L 4 Kr 139/95

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 10 Kr 36/94
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 Kr 139/95
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Manual-Therapie Dr. Kozijavkin entspricht nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse. Für ihre Anwendung im Ausland ist eine Kostenerstattung nicht möglich.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 1. August 1995 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig sind die Kosten einer Auslandsbehandlung in Polen.

Der am ...1987 geborene und bei der Beklagten familienversicherte Kläger leidet nach den Feststellungen des Regensburger Kinderzentrums St. Martin (Ambulanz für entwicklungsgestörte und behinderte Kinder) vom 27.07.1993 an einer cerebralen Bewegungsstörung mit athetotischer Komponente, einem deutlichen allgemeinen Entwicklungsrückstand und an einer Amaurose. Er wurde seit November 1988 stationär und ambulant in Kliniken und Kinderzentren behandelt. Er ist der Pflegestufe III nach dem Sozialgesetzbuch XI zugeordnet.

Am 09.08.1993 ließ er im Anschluß an eine Vorauszahlung am 08.07.1993 (2.400,00 DM) die Erstattung der Kosten für die Manual-Therapie in Ustrom/Polen durch Dr ... in der Zeit vom 09.08. bis 21.08.1993 beantragen und legte am 02.12.1993 die Rechnung über die Behandlung in Höhe von 4.800,00 DM, den Hotelaufenthalt in Höhe von 1.252,00 DM sowie die Fahrtkosten und einen ärztlichen Kurzbericht des Regensburger Kinderzentrums St. Martin vom 04.11.1993 vor. Danach sei im Vergleich zum Vorbefund nach der Therapie durch Dr ... in eine deutliche Lockerung im Bereich der Schulter- und der Brustwirbelsäule eingetreten. In der folgenden Zeit fanden weitere Therapien durch Dr ... in der Ukraine statt.

Die Beklagte holte eine Stellungnahme der Kinderärztin und Sozialmedizinerin Medizinaldirektorin Dr ... (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung in Bayern - MDK -) vom 21.12.1993 ein, die die Behandlungsmethode von Dr ... mit dem Stand der medizinischen Erkenntnisse als unvereinbar bezeichnete und lehnte mit Bescheid vom 17.01.1994 daraufhin Kostenerstattung ab. Auf den Widerspruch des Klägers vom 07.02.1994 gewährte die Beklagte für die Behandlung einen Zuschuß ohne Präjudiz für künftige gleichgelagerte Fälle, wies aber den Widerspruch im übrigen zurück. Zur Begründung gab sie an, aufgrund eines Gutachtens des Nervenarztes und Sozialmediziners Dr ... (MDK) sei erwiesen, daß die Behandlungsmethode von Dr ... nicht dem Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche und die von Dr ... durchgeführte Krankengymnastik und Massage auch in Deutschland zur Verfügung stünden. Eine Überlegenheit der Methode nach Dr ... sei wissenschaftlich nicht stichhaltig dargelegt worden.

Der Kläger hat mit der Klage vom 19.04.1994 beim Sozialgericht Landshut (SG) geltend gemacht, durch die stationäre Behandlung sei eine erhebliche Verbesserung der gesundheitlichen Situation erreicht worden. Das Gutachten von Dr ... vertrete die Auffassung der Schulmedizin und der Gutachter verfüge über keine praktischen Erfahrungen. Der Beklagten seien durch die Behandlung höhere Kosten als 2000,00 DM erspart worden. Das SG hat Befunde des Regensburger Kinderzentrums St. Martin, der behandelnden Ärzte sowie eine ergänzende Stellungnahme von Dr ... eingeholt, der unter Bezugnahme auf die wissenschaftliche Literatur die Behandlungsmethode von Dr ... weiterhin als unzureichend bezeichnet hat. Es hat mit Urteil vom 01.08.1995 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es gebe in Deutschland eine Vielfalt von ärztlich geleiteten Einrichtungen zur Versorgung und Förderung von Patienten mit infantiler Cerebralparese. Das Behandlungskonzept nach Dr ... sei wissenschaftlich nicht anerkannt.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 28.09.1995, mit der er geltend macht, der Gutachter Dr ... sei befangen und sein Gutachten nicht verwertbar. Das SG habe die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten. Die bisherigen Behandlungen im Inland seien erfolglos gewesen. Die von Dr ... angewandte Manual-Therapie sei keine Außenseitermethode, sondern eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode der physikalischen Medizin. Sie werde seit November 1993 auch im Münchner Kinderzentrum durch Prof.Dr ... angewendet. Für den Nachweis der Wirksamkeit komme es nicht auf statistische Untersuchungen an, sondern es reiche eine Plausibilitätsprüfung.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 01.08.1995 und den zugrundeliegenden Bescheid der Beklagten vom 17.01.1994 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.03.1994 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der stationären Behandlung durch Dr ... in der Zeit vom 09. bis 21.08.1993 in voller Höhe zu erstatten, hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, über den Anspruch auf Kostenerstattung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Sie ist der Auffassung, der Erfolg der Therapie von Dr ... sei wissenschaftlich nicht belegt. Auch Prof.Dr ... habe Bedenken gegen die Therapie von Dr ... geäußert.

Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG. Auf den Inhalt der beigezogenen Akten sowie die Sitzungsniederschrift wird im übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist zulässig; der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 1000,00 Deutsche Mark (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).

Die Berufung ist unbegründet.

Das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Therapie durch Dr ... in der Zeit vom 09.08. bis 21.08.1993, weil die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch V (SGB V) nicht erfüllt sind. Danach hat die Krankenkasse Kosten in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war, wenn sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Diese gesetzliche Vorschrift ist eine Ausnahme von dem in der gesetzlichen Krankenversicherung geltenden Sachleistungsprinzip (§§ 2 Abs. 2, 13 Abs. 1 SGB V) und daher einschränkend auszulegen. Das Sachleistungsprinzip besagt im wesentlichen, daß die Versicherten die medizinischen Leistungen unmittelbar in Natur erhalten und die Krankenkassen die Leistungen zur Verfügung stellen müssen. Die Versicherten sind damit der Notwendigkeit enthoben, sich die Leistungen selbst auf dem Markt der medizinischen Güter zu beschaffen und vorzufinanzieren (Kasseler Kommentar - Höfler, § 13 SGB V, Rdnr. 2). Die Krankenkassen schließen über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen nach den Vorschriften des IV. Kapitels des SGB V Verträge mit den Leistungserbringern. Das auf dem Sachleistungsprinzip beruhende Leistungssystem kann seine Aufgabe nur erfüllen, wenn die Personen und Einrichtungen, deren Hilfe sich die Krankenkassen bei der Leistungserbringung bedienen, von den Versicherten auch genügend in Anspruch genommen werden. Im übrigen unterliegt der vom Kläger in Anspruch genommene Arzt bzw. dessen Einrichtung nicht der Wirtschaftlichkeitsprüfung (§§ 106, 113 SGB V) sowie der mit dem Gesundheitsstrukturgesetz eingeführten Budgetierung (§ 84 SGB V bzw. § 17 Abs. 1a KHG).

Der Kläger hatte entsprechend seinem spezifischen Krankheitsbild (Bundessozialgericht - BSG - vom 23.11.1995, SozR 3-2500, § 18 SGB V Nr.1) und der medizinischen Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit (§ 12 SGB V) einen Sachleistungsanspruch auf Krankenbehandlung in Form der in § 27 SGB V genannten ambulanten bzw. stationären Leistungen im Inland.

Eine unaufschiebbare Leistung im Sinne des § 13 Abs. 3 SGB V hat nicht vorgelegen. Hierunter fallen krankenversicherungsrechtliche Notfälle (§ 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V), die voraussetzen, daß eine Behandlung durch einen Vertragsarzt oder eine zugelassene ärztlich geleitete Einrichtung nicht möglich oder nicht zumutbar war, sowie andere dringliche Bedarfslagen. Dazu gehören Systemstörungen oder Versorgungslücken (Kasseler Kommentar - Höfler, § 13 Rdnr. 8 mit weiteren Nachweisen auf die ständige Rechtsprechung des BSG). Trotz der gravierenden Erkrankungen des Klägers hat eine unaufschiebbare Leistung nicht vorgelegen. Denn dem Kläger haben weiterhin die vor der streitigen Behandlung in Anspruch genommenen Ärzte und Einrichtungen zur Verfügung gestanden.

Die Beklagte hat auch nicht zu Unrecht eine Kostenübernahme abgelehnt. Grundsätzlich werden Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bei Auslandsaufenthalt und Erkrankung nicht gewährt (§ 16 Abs.1 Nr.1 SGB V). Hiervon macht § 18 Abs.1 SGB V eine Ausnahme. Wegen des Ausnahmecharakters muß diese Vorschrift eng ausgelegt werden. Die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 SGB V sind nicht gegeben. Ist danach eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur im Ausland möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung ganz oder teilweise übernehmen. Hierbei kommt es nach dem Wortlaut der Vorschrift auf einen Vergleich der Behandlungsmöglichkeiten, aber nicht der Behandlungsmethoden an. Die Entscheidung der Beklagten ist, soweit sie den Kläger belastet, schon mangels Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 18 Abs.1 SGB V nicht zu beanstanden; die Zahlung des Zuschusses in Höhe von 2000,00 DM ist eine Kulanzleistung, die die Beklagte weder im vorliegenden Fall noch in Zukunft bindet.

