L 4 KR 39/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 3 KR 199/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 39/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 23.02.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist Versicherungsfreiheit in der Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung von März 1997 bis Anfang April 1998.

Der am ... 1972 geborene Kläger hatte am 19.02.1997 die Erste Juristische Staatsprüfung abgelegt. Seit 01.04.1997 war er als Promotionsstudent an der Ludwig-Maximilians-Universität München immatrikuliert und bereits ab 01.03.1997 als wissenschaftliche Hilfskraft des Instituts für Handels-, Wirtschafts- und Arbeitsrecht der Ludwig-Maximilians-Universität München für 13 Stunden je Woche zu einer monatlichen Bruttovergütung von 1.402,96 DM tätig.

Mit Bescheid vom 29.08.1997 entschied die Beklagte über die Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherungspflicht seiner Beschäftigung als wissenschaftliche Hilfskraft, der Kläger sei nicht versicherungsfrei, weil keine geringfügige Beschäftigung vorliege und er nicht ordentlicher Studierender einer Hochschule sei.

Der Kläger legte gegen diesen Bescheid am 10.09.1997 Widerspruch ein; er machte geltend, er sei als ordentlicher Studierender anzusehen. Nach seinem Erscheinungsbild - darauf komme es nach der Rechtsprechung an - sei er noch Student. Nicht überwiegend mit wissenschaftlicher Ausbildung und Arbeit beschäftigt seien. Seine Arbeitszeit werde im Wesentlichen durch das Promotionsstudium beansprucht.

Die Beklagte führte mit Schreiben vom 23.09.1997 die Gründe ihres Bescheids vom 29.08.1997 aus: Ein Doktorand sei kein ordentlicher Studierender mehr; mit der Ersten Juristischen Staatsprüfung sei die Hochschulausbildung abgeschlossen. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Erweiterungs- oder Zweitstudium sei auf das Promotionsstudium nicht anwendbar. Auch Versicherungsfreiheit wegen geringfügiger Beschäftigung komme nicht in Betracht; eine solche liege aufgrund des gezahlten Entgelts nicht vor. Der Kläger unterliege vom 01.03.1997 bis 31.08.1997 der Sozial- und Arbeitslosenversicherungspflicht. Mit Schreiben vom 29.09.1997 entgegnete der Kläger, das Promotionsstudium sei so zu behandeln wie ein Erweiterungs- oder Zweitstudium. Mit Bescheid vom 20.10.1997 stellte die Beklagte fest, der Kläger habe vom 01.03. bis 31.03.1997 der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherungspflicht, jedoch nicht der Arbeitslosenversicherungspflicht unterlegen; diese sei erst ab 01.04.1997 hinzugekommen. Am 03.04.1998 trat der Kläger in ein Beamtenverhältnis auf Widerruf zum Freistaat Bayern als Rechtsreferendar ein.

Der Kläger hat am 23.04.1998 Untätigkeitsklage beim Sozialgericht München (SG) erhoben. Die Beklagte hat den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20.05.1998 zurückgewiesen. Der Kläger sei nicht versicherungsfrei, weil er während des Promotionsstudiums kein ordentlicher Studierender sei. Mit Bestehen der Abschlussprüfung sei die wissenschaftliche Ausbildung beendet.

Mit Schreiben vom 01.09.1998 hat der Kläger seine Klage in eine Anfechtungsklage umgestellt und geltend gemacht, die Promotion stelle keine Weiterbildung dar und gehöre angesichts der verschärften Wettbewerbsbedingungen für Stellen suchende Juristen zur juristischen Ausbildung.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 23.02.1999 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger sei in der Zeit, in der er gleichzeitig als Doktorand immatrikuliert sei und als wissenschaftlicher Mitarbeiter arbeite, sozialversicherungspflichtig in der Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung. Versicherungsfreiheit liege nicht vor, da der Kläger seinem Erscheinungsbild nach kein Student mehr sei. Das Promotionsstudium sei zwar Vorstufe der späteren Berufsausübung, zähle aber nicht zur Berufsausbildung im engeren Sinn. Voraussetzung für die Versicherungsfreiheit sei, dass das Studium nicht - anders als im vorliegenden Fall - bereits vollständig abgeschlossen sei. Der Studentenbegriff des Hochschulrechts sei für das Sozialrecht nicht maßgebend.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 06.04.1999, mit der er an seiner bisherigen Ansicht festhält, ein Promotionsstudium sei einem Zweit- oder Erweiterungsstudium hinsichtlich der Versicherungsfreiheit gleichzustellen.

Er beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 23.02.1999 sowie die Bescheide der Beklagten vom 29.08.1997 und 20.10.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.05.1998 aufzuheben und Versicherungsfreiheit seiner während des Studiums ausgeübten entgeltlichen Beschäftigung für die Zeit vom 1. März 1997 bis 1. April 1998 festzustellen.

Die Beklagte und der Beigeladene zu 2) beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG. Auf den Inhalt dieser Akten sowie die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie ist nach § 143 SGG statthaft und wurde form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 SGG).

