L 4 KR 95/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 10 KR 107/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 95/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 10. März 2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Kostenerstattung für ein Hörgerät der Firma S. in Höhe von 1.144,80 DM.

Der am 1954 geborene und bei der Beklagten bis 31.12.1998 versichert gewesene Kläger erhielt aufgrund der vertragsärztlichen Versorgung des HNO-Arztes Dr.H. vom 22.09.1997 am 10.10.1997 in dessen Praxis ein Hörgerät der Firma S. (H.). Der Antrag des Klägers auf Übernahme der Kosten in Höhe von 1.144,80 DM, der bei der Beklagten am 27.01.1998 einging, wurde mit Bescheid vom 28.01.1998 mit der Begründung abgelehnt, es habe zu keinem Zeitpunkt eine vertragliche Bindung mit der Firma S. bestanden. Der Kläger könne einen zugelassenen Hörgeräteakustiker mit der Versorgung betrauen. Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 31.07.1998 mit der Begründung zurück, die Firma S. habe mit ihr keinen Vertrag zur Abgabe von Hörhilfen bzw. Hörgeräten. Bis 31.08.1997 seien die im Versandhandel abgegebenen Hörgeräte ohne Vertragsverhältnis übernommen worden. Ab 01.09.1997 könnten die Rechnungen der Firma S. nicht mehr bezahlt werden. Hiervon seien die HNO-Ärzte von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns informiert worden.

Der Kläger hat mit der Klage vom 01.09.1998 beim Sozialgericht Landshut (SG) u.a. geltend gemacht, der von der Firma S. praktizierte sog. verkürzte Vertriebsweg sei jahrelang von der Beklagten hingenommen worden. Die Firma S. sei in anderen Bundesländern zugelassen bzw. habe in Bayern einen Anspruch auf Zulassung. Das SG hat mit Urteil vom 10.03.2000 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, Hilfsmittel dürften an Versicherte nur von zugelassenen Leistungserbringern abgegeben werden. Der Firma S. sei zwar mit Schreiben der Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände in Hamburg vom 09.11.1989 eine derartige Zulassung erteilt worden. Diese Zulassung berechtige jedoch nicht zur Belieferung von Versicherten der Beklagten oder anderer Krankenkassen außerhalb Hamburgs mit Hörhilfen. Ob die Firma S. einen Anspruch auf Erteilung einer Kassenzulassung habe, sei nicht Gegenstand des Rechtsstreits.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 13.07.2000, mit der er u.a. geltend macht, die Beklagte sei verpflichtet, den Kläger von den Kosten des verordneten Hörgerätes freizuhalten. Die Firma S. habe erklärt, dass sie grundsätzlich allen ihren Kunden - also nicht nur dem Kläger - ein kostenloses Rückgaberecht einräume in den Fällen, in denen die Beklagte und andere Leistungsträger eine Übernahme der Kosten ablehnen. Der Kläger hat in diesem Zusammenhang die von seinem Prozessbevollmächtigten angefertigte und von ihm unterschriebene Erklärung vom 23.07.2001 vorgelegt, aus der sich u.a. ergibt: "I. S. und Ihr Arzt haben erklärt, dass Sie die Hörgeräteversorgung als Mitglied der AOK Bayern erhalten haben, ohne dass Sie selbst oder Ihr Arzt etwas bezahlen müssen, wenn die AOK Bayern die Kosten hierfür übernimmt. II. S. und Ihr Arzt haben bestätigt, dass Sie die Hörgeräteversorgung jederzeit dann zurückgeben können, und zwar kostenlos für Sie und Ihren Arzt, wenn die AOK Bayern die Kosten hierfür nicht übernimmt bzw. nicht zur Übernahme der Kosten verurteilt wird. III. S. und Ihr Arzt haben erklärt, dass S. solange Eigentümer der Versorgung bleibt, bis diese Versorgung von der AOK bezahlt wird."

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 10.03.2000 und den zugrunde liegenden Bescheid der Beklagten vom 28.01. 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.07. 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn in Höhe von 1.144,80 DM von Forderungen der Firma S. freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG. Auf den Inhalt dieser Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig; der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 1.000,00 Deutsche Mark (§ 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGG).

Die Berufung ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Kostenerstattung bzw. Kostenfreistellung für die Versorgung mit dem Hörgerät der Firma S. aufgrund der vertragsärztlichen Verordnung des Dr.H. vom 22.09.1997.

Der Anspruch auf Kostenerstattung richtet sich nach § 13 Abs.3 Sozialgesetzbuch V (SGB V) in der Fassung vom 23.06.1997 (BGBl.I 1520), die in der Zeit vom 01.07.1997 bis 31.12.1998 gegolten hat. Konnte danach die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Diese Vorschrift ist eine Ausnahme von dem Sachleistungsprinzip, das grundsätzlich für alle Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gilt (§§ 2 Abs.1, 2, 13 Abs.1 SGB V). Die Vorschrift ist daher eng auszulegen.

Gemäß § 2 Abs.2 SGB V erhalten die Versicherten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses Buch nichts Abweichendes vorsieht. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des 4. Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern. Auch der Anspruch auf Krankenbehandlung in der Gestalt der Versorgung mit Hilfsmitteln ist als Sachleistung ausgestaltet (§ 27 Abs.1 Satz 1, Satz 2 Nr.3, § 33 Abs.1 SGB V). Entsprechend diesem Grundsatz darf die Krankenkasse anstelle der Sach- oder Dienstleistung Kosten nur erstatten, soweit es das SGB V vorsieht. Für eine Kostenerstattung gemäß § 13 Abs.2 SGB V bietet der Sachverhalt keinerlei Anhalt; es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger von der Möglichkeit der Wahl der Kostenerstattung Gebrauch gemacht hat.