Der Kläger hätte eine Kostenübernahme rechtzeitig vor Behandlungsbeginn beantragen müssen, damit die Beklagte nach Rücksprache mit dem Medizinischen Dienst ihm andere Behandlungsmöglichkeiten durch zugelassene Leistungserbringer im Inland hätte aufzeigen können. Denn nach § 275 Abs. 2 Nr. 3 SGB V haben die Krankenkassen durch den Medizinischen Dienst bei Kostenübernahme einer Behandlung im Ausland prüfen zu lassen, ob die Behandlung der Krankheit nur im Ausland möglich ist. Der Kläger hat aber die Beklagte durch Abschluß eines privaten Behandlungsvertrages und die Vorauszahlung vor vollendete Tatsachen gestellt und eine zweckmäßige Beratung der Beklagten verhindert. Das BSG hat mit Beschluss vom 15.04.1997 (1 BK 31/96) unter Fortführung der bisherigen Rechtsprechung (SozR 3-2200 § 182 Nr. 15 m.w.N.) hierzu entschieden, daß Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung im Regelfall nicht zu erstatten sind, wenn der Versicherte sich die Leistung besorgt, ohne zuvor mit der Krankenkasse Kontakt aufzunehmen und deren Entscheidung abzuwarten.

Unabhängig davon hat die Beklagte die Kostenerstattung zu Recht abgelehnt, weil nicht erwiesen ist, daß eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung der Krankheit des Klägers nur durch Dr ... möglich gewesen ist (§ 18 Abs.1 Satz 1 1.Halbsatz SGB V). Es kann hierbei dahingestellt bleiben, ob die Behandlungsmaßnahmen durch Dr ... zu den herkömmlichen oder unkonventionellen Heilmethoden zählen (zur Systematik vgl. Kasseler Kommentar - Höfler, § 12 SGB V, Rdnr. 9 ff.). Maßgebend ist, daß eine therapeutische Versorgung des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland wie bisher in den Beratungs- und Therapiezentren für Kinder mit infantiler Cerebralparese möglich gewesen ist. Wie Dr ... festgestellt hat, ergibt sich nicht die Notwendigkeit aufgrund irgendwelcher Mängel der Versorgung auf das Ausland auszuweichen. Die Förderung in Deutschland ist so umfassend, daß prinzipiell eine Behandlung im Ausland nicht durchgeführt werden muß.

Ist die Behandlung durch Dr ... den unkonventionellen Heilmethoden, d.h. der Außenseitermedizin, zuzurechnen, kommt eine Kostenerstattung nicht in Frage, weil die Behandlungsmethode nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 18 Abs.1 Satz 1 SGB V) entspricht. Denn nach § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V müssen Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen. Dies gilt aufgrund der systematischen Stellung dieser Vorschrift für alle Leistungen der Krankenversicherung, d.h. auch für die sogenannten Außenseitermethoden. Zweck dieser Bestimmung ist, den Versicherten eine qualitativ gesicherte ärztliche Versorgung zukommen zu lassen und die Krankenkassen vor überflüssigen Ausgaben zu bewahren (vgl. hierzu Kasseler Kommentar - Peters, § 2 SGG V, Rdnr.4 mit Hinweis auf die Gesetzesmaterialien zum SGB V). Die Bestimmung ist in Zusammenhang mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 SGB V) zu sehen, das unter anderem eine ausreichende und zweckmäßige ärztliche Versorgung sichern soll, sowie den Vorschriften über die Qualitätssicherung der Leistungserbringung (§§ 135 ff. SGB V), die die Erfüllung des Teilgebots der Zweckmäßigkeit gewährleisten sollen.