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide noch auf die beantragte Feststellung der Versicherungsfreiheit (§ 55 Abs.1 Nr.1 SGG). Die Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig.

Die am 01.03.1997 aufgenommene entgeltliche Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft an der Ludwig-Maximilians-Universität München unterlag der Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung sowie Rentenversicherung (§ 5 Abs.1 Nr.1 Sozialgesetzbuch (SGB) V, § 20 Abs.1 Nr.1 SGB XI, § 1 Satz 1 Nr.1 SGB VI). Die Beitragspflicht nach dem Arbeitsförderungsgesetz bestimmte sich bis 31.12.1997 nach §§ 167, 168 Abs.1 AFG, die Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung trat ab 01.01.1998 ein (§§ 24 Abs.1, 25 Abs.1 SGB III). In der Pflegeversicherung beurteilt sich die Versicherungsfreiheit nach den entsprechenden Vorschriften des SGB V.

Ein Tatbestand, der zur Versicherungsfreiheit führte, war im streitigen Zeitraum nicht gegeben; Versicherungsfreiheit in der Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung ergab sich erst mit Aufnahme der Referendartätigkeit (§ 6 Abs.1 Nr.2 SGB V, § 20 Abs.1 Satz 1 SGB XI, § 27 Abs.1 Nr.1 SGB III, § 5 Abs.1 Nr.1 SGB VI).

Der Kläger war nicht wegen einer geringfügigen Beschäftigung versicherungsfrei (§ 7 SGB V,§ 20 Abs.1 Satz 1 SGB XI, § 169a Abs.2 AFG bzw. § 27 Abs.2 SGB III, § 5 Abs.2 Satz 1 Nr.1 SGB VI). Denn eine geringfügige Beschäftigung im Sinn von § 8 Abs.1 Nr.1 SGB IV war wegen des regelmäßigen monatlichen Arbeitsentgelts in Höhe von über 1.400,00 DM nicht gegeben.

In der Rentenversicherung existierte das sog. "Werkstudentenprivileg" im streitigen Zeitraum nicht mehr (vgl. § 5 Abs.3 SGB VI); die Vorschrift wurde mit Wirkung zum 01.10.1996 aufgehoben (Art.1 Nr.2 i.V.m. Art.12 Abs.5 Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz - WFG).

Im Übrigen bestand keine Beitrags- bzw. Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs.1 Nr.3 SGB V, § 169b Satz 1 Nr.2 AFG bzw. § 27 Abs.4 Satz 1 Nr.2 SGB III. Denn der Kläger war nicht als "ordentlicher Studierender einer Hochschule" im Sinne dieser Vorschriften anzusehen. Er war zwar an der Ludwig-Maximilians-Universität München als Promotionsstudent eingeschrieben. Dass er damit hochschulrechtlich den Status eines ordentlichen Studenten erlangt hatte, führt nicht dazu, dass er auch als solcher im Sinne des Sozialversicherungsrechts anzusehen wäre. Denn die Länder können durch die Hochschulgesetzgebung die Krankenversicherungspflicht oder die Versicherungsfreiheit nicht präjudizieren (vgl. für § 5 Abs.1 Nr.9 SGB V Bundessozialgericht (BSG) vom 23.03.1993 SozR 3-2500 § 5 Nr.10).

Die Auslegung des sozialversicherungsrechtlichen Begriffs des "ordentlichen Studierenden" ergibt, dass der Promotionsstudent nicht hierunter fällt. § 5 Abs.1 Nr.1 SGB V und § 24 Abs.1 i.V.m. § 25 Abs.1 SGB III stellen den Grundsatz auf, dass alle Arbeitnehmer, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, der Versicherungspflicht unterliegen; dies galt entsprechend für die Beitragspflicht nach dem AFG (§ 168 Abs.1 Satz 1 AFG). § 20 Abs.1 Satz 1 SGB XI übernimmt dieses Prinzip auch für die Pflegeversicherung. Demgegenüber stellen § 6 Abs.1 Nr.3 SGB V und § 169b Satz 1 Nr.2 AFG bzw. § 27 Abs.4 Satz 1 Nr.2 SGB III Ausnahmeregelungen dar, die geschaffen wurden, um Studierenden, die sich ihr Studium durch Arbeit finanzieren müssen, gegenüber solchen, die finanzielle Unterstützung aus dem Elternhaus erhalten, nicht zu benachteiligen. Der Kreis dieser Studenten sollte nicht durch hohe Sozialversicherungsbeiträge belastet werden, zumal bei der Kranken- und Pflegeversicherung der Versicherungsschutz regelmäßig anderweitig sichergestellt ist (entweder Pflichtversicherung als Student oder Familienversicherung).

