L 5 R 2861/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 2537/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 2861/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 17.05.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1960 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt und war bis 2006 als Montagearbeiterin versicherungspflichtig beschäftigt.

Am 10.2.2009 beantragte die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung gab sie an, sie leide unter einer dialysepflichtigen Nierenerkrankung, Bluthochdruck und Migräne. An den 3 Dialysetagen in der Woche könne sie nicht arbeiten.

Die Beklagte zog den Bericht des Dialysezentrums Sch. vom 27.1.2009 bei. Darin ist u.a. mitgeteilt, seit Januar 2009 werde wegen terminaler Niereninsuffizienz eine Dialysebehandlung durchgeführt, die die Klägerin gut vertrage.

In der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 20.2.2009 führte Dr. Sch. aus, derzeit sei die Klägerin nicht leistungsfähig im Sinne völliger Arbeitsunfähigkeit. Die Erforderlichkeit einer Dialysebehandlung schränke bei stabilem Verlauf ohne größere Folgeprobleme das quantitative Leistungsvermögen für geeignete Arbeiten aber nicht langfristig ein; jedes Dialysezentrum biete auch Abend- und Nachtdialysen an. Schwerwiegende, nicht therapeutisch angehbare Folgeerkrankungen oder andere Erkrankungen, die das quantitative Leistungsvermögen minderten, seien bei der Klägerin nicht bekannt. Diese könne zumindest ab Juli 2009 leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich verrichten.

Mit Bescheid vom 27.2.2009 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab; die Klägerin sei lediglich arbeitsunfähig im krankenversicherungsrechtlichen Sinn.

Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug die Klägerin vor, sie müsse dreimal wöchentlich zur Dialyse. Deswegen sei die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht möglich.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22.5.2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Erwerbsminderung der Klägerin könne aus medizinischer Sicht behoben werden, da bisher keine schwerwiegenden, therapeutisch nicht angehbaren Folgeerkrankungen des Nierenleidens vorlägen. Die Erforderlichkeit einer Dialysebehandlung für sich allein schränke bei stabilem Krankheitsverlauf das quantitative Leistungsvermögen für geeignete Arbeiten nicht längerfristig ein.

Am 10.6.2009 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Karlsruhe. Sie trug vor, wegen ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen könne sie als Dialysepatientin nicht mehr mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein.

Das Sozialgericht befragte zunächst den behandelnden Nephrologen Prof. Dr. R. (Dialysezentrum Sch.). Dieser führte im Bericht vom 21.10.2009 aus, die Kläger leide an terminaler Niereninsuffizienz und werde deswegen regelmäßig Montags, Mittwochs und Freitags hämodialysiert. Zur Therapie der renalen Begleiterkrankungen würden verschiedene Medikamente eingesetzt. Die Klägerin habe sich hervorragend an die Dialyse gewöhnt; sie bezeichne ihre Belastbarkeit als gut. Die chronische Hämodialyse sei eine anstrengende Behandlung, weshalb die Patienten unmittelbar nach der Dialyse körperlich und geistig erschöpft seien. Allerdings spreche nichts gegen eine leichte berufliche Tätigkeit in Teilzeit.

Das Sozialgericht erhob sodann das Gutachten des Internisten Dr. S. vom 10.2.2010. Dieser diagnostizierte terminale Niereninsuffizienz, aktuell behandelt mit Hämodialyse, Hypertonie, eine wenig ausgeprägte renale Anämie (Blutarmut) sowie überhöhte Werte von Cholesterin und Triglyceriden im Blutserum. Leichte Tätigkeiten könne die aktuell subjektiv im Wesentlichen beschwerdefreie Klägerin (unter qualitativen Einschränkungen: keine Akkord-, Fließband- Schicht- oder Nachtarbeit; keine Arbeit in Kälte und Nässe oder mit Absturzgefahr und an Maschinen mit erhöhter Unfallgefahr) sechs Stunden täglich und mehr verrichten. Da sie aber dreimal wöchentlich mit Hämodialyse behandelt werde, könne sie an diesen Tagen frühestens ab 13.00 Uhr arbeiten. Die Hämodialyse-Behandlung beginne jeweils montags, mittwochs und freitags um 7.00 Uhr und sei um 11.10 Uhr beendet. Danach müsse 20 Minuten nach Entfernen der Punktionsnadel komprimiert werden, bevor die Klägerin mit einem Taxi nach Hause fahren könne. Unter Einbeziehung einer kurzen Erholungspause sowie des Zeitraums, der zum Erreichen eines hypothetischen Arbeitsplatzes zu berücksichtigen sei, wäre an drei Tagen in der Woche eine Beschäftigung von jeweils vier Stunden vorstellbar, an zwei weiteren Tagen könne die Klägerin mindestens sechs Stunden arbeiten. Die Durchführung einer Nachtdialyse sei unrealistisch, da die nächtliche Erholung Grundlage sei, um mit ausreichender Regeneration einen mindestens sechsstündigen Arbeitstag zu gestalten und auszufüllen.