§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V nimmt mit der Forderung, daß Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen müssen, den Gedanken der Qualitätssicherung in die Vorschrift des Leistungsrechts auf, die den Einweisungsvorschriften und gemeinsamen Vorschriften der §§ 11 ff. SGB V vorangeht (Schirmer in GK SGB V, § 2, Rdnr. 13; Igl in GK-SGB V, § 18, Rdnr. 8). Der Stand der medizinischen Erkenntnisse setzt - wie im früheren Recht der RVO - die Anerkennung in der medizinischen Wissenschaft voraus. Dementsprechend müssen Qualität und Wirksamkeiten medizinischer Leistungen mit wissenschaftlich anerkannten Methoden geprüft und bewertet worden sein. Es ist daher folgerichtig, wenn nach der amtlichen Begründung zum SGB V (BR-Drucksache 200/88 S. 157) alle Leistungen ausgeschlossen sein sollen, denen keine wissenschaftlich anerkannten Methoden zugrunde liegen. Der Begriff Stand der medizinischen Erkenntnisse ist zwar nicht mit der dominierenden Auffassung der Schulmedizin gleichzusetzen. Im Stand der medizinischen Erkenntnisse können sich auch konkurrierende Auffassungen widerspiegeln. Aber die Ergebnisse unkonventioneller Heilverfahren müssen einer wissenschaftlichen Überprüfung Stand halten (Schirmer, a.a.O., Rdnr. 27, 28).

Methodisch gesehen kennzeichnet der Begriff Wissenschaft ein gesichertes, in einem Begründungszusammenhang von Sätzen gestelltes und damit nachprüfbares Wissen, das bestimmten Kriterien, wie zum Beispiel Allgemeingültigkeit und Systematisierbarkeit folgt (Brockhaus, Enzyklopädie, Stand 1994, Stichwort: Wissenschaft).

Das BSG hat in diesem Zusammenhang zu dem Nachweis der Wirksamkeit nicht anerkannter Behandlungsmethoden in Abkehr von früheren Entscheidungen gefordert, daß anstelle des Nachweises eines Behandlungserfolges im Einzelfall bzw. der Möglichkeit der Wirksamkeit nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft es nunmehr in Abgrenzung zur Erprobung eines Erfolges der Behandlungsmethode einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen bedarf. Dies muß aus wissenschaftlich einwandfrei geführten Statistiken im Sinne einer aussagefähigen Dokumentation über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der neuen Methode erfolgen. Hinsichtlich der Qualität, zum Beispiel der damit verbunden Nebenwirkungen, dürfen dabei im Hinblick auf die erreichbaren Behandlungserfolge keine durchgreifenden Bedenken bestehen (BSG vom 08.06.1993 - 1 RK 21/91; BSG vom 05.07.1995 - 1 RK 6/95 - SozR 3-2500 § 27 Nr. 5; von Wulffen, SGb 1996, 250 ff.). Damit kommt es auf den angeblichen Behandlungserfolg der streitigen Therapie anläßlich des ersten Aufenthalts in der Einrichtung von Dr ... nicht an. Das BSG hat in den Entscheidungen vom 16.09.1997 (Die Leistungen 1997, 295 = SGb 1997, 571 ff.) an dem wissenschaftlichen Nachweis der Wirksamkeit der Therapie festgehalten. Es hat lediglich bei Erkrankungen, deren Entstehung und Verlauf weitgehend unerforscht sind und die auch mit herkömmlichen Mitteln nicht nachhaltig wirksam zu beeinflussen sind, für die Anerkennung der therapeutischen Zweckmäßigkeit einer neuen Methode gefordert, daß sich die Methode in der medizinischen Praxis durchgesetzt hat, daher von einer erheblichen Zahl von Ärzten angewendet wird. Auch wenn hier diese Voraussetzungen bezüglich der Erkrankung des Klägers unterstellt werden, fehlt es an der Durchsetzung der streitigen Therapie in der Praxis. Dies ergibt sich aus dem Bericht des Regensburger Kinderzentrums St. Martin vom 27.07.1993, den gutachterlichen Stellungnahmen von Prof.Dr ... vom 28.07.1994 und 16.09. 1994 und den Gutachten von Dr ...

Der erforderliche Nachweis der Wirksamkeit ist nach den Gutachten von Dr ... vom 23.09.1993 und 21.02.1996 nicht erbracht. Diese Gutachten sind entgegen der Auffassung des Klägers im vorliegenden Verfahren verwertbar. Sie sind weder Parteigutachten, noch ist der Gutachter Dr ... befangen. Gemäß § 275 Abs. 5 SGB V sind die Ärzte des Medizinischen Dienstes bei der Wahrnehmung ihrer medizinischen Aufgaben nur ihrem ärztlichen Gewissen unterworfen. Der Gutachter Dr ... setzt sich ausführlich und objektiv mit der Krankheit des Klägers, d.h. der infantilen Cerebralparese, den von der medizinischen Wissenschaft erarbeiteten Therapiemethoden, die auf eine Verhinderung einer weiteren Verschlimmerung der Krankheit abzielen, den Veröffentlichungen von Dr ... und den Stellungnahmen der medizinischen Wissenschaft hierzu auseinander. Es genügt, daß die Erkrankung des Klägers in das Fachgebiet von Dr ... fällt. Für die Beurteilung der generellen Wirksamkeit der Therapie ist nicht erforderlich, daß er die Methode von Dr ... in der Praxis angewendet hat.