Es ist gleichfalls nicht zu erkennen und vom Kläger auch nicht geltend gemacht worden, dass die Beklagte nicht in der Lage gewesen wäre, eine unaufschiebbare Leistung rechtzeitig zu erbringen (§ 13 Abs.3 1. Alternative SGB V).

Auch die 2. Alternative des § 13 Abs.3 SGB V führt nicht zu einer Kostenfreistellung bzw. Kostenerstattung. Vorausgesetzt wird hier, dass die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht ablehnt und dadurch dem Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Ob der Kläger beim hier praktizierten "verkürzten Vertriebsweg" verpflichtet war, vor der Leistungsbeschaffung Kontakt mit der Beklagten aufzunehmen und deren Entscheidung abzuwarten (z.B. Bundessozialgericht (BSG) vom 24.09.1996, BSGE 79, 125), muss hier nicht entschieden werden, da der streitige Anspruch aus einem anderen Grund nicht gegeben ist.

§ 13 Abs.3 SGB V setzt voraus, dass entweder tatsächlich Kosten entstanden sind oder dass den Versicherten eine unbedingte Kostentragungspflicht trifft. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 10.02.2000 BSGE 85, 287 ff.) ist die auf die Erstattung bereits gezahlter Kosten zugeschnittene Bestimmung des § 13 Abs.3 SGB V bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen entsprechend anzuwenden, wenn die Verpflichtung bereits entstanden ist, der Versicherte aber noch nicht gezahlt hat. Statt einer Erstattung kann er dann die Bezahlung seiner Schuld durch den Versicherungsträger verlangen. Das BSG hat in zwei weiteren Entscheidungen zum Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 Abs.3 SGB V ausgeführt, dass dieser Anspruch u.a. eine Kostenbelastung des Versicherten voraussetzt. Soweit sich ein Leistungserbringer vorbehalten hat, Kosten in Rechnung zu stellen, falls die Krankenkasse die Kosten erstattet, begründet dies keinen Kostenerstattungsanspruch (BSG vom 23.05.2000, SGb 2000, 409 ff.). Anderenfalls könnte das Kostenerstattungsverfahren nach § 13 Abs.3 SGB V dazu genutzt werden, die Leistungspflicht der Krankenkasse für eine bestimmte Untersuchungs- oder Behandlungsmethode losgelöst von einer tatsächlichen Kostenbelastung abstrakt klären zu lassen. Wortlaut, Zweck und Systematik der Vorschrift lassen ein solches Vorgehen jedoch nicht zu. Durch die Kostenerstattung in Fällen eines Systemversagens wird eine Lücke in dem durch das Sachleistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung garantierten Versicherungsschutz geschlossen. Dem Versicherten wird die Kostenlast auch dann abgenommen, wenn er ausnahmsweise eine notwendige Leistung selbst beschaffen und bezahlen muss. Übernimmt dagegen der Leistungserbringer das finanzielle Risiko in der Weise, dass ein Anspruch gegen den Versicherten nur entstehen soll, wenn dessen Krankenkasse die Kosten trägt, so wird die in § 13 Abs.3 SGB V festgelegte Beziehung von Tatbestand und Rechtsfolge in ihr Gegenteil verkehrt. Ein Behandlungsaufwand ist dann nicht Voraussetzung für die Leistungspflicht, sondern deren Folge. Außerdem wäre eine Inanspruchnahme der Krankenkasse, ohne dass dem Versicherten konkret Kosten entstanden sind, mit übergeordneten gesetzgeberischen Zielen nicht zu vereinbaren. Denn sie würde es erlauben, sich Gesundheitsleistungen ohne Kostenrisiko selbst zu beschaffen und den Sachleistungsgrundsatz der Krankenversicherung zu unterlaufen. Zugleich erhielten die Leistungsanbieter die Gelegenheit, mit Hilfe kostenloser Behandlungsangebote über den Weg des Kostenerstattungsverfahrens eine Ausweitung des Leistungsumfangs der gesetzlichen Krankenversicherung zu erreichen. Dies ist mit der Aufgabenstellung der Krankenversicherung nicht in Einklang zu bringen.

Das BSG nimmt hierin Bezug auf eine weitere Entscheidung vom 28.03.2000 (B 1 KR 21/99 R), in dem es u.a. für Recht erkannt hat, dass das Kostenerstattungsverfahren nach § 13 Abs.3 SGB V nicht dazu benutzt werden kann, die Leistungspflicht der Krankenkasse (für eine bestimmte Untersuchungs- oder Behandlungsmethode) unabhängig von einer tatsächlichen Kostenbelastung des Versicherten klären zu lassen.

Die Angaben des Klägers im Berufungsverfahren lassen erkennen, dass im vorliegenden Fall die Firma S. den verkürzten Vertriebsweg über die Vertragsärzte in der Weise durchsetzen will, dass sie den Versicherten das Kostenrisiko abnimmt. Diese sollen für die zur Verfügung gestellten Hörgeräte nur zahlen, wenn sie von ihrer Krankenkasse eine Erstattung erhalten. Anderenfalls müssen die Versicherten das unter Eigentumsvorbehalt gelieferte Gerät zurückgeben oder selbst bezahlen. Diese Regelung steht einer Kostenerstattung entgegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1, 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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