Die Beklagte legte die beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. Sch. vom 9.8.2010 vor. Darin ist ausgeführt, die von Dr. S. angenommene zeitliche Leistungseinschränkung beruhe nicht auf medizinischen Befunden, sondern allein auf den organisatorischen Rahmenbedingungen der konkreten Dialysebehandlung. Aus medizinischer Sicht spreche nichts dagegen, dass die Klägerin an den Behandlungstagen beispielsweise von 13.00 Uhr bis 19.00 Uhr arbeite oder in die Nachmittagsschicht des Dialysezentrums (13.30 Uhr bis 20.00 Uhr) wechsle und eine Tätigkeit in Frühschicht von 6.00 Uhr bis 12.30 Uhr aufnehme. Außerdem würden im 15 km entfernten Dialysezentrum Sp. Behandlungen von 17.30 Uhr bis 22.00 Uhr (ohne Warteliste) angeboten. Dialysen könnten so in den Tagesablauf eingeplant werden, dass sogar eine vollschichtige Berufstätigkeit (über sechs Stunden täglich) möglich sei; gerade hierfür würden Abenddialysen angeboten. Bei einem Dialysebeginn um 17.30 Uhr könne zu den üblichen Arbeitszeiten eine sechsstündige Tätigkeit ausgeübt werden.

Das Sozialgericht erhob hierzu die ergänzende Stellungnahme des Dr. S. von 11.11.2010. Dieser führte aus, er habe aus medizinischer Sicht eine zeitliche Leistungseinschränkung nicht festgestellt. Ob es der Klägerin zumutbar sei, die Arbeitszeit zu ändern und nach einer Arbeit in Frühschicht anschließend nachmittags die Hämodialyse-Behandlung durchzuführen bzw. abends das Dialysezentrum in Sp. aufzusuchen, könne er nicht beurteilen.

In der mündlichen Verhandlung des Sozialgerichts vom 17.5.2011 gab die Klägerin ergänzend an, die Krankenkasse übernehme die Fahrtkosten nur für das nächstgelegene Dialysezentrum (H.); Fahrtkosten zum Dialysezentrum Sp. würden nicht erstattet.

Mit Urteil vom 17.5.2011 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, Erwerbsminderung (§ 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch) liege nicht vor, da die Klägerin leichte Tätigkeiten mindestens 6 Stunden täglich verrichten könne. Das folge aus dem Gutachten des Dr. S. vom 10.2.2010 (mit ergänzender Stellungnahme vom 11.11.2010). Die vom Gutachter angenommene zeitliche Leistungseinschränkung an 3 (Dialyse-)Tagen in der Woche folge nicht aus medizinischen Befunden, sondern allein aus den organisatorischen Gegebenheiten der Dialysebehandlung. Der Beratungsarzt der Beklagten habe in seiner Stellungnahme vom 9.8.2010 auf verschiedene Zeitprogramme in unterschiedlichen Dialysezentren hingewiesen, die es der Klägerin ermöglichten, neben der Dialysebehandlung täglich noch eine sechsstündige Beschäftigung auszuüben. Es sei der Klägerin auch zuzumuten, die Behandlung zeitlich und örtlich so zu organisieren, dass sie einer täglichen Arbeit nachgehen könne.

