklagte nicht ausschließlich an ihren allgemeinen Richtlinien orientieren (Winkler, a.a.O. Rdnr 27). Eine Ablehnung mit der Begründung, bei Übernahme eines Geschäftes werde Überbrückungsgeld grundsätzlich nicht gewährt, wäre in jedem Falle ermessenfehlerhaft.
Die Gewährung von Überbrückungsgeld nach § 57 SGB III an den Kläger ist nicht dadurch ausgeschlossen, daß dieser Behinderter im Sinne von § 19 SGB III und für die Gewährung von Leistungen zur beruflichen Rehabilitation die Beigeladene zuständig ist, die sich durch ihren Bescheid vom 23.01.1996 auch für zuständig erklärt hat. Zwar ist der Beklagten zuzugeben, daß sie im Hinblick darauf durch § 22 Abs. 2 SGB III gehindert ist, allgemeine und besondere Leistungen zur beruflichen Eingliederung Behinderter zu erbringen, denn nach dieser Vorschrift dürfen solche Leistungen nur erbracht werden, sofern nicht ein anderer Rehabilitationsträger im Sinne des RehaAnglG zuständig ist. Dabei übersieht die Beklagte aber, das Überbrückungsgeld zur Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit nicht nur eine Leistung zur Förderung der beruflichen Eingliederung Behinderter ist (insoweit mißverständlich Friedrich, Deutsche Rentenversicherung 1999 S. 763, 764, der von einer Zuordnung statt einer Einbeziehung der Leistungen zur Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit zu den allgemeinen Leistungen zur Förderung der beruflichen Eingliederung Behinderter spricht). Vielmehr handelt es sich bei dieser Leistung gem. § 100 Nr. 4 SGB III auch um eine allgemeine Leistung zur Förderung der beruflichen Eingliederung Behinderter. Die Einbeziehung der Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit in die allgemeinen Leistungen der Förderung der beruflichen Eingliederung Behinderter verpflichtet die Beklagte als Rehabilitationsträger, bei der Ermessensausübung auch die besonderen Belange Behinderter zu berücksichtigen.
Durch § 22 Abs. 2 SGB III ist nur die Gewährung von Überbrückungsgeld nach § 100 Nr. 4 SGB III ausgeschlossen. Das hindert die Beklagte aber nicht, die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit durch einen Behinderten wie bei einem nicht Behinderten unmittelbar nach § 57 SGB III zu fördern. § 22 Abs. 1 SGB III, wonach Leistungen der aktiven Arbeitsförderung nur erbracht werden dürfen, wenn nicht andere Leistungsträger oder andere öffentlich rechtliche Stellen zur Erbringung gleichartiger Leistungen gesetzlich verpflichtet sind, steht dem nicht entgegen. Zwar handelt es sich bei der Förderung einer selbständigen Tätigkeit um Leistungen der aktiven Arbeitsförderung. Es gibt jedoch keinen anderen Leistungsträger und auch keine andere öffentlich rechtliche Stelle, die zur Erbringung einer gleichartigen Leistung gesetzlich verpflichtet ist. Der Leistungskatalog der Beklagten für Leistungen zur beruflichen Rehabilitation sieht Leistungen zur Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit nicht vor, wovon auch die Beklagte in Übereinstimmung mit der Beigeladenen ausgeht (ebenso SG Aachen a.a.O.; vgl. auch Friedrich, a.a.O. S. 765 ff).
Da dem Kläger Überbrückungsgeld im Hinblick auf die Zuständigkeit der Beigeladenen nicht nach § 100 Ziff. 4 SGB III gewährt werden kann, hat die Beklagte über seinen Antrag wie bei nicht Behinderten unmittelbar nach § 57 SGB III zu entscheiden. Durch die Anerkennung als Reha-Fall wird eine aktive Arbeitsförderung nicht ausgeschlossen, wenn die begehrte Leistung im Rahmen der beruflichen Rehabilitation durch einen anderen Leistungsträger nicht erbracht werden kann. Jedes andere Ergebnis wäre verfassungswidrig. Nach Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Wäre die Rechtsauffassung der Beklagten zutreffend, läge ein Verstoß gegen dieses Verfassungsgebot vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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