Dr ... beanstandet im Gutachten vom 23.09.1993 zum einen die einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhaltende Methode von Dr ... zum Nachweis der Wirksamkeit seiner Therapie sowie die unzureichende Dokumentation. Die Therapie von Dr ... besteht aus einem Bündel einzelner, teilweise umstrittener oder abzulehnender Maßnahmen. Neben der Manual-Therapie werden die Nadelreflexotherapie, Kinesiotherapie, Physio-Elektrotherapie, Hydrotherapie, Bienentherapie und die Kauterisation mit Wermutzigarren angewendet. Es ist nicht mehr zu erkennen, wenn ein positiver Effekt eingetreten ist, worauf er zurückzuführen ist und was unnötige und unsinnige Zusatzverfahren dabei sind. Hierbei ist nicht entscheidend, ob Dr ... einzelne Therapieelemente bei dem Kläger nicht angewendet hat. Einige von Dr ... eingesetzte Therapien werden nicht beschrieben (zum Beispiel Kopfhauttherapie) und entziehen sich von vornherein einer näheren Beurteilung. Abgesehen davon entspricht die von Dr ... durchgeführte Manualtherapie nicht dem internationalen Sicherheitsstandard. Besonders die Manipulationen an der Halswirbelsäule gelten in der Form, wie sie von Dr ... erbracht werden, als gefährlich. Problematisch ist auch die von ihm praktizierte Bienenstichtherapie, da hierdurch gesteigerte örtliche Reaktionen erwartet werden können.

Dr ... führt eine analytische Statistik nicht durch. Die von ihm angegebenen Verbesserungen lassen sich mangels entsprechender Definitionen nicht belegen. In der Stellungnahme vom 22.02.1996 führt Dr ... zu dem methodologischen Standard von Dr ... weiter aus, daß dessen Publikationen insoweit mangelhaft sind. Zum methodologischen Standard gehört unter anderem eine parallel beobachtete Kontrollgruppe (vgl. hierzu auch Wölk, MedR 1995, 491 ff.; A.Schneider-Danwitz, Ersk 1996, 353 ff.; Windeler, MedR 1997, 265 ff.; BVerwG vom 14.120.1993, MedR 1994, 110). Einfache Vorher-Nachher-Vergleiche in einer Patientengruppe oder die Verwendung historischer Kontrollen ist nur in besonderen Ausnahmefällen als aussagekräftig anzusehen. Um einen eventuell beobachteten Unterschied zwischen Therapiegruppen hinsichtlich der definierten Zielkriterien verwerten zu können, ist nach Dr ... zu fordern, daß die gegenübergestellten Gruppen in allen Kriterien - bis auf die zu prüfende Therapie - vergleichbar sind.

Das Therapiekonzept von Dr ... kann nach den Feststellungen von Dr ... auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer ganzheitlichen Therapiemethode gerechtfertigt werden. Eine ganzheitliche Therapie ist, wenn damit nicht nur Polypragmasie verschleiert werden soll, nur sinnvoll, wenn das Ganze mehr ist als die Summe der Teile und die Einzelelemente der Therapie sich so ergänzen, daß auf keines verzichtet werden kann, ohne den Sinn des Ganzen zu zerstören. Dies ist bei dem heterogenen Methodenkonvolut von Dr ..., wie Dr ... unter Bezugnahme auf wissenschaftliche Veröffentlichungen von Prof.Dr.Straßburg (Universitätsklinik Würzburg), Prof.Saller (Universitätsspital Zürich) und Prof.Dr.Hahnefeld (Universität Göttingen) feststellt, nicht der Fall. Dieser Arzt kommt auch zu dem Ergebnis, daß aufgrund der Kenntnisse über die Pathologie und Pathophysiologie der cerebralen Bewegungsstörungen sich die Behandlung von Kindern mit cerebralen Bewegungsstörungen durch Dr ... nicht rechtfertigen läßt. Es gibt keinerlei Hinweise dafür, daß sie gegenüber den in Deutschland praktizierten Behandlungsmethoden irgendwelche Vorteile aufweist.

Aus dem deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommen (vgl. Gesetz vom 18.06.1991, BGBl.II, S.741 ff, 1072) in Verbindung mit § 16 Abs.1 Nr.1 SGB V ergibt sich für den Kläger gleichfalls nicht ein Anspruch auf Kostenübernahme bzw. -erstattung. Denn er fällt nicht unter den persönlichen Geltungsbereich (Art.6, 7) des Abkommens.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved