L 4 KR 84/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 KR 40/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 84/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 25. Mai 2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger eine Bescheinigung zur Vorlage bei Vertragszahnärzten des Inhalts auszustellen, dass sie Kosten der Extraktion von Zähnen des Klägers auch dann übernimmt, wenn der Kläger andere Maßnahmen zur Behandlung und Zahnerhaltung ablehnt.

Der am ...1960 geborene Kläger ist freiwillig bei der Beklagten versichert. Er hat bei der Beklagten mit Schreiben vom 28.09.1998, 19.11.1998, 24.11.1998 und 30.11.1998 sinngemäß die Ausstellung einer solchen Bescheinigung gefordert. Nachdem die Beklagte den Kläger auf seinen Anspruch auf zahnärztliche Behandlung im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung hingewiesen hatte, teilte sie ihm im Bescheid vom 22.12.1998 mit, die zahnärztliche Versorgung beinhalte auch das Entfernen von schadhaften Zähnen. Es könne jedoch der Zahnarzt weder durch die Krankenkasse noch durch den Patienten dazu gezwungen werden, einen Zahn zu entfernen, der nach seiner Ansicht nicht schadhaft sei. Komme der Zahnarzt zu dem Ergebnis, der Zahn müsste entfernt werden, werde die Beklagte selbstverständlich die Kosten übernehmen. Die Abrechnung erfolge über die Versicherungskarte. Ein Spezialantrag sei hierfür nicht erforderlich.

Der Kläger legte hiergegen Widerspruch ein, den er damit begründete, nach den Richtlinien seien schadhafte Zähne grundsätzlich erhaltungswürdig. Außerhalb der Richtlinien der KZBV könnten Zahnärzte in Deutschland derzeit schadhafte Zähne nur dann extrahieren, wenn diese zahnärztliche Leistung vom Patienten selbst bezahlt werde. Da er einerseits mittellos sei, andererseits das Einbringen von Chemikalien in seinen Körper grundsätzlich ablehne, bestehe er auf der Ausstellung einer Kostenübernahmebescheinigung.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 09.02.1999 abgewiesen.

Mit der hiergegen zum Sozialgericht Nürnberg erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Ziel auf Feststellung, die Beklagte habe die Kosten für das Ziehen von Zähnen bei ihm zu übernehmen und ihm einen schriftlichen Bescheid zur Sicherstellung der Kostenübernahme zu erstellen, weiter.

Die Klage wurde mit Urteil vom 25.05.2000 abgewiesen. Sie sei zulässig, jedoch nicht begründet. Als Mitglied der Beklagten habe der Kläger gemäß § 11 Abs.1 Satz 1 Nr.4 in Verbindung mit § 28 Abs.2 SGB V grundsätzlich einen Sachleistungsanspruch auf zahnärztliche Versorgung. Die Behandlung umfasse auch das Extrahieren von Zähnen, soweit dies medizinisch notwendig sei. Eine solche Notwendigkeit könne sich auch dadurch ergeben, dass er auf Grund seines Selbstbestimmungsrechts die Durchführung zahnerhaltender Maßnahmen und bei Schmerzzuständen eine Schmerzbehandlung ablehne. Sofern andere Behandlungsmöglichkeiten nicht bestehen oder vom Versicherten abgelehnt werden, könne die Extraktion des betreffenden Zahnes die vertragszahnärztlich einzig verbleibende Leistung sein. Dies sei jedoch nicht vorab generell, sondern nur im jeweiligen Behandlungsfall konkret zu beurteilen. Die Feststellung der medizinischen Notwendigkeit der Extraktion des betreffenden Zahnes sei dabei zunächst die Sache des Vertragszahnarztes. Sei die Extraktion medizinisch nicht notwendig, so sei bereits ein diesbezüglicher Sachleistungsanspruch nicht gegeben. In solchen Fällen könne auch keine privatzahnärztliche Behandlung zu Lasten der Krankenkasse in Anspruch genommen werden. Zur notwendigen Sachleistung habe sich die Beklagte ausdrücklich bereit erklärt.

