L 4 KR 6/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 3 KR 165/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 6/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 14. September 2000 aufgehoben.
II. Die Klage wird abgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin mit einer Oberschenkelprothese mit Kniegelenkssystem C-LEG zu versorgen.

Die am 1963 geborene Klägerin ist bei der Beklagten als Angestellte versichert. Sie erlitt im Mai 1980 einen Motorradunfall. Der Oberschenkel links wurde amputiert. Die Beklagte hat die Klägerin mit mehreren Prothesen versorgt. Sie ist Mutter zweier 6 und 1 1/2 Jahre alter Kinder.

Am 17.02.1998 verordnete ihr der Internist Dr.T. eine Oberschenkelprothese mit C-Leg Kniegelenk. Dr.T. führte hierzu aus, die im August 1997 verordnete Prothese sei eine reine Schwimmprothese, die die Patientin nur zu diesem Zweck verwenden könne. Die gewünschte und verordnete Prothese sei kraftschonender und würde die erhebliche Fallneigung auf unebenem Gelände reduzieren. Dies sei vor allem beim Tragen des Kindes der Klägerin und im Falle einer möglichen weiteren Schwangerschaft wichtig. Laut Kostenvoranschlag der Firma B. Orthopädie kostete die Prothese 39.858,33 DM.

Der von der Beklagten eingeschaltete Medizinische Dienst der Krankenversicherung in Bayern (Dr.K.) befürwortete die beantragte Versorgung nicht. Sie stelle eine Überversorgung dar, die das Maß des Notwendigen überschreite. Die gewünschte Maximalversorgung sei nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung medizinisch indiziert.

Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 22.06.1998 ab. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 02.09.1998 zurückgewiesen.

Die zum Sozialgericht Würzburg erhobene Klage begründeten die Bevollmächtigten der Klägerin damit, die beantragte Prothese sei für die sehr aktive Klägerin, die viel Sport treibe, notwendig. Mit der jetzigen Prothese sei normales Gehen nicht möglich. Unebenheiten würden überhaupt nicht erkannt. Die Klägerin gerate in Sturzgefahr. Deshalb sei das vom Unfall nicht betroffene rechte Knie durch Verletzungen geschädigt.

Nach Untersuchung der Klägerin am 14.04.2000 erstellte Prof.Dr. W. , Ärztl. Direktor der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. ein Gutachten gemäß § 109 SGG. Der Sachverständige legte dar, die Klägerin verfüge über mehrere Oberschenkelprothesen, derzeit habe sie zwei in Gebrauch. Beide seien mit Endolite-Gelenken ausgestattet. Die Klägerin habe auch eine wasserfeste Gehhilfe. Die Patientin erreiche mit der prothetischen Versorgung ein gutes Gangbild. Sie stürze jedoch zu Hause häufiger, ohne sich schwerwiegende Verletzungen zugezogen zu haben. Durch die soziale Situation bestehe ein deutlich erhöhtes Sicherheitsbedürfnis. Die Klägerin müsse ihr kleines Kind selbstverständlich auch ohne Hilfe des Kinderwagens tragen können. Bei einem Sturz sei das Kind erheblichen Verletzungen ausgesetzt. Dies bedeute eine deutliche psychische Belastung der Klägerin. Als Kernfrage sei zu prüfen, ob diese Situation durch die prothetische Versorgung mit C-LEG-Gelenk verbessert werden könne. Dabei stehe es außer Zweifel, dass das Endolite Kniemodul mit Mauchhydraulik ein gutes Kniegelenk für eine Oberschenkelprothese darstelle und ein weitgehend flüssiges Gehen ermögliche. Unstrittig sei jedoch, dass die bisherigen Kniegelenke beim Bergablaufen von Patienten ein nicht unerhebliches Maß an Konzentration verlangen und ein Sturzrisiko bergen. Davon berichte auch die Klägerin. Mit dem C-Leg Gelenk ergebe sich eine neue Möglichkeit der prothetischen Versorgung. Das Gelenk verfüge über ein elektronisch gesteuertes Hydraulik-System, bei dem der Bewegungsablauf über Ventile kontrolliert werde, so dass die Kniegelenksdämpfungen und Standphasensicherungen anpassbar sind. Langzeitergebnisse lägen nicht vor. In seiner Klinik seien elf Patienten seit längerer Zeit mit dem C-Leg Gelenk versorgt. Bei der Untersuchung dieser Patienten zeigte sich, dass der wesentliche Vorteil dieser prothetischen Versorgung in erhöhter Sicherheit beim Bergablaufen bzw. Treppablaufen und Laufen auf unebenem Gelände liege. Auf ebener Strecke hätten sich keine Vorteile ergeben. Im Ergebnis hält der Gutachter die Versorgung der Klägerin mit einem C-Leg Gelenk für sinnvoll. Der hierdurch zu erreichende Zugewinn an Sicherheit sei für die junge Patientin, die ihre kleinen Kinder zu versorgen habe, von so großem Wert, dass auch der ausgesprochen hohe Preis der Prothese zu rechtfertigen sei.

Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 14.09.2000 verpflichtet, die Klägerin mit einer Oberschenkelprothese mit C-Leg Kniegelenk zu versorgen. Diese Prothese sei erforderlich, den Verlust des linken Oberschenkels auszugleichen. Sie sei hierzu besser geeignet als eine Oberschenkelprothese mit Endolite Kniemodul mit Mauchhydraulik und stelle unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse der Klägerin keine Überversorgung dar.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten. Medizinische Gründe für die Neuversorgung seien an keiner Stelle erkennbar. Fraglich sei daher nur, inwieweit die Beklagte die beantragte Versorgung im Rahmen der Grundbedürfnisse zu erfüllen habe. Das Gehen und Stehen gehöre ohne Zweifel zu den Grundbedürfnissen. Die gesetzliche Krankenversicherung habe jedoch bei Verlust der Gehfähigkeit nur für einen Basisausgleich zu sorgen. Erweiterte Möglichkeiten, Sport zu treiben, gehörten nicht zur Basisversorgung. Der Hinweis auf die familiäre Situation rechtfertige keine Komfortausstattung der vorliegenden Art. Auch das möglicherweise geringere Fallrisiko bei der C-Leg Prothese sei nicht entscheidungsrelevant. Patienten, die mit der Prothese versorgt waren, hätten auf ebener Strecke keine Vorteile feststellen können; darüber hinaus sei es nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung, Leistungen zu erbringen, um mögliche Risiken (hier Sturzverletzungen) zukünftig auszuschließen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 14.09.2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte habe nur die Wirtschaftlichkeit im Auge, nicht jedoch das Interesse der Klägerin als Versicherte. Die Versorgung habe einen Ausgleich der Behinderungen in im Einzelfall erforderlichen Umfang zu leisten. Hier sei die Klägerin in ihrer familiären Situation und in ihrem Freizeitverhalten zu berücksichtigen. Eine Kostenübernahme bzw. Beteiligung seitens der für den Unfall einstandspflichtigen Haftpflichtversicherung sei nicht möglich, die Klägerin habe sich abfinden lassen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die wegen der Höhe des Beschwerdewertes nicht der Zulassung bedarf (§ 144 SGG), ist zulässig und begründet.

Das Sozialgericht hat zu Unrecht festgestellt, dass die Klägerin nach § 33 Abs.1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Versorgung mit einer Oberschenkelprothese mit C-Leg Kniegelenk hat, obwohl sie bereits mit Prothesen versorgt ist.

Nach § 33 Abs.1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 SGB V ausgeschlossen sind. Eine Prothese ist kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens.

Grundsätzlich ist die gesetzliche Krankenversicherung nur für die medizinische Rehabilitation zuständig. Der Einsatz von Hilfsmitteln ist dabei lediglich auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet (s.Höfler, Kass.Komm. § 33 Rdnr.11 m.w.N.). Dies bedeutet im Fall der Klägerin, dass sie die Möglichkeit haben muss, wieder gehen zu können. Bei einem unmittelbar auf den Ausgleich der beeinträchtigten Organfunktion selbst gerichteten Hilfsmittel, insbesondere einem künstlichen Körperglied, ist damit ohne Weiteres anzunehmen, dass eine medizinische Rehabilitation vorliegt (BSG, Urteil vom 06.08.1998 B 3 KR 3/97 R; SozR 3-2500 § 33 Nr.29). Diese Rehabilitation der Klägerin hat die Beklagte dadurch geleistet, dass sie sie mit mehreren Unterschenkelprothesen versorgt hat.