Der Ausnahmecharakter der Vorschriften bedingt, diese restriktiv auszulegen. Diese Notwendigkeit wird unterstrichen durch die Rentenreform 1957. Damals tauchte im Rentenversicherungsrecht zum ersten Mal die auch in § 6 Abs.1 Nr.3 SGB V und § 169b Satz 1 Nr.2 AFG bzw. § 27 Abs.4 Satz 1 Nr.2 SGB III verwendete Formulierung "ordentlicher Studierender einer Hochschule" auf, wobei vorher der Begriff der "wissenschaftlichen Ausbildung" gesetzlicher Maßstab war. Mit der Neuregelung wollte der Gesetzgeber seinerzeit eine Ausdehnung der versicherungsfreien Tätigkeiten eindämmen. Er war der Ansicht, dass nur der ordentliche Studierende, der als Werkstudent während der Dauer seines Studiums gegen Entgelt beschäftigt sei, versicherungsfrei sein sollte; die weitergehende wissenschaftliche Ausbildung für den zukünftigen Beruf sollte dagegen der Versicherungspflicht unterliegen.

Eine enge Auslegung von § 6 Abs.1 Nr.3 SGB V und § 169b Satz 1 Nr.2 AFG bzw. § 27 Abs.4 Satz 1 Nr.2 SGB III führt dazu, dass der Kläger während seines Promotionsstudiums nicht als ordentlicher Studierender im Sinne des Sozialversicherungsrechts anzusehen ist. Die Promotion kann zwar einer wissenschaftlichen Ausbildung im weiteren Sinn zugerechnet werden (BSG vom 29.09.1992 BSGE 71, 144, 146). Eine Promotion zum Dr.jur. setzt aber gerade voraus, dass zumindest die Erste Juristische Staatsprüfung mit Erfolg abgelegt wurde. Damit ist das Ziel der Hochschulausbildung erreicht worden, weswegen diese als beendet anzusehen ist. § 6 Abs.1 Nr.3 SGB V und § 169b Satz 1 Nr.2 AFG bzw. § 27 Abs.4 Satz 1 Nr.2 SGB III wollen nicht jede Ausbildung im weiteren Sinn, die unter Eingliederung in eine Hochschule erfolgt, privilegieren. Werkstudenten sollen im Hinblick auf ihre Beschäftigung nur so lange von der Versicherungspflicht befreit sein, bis die nach der jeweiligen Prüfungsordnung mit dem Studium angestrebte Qualifikation erreicht ist. Im Falle des Studiums der Rechtswissenschaften besteht diese angestrebte Qualifikation ausschließlich in der Ersten Juristischen Staatsprüfung. Eine darüber hinausgehende Versicherungsfreiheit für Beschäftigungen während eines Promotionsstudiums würde dem Ausnahmecharakter der genannten Vorschriften zuwider laufen. Eine Ausbildung jenseits dieser Basisqualifikation, die begrifflich als Weiterbildung oder als Vorstufe der späteren Berufsausbildung einzustufen ist, kann daher nicht zur Versicherungsfreiheit von begleitenden Beschäftigungen führen. Damit kommt auch eine Gleichstellung des Promotionsstudiums mit einem Zweitstudium nicht in Betracht. Das Zweitstudium ist im Übrigen auf einen weiteren Hochschulabschluss gerichtet. Es dient der Erweiterung der Kenntnisse und nicht, wie die Promotion, einer Vertiefung oder Spezialisierung.

Gegen dieses Ergebnis spricht auch nicht die Rechtsprechung des BSG zur Versicherungsfreiheit von Werkstudenten, wenn die Beschäftigung nach dem ersten berufsqualifizierenden Abschluss während eines Erweiterungsstudiums ausgeübt wird (BSG vom 29.09.1992 a.a.O. unter Fortführung von BSGE 27, 192, BSGE 39, 41 und BSGE 40, 99). Das BSG hat hierin festgestellt, dass die Versicherungsfreiheit als Student voraussetzt, dass das Studium die Zeit einer Arbeitskraft ganz oder überwiegend in Anspruch nimmt und der Betreffende damit auch seinem Erscheinungsbild nach Student ist. Dazu gehören nicht Tätigkeiten, die zwar der wissenschaftlichen Ausbildung zuzurechnen sind, aber erst nach dem Hochschulstudium stattfinden und daher inhaltlich eher eine Vorstufe der späteren Berufsausübung darstellen. Der Entscheidung des BSG vom 23.03.1993 (USK 9318) ist insoweit zu entnehmen, dass Doktoranden nach Abschluss eines Hochschulstudiums nicht mehr Studenden sind.

Dass nicht jedes vorgeschobene "Zweitstudium" (z.B. das vom Kläger angeführte Philosophiestudium) zur Versicherungsfreiheit einer begleitenden Beschäftigung führt, ergibt sich aus der Rechtsprechung des BSG. Denn danach ist notwendig, dass das Studium Zeit und Arbeitskraft ganz oder überwiegend in Anspruch nimmt und der Betreffende damit auch seinem Erscheinungsbild nach Student ist. Allein das Aufrechterhalten einer Einschreibung nach Abschluss eines Studiums kann z.B. nicht eine längere Inanspruchnahme des Werkstudenten-Privilegs ermöglichen (BSG vom 29.09.1982 a.a.O.). Eine Einschreibung an einer Hochschule allein zum Zweck, sozialversicherungsrechtliche Vorteile zu erlangen, kann danach gleichfalls nicht zur Versicherungsfreiheit führen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1, 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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