Das Dialysezentrum H., wo die Klägerin derzeit behandelt werde, biete täglich zwei Schichten an, die erste morgens in der Zeit von 7.00 Uhr bis 11.10 Uhr, die zweite am Nachmittag zwischen 13.00 Uhr und 20.00 Uhr. Auch wenn die Klägerin, wie Dr. S. angenommen habe, bei der derzeitigen Organisation der Dialysebehandlung erst ab 13.00 Uhr arbeiten könne, liege eine rentenberechtigende Leistungseinschränkung nicht vor. So gebe es bspw. im Einzelhandel zunehmend Arbeitszeiten in den Nachmittags- und Abendstunden; entsprechendes gelte für Arbeitsplätze, an denen im Schichtbetrieb gearbeitet werde. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt stünden genügend Tätigkeiten mit Arbeitsbeginn 14.00 Uhr oder später zur Verfügung, so dass sich die Klägerin in ihrem Tagesablauf nicht umstellen müsste und dennoch auch an Behandlungstagen einer Tätigkeit, etwa von 15.00 Uhr bis 22.00 Uhr, nachgehen könnte. Eine täglich sechsstündige Erwerbstätigkeit könnte somit selbst dann ausgeübt werden, wenn die Krankenkasse die Kosten einer Dialysebehandlung nur für das dem Wohnort der Klägerin am nächsten gelegenen Dialysezentrum übernehmen würde. Schließlich komme es für die Gewährung von Erwerbsminderungsrente allein auf medizinisch begründete Leistungseinschränkungen an.

Auf das ihr am 30.5.2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 6.6.2011 Berufung eingelegt. Sie bekräftigt ihr bisheriges Vorbringen. Sie sei nicht nur aufgrund organisatorischer Zwänge ihrer Dialysebehandlung an der Ausübung einer Erwerbstätigkeit gehindert. Sie müsse dreimal wöchentlich das Dialysezentrum H. aufsuchen, um von 7.00 Uhr bis 11.00 Uhr die Hämodialyse durchzuführen. Nach der erforderlichen Ruhezeit und der Heimfahrt könne sie nicht schon um 13.00 Uhr mit der Arbeit beginnen, die dann mindestens bis 19.00 Uhr andauern würde. Eine Dialysebehandlung in den Abend- bzw. Nachtstunden sei nicht zumutbar, da sie im Hinblick auf ihre angeschlagene Gesundheit auf die Einhaltung von Ruhezeiten und insbesondere auf ausreichenden Schlaf angewiesen sei.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 17.5.2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 27.2.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.5.2009 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt.

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Senatsentscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).

Die gem. §§ 143,144,151 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, ihr Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren; sie hat darauf keinen Anspruch.

I. Rechtsgrundlage für die Gewährung von Erwerbsminderungsrente ist § 43 SGB VI. Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise oder voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs bzw. mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 und 2 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Gem. § 43 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 SGB VI setzt Erwerbsminderung voraus, dass die (rentenberechtigende) zeitliche Leistungseinschränkung auf einer Krankheit oder Behinderung des Versicherten beruht, also medizinisch bedingt ist. Erwerbsminderung kann nicht angenommen werden, wenn der Versicherte nur wegen der nicht medizinischen Folgewirkungen wie etwa die von dritter Seite festgesetzte zeitliche Lage einer erforderlichen Behandlungsmaßnahme an der der mindestens sechs- bzw. dreistündigen Ausübung einer Erwerbstätigkeit gehindert ist.

Das Gesetz stellt für die rentenrechtliche Leistungsbeurteilung außerdem auf die üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts ab. Maßgeblich ist die Erwerbsfähigkeit des Versicherten in jeder Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt existiert. Allerdings kommen nur Tätigkeiten in Betracht, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt üblich sind. Damit wird sichergestellt, dass für die Feststellung des Leistungsvermögens solche Tätigkeiten, für die es für den zu beurteilenden Versicherten einen Arbeitsmarkt schlechthin nicht gibt, nicht in Betracht zu ziehen sind (vgl. BT-Drs. 14/4230, S. 25 unter Hinweis auf BSGE 80, 24 ff.). Das BSG (Großer Senat) hatte im Beschluss vom 19.12.1995 (- GS 2/95 -, BSGE 80, 24ff.) ausgeführt, dass sich die Fähigkeit eines Versicherten nicht allein nach der Fähigkeit, Arbeiten zu verrichten, sondern auch danach, durch Arbeit Erwerb zu erzielen, beurteilt. Erwerbsunfähig (nach § 44 SGB VI a.F.) ist ein Versicherter nach der Rechtsprechung des BSG, der noch vollschichtig arbeiten kann, zwar nicht schon dann, wenn er arbeitslos ist, weil er bei der Arbeitsplatzsuche der gesunden Konkurrenz den Vortritt lassen muss. Erwerbsunfähigkeit liegt erst vor, wenn der Leistungsgeminderte einen seinem verbliebenen Leistungsvermögen entsprechenden Arbeitsplatz nicht finden kann, weil es solche Arbeitsplätze nicht gibt. Nach der Rechtsprechung des BSG ist generell davon auszugehen, dass für Vollzeittätigkeiten Arbeitsplätze in ausreichendem Umfang vorhanden sind und der Arbeitsmarkt für den Versicherten auch offen ist. Anderes gilt jedoch dann, wenn der Versicherte eine Vollzeittätigkeit nicht unter den in den Betrieben üblichen Bedingungen ausüben oder entsprechende Arbeitsplätze aus gesundheitlichen Gründen nicht aufsuchen kann, die Zahl der in Betracht kommenden Arbeitsplätze nicht unerheblich reduziert ist, weil der Versicherte nur in Teilbereichen eines Tätigkeitsfeldes einsetzbar ist, für ihn nur Tätigkeiten an Arbeitsplätzen in Betracht kommen, die an Berufsfremde oder als Schonarbeitsplätze bzw. als Aufstiegspositionen an Betriebsfremde regelmäßig nicht vergeben werden oder entsprechende Arbeitsplätze nur in ganz geringer Zahl vorkommen. Diese Rechtsgrundsätze sind auch für die Anwendung des § 43 SGB VI n.F. mit dem Merkmal der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" maßgeblich (vgl. etwa BSG, Beschl. v. 27.2.2003, - B 13 RJ 215/02 B -; Senatsbeschluss vom 26.10.2010, - L 5 R 2916/10 -).

II. Davon ausgehend kann die Klägerin Erwerbsminderungsrente nicht beanspruchen. Sie kann leichte Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen) unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich an fünf Arbeitstagen in der Woche verrichten, weshalb Erwerbsminderung nicht vorliegt (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist ihr nicht deswegen verschlossen, weil sie an drei Arbeitstagen in der Woche eine Hämodialyse durchführen muss.

1.) Das zeitliche Leistungsvermögen der Klägerin ist wegen Krankheit nicht in rentenberechtigendem Maße eingeschränkt. Maßstab sind die Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts; Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) kommt für die Klägerin, die keinen Beruf erlernt hat und zuletzt als ungelernte Montagearbeiterin versicherungspflichtig beschäftigt war, nicht in Betracht.

Die sozialmedizinisch (rentenrechtlich) maßgeblichen Leistungseinschränkungen folgen aus der Nierenerkrankung der Klägerin, die wegen terminaler Niereninsuffizienz zur Notwendigkeit der Dialyse geführt hat. Auch wenn damit unbestritten eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt, kann deswegen allein Erwerbsminderungsrente nicht gewährt werden. Für die Feststellung von Erwerbsminderung i. S. d. § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI sind nämlich nicht Erkrankungen oder Diagnosen als solche, sondern daraus in sozialmedizinischer Hinsicht abzuleitende Leistungs- bzw. Funktionseinschränkungen bzw. deren Auswirkungen auf das zeitliche Leistungsvermögen des Versicherten maßgeblich. Dr. S. hat in seinem Gutachten vom 10.2.2010 (mit ergänzender Stellungnahme vom 11.11.2010) aber festgestellt, dass die neben der terminalen (dialysepflichtigen) Niereninsuffizienz noch an Hypertonie und wenig ausgeprägter renaler Anämie (Blutarmut) leidende, subjektiv im Wesentlichen beschwerdefreie Klägerin leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) sechs Stunden täglich und mehr verrichten kann. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 11.11.2010 hat der Gutachter dies bekräftigt und betont, aus medizinischen Gründen - und damit wegen Krankheit i. S. d. § 43 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 SGB VI - sei die zeitliche Leistungsfähigkeit der Klägerin nicht eingeschränkt. Darüber streiten die Beteiligten letztendlich auch nicht. Die Klägerin hält sich nicht wegen der (medizinischen) Folgen ihrer Nierenkrankheit selbst für erwerbsgemindert, meint vielmehr, wegen der (nicht medizinischen) Auswirkungen der Dialyse-Behandlung eine Erwerbstätigkeit nicht ausüben zu können, da sie während der Dialysezeit und einer nachfolgender Ruhezeit dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehe. Das trifft indessen nicht zu.