Mit der gegen dieses Urteil eingelegten Berufung führt der Kläger erneut seine Rechtsansicht aus, es sei Kassenzahnärzten nicht erlaubt, die von ihm geforderte Zahnbehandlung (Extraktion) durchzuführen, ohne von den Kassen in Regress genommen zu werden. Die derzeitigen Kassenrichtlinien gingen nicht auf das Selbstbestimmungsrecht der Versicherten ein. Es sei ihm nach höherrangigem Recht des Art.1 Grundgesetz, der zugesicherten Menschenwürde, wohl kaum zuzumuten, jedes Mal bei Beschwerden an den Zähnen zuerst jahrelang vor den Gerichten mit der Beklagten regelrecht kämpfen zu müssen, dass er sein Selbstbestimmungsrecht ausüben dürfe.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Nürnberg vom 25.05.2000 sowie des Bescheides der Beklagten vom 22.12.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.02.1999 festzustellen, dass er gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Extraktion erkrankter Zähne hat, auch wenn der behandelnde Vertragsarzt eine Erhaltungswürdigkeit feststellt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Dem erstinstanziellen Urteil wird voll inhaltlich beigepflichtet. Ergänzend weist die Beklagte nochmals darauf hin, die Extraktion von Zähnen bei entsprechender medizinischer Notwendigkeit stelle eine von Vertragszahnärzten zu erbringende Sachleistung dar. Ein darüber hinausgehender Leistungsanspruch auf privatzahnärztliche Zahnextraktion bestehe nicht.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die nicht der Zulassung nach § 144 SGG bedarf, ist zulässig, sie erweist sich aber als unbegründet.

Die Klage ist als Feststellungsklage gemäß § 55 Abs.1 Nr.1 SGG zulässig. Zwischen den Beteiligten und dem Kläger besteht das öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnis Versicherungsträger-Versicherter. Die Klage kann dann auch auf die Feststellung einzelner Rechte und Pflichten, die auf dem Rechtsverhältnis basieren, gerichtet sein (Meyer-Ladewig, SGG, 6.Aufl., § 55 Rdnr.6 m.w.N.). Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung, es ist ihm nicht zuzumuten, bei akuten Zahnschmerzzuständen ein Verwaltungsverfahren abzuwarten.

Das Sozialgericht hat zutreffend ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf die von ihm beantragte Feststellung hat. Wenn ein Vertragszahnarzt aus medizinischen Gründen die Extraktion für notwendig hält, wird die Behandlung, worauf auch die Beklagte hingewiesen hat, als Sachleistung erfolgen. Die Darlegung des Klägers, dass Vertragszahnärzte schadhafte oder schmerzende erhaltungswürdige Zähne behandeln und nicht ziehen sollen, ist zutreffend. Nicht folgen kann der Senat jedoch der Auffassung des Klägers, wenn er daraus den Schluss zieht, die Beklagte müsse die Kosten einer privatzahnärztlich durchgeführten Extraktion übernehmen. Dieser Anspruch ergibt sich nicht, wie der Kläger vorträgt, aus Art.1 GG. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde des Art.1 Abs.1 S.1 GG begründet eine staatliche Schutzpflicht, die in erster Linie jedoch nicht materielle, sondern immaterielle Obhut bezweckt (Merten in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, § 5 Rdnr.64 m.w.N.). Art.1 GG begründet über die Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums hinaus keine Ansprüche (auch aus dem Sozialstaatsprinzip des Art.20 Abs.1 GG ergibt sich kein Anspruch im Sinne des Klägers). Eine (zukünftige) Kostenerstattung käme allenfalls dann in Betracht, wenn der Kläger eine sogenannte neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode konkret benötigen und ihm eine solche zu Unrecht von der Beklagten verweigert würde und ihm dadurch Kosten entstünden. Die Voraussetzungen sind jedoch solange nicht gegeben, als eine schulmedizinische Behandlung möglich ist.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Unterliegen des Klägers.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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