Zu dieser vorhandenen Versorgung führt der Gutachter aus, es stehe außer Zweifel, dass das Endolite-Kniegelenk mit Mauchhydraulik ein gutes Kniegelenk für eine Oberschenkelprothese darstelle und ein weitgehend flüssiges Gehen ermögliche. Die Klägerin erreiche mit dieser prothetischen Versorgung ein gutes Gangbild. Durch die Verordnung der C-Leg-Prothese könne jedoch die Gangsicherheit (auf unebenem Gelände) erhöht werden. Dies sei für die junge Klägerin, die ihre kleinen Kinder zu versorgen habe, von so hohem Wert, dass auch der ausgesprochen hohe Preis der Prothese zu rechtfertigen sei. Das Sozialgericht kommt aufgrund dieser gutachterlichen Aussagen zu dem Ergebnis, dass unter Berücksichtigung des Alters der Klägerin, ihrer familiären und beruflichen Situation deshalb die Versorgung mit der beantragten Prothese erforderlich sei und keine Überversorgung darstelle. Diesen Ausführungen kann sich der Senat nicht anschließen.

Auch für die Versorgung mit Hilfsmitteln gilt nämlich das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs.1 SGB V, wonach Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen. Es ist nicht wirtschaftlich, wenn eine funktionierende Prothese, die eine ausreichende Versorgung darstellt, durch eine Neuentwicklung, die entsprechend sehr viel teurer ist, ersetzt wird. Ob die Versorgung trotzdem erforderlich ist, prüft der Senat anhand der Kriterien, die die höchstrichterliche Rechtsprechung zu Hilfsmitteln entwickelt hat, die Organfunktionen nur mittelbar oder teilweise ersetzen. Solche Hilfsmittel sind nur dann Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn sie die Auswirkungen der Behinderung nicht nur in einem bestimmten Lebensbereich (Beruf-Gesellschaft-Freizeit), sondern im gesamten täglichen Leben (allgemein) beseitigen oder mildern und damit ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betreffen (BSG, Urteil vom 16.09.1999, B 3 KR 9/98, R-SozR 3-2500, § 33 Nr.32 m.w.N.). Danach gehören zu derartigen Grundbedürfnissen die allgemeinen Verrichtungen des täglichen Lebens wie Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, die auch die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens umfassen (BSG a.a.O.).

Bei der Klägerin werden durch die Versorgung mit der beantragten Prothese keine zusätzlichen Vorteile gegenüber der vorhandenen Versorgung erfüllt, die zu den Grundbedürfnissen gerechnet werden können. Die vom Sozialgericht angeführten Argumente, dass die Klägerin als Mutter von zwei Kleinkindern in der Lage sein müsse, sich auch auf unebenem Gelände sicher und schnell zu bewegen und dass gewährleistet sein muss, dass sie ihr Baby umhertragen kann, ohne Gefahr zu laufen, zu stürzen, reicht zur Annahme eines Grundbedürfnisses nicht aus. Es ist darauf hinzuweisen, dass sich durch die beantragte Prothese die Gangsicherheit, wenn überhaupt, nur auf unebenem Gelände und eventuell beim Treppeabwärts laufen erhöht. Nach ihren eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht hat die Klägerin dieses Gefühl der Unsicherheit insbesondere dann, wenn sie ihr Baby trägt. Dabei ist jetzt zu berücksichtigen, dass auch das Baby mittlerweile 1 1/2 Jahre alt ist und auch auf Treppen nicht mehr getragen zu werden braucht. Es darf auch nicht übersehen werden, dass es der Klägerin mit der vorhandenen Prothesenversorgung durchaus gelungen ist, ihre eigene und die Sicherheit der Kinder zu wahren. Diese Vorsicht weiterhin anzuwenden, erscheint zumutbar. Dass möglicherweise der Aktionsradius der laut Gutachten sehr sportlichen Klägerin durch die Prothese erweitert wird, befriedigt kein Grundbedürfnis (s. z.B. BSG, Urteil vom 16.09.1999; - B 3 RK 8/98 R; SozR 3-2500 § 33 Nr.31). Der von der Klägerseite so betonte "Einzelfall" einer berufstätigen Mutter zweier kleiner Kinder führt zu keiner solchen extremen Situation, dass für die Klägerin nur das begehrte Gerät ausreichend und zweckmäßig, die vorhandenen Prothesen aber unzureichend wären.

Damit ergibt sich unter keinem Aspekt ein Anspruch auf Neuversorgung bei vorhandener intakter Versorgung.

Das Urteil des Sozialgerichts ist deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenfolge entspricht dem Unterliegen der Klägerin und ergibt sich aus § 193 SGG.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache - hier im Verhältnis BSG vom 24.01.1990 - 3/8 Rk 16/87; NJW 91, 1564 die Tragweite des Rechtsbegriffs "Einzelfall" in Abgrenzung zum Wirtschaftlichkeitsgebot - gemäß § 160 Abs.2 Nr.1 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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