2.) Die Klägerin kann mit dem festgestellten Leistungsvermögen unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein. Der allgemeine Arbeitsmarkt ist ihr wegen der Notwendigkeit zur Durchführung der Dialyse an drei Wochentagen nicht verschlossen.

Bei der regelmäßig an drei Tagen in der Woche - und zwar an Arbeitstagen - durchzuführenden Dialysebehandlung handelt es sich um eine zeitaufwendige und auch belastende Therapie, die den für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit zur Verfügung stehenden Zeitrahmen des dialysepflichtigen Versicherten deutlich einschränkt. Er muss die Arbeitszeit mit der Behandlungszeit (einschließlich Fahr- und Erholungszeit) abstimmen, was jeweils von Dauer und Lage dieser Zeiten abhängt. Die Dauer der Arbeitszeit ist gesetzlich auf höchstens sechs Stunden täglich festgelegt (§ 43 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 SGB VI), die Dauer der Behandlungszeit (und Ruhezeit) ergibt sich aus medizinischen Notwendigkeiten der Hämodialyse. Für die Lage der Arbeitszeit sind die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt üblichen Verhältnisse maßgeblich. Die Lage der Behandlungszeit hängt von den entsprechenden Angeboten der ärztlichen Leistungserbringer ab.

Hinsichtlich der Lage von Arbeitszeiten findet, wie auch hinsichtlich der Erreichbarkeit eines Arbeitsplatzes im Rahmen der so genannten Wegefähigkeit des Versicherten, eine abstrakte Betrachtungsweise statt. Auf die konkreten Arbeitsmarktverhältnisse am Wohnort des Versicherten oder in Wohnortnähe kann es nicht ankommen. Das mit § 43 SGB VI versicherte Risiko der Erwerbsminderung besteht im Verlust der Fähigkeit, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (in bestimmtem zeitlichen Umfang) überhaupt erwerbstätig sein zu können. Der Versicherte, der über die in § 43 SGB VI vorausgesetzte zeitliche Leistungsfähigkeit noch verfügt, kann Erwerbsminderungsrente daher grundsätzlich nicht erhalten. Er muss sich auf alle, freilich nicht nur theoretisch zugänglichen, Arbeitsplätze des allgemeinen Arbeitsmarkts verweisen lassen. Das Risiko, einen solchen Arbeitsplatz gar nicht oder nicht am Wohnort oder in zumutbarer Entfernung hiervon zu bekommen, ist nicht Gegenstand der Renten-, sondern ggf. Gegenstand der Arbeitslosenversicherung.

Hinsichtlich der Lage der Behandlungszeit dialysepflichtiger Versicherter kann eine gleichermaßen abstrakte Betrachtungsweise demgegenüber nicht stattfinden. Die konkreten Verhältnisse am Wohnort des Versicherten hinsichtlich einer (wohnortnahen) Versorgung mit Dialyseleistungen haben zwar keinen Bezug zum Versicherungsrisiko der Erwerbsminderung. Dass sie deswegen unbeachtlich wären, kann aber im Unterschied zu den konkreten Arbeitsmarktverhältnissen der Regelung des § 43 SGB VI weder ausdrücklich noch im Wege der Auslegung entnommen werden. Der noch über ein sechsstündiges Leistungsvermögen verfügende dialysepflichtige Versicherte darf daher nicht auf solche Behandlungsmöglichkeiten, etwa der Nacht- oder Abenddialyse, verwiesen werden, die es nur abstrakt (auf dem Markt der Dialyseeinrichtungen) gibt. Kann ihm die Ausnutzung seines gesundheitlichen Leistungsvermögens nur durch solche speziellen Behandlungsangebote ermöglicht werden, müssen diese in zumutbar erreichbarer Nähe am Wohnort oder dessen Umgebung tatsächlich vorhanden und verfügbar sein. Für die Zumutbarkeitsfrage kann es dabei auch auf die Belastung mit Fahrtkosten zur Dialyseeinrichtung ankommen.

Die Ausübung einer sechsstündigen Erwerbstätigkeit durch noch entsprechend leistungsfähige dialysepflichtige Versicherte auch an den Dialysetagen ist regelmäßig möglich, wenn sie eine (offenbar gerade für erwerbstätige Dialysepatienten eingerichtete) Abenddialyse (ab 17.30 Uhr) in Anspruch nehmen können. Ein solches Angebot besteht am Wohnort der Klägerin bzw. in der nächstgelegenen Dialyseeinrichtung in H. nicht. Dort finden Dialysen in einer Vormittagsschicht (ab 7.00 Uhr) und in einer Nachmittagsschicht (ab 13.30 Uhr) statt. Eine Abenddialyse steht nur im Dialysezentrum Sp., 15 km vom Wohnort der Klägerin entfernt, zur Verfügung. Der Senat kann offen lassen, ob der Klägerin auch im Hinblick auf die Frage der Fahrtkostenerstattung durch die zuständige Krankenkasse zugemutet werden müsste, dieses Behandlungsangebot in Anspruch zu nehmen, da ihr die Ausnutzung des sechsstündigen Leistungsvermögens auch bei Fortsetzung der Dialysebehandlung an der bisherigen Dialyseeinrichtung in H. möglich ist.

Dr. S. hat in seinem Gutachten vom 10.2.2010 festgestellt, dass die Klägerin, wenn sie die Behandlungszeit an den Dialysetagen in die Vormittagsschicht der Dialyseeinrichtung legt, am Nachmittag ab 13.00 Uhr einer Erwerbstätigkeit nachgehen kann. Daran ist sie wegen der Dialyse bzw. der anschließenden Ruhezeit aus medizinischen Gründen nicht gehindert. Der Gutachter hat darauf hingewiesen, dass die Dialyse selbst von 7.00 Uhr bis 11.10 Uhr dauert und danach 20 Minuten komprimiert werden muss. Er hat bei seiner Einschätzung auch eine nachfolgende Ruhephase berücksichtigt. Legt die Klägerin die Dialysebehandlung in die Nachmittagsschicht der Dialyseeinrichtung (ab 13.30 Uhr), wäre eine sechsstündige Erwerbstätigkeit an Dialysetagen jedenfalls bis 12.30 Uhr möglich. Damit steht für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit ein ausreichender Zeitrahmen entweder in der ersten oder in der zweiten Tageshälfte zur Verfügung. Das Sozialgericht hat insoweit zutreffend darauf verwiesen, dass entsprechende Arbeitsplätze in genügender Zahl (etwa im Handel) mit Arbeitszeiten bspw. in den Nachmittags- oder Abendstunden vorhanden sind. Um - von Dr. S. in seinem Gutachten vom 10.2.2010 ausgeschlossene - Schichtarbeit handelt es sich dabei nicht. Ob solche Arbeitsplätze am Wohnort der Klägerin oder in dessen Umgebung tatsächlich verfügbar sind, ist nach dem Gesagten rentenrechtlich nicht von Belang. Der Klägerin muss ein Arbeitsplatz auch nicht konkret benannt werden, da insbesondere eine dafür notwendige Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung bzw. ein sonstiger "Seltenheitsfall" (dazu KassKomm/Gürtner, SGB VI § 43 Rdnr. 47, 37 m N.) nicht vorliegt.

III. Das Sozialgericht hat die Klage danach zu Recht abgewiesen, weshalb die Berufung der Klägerin erfolglos bleiben muss. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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